I Erster [de facto: einziger] Band.
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Und liebes Kind bewahre meine Briefe, lasse sie nicht verloren gehen, sie
sind das Frömmste, Liebevollste, was ich in meinem Leben geschrieben, ich will
sie einstens wieder lesen, und in ihnen in ein verschloßnes Paradies zurückkehren.
Die Deinigen sind mir heilig! – Heidelberg 1805.
Verliere keinen meiner Briefe, halte sie heilig, sie sollen mich einst an mein
besseres Selbst erinnern, wenn mich Gespenster verfolgen, und wenn ich todt bin so
flechte sie mir in einen Kranz. – Holland 1808.
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III Sr. Königlichen Hoheit
dem
Prinzen Waldemar
von Preußen.
V Lieber Prinz Waldemar!
So weit ists gekommen zwischen uns beiden, daß ich diese letzte Anrede wage und
lieber und naturgemäßer sie finde als die auf der ersten Seite. Ich stehe auf
einmal da vor Ihnen und alle Leute auf dem Markt vernehmen, was
ich Ihnen zu sagen habe. Vor so viel Leuten ist man aber nicht aufrichtig,
man ist da nur schicklich; folglich ists wohl nicht schicklich aufrichtig zu sein.
Da man aber einem Prinzen gegenüber durchaus schicklich sein muß, Aufrichtigkeit
aber Unschicklichkeit ist, so machen sich Euer Hoheit gefaßt, entweder was
Unschickliches zu hören oder was Unaufrichtiges.
Wenn ich nun meine Zueignung so begönne:
Es ist das aufrichtigste Gefühl der Verehrung und Liebe, was mich
beVI wogen hat Euer Hoheit dies Buch zu widmen. So würden Sie
denken: die Freifrau von Arnim redet dies um der Schicklichkeit willen, denn
aus welchen Gründen könnte sie mich so stark verehren? – Daraus müßte ich auf die
Bescheidenheit schließen und auf die Einfachheit Ihrer edlen Natur, die
größere Forderungen an sich macht. Fahre ich nun fort und sage: In diesem Buch
werden Euer Hoheit viel Analoges mit sich finden! so könnten die
Schicklichkeitsmenschen behaupten, dies sei sehr unschicklich einem Prinzen zu
sagen, er habe Ähnlichkeit mit einer Volksseele. Ich darf Ihnen daher
gar nichts sagen, denn meine Aufrichtigkeit würde entweder von Ihrer
BeVIIscheidenheit verneint, oder von dem Schicklichkeitsgefühl der
Aristokraten mir verwiesen.
Dem Publikum, in welchem ich mich heimisch fühle, das mich angeregt durch seinen
Beifall und durch sein Einverständniß mich inspirirt, zu dem kann ich doch wohl
reden ohne Einwendung, da Aufrichtigkeit bei diesem auch Schicklichkeit ist. Nun
also: Ihr Leute auf dem Markt! – Ich hab dies Frühlingsduftende Buch nur dem
darbieten können, gegen den ich keinen Zweifel hege, der Feldblumenkranz könne
ihm zu gering sein.
Ich sage Euch aber Ihr Leute auf dem Markt Ihr, deren Gewissen Zeugniß giebt
von jenen gefürsteten Fürsten, denen der Lorbeer und VIII die Eiche und
die Raute Ehrenkränze tragen, daß gleich in der Brust jener großen Männer,
auch Ihm der die Huldigung im Feldblumenkranz willkommen heißt
das vaterländisch Edle, der Eifer für Wahrheit, der Glaube an göttliche Dinge,
die Würdigung der Volkseigenthümlichkeit inne wohnen, die sein eigenes Streben
mit den Kräften des Gemeingeistes zu allen erhabnen Opfern zusammenschmelzen.
Bettine.
1 Liebe Bettine.
Noch einmal leb wohl. Ich habe wie immer auf meinem Rückweg noch recht mit Liebe an
Dich gedacht und bitte Dich innig indem Du stets Dich selbst veredelst, diese Liebe
zu veredlen und zu erhöhen von der der größte Theil meines Glückes abhängt, ich habe
jezt außer Dir für keinen Menschen ein ganz lebendiges Interesse das mir selbst Muth
geben kann mich in die Höhe zu arbeiten. Du giebst mir Kraft und Muth und Aussicht,
wenn Du in allem Guten gedeihest, denn Du gedeihest meinem wärmeren Antheil an Dir.
Suche Dich über das was man Dir als Pflicht zumuthet zu erheben, mache daß Alles um
Dich zufrieden ist. Was Du mehr in Dir fühlst als das gewöhnliche Bravsein dafür
hat die arme Welt ja doch keine Ordnung, das mußt du still in Dir bilden und Gott
selbst dafür Rechnung stehen und mit der ganzen Harmonie der Gefühle dafür dankbar
sein. Es ist dem vorzüglichen Menschen gewiß sehr
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leicht alle gewöhnlichen Forderungen zufrieden zu stellen, bequeme Dich ein wenig
nach der Alltäglichkeit und sie wird mit ihren Klagen Dir nicht mehr zur Last
fallen. Sei fleißig in der Musik und Zeichnung es sind die unschuldigsten
Organe der Güte und Schönheit. Sei Deinen Geschwistern duldsam und verschließe was
Du mir bist still in Deinem Herzen, denn die meisten Menschen verstehen das
nicht und ehren es daher nicht. Du kannst so nur Dir und auch mir großen Schmerz
ersparen, weil es weh thut wenn das Bessre in uns mißhandelt wird durch den
Unverstand. Lebe wohl! sei recht fleißig am Ofenschirm damit er bald fertig wird,
ich freue mich drauf, daß die Flamme durch sein Gewebe schimmert und ich klimpere
dann auf der Guitarre dazu Lieder und Melodien die Dein sind.
Dein Clemens.
Lieber Clemens.
Dein freundlich Abschiedsblättchen hat mir die Großmama nicht gegeben, ich hätte
es vielleicht nie erhalten wär ich nicht durch Zufall an den Ort gekommen wo es lag
und schon eröffnet war.
Sieh ich hab Dich so lieb – Du bist so gut – ich
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möchte Dir alles sagen, um daß Du mir lehrtest was mich gut und Dir lieb machen
kann.
Der Anfang Deines Briefchens sagt mir zum leztenmal noch ein Mal Lebewohl! –
Werde ich Dich denn lange, lange nicht wiedersehen? und stehe weit zurück von allem
was ich liebe? – Und andre gehen dazwischen hin und her die gleichgültig sind für
Dich und mich! – Die frankfurter Allee hat allen Glanz verloren sie ist ganz öde in
der Nebelluft, denn weil Du jezt nicht mit dem Abend dort mir entgegen kommst! – So
war doch der Morgen immer auch noch schön wenn Du am Abend dagewesen warst. Weil Du
willst ich soll früh aufstehen wegen dem Gold der Morgenstunde, so wollt ich es ihr
aus dem Mund nehmen und lief früh mit der Dämmerung schon durch die Allee wo all
Deine Tritte in den Kies geprägt und schön bereift waren, wär ich später gegangen
so hätten die Marktleute drauf herum getrampelt. Ach die langen Winterwege die Du
gemacht hast, mir zu Lieb alle! – Aus dem lustigen Haus, wo die Geschwister und
Hausfreunde zusammen Witze machten, heraus über die Schneefelder, auf der kalten
einsamen Hoftreppe wo wir die Winde zusammen flüstern hörten. Und im Schneegestöber
bist Du wieder allein in der Nacht den langen Weg nach Haus gewandert! – Ja Du
willst
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daß ich Dich immer so liebe wie Du mich liebst. Und wärst Du doch ganz nah bei mir
und könnt Dich ans Herz drücken dafür daß ich in Dir finde was ich vergebens in
Andern suchte, ein Gespräch wo die Seele in der Pforte steht in ruhender Stellung
zwar, aber so hingebeugt zum Nachbar, so sanft lockend daß der auch sich
ausspreche. – Ich war in Sorgen um Deinen langen einsamen Weg in der Nacht, die
Sterne haben wohl noch mit Dir fortgeplaudert! – Adieu mein Clemens, leide
immer daß ich ein wenig an Dich schreibe und wenn meine Briefe auch unbedeutend
sind, es macht mich doch so froh! – Kann ich Dir auch abgebrochene Gedanken
schreiben wie wenn ich mit Dir schwäzte wo Du mir immer Antwort gabst eh ichs
ausgesagt hatte? – Ach wie willst Du mir Deine Briefe schicken, die Großmama
giebt sie mir vielleicht gar nicht!
Deine Bettine.
Liebe Bettine
Daß die Großmutter Dir den kleinen Brief nicht gab ist mir sehr leid, es wäre
schön von ihr gewesen hätte sie Dich gebeten daß Du ihr ihn lesen lassest, daß
hättest Du denn auch mit Freuden gethan, übrigens
ver5zeih
es ihr in Deinem Herzen denn sie hat es gewiß gut gemeint. Diesen Brief schicke ich
Dir nun frei mit der Post, es thut mir zwar leid daß ich Deinen lieben Namen muß
so offen auf die Post geben, allein es ist besser als ein andrer Weg, er würde ein
Winkelweg sein, da doch sich an Dir zu freuen und Dich zu hüten und verstehen zu
lernen dem Bruder, ganz Naturgemäß ist! –
Schreibe mir auch nicht zu heftig, es ist nicht gut wenn man sich dran gewöhnt,
und man thuts so leicht weil es einem wohlthut, aber ein solcher Brief ist zu sehr
Stimmung und ein Wort giebt zu sehr das Andre da eigentlich die Seele allein jedes
Wort geben soll. Schreibe mir von Euern Scherzen und kindischen Einfällen und
kleinen Naseweisheiten. Liebe Deine Geschwister und besonders die um Dich sind,
mach Dich ihnen unentbehrlich, mache Dich allen geliebt und geehrt, dann ist Dein
Inneres ungestört und Deine äußeren Verhältnisse recht angenehm in der Welt.
Spiele brav Klavier, singe, zeichne und lerne wo Du kannst, nur damit kannst Du Dir
Deinen Lebenskreis erweitern. Ich sehe Dich bald wieder, zu Ostern komme ich gewiß,
ich bin gar sehr vergnügt hier und nächstens schreibe ich Dir alles wie ich hier
lebe. Freude das ist das Höchste, es ist
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Gesundheit an Leib und Seele die man giebt und
empfängt. Dein Clemens.
Ob du mir abgebrochene Gedanken schreiben kannst wie wenn wir zusammen
sprechen? – liebes Kind so gut ich von hier aus Dir nicht ins Wort fallen kann noch
ehe Du's gefunden hast, würde ich Dich wohl auch nicht so gut verstehen von so weit.
Und dann ists ja auch ein Kunstinteresse sich voll und bündig ausdrücken zu lernen.
Der Schreiber muß zugleich an sich selber schreiben, denn er selbst muß durch den
Brief mit sich bekannt werden, Du sagtest mir ja daß Dir die Welt so unendlich weit
vorkomme und Du Dir selber wie verloren darin seist. Und dann sei Dir Dein
Lebenskreis wieder so enge daß Du nur ganz kleine Schritte vorwärts thun könnest.
Dies alles kommt daher daß Du mit Deinem inneren Menschen noch nicht bekannt bist,
Du begreifst Dich noch nicht, aber in den Briefen schaust Du in den Spiegel Deiner
Seele, darum thut die tiefste Wahrheit Dir selber gegenüber so noth, um auf keinen
Irrthum zu gerathen über Dich selbst. Denn die edle Seele hat eine höchste
Bestimmung! Dieser nach zu kommen ist ihre ganze Aufgabe, die Welt ist so voller
Ereignisse, ist ein Gewebe in dem jedes Menschen
harmo7nische
Bildung ein nothwendiger und haltbarer Faden sein muß. Nicht jeder Faden braucht
als sichtbare Figur eingewebt zu sein, aber zur Tüchtigkeit und Festigkeit des
Gespinstes trägt jeder bei der die Wahrheit in sich begründet, ja es ist nicht
anders möglich so, als daß er eines Hauptvermittelung aller wesentlichen
Entwickelung werde. Doch was ich Dir hier sage, was Deinem Alter und Deinem
Gedächtniß nicht angemessen ist, vergiß es wieder Liebe, und lasse Dir ins Herz
geschrieben sein daß selbst Jugendspiele und Scherze – kurz alles was Dir hier dem
gesagten gegenüber vielleicht unbedeutend erscheint, nie unbedeutend sein kann
so lange es die in überquellender Lebenslust unverwirrten unverwickelten Gedanken
hervorsprudlen.
An Clemens.
Clemente! Zu Ostern willst Du kommen? heute haben wir den 22. März! – Nein
es sind beinah noch vier Wochen. Aber es wird dann schon sehr schön im Garten sein.
Ich habe unsre Rasenbank erhöht, das muß früh geschehen, das kurze Gras muß recht
dicht wachsen. Unsre Katze hat Junge, sie sind so allerliebst, Clemens
der Frühling ist nicht mehr zu läugnen die Reben weinen. Es ist ja auch
in wenig Zeit schon Mai,
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aber doch in vier Wochen erst, denn dann ist gewiß das schönste Wetter.
Ich soll von meinem Tagewerk Dir schreiben und was wir Geschwister zusammen
treiben. Heut war ich den ganzen Tag im Garten, ich hab ja am Tag wo Du fort bist,
am Abend noch ein Beet umgegraben und hab Sallat hineingesäet, er ist schon
heraus, ich mußte eine Strohdecke drauf legen gegen unzeitigen Frost. Ich will
mir doch nichts mehr von den Menschen weiß machen lassen! Und statt am Abend mir
Vorwürfe zu machen daß ich alles besser wissen will bin ich am frühsten
Morgen schon auf wo die ganze Welt noch schläft, und beobachte sie, erst
kommen die Tauben, sie baden sich und trinken am Brunnen zwischen den Steinen
das Wasser, ich hab sie gelockt auf der Haustreppe mit gestohlenem Futter!
Morgenstund hat Gold im Mund, darum soll ich früh aufstehen meinst Du. – Es
war noch ganz nebelig und verschlafen, doch bald fiel das Gold der Morgenstunde
schräg in die Straße, in den Hausgiebeln gingen die Fenstern auf, da wohnen
die jungen Mädchen, die wollen auch Morgenluft schlucken, ich ging um die Ecke
am Kanal längs den Gärten, da sind so viel Veilchen, man steckt sie in den
Busen, sie duften Dir ein Weilchen, es ist ihre Sprache. Als ich
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vom frühen Spaziergang heim ging, sah ich den Bäckerjungen laufen, er
schellte am Haus wo die Emigranten wohnen, der Duc de Choiseul guckte aus
dem Fenster und kaufte Milchbrod, ich wollte ihn nicht beschämen und kehrte
wieder um, als ich zum zweitenmal zurück kam trat die Milchfrau ans Fenster die
ihm die Milch abmaaß. Da kamen noch viele Milchtöpfchen zu allen Fenstern heraus;
einer der sich von Spitzbuben umringt sieht kann sich nicht ängstlicher
durchschleichen als ich zwischen dem Milchhandel dieser vornehmen Emigranten,
ehemals waren sie von einer großen Valetaille umringt, die sich wieder
bedienen ließ von allerlei Gesindel, und nun sind sie eingerichtet in
eigner Person, wie compendiöse englische Reisenecessaire wo man alles
beisammen hat, selbst das Überflüssige. Ists möglich daß man ein Heer
von Müßiggängern beschäftige mit Angelegenheiten die nur der Müßiggang
nothwendig macht. Sie malen, sie schleifen in Glas, sie sticken Blumen
auf Bandschleifen, sie drechslen, sie überschwemmen das Land mit närrischen
Künsten und die Großmama wundert sich, daß unter allen keine Gelehrten
sich finden.
Deine Bettine.
10 Liebe
Bettine.
Ich komme in ein paar Wochen wenigstens auf einige Tage nach Frankfurt und Du
bist eigentlich die Ursache, freue Dich darauf und habe mir recht viel zu
sagen. – Was Du einmal in Offenbach schriebst, lese ich noch oft mit vielem
Genuß, es ist mir wie ein ewiger Brief von Dir. Ich bitte Dich bring alle jene
Gedanken die Dir selbst auffallen zu Papier, es ist eine schöne Gewohnheit und
wenn man einstens in ganz andern Verhältnissen ist, so sind solche Blätter
liebliche Andenken verflossner Frühlinge. Ich kannte ein recht liebes Mädchen
die arm und von geringen Eltern war, sie konnte nicht schreiben und bezeichnete
alles was ihr am meisten auffiel mit Blumenblättern, die sie zu solchen
Zeiten gebrochen hatte, diese Blätter hätte sie nachher um vieles nicht gegeben,
als sie schreiben konnte und für eine gescheite Frau galt, ja diese
Blumenblätter sind mir lieber als das was sie nachher schrieb denn an denen
kann sie ihre Fortschritte sehen, an dem folgenden nur wie sie stehen blieb.
Dies letztere wird nun nie bei Dir der Fall sein, Du wirst nie stehen bleiben,
Du wirst ewig fortfahren Deine Seele zu bilden. Diese Bildung besteht nicht
sowohl in Kenntnissen die man uns lehrt als in der eigentlichen Erkenntniß.
Eine gebildete
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Seele ist die, die alle Kenntnisse die sie hat, wie der bloße Mensch seine
Sinne, anwendet alles um sich herum zu vernehmen und zu beurtheilen.
Der bloße gesunde Mensch hört, sieht, fühlt, spricht; dem Gebildeten aber wird
das Gehör zur Musik, das Gesicht zur Malerei, das Gefühl zur Gestalt, und
die Sprache zur schönen gebildeten Sprache alle seine Bildung und seine Liebe
zu verkündigen. Drum sei hübsch fleißig und fröhlich, treibe alles recht so
von selbst ohne irgend gleich darauf zu denken, wie das und jenes, was das
eigentliche Ende davon ist, dabei herauskomme; das Ende einer jeden Kenntniß
sind wir selbst, die Menschen und unser erhöhtes Talent sie zu lieben, zu
begreifen und uns ihnen verständlich zu machen. Lebe wohl.
Dein Clemens.
Lieber Clemens.
Clemens, Du hast mich mit Deinem Brief übereilt; ich wollte Dir ja noch
mehr schreiben, lezt am Donnerstag gab ich den Brief so schnell auf die Post, weil
ichs nicht erwarten kann daß Du meinen Brief hast, er ist ja blos eine
Liebkosung meiner Seele von der Du willst, daß sie durch ihre harmonische Bildung
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in das Gewebe der Weltereignisse sich mit als ein nothwendiger Faden einwirke,
und Du meinst es ist zu schwer für mich das zu verstehen? – Lieber Clemens,
dies alles spricht ja laut genug und täglich und stündlich zu mir! – Aber! –
Freilich ein großes Aber fährt aus blauer Luft ein Blitz auf mich ein! Und
ich schäme mich meine Gedanken vor Dir auszusprechen. Wie soll ich denn
anfangen? – Ja ich müßte Dir von meiner Verwundrung sprechen über alles was
ich sehe und höre in der Welt! über die Lehren die jene Leute mir geben,
die mich zu einem angenehmen und liebenswürdigen Mädchen erziehen wollen.
Das kommt mir aber gar nicht angenehm sondern sehr horribel vor, was andre
Leute wohlerzogen oder gebildet nennen. Ach und Du meinst ich könnte diesen
Anstandsforderungen genug thun? – Ach Clemens, weißt Du, daß mich dies alles
ganz dumm macht? – Ich verstehe entweder Deine Briefe nicht oder alles was
Du willst läuft stracks dem zuwider, was jene heischen! – Und ist das nicht
eine sclavische Art des Seins, vor andern Menschen sich zu benehmen, und
wird die Seele sich nicht an das Knechtische gewöhnen die den Convenienzen
auf Kosten ihrer reineren Gefühle nachgibt! – Ich bin so ärgerlich, es hat
mich was gekränkt. Das junge Mädchen
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was uns sticken lehrt ist eine Jüdin, sie heißt Veilchen, es ist ein recht
liebkosender Name und ich fand lezt das erste Sträußchen ihrer Namensvettern
zusammen, da ging ich ganz früh zu ihr um sie damit zu überraschen, ich
fand sie auf der Treppe mit dem Besen in der Hand, sie war beschämt, ich
aber gleich nahm ihr den aus der Hand und sagte, ach lassen Sie mich auch
ein bischen kehren. Da kam so früh schon denn es war noch nicht sieben Uhr
der Hofmeister vom Eduard Bethmann vorbei, der mußte es der Tante gesagt
haben daß er mich vor der Hausthür eines Juden auf offner Straße kehrend
fand – ich muß jezt lachen denn es ist auch recht lächerlich – ich will Dir
die derbsten Ausdrücke von der Tante ihrer Mercuriale ersparen, sie meinte
nur ich sei verloren, für ein besseres Dasein verloren, ich habe mich gänzlich
weggeworfen! Vous n'avez point de pudeur, point de respect humain, on
vous trouve balayer la rue main en main avec une juive! ich mußte lachen!
nein ich konnte nicht anders. Du weißt ich fürchte die Tante und mag sie
nicht gerne beleidigen oder reizen! cachez vous devant le monde, qu'on
ne lise point sur votre front les deshonorants signes de votre effronterie.
Ach ich mußte noch einmal lachen, die Tante ging hinaus! ich hätte sie
gern wieder
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gut gemacht, keine Möglichkeit, ich fühlte daß ich mich nicht ernsthaft
stimmen konnte. Die Bahn war plözlich gebrochen, ich glaube ich werde nie
wieder dazu kommen ihre Anstandsregeln zu respectiren. – Ach und wenn Du
wüßtest wie hübsch es bei dem lieben Veilchen war! – da war alles schon
so sauber im Stübchen, ein kleiner Kaminheerd, auf dem brannte ein Feuerchen,
dabei kochte das Frühstück für den Großvater, der saß dabei und strich
seinen langen weißen Bart durch die Finger, Veilchen stickt ein Goldmuster
sehr schön in einen rosinfarbenen Sammet, so nennt sie ein sanftes Braunroth
in ihrer Judensprache. Die Arbeit ist bestellt und sie bekommt dann viel
Geld wenn es fertig sein wird. Sie ernährt ihren Großvater und zwei seiner
Urenkel, die Waisen von dem gestorbnen Bruder, denen ist die Veilchen ganz
wie eine Mutter, ich half ihr sticken, es ward recht gut, denn ich hab
Augenmaaß und mache die Stiche sehr egal. Alles was mit dem Geld angefangen
werden soll! – 20 Louisd‘or! – Da ist so viel zu bestreiten in der
Haushaltung, vom Hemd bis auf die Schuhe und Schüsselchen und Töpfchen, und
der Heerd, der eingefallen ist, und die Ofenplatte geplazt; das muß geflickt
werden und das Wohnzimmerchen frisch geweißt, wo die Leute eintreten um
die Arbeit zu bestellen.
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Veilchen ist von der Gattung Mädchen die einen Nelkentopf vor ihrem Fenster
pflegen und Absenker machen und endlich einen ganzen Flor daraus ziehen, die
auch wohl ein Myrthenbäumchen zur Blüthe bringen, aber kein Kränzchen
daraus winden. Es wär auch schade, meinte sie heut Morgen und lächelte. – Wir
waren so vergnügt zusammen beim Sticken, ich fädelte die Flittern und
Goldbouillon auf einen langen Faden, da ging die Arbeit viel geschwinder;
wenn sie solche Hülfe hätte meinte sie dann würden die Sorgen ihr nicht so
leicht über den Kopf wachsen; ich bat sie daß sie mich alle früh Morgen mit
soll sticken lassen, dann wirds gewiß acht Tage früher fertig. Früh um vier
Uhr geht schon die Sonne auf da kann ich sticken bis acht Uhr, dann muß ich
zur Großmama zum Frühstück – jezt wirds aber die Tante nicht erlauben, denn
weil ich die Gass gekehrt hab – und sollt ichs heimlich thun das wirst Du
mir nicht erlauben, und sollt ichs gar unterlassen? das will ich nicht.
Mein Wort brechen, einem Mädchen, was seinen Großvater ernährt und seine
Geschwisterkinder? – sie weiß nichts davon zum Tanze zu gehen oder schön
gepuzt in Kleidern auf den Freier zu warten. Und ich wollte da ein kleines
unschuldiges Fädchen anspinnen ins Gewebe der Welt, ein einzig klein
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Fädchen, und – nein ich solls abreißen weil sichs nicht schickt. Ach! wo soll
ich in der ereignißvollen Welt meinen Faden anknüpfen wenn das einfachste
gegen den Anstand ist! – Wer hat diese Lügen gemacht? – denn das sind
wirkliche Lügen nach denen ich mich niemals richten werde! Ach wenn Du hier
wärst Clemens, Du würdest vielleicht es der Tante so vernünftig
darstellen daß sie nichts dagegen haben könnte. Ich hab noch viel zu
erzählen aber nicht heut, jezt lauf ich in den Garten mit dem Spitz, es
ist schon Nacht, ich fürcht mich nicht wenn der Hund bei mir ist. –
Am 25. März. Jeden Nachmittag kommt der Herzog, der blinde Herzog
von Aremberg, mit einem großen Pack Revolutionsblätter, Sieyes,
Mercier, Pétion, noch andre die mit großem Ernst am Weltgeschick weben.
Das klingt ein in meine verneinende Seele gegen Alles was ich in der Welt
gewahr werde, sie beweisen und heben den Schleier von aller Verkehrtheit.
Abends wenn Alles fort ist spricht die Großmama mit mir, Mirabeau sei ein
Komet der alles entzündet was sich ihm nährt. Das Große in ihm verstehen
lernen adle die Seele, sie macht Auszüge aus seinen Briefen, sie giebt mir
eine Nadel damit soll ich ins Heft stechen, welchen Satz ich treffe den
soll ich als Gedenkspruch
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bewahren, sie hatte diese Sätze selbst alle gesammelt, und war überzeugt,
ich werde mit der Nadel nicht unrecht stechen, aber ich stach in:
Die Macht der Gewohnheit ist eine Kette die selbst das größte Genie nur
mit vieler Mühe bricht,
und die Großmama stuzt ob ich den Satz nicht gar
selbst erfunden hab. Nein liebe Großmama hier steht er, ich bin nicht
Mirabeau aber sein Geist ist mir ins Blut gegangen, er wird mich
ewig mahnen nicht von der Gewohnheit abzuhängen. Die liebe Großmama! Adieu
mein Clemens und schreib daß du kommst.
Deine Bettine.
Liebe Bettine
Ich kann für Deinen lieben Brief Dir nicht besser danken als wenn ich Dir
sage, daß ich die Woche nach Ostern bei Dir in Offenbach bin, Du kannst Dich
ins Geheim für Dich drauf freuen, denn Du weißt nur mit mir allein daß ich
komme. Ich habe heute einen Brief von der Großmama erhalten, sie hält viel
von Dir und möchte alles auf Dich übertragen, was ihr wünschenswerth scheint,
sie hat mir wieder ihren Wunsch geäußert, Du möchtest Latein lernen.
Du kannst es ja ihr zur
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Liebe eine Zeit lang lernen. Obschon die Sprache nichts enthält für Menschen
und Vieh, sie ist hölzern und eingebildet, mit einer Wohlbeleibtheit die in
ihrer langen Toga sich auf den Bauch schlägt um auf ihre Würde anzuspielen,
und der Klang der dabei herauskommt ist ihre ganze Wohlredenheit; die Großmutter
läßt von dem Gedanken nicht los Deine Sprachfähigkeit durch Latein
auszubilden, ich hab ihr vorgeschlagen sie soll Dich lieber die
Derwisch-, Fakiren-, Bonzen- und Braminensprache lassen lernen, wo so viel
grillenhafte Superfeinheit drinn ist, die an die mehrere hundert und
zwei und neunzigsylbige Wörter gränzt und eine Rangorduung eingeführt hat
der Consonanten als Aristokraten, die den bürgerlichen Vokalen gar den
Eintritt nicht gestatten nd lssn ns s ws hnn gfllt xpngrn ns brll, s
dß mnchml n wrrwrr ntstht dß kn Tfl drs klg wrdn knn. Gieb Dir Mühe
der Großmama das Leben so viel als möglich zu versüßen, und lieber als ein
bischen Latein gelernt, ihre Begeisterung dafür kann unmöglich lang dauern,
doch ists schön daß ihre Seele immer nur im Gewand des Erhabnen sich wohl
fühlt, und wir können beide uns drüber freuen. Denn in welcher Luft könntest
Du besser athmen als da wo der Gemeinheit Dorn und die Nessel böser
verläumdrischer Zungen nicht wachsen kann[.]
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Die Großmutter schreibt mir auch von Mirabeau, gegenüber stellt sie den
Grandison als Ideal eines sittlich moralischen Charakters, das gränzt ans
Komische. Sie läßt sich von Dir die Abhandlung Mirabeaus über Staatsgefängnisse
übersetzen. und schreibt daß es Dich sehr interessire. Das hab ich nicht
von Dir geahnt. Aber Kind, ist es nicht etwas Einbildung oder Eitelkeit von
Dir? – So oft haben wir in vertrauten Gesprächen alles vom Herzen
weggeplaudert was uns lieb und leid war; – und meine Seligkeit war Abends
auf dem Heimweg daß ich mich besann über Dich! – – wie auf dem Grund eines
Sees die Fische muthwillig durcheinander spielen, so konnt ich Deine Gedanken
spielen sehen auf dem klaren Grund Deiner Seele! und war mein einzig Glück,
und nun klingts anders. Und ich lausche in die Nacht hinein, und ich höre
Mirabeau, Petion, Mercier; das lautet ja wie die dumpfe Sturmglocke,
nein das ist ja nicht das sanfte Läuten meiner Abendglocke wo Du die Gedanken
ausfliegen ließest wie Bienen nach den Feldblumen? – Bedenke liebstes Kind
daß Denken die Heimath der Seele ist, und suche nicht nach fremden Regionen wo
Dein Schutzengel Dich nicht zu finden ausging. Ein sich Daheimfühlen im
innersten Dasein, ist die Region in der
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wir in schuldlosem Bewußtsein am Quell des Vertrauens und der Weisheit schöpfen, das
heißt: Denken.
Es ist Nacht geworden während dem Schreiben, da ging ich noch weit ins
Feld, da liegen noch einzelne Schneedecken über der Saat, das Hessenland ist
ein rauhes Land. Bei Dir ist alles wohl schon viel frühlingsmäßiger, ich
freu mich doch auf Dich recht herzlich, und hab auch keine Angst daß Du nicht
dieselbe sein könntest die Du immer warst. Es ist ein so heller Morgen heute,
da sitz ich am Schreibtisch und der Hahn kräht schon zum drittenmal, das flößt
mir ein recht Vertrauen ein in die Zukunft. Ich werde recht oft nach
Offenbach kommen und alles thun um die Zeit recht innig mit Dir zu verbringen.
Es wird doch wohl eine Zeit kommen wo ich selten von Dir entfernt bin, und wo
wir Alles zusammen denken. Denken was heißt das, es ist die einzige Vermittlung
mit dem Göttlichen. Es stellt sich gleich eine Säulenreihe um Dich auf und ein
Tempel wölbt sich über Dir und Dein Gedanke durchduftet ihn. Das ist
Denkseligkeit – Gedankenlosigkeit ist Unseligkeit. Aber Du wirst gewiß noch recht
glücklich werden und ich auch, aber das wird nur dann sein wenn wir dem Bedürfniß
genügen unserer Seele, das können wir alleine durch Bildung. Wenn
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ich was weiß und so in mir gerüstet bin daß ich auch von jedem Punkte aus,
ich mag sein wo ich will und vom Schicksal eine Aufgabe habe, sie zu lösen
verstehe und darin mir selber genüge und der Kunst. Das ist Bildung! – Der
Mensch ist auf Erden sich zu bilden und dann wieder die Welt.
Jezt kommt der Frühling, da sitze ich Abends oft am Fenster, ich wohne
in einem Garten, klimpere ein wenig auf der Guitarre und singe auch wohl das
Lied vien qua Bettina bella etc., in den Garten kommen oft einige Kinder
mit denen ich spiele die zwar ein bischen dumm sind, aber doch gesund und treu. –
Ehe ich weg gehe werde ich den Kindern ein Fest geben, auch eine Schwägerin von
Rossi hat drei artige kleine Mädchen die gegen die schwarzen Rossibuben
wie Engelchen gegen Teufelchen aussehen, so schwarz sind diese kleinen Italiener,
besonders ist das älteste Mädchen, etwas jünger als Loulou, sehr sanft und
hold; sie hat den seltsamen Namen Anonciata, Verkündigung. Namen sind oft
recht einladend, der Deinige zum Beispiel. Diese Kinder nun, die in einem traurigen
schmutzigen Hause wohnen und mit eben solchen Menschen, haben doch ein kleines
Fleckchen rein und schön zu machen gewußt. In dem kleinen Hof steht ein Baum,
um den herum haben sie
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sich ein äusserst niedliches Gärtchen gebaut, so groß wie ein großer Tisch,
in diesem Garten nun stehen Butterblumen, Veilchen, Buchs und dergleichen,
gleich daneben haben sie sich Tisch und Bank errichtet und sitzen beisammen
wenn die Sonne scheint unter einer Art Laube die sie durch in die Mauer
gesteckte Tannenzweige zusammen geflochten haben. Ich habe gestern lang mit
ihnen gesessen, ihnen erzählt und während sie allerlei bunte Perlen und
Schmelz in Schnüre fädelten womit sie ein kleines Handelspiel treiben, ihnen
Klostereier gemalt. – Das ist so mein Zeitvertreib, und sie wird mir jezt
lange bis ich bei Dir bin. Nimm dies als eine kleine Gegenerzählung für Deinen
Bericht von dem Veilchen, der ist aber schöner, und ich finde es auch ganz
natürlich daß Du gern mit dem Veilchen das Kleid fertig sticken willst, aber
ich meine doch es wird besser sein wenn Du nicht am Morgen so früh Dich vom
Haus entfernst. Hast Du nicht zufällig den Herrn Hofmeister begegnet der Dir
den Verdruß machte bei der Tante, böse über Dich zu reden? – Nun könnten doch
noch andre Leute Dir begegnen die auch darüber reden könnten.
Dein Clemens.
Weil ich die Ostern nicht komme, sondern erst acht Tage später so erwarte ich
noch einen Brief von Dir[.]
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Du wirst ja doch wohl die zwei Sonntage recht still zubringen. Die Leute werden
alle spazieren gehen und Du wirst aus dem Fenster sehen, und sie in ihrem Putz
die Straße hinab, dem Thor hinaus wandern und dann auch wieder heimkommen sehen.
Aber in der Zwischenzeit kannst Du schreiben bei Deinem Strauß den Du doch gewiß
im Glas stehen hast.
Lieber Clemens.
Wenn man aber auf den Barbara-Tag Reiser von den Obstbäumen abschneidet und die
ins Wasser stellt, dann blühen sie im März und das hab ich gethan, und sie blühen
auch alleweil. Apfelblüthen sind zu schön! – Wär ich als Mädchen was die
Apfelblüthe ist, ich wär doch wohl alles Liebe und herzlich schöne. Was Du von mir
denkst, dann könnt ich Dir verzeihen was Du mir und Dir weiß machen willst. Ja
es ist recht schön denn ich hab das Plaisir davon, und Dir schadets nichts. Aber
sei nur nicht ängstlich daß ich keine Apfelblüthe bin, weis und roth und goldner
Saame darin, sondern daß ich vielleicht gar so eine Nessel bin oder Distel oder
Dorn, wie Du meinst vor denen ich mich soll hüten.
Ich hab am Feiertag nicht können schreiben, die drei kleine Katzen auf dem
Schooß so komod
ineinanderge24legt,
alle drei eingeschlafen unter der großmächtigen Pappel im Eckelchen auf der Bank.
Soviel Blüthen tanzten herunter, soviel braune klebrigte Schaalen plazten los von
den Knospen, ich dachte, was knistert doch im Baum; und später wie die Katzen so
sanft schliefen da hatte ich auch ein bischen geschlafen. – Ach Clemens wir
wollen recht vertrauend einander schreiben, und nichts weiß machen einander! – Und
wenn Du aber frägst ob das Einbildung sei oder Eitelkeit mit dem Mirabeau,
so kann das ja möglich sein und doch auch wahr, ich wehr mich dagegen nicht! Aber
der Mirabeau! – Ich wollt ich stünd vor ihm; weißt Du? – Denk ich an ihn,
ich fühl mein Gesicht brennen. Liebster Clemens mit aller Sehnsucht meiner
Arme, meiner Augen, ja mit allem was umfassend ist in mir, möcht ich seine Kniee
umschlingen! Des großen Helden, der auf seine Lippe nimmt das Geschick des Volkes
und entzündet es, mit seines Mundes Hauch facht er es an.
Auf meiner Seele klarem Grund, die Fischchen herumspielen sehen das freut Dich? –
Nun so guck! Wie sie da fahren wie der Blitz hin und her, sie prallen ans Ufer der
allbekannten todbringenden Langenweile, sie stoßen sich den Kopf ein; und soll ich
keine Leuchte anzünden zwischen diesem klippigten Grund einen Ausweg
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zu finden aus der Pfütze – ins Weltenmeer? – Wohin sonst? – Glaub nicht, daß ich im
angenehmen häuslichen Kreis mich gefangen gebe, und auch nicht der Bildungsanstalt
schöner edler Ideen. Auch nicht Latein kann ich ein Jahr oder ein halb Jahr der
Großmama zu Gefallen lernen; denn mir kann ichs nicht zu leid thun. Ich habe ja
nicht eine Vernunft der ich folge, ich bin ja ein electrischer Funke und ins
Latein kann ich nicht hineinfahren, es stößt ab sagst Du selbst.
Es ist nichts, du Welt, wonach ich die Hand strecke. Wärs Etwas! – Auf
dem Dach vom Taubenschlag die Sonne sinken sehen das ist meines ganzen Lebens
Aussicht. Sie geht dort unter so blutroth, und mein Blut – wallt mit im rothen
Meer der Sonne und dort wirds röther und mein Gesicht wird blässer. Ja ich glaub,
das der Geist des Blutes mit fortgezogen wird wenn dort die Sonne ihre lezte
Strahlen hineintaucht. Denn denk ich feurig daß mirs Herz klopft dann werd ich
blaß, lange wars nicht so schön hier in Offenbach als heute Abend, und lange hat
mich ein schöner Abend nicht so froh gemacht und so traurig zugleich. Es war da
gar Niemand der auch nur den geringsten Anspruch hätte gemacht an meine Seligkeit.
Ich wundre mich das andre nicht sind wie ich! Und Du? – Vielleicht in demselben
Augenblick dachtest Du ganz was anders,
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das geht mir zu Herzen. Die Sonne sank eben in den Main. Ist es Dir nicht auch so
wenn die Sonne sich im Wasser spiegelt, man möchte sich gar zu gerne
hineinstürzen und so in dem Glanz untergehen. Aber es wiegte sich noch eine schöne
Harmonie von blasenden Instrumenten auf den Wellen; ein leichtes Schiffchen
trug alle die Seligkeit auf seinem Verdeck, still bedachtsam zogs den Strom
hinauf.
Das Abendroth am Strand hinzieht
Ergiebt den Wellen sich mit Lust,
Da schwellet die beklemmte Brust
Der unbewußten Sehnsucht Lied,
So kühn gewaltig zwingt das Lied
Die Trauer der beklemmten Brust.
In Lebensmuth erstrebt sie Lust
In Liebesfluth sie Wolken zieht,
Und weckt in der beklemmten Brust
Der hohen Freiheit kühnes Lied.
Sein voller Klang
Das Herz durchdrang,
Das Lied sich schwang
In Liebesdrang.
Zu ihm zu dem ich hin verlang,
Dort über die Berge mit der Lerche
Ihm nach der Hymne zu singen dem Volk,
Dem von seinen Lippen sie sollte erklingen.
27
O Clemens was ist mir doch heute geschehen sonderbares, da bringt die
Großmama heute einen alten Brief vor vom Lavater, der schon drei Jahr
alt ist kurz vor seinem Tod geschrieben, der malt den Mirabeau
und recht unglimpflich und die Großmama holt die Silhouette aus dem Brief hervor
die er mitgeschickt hatte. Beschauen Sie die Nase
schreibt er diese Nase
ist eine Bauern-Nase die bezeichnet nicht den Helden der die kühnsten Entwürfe
beharrlich ausführt. Seine Freunde glauben daß er die Tugend liebte, dies kann
aber unmöglich mit so schwülstigen Lippen deren Winkel so matt herabhängen
übereinstimmen, sein Auge ist zwar feurig aber von finsterer Vermessenheit
und hat einen verachtenden Blick, eine schaamvergessne Gewaltsamkeit thront
auf seiner Stirne aber keinen Heldenmuth, ein Zug geht durch die ganze
Physiognomie der zwar die Karikatur des Genies markant ausspricht, nämlich
Exaltation die an Narrheit grenzt.
Und siehst Du, so hat mich die
Großmama gequält ich solls herausfinden worin es liege, vergeblich wollt ich
sie erinnern daß sie ja so verläumderische Ansichten über den erhabnen
Charakter nicht könne gelten lassen, aber sie wollte ihres Lavaters
Schwanengesang (so nannte sie diesen lezten Brief Lavaters an sie)
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nicht als verläumderisch gelten lassen. – Und Du predigst mir immer Pietät gegen
die Großmutter! – Wo und wie soll sich das alles zusammenfinden, ohne daß
heuchlerische und kleinliche Furcht sich drein mische! Ach, Clemens!
vertrauend – und das heißt ganz wahr und offen sein, das verlangt daß ich stets auch
aus der Tiefe meines Herzens mich an den Tag gebe, nicht umsonst will ich alles
verstanden haben, nicht umsonst hab ich meine französische Aufsätze für
Herrn Lendroit als geheime Antworten Fragen und Begeisterungen für
diesen Mirabeau geschrieben, habe er meintwegen Pockengruben die ihn bis zur
Häßlichkeit entstellen, mich gehts nichts an; nicht tief genug kann ich mich
in die Gruben seines tiefen Denkens alles Reinen und Hohen hineinbetten, ja
in diesen Gruben möcht ich begraben sein. Du wirst antworten daß ich ihn ja nicht
verstehe, – ich versteh ihn freilich nicht, wie könnt ich all die großen
Beziehungen auffassen die er durch diese grausame Revolution hindurch mit der
größeren Zukunft des Volkes anknüpfte. – Aller Jammer der seit dem
hereingebrochen ist, den würde er mit starker Faust zurückgewiesen haben, soviel
versteh ich doch, daß er liebte nämlich: und daher keine gehässige Gewaltsamkeit
geduldet hätte. Und ich will lieber schweigen, ich bin noch
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so jung – und mit jedem Schritt meines Daseins stoß ich auf lauter widerwärtige
Ungereimtheiten, ganz in der Stille schlag ich die Hände zusammen über alle
Narrheit, – ganz in der Stille bete ich zu dem der in seinem schmerzvollen
Tod noch mit allen Kräften seiner Sinne sich dem Volk zuwendete für es zu
sorgen, ja ich bete zu ihm daß er bei mir, mit mir sein möge und mich lehren
sprechen zu seiner Zeit. Denn ich auch möchte die Welt umfassen. O ich weiß
was Du sagst, Du tadelst mich. – Du sagst ich sei überspannt, ich wolle
affectiren. – Ich beweise schon darin meinen Heldenmuth, auf einmal so
aufrichtig meine Seele vor Dir auszusprechen? – Ja wenn Du von offnem
Vertrauen sprichst – damals auf der Hoftreppe war ich ja gar nicht
aufrichtig! – ich schwieg mit meiner tieferen Seele. – Denn Du hättest sie
getadelt. – Aber doppelt kann ich nicht die Wahrheit verläugnen. Wenn Du
sagst ich soll recht vertrauend gegen Dich sein, da muß der tiefste Quell
meines He[r]zens hervorsprudeln. –
Gestern hab ich bei Arenswald eine ganze Stunde Lection gehabt über
Electricität, mir flimmerts vor den Augen wie tausend electrische Funken.
Wenn Du ein Stück Papier verbrennst, dann laufen diese Funken alle
durcheinander wie bei einer Revolution, als wenn sie
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allesamt die wichtigsten Geschäfte hätten so gehts in meinem Kopf; wenns nur nicht
so traurig ausging, zulezt bleibt einer nur übrig, oder zwei, das ist noch
melancholischer – der läuft ganz allein durch die schwarzen verlaßnen
Finsternissen; – flipps ist er weg! – Der andre dort, weg ist er. Gestern Abend
hab ich immer wieder ein Papier angezündet um diesen beiden Fünkchen auf ihrem
Aschenweg nachzusehen. Die alte Cordel war auf ihrem ledernen Sessel
eingeschlafen sie mußte husten vom Qualm und erwachte mit sehr schlimmem Humor,
sie sperrte Laden und Fenster auf, da schien der Mond herein, mir was ganz
Neues, ich hatte nicht gedacht daß der scheinen sollte; ich lief in den
Garten, der Spitz der ist mein Geisterbanner, oder vielmehr bewacht er meine
Zusammenkünfte mit den Geistern denn weil ich die Geister nicht fürchte wenn er
bei mir ist. so ruf ich mir sie herbei und rede mit ihnen, ich würde das allein
nicht wagen ohne den Spitz.
Lieber Clemens ich hab Dir alles geschrieben, ich weiß Du würdest zanken
wenn Du schriebst – aber Du schreibst ja nicht, Du kommst ja selbst, da kannst Du
nicht, mit meinem Mund geb ich Dir einen Kuß auf Deinen, in welcher Sprache kann
ich gebieterischer ausrufen, halts Maul geliebter Bruder! O mein
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lieber Clemens wie freu ich mich darauf. – Die Sonne scheint mir eben ins Bett
und läßt mich nicht länger träumen von Dir. Ich kann mich mit dem Kritzlen nicht
aufhalten, sieh wie das schöne Wetter mich schnöde macht.
Lieber Clemens die Sonne ist eben wieder weg, da wollt ich gern weiter
schreiben. Aber Adieu Clemens sie ist schon wieder da, es geht gleich in den
Wald da wollen wir frühstücken ich will sehen ob ich ein Veilchen für Dich
finde komm bald daß es noch blüht, ich bewahr Dirs am Herzen und wenn ich dann
so redselig mit Dir bin, dann duftet Dirs aus meiner Brust.
Deine Bettine
Frankfurt.
An Bettine
Sei nicht traurig liebe Bettine daß ich nicht mehr hinaus komme, es ist
besser so, mir selber thuts leid und es ist wahrlich keine Trägheit von mir,
denn laufe ich doch gern viele Meilen um deinetwegen da mich nichts hier
herzieht als Du, ja alles andre mich vertreibt. Es würde uns beide traurig
gemacht haben, wenn ich noch zu Dir gekommen wär und hätte nichts genüzt.
Du
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bist mir immer nah, und alle meinen frohen und guten Stunden wohnst Du bei,
so soll Dir auch sein, drum freue Dich und sei gut. Die Freundschaft heißt nicht
zusammenhängen und zusammensitzen, Freundschaft ist groß und frei und liegt im
Gedanken, für den jeder Raum gleich nah ist. Jemehr Du mir ähnlich fühlst wo
ich gut fühle, jemehr Du mir ähnlich denkst wo ich groß und edel denke jemehr
bist Du mein Freund, jenäher bist Du mir, auch liebe ich nicht Dich hier
in Frankfurt noch in Offenbach zu sehen denn wir sind dann beide durch unsre
Umgebung gedrückt, und wir müßten wenn wir nebeneinanderstehen, immer so
stolz so glücklich und so edel sein als wir es können. Wenn ich nicht hier
bin, bin ich viel besser, und kann viel reiner und freudiger mit Dir umgehen.
Ich kann Dir nichts zurücklassen, und Dir nichts mehr sagen, Du weißt was
schön und gut ist, ich hab es oft in Dir gefunden, wolle es eifrig und mit
Ernst; und wo Dich die Menschen drücken so hasse sie nicht, sehe sie an wie
Pflanzen die vielleicht auch in einem Boden stehen der ihnen nicht gerecht ist.
Menschen die sich selbst nicht kennen und nicht wissen wo hinaus sie sollen,
sind wie Pflanzen die nicht zum Blühen kommen. Das Blühen des Menschen ist das
innere Bewußtsein;
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dieses aber ist zugleich auch der Begriff der ganzen Menschheit, wie sie in
ihren Irrungen umherschwankt, wie sie in ihrer Blindheit und krüppelhaften
Verbildung oft das Bessre zurückweißt oder zerstört, aber der bewußte Mensch,
das heißt der Liebende, muß diese Störungen umgehen können, er muß das
Zurückweisen überwinden und muß grade diese Menschen pflegen denen so vieles
mangelt, deren innerem geistigem Lebenskeim so unendlich vieles im Wege steht;
er muß ihnen sein wie Dein Gärtner aus dem Bosket den Du so lieb hast weil er
ein so gesellschaftliches Leben führt mit den Blumen; vom frühen Tag an, ist
er in fortwährendem Verkehr mit ihnen und noch spät in die Nacht hinein macht
er sich mit ihnen zu schaffen und bringt sie alle zum Blühen, die einen durch
Kühle und Schatten die andren durch Licht und Wärme. Immer geht er um sie
her und läßt sie doch in ihrer Freiheit gedeihen, sie empfinden keinen
Zuchtmeister in ihm, sie schmiegen sich willig am Stab an dem er sie in die
Höhe richtet. Nun aber ist jenen Menschen die uns oft mißverstanden haben
und haben geglaubt, sie müßten unsern Umgang stören, eine solche Pflege nie
geworden, wie der Gärtner Deinem Nelkenstock schenkt, der ihn begießt wenn
er Durst hat und läßt ihn von der heißen Sonne nicht
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versengen, nur am Abend darf sie mit ihm spielen. – Die Tante weis zum
Beispiel von solcher Pflege nichts. Ihr hartes Schicksal bei einem ganz
verwilderten Mann hat ihr das heimliche im Lebensumgang ganz versagt, sie ist
dadurch selbst weniger gefühlig geworden für das was die Seele angeht, sie
hat eine lange Zeit in ihren Jugendjahren zwar sich müssen stählen gegen
diesen Mann, der wie ein grobes Ungeheuer vor der Pforte aller Lebensgenüsse lag,
und hätte sie auch nur selbst im besten Willen gewagt ihm nah zu treten so
war das Ungeheuer gleich wach; das heißt: mit Bosheit beschlich und mit Wuth
überwältigte er sie, ich hab in meinen Kinderjahren oft ihn sehen halbtrunken
hinter der Thür lauern mit einem Messer in der Hand. Die Tante hat damals sich
so ernst zusammengenommen daß jeder in Coblenz die größte Ehrfurcht vor ihr
hegte, obschon man von der Grausamkeit des Herrn von Möhn sich leicht eine
Idee machen konnte, der mit lauter Postillionen von Morgens bis Abends
im Wirthshaus lag, ohne der Frau je zu gedenken ein Vermögen verzettelte
und verschleuderte von mehreren Millionen. Das Herz durfte dieser Tante
nie aufgehen – sie mußte mit der Form alles bekämpfen und so ist ihr auch nur
die Form im Umgang mit Menschen geblieben. Hätte sie je mit sich selber
35
Mitleid gefühlt so wär die Festung der Convenienz in der sie sich verschanzt hielt,
wie Schnee geschmolzen, dann war sie dem Mitleid ausgesezt oder auch der Verachtung,
beides ist gleich in gewissem Sinn und soll in allen Lagen des Lebens gemieden
werden. Man soll Mitleid mit Niemand haben, man soll sich vielmehr schämen daß es
so werden konnte. Der Unglückliche steht immer groß dem gegenüber der sich im Hafen
des Glückes wähnt und wohl befindet, da doch wahrscheinlich ihm die bessere Tendenz
ganz ermangelt, also den Unglücklichen bemitleiden heißt dumm sein, nein vielmehr
soll man vor dem Unglücklichen sich schämen glücklich sein zu können auf eigne
Faust; sich irgend einen Lebensgenuß aneignen zu können oder zu wollen der nur
Beraubung dessen ist der nicht mitgenießt. Hat der Mensch irgend ein Weh, so fühlt
er sich krank, ist aber ein Theil der Menschheit gedrückt und bedürftig, so tanzt
der übrige Theil mit einer Art Wollust ihm auf dem Kopf herum so lang ers zu tragen
vermag, hat er ihn gänzlich zusammengetreten, dann fällts ihm wohl ein, durch
Mitleid die arme Seele zu kitzeln, die aber gar nicht mehr wirklich, sondern
schon lange zum Gespenst geworden ist. Gespenster fühlen ein Behagen an solchem
Tugendgekitzel, sie schmeicheln sich selbst, sie tragen sich auf Händen,
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sie haben einen fakticen Verkehr mit Gott der aber nur Götzendienerei ist, sie
belämmern alle Menschen mit ihren Anstalten der Menschenliebe; es fällt ihnen gar
nicht ein, daß sie selber die bösen Schicksalsdämonen sind, deren Grausamkeit
sie gerührt beweinen, und der sie steuern wollen mit einem Stück englisch Pflaster
von dem sie mit der feinen englischen Schere der Mildthätigkeit Schnippelchen
abschneiden, um damit den aufgesperrten Rachen der entsetzlichen Wunden zu
verkleben, aus denen das warme Blut an die Erde quillt. – Ich möchte wohl aufhören
noch weiter darüber zu sagen, denn Du fühlst alles, und besser. Mitleid ist aus
Verachtung geboren, und ist auch eigentlich Verachtung, und edelgeborne Menschen
werden durch Mitleid sich entwürdigt fühlen, sie wollen lieber die eignen Kräfte
dran setzen als vom Mitleid sich bethauen lassen, und so kommt es oft daß diese
große Helden werden, die dem Mitleid ausweichen; denn natürlich liegt der Keim
des Helden in ihnen. Jene Andern aber, die dem Mitleid erlauben mit Schmarozerliebe
sich an ihnen zu mästen, die werden verkümmern und menschlicher Würde untauglich
sein. Gewiß ist dies eine, daß Mitleid welches aus Verachtung entspringt auch
wieder die Quelle der Verachtung wird. Der Mildthätige hält sich hoch über
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dem Bedürftigen. Der Habende dünkt sich in Bildung und Streben weit über dem
Nehmenden, und doch sollte er vielmehr ihn über sich stellen. Wie die Indianer,
die einen Menschen der nichts irdisches sein nennt für göttlich halten, dem sie
ihre Gaben als Opfer darbringen und ihn bitten ihnen nicht zu zürnen daß sie nicht
so heilig sind wie er. Was machst Du mit deinem Gelde? – Die Geschwister sagen
Du habest nie welches und doch wissen sie nicht wohin es kommt.
Sei fleißig, und mache daß Dir das bürgerliche Mechanische im Leben nicht
verächtlich wird, es ist die Quelle von viel Geistigem und bestrebe Dich einer
schönen Sparsamkeit. Du glaubst nicht wie glücklich es Dich machen wird wenn Du
fortfährst den Lurus und die augenblickliche Mode zu verachten, und bloße
Reinlichkeit und das Gefällige Dich reizt, Du kannst mit allem was Du ersparst
einstens vieles Schöne und vortreffliche erschaffen. So sollte Dir auch die
Zeit sein, – getheilt in unschuldigem Genuß und in ernstem seelenvollem Geschäft!
Um was ich Dich aber noch bitte, so sehr ich Dich liebe, lerne schweigen,
für Dich selbst bestehen, und sei in der Würdigung eines jeden gerecht. Nur was
ewig gefallen oder mißfallen kann dem ergieb Dich,
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von dem wende Dich. Sei fleißig in Deinen Gedanken, daß heißt sei lebendig im
Geist, sehne Dich nach keiner andern Welt, als nach jener andern die in dieser
schon lebt für den der sie findet und Du wirst sie finden, denn allen Wesen die
mit einem edlen Durst nach dem Ewigen um sich blicken, denen gestaltet sich das
Unsichtbare; der Geist aller Dinge erblühet in schöner Form um sie und das ist
jene bessere Welt nach der man sich sehnt, sie ist um uns. – Die Kunst und ihr
stiller einziger Tempel! ein reines unschuldiges und stolzes Herz.
Ich schicke Dir hier Moritzens Götterlehre, und wünsche daß Du sie mit
Ruhe, ohne Mühe, und mit Genuß durchlesest. Du mußt nicht drinn herumhüpfen
und ein Anekdotenbuch draus machen, denn diese Götterlehre ist eine solche andre
Welt, die sich das gebildetste Volk, die Griechen erschaffen hatten, und kann Dir
selbst und Deinem Geiste nur wohlthätig werden, wenn sie in Dir, in ihrer großen
edlen Folge, gleichsam während dem Lesen entsteht. Du sollst besonders suchen den
Gesichtspunkt für die mythologischen Dichtungen zu begreifen, das wird Dich aus
Deinem Emigrantenverhängniß hoffentlich ein bischen ablösen. Ich will Dich in
Deinen Begeisterungen ja nicht tadlen für alles was Dein Verstand zu fassen und
in Dir selber zu verdauen versucht.
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Weltgeschicke liegen jedem gleich nah und wirken in ihm, sowie er dadurch auch
berufen ist in ihnen zu wirken. Also studiere in Gottesnamen mit der Großmama
alle fliegenden Blätter und Reden der Nationalversammlung durch, wähle Dir Deinen
Helden unter ihnen, bete zu ihm und für ihn und vergiß Deinen Clemens, er
wird doch Dich nicht aus den Augen lassen. Aber bedenke daß Reife, Sachkenntniß
und Neuheit ein Berg sind, der oft nur eine Maus gebärt; Du aber bist diese
kleine Maus und wirst nicht ein Fädenchen an den Weltgeschicken zernagen, obschon
es Dein Auge schärft zu überblicken, zu durchschauen und vielleicht auch manches
zu durchdringen; und vergiß die Muse nicht über der Tonleiter der
Revolutionshelden.
Schreibe mir öfter und schicke mir Deine Aufsätze dabei, auch die über die
Revolution. Der lezte Sur la Volonté de la france war schön, und ich finde
mich hinein weil er das Allgemeine in sich enthält. Lebe wohl, und nochmals
herzlich bitte ich Deine besondre Aufmerksamkeit auf Schweigen – auf für Dich
selbst bestehen, und innere Kraft zu wenden, und recht froh und gesund zu
bleiben.
Dein Clemens.
40
An Clemens.
Clemente! Die Sonne hat Kräuter und Sträucher in sich verliebt gemacht,
sie schwellen vor Verlangen und werden ehestens in Blüthe ausbrechen, eine
Knospe strebt der andern vor, doch sind sie nicht eifersüchtig so viel ihrer
sind. Clemens wenns die Blumen thun, so will ich auch meine Liebeserklärung
machen, aber wem? – Ich lege sie in Dein Herz nieder, bewahre mir sie und wenn
Du einmal auf einen hohen Berg kommst wo man eine weite Aussicht hat
geliebter Clemens, so kannst Du sie als Denkmal unserer Eintracht stiften,
aber eine weite Aussicht muß meine Liebe haben, dann übersehen wir beide alles
zugleich und fühlen Übereinstimmung in allem wenn wir auch in manchem
verschieden denken, und Deine griechischen Götter und meine französischen Helden
bilden eine Welt.
Du frägst mich so viel in Deinem Abschiedsschreiben, Du belehrst mich, Du zankst
mich verborgen unter heimlicher Decke und noch so viel Fragen weckst Du mir
im Gewissen; – und voll ist die Brust von der Fülle die Du mir all in Deinem Brief
spendest, daß ich auch wie die Rosenknospen angeschwellt bin und möchte aufbrechen
dem Licht und gar keine andre Rechenschaft mehr geben als den Duft den gleich
der Rose meine Seele
aus41haucht,
weil Du sie wie die Sonne wärmst und reizest. – Aber doch wend ich zur einfachsten
Frage mich, was ich mit meinem Geld anfange
und gebe Dir die dummste
Antwort, wo Du gleich meinen wirst ich wär närrisch. Ich habe das Geld
verschatzgräbert! – Ja Clemente, ich habs in ein klein leinenes
Beutelchen gesteckt worauf ich mit Goldfaden und rother Seide meinen Namen gestickt
hab und noch allerlei kabalistische Zeichen; ich habs zugesiegelt mit einem
schwarzen Siegel, einem grünen und einem rothen, dann hab ich ein Loch gegraben
zwischen den zwei starken Wurzeln der Pappel an der Rosenwand, da hab ichs in einem
ledernen Schuh hineingeschoben und einen Topf mit einem Basilikumstrauch drauf
gestellt, und allemal wenn ich Geld kriegte wechselte ich davon in Gold um und
allemal wenn der Mond schien, ging ich mit dem Spitz hin und legte es dazu und dabei
hab ich das Gelübde gethan ich wolle es verschweigen, und weil Du mir das
Schweigen so sehr anempfiehlst so erzähle ich Dir das einzige Geheimniß was ich
hätte verschweigen können, und nun ist alles leer an Geheimniß, und ich kann
also nichts mehr verschweigen! – Denn sonst, – mit dem Mund blos nicht reden,
daß ists doch nicht was Du meinst, da die Tante sich alle Mühe giebt mir
abzuge42wöhnen
daß ich nicht wie ein stummer Olgötze den Leuten in den Mund gucke, die mich etwas
fragen. – Ja mit meiner Schatzvergrabung, davon will ich Dir noch forterzählen weil
ichs nun doch schon gesagt hab. Ich habe dies Geld der Selene gewidmet, der
Himmelsschwester des Hesperus, diese beiden sind unsre Schutzpatrone der Stern
ist der meinige als Bruder der mich Abends immer besuchte, der Mond ist der Deine
der Dein Andenken oft mit seinem Schein in mir erhellt. Nun hab ich aber dieses
Opfer doch der Selene wieder geraubt, mit Zagen zwar – ich habe das Geld
eilig am Abend ausgegraben und habs über die Gartenmauer geworfen in den Garten vom
Magnetiseur neben an, ich hörte es klingeln wies hinabfiel und ich rief dazu so
laut als ich konnte, ohne daß mans im Haus hätte hören können: Da ist
Reisegeld!
Und dann war mir auch, als hörte ich das Geld rappeln beim
Aufheben, aber ich lief fort. – Denn die Tante hatte am Tag vorher bei Tisch
erzählt, der Magnetiseur möchte gern abreisen aber es fehle ihm am Reisegeld.
Aber er ist doch noch da, denn ich seh ihn alle Abend noch im Garten gehen und
beobacht ihn vom Hof-Fenster, ich schäme mich so sehr und traue mich gar nicht
mehr in den Garten wo wir sonst als über die
43
Wand allerlei merkwürdiges verhandelten. Aber nun kommt was schreckliches was da
passirt ist, mir ists passirt. – Denk Dir, der alte Schuh in den ich mein Geld
hineingesteckt hatte um den schönen Beutel zu schützen, war eigentlich ein neuer
Schuh, sein Compagnon stand ganz vergnügt in dem kleinen Kasten bei den andern
Schuhen; ich soll abgeholt werden nach Frankfurt morgen früh, die Tante frägt
wo ist denn der andre neue Schuh? das ist große Schlamperei von Dir einen Schuh
zu verlieren, ich muß Dich sehr bitten, strenge Dich an ihn zu finden, ich
lief in den Garten ich holte meinen Schuh unter der Pappel hervor, ich wollt ihn
ein bischen reinigen an der Pumpe und versuchte ihm ein Ansehen zu geben, da
fällt was heraus das glänzt in der Dämmerung, ein Ring, ich laß den Schuh
stehen, ein dunkler Stein, der funkelt so nächtlich schwarz wie der Blitz des
Räubers, oder wie Mirabeaus Auge vielleicht, und inwendig im Schild steht ein
schwarzes M.
Wir gehen morgen auf die grüne Burg zu den Geschwistern, acht Tage bleiben wir
dort, die Götterlehre nehm ich mit und den Ring, wo soll ich ihn lassen, ich
glaub er ist ein Talisman, ich hab schon allerlei Fragen und Befehle um
Mitternacht an ihn ergehen lassen, aber der
44
Geist ist nicht erschienen, der mir vielleicht beistehen wollte dumme Streiche
zu machen. Adieu Clemens, ich hab Melodie gemacht auf ein Lied aus
dem Sänger.
Deine Bettine.
Göttingen.
Liebe Schwester.
Ich öffne wie eine Pflanze mein Herz und rolle alle Blätter auseinander wenn Du
herüberscheinst Dein Brief ist mir von Marburg aus zuvorgeeilt und hat mich hier
empfangen.
Ich will daß Du so vernünftig werdest daß alle Welt einst ihre Zuflucht zu Dir
nehme und Dich hochstelle, und dann will ich Dirs wieder ablernen. Hast Du Lust
dumme Streiche zu machen so warte bis ich komme und mache sie ganz heimlich mir
alleine, ich kann mich an Deinem ganzen Leben ergötzen, lese brav, schreibe
viel, alles was Du empfindest schreibe nieder, denn das Ausgesprochne ist lebendig
wie meine Liebe zu Dir.
Weil Du nun einmal mein guter Engel bist so mußt Du auch Dein Amt mit Treue
verwalten, mein guter Engel muß immer heiter sein und meiner mit Hoffnung und
Segen gedenken und auch mich strafen mit Worten und mich anmahnen in Deinen
Briefen daß ich mein
45
Ziel nicht aus den Augen lasse, Du mußt mit Deiner Lebensfreude die meine anfachen,
Du mußt meinem Enthusiasmus die Flügel lösen, mit Deinem Ernst mit Deiner Güte
und Wahrheit. Willst Du das? – Sei recht fleißig und fröhlich, und ehre und achte
was Du thust. – Den Herbst besuch ich Dich, am End werd ich Dich kaum noch kennen
so wirst Du gewachsen sein, an Geist und Leib; und fröhlich, und so schön wirst
Du zeichnen. – Ach Du weißt nicht was Du mir bist? was ich liebe das bist Du,
Du hast es also in Händen, kannst es mir hegen und pflegen. Wirst Du das? – O
fasse ein recht lebendiges Interesse an Allem und dringe tief ein in das was Du
lernst, nicht oberflächlich lieb Kind, Du glaubst nicht wie unendlich wohl es
Dir thun wird wenn Du in ein paar Jahren etwas besitzest dem Du Dich ganz hingeben
kannst, lasse Dirs daher recht angelegen sein, zeichne recht muthig, mach Dir
nichts daraus ein Bildchen fertig zu haben, sondern eine Gewalt zu haben im Geist
die Du mit Deinem Talent auszusprechen vermagst, wenn Du über das Gewöhnliche
hinauskämst, ich würde glücklicher werden als Du, schicke mir Deine Melodie,
schreibe mir und halte Wort und – fasle nicht mit Ring und Talisman
und Mirabeau etc.
Dein Clemens.
46
An Clemens.
Clemente! Hättest Du das lezte nicht geschrieben so hätte ich Dir das
erste nachgesehen daß Du mich vernünftig machen willst für die Welt, – und denn
am Rand daß ich nicht faslen soll mit dem Mirabeau; in der Mitte die große
Philisterglosse wie ich mich und Dich soll bessern. Und der Sommer steht inmitten
seiner Gluth wo jeder faul sein mag, und ich soll fleißig sein und gewachsen
wenn Du kommst, auf den Grasplatz hab ich mich gelegt unter die Leinwand,
vielleicht vom Begießen, daß ich wachse; aber ich kann in der Sonnenhitze nur
herumschlendern. Ach Clemente! Wenn ich mich hinsetze zum Zeichnen, – weißt
Du wie mirs da geht? es wühlt mir im Kopf, ich muß mir Luft machen mit einem
Lied, ich muß ein neues Harpegge erfinden. Nein das auch nicht, es schwärmen mir
Gedanken im Kopf wie soll ich Dir sagen? – Schmetterlinge sinds, ich muß ihnen
nachjagen, aber dazwischen jagts mich selbst wie einen Schmetterling davon, und
die Bohnen in meinem Gartenbeet muß ich erst am Bindfaden hinaufschlängeln. Und
will ich mir nicht davonlaufen dann kribbelt's mir im Kopf und in den Füssen,
ich kann nicht sitzen bleiben, es fällt mir das dummste Zeug ein. Meine alte Puppe
vor zwei Jahren! Heut hat's mich geplagt,
47
ich mußte sie wieder einmal betrachten, mit der ich mich zum leztenmal unterhalten
hatte als Du zum erstenmal hierherkamst, Clemente! Du weißt noch wie ich sie
geschwind unter den Tisch warf als Du hereintratst, und ich sah Dich an und
kannte Dich nicht, und hielt Dich für einen fremden Mann, der mir aber so
wohlgefiel mit seiner blendenden Stirne und Dein schwarz Haar so dicht und so
weich, und Du seztest Dich auf den Stuhl, und nahmst mich auf einmal in Deine
zwei Arme, und sagtest weißt Du wer ich bin? ich bin der Clemens! Und da
klammerte ich mich an Dich, aber gleich darauf hattest Du die Puppe unter dem
Tisch hervorgeholt und mir in den Arm gelegt, ich wollte aber die nicht mehr,
ich wollte nur Dich. Ach das war eine große Wendung in meinem Schicksal, gleich
denselben Augenblick wie ich statt der Puppe Dich umhalste. – –
Ich habe meinen angefangnen Brief mitgenommen, hierher auf die grüne Burg.
Die Schwestern sind auf einem weiten Spaziergang ich war auf einem Nebenweg
so ins hohe Gras gekommen daß ich nicht mehr drüber hinaussehen konnte wo die
geblieben sind, da bin ich ein wenig liegen geblieben zwischen Gras und Kräuter
und hab ins Abendroth geguckt, wie das den blauen Himmel bewältigte und die
Lerchen fielen nieder gar nicht weit
48
von mir, und die Frösche im Burggraben untereinander halten ein Gered von der
Moral, durch die ganze Froschtonleiter hör ich vornemlich krächzen Moral, Moral,
Moral. –
Die Linden blühen, Clemente und der Abendwind schüttelt sich in ihren
Zweigen. Wer bin ich daß ihr mir all euren Duft zuweht ihr Linden? - Ach! sagen
die Linden. Du gehst so einsam zwischen unsern Stämmen herum, und umfaßt unsre
Stämme als wenn wir Menschen wären, da sprechen wir Dich an mit unserm Duft.
Adieu Clemens! es ist schon spät! – Ich konnte noch sehen wie ich Dir
von den Linden schrieb, sie haben mir ihren Athem zum Fenster hereingehaucht,
ich mußte sie wieder anduften mit meinen Gedanken, da kamen die Vögel zur
Nachtherberg in ihr Gezweig und ich hätt auch da schlafen mögen, sanft bebend
umschmeichelt vom flüsternden Laub, wie angenehm da schlafen.
Schreib nach Offenbach übermorgen gehen wir drei Schwestern schon wieder
zurück.
Da schick ich Dir das Blatt worauf ich eben mit den Linden mich
unterhalten hab.
Ich will in die Wolken schauen und in den Mond von dem eben der Tag Abschied
nimmt, und ich will solang hineinsehen bis ich eine andre Welt entdecke
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und wenn ich sie gefunden hab dann soll keine Thräne mehr neidisch mir den Glanz
verdunklen indem meine Seele ihre Farben spiegelt! –
Und was flüsterst du Linde mir ins Ohr? – Grün, grün ist die zarte Farbe der
Seelenruh, grün im Abendschein ist die Wiege der Träume! und jeder Halm wiegt
einen Traum, und mein Geblätter raschelt im Netz der Träume, und es winkt Dir! –
Ach schweig du Linde, es ist Nachtzeit, die Sterne glitzern durch dein Laub
und reden Anderes; und das rieselt mir durchs Gebein! – Ahnung soll künftig meine
Seherin sein und wenn ich ihr die Töne meiner liebenden Trauer geliehen hab,
um das Schwellen zu malen, und das Sinken ihrer sehnenden Gewalt, so soll sie mich
wieder trösten, die, ein ewiges Meer alle Wehmuthsthränen in ihren Wogen fortwälzt,
bis sie vom Trübsinn gereinigt aufsteigen als electrisch Feuer aus ihrem
Wellenschooß. –
Ach Du! – flüstert die Linde, – sei nicht hoffärtig das löst nicht den
Zauber.
Ich horche auf dich nicht Linde ich lausche den Sternen da oben! – ich hör
Musik, sie schmelzen ihr Licht ins dunkle Nachtblau, ihre Strahlen klirren im Tanz
aneinander.
Was Du nur willst mit Deinen hochstrebenden
Ge50fühlen,
sagt wieder die Linde; sie langen ja nicht hinauf, komm unter meine Krone, sie
schüttelt ihren Thau auf Dich, damit fühl Dich gesegnet.
Ach nein immer lauter und klarer klingen die Sterne, ich hör wie sie freudig
ihre harmonische Verwandschaft in die freien Lüfte tönen.
O wehre meinem Flüstern nicht; sagt wieder die Linde und schmeichelt – und meint
was ist denn Musik der Sterne dagegen? – Wolle mich denken, Du schaffest meinen
Geist durch dein Begreifen meiner Natur, daß der wieder sich um dich winde wie
jezt der Deinige sich um mich windet, er soll dich berühren und immer, bis Deine
Seele leicht und kühn sich aufschwingen lernt zu eigner Freude, in einem Zug
lieblich sprechender Töne!
Was sagst du Linde? – Ist mein Begreifen, deines Geistes spielende
Seele? –
Linde sagt: Meine Seele rieselt mit Schauern zu Dir hinüber weil du sie
denken magst. Denken beseelt, alle Wesen färben sich im Gedankenlicht. Was ist der
Abendschein Deinen Gedanken, daß sie weit über Feld mit ihm fliegen, und weil Du
ihn fühlst. Und wäre Denken nicht so würde kein Wesen mehr beseelt sein, und
die Schöpfung würde stumm in sich versinken. Denken beseelt und alles Wesen
erklingt in eigner spielender
51
Farbe in seinem Licht wodurch alles lebt, und sich unsterblich glaubt und doch
hängen sie nur vom Geiste ab, der das Denken ist.
Wir glauben uns selbst zu erkennen als lebend, und die geheime Freude des
Werdens in uns ist doch weil wir erklingen im Geist der uns denkt! –
Sag ich wieder: So denke mich Linde denn schöner möcht ich nicht im Gedanken
reifen als in dem grünen Schimmer deiner Blätter den der Abendschein küßt,
und möcht nicht edler meinen Geist hinaufgetragen wissen als im Duft deiner
Blüthen.
Die Linde rauscht im Wind und schüttelt sich, es kitzelt sie daß ich so
artige Worte mit ihr geredet hab, es passirt ihr nicht alle Tag.
Deine Bettine
Am Rhein, Rüdesheim.
An Bettine.
Dein Gespräch mit der Linde und der herrliche Abendschein über dem Rhein,
und das schöne Mädchen Walpurgis hier im Wirthshause, haben vor wenig
Minuten rings um mein Herz gebuhlt. Ich bin in das Mädchen verliebt wie ein guter
Junge, und wenn sie das Papier geschrieben hätte, oder den Abendschein und
52
die Linde verstände wie Du, so wäre kein Treiben und kein Sehnen mehr auf Erden
für mich. Aber so ists nicht, ich werde nicht von ihr verstanden, denn ich verstehe
den Abendschein; und sie, die sich und ihn nicht versteht ist wunderschön, und der
liebe Gott hat Schätze in ihre Augen gelegt und einen Liebreitz in ihren Mund,
daß man einen Tempel mit diesen Schätzen könnte errichten, und Gebet von diesen
Lippen wie Honig von süßen Blumen sammeln könnte, aber sie ist in einer sehr
unschönen Umgebung von Eltern und Geschwistern, und Gott segne Dich daß Du so
bist wie Du bist. Es ist ein alt Sprüchwort, wo Schätze liegen stellt der
Regenbogen seinen Fuß auf, aber es ist böse, es ist ein Aberglaube. Und wenn
ich dies Mädchen ansehe bin ich so abergläubisch; der alte Bettler der hier in der
alten Ruine vom Schloß der Gisela Brömserin wohnt, das dicht am Rhein steht,
hat seinen Heerd auf dem Altar der Kapelle, und schläft in steinernen Gewölben
durch die das Himmelsgewölk herabsieht, und seine Begeisterung die er trefflich
auf seiner Pfeife auszudrücken versteht, wenn er viele Heller beisammen hat,
hallt zwischen den vielen Pfeilern durch recht lustig, ich gehe da Abends in
dem lauen Wind auf und ab, und höre wie er aus einem raschen Walzer in den
andern sich hinein pfeift,
53
und dabei schlägt er so munter den Takt als ob er im Tanze mit einer
schönen Walpurgis sich drehe. Ich rede oft mit ihm, und er hat mirs gar
nicht geläugnet daß er auch noch oft sich verliebt. Am End kams heraus daß wir
Nebenbuhler sind, und daß die Walpurgis der eigentliche Reiz seiner
musikalischen Belustigungen ist, denn sie hat nicht weit davon einen Weingarten
wo sie den Gästen Abends ihren Weinschoppen reicht, in Krügen mit Deckeln von
blankem Zinn, und da thun ihr die Gäste schön mit Reden, und verlangen auch wohl
einen Kuß, sie läßt sichs gefallen, das ärgert mich. Ich hab den Bettler damit
eifersüchtig machen wollen, und der hat mich ausgelacht, wir hörten das Gelächter
aus der Weinlaube herüber schallen, er trällerte auf seiner Pfeife dazu, und
darauf ging er eine Wette mit mir ein, daß wenn ich ihm eine Kanne Wein dort
bezahle, so wolle er von der Walpurgis einen Kuß erwischen, in Gegenwart
aller Gäste. Anstatt drüber zu lachen machte michs verdrießlich, er zog aber
ungeheuer fix die herunterhängenden Strümpfe und Beinkleider auf, die Jacke
hing er an den Pfeiler und klopfte eine Staubwolke heraus, dazu bellte der
Hund den er im Zwinger eingesperrt hat, der merkte es solle auf Abenteuer
ausgehen und wollte mit. – Wie er sich aber seinen
stau54bigen
Bart wusch, und dann mit der Schuhbürste wichste und dann vor die Hausthüre trat
und bemerkte wie der Mond sich drinn spiegle? Ich dachte der böse Feind lache
mich aus. Der Mann sah seltsam heimlich anziehend und stolz auf mich herab,
und was that der Mann, er legte seine Hand auf meine Schulter und ging mit einem
Schritt als ob er ein spanischer Grande sei in die offne Weinlaube. Ich forderte
Wein für uns; vom Besten, sagte er, im Vorübergehen gab ihm das Mädchen einen
Handschlag. – Und denk Dir er hat die Wette gewonnen! – Und mir hat sie nie
einen Kuß gegeben, so sehr ich auch drum bat, ich vergesse diesen Mann nie wie er
beide Ellenbogen aufgestützt, die Hände über die offne Weinkanne gefaltet hielt,
dann und wann einen Zug draus schlürfte ohne sich aus der Position zu rücken,
mit seltsamen Trinksprüchen jeden Trunk würzte; das gefiel ihr, er sah ihr
tief unter die Augen, goß die Kanne in einem Glucks hinunter, und das gefiel ihr
auch. Und kurz sie gab ihm unaufgefordert den Kuß. In ihren Zügen spiegelte sich
eine wunderbare Schönheit, ihre Lippen zuckten und ihre Augen glänzten ihn so
freundlich an, als fließe ihre Seele über in Großmuth, einen unschätzbaren Schatz
geben zu können. Der Mann der nicht einmal aufgestanden war, sondern sitzend den
55
hinabgereichten Kuß von der schlanken Walpurgis ihren Lippen nahm, hielt
sie noch eine Weile so im Arm. Kein Fürst konnte freudig kühner sein Antlitz über
die Menge erheben.
Alle Gäste waren still geworden, denn alle sind in das Mädchen verliebt;
er genoß noch einen Augenblick seinen Triumph, dann stand er auf und bot gute
Nacht. Die Walpurgis stand an der Gartenhecke und grüßte indem wir
vorübergingen; und das ists was mir am meisten ins Herz schnitt. Ach es ist
wahrlich alleins ob man bettelt oder gut lebt, wem das Herz freundlich ist zu
geben und seine Liebe wieder willig zu empfangen, der allein ist reich. Wo
ist Reichthum? – Auf Erden nicht! Gold ist Sonnenschein, und Rubin ist Abendroth,
aber Liebe ist alles. Aber die Erde ist nicht alles, denn es ist wenig Liebe
in ihr; sie ist in der Liebe! – Es thut mir leid daß Du das alles nicht auch
sahst, Du würdest schöner davon sprechen, und schön sprechen soll man, damit
das Schöne immer lebendiger wird und mehr. Denn die Liebe hat nimmer des
Schönen genug. Savigny hat alles auch mit mir gesehen, ich dachte, hier
wo seine Studiermaschiene nicht fortwährend im Gange ist, werde endlich einmal
sein Inneres zu Wort kommen; doch stumm wie immer marschiert er
56
neben mir die Natur auf und ab, und das verdirbt mir alles Genießen. Morgens
kommt der Barbier aus dem Dorf, der sein Antlitz ziemlich barsch behandelt, um ihm
den Bart abzunehmen, er läßts geschehen; wenn Walpurgis zufällig herein kommt
stelle ich mich vor ihn weil ich mich schäme, daß dies schöne Mädchen sieht wie
er den Barbier damit umgehen läßt, und dann! – Wie geht er mit mir um? – viel
ärger wie der Barbier. Er belächelt meine Reden, er belächelt meine Gedichte,
er belächelt auch meine Verliebtheiten, und kurz sein Wesen wird mir eben nicht
klar, und wenn ich darüber klage so meint er, alles sei ja unendlich klar.
Etwas ists was mir ihn unverdaulich macht; vielleicht ist die Schuld mein,
trotz meinem besten Willen.
Walpurgis hat einige Züge von Dir und die ziehen mich vielleicht am
meisten an, die übrigen die Du nicht hast, hast Du in der Seele und sie im
Gesicht. Ich denke immer an Deine Seele bei diesen Zügen und sage dem Mädchen
schöne Sachen wenn ich an Dich schreibe, und rede Dich an wenn ich ihr Schönes
vorsage.
Werde nicht bös ich will ein bischen hinuntergehen, vielleicht sehe ich sie,
aber sie weicht mir aus, sie weiß nicht mit mir zu sprechen, so Du nicht.
57
Ach weißt Du was sie eben mir sagte als ich fragte warum sie den Bettelmann
geküßt habe? – er gefalle ihr, – und ob ich ihr denn gar nicht gefalle? – sie
sagte nichts darauf. – Aber wenn sie mir auch einen Kuß gäbe, so würde ich auf
alle andre eifersüchtig werden, und dann würde das ein groß Gezänk geben im
Wirthshaus und das wolle sie aber nicht haben. Mit wem sollte ich in Zank
gerathen, es ist ja Niemand im Wirthshaus wie Savigny und ich, und der
ist ja gar kein Kenner von deiner Schönheit; ich plaudre dir auf der Guitarre
so schöne Abendlieder vor, ich erzähle dir so hübsche Geschichten, ich bin
früher auf als Du und guck dir zu wenn du in den Hof herunter kommst, das
rührt dich nicht? – sie sagt selbst: Garnicht! Du bist nicht so mein
einzig Kind, mein Schutzengel, was ich Dir zu lieb thue das thust Du gern
und verdient Dir einen Dank ab wenn es auch noch so gering ist. Wenn ich nun
auch herumschweife und mich in Liebeshändel einlasse, wenn ichs thue so ists
doch immer weil ich weiß daß ich meine Heimath habe in Dir.
Ich hab dem Savigny gesagt er soll ein bischen hier dran schreiben,
aber der arme Mensch ist froh daß er lesen kann.
Es ist wieder Abend, er hüllt die Welt in wild
58
zerstreute Farben, der Umriß meiner Tage spricht mich dagegen so farbenlos an
wie wenn ein Geist mich anredete. Die Natur kommt uns armen unnatürlichen
Menschen so oft übernatürlich vor. Walpurgis hing heut an meinem Arme,
ihr Anblick, die ganze Reihe von Bergen umher, deren Häupter unsre Nachbarn
waren, erfüllte mich wie ein Traum. Die Thäler waren versunken im Nebel, und
ein so lebhafter Spiegel aller Dinge in meiner Brust, für die ich keine Stelle
mehr sah um sie mir zu bewahren. Alles dies was ich Dir hier deutlich hinschreibe
war Verwirrung in mir, und ich sah träumend in den Wald hinein, während ich mit
vollem Bewußtsein eine der reinsten und entsprechendsten Umgebungen meines
Lebens hätte genießen sollen, hätte sie Herz oder Sinn für mich gehabt. Dort sah
ich ein Licht, was im Grunde des Holzes wankte, und erinnerte mich der behaglichen
Gefühle die uns Beiden so oft die erleuchteten Hütten gaben wenn Du mit mir am
Abend durch die Dörfer gingst. Die Ruhe nach der Ermüdung; und wir sahen da die
Kinder rund um den Ofen, die Spinnräder und die Lampe nach der Reihe
einschlafen.
Ach es ist sehr traurig wie ungeschickt einem das macht was man im Leben
die Convenienz nennt,
viel59leicht
hätte sie meine Empfindungen ganz auf die verkehrte Seite verstanden. Eine
auswendig gelernte Mannigfaltigkeit und geschraubte Consequenz, die sobald wir
in die Natur treten zu höchst verderblicher Ungeschmeidigkeit und Einseitigkeit
führen. Mit meiner Rückkehr zu mir selber versammelten sich nach und nach
allerlei heterogene Empfindungen und ich fand mich endlich in einer so
wunderlichen Gemüthslage wie wenn ein Weltmann einen französischen Pas und
einen munteren natürlichen Sprung in der Mitte vereinigen müßte.
Die Wolken drängten sich wie
wilde Heere
Gestalt und Stellung wechselnd in dem Streite
Der Sonne Strahlen schienen blutge Speere
Es rollet leiser Donner in der Weite,
Noch unentschieden schwankt des Kampfes Ehre;
Von Tag zur Nacht neigt sichs zu jeder Seite.
Bald sinkt die Gluth, es brechen sich die Glieder,
Es drückt die Nacht den schwarzen Schild hernieder,
Doch, theilst Du froh mit mir was Du gegeben
Durch die allein von Schmerzen ich genaß
Dann wirst Du auch mich über alles heben
Was ich in Deine Seele blickend gern vergaß;
Und kannst Du mir auf diesen Höhen trauen
So werd ich bald das Höchste überschauen.
60
Bald werd ich die Gärten der Armide fliehen bald bin ich bei Dir.
Clemens.
An Clemens.
Liebster Clemens ich hab was von meinen Klosterarbeiten hervorgesucht,
ein Sträußchen von Seide gewickelt, die alte Laienschwester Monika, wie die
das Sträußchen mir wicklen lehrte, kam es mir so allerliebst vor, und nun seh ich
daß es doch nur ein allerliebstes Nichtschen ist, aber vielleicht machts
der Walpurgis Spaß. Die Monika hatte einen Bierkrug auf ihrem Tisch
stehen, von dem erzählte sie mir damals, als wir die seidnen Blumen wickelten,
der Geist ihres verstorbenen Vetters sei gekommen und habe den Deckel vom Krug
aufgemacht und aus dem Krug getrunken, um ihr anzuzeigen daß er tod sei. Ist es
denn nur bei solchen Gelegenheiten daß sich ein Geist auf die Beine macht? Ich
frage weil, ach weil ich in Gedanken so sehr, so ganz wahr und wirklich bei Dir
bin, weil ich Deine Guitarre höre im Geist und Deine Stimme ihre feurigen
Lieder dazu dichten. Clemens Du bist so gut und so schön, wenn Du singst
bist Du so besonders liebend noch dazu, und mir der
61
liebste der trefflichste, nicht aller Menschen, denn Menschen kenne ich glaub
ich gar nicht, mir sind sie nicht aufgestoßen, das lieblichste Du selbst bist
Du mir, die andern sind mir kein Selbst, sie sind zusammen geliehene durch Umstände
und Eigenheiten die ich besser noch Verkehrtheiten nenne, entstandne
Unselbstheiten. Eine grüne Wiese mit tausend goldnen Blumen die all auf ihren
feinen Stielen im Abendschein wanken und ein Clemens der über die grüne
Wiese so stolz am Ufer vom stolzen Rhein hingeht und fährt so rasch über die
Saiten und singt so feurig und weich seine Liebe. Ich möchte ihr Hohn sprechen daß
sie Dich nicht küßt, lieber als hüben den Bettelmann der über Dich lacht, und
drüben den Savigny der über Dich lächelt, und der sich so offenherzig
rasieren läßt. Clemente die ungeheuren Stricke mit denen Du gebunden Dich
wähnst, sind nur Spinnweb. Und Du fürchtest daß wenn Du einen Ruck thust, so
reißt das ganze Liebes-gewebte Netz, Du willsts aber gar nicht zerreissen. Gäb
sie Dir einen solchen Rheingauer Schmatz, so fiel die Lieb Dir nicht mit der Thür
ins Haus. Was solltest Du damit, Du fühlst es selbst. Der Savigny mag sie
meinetwegen schon geküßt haben, im Weingarten oder am Brunnen oder sonst wo, er
kommt herbei, man
62
siehts ihm nicht an, er macht einen ganz trocknen Mund. Du aber Clemente
würdest mit allen Sternen Dich darüber besprechen und Echo würde es Dir abluchsen
um es durchs ganze Donnergebürg zu widerhallen, und Du selbst würdest schwanken
wie ein Trunkner, des süßesten Weines voll. – Und Walpurgis hat recht daß
es würde Streit setzen im Wirthshaus. Denn das Wirthshaus würde alles entgelten
müssen, und wenn das Dachfenster Nachts im Winde klapperte so wärs ein Eingriff
in Deine Träume, grade da wo Du vielleicht gewünscht hättest das Dachfenster
hätte Dich um alles nicht geweckt, und wär die Walpurgis zuthunlich mit
dem Pommer oder mit dem Spitz, so würdest Du ihr vorwerfen daß sie freundlicher
mit den Hofhunden sei wie mit Dir, und würdest dabei ungerecht sein, denn ein
Hündchen das man hat aufgefüttert, und das einem so absichtslos treu ist das
kann einem wohl näher am Herzen liegen als ein durchreisender Liebhaber. Und
sei doch ein kaltblütiger Dichter, der gern eine Rolle übernimmt in dem
eignen Lustspiel was er dichtet. Du und der gelehrte Jurist der so ernsthaft
jung ist, und der Bettelmann der so lustig alt ist, und das Mädchen das nach
den Äpfeln und Birnen sieht ob sie heuer reifen und dabei den Liebhabern
zublinzelt, nun würde ich
63
wenn ich der Dichter wär, das Stück oder auch den Akt so enden daß ich den
kräftigen Bettelmann und den schmächtigen Gelehrten, dem zurückgesezten Studenten
recht übermüthig gegenüber stellte, der sich eben auf seinen Philistergaul
schwingt, weil die Ferien aus sind, und die beiden Nebenbuhler spottend von ihm
Abschied nehmen; allein wie er eben auf dem trägen Klepper den kothigen Dorfweg
nehmen will, siehe da, gleich wie im Homer die alte Bettlerin am Wege sitzend
ihre Kleider von sich abwirft um plözlich als blendende Göttin Minerva in die
Wolken zu steigen, wirft dieser Schimmel auch plötzlich die alte Stalldecke ab
und schüttelt seine blendende Flügelmähne und steigt in die Wolken so hoch mit
meinem Clemens und der wirft Kränze herab von seiner Himmel-ansteigenden
Bahn, und schenkt den beiden Nebenbuhlern was sie ohne ihn nicht fassen konnten,
nehmlich daß es lebende schwebende Natur ist, ihr himmlischer Sinnenreiz – der
zu Füßen der schönen Rheingauerin sich entfaltet und mit reinem Lebensodem sie
anhaucht im jungen Grün in der tausendfältigen Blumenflur, im klaren Rhein
sich spiegelt und wie Thau von der Sonne wird geküßt, und dann lieber Clemens,
lebst Du ja nicht Deine eigensüchtige kleine Liebschaft, nein den ganzen liebenden
Frühling von 1804,
64
und träufelst ihn herab von den fünf Saiten Deiner Leyer und betäubst Deine
Nebenbuhler, daß sie schlummern und Wunder träumen von Seligkeit die Du ihnen
zumessest.
Das wär nun das Ende von dem Melodrama, das hab ich mir erdacht am Pfingsttag
in der Liebfraukirch wo vom Heiligen Geist gepredigt wurde wie es mich fürchterlich
langweilte und ich konnte meine Füße nicht ruhig halten vor Ungeduld, ich mußte
immer einen über den andern stellen, und in Gedanken war ich am Rhein bei Dir
und bei dem Bettelmann, der gar nicht unfreundlich gegen mich war, denn wenn Du
meinst daß ich manche Züge ähnlich mit der Walpurgis ihrem Gesicht habe, so
fühl ich daß ich wieder sehr viel Ähnlichkeit hab mit ihrem Naturell und ich glaube
der Bettelmann hätte auch bei mir den Sieg davon getragen, wenn nicht! – Ja wie
soll ich Dirs beschreiben? – nämlich als ich eben von meiner Vision im Rheingau
zurück in meiner Kirchenbank ankam, da war der Kaplan noch immer dran als
Pfingsttaube aus seinem Kröpfchen die Gemeine mit dem heiligen Geist zu füttern.
Der Bettelmann also hätte auch bei mir den Sieg davon getragen, wenn meine Vision
nicht plözlich mir den lieben Bruder Clemens daher zauberte,
65
wie der plötzlich statt der Taube, in feurigem Galopp aus dem Schalloch
herabgeflogen kam mitten in die Kirche! Der Prediger auf der Kanzel erstarrt,
die Gemeine in ihrem Gesang verstummt, der herrliche Clemens aber auf seinem
Pegasus caracolirt gleich einem englischen Reiter, und macht wunderschöne Künste
auf seinem Wolkenstampfer; und auf dem Gewölk was seinem herrlich melodischen
Ritt zum Tanzboden dient, schweben wunderschöne Rosenkränze von einer Wolkenstufe
zur andern und blühen und duften immer schöner, und die Menschen haben das
Beten vergessen, alle fangen sie die Rosen auf, und das war Dir ein Getümmel
in der Kirche und ein Jauchzen über die aufgefangnen Kränze! Ach ich könnte Dir
noch mehr erzählen wenns nicht zu lang dauerte für ein Rosenfest, dessen höchster
Reiz ist, daß er bald verblüht. Die Kirche war aus eh ichs dachte, die Leute
tummelten sich zur Kirchthür hinaus. Die Bäcker liefen mit weißgepuderten Kuchen,
es war so heisser Sonnenschein. Den zweiten Pfingsttag ganz früh war ich mit
dem Dominicus und Anton auf der Pfingstweide da wurde unter den großen
Linden ein großer Kranz gemacht für den Pfingstochsen, die Kinder gingen bei
den Gärtnern herum und bettelten Blumen dazu, sie hatten die Blumen alle
zusammen66gebündelt
und so mancher den Stiel abgeschnürt daß ihr der Kopf abfiel, wie ich aber am
Kranz flechten half da ward er viel schöner, um acht Uhr war der Kranz fertig
und der Brummelochs ward mit angethan, am Nachmittag waren wir vor Bethmanns
Garten auf einem Floß, das schwamm mit uns ein Stückchen dem Main hinunter, es
war auch schön auf dem Main, und wie wirds doch den Tag Dir gewesen sein. Du
bist wohl einsam da herumgewandert, ich weiß am Feiertag ists oft gar zu
wehmüthig, je schöner die Natur ist, je schauriger belagern einem die langen
Schatten des vergehenden Tages und die Menschen sind auch alle wie Schemen;
sie flirren umher, man sieht kaum sie an und kein Nachgedanke über sie kommt
uns in den Kopf, ach und dann wenn man vom Spaziergang nach Haus über die Schwelle
tritt da legt man den Blumenstrauß hin den man gepflückt hatte, er sollte
so schön im Glase blühen, er muß welken auf dem Tisch, denn die Seele ist gar
zu müde. – So wird Dirs gewesen sein Clemens. Aber wenn nun die Sterne
aufgehen und winken sie hätten was mit Dir zu flüstern, dann vergißt Du der
stummen Schatten die neben Dir hergingen, das helle Sternenlicht ist allein Dir
geltend, so wars gewiß vorgestern Abend; denn ich hab Dich sehen
67
heim gehen über die Wiesen und hab als in mir verborgen mit Dir geredet und Dich
bei der Hand genommen und es war gewiß eine Stunde daß ich blos mit Dir geredet
habe in mir, und als ich schlafen ging da wars als habe ich recht was angenehmes
erlebt mit Dir.
Das ist meine Pfingsttagsgeschichte in Frankfurt, ich bin jezt wieder hier in
Offenbach, wo ich tausend Federnelckchen aufgeplazt fand, und der Abendwind jagt
sich mit ihrem Duft.
Adieu Clemens, die Federnelckchen werden auch bald alle geplazt sein.
Dann kommst Du zurück.
Bettine.
An Bettine.
Ich sollte schon bei Dir sein liebe Bettine, ich hatte mir gelobt daß
ich nicht wolle nach den Pfingsttagen hier verweilen, und war auch schon in
Mainz und jezt bin ich doch wieder auf dem alten Fleck, Savigny ist allein
zurück, ich will ja nur noch ein Weilchen mich sammlen und so manches Lied was ich
der Gegend und der geschäftigen Natur in ihr abgelauscht habe, noch einmal
durchgehen, damit es Dir rechte Freude machen soll[.]
68
O kühler Wald
Wo rauschest Du,
In dem mein Liebchen geht,
O Widerhall
Wo lauschest Du
Der gern mein Lied versteht.
O Widerhall,
O sängst Du ihr
Die süßen Träume vor,
Die Lieder all,
O bring sie ihr,
Die ich so früh verlor. –
Im Herzen tief,
Da rauscht der Wald
In dem mein Liebchen geht,
In Schmerzen schlief
Der Widerhall,
Die Lieder sind verweht.
Im Walde bin
Ich so allein,
O Liebchen wandre hier,
Verschallet auch
Manch Lied so rein,
Ich singe andre Dir.
69
Ja liebe Bettine da hast Du wieder einmal durch die Ferne herüber gesehen recht
scharf, grad wie Du mir schreibst so war mein zweiter Pfingstabend. – Sie war
fort gefahren, sehr schön geputzt über Land mit der ganzen Familie, ich und der
Hausknecht waren allein zurück geblieben; ich sagte dem Hausknecht er solle nur
auch ein wenig zu seinen Bekannten gehen, wenn Gäste kommen so wolle ich ihn
rufen, so war ich den ganzen Vormittag allein, so still wie es im Weingarten war
man konnte hören das Gras wachsen. Da kam mancher Wagen vorbei gefahren mit
lustigen Leuten, und wenn ihr Räderlauf in der Ferne sich verlor da fingen die
Glocken aus den Ortschaften rund um an zu läuten, so ist mir der Morgen
vergangen von früh vier Uhr wo die Walpurgis abgefahren war, bis um elf
Uhr, wo sie wieder heimkehrte. – Da kamen so viel Gäste von Bingen herüber,
und so viele schifften hinüber nach Bingen, daß der Rhein ein groß Spectakelstück
gab von Jauchzen und Musik auf den Schiffen, die sich bombardierten mit
Trompetenstößen und allerlei verschiedner Tanzmusik und Lieder, die sich einer
über den andern hinaus wollten vernehmen lassen, ich habe auch mit Link der
von Frankfurt gekommen war den Savigny bis Mainz begleitet.
70
Link ist dort zu einer Frau gegangen von der er mir Wunderdinge erzählt, sie
ist eine Französin aus der Vendée, war in Jena bis jezt, hat dort mit den größten
Gelehrten eine Zeit lang zugebracht, allerlei wissenschaftliche Experimente
gemacht. – Sie sei sagt Link eine Heldin, eine ganz unerschrockne Seele,
die in der Terroristenzeit durch ihre Kühnheit unendliches gewirkt hat, – und
namentlich in der Vendée, sie soll so schön sein, so vollkommen wohlgebildet wie
ein Weib aus den Nibelungen, sie reitet das wildeste Pferd. – Ich stand vor ihrer
Thür mit Link, er ging zu ihr mit einem Empfehlungsbrief aus Weimar,
ich kehrte um mit dem Marktschiff, in Rüdesheim bin ich erst mit Sonnenuntergang
zurückgekommen, alle Wirthshäuser tobten ganz ausgelassen; da hab ich in meinem
Giebelstübchen über das Gelärm hinaus mich recht einsamlich in alles was das
Leben mir bietet hinein gedacht, nur Deiner hoffe ich gewiß zu sein, daß auf
allen meinen Irrwegen wo vielleicht keiner mir begegnen mag, Du aber mir nachgehen
wirst und wenn ich mich verlassen wähne, ich dennoch die edelste Wohnung besitze,
in Deinem Herzen nemlich. – So war mein Abend beschlossen; getanzt und gejubelt
unter mir, ich hörte das Lachen und dann leise klopfen an meiner Thür, als ich
aufmachte fand
71
ich einen Krug mit Maitrank – rheinischer Hipocras – auf der Schwelle und ein
Stück Festkuchen; wärst Du hier so würde ich geglaubt haben Du hättest es mir
vor die Thür gestellt. Aber wer solls nun gewesen sein? – Es war ja
die Walpurg, ich hörte sie am End vom Gang laufen.
Du schreibst mir in Deinem Brief daß Du selbst eine gewisse Hinneigung zum
Bettelmann empfindest. –
Wenn ich ein Bettelmann wär
Käm ich zu Dir,
Säh Dich gar bittend an
Was gäbst Du mir? –
Der Pfennig hilft mir nicht
Nimm ihn zurück,
Goldner als golden glänzt
Allen Dein Blick;
Und was Du allen giebst
Gebe nicht mir
Nur was mein Aug begehrt
Will ich von Dir.
Bettler wie helf ich Dir? –
Sprächst Du nur so,
Dann wär im Herzen ich
Glücklich und froh.
72 Laufst auf Dein Kämmerlein
Holst ein paar Schuh
Die sind mir viel zu klein,
Sieh einmal zu. –
Sieh nur wie klein sie sind
Drücken mich sehr,
Jungfrau süß lächelst Du
O gieb mir mehr.
Mainz.
An Bettine.
Liebe Schwester Du wirst mirs verzeihen daß ich nicht Abschied von Dir nehme
aber ich gebe Dir nicht etwas, ich bin Dir gegeben. Du weißt nicht wie glücklich
ich bin daß ich Dir dies durch die liebenswürdigste Frau sagen kann die durch
ihr Geschick schon über den gewöhnlichen Kreis der Menschen hinausragt, noch
mehr aber durch ihre Selbstständigkeit, durch den festen ernsten Willen mit dem
sie dies Geschick bekämpfte und heldenmäßig ertrug, indem sie ruhig und allein
zwischen den Schrecken der Blutgerichte hindurch wandelte. Mit solchen Naturen sich
berühren zu dürfen ist eine Auszeichnung für den, dessen Seele und Geist vielleicht
darauf angewiesen ist durch solche Naturen sich selbst zu bilden
73
und durch sie zum Erhabenen gelenkt zu werden. Wie sehr ich für Dich immer Sorge
trage das Edle und Schöne was ich auffinde, was mir seine Macht fühlen lässet mit
Dir zu theilen, davon mag Dir hierin der Beweis gegeben sein daß ich ihr die
ein so großes Herz hat, die mit diesem Herzen ausreichte wo so viele verzagt sein
würden, auch Dich und meine Liebe zu Dir empfohlen habe. Ja ich hab ihr alles
mitgetheilt, daß ich nemlich die besten Kräfte meines Lebens dran wenden möchte
um Dir eine würdige Zukunft zu bereiten. – Sie hat mir in diesen Stunden, so
einfach als sei es nur ganz gewöhnlich, von sich erzählt. Durch die Vendée
ist sie oft auf wilden Pferden die kaum den geübten Reiter trugen auf Kreuz- und
Querwegen geritten um mit den großen Helden dort sich zu treffen, denen sie oft
auf nächtlichen gefahrvollen Wegen voran eilte, manchen jener armen Landleute
(Chouans) hat sie gerettet mit Gefahr ihres Lebens, ihre ganze Familie
aber hat die Guillotine gefressen. Nur sie, geleitet durch ihren guten
Stern, der ja auch von ihrer Stirne glänzt, ist glücklich nach Deutschland gekommen.
In Jena hat sie eine geraume Zeit geweilt, und war in einer wissenschaftlichen
Verbindung mit meinem Freund, dem großen Physiker Ritter von dem Göthe
sagt: Wir alle
74
sind nur Knappen gegen ihn. – Durch einen Brief von ihm hab ich sie hier in
Mainz getroffen wo ich seit gestern bin und von hier nach Jena zurückgehe. Was
kann ich Dir je sagen was an dieses Weib hinanreicht, da ich nie einen bessern
Gedanken hatte als sie zu begreifen. Du sollst sie lieben wie mich, und mehr
wie mich. Du sollst ihr vertrauen und sie mit allen Deinen Armen umschlingen
mit Wurzeln und Gezweig, denn sie ist Himmel und Erde, sie ist ein Weib an dem
die Vortrefflichkeit und Barbarei du jour, (das heißt wie es heut zu Tage
hergeht) gescheitert ist, sie allein kann Deine Ideen über Revolution und
Volksglück aufklären, o sie kann unendliches für Dich, sie ist ein Geschöpf
aus Gotteshand, ein gewöhnliches Weib wie Eva und wie sie aus dem Herzen jedes
Mannes heraus steigen soll. Wundre Dich nicht daß ich so über sie disponire
da ich sie nur eine Stunde gesprochen habe, aber das organisch vortreffliche
spricht sich in der Secunde aus, und verhüllst Du die Venus in die dichtesten
Schleier, und der unschuldige Mensch merkt nur die Bewegung ihres Athems
so wird er mit seiner Seele dafür haften, daß dieser Mantel die Schönheit
und die Liebe verberge. Schenk ihr die Geheimnisse Deiner Seele, alle Deine
Phantasien ergieße ihr, sie muß sie aufnehmen und würdigen, und muß Dich
75
beglücken, denn es ist in ihrem Wesen wie das Empfangen des Weines im Kelch.
Sprich von Allem dem gegen niemand. Es ist ein glückversprechender Lebensmoment
für Dich, denn der großen Seelen sind nur wenige, sich aber mit ihnen in so
voller Unschuld geistig zu berühren ist auch nur wenigen geworden.
Schreibe mir bei Friedrich Schlegel in Jena.
Dein Clemens.
Liebe Bettine
Madame de Gachet bringt Dir einen offnen Brief von mir, ich habe aber
manches während dem gedacht. – Herzlich offenbaren kannst Du Dich ihr, denn sie
versteht Dich und der gute Mensch hat keine Geheimnisse, auch sollst Du sie
lieben wie den geistreichen Menschen, doch nur ihren Geist und Herz, die
Narben aber, die ihr Erfahrung und Geschick geschlagen, das männliche Wilde
ihres Seins und Verstandes sollst Du übersehen, überhaupt Dich ihr nicht
hingeben; mein bleiben und Gott. – Unschuldig sein neben ihr, von ihr lernen
ohne Absicht, denn die Absicht überhaupt ists, die solche Narben zurückläßt. Ich
traue Dir unendlich viel zu wenn ich Dich denke mit ihr umgehend, ohne von ihr
hingerissen zu werden; Dich immer selbst besitzend
76
und doch ganz aufrichtig, denke immer an mich dabei, hüte Dich wenn Du sie
verehrst daß nicht Dein eigener Genius den obersten Platz verliere.
Schreibe mir nach Jena bei Friedrich Schlegel aber bald, in einigen
Wochen bin ich in Marburg.
Liebe Bettine!
Und immer noch von dieser de Gachet, aber Gott weiß es jagt mich wieder
aus dem Bette heraus, ich muß Dir noch einmal von ihr sprechen, denn es kann bei
ihr viel zu gewinnen und zu verlieren sein, und ich könnte keine Minute ruhen,
wenn ich nicht wüßte, daß Du sicher wärst. Ich weiß von dieser Frau nichts, als
daß sie mit einem der geistreichsten Menschen, einem Freunde von mir genau
verbunden ist, daß sie jezt die einzige Französin ist, die auf der Höhe der
deutschen Wissenschaft steht, das ist ungeheuer viel, aber um dies zu erringen,
was hat sie vielleicht erfahren müssen, und wie viel zarten Sinn haben ihr diese
Wissenschaften, wie kostbaren Hausrath erst zerschlagen, eh sie
sich besiegt gaben. Sie ist voll Enthusiasmus, und es ist ihr in allem Ernst auf
Leben und Tod, auch hat sie die Mittel dazu. Du wirst Dir leicht denken können,
der Mensch sei ein Thurm der in der Erde
77
wurzle und in den Himmel rage, und in dessen Mitte eigentlich das schöne liebe
Menschenleben zwischen Himmel und Erde ist, viele Menschen steigen in die Tiefe und
kehren nicht zurück und vergessen der Mitte die allein lebendig ist, viele steigen
in den Himmel und vergessen diese Mitte in der doch Himmel und Erde sich umarmen
und diese sind zwar große Menschen aber nach meiner Ansicht werden sie doch nur
als Mittel von Gott gebraucht, er belohnt sie mit berauschendem Stolze für
ihre Mühe mit den Wissenschaften und lehrt sie die schöne Mitte verachten, um sie
zu verführen nicht zurück zu kehren. Ich bitte Dich bleibe in dieser Mitte und
steige nur in die Höhe um zu beten, sonst wird das Gebet ein Handwerk. Da ich
der de Gachet von Dir erzählte, war es ihr sogleich so ernst mit Dir, daß
sie vielleicht gar nach Offenbach ziehen wollte, wenn Du ihr gefielst, um mit Dir
umzugehen, es wäre schön wenn Du etwas Chemie von ihr lernen könntest, und durch
ihre herrlichen Gedanken Deinen Geist erweitern, überhaupt durch sie einen Begriff
von vielem erhalten, doch bitte ich Dich recht herzlich, es nur zu thun wenn es
der Zufall erlauben sollte. Ich bereue es sehr, und es ist eine Übereilung, daß
ich ihr den Brief an Dich gab, ich kenne sie doch zu wenig dazu, doch hoffte ich
Du
78
wirst beide morgen schon haben, und eher als ihren, und darum durch jenen heftigen
nicht verwundert werden, den sie Dir bringt, Du kannst alles, was drinne steht,
solltest Du sie näher kennen lernen, an ihr erproben, ob es so ist, das Meiste
ist vermuthlich so, aber ich will nur nicht, daß Du sie gar für unsern Herrgott
hältst, ich habe es unstreitig zu arg gemacht, daher meine liebe Schwester werfe
Dich ihr weder zu Füßen, noch um den Hals, sondern estimire sie,
und profitire von ihr, ich will, Du sollst mir sogleich umständlich
schreiben, wenn Du sie zum erstenmal sahst, wies darbei herging, alles was an ihr
wissenschaftlich ist, mag vortrefflich sein, aber ihre Grundsätze, da glaube ich
brauchen wir zwei keine andre als unsre. Lieb gut Kind, ich habe Dir da eine
rechte Seelenschererei mit meinem hitzigen guten Willen gemacht, so geht es wenn
der Bruder ein Poet ist. Du sollst Deine Singstunde immer in Gegenwart eines
Dritten oder der Tante nehmen, denn Koch ist doch etwas gemein, setze
alle Deine Arbeiten fleißig fort, und behalte mich lieb. Du kannst die de
Gachet etwa fragen, was Du wohl lesen sollest, aber schreibe mir alles, was
sie zu Dir sagt, und Du zu ihr so viel als möglich. – Adies – Adies – die großen
dummen breiten
Aus79drücke
in meinem Briefe, den die de Gachet bringt kommen mir jezt so komisch vor,
ich glaube und schäme mich drüber, ich wollte ihr damit schmeicheln, sehe selbst
zu, wie sie Dir gefällt.
Clemens.
Adresse Jena bei Friedr. Schlegel, schreibe bald.
An Clemens.
Geliebter Clemens. Was ist doch alles widerfahren in diesen wenigen
Tagen der die Du Bettine nennst! – Ein Südwind auf brennenden Sohlen, in
einer Wirbelwolke von Staub wehte mir ins Gesicht. Von einem Tag zum andern hat
die Welt hier in Offenbach einen Purzelbaum geschlagen. Denn erstens las ich
im grünen Zimmer auf der Fensterbank vor dem Herzog von Aremberg, über die
Volksmajestät ein französisches Aktenstück, worüber ich unendliches hätte den
Herzog zu fragen gehabt, der schlief aber, ich wollte nur allmälig aufhören zu
lesen, damit er nicht wach werde, ich fing schon an ganz stille zu werden, ich
hatte ausprobiert daß er fest schlief. Siehe da kam im Sturm daher gebraust ein
Cabriolet wie ein abgeschoßner Pfeil vor die Hausthür, herab springt der
Wagenlenker, ein jugendlich voller schöner Mannjüngling mit klirrenden
80
Sporen, zwei Reiter die ihn begleiten treten mit ihm ein, ich war, ich weiß
nicht wie nicht warum, von Schrecken durchgriffen daß ich vergaß zu reden, und
besann mich nicht die Großmama zu rufen, die im Garten war. Der Herzog fragte
wer da sei, ich deutete den Fremden an er sei blind, und sagte: c'est un jeune
Cavalier Monseigneur avec deux Messieurs. Au contraire c'est une femme sagte der
Jüngling und näherte sich. Der Herzog wußte gleich wer sie war, denn er ergriff
ihre Hand und äusserte ein sehr warmes Interesse, Ich lief in den Garten die
Großmama zu holen. Die sagte gleich von Madame de Gachet, einer Prinzeß
aus der Vendée und bis wir ins Haus eintraten schwindelte ihr der Kopf vor
Begeistrung. Ich besann mich unterdessen und wollte gern unbefangner Zuschauer
sein. Hinter der Thür vor der Großmama ihrem Schreibzimmer blieb ich stehen, wo
ich einstens schon Herder, Boonstedten, Friederike Brunn,
die Krüdner und andere närrische Erscheinungen berühmter Leute angestaunt
hatte. Es war ein Verbeugen und Neigen der beiden Frauen und ein Betheuern und
ich hätte gern alles behalten um dirs zu erzählen, es war ein zu groß Geschwirr
von lauten Stimmen; ich konnte nur den Herzog verstehen der zu ihr sagte:
81
Vous êtes la plus respectable des enemies de la france, sie nannte die
assemblée nationale le dépôt de la confience de tout un peuple, und redete
als ob sie die Welt erneuere. Le peuple n'est plus livré aux intrigues de cour
ni aux incertitudes ministerielles, und meinte damit sei ihr ganzes tragisches
Schicksal ausgewezt, und dann sprachen sie über Krieg zu Wasser und zu Land,
von Vaisseaux de guerre und Cavalerie und Infanterie, und sie redete davon
als wär sie bei allen Schlachten mitgewesen.
Liebster Clemens wenn Du mir freundlich bist, dann bin ich wo nicht
ruhig, doch zufrieden. Ruhig sein heißt bei mir die Händ in den Schooß legen und
sich auf den Kindchesbrei freuen den wir heut Abend essen. Ruhig sein kann ich
nicht, ich freu mich auf alles was grade das Ruhigsein ausschließt, ich muß
jauchzen vor Vergnügen über ein unbestimmtes Etwas. Was mag es sein? Das macht
mich auch wieder unruhig, ich nehme drei Treppen unter die Füße bis zum
Dachgiebel hinauf, ich guck zum Gaubloch hinaus, was doch herkommen mag, worauf
ich so sehr mich freue, und weiß doch nicht was, und ich sah doch auch gar nichts
so weit der Blick trägt; aber nichts! – Aber meine Seele ist eine leidenschaftliche
Tänzerin, sie springt
82
herum nach einer innern Tanzmusik, die nur ich höre und die andern nicht. Alle
schreien ich soll ruhig werden, und Du auch, aber vor Tanzlust hört meine Seele
nicht auf Euch, und wenn der Tanz aus wär dann wärs aus mit mir. Und was hab ich
denn von allen, die sich witzig genug meinen mich zu lenken und zu züglen?
Sie reden von Dingen die meine Seele nicht achtet, sie reden in den Wind.
Das gelob ich vor Dir daß ich nicht mich will züglen lassen, ich will auf das
Etwas vertrauen was so jubelt in mir, denn am End ists nichts anders als das
Gefühl der Eigenmacht, man nennt das eine schlechte Seite, die Eigenmacht.
Es ist ja aber auch Eigenmacht daß man lebt! – Wir haben in dem Kloster ein Gebet
gehabt, daß uns Gott hat das Leben neu geschenkt jeden Morgen. Ich habs nicht
geachtet, jezt mache ich eine andre Betrachtung darüber, daß wir für unser täglich
erneutes Leben dem Gott danken, das macht uns feige dem Leben zu entsagen! – Aber
auch noch schlimmeres entsteht daraus, wir schließen die Grenze des Lebens so
sehr eng ab. Wir steigen so allmählig den Berg hinab und sagen: mein Leben geht
schon abwärts, wir setzen die Nachtmütze auf, wir räumen auf und halten an eine
kleinliche Ordnung, kurz wir haben in einem fort mit der Kreide zu thun, mit
83
der wir alle zufällige Flecke unserer Seelenmontur zudecken, weil wir uns
auf die himmlische Parade vorbereiten. Wenn alles so ziemlich in Stand ist
setzen wir uns hin und seufzen und schwitzen als noch die paar Lebenstägelchen fort
die uns der Herrgott zugemessen hat, in lauter Angst daß die Kreide auch hafte
auf den Flecken und daß kein neuer Schmutz dazu komme, und da wird denn das Leben
so ledern, daß man dem Gott den ärgsten Schimpf anthun würde, es als Geschenk
von ihm zu achten. Es ist aber noch mehr und ein viel größerer Irrthum dabei. –
Nemlich die närrische Idee, daß Leben enden könne, Leben kann wohl verlassen was
nicht vermag Leben zu fassen, aber es kann nie enden. – Und kurz ich finde diese
Anstalten fürs ewige Leben so, daß es Reißaus nehmen muß vor dem Tod in uns.
Aber nicht wie ihr fälchlich meint, daß der Tod über einen komme wie der Dieb
in der Nacht. Und wenn er käme wer wird denn Anstalten machen für diesen Esel
der so schlecht das Lautenspiel versteht, daß er damit schon einer schwachen
Seele den Garaus macht. Nein! Wie ich Dir hier noch einmal sage das Leben flieht
die Wüste des Todes, aber dem Tod eine Macht zuschreiben über das Leben, das ist
Unsinn. Es ist aber noch eben so dumm irgend eine Macht
anzu84erkennen,
über uns, als nur das Leben selbst, und leg Dirs zurecht wie Du willst, ich kanns
nicht weiter ausdrücken, ich kann nur sagen was auch in der Welt für Polizei der
Seele herrscht, ich folg ihr nicht, ich stürze mich als brausender Lebensstrom
in die Tiefe wohin michs lockt. – Ich! Ich! Ich! – Ich greife um mich mit meinen
Fluthen, ich eile in stolzen Wogen durch die Triften. Ich durchziehe Euch ihr
Haiden, – dort kommen die Berge die Welt ist rund, mir ist jedes Thal die Höhe
die mir zu durchbrausen beliebt, denn eben weil die Welt rund ist. –
Clemens! ich weiß daß Du diese Wellen des Vertrauens gerne aufnimmst
und ich weiß daß bei Dir gut weilen ist, drum wird der Lebensstrom auch nur ganz
langsam fließen so lang er durch Deine Lebensgegenden zieht, aber über meine
Neigungen kannst Du nicht disponiren. Weiß ich doch nicht was mich Dich lieben
heißt, ich gehe Dir nach, ohne zu wissen warum, wenns nicht der Lebensstrom wäre
der eigenmächtig durch Deine Fluren wallet und sich wohl befindet so, ja es ist
sein selbstherrschender Wille, der sich durch Deine Lebensgebiete drängt, ach und
er strömt so voll so selbst gefühlig in diesem reinen edlen Bett,
über Perlen und Goldsand, und die Ufer so blüthenreich gratulieren
mei85nem
stolzen Wogengang. – Heut bin ich närrisch Clemente! – Der Frau Gachet
kann ich auch nur im Vorüberströmen günstig sein, aber sie lieben wie Dich
selber liebes Flußbett was fällt Dir ein. – Der Fluß strömt nur Dir freundlich
und gutwillig, gegen andre ist er rebellisch und rauh, ich will wohl mit
der Gachet umgehen und ein bischen an ihr nagen mit meinen Wellen, aber
mich ihr hingeben, von ihr mich leiten lassen, was fällt Dir ein? – Ich brause
vor Zorn, daß einer etwas über mich vermögen soll was nicht ich selber bin? –
Nein Clemens! welches Menschenschicksal auch über mich komme, das ist mir
so jezt ganz nicht von Gewicht, aber mich durchreißen Ich selber zu bleiben
das sei meines Lebens Gewinn, und sonst gar nichts will ich von allen irdischen
Glücksgütern. Gute Nacht für heute.
Eben jezt bekomme ich Deinen lezten Brief, und bin froh daß Du selbst
bekennst ein wenig übereilt geschrieben zu haben. – Sie hat gar nichts mit mir
gesprochen und Deinen Brief mir sehr freundlich in die Hand gedrückt, sie sah
mich oft ganz starr an, als wolle sie mir etwas sagen, Du kannst überzeugt sein,
daß ich mich ihr nicht zu Füßen und auch nicht um den Hals werfen
86
werde, ich werde alles was ich von ihrem Geist begreife und erlerne Deinem
Urtheil unterwerfen, mein Leben und mein Glaube, und die Lust zu bekennen was ich
will und suche sind ja Dein und was meine Sprache nicht auszudrücken vermag, Du
mußts finden in mir die Dir nicht fremd ist. – Unter allen frohen Stunden bleibt
die mir am lebendigsten wo Du mich zur Lust am Leben angemahnt. Ich begreif doppelt
rasch, ich weiß, wo mirs herkommt daß ich in den nächsten Lebensmoment schaue als
in einen reichen Schatz der mir wie ein Demant entgegen blizt und mich begierig
macht auf ihn. Der ungehemmte Lebensathem von dem das volle Herz getragen
wird.
Vernähme der Mensch besser was ihm die Sterne zuwinken so würde er sich im
Flug entfalten, und könnt ichs besser sagen so sähest Du deutlich und klar, der
Sinn kann sich nicht ändern, er dient Dir so willig um treu bleiben zu dürfen, so
kann er keinem andern sich zuwenden wollen ums besser zu haben.
Adieu lieber Clemens Du bist mir den Abschiedskuß noch schuldig.
Deine Bettine.
Wo bleibt denn nun jezt die Walpurgis und die
87
schönen Lieder der Liebe? – Nicht wahr jezt bist Du nicht mehr eifersüchtig auf
den Bettelmann!
Liebe Bettine
Ich danke von ganzer Seele für den beruhigenden Klang Deines Briefes in dem
sich Selbstgefühl und Liebe so schön durchdringen. Ich weiß nun mehr
über die de Gachet, Du kannst mit ihr sein, und kannst sie auch vermeiden
wenn sie Dir nicht zusagt, denn ein Herz was so herrlich grünt und blüht wie Deines,
bedarf keiner Seele als nur der Liebe; die hast Du von mir. Bleibe über alles
Zufällige erhaben, folge Deinem inneren Ruf er ist zu stark in Dir, wer wollte Dich
ihm entziehen? – es wäre Frevel es zu wollen, da wir alle noch nicht da sind wo
wir mit uns selbst rechten können, ob wir irgend etwas wollen sollen, oder nicht,
so würde der rein als Natur hervortretende Instinkt ja nur in sich selbst
erkranken, sollte er bezwungen werden durch Reflecion, und sein Genie die
Rettungskraft aus dem Irrthum heraus, wär ihm dadurch gebrochen.
Daß die Welt den großen Kreislauf macht durch Irrthum und leidenschaftliche
Verkehrtheit, hat Dir selbst ja bei Deinem ersten Blick in die Welt eingeleuchtet,
daß sie aber zu ihrer Ursprünglichkeit zurückkehren solle
88
in vollem Bewußtsein und mit aller Gewalt das dieses Bewußtsein giebt, das soll
in jedem Einzelnen wahr werden oder er wär dieser Welt verloren. Und außer ihr
sein wollen ist Vernichtung. Nein! jede individuelle Kraft kann nur durch und
in der Allgemeinheit Wurzel fassen, kann nur in ihr sich selbst verstehen lernen;
und kann nur an ihr sich erproben. Drum ist die Geschichte der Dinge das wahre
Element der Geister, und darum hat diese de Gachet eine electrische Wirkung
auf die Menschen weil ihre Eigenthümlichkeit sogleich an der Geschichte sich
entzündet und drin aufleuchtet, ja wenn der Mensch erst dasteht (das heißt oben
ansteht), dann ist sein Leben ein fortwährendes Weltwirken. Alle kühne Thaten
großer Menschen sind ein unwillkührliches aber ganz naturgemäßes Mitwirken der
Gesamtheit, oder der Geschichte der Dinge deren Erzeugniß ja auch der Geist ist;
und Mirabeau würde nicht so Schlag auf Schlag gethan haben mit jedem Worte,
wäre seine Eigenthümlichkeit nicht fortwährend electrisch eben von dieser
Geschichte seiner Zeit entzündet worden. Man beurtheilt zwar oft die Menschen
nach einem sittlichen Werth oder Unwerth, dieser ist aber im allgemeinen
Weltgeschick nicht mehr zu rechnen. Wer wird dem Mirabeau seine moralische
Vergehen anrechnen? – sie sind geschleuderte Blitze
sei89ner
Sinne und seines Geistes, je nachdem sie in fortwährender electrischer Reibung
mit der Geschichte der Dinge sich entladen. Die Revolution hat unendliche derartige
Charaktere hervorgebracht, sie haben alle geleuchtet, sind scheinbar wieder
verschwunden, ob sie noch wirken? – daß sie noch wirken das weißt Du wohl am
besten, da Du oft Deine höchste Begeisterung für sie ausgesprochen hast, und
hierdurch die erste und tiefste Grundlage Deines Begriffes in Dir geworden ist.
Ganze Generationen sind vorübergegangen, wo gar kein Weltbegriff in den Nationen
hervorgetreten war, und das ganze Menschengeschlecht im Willen und im Geist
am Boden verkeimte, darum war aber auch keine Geschichte, erst indem sie sich
zum wirklichen Leben entzündete regte sich diese Saat selbstwirkender
Eigenthümlichkeiten; und diese Gachet – was auch von der Philisterzunft
ihr nachtheiliges möchte nachgesagt werden, war doch von ihrem Zeitalter tief
bewegt; sie zählte mit, sie hatte ein Geschick und dies webte sie kühn und
lebenskräftig in die grausamen überwältigenden Weltgeschicke mit ein. – So manches
Wagniß führte sie oft nur aus um eines einzigen armen Bauern willen, dem sie
Nachts vielleicht ein Brod brachte in seinen Versteck, oder dessen Kinder
und Weib sie nährte, während der
90
Mann nicht für sie sorgen konnte. Authentische Papiere meinem Freund Ritter
von ihr mitgetheilt, legen es dar. In einer wilden nicht geheuren Zeit – was wir
unendlich menschliches Elend nennen würden, das wurde dort nicht geachtet, nicht
empfunden, es war angemessnes Tagwerk, diesem Elend der Lebensbedürfnisse zu
steuern; – waren sie in etwas befriedigt, so sprühte auch gleich wieder jener
electrische Funke der die Weltgeschicke durch große Charactere herausbildet
und aufbaut, oder sie reinigt oder erzeugt. – Wem hat diese Frau gedient in
jedem Bauern dem sie Hülfe leistete? – einem vertriebenen König, sie konnte das
nicht anders wollen, obschon auch ihr die Noth und die Berechtigung und die Würde
der Nation heilig waren. Und nachdem nun dies schauerhafte Gewitter was den
ganzen Erdenhimmel entzündete wo kein Blitz aus den Wolken fuhr der nicht traf,
allmählig ausgerollt und sich entladen hat, – da sind alle die Ihren vom Blitz
getroffen, sie bleibt allein stehen und ergreift die Wissenschaft zu ihrem
Freundesstab, und sucht die edelsten Geister auf in Deutschland, weil ihr der
Vaterlandsboden durch unendlich schwere Jammerscenen unerträglich und auch verpönt
ist. Dies alles ist schön und edel, und es ist beglückend mit solchen Menschen
sich berühren dürfen! Das mußte ich
91
Dir sagen, auf Deine Vertheidigung Deiner Lebenseigenmacht; sie sei Dir ganz
individuell, unverlezt, so kann sie doch nur als gesammtmitwirkend Dir selber wieder
zu gute kommen. Das ganze Du der Menschheit muß ein Ich werden, große Menschen
denken und fühlen nicht anders. Und so sollst Du auch sein mit ihr die ein Du
für Dich ist, in der schönen und edlen Seite aber, dein eignes Ich sein muß. Es
wird Dir vielleicht seltsam deuchten als ob ich Dich von der einen Seite warne
auf der andern aber sie Dir im verklärten Lichte zeige, und so ist es auch. Ich
will nämlich nicht daß Dein eigner Charakter der so fest und so entschieden sich
schon ausspricht, sich allenfalls einen andern der so mächtig einzuwirken vermag
sich unterwerfe, ich will aber auch nicht daß den Handlungen die nur der wirklich
große Mensch begehen kann ein schlechtes Urtheil gesprochen werde. Was ich Dir
übrigens über die de Gachet hier schrieb ist theilweise aus dem Brief
meines Freundes Ritter an mich, dieser große Mensch der in seinem innern
Wissen und Wirken die Zeiten überragt, hat eigentlich hierin den Begriff von sich
selber niedergelegt. Ihn mußt Du auch noch kennen lernen, es kann sich Dir nichts
schöneres enthüllen von Menschensinn als dies kindliche bis ins Antike
hinaufragende Gemüth.
92
Wenn ich von der gewohnten Weise mich mit Dir zu verständigen hier abgewichen bin,
so ists weil ich die reine Menschlichkeit in Ritters Begriff in keine andre
Sprache übertragen konnte. Ich möchte Dir alles zuwenden was mich je gerührt und
bewegt hat. Lerne wenn Du auch nur dabei begreifst wie man Dich nicht lehren
sollte. Dein Bestreben sei, Dich so mit Deiner Vorzüglichkeit zu durchdringen,
daß kein Mensch merke, wo Du es bist. Antworte mir und bleibe bei dem was Deine
Seele nähren kann. Ich werde Dir bald allerlei Bücher schicken. Vor allem
bewaffne Dich gegen jeden Mißbrauch den man von Deiner Zukunft machen könnte, gebe
Niemand auch nur das geringste davon in die Hände. Lasse nur Dir selber die
Herrschaft in Deinem Gemüth, und lasse mich einen geringen Antheil
dran haben wir sind ja keine zwei! –
Adieu Du edles geliebtes Kind.
Dein Clemens
Lieber Clemens.
Jezt schreib ich gleich weiter von allem was ich über Deine Warnungssorgen
vergessen hatte. Diese Frau hat mich in einem fortwährenden Schauerriesel
erhalten,
93
und denke Dir während ich in die Thüre gelehnt sie ansah,
verstummte sie oft mitten in ihrer Rede und sah sich nach mir um, keine Goldfrucht
winkt lockender aus dem dunklen Grün, als ihr lächelnder Blick nach mir, ich
fühlte mich beschämt. Bei der Heimfahrt nahm der eine ihrer Begleiter den
Platz im Whiski ein, sie schwang sich mit selbstgefälliger Anmuth aufs Pferd,
sie grüßte mich als wolle sie mir sagen: schwing dich auch aufs Roß, aus allem
heraus was dich beengt, komm vertrau mir ich will dir die Hand reichen. – Und
fort war sie; und ich lief in den Garten und stieg auf die Pappel, wo hätt ich
hingesollt, so sehnsüchtig in die Weite? – Auf dem Gaul die Abendlüfte durchsausen
im Galopp! – und hätt ich das gekonnt, mein ganz Glück würd ich darin finden und
muß Dir alles sagen was ich hierbei denke.
Man muß doch wohl wissen was das Gegentheil ist von aller Verkehrtheit, denn
nur in dieses hinüber kann man sich vor ihr flüchten, und doch wenn sie mich wie
Lüge und Gespensterwesen anschauderte und ich glaubte ihr Gegentheil die
Wahrheit zu empfinden, so war keine Gewalt in mir dazu. Die erste Melancholie,
die erste Thräne die wie eine Frage mir ins Gewissen fiel war der Art. Ich ging
einmal in so unklarer
Stim94mung
über den Hühnermarkt in Frankfurt, auf einmal befand ich mich wie im Traum, aus
einem Weltenraum in den andern hineingerissen, aus der kalten mit spazierengehenden
Philistern besetzten Straße unter die befiederten also zur Freiheit geschaffnen
Thiere. Die Tauben die man im Abendschein, in Heerden die Sonne vergoldeten
Wetterfahnen der Kirchthürme umschwingen sieht, waren hier in schmutzige Körbe
eingesperrt, wo sie ihr reines Gefieder besudelten bei kargem Futter. Und morgen
sollten sie von der Hand und für den Magen eben dieser Philister geschlachtet
werden, in denen nie ein Naturgefühl den Lebensnreiz [sic] erhöht hatte. – Es machte
mich traurig, ich fühlte mich hier besser und weniger beschämt als unter den
Menschen. Diese Thiere sind ein Liebreiz der Natur, sie haben Muth, sie schwingen
den wolkenbringenden Winden sich nach in die Lüfte und alle Lebensgeister in ihnen
sind angefacht. So wie ich mich sehnte damals, mit den Tauben unter Gewittern
die Thürme zu umkreisen, so hätte ich gestern auf dem Gaul im Galopp dem
gewohnten Schlendrian mich entreißen mögen. Ich hab es sehr deutlich gefühlt, was
diese Frau voraus hat, dadurch daß sie so einem Reiz kann genügen. Freiheit
fühlt sie in allen Gliedern auf dem Pferd, daß sie zu lenken versteht, und wenn es
sich
95
bäumt und steigt und sie läßt so ruhig es gewähren, denn sie weiß es wird sich
gleich fügen, und jezt ist sie aufgeregt durch einen Gedanken, so sezt sie dem
Gaul die Sporn in die Seite und er fliegt wie ihr Geist mit ihr zugleich dem
entgegen, was sie erringen möchte. Ach wie muß das die Kraft fördern Leibes und
der Seele, wie muß das den Gedanken treiben daß er gepanzert hervorspringt gleich,
und drein schlägt in den Begriff und wie muß es das Herz heben das Reiten? – Nur
edlen Naturen gehört das Pferd, kein Vorsatz konnte mich bewegen, auch keine
Vorstellung, keine Belehrung, keine christliche Moral irgend mich selber im Zaum
zu halten, das Gute zu thun das Böse zu lassen. Aber auf einem Pferd, da würde
ich zu jeder kühnen That, auch noch im letzten Augenblick herangesprengt kommen,
denn das würde genievolle Begeisterung in mir anregen. Was ist der Unterschied
zwischen Gott und Menschen? – daß in ihm alle Lebensreize wach sind, und aber
im Menschen schlafen sie. – Er hebt das Haupt, der Mensch, weil ihm irgend etwas
deucht, – er sucht seine Meinung, er glaubt sie gefunden zu haben; er paßt sie den
unbegriffnen Dingen an, die müssen sich danach zurecht setzen lassen, und den
nennt man einen Weisen der das Ursprüngliche so lange verkehrt und das Göttliche
durch
96
Schein und Trug ersezt, damit er sagen könne von mir geht der Begriff aus. Und
seinen verrückten Plänen fügt man sich denn er sizt tief im Philisterstuhl, aber
von dem Feuer eines kühnen Pferdes träumt ihm nichts. Eben so wenig von der
Wahrheit die ein so lustiger und rascher Gaul ist, der über Stock und Stein hinaus
sezt und ums Ziel siegend herum sich tummelt. Und da schreien die Leute über den
Tollkühnen der wie wahnsinnig über die Barriere sprengt, verbotne Wege reitet durch
die gefahrvollen brausenden Wellen hinauf zum steilsten Ufer, gleich wird er
verunglücken! Die Feigen wissen nicht daß diese tollkühnen Sätze abgemessen sind
nach ewigen Gesetzen der Begeisterung, sie sind gewagt, aber in ihrem Wagen liegt
ihr Gelingen. Wär ich König ich würde die Welt untertauchen und sie gereinigt aus
den Zeiten-Wogen hervorgehen lassen. – Was ich sage, sei es Frevel, o so ist mir
dieser Frevel lieb. Wo war je ein Gebet stolz genug, daß ich gern es nachgesprochen
hätte? –
Hier liegen wir im Staube vor Dir Gott Zebaoth.
So mußten wir im Kloster singen und nachdem ichs jedesmal mitgesungen hatte,
besann ich mich eines Tags was es denn wohl heißen möge, es schwante mir als
97
ob dem Gott der Menschheit, ein Götze gegenüber stehe der Zebaoth heiße, denn Gott
und Mensch konnte ich nicht trennen, und kann es noch nicht, und Staub lecken vor
dem Zebaoth, das heißt mich eine innere Stimme bleiben lassen, wenn ich Frieden
haben wolle mit dem rechten Gott, der in den mondverklärten Wolken Abends, sich ins
Gespräch mit mir einließ über allerlei, und mir recht gab, wo aber-witzige Menschen
es besser wissen wollten. Und wie wunderliche Reden führte mit mir oft dies oder
jenes auch in der Natur.
Was hab ich alles erfahren in jenen Kinderjahren; – Wurzeln und Kräuter, eine
Blumendolde aus der bei leisem Druck der Saame aufsprang – die waren mir Unterpfand
und Betheurung vom Gegentheil alles Aberglaubens, sie sagen mir immer dasselbe: Frei
sein, und jeder Glaubensbefehl läugnet mir das, und endlich da die Überschwemmung
der ganzen Erdencultur auf mich losgeschwemmt kommt, da strecke ich die Hand
allem Unschuldigen entgegen, um es zu retten in meinen Busen. Und jeder Begriff
des Großen, Kühnen, der Lüge zum Trotz Reinen, – das ist mir ein Lebendiges das
mich anwirbt mit schmeichelnder Verheißung. Und was war dagegen was man mich
lehrte? – ach so
98
unfaßlich, daß man eine Maschine sein mußte, um es nachzusprechen.
Du hast mir oft gesagt ich solle meine Erinnerungen aufschreiben aus der
Klosterzeit, über die ich nun schon mehr als drei Jahre hinaus bin. Es ist alles
noch lebendig in mir, ich kann aber nicht die Blüthenäste vom Baum abbrechen der
ich selbst bin. Dies Klosterleben hat Knospen in mir angesezt Ahnungen die zur
Wahrheit müssen reifen. Denn der Baum kann nicht selber sich berauben seiner Düfte,
die noch verschlossen sind. – Denn alles ist mir ja nicht ein Gegenstand, ich bin
es selber. Weil es aber heute in so nächtlicher Zeit ganz toll in mir hergeht, daß
ich nicht schlafen kann vor dem Gaul, der Schimmel der mir im Kopf herumtrabt, –
so weckt er mir ja ganz leidige Erinnerungen, über die ich gleich damals als
junges Kind schon den Bann ausgesprochen habe. Ach ich bin doppelt froh des Lichtes
das ich in Dir sehe, denn alles was ich Dir schreibe und sage kommt mir vor als
gehe es von Dir aus, und ich bin so stolz in Dir weil Du oft mich anredest als
ob es die Stimme der Weisheit sei auf die ich lange gehorcht habe in die Ferne,
und jezt ist sie mir so nah in Dir daß ich sie von mir selber nicht
99
unterscheide. Aber ach! hege keine zu großen Erwartungen von mir, bedenk daß ja
Deine Liebe mir keinen Werth mehr läßt, ich hab ihn alle für sie hingegeben. Und
heut schreib ich nun nichts mehr, aber morgen.
Nun ists Morgen Clemente, aber welch ein Morgen? – Die Gachet hat
sich ansagen lassen mit noch merkwürdigen Begleitern, ein Chemiker Buch, ein
Gottesgelahrter Maijer, ein Pferdemaler Dalton. Dies Pferdegenie
soll sehr interessant sein, der blinde Dux wird auch da sein. Ich freu mich schon
auf alles, und mir klopft das Herz, aber ich werde mich doch auch selbst fühlen
gegenüber der Frau die ein Pferd regiert wie ein Mann! – – Denn kann ich nicht
vielleicht auch etwas regieren was dem Gaul gleich ist, oder mehr noch? –
Eben ruft die Großmama wir sollen ihr Blumen holen im Garten und die Urnen
frisch mit Sträußern versehen. Ich werde alle Blumenbeete rasieren, ich muß
fort.
Clemente sie ist da gewesen, wie ist doch alles durcheinandergegangen.
– Nach dem ganzen Abenteuer haben die Franzosen im Garten einen fürchterlichen
100
Äpfelkrieg geführt, ich kann Dirs heute nicht mehr schreiben, ich muß erst noch
eine Nacht drauf schlafen. Aber morgen kommt sie wieder, sie hat mirs im
Vorübergehen ins Ohr geflüstert, sie ist des Teufels aber ich bin auch des
Teufels, ich will keine Freundschaft mit ihr, ich bin zu jung. Wär ich schon so
wie es in mir werden will, dann ritt ich stehend auf zwei Gaulen und
spränge dazu durch den Reif. Mit Kunststreichen und Übermuth wollt ich ihren
kühnen Ritt auspariren.
Lieber Clemens heut am Montag erzähl ich fort vom Samstag und Sonntag,
diesmal gingen hexenmäßige, die Großmama in höchster Spannung haltende Dinge vor,
eine galvanische Batterie! – Der kleine rothwangige Apotheker Buch trug
Blumenkörbe und Urnen hinaus auf den Hausflur.
Mit Salzwasser in einer großen erdnen Schüssel wurde ein groß Geplätscher
gemacht, runde Filslappen und Thaler und Kupferplatten aufeinander gelegt, viele
Stimmen und Hände gingen durcheinander bei dem Aufbau der Säule. Der Herzog im
Hintergrund hielt mich bei der Hand, ich mußte ihm erzählen was vorgehe. Nachdem die
Säule unter den Händen der Gelehrten mehr wie einmal umgestürzt war, baute die
Vendéerin sie selbst auf und sie blieb stehen; es wurden
101
negative und positive Versuche gemacht, davon kann ich nichts sagen als daß es
nicht ganz so ausfiel wie man wollte. Die de Gachet verlangte feingesponnene
Glasfäden, die Frau Wrede uns gegenüber hat eine Sultansfeder von gesponnen
Glas, sie sagte mir daß sie den Sultan dem Magnetiseur geschenkt habe, der ihn auch
zu seinen Versuchen braucht, ich klingelte an seiner Hausthür, wie ich den Schall
der Glocke hörte mußte ich mich fürchten, aber ich war schon im Haus der Treppe
hinauf, und stand schon vor ihm und wußte nicht wie ichs ihm sagen solle, er
kam mir aber zuvor wie ich von gesponnen Glas anfing und gab mir den Sultan in
die Hand, da sah er an meinem Finger den Ring aus dem ledernen Schuh, den Stein
nach inwendig mit rother Seide umwickelt und mit Harz verklebt, ich schämte
mich, ich wickelte den Faden los und reichte ihm den Ring, er besah ihn und
sagte: Ein Talisman! – und steckt ihn mir wieder an den Finger. Das war
alles was er mit mir sprach, mit dem ich doch manches schon gesprochen hatte
über die Gartenwand; ich nahm mir auch vor, gleich den Abend noch auf die
Gartenbank zu steigen und mit ihm zu sprechen, ich werde Dir gleich erzählen wie
das aber nicht gegangen ist. Erst wurden mit den Glasfäden Schmelzversuche
102
gemacht die nicht gelungen sind, drum sollte die Säule ein paar Tage unberührt
stehen und sich verstärken, die Großmama war in großer Angst es könne daran
gestoßen werden, und ließ nachdem die de Gachet fort war, Niemand ins Zimmer,
die französischen Herren hatten sich im Garten versammelt, es war schon dämmerig,
ich kam dazu, sie sprangen wie toll herum, machten große Sätze über die Blumenbeete,
rissen die Stäbe von den Pflanzen los und schlugen aufeinander, und rissen vom
Spalier die gezählten noch unreifen Äpfel zum bombardiren. – Ich war ja wie
versteinert. Denk, sie hatten ihre Röcke ausgezogen und auf die Sträucher gehängt,
die waren krumm gebogen von der Last, der ganze Garten war verwandelt, ich konnte
keinen erwischen so war er gleich hinter einem andern drein, und wollt ich den
wieder um Gotteswillen bitten, so hatte er eins zwei drei Äpfel abgerissen und
sezte über die Rabatten hinaus um einen zu treffen, sie waren wie toll gewordne
Geister, sie flüsterten und kicherten und gaben keinen Laut von sich, in der
Verzweiflung rief ich: Grand-Mama vient, da warfen sie ihre Munition auf
gut Glück dem nächsten an den Kopf, und mit ihren Röcken wie der Wind zur
Gartenthür hinaus. Verwundert daß diese alten Herren mit ihrem Podagra
103
und Asthma so ungeheure Bocksprünge machen konnten, nahm ich den Rächen und harkte
die Wege, ich steckte die weggeworfenen Blumenstäbe wieder in die Sträucher, es
war schon dunkel da suchte ich noch die abgerissenen Äpfel zusammen und legte sie
an die Erde, als wären sie von selbst abgefallen, vielleicht vom Wind. Im Hof
des Magnetiseurs sah ich die Leute bei einem Packwagen beschäftigt, und denk Dir
er ist fort, heute Morgen noch ehe die Sonne aufging. Das ganze Haus öde! – es
sieht so traurig aus, der Wind spielt mit den Dachluken. – Ich hab ihn also zum
letztenmal gesehen wie er mir die Glasfäden gab. – Wie leid thut mir das! –
Die de Gachet war auch noch am Sonntag Nachmittag hier, kein Mensch hatte
sie erwartet und ich auch nicht, obschon sie mir es zugeflüstert hatte, so war ich
ein Weilchen allein mit ihr. Wie ängstlich war mir das! – Ach Clemens laß
uns lieber allein alles vertrauen, alles miteinander erleben und nicht mit andern.
Dieser große Planet, die Gachet erschüttert mich zu sehr, wenn er mir so
nah rückt. – Sie redete von den Himmelskörpern, ihrem subtilen Ausströmen und von
wechselseitiger Anziehung der Planeten in ihre Kreise, und vom innerlichen Sinn im
Ocean der Gefühle, und
104
ich war ganz betäubt. Wie komme ich ihr vor daß sie mir so was sagt! – Sie hielt
mich fest in ihren Armen, ich hätte des Teufels werden mögen; ich schämte mich daß
ich ihr zuhören mußte, gefangen in ihren Armen und nichts verstand; sie ließ mich
los wie die Großmama hereinkam; ich, wie ein entwischter Vogel sprang in den
Garten auf die Bank und sah recht sehnsüchtig in den verlassenen Garten vom
Magnetiseur. Da war er aber doch nicht fort, er wandelte noch ganz allein und kam
gleich an die Gartenwand; er sagte mir seine Leute seien schon seit gestern fort,
er reise in der Nacht ihnen nach. Ich habe ihm rechte Vorwürfe gemacht daß er so
fort gehe ohne mir davon zu sagen, da fing er an zu lachen und sagte ich hätte ihm
ja Reisegeld geschickt, ich lachte auch weil ich mich schämte zu weinen. Ach dieser
Mann war mein bester Freund. Er hat mir nie gute Lehren gegeben aber er hat mich
belehrt. Ach Clemens leb wohl, jezt ist's aus mit der Gachet, denn
sie sagte der Großmama daß sie an den Rhein wieder geht.
Bettine.
An Clemens.
Es ist aus mit den Blumen, die lezten Asternsträuße waren die, womit wir in
voriger Woche die
Blumen105urnen
schmückten und die wegen der Batterie vor die Thür gesezt wurden. Gestern haben wir
den lezten Herbst gemacht, nur noch die Winterbirnen hängen, von denen meint die
Großmama wir wollten sie hängen lassen bis erst Reif kommt, der war heut Nacht,
und nun frag ich: Wollen wir heut die Birnen abmachen, es war heut Nacht Reif.
Großer Schrecken der Großmama, sie hatte so in den Tag hineingelebt und gemeint
es sei noch lang nicht Winter. Und wie sehen die Blumen aus? Wir müssen heute noch
Kränze haben, es ist eine Hochzeit hier im Haus, um drei Uhr wird der Pfarrer hier
sein und ein edles Paar zusammengeben.
Lieber Clemente was doch alles hier im närrischen einsamen Haus passirt!
Aber wir drei Geschwister ahneten gleich die Geschichte, ich sprang mit Flügeln
die Treppe hinauf wir kriegten uns alle drei um den Hals und tanzten eine Ronde
daß die Wände zitterten. Auf einmal erscheint die Tante im Negligee halb frisirt,
was das für ein unanständiger Spectakel sei? – Und was die Hofdame denken solle
die seit acht Tagen im Saal unter uns wohnt, daß wir so ihr auf dem Kopf
herumtanzen. Und der Tanzmeister wartet schon eine Viertelstunde. Wir lernen nämlich
schon seit vierzehn Tagen
106
bei einem französischen Balletmeister einen figurirten Tanz, an dem sollen wir
fortexerciren bis zum Neujahrstag, da sollen alle Nationen kommen dem
Fürst Ysenburg gratuliren, die Franzosen haben dazu Madrigale gemacht avec
la pointe cachée sagt Chateaubour der Hauptdichter. Ich stelle eine
Spanierin vor, blau und silbern, und eben so mein Tänzer, der Prinz Neunzehner,
der gar nicht vom Platz zu bringen ist, allemal rechts umdreht, es sei links oder
rechts; so hat der Tanzmeister deswegen die Figur umgeändert damit er nun rechts
auch auf den rechten Platz komme, und nun läuft er wieder allemal links, wir lachten
so toll in der Probe, wir waren so ausgelassen, wir wußten daß die Tante nicht
kommen konnte weil sie Toilette machte, wir sprangen auf Tisch und Stühle
Herr Baleri mit seiner Pochette in einer Staubwolke, die alte Cousine die
herein kam mit einem Befehl der Großmutter, sezten wir auf ihren ledernen Sessel
und trugen sie auf den Köpfen, sie schrie die andern sangen, und Baleri
spielte einen Marsch. – Die Großmama ließ uns in den Garten beordern. Alle Blumen
vom Reif verdorben! – wir mußten uns an die Hambutten und die herbstlich rothe
Jungfrauenrebe halten, dazu Tannen und Epheu. Wir waren sehr lustig bei diesem
Decorationsfest, wir
mach107tens
wie die Braut und gaben den halb verblühten Astern mit farbigem Papier ein Ansehen.
Diese Heirath ist ein Werk der Großmama, vor kurzer Zeit lernte diese Hofdame
von Meiningen bei ihr den Herrn von Drais kennen wie er grade vor unserm
Hause eine Draisine probirte, eine Bank mit Rädern die Herr von Drais drauf
sitzend mit Händen und Füßen fortbewegt. Die Hofdame sah ihn daher gerollt
kommen, hinter ihm drein alles was Beine hatte. – Nachdem sie getraut waren
hielt die Großmama eine bewegliche Rede. Wir spielten Abends ein Sprüchwort
worin die Drasine eine Hauptrolle hatte. – Heute werden nun die Birnen
abgemacht. Da freu ich mich drauf. Das Hochzeitpaar ist nämlich gestern spät
noch fortgereist und alles wieder im stillen Geleise. Morgen wird Kartoffelernte
gehalten von einem kleinen Feld, worauf die Großmama Musterkartoffeln ziehen
läßt, die ihr von allen Enden der Welt, ich glaub sogar von Amerika her, geschickt
werden. Da müssen wir ein Register machen wieviel jede Staude getragen hat,
der Großmama ihre höchste Wonne, diese Register zu vergleichen. Nun weiß ich nichts
mehr als daß Du meinen lezten Brief nicht beantwortet hast. Buch sagte der
Großmama Du seist nicht in Marburg und würdest erst am 19. wieder da sein. Das
108
ist mein Namenstag der nie mit andern Blumen kann gefeiert werden als die im
Eiscristall am Fenster anschießen. Heut ist der 4. Also 14 Tage soll ich nicht
wissen wo Du bist, da kann der Brief ein Weilchen frieren in Deinem unbewohnten
Zimmer.
Bettine.
Liebe Bettine
Deine Briefe erquicken meine Seele und nähren sie, der Winter ist hier so
traurig, und Savigny tief in den Studien, überwintert die Saat seiner
großen Zukunft unter einer Schneedecke von Verschlossenheit die mich verzweiflen
macht. Was ich mir auch die liebende Mühe gebe ihm mitzutheilen, er ist stumm
dazu, oft denk ich mit Behutsamkeit etwas aus ihm herauszulocken, allein die
Erfahrung ist nun in sich vollendet, daß ich nie den geringsten Beweis von ihm
erhalten werde, daß was ich ihm sage, ihn interessiert. Oft in meiner kalten Stube
(was mir nun auch noch den Winter unerträglich macht daß der Ofen nicht heizt
sondern raucht) komme ich darüber in Schweiß, ins klare zu kommen über seine
Klarheit mit der bald die Tonie bald die Gundel oder Du mich plagen.
Bin ich denn ganz auf den Kopf gefallen daß mir diese gepriesne Klarheit und Ruhe
den
pein109lichsten
Eindruck macht? – Also quäl Du mich nicht mit Deinen erhabenen Ansichten, da ich
ihn in der Nähe habe, und er vielleicht besonders gut fernt.
Ich hab dem Buchhändler Guilhomman den Auftrag gegeben Dir den Homer zu
schicken. Hast Du ihn bekommen, weiter sollst Du nächstens die Reise des jungen
Anarcharsis lesen und recht aufmerksam das wird Dich unterrichten und ergötzen.
Doch mußt Du Dir keinen Zwang bei solcher Lectüre anthun, Du mußt sie würdigen
indem Du sie liebst. – Die ästhetischen Briefe von Schiller – hast Du sie
gelesen? – so bedaure ich Dich für die Pein: sie sind für eine kindliche Seele
etwas hölzern. Hiervon schweige gegen die Großmutter, sie thut Wunder der Güte
in ihrer Art – und Du sollst sie ehren. Schreibe wenn es möglich ist Deine
Empfindungen während oder nach der Lectüre nieder und schicke mir so etwas,
überhaupt sprich in Deinen Briefen oft mehr über den ganzen Kreis Deiner
Empfindungen, wie sie nämlich in die Welt hinausstrahlen, als über ihre
Conzentration.
Was Du thust, erhalte Deine Seele in reiner jugendlicher Liebe zum Großen und Schönen.
Auch die Sinne wollen die Befriedigung in der Schönheit, sie suchen es
in sich und in dem was Einfluß auf sie übt. Du
110
fühlst Dein Ohr beleidigt, durch eine klanglose raue
Stimme die keinen Geist wiederhallt, so Dein Auge lenkt ab von dem was seinem
Schönheitsreiz wiederspricht. Oder es forscht nach der tieferen Schönheit des
Geistesadel und der Güte, wenn es mit häßlichen Zügen sich bekannt macht. So ist das
unschuldige Auge der strengste aber auch der edelste Richter, ja der König unter
den Sinnen, denn es begnadigt den der unverschuldet gegen die Schönheit sündigt,
es erhebt und rächt ihn an den stumpfen Sinnen die das Tiefe nicht von der
Oberfläche unterscheiden. Seelenreinheit im Verkehr mit Andern, ohne Vorbedacht
ohne Berechnung, die allein ist der helle Kristall, durch den das Leben in seiner
Ursprünglichkeit begriffen wird, und die aus sich selbst die ewigen Motive immer
wieder erzeugt, welche eine verwirrte Welt umwälzen und ihre primitive Kraft ihr
wieder verleihen. Verstehst Du mich? – Nur solchen Naturen schließen sich
alle Lebenstiefen auf, nur sie werden gesund zwischen Lastern, ansteckender
Krankheiten der verwirrten Zeit hindurchgehen, nur sie werden Heilung ausströmen,
nur sie werden taube Ohren hörend und blinde Augen sehend machen. Sei unbekümmert um
die Zukunft, es giebt keine; wenn Du in jeder
111
Minute rein und voll und ohne Langeweile lebst, so giebt es nur eine gegenwärtige
Ewigkeit.
Es würde mich freuen wenn Du wolltest Dich mit dem Englischen beschäftigen.
Sprachen sind ein großer Gewinn, sie enthalten außer der Verschiedenheit des
Ausdrucks, auch noch ein melodisches Genie und dies erzeugt wieder auch ein
tanzendes Genie im Geist. Und willst Du hinter alle Geheimnisse des Geistes
kommen, so nehme nur Rücksicht auf das Leben was die Sinne führen, es spricht Dir
Befähigung und Kraft und Neigung aus. In unserer äußern Welt construiren sie eine
erhabne Geisteswelt, die reifen muß in ihr, und endlich sich selbständig zur Welt
gebären muß. Das ist unsre Erlösung aus dem Irdischen ins Himmlische. – So wie der
Tanz Dich lebendiger und rascher macht. – Als ob von frischem Frühlingswind
angehaucht die Lebensgluth aufflackert und spielend ihre Flamme hier- und dorthin
wirft; so ists mit dem Geist. Sprachen lernen, ist mit dem Geist der aufregendsten
Tanzmusik folgend, sich behagen in harmonischen Beugungen und zierlichen kecken
labyrintischen Tänzen, und dies electrisirt den Geist wie die Tanzmusik Deine
Sinne electrisirt. In der Sprache aber vermählen sich die Sinne wirklich mit dem
Geist, und aus dieser
Verbin112dung
erzeugt sich denn, was die Völker mit Erstaunen als ihr höchstes Kleinod lieben und
erheben, und wodurch sie sich erhaben fühlen über andre Völker, was den Charakter
ausspricht ihrer Nationalität, nämlich der Dichter. Drum liebes Kind ists nicht
so gemeint, wie die andern es meinen wenn sie Dich zum Fleiß anmahnen, – wenn ich
Dich drum bitte; es ist wahrhaftig aus einem tieferen Grund; aus dem heiligen
Grund der Vernunft. Diese Vernunft, die immer über uns schwebt, selten den Fuß
auf die Erde sezt, nach der schaue ich beständig und flehe sie an daß sie Deine Muse
soll sein. Dir kömmt vielleicht das trocken vor. Ich hab schon oft Dich zürnen
hören über Vernunft und Vernünftig, Du hast dies Wort bei mir verklagt daß es
so wenig Klang als innerlichen Nachklang habe, und wenn ich Dir auch nachgebe
daß der Klang dieses Wortes nichts anziehendes habe, was daher rühren mag weil
die Vernunftphilister es in falschem Gold nachmachen, so erinnere Dich nur was
Du mir noch vor einem halben Jahr geschrieben, die Pockengruben die Lavater
dem Mirabeau so bös auslegt, können Dich nicht hindern in die Gruben seines
Geistes und Herzens Dich einzubetten? – Nun so glaube mir daß wer im Begriff der
Vernunft ein edles Lager findet das
113
mit Rosen und Lorbeern und auch mit Mirten Dir bestreut ist.
Das Mißverständniß der Welt ist der wahre Verläumder, sein Lügennetz verwickelt
alle Hin- und Wiederreden, alle sich aus gegenseitiger Opposition bildenden
Meinungen, und wer sich oder seinen Grundsätzen unrecht gethan fühlt, thut wieder
dem unrecht den er selbst durch Irritation so weit gebracht hat, daß ihm die
Ahnung in der Seele gelöscht ist vom Großen und Schönen, und betäubt nicht mehr
das Rechte erkennt. –
Aus Empörung gegen diese Mißverständnisse gegenseitiger Opposition ist die
Revolution entsprungen, und aus Eigensucht Derer, die für die höchste Liberalität
zu streiten behaupten, wird sie mit ihren schrecklichen Nachwehen, eine
schauerliche Ruine für die Nachwelt, dastehen. Aber gebessert kann nur das ganze
Weltverhältniß werden durch die heilige Vernunft, laß sie Dein Mirabeau sein,
wenn dieser Name Dir besser klingt. Widme ihm Deine Begeistrungen da er Dir doch
nur aus den Wolken herabpredigen kann, so wird dies leicht mit der Vernunft
übereinstimmen, die auch immer über allen Projecten der Menschheit schwebt.
Verzeih mir wenn ich Dinge Dir mitzutheilen versuche, die viel reiner in Deiner
Seele wohnen, die ich
114
eigentlich in Dir selber wahrnehme um sie Dir auszusprechen. Die Hoffnung auf eine
köstliche Ernte macht mich so ungeduldig, ich sehe alles hervorsprießen und zur
Blüthe sich drängen in Dir, und kann es kaum erwarten daß es der Wahrheit und
Schönheit zu Gunsten reife.
Noch einmal führ ich Dich auf Deine Studien zurück. Ach wenn Du erst den
Shakespeare englisch lesen kannst, das ist ein halbes Leben werth. Auch zeichne
fort, recht fleißig und mit der Begierde es zum Selbsterfinden zu bringen. – Die
Zeit die Du nicht arbeitest liebe Bettine, mußt Du ja doch verlieren. Keine
Minute lohnt Dir in Deiner Umgebung. Ja wohntest Du in der freien Natur und könntest
in Feld und Thal und Wald und Berg herumlaufen, oder könntest Du mit Menschen sein wie
mit Sternen, die ihren Einfluß auf große Charaktere ausübten und sie zu erhabnen
Handlungen reizten. Aber leider haben die Sterne ihren Einfluß verloren, ich würde
Dir dann nicht sagen arbeite, denn dann würde die Ursprünglichkeit aller höheren
Anlagen in Dir, wie das Wort im Geist, Fleisch geworden sein. Aber so kann es nicht
sein noch werden, weil der Genius nicht mehr als erste Kraft in uns wirkt und wir
uns an die Speculation verkaufen. Du
115
mußt daher in Deinem Innern Dir einen Schatz sammeln, worin Du Deiner Welt reines
Sonnengold einschmelzest, auf daß die lebendige Sonne in Dir selber aufgehe.
Ich wollte mir wäre so in meiner Jugend geworden! – Doch keine Klagen! – Nein so
ist mirs nicht geworden! – Gott hat mich vieles nur im Bedürfniß kennen gelehrt,
damit ich es von Dir fordern könne; und gern vertrauend daß Du mir sicher folgst
und unbefangen trauest will ich Dir folgende Zeilen aus einem größeren Gedicht
nicht vorenthalten, die ich in einer Stunde geschrieben habe wo ich recht fest an
Dich glaubte und das Leben um Deinetwillen liebte.
Kehret Gedanken doch heimwärts,
eilet den Tempel zu ordnen,
Schafft mir im Herzen Gebet, eh es in Sehnsucht mir bricht,
Drei sind ihrer, der Theuern, die weit in der Fremde mir weilen;
Zwei dem Tode geweiht grüße noch einmal mein Blick,
Daß ich friedlich entsage, dem was die Fremde begehrt.
Dann umfasse mich Leben, – denn eine noch weilet, – ich fühle,
116
Daß sie das Einzige ist: Leben und Liebe und Zukunft. –
Wie mirs im Herzen, – das hat ihr der Gott in den Busen geschrieben,
Wie in der Seele es mir, schrieb ihr der Gott in das Aug. –
Schweigend spricht sie das Wort, was meine Lippe nicht redet;
Flieh ich so ist sie die Flucht; ruh ich so ruht sie in mir.
Suchst du sie? – dort in den Schatten des Waldes wo sich das Dunkel
Tiefer Begeisterung löst, stiller der Himmel sich senkt,
Wo an der liebenden Brust, dem Gestade des brausenden Lebens,
Des unendlichen Meeres Woge melodisch sich bricht.
Dort weilt sie, dichtet fromm, was Ihr Geister sie lehret,
Begierig Geheimes zu fassen,
Und Euch Ihr Götter in mir, schuf nur des Kindes Gebet.
Trösterin! – Freundliche! – Dein Seherauge entsiegelt dem Tode
Der Dich als Leben umgiebt, selbst den geschlossenen Blick. –
117
Alles Bettine! dem liebend Dein schaffender Geist sich genährt,
Was Deine segnende Hand, was Dein Gedanke berührt,
Blühet schöner ein Freiheit verklärendes Leben.
Bilde in mir Deine Welt, Du die den Zweifel nicht kennt,
Die aus dem Busen mir zog den vergifteten Pfeil.
Alles was der Genius zu bilden mich drängt,
Bilde ich Schwacher es nicht, weilt schon gestaltet in Dir.
Schützend will ich Dir folgen, Du Leben, das, wo ich zage mich schüzt;
Das, wo ich welke erblüht, gern mir die Jugend ersezt.
Verwechselt im Herzen, schreitest du kühn auf tobender Woge
Die aufbraust in mir und sänftigst sie, daß sie heller melodischer klingt.
In Dir weile ich flammend, du giebst die lindernden Öle
Und so sühnt sich in Dir, opfernd den Göttern, der Sturm.
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Ach liebes Kind wie einzig möcht ich Deine Begriffe und Ahnungen so stark machen,
daß sie wirklich endlich zum Kern würden, zum reinen Gesetz an dem alle Verkehrtheit
zu scheitern komme. Ach lerne, arbeite, Dich zu bereichern, was es auch sei,
nichts ist unbedeutend, alles nährt und weckt und erleuchtet. Aus allem kannst
Du weben und flechten einen schattigen Hut wo die Sonne im Zenith steht,
eine Freiheitsmütze die Deine höheren Anlagen schüzt. Ach die Welt ist groß.
Es giebt mildere Sonnenhimmel! – Spanien wo die Orangen Dir in den Schooß rollen,
ich muß Dich hinführen wo die ganze Natur Dir bestätigt was Du ahnest was Du
suchst und glaubst, drum lasse Deinen Geist kühn jede Stufe erklimmen, fürchte
nicht daß er ermüde, nein, er kann durch sich selbst nur erstarken, wer von den
Banden der Sclaverei sich will befreien, der muß den Geist im Innern befreien.
Verberge was ich Dir hier sage. Es giebt Gedanken die dem Gott im Menschen
allein geweiht sind, und der Geist wird nicht Schöpfer werden der nicht diese
als Geheimniß bewahren kann. Der Geist ist Zauberer, dies ist die Schöpfung
die in sich selbst geheim und heilig ist, eine ewige Tiefe der Freude und des
unergründlichen Glückes, fern und unantastbar für die lärmende vernichtende
Oberfläche des Lebens.
119
Wieder ein Posttag und Nichts von Dir! – Wie ist das? – Hindert man Dich? – Der
Buchhändler schreibt mir er habe Dir den Homer geschickt, hast Du ihn? – Schreibe
und liebe Deinen Clemens.
Ach manchmal möcht ich verzweiflen, manchmal ist mirs, als müsse dennoch alles
im Rauch aufgehen was mir so gut und schön in Dir deucht, als könnest Du nicht
zu Dir selber kommen, um was hab ich Dich alles gebeten? – Du hast mir versprochen
was mich so glücklich machen könnte. Versprochen hast Dus, aber wirst Dus auch
halten wo eine lederne Zeit sich Deiner anmaßet? – Du könntest – und doch kannst
Du nicht. – Warum nicht? – Frag Dich das! –
Warum hast Du nicht von Deinen Kinderjahren die Erinnerungen aufgeschrieben? Du
hattest mirs versprochen, Du hattest mirs gelobt. Werd ich nicht auf Dich
zählen dürfen?
Clemens.
An Clemens.
Clemente Du warst bei der de Gachet und nicht zu Hause im
Stübchen, und jezt klagst Du über Deine Einsamkeit wo Du kaum den Fuß auf die
Schwelle gesezt hast. Und fragst ängstlich warum ich nicht schreibe.
120
Ei weil Du nicht da warst. Weil bis zum 19. November keiner wußte wo Du gewesen
bist. Du schreibst mir endlich den schönen langen Brief den ich nun schon acht
Tage mit mir herumtrage, jezt wirst Du denken warum ich immer noch nicht antworte!
was da dran schuld sein mag? – gar nichts ist schuld, als daß Dein Brief mich
ganz betäubt hat und ich hab ihn sehr vielmal gelesen und kann ihn nicht behalten,
der Inhalt ist mir immer noch fremd. Ja Du warst bei der de Gachet, dort
hast Du an der galvanischen Batterie Dich electrisch geladen und nun fährst Du
mit feurigen Zungen auf mich los. Soll ich denn wirklich schreiben heute? – oder
soll ich wieder den Posttag versäumen? Denk es liegt meinem Geist dem Du die
Schöpfung einer neuen Welt zumuthest wie Blei in den Gliedern. Ich mocht
lieber nicht schöpfen. Die ästhetischen Briefe von Schiller? – Freilich
hab ich die nicht gelesen, denn ich kann nicht auf Komma und Punkt achtung geben.
Der Großmama hab ich wohl draus vorgelesen aber in Gedanken war ich wo anders,
aber wo, weiß ich nicht; aber von der Lektüre hab ich nicht profitirt, denn ich
weiß nichts davon. Ist es Krankheit daß ich so zerstreut bin? Es ist wohl Schwäche
in dem geistreichen Kopf lieber Clemens, dem Du so hohe Würden und Kräfte
zuschreibst
121
in Deinem Gedicht. Du schreibst aber von mir nicht, nein gewiß nicht, ich bin kein
solcher Einsamkeitskobold, kein solch Wolkengespenst, noch Schattenriß der
Erhabenheiten.
Jezt wirst Du böse ich merks. – Macht es Dich böse Clemens, daß ich so
Dir antworte auf Deinen treusten ernstesten Willen für mich? Von Spanien! – Ach
erst hat mir die de Gachet davon gesprochen, wie wir allein waren an jenem
Sonntag, da hab ich ihr recht glücklich widersprochen, worüber sie sehr erstaunt
war; und hab gesagt was denken Sie, daß ich hier sollte den Garten verlassen der mir
so lieb ist, und mein Bruder Franz der mich so lieb hat, wenn ich so weit
von dem fort wollte, und mein anderer Bruder Dominicus der mir Schmetterlinge
bringt wenn sie bald aus der Puppe sich los machen, die fliegen dann zu Dutzenden
im Garten herum auf den Blumen, und mein Bruder George der vornehmste aller
Menschen, und mein Bruder Christian der eine mathematische Correspondenz
mit mir führt, und mein Bruder Anton der ist ein Phantast, mit dem dichte
ich Fabeln, und mein Bruder Peter liegt in der Familiengruft in der
Karmeliterkirche bei Vater und Mutter und noch drei Schwestern, die gewohnt sind
daß ich sie grüße wenn ich in Frankfurt durch die Mainzergasse gehe, wo die
122
Karmeliterkirche steht. – Sie war verwundert über dies große Register unzerreißbarer
Vaterlandsbande, sie sprach von einem großen Welttheil, von Oliven und
Orangenwäldern, von blauen Fernen, von heißem Mittag und kühlen Abendlüften, und
daß Du mitgehen werdest, und dann könne ich ja immer mit Dir sein, und es seien so
interessante Menschen dort, viel edler von Geist und Gestalt wie hier zu Lande.
Ich sagte: Ich will aber nicht immer mit dem Clemens sein, sonst könnten wir
einander lästig werden, und mir ist das liebste beim Willkommen, ihm an den Hals
springen und beim Abschied ihn vors Thor begleiten. Vous êtes un enfant hat
sie gesagt sentez donc combien en voyageant votre âme et votre fantaisie se
developeront et puis vous séréz avec moi, je vous aimerais, et vous comprendrèz,
la vie le monde la nature tout autrement. Glaubst Du, das habe mir keinen
Eindruck gemacht? – gewiß hat es mich Überwindung gekostet. Ich sah ihr unter die
Augen, plötzlich kam sie mir vor wie ein Seeräuber, oder sonst eine edle
Spitzbubengattung; sie glaubte schon sie habe mich gefangen, da kam die Großmama,
ich riß mich los, – und jezt verfolgt michs, daß sie vielleicht nicht eine Frau
sondern ein Kriegsheld sein könnte, sie
123
sieht so edel aus zu Pferd, so frei, sie bekümmert sich gar um nichts, sie läßt den
Gaul dahin sausen, nur der Reitknecht war diesmal mit, das Pferd bäumte als sie
aufstieg, sein Übermuth wiegte sie in den Lüften, und fort! – Ich sah ihr durch die
alte kalte Domstraße nach. – Und also ich bleib hier und sie reitet nach Spanien,
am rauschenden Strom hin zwischen Felsen durch, der Schweiß rinnt ihr vom Gesicht.
Was schadets? – Immer hoch, immer frei! immer stolz; und ich hier in der Mansarde
zähle die Dachziegel da drüben und betrachte dem Sperling sein Nest unterm Dach,
die dort sieht die Adler über sich wegschweben und kämpft mit dem Lämmergeier, der
die einsame Heerde beraubt, und ich laufe mit der Gießkanne und begieße die
Bohnen.
Ach, was kann ich großes thun? auf die Pappel klettern beim Gewitter daß es auf
mich los donnert und blizt? – oder im Winter auf den Schneeflächen mich tummeln;
dem Treibeis nachhelfen im Main? –
Clemente schreib mir solche Briefe nicht von unmöglichen Anlagen in meinem
Geist. Ich mein dann, ob ein Kobold Dich neckt, der Dir das alles weis macht. – O
schreib keine Gedichte worin Du meinen Namen nennst, es ist als ob Du in die
einsame Wüste hinein rufst, ich lausche selber, ob aus der Tiefe meiner
124
Sinne Dir etwas antworte. – Nein, – die Sinne werden müde davon, Du rufst sie an
zum arbeiten, das wollen sie nicht; sie sind eigensinnig. Du willst meine Trägheit
überwinden, mich aufreizen, und vor ungeduldigem Eifer spring ich von einem Buch
zum andern. Ich will nicht mit den Katzen spielen, nein heute nicht, ich will
gewiß schreiben – lernen, – nein es will nicht in mir, es lacht mich inwendig
aus und sagt du lernst ja doch nichts. Ach wenn Du wüßtest wie ich mich oft
bezwingen möchte, Du würdest sehen es ist nicht Mangel an Treue. – Ich kann mich
keiner Beschäftigung hingeben. Inwendig ruft es: dorthin, und dort rufts wieder
hierher, und hier lockts, da flüsterts, und hinter mir und vor mir, und in den
Lüften gehen Stimmen durcheinander die mich reizen.
Heut hab ich mir vorgenommen meine Lebensgeschichte zu schreiben. Gleich hier auf
dem Blatt will ich anfangen.
Es war einmal ein Kind das hatte viele Geschwister. – Eine Lulu und
eine Meline, die waren jünger, die andern waren alle viel älter. Das Kind
hat alle Geschwister zusammengezählt, da warens dreizehn, und der Peter
vierzehn und die Therese und die Marie funfzehn, sechzehn, und dann
noch mehr,
125
die hat es aber nicht gekannt, denn sie waren schon todt; es waren gewiß zwanzig
Geschwister, vielleicht waren es gar noch mehr. Der Bruder Peter ist
gestorben wie das Kind drei Jahr alt war, von dem weiß es aber noch sehr viel. Er
hatte schwarze Augen die ein blendend Feuer von sich strahlten, in die hat das
Kind oft sich ganz verloren vor tiefem Hineinschauen.
Der Bruder Peter trug das Kind oft auf einen kleinen Thurm auf dem Haus,
da fütterte der Peter allerlei Gefieder, Tauben und eine Glucke mit jungen
Hühnern, da saß das Kind mit ihm, da dichtete er ihm Märchen vor. Das waren
Stunden, die glitzern wunderschön aus der frühsten Kindheit herüber. Was fing denn
der Peter noch für närrische Dinge mit dem Kind an? – Er war mißwachsen,
und daher sehr klein, er nahm es am Weihnachttag mit in die Kirche, das sollte
keiner sehen, er nahm einen großen Bärenmuff und hielt ihn vor sich und das Kind,
daß man nicht Kopf nicht Hand sah, nur die vier Beine trappelten immer vorwärts, die
Leute wunderten sich über das kuriose Rauchwerk, das allein über die Straße lief.
Einmal hatte der liebe Bruder heimlich im Garten etwas gebaut, dann führt er
das Kind hinein. Da ist ein kleiner Hügel aufgeworfen, da hebt er einen Stein
126
auf, da springt auf einmal ein Wasserstrahl empor, ein kleines Weilchen dann hörts
wieder auf. Das hast du alles deinem Schwesterchen zu Gefallen gethan o
Bruder Peter! Es liebte dich aber auch sehr. Morgens wenn es aufwachte,
standest du vor seinem Bettchen, und es lachte mit dir, noch ehe es die Augen
öffnete. Es lernte an deiner Hand die Stiegen erklettern, immer führte es sich an
dir. – Da wars einmal schon spät, eben wollte die Sonne untergehen, er stand an der
Wendeltreppe mit dem Kind; die lezten Sonnenstrahlen leuchteten ihm ins Gesicht,
er ward so todtenblaß das Kind klammerte sich fest ihm an, laß los, sagte er kaum
hörbar und fiel die Treppe hinunter, das Kind hatte aber sein Kleid festgehalten
und war mit heruntergefallen. Da trug man den Peter ins Bett, das Kind
sah den liebenden Bruder nicht wieder. Auf seine Fragen war die Antwort,
der Peter sei begraben; er verstand nicht was das sei. Noch manchmal sehnte
es sich nach dem Bruder, und noch manchmal in einem Eckchen saß, des Abends
wo das Licht nicht bis hin leuchtete, da sah es in der Dämmerung seine
dunkeln Augen es anleuchten oder war das Einbildung? –
Der Vater hatte das Kind sehr lieb, vielleicht lieber als die andern
Geschwister, seinem Schmeicheln konnte
127
er nicht widerstehen. Wollte die Mutter etwas vom Vater verlangen, da schickte sie
das Kind, und es solle bitten daß der Vater Ja sage, dann hat er nie es
abgeschlagen. Nachmittags wenn der Vater schlief, wo keiner Lärm wagte oder Störung
zu machen, das Kind aber lief ins Zimmer, warf sich auf den schlummernden Vater,
und wälzte sich übermüthig hin und her, wickelte sich zu ihm in den weiten
Schlafrock, und schlief ermüdet auf seiner Brust ein. Er lehnte es sanft bei
Seite und überließ ihm den Platz; er ward nicht müde der Geduld. Viel
Lieblichkeiten erwies er ihm, beim Spazierenfahren ließ er halten auf der
Blumenwiese, bis der Strauß groß genug war, das Kind wollte gern alle Blumen
brechen, das nahm kein Ende, die Nacht brach ein und den Strauß viel zu groß für
seine Händchen, bewahrte ihm der Vater.
Was ging denn noch schönes vor, und webte allerlei Lustiges ihm in den
Lebensteppig. Das belebte Leben auf der Straße! Gegenüber im Haus die offne Halle,
in der vom Mai bis in den Herbst die Nachbarn campirten den ganzen Tag, da
spielten die Kinder mit dem Mops, und der Papagei auf der Stange plauderte Spitzbub,
das wollten wir gern den ganzen Tag hören. Wie glücklich war das Kind mit dem
128
Schlüsselblumenstrauß den die Milchfrau mitbrachte Morgens früh. Ach das Land! – Die
Wege hinaus ins Freie! – Die Kinder schiebelten sich lustig den Wall hinunter ins
tiefe Gras. Und das Klapperfeld wo das Gespenst rumorte im bösen Haus, und der
Herr Bürgermeister hatte Wache hinpostirt, zehn Mann von Innen, und von Außen auch
zehn an die Thüre gelehnt hat das Gespenst in der Nacht umgeworfen, in der Nacht mit
dem Glockenschlag zwölf. Der Doctor Faust habe da gewohnt ganz im Verborgnen
und sei erst jezt gestorben, seitdem rumort es. Da erzählten sich die Leute Abends
spät noch Wunder vom Doctor Faust, wie er die Bäume konnte blühen machen
mitten im Winter und so schnell daß man zusehen konnte wie die Blüthe herauskam. Das
Kind schlief nicht, es erlauschte alles in seinem Bettchen und freute sich der
Unmöglichkeiten.
Einmal starb eine vornehme fremde Frau, die in der Stadt krank gelegen hatte an
unheilbarem Übel. Sie hatte das Kind oft kommen lassen an ihr Bett und ihm viele
Spielsachen gegeben. Ein langgedehnter Grabgesang hallte durch die Straßen
schwarze Männer trugen den Sarg. Da wird die vornehme Frau begraben, hieß es,
und man erzählte viel von ihrem schmerzlichen
129
Tod! – Was ist das Tod? Begraben! Nicht mehr da! – Das Kind kanns nicht begreifen
daß man nicht mehr da sein könne. Und heute noch kann es nicht glauben
ans nicht mehr sein. – Nein! Nur wie der Schmetterling aus seinem Sarg
hervorbricht, ins Blumenelement, und nicht sich besinnt, nur taumelt lichttrunken,
nur freudig schwärmt, so lösen die Kranken die Müden sich ab vom Leib, so
steigen sie auf ins reinere Freiheitsleben, das ist alles was den Sinnen nicht
sichtbar war. Wie die Raupe sich veredelnd umwandelt, so kanns der Mensch auch. –
Hätte es doch wieder vergessen können, was das heißt von der Erde scheiden! – Der
nächste Frühling vom Tod an der Hand geführt, kommt und geleitet ihm die schönste
Mutter ins Grab. Da ist Zerstörung im Haus, die Freunde! – Und viele dankbare
Thränen fließen. Der Vater kanns nicht ertragen, wohin er sich wendet muß er die
Hände ringen, alles scheuet seinen Schmerz. – Die Geschwister fliehen vor ihm wo
er eintritt, das Kind bleibt, es hält ihn bei der Hand fest, und er läßt sich
von ihm führen. Im dunklen Zimmer von den Straßenlaternen ein wenig erhellt, wo
er laut jammert vor dem Bilde der Mutter, da hängt es sich an seinen Hals und
hält ihm die Hände vor den Mund, er soll nicht so laut, so jammervoll
kla130gen!
– Gesegnetes Haupt, das an seiner seufzenden Brust lag, und von seinen Thränen
überströmt ihm Linderung gab. – Werde doch auch so gut wie Deine Mutter sagte
in gebrochnem Deutsch, der italienische Vater. –
Ach lieber Clemens heute kann ich nicht mehr von der Kindheitsgeschichte
schreiben. Und es ist ja auch gar nichts, was ich da aufgeschrieben hab, und doch
bin ich erschüttert und muß um die Todten weinen. Mein Licht geht gleich aus,
es ist so kalt im Zimmer, jezt spür ich erst daß ich mit bloßen Füßen die ganze
Zeit am Schreibtisch sitze. Wenn ich wieder schreibe will ich fortfahren vom
Kloster zu erzählen, wo wir bald nach dem Tod der Mutter hingebracht wurden.
Adieu Clemens wenn wir nach Frankfurt kommen geh ich gleich in die
Karmeliterkirche und sehe wie es da ist, ich hab Eltern und Geschwister so lange
nicht besucht, wenn sie's fühlten, wenn sie sich wunderten daß ihr Kind sie
versäumt.
Deine Bettine.
Liebe Bettine
Ich habe Deinen Brief mit vieler Rührung gelesen, sei versichert daß ich bald
umständlich schreibe, heute ist
131
keine Zeit, ich füge Dir einen Brief bei, den ich von Franz erhielt. Glaube
daß ich mich in gewisser Hinsicht unendlich über seine Treue gefreut habe. Was er
von Dir schreibt ist ganz meine Meinung, nur daß alles was wir beide allein unter
uns und von einander wissen dadurch so überwiegend bleibe als es wahr ist. Was
Franz schreibt ist so ehrlich gemeint und so wahr als Du wohl weißt daß es sich
von selbst versteht, den Brief erhältst Du als Beweis meines unbegränzten Zutrauens,
und daß ich Dir nichts verhehle, die hintere Seite des Briefs schneide ab für
die Meline nebst den Abbildungen der Cirkassierinnen aus Oberhessen. –
Was Franz von unbekannten Ländern schreibt, heißt nichts als daß er selbst
keine Lust zu reisen hat, fühlte er sich in Dich hinein, seine Güte und Liebe die
immer nur für andre sorgt, würde gewiß sich selber Aufopferungen zumuthen um Dich
zu befriedigen, und fühl ich Dich recht heraus, so glühst Du eigentlich vor
Sehnsucht mit der de Gachet in das fremde Land zu ziehen, und das verdient
dies göttliche Weib. – Ja ich war bei ihr, wenig Tage war ich mit ihr zusammen
bei meinem Freund Ritter, der doch gar zu gut ist, mir himmlische Briefe
schreibt über Dich, die er liebt durch mich. Ich kann Dir nicht aussprechen wie
nothwendig mir es ist
132
manchmal über Dich zu sprechen, ich thu es aber mit solchen Menschen nur, die viel
größer sind und besser als ich. Und Ritter der liebenswürdigste, der wie
Moses mit seinem Stab an den harten Fels der Wissenschaft schlägt, aus dem die
reine crystallhelle Quelle der Weisheit hervorsprudelt und wer es wagt seinen
Becher dran zu füllen, der wird von der Größe dieses unsterblichen Menschen
durchdrungen. Mit Schlegel war ich auch, aber mit ihm hab ich nie von Dir
gesprochen; er ist groß und sehr bedeutend in der Literatur, und Du mußt ihn auch
einmal sehen, aber ihm kann man nicht sagen was das Innere beschäftigt, mit ihm
kann man nur Witz und Übermuth treiben, und doch kommt man dabei meist zu kurz
weil er Scharfsinn der Kritik und Satyre nie versteht, sobald es auf ihn geht. –
Ach was brauchst Du zu lernen wenn Du so lieb bist beim Nichtlernen. Mag es
gehen wie es will, das Bessre und Höhere wird doch Dich all durchströmen und wird
sich läutern in Deinem unberührten Wahrheitssinn. So bin ich auch unendlich erquickt
von der Beschreibung Deiner Kinderjahre, liebes Kind, wollt ich auch Dir
betheuern, sie seien unendlich schön und der tiefste Dichtersinn blicke da heraus,
Du würdest es nicht glauben. Du glaubst in solchen Dingen mir nie. Aber wenn Du
nur
133
Dir die einzige Frage thun wolltest warum Du grade so schreibst, und nicht mit
andern Wendungen und Reflexionen; so wirst Du Dir anworten müssen, daß es so in
Deiner Seele geschrieben steht und weil Du dem nicht untreu sein magst, nicht ihm
untreu sein kannst, so sprichst und denkst Du so wie Du denkst. – Also läugnest Du
schon nicht daß Dein Denken und Sprechen der reinste Abdruck Deiner Seele ist, wenn
aber ein Maler ein Bild machte in dem er den reinsten Abdruck der Natur wiedergäbe,
würde das nicht ein unvergleichliches Bild sein? – Eine Mutter verloren im Anschauen
des Kindes und die von allem was sonst noch um sie her vorgeht nichts weiß, würde
das nicht ein ewiges Bild sein? – Ein Mädchen wie Du so alt, in der Dämmerung
sitzend unter einem Blüthenbaum und ein Knabe wie ich, so wie wir beide bei einander
saßen am Weg das grüne Feld hinter uns und der ferne Fluß, und die Schafheerde die
an uns vorüber zog, die eine Staubwolke machte was die Abendröthe ein wenig
verdeckte, weißt Du's noch? Du sagtest es sei malerisch, warum denn aber? – es
waren ja doch nur lauter einfache Gegenstände, keiner würde darauf gemerkt haben
der vorüber ging, noch weniger würden Leute expreß hingegangen sein um sich dran zu
erbauen; aber doch ist viel Lärm um nichts in der Welt, aber
134
deswegen wird dies Nichts doch nicht etwas. Deine Erzählung aber ist etwas und doch
nicht mehr als jene Abendscene die Du malerisch fandst. Drum schreibe ruhig fort
und mit Pietät, das heißt verwirf nicht was Du schreibst, beglücke mich damit.
Wenn es das ewige Leben und Weben der Natur ist so einfache Scenen zu bilden, so
wolle es nicht besser machen können. Die Natur ist die größere die edlere
Bildnerin, und weil Du ihr nachgesprochen hast, so hat Deine Erzählung Styl, sie
deckt nämlich den Ausdruck des Begriffs und der Empfindung vollkommen. Leb wohl und
schreib weiter, ich warte mit Sehnsucht darauf. -
Dein Clemens.
An Clemens.
Lieber Clemens! am Neujahrstag haben wir unser Ballet aufgeführt, es ist
holter die polter durcheinander gangen, es ist alles verkehrt gangen. Mein
Neunzehner war ein Ritter dem nichts haften wollte, wir mußten mehrere Proben halten
im Costüme, bald fiel ihm der Panzer bald die Schienen ab; und endlich am Tag der
Aufführung war eine große Noth, alles rennte durcheinander, einer rief nach
Schminke, der andre nach
135
Strumpfbändern der dritte hatte den Zwickelbart verloren, wir Mädchen zogen uns
aus dem Gedräng zurück auf die Tische und Kanapees – und da warteten wir ruhig bis
die Fluth sich gelegt hatte und die Ebbe eintrat, wo wir alle an Blumenguirlanden
geschnürt von unserm Balletmeister hinüber geleitet wurden, dem der Schweiß von der
Stirne rann bis er uns in Ordnung hatte. Der Vorhang wurde hinweg gezogen und wir
tanzten vor alten Hofmasken und Perrücken einen trefflichen mimischen Tanz der
allerlei bedeuten sollte, es ging passabel, bis wo wir einen Ringeltanz um
das Ysenburgische Wappen tanzten, an das wir unsre Kränze aufhängen sollten;
mein Neunzehner fiel und riß mit seinem Kranz das Wappen herunter, das fiel auf ihn
und alle Kränze flogen im Saal herum. Ich richtete geschwind das Wappen wieder auf,
damit es nicht sollte für ein bös Omen ausgelegt werden. Dann tanzten wir nach den
Kränzen als hätt es nur so sein müssen, und theilten diese den Herrschaften aus;
dies Impromptu ging besser als das eingeübte. Die Damen traten vor den Spiegel
und probirten sie auf, und mancher stand der Kranz recht schön. – Unterdessen
verwandelten wir uns in Bauern das ging auch sehr geschwind, wir Mädchen schürzten
die Röcke hoch, zogen die Hemdärmel hervor
136
und einen Brustlatz vor, ebenso schnell hatten die Ritter sich verwandelt die als
Bauern schon im Pappendeckel-Panzer staken. Blumen, Bänder, Früchte, Obst in
Körbchen standen schon bereit. Eh man drei zählen konnte waren wir in Ordnung
aufmarschirt, ein Erntezug, vorauf die Musikanten und Fahnen der Landleute, alles
mit Silber und Goldpapier decorirt, ein junger Mensch Bükes führte die
Dorfmusikanten, er spielte auf dem Haberrohr, er hatte schon so viel Witze gemacht,
er schnitt so närrische Gesichter daß ich kaum konnte meine Verse declamiren,
da stolperte der Neunzehner hinter mir, und läßt seinen Korb mit Äpfeln über mich
hinaus rollen, es erschallte ein groß Lachen, kein Mensch denkt mehr an die Verse
von Chateaubour. Der Dichter, der sich so viel Hoffnung gemacht hatte,
quel effét que cela fera. – Die schönen zirkelrunden Borsdorfer waren
bestimmt gewesen in einem Akt in unserm Bauerntanz, nach der Rede, in der ich
unterbrochen ward, zu figuriren. Wir sollten im Tanz einander gegenüber zu stehen
kommen und nach der Musik mit diesen Äpfeln ein Ballspiel aufführen. Und dies hatten
wir nun Wochenlang eingeübt so sicher wie die besten Bombardiere. – Sollte nun dies
beste Kunststück durchfallen? – Wir rafften schnell die Äpfel auf und stellten
uns in Ordnung auf. Die
Rohr137pfeife
wollte nun die Zwischenmusik überspringen und die Musik zum Ballspiel einleiten
oder aufpfeifen. Aber die Geigen verstanden das nicht und kamen ihm nicht nach, sie
blieben auf dem alten Satz; es gab ein Charivari. Die jungen prinzlichen und
gräflichen Herrschaften, die dies Spiel nicht zum Ballet gehörig glaubten, hatten
sich drein gemischt, und warfen mit Äpfeln um sich her, mancher mag da getroffen
worden sein der nicht gemeint war. Doch es fing an menschlich zu werden unter
ihnen, sie probirten ihre Kränze auf, wie sie nach ihrer Meinung ihnen recht gut
standen, so ging man bekränzt herum, und als ob dadurch die Clausur der Etikette
aufgehoben sei, lief alles untereinander, stieß sich mit den Ellnbogen und stolperte
ohne weitere Entschuldigungen. Bükes mit seiner Pansflöte, führte einen
Satyrtanz auf aus eignem Ingenium und spielte selbst dazu auf, er endigte dies
Impromptü mit einer Ode von Ovid, die er langsam und deutlich mit allen
möglichen Modulationen, bald mit Donnerstimme, bald mit sanftem Flüstern declamirte,
und dazwischen mit der Pansflöte Intermezzos spielte. – Er wurde bewundert.
Mehrere, die sich als Lateiner wollten zeigen, gaben ihm das beste Lob, was er
mit großem Plaisir anhörte, weil
138
er allerlei lateinisches sinnloses Zeug zusammengewürfelt hatte, was ganz ohne allen
Zusammenhang war gewesen.
Gestern lieber Clemens hab ich bis hierher geschrieben, vielleicht
langweilt Dichs, es ist aber gleich aus, die bekränzten Herrschaften sezten
sich zur Tafel, sogar die alte Prinzeß Rothenburg hatte einen Kranz von
Wacholder mit Perlen durchflochten auf ihre altmodische Blondencoiffure gesezt,
die dadurch sehr verschönert ward. Tannen, Mirte, Orangen, Oleander und Lorbeer
kränzte manchen alten Kopf, dessen große Hakennase unter dem Kranzschatten sich
sehr vortheilhaft ausnahm. Die Musik dauerte während dem Essen fort, das Ballet
aufführende Personal tanzte dazu auf eigne Faust allerlei groteske Sprünge.
Alle Augenblicke wurde Tusch geblasen; wozu wir im Hintergrund das Vivat
verstärkten. Um Mitternacht war gegenseitiges Umarmen, dazu tanzten wir die Ronde,
alle an einem blauseidenen Band uns haltend, auf dem Verse gedruckt waren auf
alle hohe Personen. Im Tanz machten wir Halt, und schürzten das Band mit dem Vers
über den, an den es gerichtet war, so bekam jeder seinen Vers zu lesen. Nun kam
eine große Pastete, der Deckel wurde abgehoben, da sprang ein kleines Hündchen
heraus, aber ganz klein, der Herzog hatte es, ich weiß
139
nicht woher, aus dem südlichen Frankreich verschreiben lassen, zum Neujahrsgeschenk
für die Fürstin von Ysenburg. Dies Plaisier war ganz appart, kaum besann es
sich ein wenig so bellte es die ganze Gesellschaft an, noch zwei andre kleine
Hunde wurden herbeigeholt um Bekanntschaft zu machen, die waren aber nicht so klein.
Das Gebell der drei kleinen Hündchen übertönte alles, und vermittelte die
gegenseitigen Redensarten und Glückwünschungen. Das Lob dieses Festes läutet
wie ein wohltönend Glockenspiel hier in der ganzen Umgegend unsern Ruhm aus,
man will es noch einmal wiederholt haben. Einmal ist keinmal, aber noch einmal
das ist zu viel.
Liebster Clemens, noch Lebensgeschichte kann ich gar heut nicht
mehr schreiben. Du lobst mir alles, aber um so mehr drückt das mich nieder, diesem
Lob zu entsprechen, Du willst mir Lust machen, den gewöhnlichen Acker meines
Lebens umzupflügen jede harte Scholle zu zereggen; nein Clemens, wenn Du die
weißen Wände meines Studierkabinet‘s, das heißt meines Kopfes ansähest, und nichts
drinn fändest als Spinnweb, wie wolltest Du Zins von dieser Armuth fordern! – Ich
kann doch nicht auf jede Seite schreiben daß die Leute mir ganz närrisch vorkommen
und sonst begegnet mir nichts
140
jeden Tag, und ist mir von Jugend auf nichts begegnet als der große Gedanke
wiederhallend von Stufe zu Stufe meines Ingeniums: Alles was begonnen wird in der
Welt sei närrisch. Dabei komme ich mir eben auch nicht anders vor, eben weil kein
Bestand in mir ist, weil ich von so manchem ein profundes Gefühl habe und dennoch
ein Spielball der Zerstreuung bin, die ganz gehaltlos ist, das fühl ich, das quält
mich, davon möcht ich gesunden und weiß nicht wie. Wenn Du aber nun wieder kommst
und sagst es stecke alles in mir, und ich könne Wunder verrichten, und ich fühle
mich aber behaftet mit allen Verrichtungsfehlern, und nur daß sie keinen Schaden
machen weil nichts an mir verloren ist. Du wirst Dich kreuzigen! – Ich kann aber
nicht anders als daß ich bekenne worüber ich lange mit Zweiflen gerungen habe,
daß nämlich – Alles nichts aus mir werden, blos Sünde Deiner närrischen
Einbildung ist daß etwas großes in mir stecke. – Eine Zeitlang hab ich Dir
geglaubt wenn Du mir als manchmal mit so vieler Liebe davon sprachst ich solle
meine bessre Natur meine Vorzüge vor den Augen der Welt verbergen, ich war des
besten Willens; aber, da ich nun diese Vorzüge wirklich gut zu verpacken gedachte,
siehe da fand ich gar nicht was ich allenfalls zu verschweigen
141
oder zu verbergen habe. In Talenten komm ich nicht vorwärts, ich kann unmöglich
meine elenden Versuche in der Kunst hochschätzen, eine Flora hab ich in Röthel
gezeichnet, ich hab sie auch gleich darauf in Papierstreifen zerschnitten um die
Wachslichte mit fest zu machen. Meine musikalischen Versuche? – Ich hatte ziemliche
Freude am Generalbaß, da hat sich mein Lehrer der Herr Preißing zum Fenster
hinausgestürzt. Ich mag ja an Musik nicht mehr denken. – Und nun kommst Du mit
meiner Lebensbeschreibung auf rechter Haide, man könnte die Grashälmchen zählen die
da wachsen. – Das einzige was mich intressirt sind die französischen Miszellen
über Revolutionsbewegungen, so menschlich so verständlich, ein Kind muß ihre
Naturgemäßheit empfinden. Ich hab mir die Aufgabe gemacht in meinen französischen
Arbeiten sie zum Thema zu nehmen, ich bin zufrieden da ich vorwärts komme auf einem
Feld wo alles auf festen tiefen Begriff ankommt, wo das Echte das Göttliche bloß
ein vernünftiger Schluß ist, wo ich glaube weil die Glaubensartikel
Seelen-erziehende Argumente sind.
Wo aber die Sündenregister wie eine elende Hühnerleiter an die Himmelspforte
angelehnt sind, da mag ich keinen Versuch machen mich zu bilden mich zu bessern,
soll ich
142
da von Stufe zu Stufe hüpfen wie ein Hühnchen damit es auf die Stange zu sitzen
komme neben den Hahn? – Nein! Auf mein Seel in einem Flug. Über die
Sündenregister hinaus wie die Verheissungen die Himmlischen. Sind die Seligen selig
geworden, so lasse sie mit ihresgleichen, schmeichle nicht wie ein Schmarotzer um
sie herum, daß Du auch gern wöllest vom Himmelsbrod essen. Ich aber sag mir, kannst
Du nicht lernen entbehren? grad das wonach alle verlangen? – kannst Du nicht lieber
wollen daß die Andern selig werden die so sehnlich darum bitten und seufzen,
da Du doch gar nicht danach seufzen kannst? – Dies Seufzen, Flehen und Ringen nach
Seligwerden macht mich mitleidsvoll, hätt ich was sie fordern ich gäbs ohne
Bedingung! Aber wer kanns haben? – Wer kann den Anstrich des Himmels dem Unsinn
geben, in den hinein allen so sehr verlangt. – Wer kann das machen daß Unsinn
immerdar ein Quell erneuerter Freuden sei? – Gott nicht, denn sonst würde er gewiß
nicht anstehen den Seligkeitverlangenden die Himmelsthore weit aufzusperren und
wie die alten Nönnchen in Fritzlar uns immer die himmlischen Freuden gleich einen
Tanzboden beschrieben, nur viel schöner als sie es beschreiben könnten, so würde er
die Musikanten drauf losschmettern
143
lassen und erquickende Himmelsspeise in Fülle lassen herab regnen. Ach er könnte
froh sein wenn noch Menschen wären die solchen Genüssen möchten sich hingeben. –
Eine unschuldvolle Energie der Unersättlichkeit, ist die möglich? – Ich war immer
schon satt von der Beschreibung des Himmels. Ein unaufhörlich preisen und
Lobsingen – damit fings an. Ich sang auch gern, aber nicht Kirchenlieder; ich sang
um mein jubelnd Herz auszuströmen, daß zum Tanz geneigt war von einem innern
Lebenstackt frisch bewegt, meine Entschlüsse waren rasch, und sind es noch,
daß heißt ich entschließe mich. – Zu was? – Ei davon ist gar nicht die Rede! der
Entschluß! Ein freudiges Durchrauschen aller Lebensadern! – Ein freies
Auftreten auf den Gott-geschaffnen Boden der Erde, überallhin blitzen meine klugen
Augen und jagen die Nachtvögel aus ihrem Versteck. Was sind Dinge, zu denen wir uns
einen Entschluß erkümmern, im heimlichen Rath unsicherer Begriffe, feiger Moral,
verschrobner Lebensansichten, und noch gar, heimlicher Schwächen und eigensüchtiger
Begierden, hin und her geworfen. Ein solcher Entschluß? wo blieb die Energie ihn
zu tragen. – Nein! Entschluß – tief in mich hinein fühl ich: – er ist der Muth
frei zu schweben über aller Gemeinheit. – Dinge zu denen wir uns
ent144schließen
müssen die sind nicht. Wir schauen den einzigen Gott an in uns; Er durchfährt
electrisch uns die Glieder; das ist Entschluß. Verstehen wir uns
lieber Clemens? – Mein alter Magnetiseur würde das verstanden haben, es sind
seine Antworten auf meine Fragen, es sind aber freilich keine Antworten auf Deine
Forderungen an mich, – ich weiß was Du mit Recht mir vorwirfst! – Und doch könne
ich keinen Willen mir erkämpfen ruhig und einfach die Entwickelung meiner Talente zu
betreiben.
Ach ich weiß ja daß ich mich schämen muß, jeder blaue Berg wirft mir
das vor, er sagt: Ich stehe reiner und edler da als Du! – mich befällt auch oft eine
tiefe Melancholie über mein Nichts. – Was kann ich dafür? – Die Sünden der Welt haben auch mir den Boden abgegraben. Was ist das wenn die frische kraftvolle Erde die den Baum nährt, ihm geraubt wird, und er soll zwischen kalten Steinen Nahrung hinaufsaugen in den Gipfel! – Ach der
Bach selbst muß traurig hinsikern über seine entblößten Wurzeln. – So viel
Lebensansicht hab ich mir erworben in diesen Verhandlungen über Freiheit und
Lebensrechte, daß ich weiß daß dies die Sünde ist der Welt, für die ist der Gott
gestorben, das glaub ich,
145
das weiß ich, aber soll er auferstehen, so muß diese Sünde getilgt sein durch seine
Auferstehung.
Ich fürchte mich vor Dir das auszusprechen, doch ists die Mitte meines Denkens.
Die unverständlichen Aufsätze von mir, die Du mit so viel Neugierde studiertest,
sie sind Funken und glühende Asche von diesem Heerd, dessen Flamme manchmal hell
aufleuchtet; ein ewiges Menschwerden des Geistes durchbricht alles sinnliche
Bedürfniß und wirft es nieder und steht aufrecht über ihm, und ja, das ists was
ich Entschluß nenne, zu sein und zu werden, ob ichs verstehe oder nicht.
Rechenschaft geben? – Warum? Die Geistesauferstehung selbst ist Rechenschaft allem
Unsinn der aber sie verwirft. Laß den Geist werden und seine großen Zauberkräfte
werden über dieses Fordern nach Rechenschaft über Höllenbrodem und Fegefeuer sanft
hinüberwallen und Satzung und Glaubensartikel, sie reichen nicht an seine Region
und wenn sie auch noch so große Staubwolken aufregen unter den Menschen.
Ich wollte Dir ja vom Kloster schreiben, ich wollte Dich überraschen mit der
Erzählung dieser einförmigen Tage wo viel träumerische Knöspchen auf feinen
Stielchen rankten! – Aber da laß ich mich überraschen vom Schauder über das
Gewöhnliche, was die ganze Welt
146
zum Narrenhaus umwandelt. O Ihr Bienen alle, die Ihr mich umsummt habt im
Klostergarten. Ihr Nelken- und Lavendelbeete die Ihr mich gedeckt habt mit Euern
Düften. Ach es ist Winter in mir und der Schnee der Weisheit deckt die Erde. O Erde
laß den Frühling wieder treiben, halte den Athem nicht länger an, hauch deinen
süßen Duft aus, er genügt mir statt Paradiesesfreuden. Willst du deine Gräser
herauslassen und deinen Bächen freien Lauf, Erde dann küß ich dich und schenke dir
meine Seele.
Das heißt, das Unterhandlen mit dem Himmel bin ich ganz müde. Das heißt wieder:
alles ist zwar in Richtigkeit und an der Tafel angekreidet. Ach käm nur einer
und löschte mit dem Schwamm das ganze Facit aus, dann wär noch Hoffnung daß
die Natur im Menschen wieder aufwachte.
Deine Schwester Bettine.
Liebes Kind.
Ich fühle mich in eine ganz wunderliche Lage hineingeschoben durch Deine
ausgreifenden und wieder tief im Lebensschacht herumwühlenden Mittheilungen. Oft
ist mir als stehe ich auf einem vulkanischen Boden, wo die verwitterte Lava
von der schaffenden Natur üppig
be147grünt
hervorbricht in Flammen und verzehrt es wieder. Und hier und da liegen
Brandstätten unter dem ewig blauen Himmel. Was nüzt mein guter Wille, meine Stimme,
mein Wort. Wie könnte das diesen Boden erschüttern, in dem ein innerliches Wirken
verborgne Wege schleicht und dann jeder Gewalt unerreichbar plötzlich das begonnene
Gepflegte zerstörend aufflammt. – Weißt Du was Du sprichst? – Nein! Denn ich kann
Dir den Muth nicht zutrauen Dich Nationen und Jahrtausenden gegenüber zu stellen
und denen Hohn zu sprechen. Das thust Du aber, blind wie Du bist springst Du über
Abgründe und immer glücklich fühlst Du den Boden unter Deinen Füßen. Man sagt der
Blitz erschlage keinen Schlafenden, drum soll man während dem Gewitter keinen
Schlafenden stören. Ich frage mich ob Du schläfst, ob Du träumst, und dann mein
ich das Gewitter bist Du selber; es rollen Ideen donnernd in Deinem Geist die
aneinander zerschmettern; und vor meinen Augen sinkt in die tiefste Spalte, die
plötzlich gähnt, was eben noch meine Hoffnung war, was ich mit demselben süßen
Willen hütete wie Du Deine Blumen und Kräuter. Deine unverständlichen Aufsätze
wie Du sagst seien die glühende sinkende Asche und ausfahrenden Funken von dem
Heerd, auf dem der
er148wachende
Geist sich seiner Unverständlichkeit entbindet. Einmal will ich mich vor Dir
aussprechen darüber, sollte ich mich irren so sage mir es. Ich war bis jezt noch
immer so sehr der einzige Gesichtspunkt nach dem Du mit inniger Begierde
hinsahst, in dem das Meiste um Dich her nicht das war, was den Geist auf eine
würdige Art fesseln kann. Deine Aufsätze, theilweise auch Deine Briefe stellen
daher oft mehr Selbstgespräche vor, oder eine Art Gebete in denen der Gedanke
sich selbst lieben und würdigen lehrt und in einer sehnsuchtsvollen Andacht
verweilt. Diese Andacht ist von allen Gesichtspunkten heilig und unverletzlich,
da sie allein das Erwachen eines trefflichen Menschen verkündigen kann;
sie liegt über der Bildung wie alle Gottesverehrung als die erste Poesie des
Menschen; sie ist die Morgenröthe vor dem geschäftigen Tag, der Frühling und das
Kindliche in dem Fortschreiten jeder Art von Leben überhaupt; so schienen Deine
Briefe und Ergießungen bisher mir auch nur die erste schöne reflectirende Bewegung
Deines Erwachens in der lieben Welt, und Dein Gefühl, Deine Rührung und Dein
Gott sind eins und dasselbe darin; ein Morgengebet eines an sich frommen Menschen,
den man nicht grade dazu angehalten hat. Wolltest Du meinen in Deinen Briefen
spräche
149
blos Deine Liebe, Dein antwortender Geist zu mir, täuschest Du Dich, sie sind Deine
Liebe zu allem, so wie es Dein reflectirender Geist über alles und in allem ist,
den Du mir anvertraust; Du kannst nicht zweiflen daß sie mir daher das höchste
lebendige Interesse umfassen und daß Deine Geistesanlagen mir ebenso heilig sind
als es mir rührend ist, daß Du sie mir anvertraust; warum ich also wünschte daß
Du die Kette dieser reizenden Lebensaufregungen nicht unterbrechen mögest, das
erweist sich von selbst, da es aber ebenso unmöglich als unnatürlich sein würde,
ewig oder sehr oft in dieser Rührung zu verweilen, ja am End komisch und dann gar
schändlich werden könnte. Es giebt solche Epochen in der Geschichte wo dasselbe
im Großen geschah. Diese Epochen bildeten ihre Krankheitsstoffe aus als die
Andacht nicht mehr im einzelnen Menschen vor dem Verstand sicher war, und daher
allgemeine Religionen hervorkamen, dann als gar keine Andacht mehr da war, und
eine Menge Religionsceremonien ihre Stelle vertraten, das war komisch, und da die
Religion als Mittel zu schlechteren Zwecken gebraucht ward, das war schändlich,
denn sie ist die Krone alles Lebens und die einzige Ruhe in uns, die jede einzelne
Bildung krönt, und indem sie über alles Ungebildete blos Zufällige
er150hebt,
dieselbe dem ganzen Dasein, Gott und uns zugesellt. Diese Andacht also, die Liebe
die Du in Deinen früheren Aufsätzen aussprichst, oder auch Deine Sehnsucht
überhaupt, zu bilden und gebildet zu werden, kann nur wie der Morgen jeden Tag
einmal, und wie der Frühling jedes Jahr einmal, und wie die erste kindische Poesie
jeder Völkerbildung in dem Volke nur einmal erscheinen und so ins Unendliche in
diesem Zirkel rückwärts und vorwärts in engeren und weiteren Kreisen, und es wäre
daher komisch oder schändlich Dich dazu zu zwingen oder zu verstellen, das erste
wär komisch und das zweite schändlich. Du schreibst also blos wenn ich Dich durch
einen Brief, der Dich an das Bessere erinnert, in Deinem Geist aufrühre. – Aber
kennte ich Dich nicht besser, müßte ich dann nicht glauben, Du ließest es bei dieser
bloßen Andacht bewenden, und auf das gerührte Gefühl des Erweckten in Dir folge
keine Arbeit, kein Streben; beinah willst Du mirs weiß machen! – Darum hab ich Dich
aufgefordert Gedanken, Geschichten, Begebenheiten, Fragen, Meinungen etc. nieder zu
schreiben, damit Du mir ohne Anstrengung schreiben könnest und Dich nicht dazu erst
zu stimmen brauchst, es war mein Wunsch, denn ich selbst lerne durch Dich mich
aussprechen. Wie schön sind Deine lezten Briefe
151
davon erfüllt, wie wahr und warm Deine Reminiscenzen aus den Kinderjahren, wie
tief Dein Gedächtniß noch aus Deinem ersten und zweiten Lebensjahr.
Liebste Bettine bedenk Dich doch, daß solche Eigenschaften von der Natur
als köstlichstes Lebensgeschenk in die Seele geprägt sind, daß es feinste
Organisation des Geisteslebens ist so schreiben zu können. Vielleicht sag ich
manches in meinen Briefen was Dich stört, laß es ungesagt sein. Überhaupt nähre
das Vertrauen, denk Du sprichst auf der Höhe auf freien Bergen, oder im tiefen
Wald, wo nur die Natur Dich auffordert zum Sprechen, nicht der verblendete
Mensch, der vielleicht eigensinnig. Oft erschreckt es mich, und es kommt mir
vor als wär Dein Gefühl und Dein durch dies Gefühl gebildeter kühner Wille
lange wie eingesperrt gewesen und bräche nun so stolz und unbändig hervor, so
berührte mich eben ein großer Theil Deines lezten Briefes; ich habe mich gefragt
ob ich durch Äusserungen Deinen eigenthümlichen Wendungen in den Weg getreten sei,
und beinah glaube ichs, denn auch in diesem Augenblick fühle ich, wir stimmen nicht
ineinander.
Ich wollte Dir noch mehr schreiben, aber eben er halte ich einen Brief von
Leonhardi, er habe Dich zweimal gesehen und wenn die Zeit schöner werde wolle
152
er öfter nach Offenbach kommen; ich finde das nicht weiter sehr wünschenswerth,
weil unbedeutende Menschen oft einen Einfluß haben, eben weil sie das Bedeutende
aufheben, ich habe jedoch nichts weiter zu erinnern als dem Leonhardi doch
nur höchstens scherzend zu begegnen, auf andern Wegen würdest Du ins Philisterthum
gerathen, denn er ist ein hypochondrischer Mensch, der sich leicht einbilden kann
er sei dies oder jenes und müsse Dich wärmen oder schützen, oder Dir Weltansichten
eröffnen, ein solches Pfuscherwesen lasse Dir nicht in den Weg treten. Er hat
Bücher und kann Dir die geben die ich will. Sei stolz und lasse Deine Einsamkeit
Dich nicht verführen, Deine Zeit an Menschen zu verlieren, von denen Du nichts
gewinnst.
Dein Clemens
Du sollst einem meiner Freunde, der dich bittet, den ich und viele für den
einfachsten genialischsten Menschen seiner Zeit halten, ein kleines Geschenk
machen, sticke, nähe irgend etwas; es ist Ritter der Naturphilosoph, der
Freund der Gachet, denke was hübsches aus, sage niemand für wen.
Liebe Bettine
Du schreibst mir nicht, dies martervolle Schweigen
153
ertrage ich nun sechs Wochen. Dein lezter Brief erregte mir Zweifel, die mich
ungeduldig auf den folgenden machten, ich schrieb Dir in einer ganz
entgegengesezten Empfindung, wollte Dir sagen daß die Basis alles sittlichen
Gefühls nicht Stimmung, sondern Wahrheit sei, daß die Wahrheit wieder nur echte
Religion sein könne, daß aus dieser kein lügenhafter sondern ein ganz echter
Bildungstrieb nur hervorgehe, der in jeder Handlung, in jeder Äusserung den ganz
reinen Menschen darstelle; daß eben nur dieser Mensch allein wirkungsfähig sei,
das wollte ich Dir sagen, ich wollte Dir aber nichts sagen was Mißtrauen gegen Dich
beweise; was ist das nun daß Du schweigst? Ach wolltest Du mir doch nur einige Hülfe
leisten so würde mir das eine Erholung sein, woran ich jezt verzweifle, nämlich
den Wegen nachzuspüren, die sich Deinem höheren Interesse anfügen. Deine Briefe
sind ja doch keine Kunstarbeit? – oder kannst Du sie nur in gewissen Stimmungen
hervorbringen? da doch so vieles darin sich noch ganz unenthüllt zeigt, vieles
nur ahnungsweise anregt. Wie kommts daß dies alles Dich auch nicht reizt es
noch ferner in Dir zu beschauen und mir mitzutheilen. Es ist etwas sehr
vortreffliches und seltnes, Briefe zu schreiben, die blos die Geschichte des
Herzens zum
Gegen154stand
haben, ohne zu lügen. Ich will hier dies näher auseinandersetzen. Der gebildete
Mensch oder der empfindendere lebt ein doppeltes Leben, er lebt das gesellige
praktische Leben seines Standes, seiner Familie, und lebt das Leben seines Geistes,
seiner Begriffe, seiner Empfindungen. Jenes Leben ist gebunden und bestimmt
durch seine Umgebung und den Punkt, auf den er in der bürgerlichen Welt gestellt
ist; dieses aber hat das Universum, die Natur, und das eigne Gemüth zum
Gegenstand insofern es frei in sich selbst fortbildet, ohne daß das praktische Leben
des Menschen darauf einwirke. Beides zusammen bildet seine Geschichte, die (wie
sich diese beiden Leben in ihm mehr oder weniger bestimmen, aufheben oder
durchdringen, oder gegenseitig erhöhen), die Geschichte eines schwankenden
einseitigen geschlossenen oder ewig fortstrebenden Gemüthes ist. – Die Berührung
des höheren Lebens in uns, mit dem Leben, welches durch die Umstände
hervorgebracht wird, bildet die Bequemlichkeit oder Unbequemlichkeit unserer Lage,
unsre Zufriedenheit, unser Gedeihen, was jedem Geschöpf das Clima und der Boden
ist. Aber alles kann ein Umstand dieses Lebens werden, auch was sonst kein Umstand
ist; die Geschichte eines andern Menschen. Insofern nun diese mit unserm höheren
oder bürgerlichen
155
Leben in Berührung kommt, bildet sich uns der Mitbürger, der Genosse, der
Nachbar, und bei totaler Berührung, der Freund. Dieser kann, ewig
fortschreitend, in höherer Annährung endlich sich beinah mit uns durchdringen; dies
nenne ich das Anziehen, Erfassen, es wird endlich zum Bedürfen. Denn es geht von der
einen Seite die nämliche Thätigkeit aus wie von der andern, und wird endlich
geistige Lebensforderung. Und hier, wo vier Arme offen sind, entsteht die
Umarmung, der Bund, und dann die Trennung mit Einverständniß in einem Dritten, das
Ziel. Endlich aber das Wiederfinden, wenn jeder seinen halben Zirkel
durchlaufen hat. Das Leben ist zwischen Zweien vollendet; jeder hat das seine im
Sinne des Andern errungen; sie haben sich im Muthe verwechselt, im Streben getrennt,
und durchdringen sich nun im Errungnen, in der Ruhe des Bewußtseins, das Ziel.
Von hier aus geht ein neuer Abschnitt der geistigen Lebensgeschichte an, diese Ruhe,
dies errungne Ziel ist der Stillepunkt eines erhöhten Werdens, denn die
Verzweigungen geistiger Verhältnisse gehen ins Unendliche, sie sind der wahre
Sacontalabaum, der Blüthe und Früchte zugleich trägt. Und das beglückt ja so
unendlich in der Freundschaft, daß der junge Blüthenbaum, noch ganz innerlich
beschäftigt mit
156
dem Treiben seiner Blüthe, bewußtlos die Nahrung reift für den Geist, der auf ihn
angewiesen ist. Bei dieser Gelegenheit sage ich Dir, daß ich dies schöne Buch, die
Sacontala, für Dich bestellt habe; Du mußt sie in wenig Tagen erhalten. Ich wollte
sie Dir erst mitbringen, um sie vielleicht mit Dir zusammen zu lesen; aber wenn wir
beieinander sind, da ist ja immer Blumenzeit, und da findet sich so manche Blume
am Weg, die wir spielend betrachten, daß wir zu keiner Beschäftigung und zu keinem
ernsten Resultat kommen. Die Sacontala soll ein solches Resultat in Dir bilden. Was
an andern Menschen als vorüberstreifender Genuß auch nur eine äussere Bildung
bewirkt, das faßt in diesem Freundschaftklima Wurzel und wird selbststrebender
Geist.
Ich habe Dir hier in der Berührung mit dem Freunde, die Geschichte jeder
Berührung mit dem Lebendigen erzählt, deren Bedingung die Wahrheit ist, wenn
sie nicht das elendeste Verderben in uns hervorbringen soll, denn alle Trauer alle
Unzufriedenheit ist eine Folge der Lüge; nicht grade der Lüge in uns,
sondern der Lüge an sich. Eine Ansicht, die wir von jeher, durch uns und
andre, durch Unerfahrenheit, durch das was noch nicht ergründet ist, haben,
ist Lüge an sich; – und fähig sein, heißt daher nichts als Anlage
157
zur Wahrheit haben; sich bilden, heißt diese Fähigkeit verstärken;
gebildet sein aber heißt in uns die Möglichkeit zur Annahme aller Wahrheit
hervorgebracht haben. Dann tritt das Wissen ein, oder die wirkliche Besitznehmung
von der Wahrheit; diese ist unendlich wie die Wahrheit. Es sind daher alle Menschen
fähig. – Viele bilden sich, wenige sind gebildet, und zählbar sind die welche
wissen. Das eigentliche Verderben aber ist die Wiedervernichtung des Erbauten, des
Gewußten, dessen was einmal in unserm Besitz ist, ist die Zerstörung unsrer
geistigen Gesundheit durch alle Art von Mißbrauch, und endlich die schändlichste
aller Arten der Schändung, die Lüge in uns, die wir um so leichter herrschen
lassen, als wir meistens in der Trägheit die Selbstbetrachtung verabsäumen, und
keinen Begriff von der Wahrheit haben, in diesem Falle nun sind die meisten
Menschen, auch viele die sich zu bilden scheinen, denen aber die Bildung nicht eine
Verstärkung ihrer Anlage zur Wahrheit, sondern ein Amüsement wird, ihre Unfähigkeit
zur Wahrheit zu entlangweilen, oder die Vorwürfe der Lüge in sich zu ersticken.
Solche gebildete Lügner sind die miserabelsten, denn ihre Lüge hat eine Art von
Arm und Bein, und scheint lebendig, um sie noch dichter zu umschlingen, sie
fürchten sich auch meistens
158
vor jedem Zuwachs ihrer Bildung, wie vor einem neuen Schlangenkopf, und wissen sie
sehr viel, so platzen sie vor Dünkel und Anerkanntheit, die lezte Gattung ist der
Keim aller Hoffart. – Wir können auch gewissermaßen unschuldig, aber doch nicht
ohne die verdiente Beschädigung der Affektation, in die Lüge fallen, und zwar
auf folgende Art. Da Konsequenz, oder ein vernünftiges Auseinanderfließen der
Handlung, das wir selbst beherrschen, eine einzelne Tugend scheint, so will man
sie gern im Einzelnen ausüben und lügt, wenn man zugleich zwei oder dreierlei,
verschiedene Arten von Konsequenzen auszuüben glaubt, grade auf ebensoviel
verschiedene Arten. In dieser Lüge ist Schmeichelei, Heuchelei, ja sogar
eine gewisse Gattung von Höflichkeit zu Haus, der man sich oft mit Fleiß nicht
enthalten darf. Es ist aber sehr lächerlich indem man seine Wahrheit aufopfert,
konsequent sein zu wollen, da diese beide eins sind. – Man hört oft: dieser und
jener Mensch hat keinen Charakter, er bleibt sich nicht gleich.
– Und in dieser
Rede ist doch nichts gesagt, als daß dieser Mensch uns nicht in chronologischer
Ordnung eine gewisse Anzahl ähnlicher Empfindungen zusammen gelogen hat. – Oder hat
er nicht gelogen, sondern ist wirklich ein solcher Rosenkranz, der aus denselben
Gebeten besteht,
159
und den man schlafend beten kann: dieser Mensch ist nicht komod, um ihn
gelegenheitlich zu beurtheilen, um von ihm zu sagen, er ist ein hübscher, grader,
krummer, kleiner oder magrer Mann.
Der wahre Mensch, der sich hingiebt in der
Freundschaft, klaubt nicht eine gewisse Partie seiner Erscheinung heraus,
er giebt sich immer mit der ganzen Lebenssumme grade so ausgedehnt hin, daß er den
Augenblick der Hingabe erfüllt. Das was man Charakter nennt, kann daher nur durch
die größte Menge ähnlicher Züge im Menschen begriffen werden, und ist nur merkwürdig
im Begeisterten, als die Gestalt des Schattens, die seine Bewegung nach irgend
einem Licht, auf sein Gemüth zurückwirft, und im blos erwerbenden Menschen als
die Gestalt seiner Beschränkung, aus denen man, wie aus den Schatten, welche die
Weltkörper aufeinander werfen, astronomische Schlüsse auf die Gestalt, Lage und
Durchkreuzung der Sphären ihre Bildung, ihres Stillstands, oder ihrer Bewegung
machen kann. Es giebt aber noch einen andern Gesichtspunkt für das Intresse, das
man an einem Charakter haben kann, und obschon er nicht hierher gehört, wo ich
nun vom Umgange (Verkehr untereinander) rede, so will ich, um einem schiefen
Einwürfe vorzubeugen, doch etwas davon sagen.
160
Der Charakter kann allgemein merkwürdig sein, wenn man ihn als Kritiker betrachtet,
dies ist die Betrachtung deren jeder Charakter als Kunstwerk würdig ist; es sei
nun, daß ich wirklich den Charakter einer gedichteten Person, oder wirklich eines
lebenden Menschen wie ein Produkt seines Lebens, als Kunstprodukt der dichtenden
Natur anschaue. Sich zu dieser Ansicht erheben zu können, erfordert einen sehr
hohen Standpunkt denn man muß sich dann, zur ganzen Poesie, – Schöpfungskraft der
Natur – wie der Kritiker zum Dichter verhalten; und hier wird mehr erfordert, als
nach den geschriebenen Geetzen einer gewissen Kunstschule dem freien lebendigen
Gedicht die Brust aufzuschneiden, um noch Minuten lang zeigen zu können, wie ihm
das Herz schlägt. –
Die Konsequenz aber, welche etwas werth ist, ja allein den Werth des Menschen
bestimmt, ist eine Musikalische, sie ist Harmonie im weitesten Sinne, und wird, in
sofern er mehr oder weniger das ganze Leben berührt, mehr oder weniger Tonarten und
Modulationen umfasset, doch immer nur in harmonischen Übergängen wechseln. In
sofern er nun blos das Thema der ganzen Musik ist, ist sein Gang aus sich selbst,
und kann er einen Charakter haben, aber insofern er die Harmonie des ganzen
mitbegründet, hat er nur
161
den Charakter seines Instruments; sein Leben aber ist ohne Charakter, blos ein
Theil der ganzen Harmonie. Von dieser Konsequenz der Harmonie kann aber nur die
Rede sein bei umfassendern Menschen, denn um harmonisch zu werden, muß man schon
eine gewisse Anzahl von Tönen umfassen, und ist hier die Rede nicht von jener
Gattung, die nur in sofern leben als ihrer etliche Tausend wohl, wenn sie
zusammentreten eben so leicht alle zu einem tüchtigen Menschen gehörigen
Eigenschaften, als eine vollständige Kriegskontribution zusammenbringen könnten.
Hieher gehören alle Menschen welche ihrem Stande Mittel sind, und sich nicht über
ihn erheben, welche nur halb leben wie ich oben anführte, nur das praktische
Leben haben und daher nie biographische Personen werden können, man müßte dann
als Kunstprodukt einen einzelnen betrachten, nicht um ihn, sondern blos um
die Umstände seiner Zeit an ihm zu erlernen, denn diese Leute sind unglücklich
genug, nichts als ihre Umstände zu sein, deswegen sind sie doch eben so
wenig verächtlich als die Irokesen, obschon weniger merkwürdig. Sie sind
die Besitzer des zeitlichen Lebens und werden auch bei der größten Frömmigkeit
nie selig werden, da der Himmel nicht zukünftig, sondern von jeher und ewig ist,
und in nichts anderm besteht
162
als in dem Verstehen und Besitzen der Harmonie. Wir erwerben durch Tugend den
Himmel, wir erringen durch Fleiß die Kunst, wir lernen durch Harmonie die Musik,
wir gebären sie endlich selbst, in leichter ewig voller und ergossner und
empfangener Lust des ewigen Lebens, das ist gleichbedeutend. Jene aber sind weit
entfernt hievon, und verhalten sich, wie das gebogne Holz daß noch am Stamme
grünt oder dorrt, zur schön geschwungenen Mutter der Töne und der Lieder – der
Lyra im Arme des Sonnengottes. Aber auch der wilde Wald rauscht und grünt und ist
lieblich oder mächtig, wenn ihn ein empfindend Gemüth begreift, aber er ist nichts
ohne dieses. Hier trennt sich der Weg, und ich sage Dir wo es recht ist jene
Menschen zu vergessen, und wo es recht ist sie nicht zu verachten: Wo Du mit dem
Höchsten an sich, mit dem Geiste das Wesen des Geistes betrachtest, wo Du betest,
oder dichtest, oder liebst, sollst Du jener vergessen, und ständest Du unter
ihnen; denn man soll auch im Haine Gott anbeten und die Bäume vergessen.
Betrachtest Du aber die Welt historisch, so darfst Du sie eben so wenig
verachten, um nicht in lächerliche Sentimentalität zu fallen als der ins
lächerliche hineinfallen wird, der einen Acker verachtet, auf dem die Mäuse
ihre Kornspeicher haben.
163
Nur auf einem Punkte ihrer Erscheinung können sie mehr lächerlich, als verächtlich
– doch wenn es etwas lange dauert, etwas fatal werden. Es ist dies der Fall wenn
sie sich auf Augenblicke emporheben, wenn sie von Bildung reden und Geschmack
haben wollen, besonders erscheint dies in den Menschengattungen in denen das
praktische Leben am condensirtesten ist, die nur eine Berührung mit dem äußern
kennen, die nichts wollen als brauchen, die den Geschmack, um ihn zu
brauchen, zur Mode herabschänden, und sogar auch manchmal jenes zweite Leben
das sie nicht haben, brauchen und es zur lächerlichsten Grimmasse herabwürdigen,
bis ein solcher das schimpft, was er nicht kennt, und verliebter, dürstender zu
seinem praktischen Leben zurückkehrt. Auffallend ist es zu bemerken, wie er immer
zu triumphiren scheint, und wie dieser scheinbare Sieg manchen an dem Kampf nach
dem Vortrefflichen erlahmen macht, der sich dann in den Sold begiebt, der für kein
Vaterland und keinen Himmel streitet, der nur kümmerlich das Leben erwirbt und
keinen Himmel. Doch scheint er dies nur, und so sehr uns oft der unwillige Ausruf
gerecht scheint, die Kunst gehe betteln, und die Dummheit grase, so halte ich ihn
doch für die Erfindung einer sehr gemeinen Ansicht, und er hat sich auch schon als
164
solche charakterisirt, da er nun schon ein Gemeinplatz geworden ist. Die Kunst geht
nie bettlen, wohl aber der Künstler würde Kotzebue sagen, um aus seinem Reichthum
zu beweisen, daß er kein Künstler ist. Wenn die Kunst bettlen geht, ist es meistens
nur ein Beweis daß sie arm ist, denn die wahre Kunst beherrscht alles und öffnet
alle Schätze, der selbstische Künstler aber, der aus Kaprice, oder Unkenntniß nur
für sich selbst dichtet, er mag darben, und muß gern darben, um nicht erbärmlich
zu sein.
Nun aber haben wir jezt keine allgemeine Kunst, und ist blos eine Zeit des
Krieges in der Bildung, drum gehn viele Künstler arm herum mit ihrem Reichthum,
und mit Recht mögen jene keine Leute machen, die nur aus Bosheit, Unsitte und für
kein Vaterland mitstreiten. Es ist eine wahre und sehr würdige Reflexion, daß die
Welt keine moralische Anstalt ist, wo ein Geschöpf das andre aufmuntern soll, so
daß gleichsam der Elephant dem Esel nichts als ein gut Beispiel sei, ein Elephant
zu werden, und sofort; denn die Progression geht nicht auf Erden, im Leibe – sie
geht im Geiste vor. Auch geht die Bildung nicht Feld einwärts oder der Quere,
sie geht in die Höhe anbetend, und in die Tiefe forschend. Jedes Geschöpf ist als
165
Kompositum beschränkt, und als vollkommen mehr oder weniger frei; in es selbst
aber ist sein Geist gesezt, der, insofern er nur empfindet, als er nur in sich
selbst ist, sich selbst als den Mittelpunkt des Ganzen betrachtet. So ist der
Dünkel jedes Standes zu entschuldigen; aber dem ganz freien, gebildeten Menschen
ist die stille Betrachtung erlaubt, den blos praktischen Menschen zu verachten;
wenn er spricht, ich triumphire – denn triumphirt ein geboren tauber, der geigen
will, aus Mode, und die Geige in den Ofen steckt, mit den Worten: ist es nicht
viel edler Tabak zu spinnen, und zu rappieren, da habe ich doch was für meine Nase,
ich weiß nicht was die Leute an dem Colophonium riechen.
In eben diesen Fehler verfallen alle Menschen, die sich krankhaft oder aus
Trägheit zum Bessern zu erheben ausgeben und eben so nur die Empfindung, Bildung
oder Kunst brauchen, ihre Lumpen mit zu flicken; sie geben die schändlichsten
Blößen und werden meistens sehr verächtlich; dies ist sehr häufig bei den Weibern
der Fall, die nach der bürgerlichen Ordnung, die jezt sehr in Verfall ist, nichts
als die Repräsentanten der erbärmlichen Bildung, die eigentlich das künstlerische
Personale des praktischen Standes geworden sind. Ich wollte, hätte ich Zeit,
leicht beweisen daß alles Übel, häusliches
166
und körperliches und geistiges, blos durch das dumme Bestreben nach Geschmack, der
Tochter der Verachtung der Künste, entstanden ist. Ich verstehe hier blos das
Verderben der Töchter, worüber von Familienvätern und ältern Brüdern, ja oft von
den Verderbern selbst geklagt wird, und ich will gerne als Märtyrer für die Aussage
sterben: Kein treuer und unschuldiger Greis und Vater kann würdigere Thränen
weinen, als um den Untergang der Religion; – so ganz, was der kräftige
unschuldige gemeine Mann Religion nennt, nicht das neue Wort. Die Weiber oder
Mädchen, sagte ich, sind die kränksten an dieser Afterbildung, ihre krankhafte
unbefriedigte Laune ist Empfindung, ihr Fieber Begeisterung, ihre Sittenlosigkeit
wird Philosophie. Ich sagte sie bedeckten ihre Lumpen mit Bildung, und setze
hinzu, daß sie dadurch meist sehr lächerlich werden, indem sie nur entblößen was
sie bedecken wollen. Die Bildung ist nichts als der höhere Glanz der Nacktheit,
die die freie Keuschheit der Schönheit ist. Nun aber heißt sich mit Bildung
ausflicken nichts, als die Löcher im Gewand mit einer Laterne beleuchten, denn
die Bildung ist durchsichtig, und um so mehr erscheinen daher heut zu Tag die
meisten gebildeten Mädchen äußerst miserabel, als sie grad darin die Ausbesserung
167
nöthig haben, was das Heiligste des Menschen ist, im Verstande, der Liebe, im Herzen
und der Zucht; und ich möchte sie die Laterne nennen, die die schlechten Straßen
unsrer Städte nicht so erleuchten, daß man sie sicher durchwandle, um nicht den Hals
zu brechen, nein sie leuchten nur, damit man diesen Dreck bewundere, denn dies ist
die Prätension dieser kleinstädtischen Dummheit (ich sage kleinstädtisch auch von
Paris in Hinsicht des Universums). Laß uns ihnen zum Trotz, meine liebe
gesunde Bettine, ihre unsaubere Illumination nicht betrachten, und kommen
wir darauf zurück, daß alle die Abscheulichkeiten, die ich Dir hier zeigte, nur
Folgen der Lüge sind, von der ich zu sprechen ausging, und daß wir deswegen
Freunde sind, weil wir das bessere Leben unsrer Sitten, unsrer Gefühle, unsres
Fleißes in Geselligkeit hinbringen, und mit zu dem großen geheimen Staat der
vortrefflichen Menschen gehören wollen; willst Du aber hier in diesem Lande
mein Nachbar sein, so darfst Du mir nicht eine einzelne Art von Reflexion blos
hinstellen, darfst nicht allein mir danken, wenn ich Dich grüße, Du mußt
ordentlich hübsch mit mir schwäzzen, denn was so mit Deiner Person vorgeht, ist
mir meist unbekannter und oft wissensnöthiger, als was mit Deinem Gemüthe vorgeht,
drum schreibe mir jeden
168
Schritt und Tritt von den Menschen, die mit Dir sprechen, was Du über diesen und
jenen empfindest, was Du plauderst; denn ich habe mich nicht wenig geärgert, daß
Du mir nicht erzähltest daß Du bei Leonhardi getanzt, und wie Du dort
warst, daß die vortreffliche Duchaget mit Dir sprach, die mir sagt, es sei
Deine Pflicht mir darüber zu schreiben, daß Du lange in Frankfurt warst, von allem
dem nichts? In Deinen Briefen ist oft ein Ausbruch von Rührung über meine, aber ich
will nicht Dich rühren, ich will durchaus daß Du Dich selber rührst, daß heißt, daß
Du vor meinen Augen herumspringst wie ein junges lustiges Mädchen; Deine allzugroße
Ernsthaftigkeit gegen mich mußt Du Dir nicht so Ernst werden lassen, sonst
kömmst Du in Gefahr mich hoch zu schätzen, und dann bist Du auf dem graden Weg
des Kindes, das aus besonderer Achtung gegen den beinernen Löffel nie
Selbstessen lernt, und am Ende kannst Du doch nicht immer Brei essen, der Mensch
ist ein fleischfressendes Thier, und da hilft kein Löffel, und das vorkauen wird
ekelhaft. Lebe wohl, schreibe, sonst schreibe ich nicht mehr, oder bist Du krank,
hast Du alle meine Briefe nicht erhalten, ich verstehe es nicht. Noch eins,
hüte Dich sehr aufzufallen, sei oder scheine stets in der Gesellschaft lieber
dumm, als
169
vorlaut und mit dem Händeklatschen der Thoren belohnt, es verführt zu einer
miserablen Selbstgefälligkeit, die alle Fortschritte auch bei dem besten Willen
tödtet, und kannst Du es nicht in Dir dahin bringen, so vermeide lieber die
Menschen, denn es ist entsezlicher von gemeinen Menschen für genialisch, als für
einen Narren gehalten zu werden, am besten aber für einen guten ruhigen
Menschen.
Dein Clemens.
So eben schreibt mir die Toni, wie sie Dich besucht habe, sie habe Dich
munter und fleißig beschäftigt gefunden, aber Du sehest übel aus; wie ist Dir
liebes Kind, hast Du Kummer, quält Dich etwas, Du weißt nicht wie mir der Gedanke
meine Ruhe nimmt, Du seist bang und ängstlich im Innern; ich bitte Dich um alle
Liebe, um Alles, Alles, gieße mir Dein Herz aus.
Dein Clemens.
Drei Briefe hast Du, diesen lasse der Toni lesen, wir müssen Freunde
haben, sie liebt uns.
An Clemens.
Der verminderte Septaccord hat seinen Satz auf dem Leitton des Grundtons.
170
Kleine 3.
Falsche 5.
Verm. 7. Die erste Versetzung auf der Secunde des Grundtons: Quintsextaccord,
die zweite auf der Quart: Terzquartaccord, die dritte auf der Sext ist der
Secundenaccord.
Ich hätte dies sollen in mein Studienbuch schreiben, ich will Dir nur zeigen,
daß ich studiere. Ich kann leichter eine Melodie erfinden, als sie in ihre
Ursprünglichkeit auflösen. Innerlich ist alles tiefer zu fassen in der Musik als
sich ans Gesetz zu halten; dies Gesetz ist so eng, daß der musikalische Geist jeden
Augenblick es überschwemmt.
Was mich selber bilden soll, das muß aus mir auch hervorgehen, drum möchte ich
aller Theilnahme ausweichen und allein mit mir fertig werden. Es kommt mir wie
Frevel vor, daß ich mich einer Leitung hingebe, die vielleicht das Ursprüngliche
in mir verleitet. So wars mit der Gachet, und was Du über Freundschaft sagst
in Deinem Brief, das macht mich flüchten vor ihr. Gäb es Höhlen und Verberge, in die
man sich könnte zurückziehen vor gewissen Gefühlsanrechten, ich würde dahin
flüchten. Ich schaudre vor solchen Allgewalten des Daseins, sie erregen die
Eifersucht der
Eigenthüm171lichkeit;
Freundschaft ist aber gewiß eine die höchsten Seelenkräfte verzehrende
Schmarotzerpflanze. Ich soll doch mein eigen werden, dies ist doch der Wille
meines Ichs, denn sonst wär ich umsonst; dies eine was mich eigenthümlich aus dem
Gesamtsein heraus bildet, das ist der Adel des freien Willens in mir; anders kann
ichs nicht ausdrücken. – Sich dem Begriff und Willen eines Andern unterwerfen, der
auch kein Selbstsein hat, – denn sonst würde dieser Wille nicht die Geistesnatur des
Freundes zu seinem Heerd wählen, sondern in sich selber aufflammen, – das ist
Verzichten auf diesen Adel des freien Willens. So steht das in mir fest, daß
ich den nicht aufgebe. Die Freundschaft behauptet zwar, die edlere Natur
im Freund hervorzurufen; wie aber kann dieser Adel des Willens sich bilden, wenn
nicht in sich und durch sich selber? Raubt da die Freundschaft nicht die Kraft der
höchsten Thätigkeit dem Freund, der dann nicht mehr den Willen in sich trägt des
besonderen Seins. – Die Freundschaft hat ihn ausgelöscht. Held sein ist nicht
befreundet sein, Selbstsein ist Held sein; das will ich sein. Wer Selbst ist der muß
die Welt bewegen, das will ich. – Dies helle Selbstsein soll nicht verdunkelt
werden durch den Schatten der
Freund172schaft;
ich brauch das nicht, ich kann den Sonnenbrand vertragen, und Freundschaft ist
Brudermord. –
Ich hab zu fechten mit meinen Gedanken, sie fahren gleich auf und wollen immer
recht haben.
Am Generalbaß hab ich auch meinen Ärger. Ich möchte diese Gevatterschaft von
Tonarten in die Luft sprengen, die ihren Vorrang untereinander behaupten, und
jeden, der den Fluß der Harmonien beschifft, um den Zoll anhalten. Aber so wahr
diese unumstößlichen Ohrengesetze nur verschimmelte Vorurtheile sind, die der
Genius mit der Ferse von sich stößt, so wahr werden diese Gefühlsanrechte, denen
ich drohe, daß sie mir nicht auf den Hals kommen sollen: als Freundschaft,
Großmuth, Milde, Mitleid (das ist das allerekeligste) Gerechtigkeit, Nachsicht,
Ehrgefühl und alle sittlichen und Moraltugenden ein elend Ende nehmen – es sind
Vampyre, die dies Selbstsein des freien Willens heimlich lüstern aufsaugen.
Alle Tugend komme von Gott, steht im Katechismus. Schachert der Gott so mit dem
Pfennig des Verdienstes? – Verdienst ist Chimäre, ist Lüge. Das fühlt der freie
Geist, und bei ihm wird die reine Kraft nimmer zum Verdienst sich ausmünzen die man
abwägen könne; nein sie ist das Selbstsein. Wer ist der verdienstlose freie
Geist? – der soll König sein! von ihm fällt der
173
Verdienst ab, er muß frei sein. Verdienst macht ihn unfrei denn er muß sich ihm
verpfänden. Dies ist aus meinem Tagebuch worin ich meine Revolutionsgedanken
aufschreibe: der ist nicht König der aus Hülfsmitteln der Noth das
augenblickliche Mögliche benüzt um seine Verdienste daraus zu bilden. Nur der ist
König der ganz frei, ganz mächtig diesen Adel des Willens an seiner Zeit
ausbildet. – Willkür kann nicht hervorgehen aus dem Adel des freien Willens, sie
ist zusammengesezt aus unfreier Bildung die der Egoismus der Klugheit ausgedacht
hat. – Und Freundschaft ist ein vorbereitender Egoismus jener Bildung die den Platz
des freien Willens sich angemaßt.
– Ich könnte Dir noch mehr aus diesem
Buch absonderlicher und verwirrlicher Gedanken aufzeichnen, die wie muthwillige
junge Heerden, untereinander sich stoßen, die aber ein gewaltiger Hebel sind dieser
freien Natur in mir. Ich hab der Großmutter draus vorgelesen, und sie meint ihr sei
bange ich könne vom Fels stürzen. Auch im Geist kann man sich versteigen mein
Kind, sagte sie und erzählte mir die Geschichte des Kaiser Max auf der
Martinswand, sie sagte, die Engel sollen ihn da wieder herunter
ge174tragen
haben, aber nicht immer sind diese bereit wenn man sich so muthwillig
versteigt. – Was brauch ich denn wieder herunter liebe Großmama wenn ich mich oben
erhalten kann? – könnte ich denn nicht auch ein Wolkenschwimmer werden? – Kind
meiner Max sagte sie, was hast du vor wunderliche Gedanken. Auch darüber
kann ich mich trösten wenn meine Gedanken nicht mit der Klugheit der Menschen
übereinstimmen; diese Klugheit verträgt sich nicht mit meiner hüpfenden und
springenden Natur, die in allem sich selber verstehen will und wie ein Speer
sich der Klugheit entgegen wirft. Das weis Gott sagte die Großmama. Aber Kind
wie sieht es aus in dir?
Wie es aussieht in mir liebe Großmama? nicht wie hier in Offenbach die Wiesen weit
hinaus sich ziehen, und der Waldrand hinter dem beschifften Fluß bescheiden und
lieber, das rasche Bächlein mit seinen großen Eichen überwölbt, und die große
Bleiche wo alles so früh schon thätig ist, und die engen Schleichwege zwischen
blühenden Hecken die ums Dorf führen – und denn ganz in der Ferne die Gebirglinie
die an den Himmel ihre Weisheitsschrift ankreidet, an die der freie Wille ohne
Auslegung der Schriftgelehrten ohne Glaubenszwang sich hingiebt; dazu die blaue
Heerstraße der Wolkenzüge.
175
Nein dies Vaterlandsbild gleicht nicht meiner Seele, es ist mir doch, ich komme
anders woher! – hoch und niedrig waldumwachsenes Felswerk, an dem der Rasen
schüchtern hinaufklettert und das seine eigensinnigen Klippen so trotzig
hinausstreckt, an dem die Nebel sich zerreißen. – Wege des Geheimnisses zwischen
brausenden Wassern immer tiefer in unverständlichen Windungen, wo der Sonnenstrahl
herabblitzt ins enge Thal und nährt zärtlich die blauen Blüthen, und das
Sinnenfeuer der Natur dampft aus dem kalten Stein der in der Sonne erschwizt.
Der Wachholderstrauch duftet mir da Weihrauch und stachelt meine Wange und ich weiß
nicht was Glück ist, als nur – daß die Natur dies heimliche Vertrauen zu ihr
so mächtig beantwortet.
Dort wohnt der Knabe von dem will ich erzählen, wie er in der Nacht sich eilig
rüstet, so weit die Sterne leuchten zu wandern, wo neue Berge heraufsteigen und
Wälder, und Quellen eng zwischen Klippen herab in freie Länder wallen. Die Sonne
steigt, er kommt herab zum Feigenbaum im feuchten Sand zu ruhen, die Wolke kühl
vom Wind heraufgetragen regnet auf ihn nieder, er schöpft den Trunk aus der Quelle,
er erste igt den Baum nach den Feigen die sind noch herb, und er harrt unter dem
belaubten Dach daß die Sonne sie soll reifen.
176
Dies Lebensbild schrieb ich auf und sagte der Großmama so sehe es aus in mir; die
weite Welt wollte ich durchlaufen, und bleib liegen unterm Feigenbaum, und warte
daß die Feige mir in den Schooß falle, und vergesse aller Zukunftsgedanken. Der
Großmama gefiel dies alles, sie sprach von poetischen Gesichten und Geistergegenden
und die Seele könne oft in ganz andern Klimaten gedeihen als der Leib. – Und sagte
sie, wenn man reiset kommt man in Gegenden in denen die Seele zu Haus ist, da kommt
man mit ihr zusammen; und lernt erst ihre Persönlichkeit verstehen.
Es ist wahr Clemens in mir ist ein Tummelplatz von Gesichten, alle Natur
weit ausgebreitet, die überschwenglich blüht in vollen Pulsschlägen und das
Morgenroth scheint mir in die Seele und beleuchtet alles. Wenn ich die Augen
zudrücke mit beiden Daumen und stütze den Kopf auf, recht fest, dann zieht diese
große Naturwelt an mir vorüber, was mich ganz trunken macht. Der Himmel dreht sich
langsam mit Sternbildern bedeckt, die vorüberziehen; und Blumenbäume die den Teppig
der Luft mit Farbenstrahlen durchschießen. Giebt es wohl ein Land wo dies alles
wirklich ist? und seh ich da hinüber in andre Weltgegenden? – besinn Dich doch
darauf. Ich kann Dir doch heut nicht mehr
177
schreiben ich bin zu schläfrig, die Großmama hat mir den ganzen Abend indische
Pflanzen gezeigt; und Kolibris so klein und fein; wie Schönheitspfeile gucken
sie mit ihren spitzen Schnäbelchen aus den Blüthen.
Deinem Freund Ritter hab ich eine Sammetmütze gemacht wie ich selbst eine
aus Übermuth trage aber ohne den Lorbeerkranz den ich darum gewunden, den er aber
immer aus Übermuth tragen kann, weil dieser mir scheint der Flußgott zu sein der
die Urne seines Geistesstromes ergießt.
Deine Bettine.
Liebe Bettine.
Ich habe Deinen lieben lieblichen Brief vor zwei Minuten erhalten; ich hab ihn
noch nicht in mich selbst verwandelt, das Herz bebt noch. Ritter wird sich
freuen, Ritter dieser große Ritter, zu dem Göthe sagte: gegen ihn sind
wir alle Knappen! – Lieb Mädchen er wird Dir danken daß Du ihn nie wieder vergißt.
In seinem lezten Brief schrieb er, er lasse schon ein weiß seiden Felleisen machen
die Dankbriefe an Dich zu schicken. Leb wohl Engel, bald bin ich bei Dir im
Himmel.
Dein Clemens
178 An
Clemens.
Ich habe geglaubt Du würdest kommen, so sind nun schon vierzehn Tage herum wo ich
jeden Tag Dir entgegen sehe und deswegen auch nicht schrieb, und noch wegen etwas
anderem. Weil ich manchmal zu sehr ergriffen bin wenn ich an Dich denke und
versäume oder vergesse vielmehr darüber an Dich zu schreiben was ich denke. Ich
will Dir nun erzählen wie mir ist und wie ich bin, damit Du keine Sorge um mich
haben sollst. Ein Tag wie der andere frohsinnig, lustig, ja manchmal fast
ausgelassen und dennoch find ich innerlich recht viel ernste Fragen. Die erste
Frage bist Du. Der Clemens, sagt mir eine innere Stimme hat viele Fäden ins
Weltgewebe eingesponnen, alle sind sie Geist und Feingefühl, aus Schönheit und Güte
hergeleitet und man kann die edle und erhabne Natur von ihm daran beweisen, aber
doch führen sie alle wieder zu Miskenntniß und Undank, und auch nicht dahin wo
der Clemens meint, und dem er doch so viele Glückseligkeit der Gegenwart
opfert. – Und dann denk ich gar, Du wirst durch Aufopferung Dich wohl um allen
Vortheil dessen bringen was die Menschen als Glück erringen möchten. Wie komme ich
dazu? – Ach verzeih mirs, ich habe ein Buch von Dir gelesen. –
179
Bei der Großmama lag es – und ich hörte daß sie darüber sprach – sie wollte aber
gar nicht daß ich es wissen solle, sie legte es auch sorgfältig unter andre Bücher.
Wie ich aber allein in ihrem Arbeitszimmer war, denn ich schlafe da, damit eins von
uns in der Nähe von der Großmama Nachts ist. – Es ließ mich nicht schlafen ich
dachte immer, es sei wohl besser nicht nach dem Buch zu suchen aber ich habs doch
gelesen. Du hattest mir nie davon gesagt, und ists denn wahr daß es von Dir ist? –
und so vieles was mich ganz verwirrt! – Große und kleine, thörigte und vernünftige
Begebenheiten scheinen mir darin verflochten, und dann scheint es mir so sonderbar
geschwärmt, und Höhen und Tiefen die meinem Geist wie ein Räthsel da liegen.
Maria's Satyre heißt dies Buch – ist das vielleicht wie die Schuld und die Unschuld
eine verkehrte Rolle spielen in der Welt, oder ist es scharfes und schonungsloses
Beobachten und Behandlen der Verhältnisse und Menschen? – Was frag ich doch,
es geht mich ja gar nichts an und wir zwei sind ja bis jezt immer in – der Liebe
und dem Geist – sehr begreiflichen Lagen mit einander gewesen, wo Du recht wie
Mai-Thau von dem man wächst und gedeiht, auf mich gewirkt hast. – Nun aber ist
mirs als wärst Du verzaubert, und legtest die
180
Haut der klugen Schlange dann ab wenn Du bei mir bist. – Und da kommen mir Gedanken
über Dein Glück die mich verwirren. Ach ich hoffe daß Du es nicht der Mühe werth
halten wirst auf meine mir selbst unverständige Gedanken und Gefühle zu achten.
Ich will lieber von mir sagen: Ich hab jezt viel zu thun, noch außer den Büchern
von Dir lese ich auch noch viel vor, französisch-politische Sachen. Ich bin aber
jezt sehr zerstreut und kann gar solchen Antheil nicht mehr dran nehmen; obschon es
mich immer dahin bringt daß ich an die Zukunft denken muß, wie an einen großen
freien Plan auf dem die Welt ganz unabhängig von Meinungen und Willensstreit sollte
neu geboren werden, und sollte sich abwaschen von den Zeitumständen und von
Leidenschaften und Begierden und alten Satzungen und sollte die besten nützlichsten
Kräfte und die erhabensten Empfindungen entwicklen. Denn bis jezt scheint mir als
sei das noch nicht so gekommen! – Und soll ich denn fortfahren Dir alles zu sagen?
Wenn es auch nur kindisch herauskommt und ganz unerfahren? – Ach was nüzt
Erfahrung? sie verführt nur dazu daß die Leute mit Eigensinn an dem einmal
festgestellten hängen und durchaus sich nicht zugestehen daß die Vernunft das
Bessere oder das Wahre erfinde. Zu was nüzt es denn
181
einen forschenden Geist zu haben, wenn es nicht wäre um die Mittel zu einer neuen
Schöpfung zu finden, worin dieser Geist als in einer Ordnung, die von ihm ausgeht,
die zugleich ihn trägt und ernährt, das Göttliche schafft. – So groß und einfach
wie ich mir das alles denke! Wie könnte ich je glauben daß ich selbstgedachte Ideen
über Welt und Menschenwesen würde können geltend machen? – Und doch muß ich mich dem
hingeben, als sei es der Fußpfad der durch unbewanderte Gegenden mich leitet,
vielleicht über gefahrvolle Klippen die aber in mir Kräfte bilden mit welchen ich
vielleicht manches erwerben könnte wovor andre zurückschrecken und erbleichen, ich
aber nicht. – Wenn ich manchmal still stehe und mich nach andren Menschen umsehe so
fühle ich wie ich mit ihnen nicht zusammenstimme, wenn ihre Herzen von außen her
erschüttert und berührt werden, dann zeigen sich Tugenden; das ist ja aber der
Zufall der hier wirkt, was ist das aber, eine Tugend des Zufalls? –
Ich möchte Dir alles vertrauen was mir im Herzen liegt, aber es liegt soviel
drinn was ich selbst nicht erkenne. Ich möchte beinah sagen alle Tugend sei mir
zuwieder! – ja! – ich glaube dies, daß der Mensch ganz das Echte sein soll,
und nicht das Unechte. Tugend ist ja
182
aber was von dem Unechten sich gestaltet als eine Seeleneigenschaft die wir in ihrer
Übung Tugend nennen. Wenn aber die Echtheit, der große Ocean wär; der zwar alle
Strömungen in sich aufnimmt nie aber überwallet sondern alles umfasset? – können
wir dann sagen der Ocean ist Tugendreich? – (Flüssereich) oder nur: der Ocean ist
er selber! – Sein und Werden ist zweierlei, das sag ich mir auch, und Werden ist
für das wirkliche Leben, Kraft fühlen und diese anwenden, und nicht blos sich
zum Helden träumen. Und dies ist was mich oft vor mir erschreckt daß ich im Lande
der Phantasie mir eine große Rolle auserwählt habe die ich zwar ohne Gefahr spiele
die aber nicht die Wirklichkeit berührt. – Wie mache ichs daß ich aus dieser
Verbannung des Wirklichen erlöst werde? dann wär ich nicht mehr traurig wenn es mir
deutlich würde was ich will kann und soll! dann würde ich mich mit den Plänen
meiner eignen Gedanken beschäftigen; die Welt wäre mein, ich brauchte nichts von
andern und meine Liebe würde gar nicht ein sehnendes Verlangen sondern eine wirkende
Macht sein. Clemens ich bin dumm daß ich solche Gewaltsgedanken habe, und
sage mir oft: das ist Dichtung, Du willst aber nicht blos aus feuriger
Einbildungskraft Dich selbst erdenken wie Du sein möchtest
183
sondern Du willst selbst sein.
– Prüfungen und Gefahren bestehen die aus der
Thätigkeit hervorgehen, das ist Tugend üben, daraus geht das wirkliche Sein erst
hervor. Tugend ist also das Werden, das Sein aber ist Allmacht. – Clemens!
Welche Sehnsucht habe ich zu diesem Sein! – Aus sich selbst handeln, fühlen daß
man das Schicksal beherrsche weil alle Keime zu allem, was mir wiederfahren kann,
durch mein Thun lebendig werden und zum blühen kommen und zu Früchte werden muß. –
Mit andern Worten vermöge meines Charakters und meiner Kraft handeln, und was ich
überschaue auch bemeistern in meinem Innern; das scheint mir der Heerd des Lebens,
oder der Altar auf dem die Opferflamme alles Irdische verzehrt dem innern Gott
zu ehren, und ich will dies immerhin Religion nennen, obschon dies ganz und gar
das Innerste tieffste Wurzellager ist des Geistes, während Religion doch eine
über uns selbst erhabne Einwirkung auf uns übt.
O Sonne schein hernieder und helle mir den Sinn auf, und daß ich nicht
schüchtern vor dem Schatten fliehe und daß die Zukunft nicht einst wie ein schwerer
Hammerschlag auf meine Vergangenheit falle und sie als nichtig
zusammenschmettere! – Clemens, da siehst Du wie das in mir ist was andre
Menschen mit Gebet
184
ersetzen, ich auch rufe an ein himmlisches, aber kein mit Tugenden (die ich in mir
nicht umfasse) ausgeschmücktes Phantom! – Ich rufe an, alles was meine Thätigkeit
reizt, ich sage mir, du willst alles was aus der Natur des Menschen entspringt
muthig ertragen, du willst mit rechter Erkenntniß dich von der Erkünstlung und
der Verstimmung des menschlichen Geistes ablösen und diese überwinden. Und dann sag
ich mir. Wer ist Gott? – Gott ist die Zukunft! Wen diese nicht göttlich an sich
reißt, daß er sich von den Ketten befreie aller Vergangenheit, und in der Zukunft
ganz aufgehe, den führts nicht zu Gott. Ich weiß und fühle, daß ich recht habe! –
Denn dies allein löst alle Ungleichheiten des Glückes auf. Weltbegebenheiten die
gefährlich aussehen für die Ruhe und die Gegenwart, die wallen da als reiner
geistiger Strom zwischen politischen Ufern die von schwarzen stupiden Geistern
bevölkert sind, dem Göttlichen zu; das heißt: dem die Freiheit zeugenden Gott.
Politik aber ist ein aus sehr beschränktem Interesse hervorgehendes sehr stupides
Handlen, und führt nicht zu Gott, nicht in die Zukunft, sondern es fesselt die
Sinne an eine schon im Werden vergehende Gewalt.
So träume ich, so denke ich wenn ich manchmal in der Nacht aufwache und der Mond
scheint ins Zimmer, wenn
185
das immerwährende Treiben in den Wolken die Frage an mein Geheimniß richtet, was
wird wohl aus meinem Leben werden? – Viel soll daraus werden, geb ich den Wolken
zur Antwort, aller Kampf und Wiederwärtigkeit in der dunklen Fluth der Seele
rinnt in der Schöpfungskraft der Zukunft entgegen. Vieles übt das Mondlicht in mir,
wie ein dichterisches Genie sieht es und denkt für mich und übt Talente in meiner
Phantasie, und erhebt mich so hoch über mein Sein daß ich gleichsam das
Bewußtsein davon verliere und in dem Spiel mich selbst gar nicht mehr herausfinden
kann. Ach welche schöne Träume, – ach wenn ich denen nachkommen könnte! Aber
wenn der Mond untergegangen ist und der Schlaf hat mich überfallen, dann beim
Erwachen ist keine Spur mehr von diesem Zauber in meinem Geist. Die Veilchen,
die kleine Goldstickerin von der ich Dir im vorigen Jahr schon manchmal sprach, die
hat mir von manchen jüdischen Religionsgebräuchen erzählt; wenn der Jude den
Neumond erblickt dann sammlet er seinen Geist als wolle er seiner Zauberkraft sich
unterwerfen. – Und der Jude klagt ihm und betet daß ihn der Haß gegen die Feinde
nicht verblende und daß die Verachtung dieser ihn nicht niederdrücke; und er stellt
sich vor dem Richterstuhl des Mondes, und auf seinen Heimwegen aus
186
Fremde da öffnet er sein Gewand dem Neulicht daß es seine Brust bescheine. Möchte es
auch nichts als blos Gebrauch sein so deutet es doch darauf daß er will zu einer
höheren Sphäre empor gehoben sein durch den Neumond, er verlangt von der Gewalt der
Natur daß sie ihn erhebe. Wie schön ist dies, und wie viel wahrer als wenn ich ein
Register mache meiner Sünden und mir diese schlimme Rechnung auszulöschen erbitte
von Gott! – Clemens ich habe mir dies aus der jüdischen Religion angenommen,
oder es ist vielmehr in mich wie ein Blitz hereingefahren, daß ich zu dem Mond eine
Ehrfurcht hege und ein Vertrauen und ich könnte Dir noch viel mehr sagen, aber auch
von den Türken habe ich gelernt das Abwaschen; wenn ich Abends meine Hände wasche so
dient mir das statt Abendgebet; es macht mich unendlich heiter beim schlafengehen;
– als liege ich in der Wiege einer schöneren Welt, und als werde ich aus dieser Wiege
herausfliegen und – jezt schweig ich Clemente denn Du sollst Dich nicht
verwundern über den Trieb solcher Eigenheiten, es ist ja auch nichts tiefes es ist
nur ein leises Berühren mit der Natur. Und was mögen wohl andere für Gesichte und
innerliche Seltsamkeiten haben! – Da fallt mir die de Gachet ein, sie war am
Rhein wo sie sich ein kleines Gut
ge187kauft
hat, manchmal möchte ich bei ihr sein und ich glaube auch und fühle daß sie vortrefflich
ist wie Du und Deine Freunde, aber oft zweifle ich noch an ihr, wenn ich höre, wie sie
bei jeder Gelegenheit von dem spricht – was ihr heilig sei, sagt sie; und ich hab
darüber eine Unterhaltung mit ihr gehabt, sie wohnt auf vierzehn Tage in Oberath wo sie
jezt unwohl ist, aber sie wird bald wieder an den Rhein gehen, sie frug mich ob ich nicht
mit Dir auch blos von dem spreche, was mir heilig sei? – ich lachte sie aus. – Das
machte sie böse, sie suchte mich zu überführen daß ich ganz kindisch sei und noch nichts
vom Leben begriffen habe, denn ich habe noch nicht vom Baum der Erkenntniß gegessen. – Ich
sagte, der trage Äpfel und ich mache mir nichts aus Äpfeln; wenn ich nun noch dazu gewarnt
sei daß die Äpfel von diesem Baum eine so wunderliche, unangenehme Erkenntniß des Bösen
einem beibringe das dann überall einem in den Weg trete um einem das Vergnügen am Leben
zu verderben, so wolle ich lieber nie Äpfel essen und lauter Kartoffeln, die nicht
schädlich sind. – Sie sah mich so gemischt an – sie sagte lieber gar nichts mehr. – Ich
guckte zum Fenster hinaus nach den kleinen Pflänzchen die eben begossen wurden und nach
dem Feld wo der Landmann den Acker furchte,
188
sie wohnt bei diesem Mann um das Pflügen zu lernen, denn sie will im Rheingau ihr Feld
selbst bestellen, und sie ging hinaus um eine Lection von Hot und Haar zu nehmen, den
Pflug ordentlich wenden zu lernen, sie begleitete mich noch nachdem der Pflug ausgespannt
war durch die Hecken hinter der Gerbermühle weg; sie fragte ob das nicht was heiliges sei
die Erde zu bestellen. – Das kann wohl sein, aber daß man gegenseitig sich ergieße über
seine Heiligkeit daß kommt mir fremd vor. – Ja sagte sie, fremd kommt einem das Heilige
vor, aber das Unheilige befremdet nicht, das wie ein unheimlicher Strom aller Unterhaltung
das ganze Leben mit sich reißt, und überall seinen Schlamm zurückläßt. Wer kann noch darauf
rechnen daß der Boden des Geistes wieder gereinigt werde von bösen Dünsten. Die Welt die
so schön könnte sein wird untergehen, weil das Heilige vertauscht wird mit dem Scheinheiligen.
Es wird eine große Verwirrung werden im Geist der Menschen und die das Große zu thun berufen
sind die werden das Kleine thun, so geht es mit der Revolution; der Strom des Unheiligen
darin ist zu stark, und die ihm wiederstehen die werden darin untergehen. Das Große zu
bewirken kann man immer nur die heiligsten Mittel ergreifen, wo aber zum edelsten
189
Zweck ein unheilig Mittel dient da ist er verloren und erzeugt nur Übel, sagte sie. Sie
war so schön vom Feuer ihrer Rede und von der Morgenluft. Du hättest sie lieben müssen,
ich auch liebte sie, und sie sprach weiter: Wer das große thut aus reinem Genie, nämlich
ohne sündhafte Vermittlung der eignen Schwäche, die ja doch das Große nicht zu fassen
vermag, der kann nicht untergehen. Umstände, Zufälle, Geschicke reichen diesem aus. – –
Seine Größe muß alles decken, erzeugen zaubern. War unser König wirklicher König der
nur seine Kraft sammelte durch das Genie, das immer heilig ist. – Wer konnte ihm
wiederstehen! Nicht die Nation! – Geist ist alles, er ist die Macht des Heiligen – er
fühlt sich und dies Gefühl eben macht ihn zum Herrscher. Die Zuflucht aber zu fremden
Mitteln ist unheilig, und sei der Zweck auch noch so edel und groß, er wird nie verehrt
er wird unter den eignen Trümmern begraben. – Und die Welt sieht das alles mit Staunen
an und gewöhnt sich zulezt an die umgestürzten Trümmer und baut ihr herabgewürdigtes
Leben darauf fort. – Wie die Frau das alles sagte so fühlte ich mich so sehr beklommen
vor ihr, und wie ich sah daß sie keine Thränen wollte fließen lassen, ging ich zurück
hinter einen Baum und sah mich nicht mehr um nach ihr; sie stand
190
bald auf von dem Stein wo sie gesessen hatte, sie sagte noch zum Abschied, ich solle immer
bedenken daß jeder Mensch das Recht habe der größte zu werden, und daß darin die ganze
Erziehung der Seele begründet sei, – und daß dazu nicht die äußere Größe und Anerkenntniß
gehören, aber die Geschicke die seien der Tempel aller Größe, und ihr eignes Geschick
beweise es, daß sie diesen Gedanken immer vor Augen gehabt, sie wolle Groß werden in ihrem
Schicksal, Cette pensée est mon Pilote sagte sie, et il me menera par tous les
Mondes et Cieux! – Ich vergaß Abschied zu nehmen ich sprang zwischen den Hecken fort.
Wie ich mich nach ihr umsah stand sie noch da, ich winkte ihr mit dem Sacktuch, sie
nickte mir und ging weg, und jezt legte ich mich an die Erde und ließ mein Herz
ausklopfen.
Ich war gestern in Frankfurt, es war ein Herr Burckhard da, der uns viele schöne
Bilder und Handzeichnungen zeigte, es waren meistens italienische Gegenden. Ich möchte
nach Italien, ich möchte so gern reisen, die Sehnsucht ist gar zu groß; ich beschwichtige
sie damit daß ich mir einbilde Dich bald zu sehen, diese Freude ist doch noch größer; ich
will mittlerweile recht fleißig lernen. O Generalbaß! – Werden wir
191
uns je einander bezwingen? – O Zeichenkunst werde ich je weiter kommen. Die Toni bekümmert
sich recht viel um mich. –
Ich habe mir ein kleines Kabinetchen eingerichtet, in dem ich studiere, links steht das
Klavier was die eine Wand des Kabinetchens ausmacht, rechts ist das Fenster aus dem hör ich
Abends noch den Klavierhofman gegenüber oft bis Mitternacht phantasieren und vor mir ist
der Tisch, und dazwischen noch ein kleiner Ausgang. Auf dem Tisch liegt Homer und viele
andere Bücher, und denn mein Schreibkästchen mit allen Deinen lieben Briefen. Im Homer lese
ich oft. könnte ich Dir nur darstellen was ich da für Erfahrungen mache – welche Rückerinnerungen
einer früheren Welt in mir aufgehen. Diese Götter kenne ich mein Clemens; die auf goldnen
Sandalen die Wolken beschreiten. Sie machen ungeheuere Schritte und gleiten weit dahin wie auf
Schlittschuhen ehe sie ein Bein vors andre setzen, und wenn sie sich wenden so prallen die
Wolken vor ihnen zurück, und versenken sich zwischen Geklüft und wenn sie denn vorüber geschossen
sind in ihrer Ruhe wie der Blitz, dann bricht ihr Zorn in Gewittern los. – Sieh da im Fenster steht
noch eine Hyazinthe die ich selbst früh aufzog, sie neigt sich zu
192
mir als wollte sie sehen was ich schreibe. Ich bin heute so vergnügt, und freue mich so auf alles.
Jezt werde ich ein wenig in den Garten springen und einen Grasplatz in meinem Gärtchen zurecht
machen, wenn Du wieder kommst daß wir uns zusammen darauf sezzen. Ich will ihn so groß machen
daß man sich recht bequem drauf legen kann und träumen.
Lieb mich. – Bettine.
Eben lese ich diesen langen Brief durch. – Ach wie verwirrt sind doch meine Gedanken auf dem
ersten Blatt! versteh ich denn was ich hab gesagt? – Wenn Du es vermagst einen Sinn heraus zu
denken das könnte mich noch bei mir rechtfertigen, denn gestern glaubte ich sehr deutlich mich
selbst zu verstehen. Ich hab auch so albern über Dein Satyrenbuch geschrieben, wie ein altes
Mütterchen. Und dann von der Revolution zu reden, haben meine Gedanken auch so ungebärdig sich
angestellt. Wie klar und hell ist dagegen was ich Dir von der de Gachet wieder gesagt
habe und doch hat sies selbst noch einfacher und ganz mächtig ausgesprochen. – Und doch hab
ich manchmal mich unterfangen sie zu tadlen, oder Argwohn zu hegen gegen sie – die doch soviel
größer und wahrer ist als alle andre Menschen. Gelt Clemens solche Naturen
193
wie die Gachet sind keiner Kritik unterworfen, denn sie sind weit erhaben über die
Gedanken die wie ein ungeweihter Rauch aufsteigen aus Vorurtheilen die Gott nicht wohlgefällig
sind.
Hat mir denn der Ritter nicht danken lassen für meine Sammetmütze? – und hat er sich
nicht über den antiken Lorbeerkranz gefreut. – Das hör ich so gern wenn die Leute sich bedanken. –
Wunderschöne Musik ist das meinen Ohren.
Noch eine vergnügliche Stunde muß ich vor Abgang des Briefes Dir melden. Heute Morgen als ich
den Brief schon zugemacht hatte und wollte ihn eben dem Juden Hirsch in seinen Schnappsack
werfen in der Meinung er sei es der an der Thüre klingelt, so war es der freundliche
Pfarrer Sch...z, der die Großmutter und auch mich besuchen wollte, so sagte er mir
wenigstens; ich habs geglaubt, obschon es mir was Neues war, daß mich jemand besuchen wollte,
und nun noch dazu aus der Ferne, will ein so gelehrter Mann bis nach Offenbach gekommen sein,
um mir weiß zu machen daß er vorzüglich gekommen sei mich zu sehen! so ein Pfarrer kann lügen! –
er hat mich geküßt auf die linke Wange und hat mich versichert es sei wahr. – Und Du habest
ihm schon lange meine Bekanntschaft
194
machen lassen durch Deine Gespräche über mich! – Ich wußte nicht was ich dazu sagen sollte.
– Clemente; der Pfarrer ist ein guter Kerl, aber er ist, glaub ich gewiß, ein
Aufschneider. – Er kann wohl nichts davor, er muß ja Sonntags immer himmeln. – Und er hielt
mir auch eine allerliebste Zauberrede die etwas Nachwehen von Kirchenduft hatte. Nein Clemente
die Rede war wirklich schön; – Ach er war ja gar zu gut der Mann wie kann ich doch dumm von ihm
reden; er hat mich später auch auf die rechte Wange geküßt, und hat mir gesagt wie schön und
edel – ich weiß es gar nicht mehr was er gesagt hat, denn ich war zerstreut, denn ich mußte an
einen alten Töpfer denken der gleicht ihm, von dem Töpfer will ich Dir was erzählen, was sehr
hübsches, ich hab seine Bekanntschaft auf dem lezten Weihnachtsmarkt gemacht, er hatte einen
ganzen Korb voll Thiere gebacken und bunt glaciert die bot er zum Verkauf fürs Kindervolk, das
seinen Korb umringte und mehr danach verlangte als nach allen andern Spielsachen. – Es war
auch nicht von Ohne. Zum Beispiel einen Schlitten hat er gemacht der einen Schwan vorstellt weiß
glaciert mit schwarzem Schnabel, ein Mohr steht hinten drauf schwarzbraun glaciert mit einem
grünen Kittel. Dieses Kunstwerk
195
besitze ich selbst es steht in meiner Kunstkammer, das heißt unter meinem Bett. – Dem Töpfer
hatte ich damals seinen ganzen Thonkunstvorrath abgekauft für die Kinder, jedes ging mit
einem Lamm oder Fuchs, oder Wolf, Bär, Löwe etc. ab, ich behielt das Hauptstück den Schlitten;
er wollte nun eiligst wieder Neues anfertigen und ich wollte gern mit ansehen wie er damit
fertig werde. Und liebster Clemente, ich hab drei Abende bei dem Mann zugebracht,
Frau und Kinder saßen bei der Lampe und machten Thiere die Gott nachträglich noch schaffen
muß, wenn er gerecht sein will, oder seine Unendlichkeit bleibt unerwiesen, denn was die
Phantasie der Töpferskinder erfunden hat, ist noch nicht im Naturreich geschaffen, dem Vater
war aber alles recht, er gab diesen Geschöpfen einen Schneller und einen Drucker und sezte sie
auf Postamente, sie wurden angemalt von einem Kittel mit einen breiten Schlaphut als Kopf,
er saß in der Ecke beim Feuer am Heerd, und warf einen mächtigen Schatten. Wie ich nun sah
das alles so fix ging, daß keiner zagte seine Kunstwerke zu fördern, wie keiner eine Kritik
übte, wie alles recht war was da entstand, da schämte ich mich meiner Schüchternheit.
Ich saß nun auch am Tisch und machte Thonkünste, ins Thierreich wollte ich mich nicht
wagen
196
ich machte einen Baum, auf seinen Zweigen sitzen Vögel, so recht antik mit wenig Blättern
kannst Du denken. – Kaum fing er an zu werden, so hatte der Schlaphut eine Schlange drum
geringelt, und der Töpfer Adam und Eva drunter gestellt. – –
An Bettine.
Wer kann auf Deine Briefe antworten mein Kind, da es so kalt ist hier und so einsam,
wenn Dein liebes Bild nicht neben mir stände, und alle Deine Liebe ruhig empfing, ich armer
Bewußtloser, von mir selber und von Menschen Verlassner, wäre erschrocken über die vielen
Herrlichkeiten, die Du um mich hervorzauberst; eine Welt ist mit Deinen Blättern eingedrungen,
und doch, ich bins nicht würdig, denn was kann ich Dir wieder geben? – Etwas hat mich geärgert,
aber es thut nichts, auch habe ich mit dem Fuß gestampft, das ist, weil Dich Sch...z geküßt
hat, der ein guter freundlicher Mann, aber etwas sentimental und stark wie die Großmutter ist,
leid das nicht wieder; – und was mich angeht macht er mir schreckliche Langeweile, er liebäugelt
mit dem Universum, das noch nie an ihn gedacht hat, und meint immer es meine ihn, wenn es ihn
gar nicht meint. – So viel über diesen Freund
197
der über mich mit Dir spricht, und mir sehr gern über Dich sprechen würde, daran zweifle ich
keineswegs, allein da hat er seine Mühe verloren, wenn er einen ganzen Milchkübel von Sentimenten
aus mir melken will, – und bin ich nicht ungerecht, wenn ich des Teufels über ihn werde: da ich
doch grade so mit Savigny stehe, von dem ich wieder nichts losbringen kann, darüber nur
folgende Worte: Ich gehe nun schon lange mit Savigny um und ringe vergebens gegen seine
Verschlossenheit, die mir zwar nichts verbirgt, weil ich durch lange Übung eine Sprache an ihm
erfunden habe, die er nicht spricht, sondern die sich selbst spricht. Ich empfinde diese
Verschlossenheit jezt mehr als sonst, weil ich fauler geworden bin zu buchstabiren. Seine Äußerung
über meine Bitte hierum war die, daß ich alles um mich herum eher verschließen als eröffnen könne;
dies befremdete mich nicht, weil mir es schon mehrmals geäußert wurde. Da ich nun keinen einzigen
Menschen sehe als ihn, und unser gegenseitiges Verstummen etwas peinliches hat, so lang es mit dem
Lusten zum Sprechen kämpft, so will ich diesen Lusten, der von ihm in gleichem Maaße erwiedert
werden dürfte, nach und nach aufheben. – Ich habe nun nichts mehr in der Welt, wovon ich gern rede
als von Dir, und habe weiter auch
198
niemand, mit dem ichs könnte. Savigny verstummt dann ganz, wenn ich von Dir rede, ist es
eingeborne Antipatie gegen Dich oder gegen meine Art zu sprechen. – Wenn Dichs interessirt, so lege
Dirs selber aus.
Ach ich sehe immer nach Deinem Bilde hin, und bin unendlich einsam, da hab ich gestern zwei Lieder
geschrieben für Dich.
Wie sich auch die Zeit will wenden, enden
Will sich nimmer doch die Ferne,
Freude mag der Mai mir spenden, senden
Möcht dir alles gerne, weil ich Freude nur erlerne,
Wenn du mit gefaltnen Händen
Freudig hebst der Augen Sterne.
Alle Blumen mich nicht grüßen, süßen
Gruß nehm ich von Deinem Munde.
Was nicht blühet Dir zu Füßen, büßen
Muß es bald zur Stunde, eher ich auch nicht gesunde,
Bis Du mir mit frohen Küssen
Bringest meines Frühlings Kunde.
Wenn die Abendlüfte wehen, sehen
Mich die lieben Vöglein kleine
Traurig an der Linde stehen, spähen
Wen ich wohl so ernstlich meine, daß ich helle Thränen weine,
199
Wollen auch nicht schlafen gehen,
Denn sonst wär ich ganz alleine.
Vöglein euch mags nicht gelingen, klingen
Darf es nur von ihrem Sange,
Wie des Maies Wonneschlingen, fingen
Alles ein in neuem Zwange; aber daß ich Dein verlangen
Und du mein, mußt du auch singen,
Ach das ist schon ewig lange.
Am Berge hoch in Lüften,
Da baute er sein Haus;
Am Thore liegt Gewitter,
Nun kann er nicht hinaus.
Die Wolken, sie wollen nicht ziehen,
Der Pfad ist steil und schwer,
O Lieber, Herzlieber in Lüften,
O wenn ich bei Dir wär!
Wohl bei Dir über Wolken,
Wohl bei Dir über Wind,
Wo fromme Vöglein schweben
In Himmelsluft so lind.
Meine Flüglein, die sind mir gebrochen
Und heilen auch nicht eh
200
Bis ich zu der Herzliebsten
Durch Thür und Thor eingeh!
Daß ich so stolz in Lüften
Mein Haus gebauet hab,
Das muß mich gar betrüben,
Ich kann nicht mehr hinab;
Die Riegel sind alle verrostet,
Die Thore sie gehen so schwer,
O Liebchen, Herzliebchen im Thale,
O wenn ich bei Dir wär!
Wohl bei Dir in dem Garten,
Wohl bei Dir in dem Wald,
Wo dichte Bäume stehen
Und Vogelsang erschallt.
Ich kann kein Kranz mehr flechten
Und singen auch nicht eh
Bis ich zu Dir Herzliebste
Durch Flur und Wald eingeh.
Sie dringt wohl durch die Wolken,
Geht ein durch Thür und Thor,
Die Flüglein schnell ihr heilen
Und heben sie empor,
Wohl über die Wolken und höher
Zu Gott wohl in die Höh,
201
Trägt sie das treue Herze,
Ade, Herzlieber, Ade! –
Er dringt wohl durch die Wolke,
Geht ein durch Flur und Wald,
Ein Kranz wird ihm geflochten,
Ein Lied ihm auch erschallt,
Wohl unter dem Baum und wohl tiefer
Wohl unter grünem Klee
Ruht nun sein stolzes Herze,
Ade, Herzliebste, Ade! –
Mach doch eine Melodie darauf.
Dein Clemens.
Und nun schließe ich den Brief, als ob ich das geringste Dir geantwortet hätte auf alle
Liebkosungen Deines Geistes, die in Deinem Brief in so schöner Consequenz einander folgen.
Deucht mir doch, als habe Gott Berg und Thale und alle Schönheiten der Natur in so
lieblicher Verwirrung untereinandergeworfen, als Deine Weisheit ihr gleicht, und
die Gachet hast Du so warm in Deine Begeistrung eingebettet, als sei sie Dein
Gast, dem Du den Ehrenplatz einräumst.
Du machst mich dennoch reich, obschon Du mich auch marterst, denn ich verbringe viele
Stunden einsamer Zeit mit Nachdenken über einzelnes. Deine lezte
202
Erzählung vom Töpfer hat mich wieder auf alte Sprünge geführt, ob Dein Platz nicht auf
eine Künstlerwerkstatt sich beschränken möge! – Und doch könnte mich Deine Zukunft
anklagen, Dich beschränkt zu haben mit diesem Begriff. Das Wort ist das allumfassendste
Element, das den reinsten Genuß gewährt, aber auch ist es das gewagteste, aber wer
kühn ist der muß ein Feld dazu haben; – Du bist zu allem zu lebendig, schreitest über
alles hinaus; Lernjahre kann ich Dir gar nicht zudenken, reflektiren. – Ach Kind es
ist was trauriges, lies dies Blatt was ich hier beilege und was ich an meinem mondhellen
Schreibtisch schrieb gestern, als ich Deinen Brief in der Dämmerung zum zweitenmal überlesen
hatte und über Kunst und Deine Verwandschaft zu ihr viel gedacht hatte.
Sobald wir Geschichte der Kunst sagen wollen, setzen wir eine einzige Kunst voraus, die
aber nur Idee ist, und als Kunst nie existirt hat, denn es liegt eine historische Unmöglichkeit
in der Totalbildung aller Menschen, und sobald diese eine Kunst soll dagewesen sein, müßte
diese Totalbildung dagewesen sein, und nach meiner Meinung ist nur nach dem Ende der Welt
eine solche einzige Kunst dagewesen. Es giebt keine einzige Kunst, denn die Kunst kann nie
gewußt werden, und
203
nur die Künste waren da. – Diese einzige Kunst kann nie gedacht werden, denn so lange noch
gedacht wird, ist die Kunst noch nicht bewiesen einzig, da das Denken in der Kunst aufgehoben
sein und als Gedachtes erscheinen muß. Es giebt ein einziges Leben, denn alles Leben ist ein
Gelebtes, die Kunst aber ist ein ungelebtes Leben, und ist daher im Leben unmöglich. Das
einzige Wissen ist das, dem eine einzige Kunst entgegen gesezt werden könnte; da aber diese
totale Kunst das ganze Wissen aufheben würde, indem diese sogenannte einzige Kunst das
ungewußte Wissen ist, so kann diese einzige Kunst nur im allgemeinen Tode liegen oder im
allgemeinen Nichtwissen, wir wissen von keinem Wissen als durch unser Dasein, unser Dasein ist
unsere Trennung von dem Äußeren durch die Sinne. Unsere Sinne sind der Gegensatz der Kunst oder
der Künste, und je höher unsre Sinne gebildet sind, je mehr Künste sind da, denn jedem Grade des
Wissens ist eine neue Kunst entgegen gesezt. Die Kunst ist also nimmer da als lebendig, sondern
als Tod. Denn bloßes vollendetes Dasein ist Tod, – Schönheit ist Tod – jede angenommene Kunst
als einzige Kunst, kann also nur ein verlornes sein, und daher alle Erhebung, alle Rührung
bei echten Kunstwerken nur religiös und nicht künstlerisch. Kunst ist
da204her
Bedingung der Religion, wie Religion Unbedingung der Kunst; und Kunstwerk ist Bedingung dieser
Bedingung in der Erscheinung. Wie Erscheinung Bedingung einer gewissen Construktion des Wissens
ist; aber nie des totalen Wissens, denn dieses ist Nichtwissen, weil zum Wissen keine Gleichheit,
sondern Sieg gehört. Es giebt also nur Künste und Sterben ist nur der Sieg des größeren zu
wissenden Tod, oder der allgemeinen Unsterblichkeit.
Freundschaft hat allein keine Gottheit, weil sie übersinnlich ist! – –
Hier fielen mir die Augen zu; grade im Augenblick als ich Deinem Genius widersprechen wollte,
der in einem Deiner früheren Briefe Dir diktirte Freundschaft sei Brudermord.
Ach ich bin matt und müde und höchst traurig. – Der Geist Deines Briefes ist stark compromitirt durch
den meinen, daß er Dir nicht besser zu entgegnen weiß. Adieu, lieb mich und verzeih mir alle Schwächen
die ich heute so stark in mir fühle. Ich habe heute Morgen den Savigny persuadieren wollen Dein
Bild anzusehen, und es schön zu finden, ich machte einen Versuch ihn zum Sprechen zu bewegen, allein
er sagt partout nicht. –
205 Lieber Clemens
Der Savigny kann wohl ruhig Dir zusehen wie Du schwärmst für ein Bildchen das zwar nur bemalt
auf ein kleines Brettchen doch Deine Schwester Dir lieblicher ins Gedächtniß ruft als sie wirklich ist. –
Der Savigny sieht still dem zu, wie Du und Andre ausgreifen nach Glück, und tausend Mißverständnissen
dadurch begegnen; seine Glückseligkeitslehre geht ungestört über dem Gewirr Eurer phantastischen Neigungen
weg, er sieht Eure Freuden und Leiden wie Tag und Nacht wechseln, denn wie könnte er Antheil nehmen an
dem neugefundnen Glück, daß Ihr jeden Augenblick aus dem großen Ocean der Zufälligkeiten herausfischet,
und gleichgültig wieder in diesen Ocean hineinfallen lasset, was Euch im ersten Augenblick geblendet hat.
Ihm aber wächst im heimlichen Grund eine Blume die nicht verblüht, Du nennst sie seine Studiermaschine, ich
nenne sie seine Muse. Was er hört und sieht das entgleitet seinen Sinnen wieder sobald es nicht Bezug auf
sie hat. Und das ist natürlich was Dir unnatürlich deucht. Und wo er fühlt, mag er nur sich selber in diesem
Wirken fühlen, seine Muse führt ihn mit freundlichem Anstand die Berge hinan die andre unersteiglich finden
und bereitet ihm die Ordnung die er nothwendig fordert,
206
wenn er sich einheimisch bei ihr fühlen soll, es muß ihr doch was an ihm liegen, sonst pflegte sie ihn
nicht mit dieser Sorgfalt. Drum soll Dich auch sein Stillschweigen nicht verdrießen, denn Du und ich sind
außer aller Ordnung. – Das nennt er nun verschließen, – daß seine Ordnung mit Deiner Außerordnung die
Grenzscheide zieht. – Du bist ungerecht ihm das zu verargen, aber Dir ists zu verargen daß es Dich
ungeduldig macht; ich bitte Dich was fragst Du danach, oder wie ists möglich daß Du nachträglich noch
melancholisch darum sein kannst. – Welche Freude hab ich wenn er mir schreibt, auch nur wenig Worte,
seine Briefe sind mir Heiligthümer, aber welche Freude hab ich, auch wenn er nicht schreibt, an dem
reinen Himmelsblau das die schwarzen Schwalben durchjauchzen heute zum erstenmal, die alte Kordel
freut sich, und liest aus ihrer frühen Ankunft einen warmen Sommer, ihre neunzig Jahre sonnen sich gern.
Wie schön ists an ihr daß sie an allem sich freut. Ja es giebt viele Lesearten von dem was die Seele
begehrt. – Und alles tönt in die Wahrheit die in Dir selber erklingt, und dazu kann Savigny immer
schweigen. Was er Dir wörtlich sagen könnte das ist nur Nebensache gegen diesen Hauptinhalt des Schweigens
207
oder Nichtssagens, worüber Du klagst, dessen doch sein inneres Leben bedarf.
Ich bin nicht neugierig was innerhalb seiner Geistesburg vorgeht; so wenig, als auf das was innerhalb
von Klostermauern vorgeht. Wer einmal weiß, alles geht innerhalb der vier Wände der Ordnung, wie kann
der noch Kunde davon haben wollen, und sich kränken wenn keine erschallt.
Weißt Du, es ist heute der 7. Mai, geh in den Wald, lausch der Nachtigall die drauf losschmettert,
troz dem „schweigenden Haine“ sie durchschallet das Revier allein, und allein hört sie begeistert sich zu.
Schweigt Ihr Nachbarn, denn sie antwortet eben ihr volles Leben dem Frühling, der hat sie darum gefragt.
Mit Savigny und Dir ist solch Frag= und Anwortspiel nicht, wie der Frühling und die Nachtigall haben.
– Was willst Du nun noch? – Du bist im Unrecht, und er ist im Recht in seiner Stummheit. – Du aber Clemens
darfst nicht verstummen, Du lockst wie ein Vogelsteller die zärtlichen Waldsänger; o wer hat nicht Lust ein
Vögelchen in der Nähe zu sehen, zu haschen und zu liebkosen, und dann wieder fliegen lassen. Du lockst mir sie
herbei die das Naturleben so glücklich, so ganz ergözlich bevölkern. –
208 Die Briefe Deines Ritter! – er singt ja zu mir! – und Du hast
mirs ganz verschwiegen? – und jezt bitte ich schick ihm die beiliegenden Zeilen. –
Clemens! – Ich weiß daß eine ganz eigne Polizei existirt, womit man die jungen Mädchen
verfolgt. – Und das nennt man in der Ordnung. Und aber Ordnung umfaßt nicht das Außerordentliche das sich
reimt mit dem Göttlichen. Ordnung ist hölzern, sie kann sich nicht reimen! – Aber Göttlich und
Außerordentlich reimt sich. Die Purpurröthen! sie wogen, sie durchleuchten und färben reizend die
strömenden Lüfte, lasse sie das freie Blaue in sich trinken? –
Lieber Ritter! dem Clemens zum Trotz zaubere Du doch ein wenig Roth mir in die blaue
Ferne, ich schlürfe es wie das rothe Blut der Traube, und wenn ich auch ein wenig trunken träume! –
Clemente ich muß Deiner lachen! – „Wie sie so sanft ruh'n, alle die Seligen.“ – Dies Lied
fällt mir eben ein. – Ja es ist in der Ordnung daß sie ruhen, und es reimt sich nicht auf mich, die
singt: Du o Dionisos umschlingst die Seele, und trägst aus purpurtrunknen Gluthen sie hinüber
ins ewig frische Blau! – Das ist nicht in der Ordnung (denn wer Teufel
209
versteht es) aber es ist doch unendlich schön, und reimt sich mit meiner lebendigen Seele.
Mir sind Ritters Briefe ein Zauberspiegel seiner Geistesnatur! nichts von Ordnung darin.
Aber „jeden Nachklang fühlt mein Herz“ reimt sich auf diese Außerordnung. Jeder Halm auf der
Abendwiese wiegt sich in diesem Nachklang und darauf reimt sich: „Es steht von goldnen Blumen
die ganze Wiese so voll,“ und es ist schön wie sie aus seinen Briefen mir zunicken und das
ganze Seelengeheimniß ist nur ein ewig Blühen und Fruchtbringen der Natur, an dem der Vergleich des
Herkömmlichen stumm vorübergeht; – es hat keinen Theil an ihm. – Im Geheimniß ist der Mensch frei,
er hat keinen Richter, sein Gewissen hält Wache für ihn auf der höchsten Höhe. Und übersieht und
erkennt und erreicht alles was dem Gewissen der Vorurtheils-Menschheit ein furchtbarer Kampf ist.
Wer Ewigkeit glaubt, hat die Unsterblichkeit. Wer dem Geheimniß nicht einverleibt ist, hat keine
Existenz. – Ich hab das antworten wollen auf Deine kunstvertiefte Schauung; und ich hab sie gar
nicht verstanden, und wieder gelesen und noch nicht verstanden. Und endlich hab ich aber gemerkt,
daß ich mich immer
zer210streuen
ließ durch einen schmalen Lichtstreif, der durch ein Astloch des zugemachten Ladens fiel, quer über
meinen Schreibtisch, in dem tanzte der Demantstaub des Lichtes, und ich sah ihren Contertänzen zu,
anstatt nachzudenken über das was ich nicht gleich verstand. – Jezt hab ich aber dem Astloch den
Rücken gewendet. Und da hab ich mich besonnen so scharf ich vermochte. Da sagst Du: „Es giebt
nur ein einziges Leben, denn das Leben all ist ein gelebtes.“ – Ja Clemens! – Ein
gelebtes wo jeder Athemzug ewig drinn fortlebt. – „Die Kunst aber ist ein ungelebtes Leben und
ist daher im Leben unmöglich.“ – Ach darauf hab ich mich stark besonnen; und immer schwankts.
– – Und jezt weiß ichs! – Oder weiß ichs dennoch nicht? – ein ungelebtes Leben! Mein Gott!
meine Götter zu denen der Geist alle Sinne, alle Augenblicke die Tempelstufen hinanträgt. – Wie
die Lichtstäubchen dort den Sonnenstrahl hinantanzen, – in denen aller Geist sich einwebt oder
auflöst. Ist das die ungelebte Kunst, die nicht möglich ist im Leben, – so lebt doch der Geist
einzig in ihr, und steigt bis zur obersten Sprosse der Himmelsleiter mit starkem Willen; –
mir ist bang sie muß ihm nachgeben. – Still! hier verwirrt sichs! – „Das einzige Wissen
211 ist
das, dem eine einzige Kunst entgegengesezt werden könnte.“ Ich schäm mich, eine Antwort zu
suchen. – Und doch hab ich sie: Das einzige Wissen ist der liebende Geist, die einzige
Kunst, ist das des zu liebenden Göttlichen was des Geistes Streben an sich reißt durch seine
magnetische Kraft. Die Kunst also ist ungelebte Magnetkraft die alles Leben an sich
reißt. – Ach! – in der fernsten Ferne meines Lebens sehe ich, fühle ich diese Magnetkraft mich
beherrschen, – sie ist Kunst in sich. Feuerkraft ist sie dem Geisteswillen sich zu unterwerfen.
Das Ungelebte zwingt das Lebende! – bist Dus zufrieden Clemens? – – Adieu.
Bettine.
An Bettine.
Liebes Mädchen! hier ohne Dich zu wohnen, wenn ich das aushalte, so darf ich mich meiner
Stärke rühmen. – Ach wo ists in der Welt wieder so schön, als hier in diesem Frühling hoch in
den Lüften zu schweben, dem Himmel so nah, daß jedes der sechs Fenster meiner Stube eine
prächtige Landschaft unter Rahm und Glas bringt. Nur das Große der Stadt berührt mich; die
Thürme sehen mir in die Fenster, und die
Stadt212uhren
sind meine Wanduhren, ich kann nichts thun als an Dich denken, Dein Bild hinhalten. Der
Frühling flieht von meilenweiten Bergen über die blühenden Felder und den sanften Strom, und
die klingenden, singenden, schwingenden Wälder her zu mir; und bringt Blumendüfte, Farben
und Klänge mit, all herein zu den sechs Fenstern, und da halte ich Dein Bild in die Mitte
daß es der Reichthum der Jugend umwalle. Ach warum bist Du nicht da? – Ich bin entsezlich
ungeduldig um Dich! – Überall entbehre ich Dich, und selbst an Dich zu schreiben macht mir
Schmerz, weil Du mir auch dazu fehlst! Ja zu den Gedanken an Dich, zu Dir selbst fehlst Du
mir. Und wenn Du da wärst so wärst Du überall in der Herrlichkeit. – Und alles Sprechen ist
nicht werth ein Wort darüber zu verlieren, so wie alles Schießen keinen Schuß Pulver werth
ist. – Wenn ich Dir sagen soll wie es hier ist, wie es mir ist, wahrhaftig ganz anders als
beim de Gabrielli der Sonn und Mond, Wald und Thal und Ferne und Sturm auf
ölgetränktem Papier uns so deutlich vormalte und wir uns beide freuten so herzlich darüber.
Nein es ist auf dem Papier nicht zu erschwingen was ich brauchte, Dir zu sagen, was man hier
in einer Minute empfinden kann, ich müßte in einer Minute
wahn213sinnig
und gescheut, dichtend und liebend und spottend, und lebend und sterbend sein, um Dir dies
Leben recht wieder zuzuströmen. Das Haus mitten in den Berg gebaut, aus allen Stockwerken
in den Garten, selbst aus dem Keller. Wenige Schritte oben das prächtige Schloß und Eichen
und alles. O ich möchte noch einmal närrisch werden, da ichs einmal schon bin. Daneben steht
am Garten ein hoher alter Thurm, da lassen wir nun eine Treppe hinaufführen, ich bin schon
mit einer Leiter hinaufgestiegen; oben wird ein Zelt aufgeschlagen, und da hängt man wie
ein Luftschiffer über Berg und Thal. – Ach ich langweile mich todt daß Du nicht da
bist, Bettine, daß Du nicht da bist all du Frühling, den ich so eben erzählt hab,
daß Du alles nicht da bist was da ist, weil Du mir fehlst lieb Mädchen. Gott weiß ich sehe
nur alles im Auge, im Genuß derer die ich liebe, und ohne sie ist die Welt mir eine
ausgebrannte Kohle. Aber ich liebe auch Gott und sein Werk und am meisten Dich, Du bist
mir sein Absteigquartier. Die Vögel philosophiren in den Lüften die Frösche weissagen
in den Teichen und ich versuche ihnen nachzusingen und zu quaken, derweile sie ihre Studia
absolviren. – Ach helf mit – wirke auf Deinem Fleckchen, der Welt den Frühling in seiner
Fülle
214
in den Schooß zu ergießen, damit das Leben überall sich regt; sonst kommen Vögel und
Frösche bei Euch zu kurz vor lauter Amtsgeschäften. – –
Sieh aber nur, so sind die Menschen, so bin ich auch. Gestern und vorgestern hab ich das
Vorhergehende geschrieben, da war alles das noch neu und wünschenswerth, ich konnte noch nach
Dir und nach der Natur begehren. Heute ist es schon ganz anders, ich begehre nur nach Dir, es
ist mir als hätt ich Dich in ewiger Zeit nicht gesehen, und ich empfinde recht deutlich, wie
Erinnerung und Sehnsucht einander so ähnlich sind, daß sie sich sogar ergänzen. Und was die
Erinnerung nie gewußt hat, das kann die Sehnsucht in Erfahrung bringen und es der Erinnerung
überliefern. Daß ich Dich so lebhaft vor mir sehe und in jeder Minute Deiner gedenke, ist doch
nur eine Folge davon, daß Dein Bild erst so kurze Zeit deutlich in mir aufgeregt ist durch
Deinen Brief, und hätte ich nun seit längerer Zeit nichts von Dir erfahren, so würde mein
Sehnen danach der Erinnerung die Rolle abnehmen. Die Nähe hinter und vor uns, regt uns gleich
stark an. Was wir vergessen tödten wir, wessen wir gedenken das beleben wir. Was uns vergißt
das tödtet uns. Jede Sehnsucht ist Begierde zu bilden, zu gebären,
215
jede Erinnerung ist eine Wiedergeburt. Wahrhaftig, liebes Kind, ich liebe den Frühling nur
weil ich mit innigerer Rührung Deiner drinnen gedenken mag, weil er das einzige ist das mir
in Momenten Dich würdig ersetzen kann, und er versteht und reflektirt mich doch noch nicht,
wie Du, und kann mich nicht so belehren und erquicken. Aus einer recht herzlichen offenherzigen
Liebe kann doch nur allein in der Welt etwas werden, und wenn der Menschen Geist sich nicht
recht gewaltig durchdringt und nicht recht muß, so bleibt es eine ewige Lumpenkrämerei und
giebt immer Plattheiten. So wie die Elemente sich durchdringen und die Welt bilden, und der
Geist und die Welt sich durchdringen und den Menschen bilden, und der Mensch diese Liebe
mit einem freien Blick ansieht, und indem er ihre Nothwendigkeit, und seine Freiheit in
dieser Nothwendigkeit betrachtet, den Gott erkennt und anbetet – alles das ist nur eine
herzliche Liebe, wo diese Liebe nicht ist, da ist die Dummheit und all das Böse, das uns
empört. – Ich kann mich oft recht an dem Gedanken entzücken, daß mir in Dir die Welt, die
mir gegenübersteht, die Welt, die ich gern ansehen und lieben mag, ja alles was des Meinigen
auf Erden werden sollte zum Menschen erschaffen worden ist, der mich wieder aufnimmt in seine
216
Gedanken, und sich an meinen Freuden ergözt; seitdem kommen alle freundlichen Ideen die ich
denke, zu mir zurück und denken mich wieder; und was ich anschaue mit Liebe, das schaut mich
wieder so an; seitdem bin ich zur Welt geworden und lebe das Leben das man mein Leben nennt,
das aber des Lebens Leben selber ist. – Ich habe mich oft unterfangen meine Liebe zu Dir zu
meinem eignen Werk zu machen, aber es war ein verkehrter Streich, ich bin das Werk meiner
Liebe zu Dir, und nicht diese Liebe mein Werk. – Meine unglückliche frühere Neigung preise
ich jezt hoch, denn ich habe mich dadurch erkennen gelernt, und so kann ich Dich in jeder
Minute recht verstehen und Du brauchst keinen Blick unerwiedert in die Welt zu thun; und
alles was von Dir laut wird findet einen freundlichen Richter in mir. – Gott wills so haben
daß wir uns lieben und einander belehren sollen, ich sehe es in allen Dingen, und gebe mich
dem offen hin, denn ich will nicht mit der Wahrheit streiten, denn es ist nicht möglich
sich zu trennen von dem, in dem man sich begriffen fühlt; es ist undenkbar wie alles
Resigniren, was immer nur auf sich selbst verzichten heißt. – Es resignirt Niemand, so
wenig als das Wasser resigniren kann Wasser zu sein, so lange es noch Wasser ist. – Und
Resignation ist
217
nach meinem Begriff nichts als eine lächerliche Selbstgefälligkeit in einer nothwendigen
Veränderung unserer Selbst, welche Veränderung durch diese lächerliche Selbstgefälligkeit
allein entsteht. – Resignation und Kaprise sind an und für sich dieselben tödtenden Feinde
des eigentlichen freien und vollen Lebens, das nichts von sich weiß, und das mit einer von
beiden zu sterben beginnt. Wenn wir mit Kaprise das Leben festhalten wollen, so resignirte
das Leben schon auf uns und ist im Abmarsch. – Wenn wir resigniren, so sind wir im Abmarsch,
und das Leben hat die Kaprise uns nachzulaufen oder nicht, und beides ist eine gegenseitige
schlechte Koketterie, bei der man die Zeit verliert. Denn daß wir so oder so leben, ist
grade der Beweis daß wir so leben wollen und sollen, so lange wir wollen; da das Leben die
Durchdringung des Geistes und Stoffes ist, in der sich nach ewigen Gesetzen grade die
Lebenserscheinung konstalisirt, so ists in allem. Das ganze Leben kehrt in sich selbst
zurück, und wo wir schon so in uns selbst zurück gegangen sind, daß wir von uns selbst
und also von keinem Ding uns mehr getrennt denken können, heißt es, sei der Tod; der Tod
aber ist in jedem Momente des Lebens, da das Leben nichts ist, als das ewige Zurückkehren
und Hervorgehen des Lebens aus
218
und in sich in demselben Momente. – Eben so ist das Leben in jedem Momente des Todes,
denn Leben und Tod sind eins; um leben zu können muß man ewig sterben, und um sterben zu
können ewig leben. Die Ansicht vom Leben im Gegensatze vom Tod ist eine sehr beschränkte
Ansicht, und etwa so als klage ein Handwerksbursch über die Flüchtigkeit der Zeit, weil
der viele Spaß am blauen Montag ihm den seinen so kurzweilig macht. Alle Menschen, die
ihre eigne Biographie für ihr Leben halten, und so lange einen Menschen für lebendig
halten, als seine Stelle nicht vakant ist, sind solche Handwerksburschen und ihr Leben
sind blaue Montage.
Wir leben nur durch das Bewußtsein unseres Lebens, aber ohne alles Leben überhaupt
haben wir kein Bewußtsein, und wir leben daher nur durch die Ewigkeit des Lebens, die
alles Leben ist und jedes Leben.
So giebt es denn nur ein Leben. Damit übrigens Etwas lebe, muß es im Momente erscheinen,
und also von der Zeit gefesselt sein; insofern also unser eigenthümlich Leben im Momente
liegt, ist es in diesem von der Zeit gefesselt, und hinter jedem Momente liegt dessen Tod;
der Tod also befestigt das Leben in der Zeit, die Zeit aber selbst ist ein Produkt von uns,
denn wir
kön219nen
eine Ewigkeit denken, also liegt der Tod in der Ewigkeit, und Leben ist nichts als die
Ewigkeit, die wir uns zueignen dadurch daß wir uns ein Stückchen von ihr mit einem
hinten vorgehaltnen Tod auffangen. – Doch ich kehr zu Dir zurück, liebes geliebtes
Kind, ist doch diese Reflexion schon eine Sünde gegen Dich, ich habe in Dir meine
Ewigkeit so schön gefangen, daß ich nicht länger grammatisiren darf; da das Leben
der Sprache ein Gedicht mit mir lebt, das Du bist, Du Lied vom Weibe, von Liebe und
von Gott. – Daß ich Dich so liebe, dafür danke Gott wenn es Dich glücklich machen
kann, ich danke ihm auch um Deiner Liebe willen. Es ist ein großes Erbarmen von ihm,
daß er uns alles in einander gegeben hat, und wir dürfen nicht stolz darauf sein,
denn es ist nur Gott den man liebt, den Gott im Menschen, und je schärfer und tiefer
wir blicken, je mehr erkennen wir ihn, und je ruhiger und einfacher wird die Liebe.
– Etwas Rührendes liegt in unserer Liebe; wenn ich Dir ernst über lebendige Stellen
meines Lebens spreche die nun gestorben sind, und wenn ich Deiner gedenke! – Aller
Lärm wird dann stumm, alle Menschen werden mir steinern neben Dir, und dies Stille
erwacht in eine Musik, ich möchte sie eine innere Musik nennen die sich selbst hört. Wenn
220
ich aufrichtig sein soll, spreche ich mich gegen niemand gern aus als gegen Dich,
denn Du verstehst mich und freust Dich meiner. Mit den andern Menschen verbindet mich
nichts als ihre Seltenheit. – Gute Nacht bis morgen! –
Clemens.
Sollte die Günderode Dir einen sehr wunderbaren Brief von mir zeigen, so
verwundre Dich nicht, ich bin begierig was sie darauf spricht.
An Clemens.
Es geht schlecht mit meinem Witz, Dein Brief ist wie der Blitz in mich
eingeschlagen, und ich kann Dir Neues davon sagen wie das einem thut! – Gar
nicht – thut es einem. Geist, sammt Eindruck verschwunden! erst hab ich mich
besonnen, ob ich nicht Dir diese Lähmung verschweigen solle, daß ich nämlich mit
Deinem Brief nichts anzufangen weiß, und lieber Dir etwas vorzaubere vom
Frühling, der hier gar nicht schlecht ist. Giebts der Tage viele wie der
gestrige Sonntag? – Himmelsbläue – unendliche! kräftige! vom Sonnenfeuer
durchglüht, die Bäume vermählten ihre Schatten einander, alles im schönsten
Frieden lautloser Stille, – die Orangen warfen als ihre Blüthen herunter, – da
hab ich gelegen
221
im Boskett und alle Blüthen aufgefressen, konnt nichts mehr zu Mittag essen,
die Großmama frägt ob ich krank sei, in der Nachbarschaft sind die Röthlen. –
Dein Brief kam um zwei Uhr, ich wollt ihn studieren unter jenen duftenden
Bäumen, ein narcotischer Balsam strömte aus seinen weisheitsvollen Blättern, der
Sonnenschein ging, ich hatte den Brief nicht bedacht, aber beschlafen, aber doch
blieb mein Begriff gelähmt. Der Mond kam und der Tag war noch nicht vergangen,
ich ging zum Gitter im Boskett wo die Blumen alle stehen auf hohen Paradegestellen,
man kann dran hinaufsteigen. Der Gärtner stand oben mit der Gießkanne, ich ward
ganz durstig wie sie so gierig das kühle Wasser schluckten, ich trank aus der
Gießkanne. Der Gärtner wollt es nicht leiden, ich sollte warten daß er ein Glas
hole. Ich bin dem Gärtner gut, er ist mein bester Geselle. Alles was er sagt
verbindet sich so nah mit der Gegenwart. Die Blumenglocken bewegten sich vom
Abendwind, der zieht mit sanftem Brausen durch die erfrischten Sträucher und
nimmt den Staub der Blumen mit sich fort; jeden Abend sieht der Gärtner diesem
Spiel des Windes mit den Blumen zu. Grade in diesem Monat versäumt der Wind es
keinen Abend, sagt der Gärtner.
Was ich gesehen hab noch? – Eine Biene die sich
222
ein Bad zurecht machte in dem Schüsselblatt von einer Geisblattblüthe, sie
patschte drinn herum, tauchte den Kopf unter und wusch sich von allen Seiten
mit ihrem Rüsselchen, grad wie eine Katze. – Nun denk ich, ob man eine Biene
nicht könne zahm machen auch wie eine Katze. Daß sie hereingeflogen käm,
Abends und schlief da auf einem Nelkenstock oder Wicken, oder sonst einem
Blumenstock den die Bienen lieben. Der Gärtner meint, eine oder die andere
die einen apparten Sinn habe, könne das wohl – und sagte noch allerlei von
den Bienen was die Leute nicht glauben, weil es zu gescheut wär für so
kleine Thiere, aber es sei dennoch wahr; ich glaubs, warum soll er es nicht
besser wissen, da er diese mit so großer Liebe beobachtet, das heißt mit Geist.
Die Leute sind wohl auch so dumm zu glauben, ein Gärtner habe keinen
Geist; – aber, der hat Geist – und kann also mit Geist beobachten, das heißt
mit Liebe. –
Ja Clemens, ich hab gestern Abend noch an Dich schreiben wollen,
aber ich mußte nachdenken über die Bienen. Ob sie wohl einen an der Stimme
erkennen würden? – Die Bienen haben ein fein Gehör, sie richten sich bei
weiten Ausflügen nach dem Abendgeläut, sie unterscheiden genau die Glocke
ihres Dorfs, das hat
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der Gärtner in seinem Dorf hundertmal beobachtet. Wir überlegtens noch mit
dem Heimlichmachen der Bienen; – einen Blumenstrauß im Mund, sich ins
Gras legen, und schlafend stellen. Kommen die Bienen, so muß man sie nicht
verjagen, sagt der Gärtner, wenn sie auch an den Blumen vorbei aufs Gesicht
fliegen, sie stechen nicht. – Wenn eine erst zahm ist, dann kommen mehrere.
– Das wär mir eine Freude Clemente, über alle Freuden, wenn ich so
an einem heißen Sommertag in der Lindenallee spazieren ging, und die Bienen
kämen alle von den Bäumen herabgeflogen und umschwärmten mich. Er würde
gleich mit schwärmen meint der Gärtner! – Ich weiß es – und er flög wohl
auch daneben; und ich weiß – liebster Clemente! Der ist aber kein
sentimentaler Pfarrer der mit dem Universum liebäugelt!
Bis die Bienen wirklich kommen und mich umsummen daß ich mein eigen Wort
nicht hör, hats Zeit Deinen liebenden Brief zu besprechen. Schon in Deinem
früheren Brief über Kunst, steht – – ich fühl daß solche tief durchdachte
Gedanken, die Du an mich zwar richtest, doch vielmehr der Welt angehören,
das erstemal wollte ich sie wie einen musikalischen Satz durch einen Gegensatz
beantworten, wodurch erst seine Basis begründet wird,
224
sagt der Musiker und eine Symphonie aus sich hervorzubilden vermag.
Aber Clemens, ich fühlte mich so beklommen bei Deinem neuen
Brief! – er paßt nicht zu meiner feurigen Frühlingsstimmung. „Durch Feld
und Wald zu schweifen, mein Liedchen wegzupfeifen!“ – – – er paßt nicht
zu meinem himmlischen leichtsinnigen Stubenkamerad, meinem Dämon, – nicht
Damon – der mirs unter die Füße giebt, ich soll mich nicht auf Stelzen
begeben. – Und „was kann ich, was kann ich dafür?“ – daß es mir
gar um Freundschaft und Liebe nicht zu thun ist.
Gestern Dienstag waren wir im Forstwäldchen auf einem Ball, bei Moritz
Bettmann. – Der Brief kommt nicht weiter heute, es steht ein Blumenstrauß
auf meinem Tisch von lauter Vergißmeinnicht, wunderlich gebunden wie ein
Kelchglas. In der Mitte auf dem Grund des Kelches sind Moosrosen. Wie
schön! – ja ihr Rosen seid schön und euer Gewand ist die Schönheit selbst,
und euer Reiz umwallt gleich die Brust an der ihr vergeht! und ihr seid so
schnell fort, und doch hat man so zärtlich euch geliebt – und doch seufzt
man euch nicht nach! – Warum nicht? – Hats Gott gewollt daß man euch liebe,
wie der Clemens mir sagt: ich sei berufen mit ihm zusammen daß wir
225
einander lieben, wenn das so wär daß Gott wolle wo er gar nicht zu wollen hat,
ich würde ihm widerspenstig sein, und den grad nicht wollen lieben den er dazu
geschaffen. – Denn das bändigt mich eben grade nicht, wenn er vielleicht sagte,
wie die Kindererzieher wenn sie Äpfel austheilen, magst du den nicht, so
kriegst du gar keinen! – Fühl ich mich hingezogen zu manchem, so ists
nicht aus vorbedachtem Gefühl, nicht weil ich glaub Gott hab es so gewollt, –
es würde mir allen Farbenschmelz und Heiligenschein consumiren, dies Soll
oder Muß. Die Rosen – sie glänzen im Abendschein, sie locken mich sie zu
umfassen, sie zu küssen. Ich bin ganz bei ihnen wenn wir Abends im
Mondenschein allein zusammen plaudern, und fühle mich nicht allein mit den
Blumen, wie oft mit Menschen. Und wenn es Deine eigne Ideen sind, Clemens,
die Dich wieder lieben, wie Du mir schreibst, so sind die Blumen wohl die
Liebesgedanken der Natur, von denen sie auch wieder geliebt wird. Liebesgedanken
sind sie. – Die Rosenknospe ists, sie wirft in ihrer Verschränktheit glühende
Blicke in das Auge das sich in ihrem Anschauen verliert. Wenn sie nachher dem
Tag sich erschließt, dann ist sie nicht mehr so, sie lacht dann jedem
Vorübergehenden, und wird die Blume des Tages, an
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der alle gleichen Antheil zu haben meinen. Drum als ich gestern von meinem
knospenreichen Rosenstock ein Paar davon abbrach zum Ballsträuschen, das that
ich ungern, so jung von ihrem nährenden Stamm sie zu trennen, die so an der
Grenze ihrer Jungfrauenzeit aus ihrem grünen Kinderjoppelchen recht neugierig
herausguckten, aber ich dachte: ach morgen habt ihr ja doch das grüne
Jäckchen abgeworfen und seht die Tage eurer Kindheit für nichts an. – „Und
Du! – für was siehst Du sie an, Deine Kinderzeit, daß Du so reden darfst?“ –
sagen die Rosen wieder. – Ach Rosen! – Vorwürfe von euch! – da ich doch meine
Zeit mit euch vertändle. Aus der Natur süßestem Gefühlsschmelz ihr selber
hervorgegangen! – Seid ihr Blumen nicht der Liebesdrang, der Venusgürtel der
Natur? – ihrer Lippen würzigen Athem hauchen die Blumen in reizenden neckenden
Antworten allen Liebesanträgen aller Wesen in ihr. Und die Rosen, sie sind
die Antwort die im Necken schon sich in einen Kuß verwandelt, und ohne
Widerstand durch ihre eigne Schönheit Zeugniß giebt: „die Liebe hat die
Natur besiegt.“ –
Es war mir so wehmüthig gestern Abend mit meinen Rosen allein, und bin
ungern von ihnen geschieden um schlafen zu gehen, und hab mich noch recht in ihr
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weiches junges Grün hineingeschmiegt zum Abschied! – Und hab so wunderliche
Träume gehabt in der Nacht. – Sonnenstrahlen die scharf und rein durch dichtes
Gewölk auf mich trafen, und da war alles in üppiger Blüthe um mich her und
athmete kaum vor Schwüle, und ich stand da allein unter diesen Blüthen allen,
mit offner Lippe nach einem Tropfen Labung. – Ach heißer Tag, Du drückst die
Blumen! – so dacht ich dort. Es that mir so leid daß ich nicht den Regen ihnen
aus dem Gewölk niederschütteln konnte, und als ich aufwachte war mirs noch
schwermüthig, und heute den ganzen Tag so fort. – Wenn nicht eins mir Freude
gemacht hätte. – In der heißen Mittagsstunde kamen wirklich ein Paar Bienen
hereingeflogen, umsummten meine Rosen, meinen Maiblumenstrauß, meinen Basilikum,
meine Ranunkel sind noch nicht offen, schmecken den Bienen auch nicht, Nelken
sind auch noch nicht aufgeblüht, die sind aber wahre Lockspeise für sie, und
die stehen doch schon alle da, daß sie von ihnen gesehen werden, was in der
Zukunft auf sie wartet, sie werden wiederkommen und werden sich in meinem
Wirthshaus betrinken, dazu mache ich ihnen Musik. Gleich als sie ankamen heut,
so nahm ich die Guitarre und klirrte ihnen was drauf vor, sie summten, es war
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ein deliciöses Doppelconcert und hat mir meine Munterkeit wiedergegeben, die mit
einem Fuß schon ausgeglitten war und schier in den rauschenden Bach der
Empfindsamkeit wäre gestürzt. – Adieu! – ich und meine Bienen, was kann ich
mehr verlangen.
Bettine.
Meine liebe Bettine.
Da ich vermuthe daß Dich ein kleiner Ärger weiter nicht ins Grab stürzen wird,
so hab ich einigen Lusten mit Dir zu schmälen. Stelle Dir vor, einiges in Deinem
Brief hat mir einen unangenehmen Eindruck gemacht, zum Beispiel das mit
dem Rosenstöckelchen. Es kam mir immer vor als sei es recht artig, eine
gewisse Rührung bei unschuldigen Dingen zu empfinden, ja zur Noth könne man auch
sagen, es war mir als müsse ich es umarmen, aber es wirklich zu umarmen und noch
gar dabei in wehmüthigste Gedanken zu versinken, das geht etwas in die Wildniß
und ist stark empfindsam, hält auch nicht Stich, stelle Dir vor an welchem
knappen Fädenchen die Geschichte hängt; fällt sie, so fällt sie mit der schönsten
Empfindung ins Lächerliche, denn eine gelbe Rübe, eine Kartoffel sind doch eben
so unschuldig als ein Rosenstrauch, und dennoch
229
wäre Deine ganze Umarmung verunglückt, wenn das Rosenstöckelchen sich in eine
solche Rübe verwandelt hätte. Auch hast Du bei näherer Beleuchtung wohl nur
einen erdnen Topf umarmt. Wenn ich der Rosenstock gewesen wär, so hätt ich
gesagt: Oho, schönstes Kind! und dann hättest Du wahrscheinlich gelacht. Ich
hoffe Du gewöhnst Dir täglich mehr solche Explosionen ab. Du weißt wie oft
ich Dir über ähnliche Anfälle gepredigt habe. Auch das lange Herumtragen
und Betrachten der Träume ist kindisch, und während man auf eine Menge schöne
Empfindungen, die man bei Gelegenheit solcher Träume hat, bei hellem Tag auf
eine geträumte Weise stolz wird, vergißt man eine Menge zu thun, was wirklich,
wahr und Pflicht ist. – Wie viel gescheuter wärs gewesen, wärst Du auf dem
Ball recht vergnügt gewesen und hättest mir das meiste, ja alles erzählt, das
hätte mir weit mehr, ja unendlich viel Spaß und Freude gemacht. – Sehr artig
wärs, wenn Du doch einmal Deine Träume gern näher überlegst, die Nacht drauf
in einem neuen Traum den vorigen zu bedenken, bei Tag aber recht lustig und
vergnügt, und fleißig zu sein, denn sonst läufst Du Gefahr einem gewissen Mann
ähnlich zu werden, der sehr bewandert in der Sternkunde war, und alle
230
Augenblicke in einen Graben fiel; ja endlich elendiglich in einem Brunnen
ersoffen ist, weil er immer gen Himmel guckte; Du läufst Gefahr daß die
Leute sagen, sie ist sehr klug im Traum, aber nicht recht gescheut im
Wachen. Ich bitte Dich um des Kaisers seinen Bart willen, werde nicht
empfindsam, und lasse Dich nicht von dem Lied der Katzen sogar rühren,
gehe spazieren, gebe Dich mit der Toni, mit der Lotte ab
und freue Dich ihrer vernünftigen Kälte. Ich bitte Dich um alles in der
Welt, werde keine Seraphine Hohenacker die Geisterseherin! –
Wahrhaftig dann mußt Du am End verzweiflen, denn ich werd alle Tag gescheuter
und unempfindsamer, es ist was miserables um einen empfindsamen Menschen in
der Welt; und zwar grade, weil die Welt nichts weniger als empfindsam ist;
und einem kein Baum aus dem Weg geht, oder beweint, wenn man sich ein Loch
an ihm in den Kopf stößt. Wenn Du überdem wüßtest, wie man durch Kränklichkeit
zu all diesen zärtlichen Empfindungen kommen kann, und daß die Besessenen und
Hexen in den vorigen Jahrhunderten nicht anders als solche hypochondrische
Personen waren, so würdest Du Dich noch mehr hüten in eine solche
Empfindsamkeit zu fallen. Dagegen hilft oft viel Bewegung, Springen, Singen
231
und Tanzen, Beschäftigung, der Agnes helfen in der Küche, wenn sie
allenfalls einen guten Kuchen backt, den auswälchern, kneten und in die
Backschüssel hineinrunden, oder auch einen ordentlichen Aufsatz machen, selbst
über die französische Revolution wär mir lieber, und ich bin jezt sehr
bestraft dafür, daß ich dies Interesse bei Dir untergraben hab. Ich bitte
Dich wenn es noch Zeit ist, ergreif es wieder, hol Deine alten Tagebücher
hervor, in denen wirst Du Anknüpfungspunkte genug finden, es war manches
so Schöne, so wahrhaft Große darin; ja ich kann Dir sagen daß ich manches
draus erfaßt habe als ganz neu gedacht und als gut gedacht, es hilft einem
auch zur Vermeidung aller Liebesgedanken, das Große, das Wesentliche der
Welt zu seinem Hauptthema zu machen. Dort bist Du ja auch auf dem Boden,
der Deinem Geist die wahre Elasticität giebt. – Der Empfindsame bringt auch
nie etwas hervor, weil er sich keines Dinges bemächtigen kann, sondern
nur von allem überwältigt wird. Ich habe überhaupt einen entsezlichen
Widerwillen gegen die Empfindsamkeit, denn sie wird über nichts empfindlicher
als wenn man sie für eine Kränklichkeit erklärt, da sie eine Feinheit
der Seele sein will.
232
Was ich aber unter Empfindsamkeit verstehe, wirst Du wohl wissen. –
Nichts vor ungut, Du weißt daß ich Dich vernünftig liebe und es gut meine.
Es würde mich freuen wenn Du etwas Geschichte läsest, und ausserdem
meistens Goethe, und immer Goethe, und vor allem den
siebenten Band der neuen Schriften, seine Gedichte sind ein Antitodum der
Empfindsamkeit. Aber als Geschichte rathe ich Dir Müllers Schweizergeschichte,
es ist etwas himmlisches, ich glaube Leonhardi hat sie. Es sind zwar
einige dicke Bände, aber desto länger dauert die Freude, setze Dir täglich
ein Paar bestimmte Stunden wo Du drinnen liesest. – Wenn Du Dich meines
heftigen Unwillens erinnerst, den ich in Offenbach hatte, so oft ich alberne
Bücher bei Dir fand, so wirst Du mir das Recht zugestehen, mich sehr zu
beklagen daß Du jezt vermuthlich alles lesen magst was Dir vorkommt.
Überhaupt ist es mir sehr verdrüßlich, daß Du mir nichts von Deiner innern
Bildung schreibst, mich nicht fragst was Du lesen sollst u. dgl. Was soll
alles Phantasieren über dies und jenes, was nun einmal so ist wie es ist.
Besser wäre es wenn Du Dein Vertrauen zu mir so benüztest, daß Du mir Einfluß
in Deine Bildung gönntest. – Daß
233
Du mich über alle Lectüre um Rath fragtest – und dergleichen. –
Um eins bitte ich Dich noch in Deinen Briefen, nämlich gebe mir immer
Nachricht, sobald irgend etwas Bedeutendes bei Euch vorfällt, von jeder
Reise, sobald Du davon erfährst. – Meine Briefe an Dich zeige Niemand,
mit solchen die betrübt sind, wie immer ohne Ursache, habe Mitleid mit ihnen,
suche aber nicht etwa sie zu trösten, indem Du beim Lichte besehen in dieselbe
erbärmliche Stimmung Dich herabsinken läßt und auch betrübt wirst. Der Umgang
mit solchen Leuten ist deprimirend, und zerstört alle Kraft in uns. Daß Du
übrigens dieses nicht so wörtlich nimmst wie Eulenspiegel, hoffe ich. – Du
könntest mir einen großen Gefallen thun, wenn Du, doch ohne Übereilung oder
Faulheit, mir ein halb Dutzend leinene Stiefelstrümpfe stricktest, aber nichts
weniger als fein, sondern nur stark und derb. Toni wird so gütig sein,
Dir das Garn nach Offenbach zu besorgen. Auch höre ich gar nichts mehr
von Lulu und Meline, es thut mir leid, daß Du von diesen
Deinen treuen Gespielinnen gar nichts zu schreiben weißt. Schicke mir doch
mit umgehender Post einige Loth der besten schwarzen Kreide, auch etwas weiße,
auch englische ist mir lieb; es ist für einen
234
armen Jungen hier, der ganz vortrefflich zeichnet, schicke sie aber ja
gleich. Von Savigny hab ich keine Grüße an Dich, wenn Du etwa danach
fragen solltest, ob er sich Deiner noch erinnert. – Er hat seine Studien
und seine Freunde, und denkt an sie, wenn sie ihm ins Gedächtniß kommen, er
schreibt öfter an Gundel, vermuthlich weil er ihr manchen Rath
giebt. Savigny der immer helfend und wohlthätig ist, nützt ihr
unstreitig viel. Dir kann er in dieser Weise nicht nüzlich sein, deswegen
schreibt er an Dich nicht, ich finde das ganz natürlich, da er in Sachen
des Ungangs ganz anders denkt als ich, so würden wir uns oft stören. Du
verlangst ja wohl auch nichts weiter als daß ich Dir alles was ich weiß
und für Dich gut finde, Dir von Herzen mittheile, und ich verlange daß Du
mir traust. – Sei kein Allmein, schicke die Kreide, stelle Dich nicht
so heilig, nehme das Leben leicht, und Deine Pflichten ernst, lerne mit
vernünftigen Leuten lustig und fröhlich umgehen, und habe mich in vernünftigem
Andenken.
Dein ehrlicher Bruder Clemens.
Noch etwas! – verphantasiere Dich nicht mit dem Gärtner! – er ist ein
guter vernünftiger Bursche an seinem Platz, nämlich unter Kraut und Rüben. Es ist
sein romantisch Leben ganz gut mit den Blumen, das
235
aber doch gewiß halb aus Deinem Magen kommt. – Aber einen tüchtigen Kohl muß
er mir doch auch ziehen und muß seinen ordentlichen Respekt davor haben. –
Lieber Clemens.
Liebe Günderode! denn lieber Clemens, ich muß doch gewiß einen
haben, bei dem ich Dich verklage, Dir ins Gesicht kann ichs nicht alles sagen
was ich schlimmes von Dir weiß und aus Deinem Brief heraus sogleich entdeckt
habe. Ach ich möchte gar zu gerne nicht pfiffig sein, und lieber gar nichts
merken, aber wenn ichs nun einmal gemerkt hab, wie soll ichs machen, es
übergehen würde doppelt listig sein. – Also schreib ichs hier ans Günderödchen,
da kannst Du gleich erfahren wie zwei Mädchen sich über einen listigen Jüngling
lustig machen. Also denk nur Günderödchen, der Clemens ist
eifersüchtig über den Gärtner. – Lies nur diesen Brief von ihm, wo er gleich von
vorne herein mir meine Sentimentalität mit den Blumen vorwirft, und wirklich die
Vergleiche bei den Haaren herbeizieht. Kartoffel, Gelerüb, Rose! – und dann
ich wär sentimental, und dann mir Heilmittel eingiebt, ein halb Dutzend Paar
leinerne Stiefelstrümpf, an denen ich ein halb Dutzend Jahre knottlen soll, um
236
mich zu kuriren, und denk doch Günderode, so geht das drei, vier Seiten fort, aber
von dem was ihn eigentlich ärgert, davon weiß er nichts zu sagen, da ist er
ganz unschuldig. Mit der gesunden Lotte soll ich umgehen, um von meiner
Empfindsamkeit mich zu heilen, schwarze Kreide soll ich ihm schicken und weiße
Kreide, und von meinen Geschwistern soll ich ihm schreiben, von denen wisse
ich nichts zu sagen, wirft er mir vor, – und ich hatte mir doch vorgenommen
ihm zu schreiben, daß Lulu ein kaffee- und milchfarbnes seidnes Kleid
an hatte, was ihr so sehr schön stand. Vom Ball soll ich ihm erzählen,
schreibt er, wie kann ich das? – Wollt ich mein Liebesabenteuer von jener
schönen Ballnacht ihm mittheilen, das wär ihm wohl gar nicht angenehm. Günderode,
davon lasse Dir ja nichts herauslocken, von meiner triumphirenden Heimfahrt
erzähle ihm nichts, und wen ich beim Aufgehen der Alba, am Wege stehen sah,
der mich grüßte und dem ich meinen Kranz aus dem Wagen zuwarf, das schreib ihm
nicht, das bleibt unter uns Mäderchen! – Und die Revolutionsgeschichte
mit allen ihren Rebellern hier in Offenbach und mit meinen tausendfach facetirten
Reflexionen darüber, die meint er soll ich wieder hervorholen. – Ja wenn er
wüßte, was wir zwei beide, ich
237
und Du, alles schon drüber mit einander gedacht und verhandelt hatten und was wir
niedergeschrieben, und auch so manches Blatt schon zerrissen haben. O Günderode,
damals hatte er auch keine Ruh und predigte Dir so lange, Du solltest mich davon abbringen,
so hatten wir denn beschlossen, im Stillen darüber uns allein Rechenschaft zu geben,
weil doch diese Weltangelegenheit eine ganz andre lebendige ins tiefste Denken
eingreifende Gewalt ist, weil sie doch ein Richteramt führt über alle heiligen Rechte
der Menschheit, weil sie doch in sich selber eine ganz von allen Urgründen der
Lebens- und Bildungsstufen aufstrebende Geistesbahn ist. Geschichte studieren! Müllers
Schweizergeschichte! bon! Aber sie ist vorbei, gedürrte Quetschen, schmackhaft
zwar, aber was soll ich mit Backobst! – was soll ich mit euch – ihr krüppeliches
Winterausdauerungsprodukt, bin ich ein Hamster der beide Backentaschen voll in seine
Vorrathskammer aufspeichert? – Nein ich bin eine frank und freie lustige helle Bergquelle
vom Zufall oft durch Wüsten und Paradiese hinrauschend mit gleicher Lebendigkeit; gehts
über Klippen, dann ist er gleich noch einmal so aufgeregt, da stampft er, da gischt er,
da dampft und braust gleich seine Lebenskraft heller aus dem lichten Schaum hervor. Nein
ich bin
238
nichts. Aber wenn einer das sagt, dann bin ich gleich etwas. – Auch fürchtet
der Clemens, ich lese alles durcheinander – und macht mir Vorwürfe, er denkt
Romane können mir die seltsamen Gedanken einprägen, und wenn er wüßte, daß keine Romane
mir je gefallen können als nur meine eignen! – giebt es etwas ärgerlicheres als
Liebschaften sich vorerzählen lassen, wo man sich gleich wundert wie die Schafe, welche
auf diesem Romanen-Teppich weiden nur zu diesem Schwindel kamen, und der meint dazu käme
ich. – Noch eine ganz närrische Seite tritt oft wie ein mir unverständliches hebräisches
Wort auf den Lehrstuhl, und zwar mit den feierlichsten Gebehrden, so daß ich im Anfang
ganz ängstlich wurde und mir vergeblich den Kopf zerbrach, was das sein möge. – Von nun
an beseitige ich meine Scrupel, weil ich erst jezt deutlich sehe, daß der liebe
liebste Clemens auch von allerlei ihm selbst nicht recht deutlichen Beweggründen
angespornt wird manches zu wollen, zu fordern, zu betheuern. Das Wort ist Pflicht.
„Thue Deine Pflicht mit Ernst – das Leben nehme leicht“. – Seh ich mich um nach meiner
Pflicht, so freut michs recht sehr daß sie sich aus dem Staub macht vor mir denn erwischte
ich sie, ich würde ihr den Hals herum drehen!
239
so erpicht bin ich gegen sie. – Nun ich hoffe daß ich und meine Pflicht nie zusammen kommen,
falls eine sollte auch auf mein Loos gekommen sein, – ich würde sie mit meinem ernsten
Blick schon in Schranken halten, daß sie mir nicht über den Hals käme, ich verstehe keinen
Spaß hierüber, meine ganze Natur kommt in Aufregung und Kräfte machen sich in mir auf die
Beine, die alles in Grund und Boden trampeln, was sich mir aufsätzig machen will. Also Pflicht
halte dich im Hintergrund, wenn du nicht abgedroschen sein willst. – Meinetwegen geh zum
Herrgott und klag daß du nichts bei mir ausrichten kannst, wenn ich ihm's vorstell, wird er
schon Raison annehmen. Heilige Harmonie der Natur, dich wollen sie aus dem Geleis bringen
der einzig göttlichen Sphäre, der Freiheit nämlich, und wollen zur zinspflichtigen Pflicht
machen alles, bis auf den Adel der Seele sogar, aus dem alles Große entspringt. – Entspringen
heißt ja aber schon dem Strang der Pflicht ausweichen, ich aber entspringe ihr nicht, ich
wende mich grade um gegen sie, seh ihr scharf ins feige Angesicht und sage ihr: Weiche
zurück vor meinem reinen Instinkt des reinen großen Mächtigen, von dem du dir nichts träumen
lässest. – Und denk Günderode, auch meine Träume greift mir der liebe
240 Clemens
an mit seiner Satyre, und wenn er doch in unserm Traumbuch läse, wo wir so seltsame wunderliche
Sachen und Gedanken schon aufgeschrieben, aus denen Du schon Stoff zu manchem schönen Gedicht
gefunden hast. – Wenn er Deinen Franken in Ägypten läse, ein geträumtes Abenteuer gab dazu den
Stoff, – aber jezt werd ich gleich einmal meine Pflicht überschreiten und werde ein bischen zum
Gärtner gehen, da es die Abendstunde ist wo er begießt, da hab ich ihm versprochen zu kommen
und zwar nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Lust am lieblichen Geschäft, aus Lust an alle dem
frischen Leben, was sich in dem schönen Schmelz der Farben regt, am Wachsthum der Knospen und
an Allem in Allem! und auch zum Kohlbeet werd ich gehen, was der Clemens für des Gärtners
Pflichtniederlassung hält. – Ich werde mich da mit meinem Pflichtstrickstrumpf hinsetzen und
etliche Pflichtmaschen stricken, ich werde aus Pflicht gegen meine Bildung in der alten
Schweizergeschichte lesen, daß der Teutone keine Stiefelstrümpfe trug, als er noch ein freier
Mann war, ich werde also aus Pflichtgefühl am Altar der Freia mein Strickzeug niederlegen und
das Gelöbniß ihr thun, nie wieder Stiefelstrümpfe zu
241
stricken, die dem freien deutschen Charakter Fesseln anlegen! –
So weit meine Mittheilungen an die Günderode, lieber Clemens, über Deinen Brief;
ich hab ihr zwar nicht wörtlich so geschrieben, denn es braucht zwischen uns der Worte nicht so
umständlich, und diesmal war sie selbst hier, und wir gingen zusammen spazieren im Boskett, und
wir lachten am aller vergnüglichsten über deine Besorgniß um meine Melancholie, hinter der sich
doch nur immer die Langeweile verbirgt, da ich die aber gar nicht herberge, da ich wie ein
kleiner Sprizteufel, oder sogenannter Laubfrosch (Rakette) feurig herumhüpfe, Morgens aus dem
Bett in den Garten baarfuß, denn ich hatte ja wahrhaftig gestern meine Studienbücher liegen
lassen. – Dann wieder hinauf, angezogen, dann zur Großmama frühstücken, dann Klavier exercieren,
Generalbaß, – Hoffmann kommt entwickelt kabalistische Mysterien der Musik, die ungeheure
Kabale und Chikane ihrer Thorsperre; der geniale Hoffmann, der Mann des Ruhmes und der
Begeistrung hebt diese Gesetze mir zu lieb auf, namentlich die der Metrik, die so engherzig sind
daß jedem Volksredner in dieser engen Taille der Athem ausgeht. – Jezt macht mirs Freude zu
componiren. – Hymen der
242
Diane, Päane an Dionysos, von Stollberg übersezt. – Ja das macht mir Freude, ich
klettere als Abends aufs Dach von der Wäschküche, dort erfind ich die wunderlichsten Wendungen.
Der Himmel röthet sich davon vor tiefem Mitgefühl, und die Sterne drängen sich herbei und lauschen,
und Hoffmann lauscht auch, er ist unser nächster Nachbar. Meine Stimme ist durchdringend,
wär mein Geist es auch! – Hoffmann kommt am Morgen in die Stunde, kann meine Melodie
halb auswendig, was ich mit Bleistift notirt habe, kann er meist besser als ich – übers Metrum
streiten wir zwar nicht, denn er will durchaus es soll sein wie ichs ursprünglich singe, Tackt
und Auftackt kommen in Subordination und dürfen nicht ihre herkömmliche Observanz mehr geltend
machen, er sagt wenn ich mich hineinstudiere, so wirds der Musik eine neue Bahn brechen.
Närrischer Kerl! willst mir schmeicheln, mir Muth machen zum Lernen; weiß ich doch daß ers mir
weiß macht, so trägts doch meine Begeistrung unendlich hoch! zu unerhörtem noch
ungehörtem. Hoffmann machte als ein kraus Gesicht. – Aber denk doch – bald gewöhnte er
sich – nein er verliebte sich hinein – und lezt als er in einem Concert phantasirte auf dem
Klavier, hat er alles ineinander geflochten;
243
es war schön, ja so begeisternd schön, ich wußte nicht was ich hörte, ich konnte meinen Ohren
nicht trauen! es kam mir so deutlich vor als habe ich das gesungen. Als er am andern Tag in die
Stunde kam und fragte wie sein Spiel mir gefallen habe, sagte ich ihm mein Entzücken, aber doch
sei es mir so bekannt vorgekommen, ich hätte beinah jede Wendung vorausgeahnt, so fremdartig
sie auch geklungen habe. „Ja freilich es sind Ihre eignen Wendungen.“ – Gott, ich war ganz
beschämt, daß ich so schön gefunden was ich selber erfunden hatte, er tröstete mich aber! – er
sagte, er habe die Mauer zu übersteigen oft Lust gehabt, allein über einem gelehrten Musiker
fallen die andern alten Generalbaß-Tyrannen wie die Krähen her, rupfen und hacken ihn, aber
eine unschuldige Liebhabercomposition berücksichtigten nicht diese alten Hintersassen des
Hochmuths und der Pedanterie. Andre mit gesundem Gefühl begabte werden diese Lieder schon
ihrer Eigenthümlichkeit halber gern hören und gern nachsingen. Denn aus fremden Landen komme
manches in der gestatteten Harmonieenfolge unerhörtes und doch errege es selbst das verbildete
Ohr zum Genuß, glaubt, es wird am End dergleichen keinen Widerspruch mehr erleiden, die
unschuldige Weisheit muß sich einschwärzen.
244
Genug vom Generalbaß. Du siehst, lieber Clemens, daß er seinen Platz in meinen
verschiednen Interessen behauptet. – In meinen Heften die ich vor vierzehn Tage, also zum
1. Mai geheftet habe und die den ganzen Monat ausdauern sollten, hab ich schon jezt kaum Platz
Randglossen zu machen, so hats Ideen geregnet mit dem Mairegen. – Ich hatte nämlich aus
Pedanterie mir meine Hefte numerirt und eingetheilt auf jeden Tag so viel Seiten, heute in
der Geschichte, morgen Musik, übermorgen Ph., ich sags nicht was, aber Philosophie ists
nicht, die mich übel anriecht auf hochdeutsch. – Aber es ist das schönste weisheitsvollste
Wissen für mich, in dem ich unendliche Aufschlüsse finde von Sonne und Mond und allem was war
und noch sein wird, und hab ich wollen eine Einrichtung der Ordnung machen und einmal
Pflichtgefühl spielen, und alles war in schönster Ordnung und Gelöbnisse sie nicht zu
überschreiten. Aber Mirabeau hat Recht behalten, mein Genie hat diese Ketten gesprengt
wie ein Pulverthurm, der in die Luft flog und alles untereinander warf, es ist kurios mit
anzusehen. Aus den vier Heften ist keins zu unterscheiden was es behandlen soll, schon auf
der dritten vierten Seite ists wie unterirdisch Feuer, das sich aus dem Schooß des
Wissenschaftlichen
her245vorwühlt
und wie eine Lava alles verschüttet. Das Erdreich über das solche Lava sich ergießt, soll
am fruchtbarsten werden.
Ich hab schon sehr genug geschrieben! – Doch kann ichs nicht unterlassen, noch alles was
den ganzen Tag mich wie einen Bratapfel auf dem häuslichen Heerde dem Feuer aussezt und gahr
macht, hier zu notiren. – Auf die Darre bei der Großmama komme ich auch jeden Tag ein Paar
Stunden, des Unendlichen unendlich viel was da vorkömmt. – Vorzüglich eine Reise zweier
Erdwürmer ihr vorzulesen, welche die Erdschichten untersuchen. Die Großmama schluckt Kohlen,
Kalk, Kreide, Kies, Kranit-Lager hintereinander (fünf K von ungefähr), ich bin immer froh
wenn die guten Herren ins Wirthshaus einkehren, wenn sie die Schnapsflasche herausholen und
die Wurst, wenn sie die Nachtmütze überziehen und aufs Ohr sich legen, aber ich kann ja nicht
mit ausruhen, ich muß gleich weiter – das ist meine peinlichste Zeit, ich seh auch die
Großmama oft so stupid an, daß sich die Verwunderung darüber auf ihrem Gesicht malt. – Jezt
denk Dir die Emigrantenangelegenheiten noch alle unter meiner Obhut, alle Wege wozu einer
zu faul ist die Beine aufzuheben, fliege ich im gewaltigen Sturmflug hinab, hinan. Die
frühen
246
Morgenthauwege wo ich allemal mit nassem Schuhwerk heimkehre und bringe einen Strauß mit. –
Und das ist doch noch nicht alles: Hühner und Hunde der ganzen Nachbarschaft wollen auch sich
mit mir abgeben, und Deine Stiefelstrümpfe stellen sich nun gleich einer Heiduckenwache vor
die Thür des Gartens des Lebens, „wo die wirbelnden Blüthen im Winde sich drehen.“ –
Lied componirt von Sterkel. Adieu! –
Liebe Bettine! –
Ich gebe Dir in wenig Worten eine recht erfreuliche Antwort auf Deinen lieben tollen
wunderlichen Brief, der wie alle Deine Briefe nicht zu beantworten ist. Denke Dir – in
vierzehn Tagen seh ich Dich wieder! – Den 1. Juni bin ich in Frankfurt, und den 1. Juni ist
mein lieber Freund Achim von Arnim in Frankfurt! Ritters großer Nebenmann in
der Physik. – Die eigentliche große Freude die mich hinzieht, ist, daß Du meinen lieben
göttlichen Arnim kennen lernen wirst, und ein freundliches Bild mehr in Dein Leben
tritt. Es wäre schön wenn Du um die Zeit in Frankfurt sein könntest, wo nicht! – wo nicht,
so bringe ich ihn nach Offenbach! Gott gebe dann besser
247
Wetter als nun, damit Dein Kabinet, der Garten brauchbar ist, uns drei mit einander zu
erfreuen. Versteht sich daß Du niemand vom Inhalt dieses Briefes erzählst.
Ich schreibe Dir hier einige Lieder der Minnesänger aus dem Altschwäbischen her, die ich
soviel es der Reim erlaubt übersezt habe. Es giebt wohl kein Gedicht mit so viel Klang als
das erste, es ist vom Herrn Ulrich von Liechtenstein an seine Geliebte, und nun an
Dich von mir, an die Alles von mir ist.
Wohl mir der Sinne,
Die je mir gegeben die Lehre,
Daß ich sie minne
Von Herzen je länger je mehre,
Daß ich ihr Ehre
Recht als ein Wunder so sunder so sehre
Minne und meine sie reine, sie selig, sie hehre.
Selig ich wäre,
Ja ganz ich in Freuden erglühte,
Wollte mein Schwere
Bedenken ihr hohes Gemüthe.
Nimmer doch müde
Werd ich zu ringen mit singen im Liede
Wie ich mir hüte ihr Güte, sie Blume sie Blüthe.
248
Mit Händen umfalte
Ich flehentlich auch ihre Füße,
Daß wie Isalde
Tristanten sie mich trösten müsse.
Und mich so grüße
Das ihr Gebäre mein Schwere versüße,
Daß sie mich scheide von Leide, sie liebe sie Süße.
All mein Gedanken
Dabei meine Sinn allgemeine,
Gar ohne Wanken,
Besorgen besonders das Eine,
Wie ich ihr bescheine,
Daß ich nun lange mit Sange sie meine
In stetem Muthe sie Gute sie reine.
Sehnlich ich ringe,
Daß einstens bei grauendem Haare
Freudig ich singe
Wie ich ihr Herz noch bewahre.
Traurige Jahre
Wird sie mit Blicken erquicken für wahre
Dann wird mein Singen verjüngen die Holde, die Klare.
Es hat mich einige Mühe gekostet es Dir zu übersetzen, und ich habe es daher, doch
fast zu seinem Gewinnst, etwas verändern müssen.
249
Es stund eine Frau alleine
Und harrte über die Heide
Und harrte wohl ihres Lieben
Ein' Falken sah sie da fliegen.
O wohl dir Falke, frei du bist,
Fliegst hin wo dirs am liebsten ist
Erwählest dir im Walde
Einen Baum der dir gefalle.
Und also hab auch ich gethan,
Ich wählt‘ mir selber einen Mann,
Den suchten mir meine Augen,
Den halten mir schöne Frauen.
O weh wann lassen sie mein Lieb,
Hielt ich doch ihre Trauten nie!
Dies und das folgende ist von Herrn Dietmar von Ast dem Minnesänger.
Auf der Linden obene
Da sang ein kleines Vögelein,
Vor dem Walde ward es laut
Da hob sich neu das Herze mein
,
An einem Ort da es eh schon war,
Da sah ich Rosenblumen blühn,
Die mahnten mich der Gedanken viel
Die mich zu einer Frauen ziehn.
250
Es dünket mich wohl tausend Jahr
Daß ich in Liebesarmen lag,
Und ohne mein Verschulden gar
Miß ich das nun schon manchen Tag,
Ach seit ich keine Blumen sah,
Und hörte kleiner Vöglein Sang
Seit war all meine Freude kurz
Und auch der Jammer allzu lang.
Was Du noch über mein Buch sagst ist ihm zu viel Ehre angethan, wenn ich Dir
nichts davon gesagt habe, wenn ich Dir es nicht in Händen gab so ists, weil ich fühle
daß was Besseres in Dir ist als alle meine Bücher und Gedanken Dir geben können. –
Den Brief den Ritter mir über Dein Geschenk geschrieben, lege ich Dir hier bei,
finde Du den Dank selbst heraus, aber bewahre ja mir den Brief mit den übrigen die ich
Dir lezt schickte, denn seine Handschrift ist mir heilig. Wenn Du doch auch ein
Käppchen für den Arnim machen könntest, damit wir ihm gleich etwas schenken können,
da er wohl schnell abreist, so wär das wohl hübsch. Du weißt nicht wie ich mich freue,
daß Du ihn und er Dich sehen soll, er ist gar zu lieb und lustig wie wenige Menschen auf
Erden. Adieu, lieb Kind, schreib doch dem Savigny ein oder zwei
251
Worte, wie Du sonst auch immer von Zeit zu Zeit ein Blättchen ihm oft schicktest. –
Briefe auf seiner Rheinreise mit Arnim, die sie
zusammen machten, nachdem sie acht Tage in Frankfurt und Offenbach zugebracht hatten.
Liebe Bettine.
Der Frühling war so schön, der Rhein trug mich so gastfrei. Arnim hat mich so lieb. Da
trat ich hierher in meine Jugend, die mich rings umfing. – Ach und ich bin so unglücklich geworden,
ich liebe so heftig, so heftig die Geliebte meines einzigen Freundes hier, Gott gebe mir Kraft,
daß ich entsagen kann, das Mädchen ist Benediktchen K. – –, schreibe mir gleich, schreibe
auch an sie ein Paar Zeilen dazu, wenn sie Dich kennte, sie liebte mich vielleicht.
Koblenz!
Brentano.
Bei Bürger Scheidel, Firmungstraße.
Schreibe dem Savigny was ich Dir schrieb, ich kann nicht mehr. –
252 An Clemens.
„Schreib mir gleich“ das kann geschehen, da bin ich mit der Feder in der Hand! – „Schreibe auch
an sie ein Paar Zeilen dazu!“ – Ei Clemens Du bist nicht recht gescheut! – „Wenn sie
Dich kennte, sie liebte mich vielleicht.“ Gewiß nicht. Wenn sie mich kennte, so würd ich ihr sagen,
sei ganz ruhig Benediktchen, der Clemens wird allemal ein Narr wenn er an den Rhein
kommt, im vorigen Jahr wars so mit der Walpurgis, da brausten Reime wie Schäume! – Clemens
versuch's doch zu dichten, das erleichtert vielleicht Dir die Brust. – Dort wo Deiner Kindheit goldne
Tage in fröhlichem Spiel dahin flogen, auf nimmermehr wiederkehren, wo Du mit Nachbarskindern im Sand
spieltest, wo Benediktchen schon seinen blonden Lockenkopf an Deine Schulter versteckte, wenn die
Sonne zu heiß brennte, wo Du ihm das Stumpfnäschen putztest und schon damals ihm drohtest, daß wenn
es nicht Deine Braut sein wolle, so werdest Du Dich erschießen. Gäb das nicht eine Idille, einen
zärtlichen Roman? Woher weiß ich das alles? – Eben kam der Kanonikus Linz zur Großmama direkt
von Koblenz, erzählt daß Du dort im Korbachischen Hause Schiffbruch gelitten, daß Dein Freund ein
schöner
mun253terer
vollblühender preußischer Jüngling weiter gereist sei, wahrscheinlich um Deiner Liebe keinen Eintrag
zu thun, da er dem Benediktchen, das auch rothe Wangen habe und blond sei, und voll wie eine
Rose und ein Ringelhaar habe bis auf die Erde, diesem habe Dein preußischer Freund besser gefallen;
so sei er fort nach Düsseldorf, wo er Dich erwarte, wenn Du würdest Deine Liebeskapriolen fertig
geschnitten haben (Ausdruck des Kanonikus Linz, Du kannsts ihm nicht übel nehmen, er ist
geistlicher Herr und muß aus Solidität schon dergleichen Liebeshändel verachten.) Clemente Du
bist närrisch! – ich kann es deutlich erkennen an der Nachschrift Deines Briefes: „Schreibe dem
Savigny alles was ich Dir schrieb.“ Was ist denn das Alles was ich schreiben soll? – Ich
habe das Blättchen auf die andere Seite gedreht, es befand sich ganz weiß, und ich bin in höchster
Unwissenheit! – Was soll ich dem Savigny schreiben? daß Du glücklich in Wochen gekommen bist
mit einer neuen Liebschaft? – am Rhein wo's allemal so geht? – ja in Wochen! – denn so lang wirds
kaum dauern, denn Du wirst Dich gewiß schon früher wieder heraus machen, und wirst gelaufen kommen
und Deinen Kirchgang thun bei mir und von mir Dich aussegnen lassen wieder,
254
denn das muß ich allemal. Das erstemal Walpurgis, das zweitemal die Gachet, und
nun Benediktchen, hinter all dem steckt nun noch Mienchen, da steckt die Günderode,
da steck ich auch, dahinter steckt auch die Eitelkeit. – Die Braut Deines einzigen Freundes. Der Freund
ist vielleicht ein dicker ungeschliffner gar nicht reizender Bräutigam. Du siehst im Spiegel ein edles
Antlitz mit sanftem Reiz der Unterlippe, mit unendlich anmuthig witzgem Feuer der Oberlippe widersprochen.
Du siehst eine blendende Stirn, auf der das Genie nicht zu verschleiern ist, und ein Paar schwarze Augen
und einen ganzen Kerl der gewohnt ist zu siegen! – Du kommst und die Braut ist schon mit Kuchenbacken
beschäftigt; sie hat keine Zeit mehr zum Scherzen, die Wirklichkeit geht an, das Spiel der Lieblichkeit
kann nicht auf dessen Kosten getrieben werden. O Clemente, Deine blaue Halsbinde, Deine wunderschön
lederne Beinkleider! Deine rothe Freiheitsmütze! – Die ganze Armatur wurde vor mir bestellt, und dem
Schneider mit einer witzigen Bemerkung nach der andern, das Bequeme aber nothwendig Elegante
eingeschärft. – Ich war bei der Günderode als ich von Eurer Begleitung nach dem Mainzer Schiff
zurück kam, ich lachte und sie lächelte (sie lächelt
im255mer
nur über Dich, sie lacht nie) wie ich ihr aber die Beschreibung machte von Euch zwei, wie Arnim so
schlampig in seinem weiten Überrock, die Nath im Ärmel aufgetrennt, mit dem Ziegenhainer, die Mütze mit
halb abgerissnem Futter, das neben heraus sah, Du so fein und elegant, mit rothem Mützchen über Deinen
tausend schwarzen Locken, mit dem dünnsten Röhrchen, einen lockenden Tabacksbeutel aus der Tasche, und
wie Arnim unterwegs die Bemerkung machte, die Mädchen am Brunnen sähen Dir mit Wohlgefallen nach,
daß Du da unterwegs gethan hast als verständest Du das nicht, und nachher es dem Arnim zuschobst,
aber doch gleich sehr viel schärfer auftratst, als wenn Dir wer weiß welcher originelle Geist so ganz
durch den Leib gefahren wär, und wie Du mit Deinem zierlichen Sprung ins Mainzer Schiff mit einem so
selbstbewußten Genuß hineinsprangst. – Es sei prophetisch, meinte gleich die Günderode! – Und
wir verbrachten noch den lezten Nachmittag in ihrem Stiftskämmerchen mit Glossen über Dich. – Kaum bin
ich hier so kommt Dein Briefchen mit allem Schaden, den Deine Vorbereitung Dir angerichtet hat, denn sie
hat leider wie der Blitz in Dich selber eingeschlagen. Verzweifle nicht! – Aber dem Savigny schreib
ichs
256
nicht, genug daß es die Günderode weiß. – Da hast Du nun meinen Brief.
Und noch eins hab ich mit der Günderode ausgemacht Dich zu fragen – ob Du's noch so unpassend
findest, daß der Gärtner an den Blumen hängt, seiner Passion, und nicht so am Kohl, seiner Pflicht.
Deine barbarische Schwester.
An Clemens.
Lieber Clemens. Es wird mir bange daß Du nicht schreibst, und eine Zeile kannst Du schreiben!
bist Du wieder ruhig? mein unartiger Brief wird doch kein Mißverständniß zwischen uns gemacht haben. Ich
hab Nachricht von der Gachet bekommen, sie ist auf ihrem Gut in Laubenheim und freut sich über ihre
gedeihenden Felder. Bei untergehender Sonne geht sie ihrem Pflug entgegen und reitet dann auf dem Ackerpferd
nach Haus, ich hab sie recht lieb jezt so mitten in ihrer Haus- und Feldwirthschaft, sie hat so weit mehr
anzügliches für mich, als wenn sie geistreiche Sachen erzählt, sie hat mich grüßen lassen, auch ließ sie sich
erkundigen, ob ich Dich immer noch so lieb habe, wie das närrisch gefragt ist? – Du gehst doch wohl zu ihr auf
Deiner Heimreise. Ach ich möchte Dich zerstreuen, ich hab an
aller257lei
gedacht was Dir Freud machen kann! – Diesen Herbst wirst Du gewiß am End doch am Rhein zubringen, der
Kononikus [sic] Linz meinte es sei die Rede davon gewesen nach Düsseldorf zu gehen, hast Du keine
Nachricht von Deinem Freund Arnim! – bei dem würde es gewiß am besten sein für Dich, der heitere
Jugendmuthige wird Dich vom Schwindel befreien. Vielleicht daß Du recht verzweifelte Stunden haben magst.
Was weiß ich von der Liebe! – Ich hätte Dir nicht so leichtsinnig, so unbarmherzig schreiben sollen.
– Verzeih mirs! – Ich werde diese Messe ruhig hier in Offenbach bleiben! – damit es mir nicht zu leid
thut, wenn ich Dich nicht sehe. Ach ich wollte, könnt ich Dir eine Freude machen! – Die Lebensgeschichte,
die Lebensgeschichte die fliegt da oben am Himmel wie eine Schwalbe, sie hat sich eben so hoch geschwungen
daß ich sie mit bloßen Augen gar nicht mehr sehe, wenn Du nicht willst, daß ich sie ganz aus dem Gesicht
verliere, so schicke mir ein Fernglas. Schreib ich soll Dir zu lieb es thun, gieb mir ein Lebenszeichen! –
An Bettine.
Wer diesen Brief von mir erhält weiß ich nicht! Welchem von meinen Freunden schreibe ich, und wer
258
ist mein Freund? Ich bin schon acht Tage in der französischen Republik, bin auch verliebt, habe Ruinen
gesehen, Spitzbuben und Weiber, die blos der Einfachheit der Forderungen an sie wegen, immer die Besten
sein mögen, die wir haben, in der schlechtesten Welt, die wir haben. Wenn Du ein Mensch bist, der sich
gerne mit der Idee abgiebt, wie dies oder jenes besser sein könne, der sich in der Zeitlichkeit damit
beschäftigt, die Stube zu möbliren, so wäre hier unendlicher Stoff für Deine Ideen, für Schlosser und
Schreiner. Alles Gegenwärtige ist mir nur der Stiel, an dem ich Vorzeit und Zukunft anfasse. Die unendlich
tiefen vollen und unsichtbaren Gefäße. Die meisten haben nur den Stiel in Händen und sind mit dem Stiel
zufrieden, weil sie nicht wissen dürfen was sie thun, um etwas zu thun. Wie mirs gegangen ist willst Du
wissen, mir ists nie gegangen. Ich bin, drum liebe ich, und lebe ohne Liebe und Leben; ich bin ein geborner
Idealist. Ich bin ein Schüler der ewigen Erkenntniß! – Alles begreifen, ist mein Handlen! – Alles lieben,
meine Sorgen. Und daß ich alles Deinem Herzen hinbiete, das zu reich an Gerechtigkeit und ewiger Milde
ist, um zu besitzen, das ist mein kleiner Fluch, glücklich bin ich nicht, das ist Menschenwerk,
unglücklich bin ich nicht, das ist auch
259
Menschenwerk; ich bin alles, das ist Gotteswerk, und mag es niemand beweisen, das ist arme
Bescheidenheit, die Kunst aber ist die Kanaille, die mich mit diesem sorgenvollen Ehrgeize
behängt hat, und die Trägheit ist es, der ich es verdanke, daß ich so edel bin.
Lieb und Leid im leichten Leben,
Sich erheben, abwärts schweben,
Alles will das Herz umfangen,
Nur verlangen, nie erlangen.
In dem Spiegel all ihr Bilder
Blicket milder, blicket wilder,
Kann doch Jugend nichts versäumen,
Fort zu träumen, fort zu schäumen.
Frühling soll mit süßen Blicken
Mich entzücken und berücken
Sommer mich mit Frucht und Myrthen
Reich bewirthen, froh umgürten.
Herbst du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben,
Mich verderben, Frühling erben.
Wasser fallen um zu springen,
Um zu klingen, um zu singen
260
Schweig ich stille, wie und wo? –
Trüb und froh, nur so, so!
Arnim, Arnim, Dir ruf ich ewig nach, nur neben Dir mag ich leben
und sterben, beides muß ich, seit ich Dich kenne, mag ich es auch. Du freue Dich
meinen Theil, Du weine meinen Theil, ich gönne Dir Beides, und wäre zufrieden
mit Dir, und so wenig als einer sich selber gewährt, der kein Verlangen nach mehr
hat. Neben Dir ist mirs traurig ergangen und doch konnt ich in Dich als in den
Frühlingshimmel schauen! – Dich hab ich als einen solchen gefunden und mein
selbst vergessen. So bist Du mir entgegen gekommen, und hast mich solchermaßen
geliebt! – O Jugend, o Leben, o Liebe, o Tod, o Webstuhl der Zeit! – O Teppich,
o Gastmahl, o Rausch, o Kopfweh, o Nüchternheit der Gegenwart. O nothwendige
Ewigkeit der Gemeinheit und Ungemeinheit, o Allerheiligstes, o Allerunheiligstes.
Im Sandrat steht ein Kupfer, es stellt eine trinkende Psyche vor, auf der Stirn
der Psyche fängt die einzige kreisende Linie an, die das ganze Bild herausbringt;
an diesem Pünktchen sucht mich, wenn Ihr Euch nach mir sehnt, da sitze ich und
hab ein Hütchen auf.
Du bist es, Du liebes Mädchen, die diesen Brief erhält. Du bist mein einziger
Freund; auch bin ich
261
bald wieder bei Dir. Meine Liebe hier ist geendigt, nein Dir geopfert, hier hast
Du noch ein Lied, schreib mir nicht hierher, ich bin früher wieder bei Dir. Mein
Herz sehnt sich wieder nach Deiner reinen tiefen Seele, o Du Engel, Du bleibst
mir ewig. Hier hast Du ein Lied, das ich niederschrieb, als ich Benediktchen
gesehen hatte, ich hatte es eigentlich geschrieben als ich an Dich dachte. Doch
zuerst einige Worte über einliegende Zeilen von Ritter, die er mir ohne eine
Zeile an mich so schickte. Ich weiß nicht was er damit sagen will, finde sie
auch sehr unverständlich, und Du sollst ihm also nichts drauf antworten, und
sie so lange für einen Wisch halten, bis etwas gescheuteres oder nichts
erscheint, und damit gut.
Am Rheine schweb ich her und hin
Und such den Frühling auf,
So schwer mein Herz, so leicht mein Sinn,
Wer wiegt sie beide auf.
Die Berge drängen sich heran
Und lauschen meinem Sang,
Sirenen schwimmen um den Kahn,
Mir folget Echoklang.
O halle nicht du Wiederhall,
O Berge kehrt zurück,
262 Gefangen liegt so eng und bang
Im Herzen Liebesglück.
Sirenen, tauchet in die Fluth,
Mich fängt nicht Lust, nicht Spiel,
Aus Wassers Kühle trink ich Gluth
Und ringe heiß zum Ziel.
O wähnend Lieben, Liebeswahn,
Allmächtiger Magnet,
Verstoße nicht des Sängers Kahn,
Der stets nach Süden geht.
O Liebesziel so nah, so fern,
Ich hole dich noch ein,
Die Frommen führt der Morgenstern
All zu der Liebe ein.
O Kind der Lieb erlöse mich,
Gieb meine Freude los,
Süß Blümlein ich erkenne dich,
Du blühest mir mein Loos.
In Frühlingsauen sah mein Traum
Dich Glockenblümlein stehn,
Vom blauen Kelch zum goldnen Saum
Hab ich zu viel gesehn.
Du blauer Liebeskelch, in dich
Sank all mein Frühling hin,
263 Vergifte mich, umdüfte mich,
Weil ich dein eigen bin.
Und schließest du den Kelch mir zu
Wie Blumen Abends thun,
So lasse mich die lezte Ruh
Zu deinen Füßen ruhn.
Adieu lieb Kind, auf Wiedersehn.
Clemens.
Liebe Bettine
Ich habe zu viel die ganze Zeit an Dich gedacht, und mein Gemüth saß zu gleicher
Zeit zu sehr wie auf einer Schaukel, als daß ich Dir hätte schreiben können, auch
hab ich täglich abreisen wollen, aber es hat sich mir Abenteuer an Abenteuer gereiht,
und ich bin mit allerlei künstlichen Spinnweben umflochten worden, die ich im Anfang
leicht hätte zerreißen können, aber ich sah mit künstlerischer Lust den Geweben zu,
und habe aus kindischer Tollkühnheit mir selbst Stricke daraus geflochten. Ich habe
den Geliebten Benediktchens so liebgewonnen, daß ich den beiden Glücklichen
emsig in ihrer Intrigue helfe. Beide haben sich wie Engel gegen mich
betragen, Benediktchen ist eins der holdesten und genialsten Mädchen, die man
wahrscheinlich
264
nur einmal begegnet. Außerdem habe ich noch eine wunderliche Liebschaft, aus der ich
gar nicht klug werde. Zwei Freundinnen hab ich auf einer einsamen Insel in einem
engen Flußthal hier kennen gelernt, der Vater des einen Mädchens hat auf der Insel
einen Eisenhammer, das andre Mädchen ist von hier, eine Freundin Benediktchens,
sie ging die Einsiedlerin besuchen und ich begleitete sie. Hanchen heißt die
Einsiedlerin und Gretchen die Freundin, sie ist klein, äußerst niedlich und
fein, eines Seraphs Gestalt, aber einen ernsten Kopf mit schwarzen tiefsinnigen
Augen, an ihrem Gesichte ist nichts schöner als die ewig rege Freundlichkeit, die
in einem beständigen wunderlichen Kampfe mit dem Tiefsinn von Stirn und Auge
begriffen ist. Wenn man sie ansieht, ist es, wenn schnelle Wolkenschatten unter
dem Sonnenschein her über die Felder fliehn. Sie ist streng und freundlich, und
gleich einem Granatbäumlein, das in unserm Klima keine Frucht trägt. Sie ist
nicht glücklich, denn kaum mag man sie zu umarmen wünschen, so wünscht man auch,
sie zur Freundin zu haben, weil sie zu bescheiden ist ihr volles Herz in
sehnsüchtigen Blicken zu verrathen. Sie sieht einen nur mit vertraulichen Augen
an, an denen die Begierde zu einem schwermüthigen Ergötzen des Zweifels wird.
265 Lieber Clemens.
Dein fliegend Blatt ist mit dem Morgenwind nicht zum Fenster herein, sondern hinaus
geflogen. Eben hatte ich meinen Sitz zum Schreiben zurecht gerückt, so macht der Wind
die Thür auf, packt mein Blatt und ab mit zum Fenster hinaus, dahin von wannen er
gekommen war, was kein Mensch weiß wo das ist, ich seh ihm nach und entdecke, daß er
mit dem Blatt in den Schornstein unsers Nachbars Johann Andree sich retirirt,
er konnte in den Suppennapf fallen und dem Herrn Andree aufgetischt werden,
um dem zuvor zu kommen,sprang ich hinunter, fand das Blatt schon unterwegs nach
dem Kanal, es schwebte über dem Wasser, nur ein Wunder konnte es retten, das war
eine graue Mütze die es auffing, die dem Arnim gehörte, der vor mir stand,
mit einem zweiten Brief in der Hand, den er mir von Dir mitbrachte. Aber warum hast
Du auch auf so dünn Papier geschrieben, ätherischer wie die Luft selber, vielleicht
weil er das Gewand Deiner Seele ist, der Wiederschein Deiner selbst! –
Die beiden Freundinnen sind ein Paar Nebenfacetten Deiner verklärten Einbildung,
die hundertfältig facettirt ist, sie strahlt im eignen Glanz was schön ist zu empfinden,
zu genießen, und wer sich in Dir gespiegelt sieht,
266
der muß Dich lieben weil er eben nicht frei ist von Eigenliebe. Man kann vor
anmuthigster Schelmerei, die vom Witz zur Rührung sich durchneckt, aus der
hinüberspringt zur Seiltanzkunst, und da solche Sprünge macht, daß einem Hören
und Sehen vergeht, gar nicht dazu kommen, daß man so weit sich mit Dir einließe,
Dir ein Gnadengeschenk zu machen mit irgend einem Pfand der Zärtlichkeit. Einen
Kuß zum Beispiel, wie kann man ihn Dir geben, Du hattest Dir ihn schon
genommen wie einen Apfel, den man gedankenlos vom Zaun bricht, Du spielst Ball
mit, zum Zeitvertreib, Du haschst ihn wieder, Du wendest und drehest Dich damit
vor dem geblendeten Auge der Geküßten, die nicht begreifen kann, wie dies Pfand
der Zärtlichkeit bestimmt war solche Luftsätze zu machen. Die andern die
zusehen, lassen sich hinreißen von diesem Spiel, sie sind ausser sich vor
Vergnügen über den göttlichen Clemens, eh sie sichs versehen hast Du
einen neuen Apfel abgerissen von den Zweigen des Wohlwollens, der Hinneigung
und Begeistrung, der alte Apfel rollt in die Ecke und beschämt die, der Du ihn
durch Deine Neckerei geraubt hattest. – Clemente sei nicht böse über
diese Charakteristik, sie ist ja nur die spanische Wand Deiner
andern „Thorheiten,“ sagte die Günderode.
267
Tiefe Weisheit sagte ich, wahre tiefe Liebe sagte ich, Heiligthum der reinsten
edelsten Freundschaft. Und der Clemens kann in seiner Treue nicht
verglichen werden; er faßt die Seele, er legt sich warm wie ein brütender
Vogel über sie und schützt sie und streitet für sie, und harret geduldig
über ihr mit großer Sorge und Vorsicht, aber dann kriecht öfter auch ein
Gänschen aus dem Ei, aus dem er einen Schwan auszubrüten hoffte, und das
ärgert ihn dann sehr.
So weit ich und die Günderode über Dich; nur noch eins wollte
ich behaupten, daß sie nämlich gewiß auch einen Apfel misse an den
herabsenkenden Zweigen ihrer adeligen Seelengüte! – Clemens wenn Du den
geraubt hättest auch zum Spiel nur, und hättest ihn nicht bewahrt als ein
Geschenk der Göttin Fortuna, so prophezeih ich Dir Schlimmes. – Du weißt
wer ein solches Pfand vernachlässigt, an das diese eigensinnige Göttin oft
das Heil ganzer Geschlechter knüpfte, der muß dann einen bösen Dornenpfad
wandern, von dessen stacheligen Zweigen er keine süße Feigen sammlen kann. –
Ich fragte die Günderode über dies Pfand, und ob sie glaube, daß es
in Deiner Seele Gedächtniß gut und edel verwahrt sei – sie ward ein
bischen nachsinnend darüber – dann lächelte sie und zog mich auf
268
ihren Schooß und küßte mich zärtlich! – Ich weiß daß die Günderode Dir
gütig gesinnt ist, sie ist die beste und edelste von uns dreien. Aber natürlich,
wenn Du auf dem Tanzplatz herumgaukelst all Deiner seltsamlich verphantasirten
Scheingöttinnen, da kann die echte sich nicht herablassen, eine von Dir
gewählte Rolle zu übernehmen. – Ach ich vergesse ganz Dir noch viel zu erzählen.
Der Arnim kam zu uns ins Stift, und fragte ob man bei dem herrlichen
Abend nicht wolle hinaus nach der grünen Burg, so wanderten wir bei Abendschein
die stillen Feldwege, ich lief immer voraus, wendete um und sah die beiden vom
untergehenden Tag mit einem Nymbus umfangen, schreiten, mehr schweben – optische
Wirkung des Lichtes, das seinen Sonnenharnisch abgelegt hatte! – Das Licht
wenn es nicht Thront, ist mild, einfach, bescheiden, kindlich, und wohl
gar wie ein Kind zum Spielen geneigt. – So auch der Weltherrscher, im Sonnenfeuer
seiner Macht, durchglüht er alles mit Geistesfeuer, ihm muß werden was seines
Willens ist; aber wenn er sich entkleidet dieser Gewalt, ist er wie ein
Kind! – Der Arnim sieht doch königlich aus! – die Günderode auch;
der Arnim ist nicht in der Welt zum zweitenmal, die Günderode
269
auch nicht. Die beiden gehen da neben einander an diesem schönen heitern Abend!
Aber dort kommt ein Gewitter! die Winde kehren voruns den Weg, wir müssen eilen!
wir fangen an zu traben, wir wollen eben in Galopp uns setzen, ergießt das
schwarze Gewölk sich über uns, unten blitzt es, die Donner schlagen ihre Wirbel.
Wir erreichen einen dichtlaubigen Kastanienbaum, die Regenfluth läuft an seinen
breiten hängenden Ästen hinab, dicht am Stamm ists trocken. Der Arnim breitet
seinen grünen Mantel um uns, die Günderode hat mit dem Kragen den Kopf
geschüzt, ich konnte es aber nicht drunter aushalten, ich mußte sehen was am
Himmel passirt. Da zogen die Regenschichten nach einander vorüber, es war ein
Gewühl. Ganz so stell ich mir das Wetter vor unter der Erde, wenn da ein Postament
von Wolken wär, auf dem sie thronte. – Kurz es war entweder das unterste
Naturgestell, was mit dem Gewand ihrer Farben und Schönheitsschmelz verdeckt ist
und sie hatte dies ein bischen zu hoch geschürzt, oder es war die Kehrseite
der Koulissen, hinter die man wirft was nicht soll an Tag kommen. Aber Nacht
und Dunkel kommt ja auch an den Tag; um so heller der leuchtet, um so dunkler
sie uns droht. – Ein Weilchen gefiel mir dies böse
Abenteuer. Ar270nims wunderschöne Jugendnähe
electrisirte mich, ich opponirte dem Gewitter mit allerlei vom Zaun gebrochner
Philosophie, die nicht Hand und Füße hatte und nasse Flügel, die ließ sie hängen. –
Wir gingen weiter, jezt wo der Wind die Wolken ins Gebet nahm, rissen sie aus.
Die Günderode wurde ins Bett gesteckt, wir sollten die Nacht da bleiben.
Wer war froher wie ich. Eine schöne Sommernacht unter einem Dach mit dem Arnim,
mit Günderödchen durchplaudert; – doch haben wir uns gezankt. Wir stiegen
die Leiter der Begeistrung hinan in unserm Nachtgespräch, eins überhüpfte das
andere, oben zankten wir einander daß wir nicht in ihn verliebt seien, dann
zankten wir einander daß wir kein Vertrauen hätten, und wolltens nicht gestehen
daß wir ihn doch liebten, dann rechtfertigten wir uns daß wir es nicht thäten,
weil jede geglaubt hatte daß die andre ihn liebe, dann versöhnten wir uns,
dann wollten wir großmüthig einander ihn abtreten, dann zankten wir wieder daß
jede aus Großmuth so eigensinnig war ihn nicht haben zu wollen. Es schien
ernst zu werden, denn ich sprang auf und wollte mein Bett von dem ihrigen
wegrücken aus lauter Zorn daß sie den Arnim nicht wollte. Auf einmal
hören wir husten und sich tief räuspern. Ach
271
der Arnim war durch eine dünne Wand nur von uns geschieden, er konnte
deutlich alles vernehmen, er mußte es gehört haben, ich sprang ins Bett und
deckte mich bis über die Ohren zu. Uns klopfte das Herz wohl eine halbe Stunde,
keins muckste mehr die ganze Nacht. – Am andern Morgen früh um sechs Uhr sah
ich zum Fenster hinaus den Arnim schon unter den Linden spazieren gehen.
Jezt wollten wir doch probieren, ob er uns gehört könne haben. Ich ging ins
Nebenzimmer, die Günderode sprach ungefähr dasselbe und eben so laut
wie am Abend. Ich legte mein Ohr an die Wand und hörte theilweis, aber nicht
alles, als ich aber sah daß sein Bett grade an der Thür stand und daß das
Schlüsselloch mit dem Kopfkissen auf gleicher Höhe stand, und daß man da alles
deutlich hören konnte; – wie zwei marode Schiffer die eben gescheitert sind
an der Sandbank, die sie so lange ängstlich umschifft hatten, guckten wir uns
an. Wir mußten zum Frühstück! – Wir sezten uns mit dem Rücken gegen die Thür,
um ihn nicht gleich sehen zu müssen, was half der eine Augenblick, wir mußten
ihm ja doch die Sträußchen abnehmen, die er eben aus dem Feld mitbrachte,
Vergißmeinnicht! – Ach nun wars gewiß daß ers gehört hatte. Ach Clemente,
es war recht
wun272derlich!
– Das war gewiß so ein Gefühl was man Verlegenheit nennt! – Ich nahm die
Guitarre von Gunda und sang „Das schmerzt mich sehr, das kränket mich,
daß ich nicht genug kann lieben Dich.“ – Der Arnim gab mir seinen Handschuh und
bat den zerrissnen Daumen zu flicken. – Ich habs gethan Clemente. Ach
aller Anfang ist schwer, der Handschuh duftete so fein, so vornehm. – Ein
grauer Handschuh von Gemsleder, ich habe ihn mit Hexenstichen benäht, er zog
ihn gleich an, den linken Handschuh aber ließ er liegen und promenirte mit
seinem Stock neben uns. Ich warf seinen vergessnen Handschuh unter den Tisch,
ich dachte da mag er liegen, wenn er ihn zurück läßt, dann heb ich ihn zum
Andenken auf, denn er geht ja morgen fort. „Wird nicht wieder kommen, wird
nicht wieder kommen, das thut mir weh“ – Ich hab ihm dieses alte Volkslied
vorgesungen, es hat ihm sehr gefallen. –
Der Arnim ist fort! – er hat den Handschuh zurückgelassen. Gestern nahm
er Abschied und gestern leuchteten noch die Sterne uns beim Heimgehen, er suchte
einen Stern aus, den wir alle drei wollten sehen, wenn wir aus der Ferne
aneinander dächten. Ach Gott ich hab den Stern vergessen, er hats so
273
deutlich explicirt und nun kaum war er fort, wußt ichs nicht mehr, ich fragte
die Günderode, denn die ist sternkundig, aber die neckt mich und nimmt
dies als einen Beweis daß ich gewiß in ihn verliebt sei! es ist aber doch nur
weil mirs so leid thut, daß er vielleicht treu und redlich seinen mit uns
ausgemachten Stern ansieht, in der Meinung wir kuckten auch, und nun kucken
wir beide wie die Hahlgänse daneben! –
Lieber Clemens, gestern nahm Arnim Abschied und gestern schrieb
ich dies nieder, und heut bin ich wieder ruhig über die Sternengeschichte, denn
mein Gewissen würde mich dann ewig geplagt haben, ob ich auch zu rechter Zeit
nach dem Stern sehe. Ich würde am End jeden Tag eine ganze Stunde meinen Kopf
haben in die Höhe halten müssen, es wär eine Pein gewesen, um gleich des Kuckuks
zu werden. Ich wollt Du wärst bei mir, ich hab Dich doch ganz allein lieb, und
so lieb wie mich hast Du niemand anders. – Wenn Du auch noch so sehr meinst, Du
müssest über Deine Liebschaften verzweiflen, weil immer keine Gegenliebe dabei
herauskommt. Es ist einmal so, die Menschen machen sich nichts aus uns beiden,
und wenn wir ihnen eben so vorkommen wie sie mir alle zusammen vorkommen, dann
ists ihnen nicht zu verdenken,
274
denn so albern sind sie wohl daß sie uns eben so absurd finden als wir gescheut
sind sie närrisch zu finden. Aber vom Arnim thut mir nichts leid als daß
ich so kalt Abschied von ihm genommen hab, ich fragte ihn lachend, ob es ihn dann
gar nicht rühre daß er nun weggehe, und es war mir doch gar nicht so ums Herz.
Ich hätte viel lieber Abschied von ihm genommen wie von Dir, nicht wie von einem
Fremden der mich gar nichts angeht.
Jezt freut michs daß ich so aufrichtig gegen Dich sein kann, und wenn Du
an Arnim schreibst, so sage ihm daß ich ihn noch recht lieb habe, aber
nicht so deutlich sage es ihm wie hier in diesem Brief. Ich würde Dir eher
geschrieben haben, aber ich bekam erst viel später Deinen Brief von Christian,
der auf der grünen Burg den ganzen Tag im Gras liegt und Flöte bläst und die
Leute sagen, die ganze Gegend wär wie verzaubert von diesen Flöten-Variationen „mich
fliehen alle Freuden,“ und wenn er aufhört zu blasen, so spitzen sie die Ohren
als ob sie was hörten, das ist die schweigende Stille die sie hören, das ist ihnen
ein so längst entwöhnter Ton, eben weil die Flöte weder bei Tag noch Nacht von
seinen Lippen kommt.
Clemens komm bald, komm ja recht bald, an
275
Benediktchen einen Gruß und sie soll Dich gehn lassen. – Komm ich hab Dir viel
zu sagen.
Bettine.
Liebe Bettine! –
Während ich Deinen Brief las, donnerte und blitzte es rings im Thale, nun ist es ruhig,
aber ich kann Dir nicht heute ruhig antworten, es ist keine Zeit wahrlich Dein Brief selbst
läßt mir keine Zeit, ich gehe jezt in den Garten, da will ich an Dich denken, und Deinen
Brief dem Sonnenschein der durch die Gewitterwolken bricht vorlesen, der wird Dich in
Offenbach freundlich dafür ansehen, und Dir danken daß Du an ihn geschrieben hast. Drum,
er konnte auch nicht umhin, er muß Dir gleich recht warm glühende Antwort geben. Ein
freundlicher Kerkermeister, dem es jammert daß er den Gefangnen im Kerker muß schmachten
lassen, wie vergnügt bringt er die Bothschaft der Befreiung, und wie eilig und wie sanft
löst er die Fesseln; so wars mit Deinem Brief, er kam mit dem Schlüssel in Händen, ich
fühlte vom erleichterten Herzen die Fesseln niederfallen eine nach der andern, und die
Sonne schien mir ins Herz, da wars auf einmal anders; ich dachte wie bin ich doch
betrunknen Sinnen hingegeben gewesen. –
276
Ja es ist alles schön was ich erlebte, und die Liebe und Güte dieser Menschen gegen mich
ist wirklich lieb und edel, aber schöner ist doch nichts als frei sein und ungefesselt
lieben wie ich meine Schwester liebe, und dann fühlte ich daß nichts mich so beglücken kann
als die spielende Heiterkeit in Dir, die doch aus innigster warmer Lebensquelle strömt, lieb
Kind! – Tanz ist doch edel! – ja gewiß mit die reinste, die erhabenste der Künste! – Denn
jede Kunst hat im Geist ihre Apotheose, und Deine heitere Lebensansicht, Deine Gefühle sind
tanzende Wendungen nach der lieblichsten Melodie. – Diesmal im Brief spielen Deine Gefühle
auf der Schalmei und begleitet der Witz mit dem Triangel dazu. –
Meine Guitarre wünsche ich mehr als je hierher, ich möchte sie mit nach Düsseldorf nehmen,
wenn Du sie könntest lassen in eine Decke einpacken wäre gut. Hast Du dem Ritter
geschrieben? – schreib ihm doch, er ist einer der besser ist wie die Albernen, die uns für
absurd halten, schreib ihm lieb Kind! – wie Du ans Weltall schreiben würdest, wenn Du auf
einem vertrauten Fuß mit ihm wärst. Denn er ist im Begriff die Schöpfung auszusprechen.
So wie der Urgeist sie im Moment der Erfindung aussprach, was eins und dasselbe
277
ist dem Erfinden, so geht sie in geläuterten gehöheten geistigen Begriffen durch ihn durch,
als ob sie blos geschaffen um auch einem so erhabnen Streben des Geistes durch ihren Begriff
zu lohnen. – Lies doch wieder in den guten Büchern die Du hast, lieber Engel, – und werde
immer ruhiger, und bemühe Dich einzelne Dir merkwürdige Lebenspunkte aufzusetzen und
schenke mir dann und wann so was! – Dem Arnim will ich schreiben daß Du ihn lieb
hast, er erwartet sichs aber auch nicht anders, denn er hat Dich gewiß eben so lieb; – und
vom Günderödchen wars eben so recht, daß es ihm nicht den Vorzug gab. Denn es will
gewiß gleich theilen zwischen mir und ihm, und wir vier gehören ja alle einander an.
An Bettine.
Düsseldorf.
Warum schreiben wir uns nicht? – ich gehe in jeder Stunde mit Dir um, Dein Bild steht
immer hinter meinem Dintenfaß, und ich sehe Dich immer an. Wenn ich Dein Bild aufgestellt
habe, so bin ich honett, gut, einfach und stolz. – Ich gehe hier mit vielen Leuten um die
schlechter sind als ich und Du, man muß auch das lernen. Was mich hier fesselt ist die
Gallerie und das artige Theater, dann der geschickte
Musikdi278rektor,
dem ich eine Oper dichten will und der mir dafür Unterricht in der Composition geben wird.
Eine kleine Oper habe ich schon fertig für Neujahr, wo sie aufgeführt werden soll in Manheim,
er arbeitet noch daran. Hast Du Savigny in Frankfurt gesehen? wie war er? – Wie lebst
Du, was machst Du? – Ich hab heut an Christian geschrieben, ich bitte schreib ihm
auch. Bald ist mein Namenstag, schick mir dann einen recht langen Brief, er ist mir das
liebste, aber ungezwungen, ungenirt, so wenn Dirs einfällt und was Dir einfällt, ich werd
mirs schon zurecht legen. Kommt Mienchen Günderode nicht auch zuweilen mit ihrer
Schwester zur Dir? – Ich bin ihr einen Brief schuldig. Küsse sie von mir, sage ihr daß ich
sie liebe wie ich jezt kein anderes Wesen lieben kann! – Denn in meine Oper denk ich die
Hauptrolle mir grade wie sie! und den ersten Liebhaber wie mich. – Ich muß ihr zu Füßen
fallen, ich muß sie küssen, sie mag wollen oder nicht. – Und sie muß auch am End einer
langen Arie mir in die Arme fallen und mich beglücken, stelle ihr das doch recht beweglich
vor; und daß es ja nicht anders sein könne, weil sie einmal meine Opernheldin ist, sie soll
sich bewegen lassen darauf einzugehen. Das wird recht schön sein, wenn ich mir denke es sei
alles wahr,
279
dann werde ich mir die lieblichsten hinreißendsten Scenen zum Küssen malen!
Hast Du was gedichtet, geschrieben, schicke mir es in meine Einsamkeit. – Wenn Du ein
Kinderkleidchen für ein liebes rundes Mädchen von drei Jahren hättest, aber recht hübsch
und bald, so würdest Du mir große Freude machen. Wo nur Arnim stecken mag, ich
hörte seit meinem Brief nichts mehr von dem Jungen. Du bist wohl recht ruhig. – Ich
bin es auch. Ich schicke Dir vielleicht bald mein Portrait. Schreibe mir einen langen
historischen Brief. Deine Empfindung, meine Empfindung kennen wir ja! – –
Ich werde noch eine Weile hier bleiben, denn zu sehen, zu hören, ja mitzufühlen, wie
alles Denken und Erdenken plözlich fließend wird in musikalischen Gesetzen, die der
Poesie den Kopf zurecht rücken, das macht mich ganz hingerissen. – Leb wohl! Schreib!
Clemens.
Lieber Clemens.
Ich will gleich anfangen mit dem was mich zulezt frappirt in Deinem Brief! – Ich hab
Angst die Musik wird schlecht zu Deiner Oper. – Warum? – weil Du eine so enorme Freude
daran hast! – Ich kenne
280
Dich ja! – Du läßt Dich gar zu leicht begeistern. Einem Kapellmeister gegenüber, wenn er
seine Musik vorträgt, ist nicht zu spaßen mit fünf Sinnen, sie gehen in die Brüche! er
betrachtet Dich als einen guten Kerl, den er mit Herablassung Straßen führt, welche Dir
unbekannt sind, Du kannst da gar keine Autorität haben, Du mußt Dich führen lassen! Die
Effekte die Du nur in Gedanken hörst, und Dir natürlich ganz übernatürlich vorstellst bei
vollem Orchester, machen Dich in Dankbarkeit hinschmelzen vor dem Kapellmeister, der
überrascht von dem Eindruck den er Dir macht, eine ganz neue Bekanntschaft mit seinem
Talent zu machen glaubt, er componirt drauf los, weil er eine Quelle der Erfindung in
sich entdeckt, auf die er früher nicht sich verlassen konnte! – Nun findet er daß Du trotz
Deinen Dichterlaunen ein sehr verständiger urtheilsfähiger junger Mensch bist, Du wirst
gelobt als höchst liebenswürdig, die Sängerinnen werden begeistert, sie strengen sich an,
wetteifern! Fräulein Petersilie soll die Hauptrolle haben, sie verläugnet den Peter zu
Haus und kommt blos als Silie. Der Name Silie bewegt Dein Dichtergenie zu Explosionen von
Begeistrung. – Kurz es wird ein Wonnemonat, wie noch
281
kein schönerer war, wo Dichtkunst und Tonkunst sich vermählen! –
Hoffmann hat hier ein Duett gemacht, wozu Du mir den Text schon früher gabst: „Hör
es klagt die Flöte wieder, und die kühlen Brunnen rauschen.“ – Ja wenn Dein Componist
so arbeitete wie er! – Dazu muß man aber in eine Einsiedelei verborgen, Blumen und Gras
umher, im Schlaf versunken, nach der Ferne lauschen, wo die rauschende Welt endlich auch
betäubt ruht. – So ist aber der gute Hoffmann, sein kränklicher gebrechlicher Körper sondert
ihn ab von den Schwelgereien der Musiker, von ihren Weltverhältnissen und Liebeleien! –
Durch den Hoffmann hab ich manches begreifen lernen. Erst war ich als immer verwundert,
wie doch ein Mensch so ein traurig Loos tragen müsse, der seinen Leib doch nicht verlassen
könne, der ihm Schmerzen macht; jezt weiß ichs aber anders. Der Geist überwindet alles.
Und wenn der Geist kämpft, so muß er doch stark dadurch werden. Der Geist kann nicht Wunden
erliegen. Invulnerable sagt Mirabeau. Es kann nur vielleicht ihm versagt sein, sich
geltend zu machen! – Aber vielleicht ist der Leib die verschlossne Werkstätte, in der
der Geist zur höchsten Stufe der Bildung gelangt; und
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wenn er erst durchgeläutert und geglüht als vollendetes Kunstwerk seiner selbst, zugleich
mit dem Lebenskeim zu einer höheren gewaltigeren Bildung versehen neue Welten durchdringt –
was ists da, daß in dieser Welt die Krankheit wie ein böser Traum ihn anflog. –
Guter Hoffmann! – Ich höre sein Klavier bei offnen Fenstern in die Mondnacht
rauschen! er denkt gewiß ich lieg im Bett und hör ihm zu! –
Gute Nacht, morgen schreib ich weiter, weil Du einen so langen historischen Brief verlangst. –
Den wollt ich Dir wohl schreiben den schönen langen historischen Brief, wenn nur was vorgehen
wollte! – Ich hab zwar gar keine Neigung daß etwas vorgehen soll, aber doch wie lezt in der
Blaufärberei am Kanal Feuer ausbrach, machte mir das ein unendliches Vergnügen; damit stimmte das
Volk mit seinem Schauspielertalent überein. – Eine Verzweiflungs- und Jammergeschrei-Comödie,
gewürzt mit den ausgelassensten Scherzen; das ganze war unwiderstehlich, ich bedauerte daß es
nicht schicklich war mitzuspielen, sondern nur zuzuhören. – Gegenüber vom Feuerbrunsttheater,
im freien Feld steht das große Haus, worin Bernards blasende Instrumentisten alle wohnen,
die manchmal sich das Plaisier machen, aus allen Fenstern heraus nach
283
den vier Weltgegenden hin ihre Passagen zu exercieren, diese waren durch die ausschlagenden Flammen
in Begeistrung versezt, – sie bliesen Tusch, wenn ein Stück Dach einfiel oder Mauer! – Was einem
doch gleich Lebensübermuth durchströmt, wenn die Menschheit nicht so ängstlich am Besitzthum klebt! –
Wenn man hört Mitleidsquellen rieslen, über das einzige bischen Habe was den Armen nun verloren
ist, – Das macht so malade, es steht einem der Verstand still, da doch gewiß jeder genug hätte,
wenn jeder wüßte was er mit dem seinen anfangen soll. – Der Blaufärber hatte die großmüthigste
Gleichgültigkeit bei diesem Veraschen seiner Einbläuung, und es kamen die närrischsten Witze
vor bei der Judenspritze, bei welcher der Blaufärber selber stand und sie fortwährend dirigirte
gegen die zwei uralte Linden in seinem Hof, die sein Ururgroßvater, der auch Blaufärber war,
gepflanzt hatte, unter denen der Färber seine Hochzeit gehalten. – Wenn ihr mir die erhaltet,
sagte er zu den Juden, so schenk ich euch zwanzig Thaler. – Nun wurden die Juden so feurig,
lauter arme Lumpen! – Es gab ein Gezänk mit der Polizei, sie wollte auf die unnützen Linden
kein Wasser verwendet haben, die Juden schrieen mörderlich, als man ihnen den Schlauch entriß,
nach dem
Blau284färber;
der kam herbei und mußte ihn wieder erobern. „Was solle die alte Bääm, sagt der Herr
Bolezei! – Wie, Herr Polizei! – Sie schmähen die alten Linden, das Wahrzeichen von Offenbach?
– Ei do könnt ganz Offebach abbrenne und die Wahrzeiche bliebe alleen stehe. Die könnten doch
das Maul nicht ufthun und erzähle daß Offebach da gestane hat. –
Die Linden wurden übrigens gerettet, denn die Juden ließen sich nicht zu nah kommen! – Die
Hornisten, Hautboisten, Klarinettisten und Fagottisten schmetterten ihre Passagen dazwischen,
wie freie Göttersöhne in des Mondes blauem Licht, der über ihrer Wohnung thronte und nichts
von seinem Glanz verlor durch die gegenüber aufqualmende Feuersäule, die sich oft vom Rauch
nieder mußte drücken lassen! – Der Mond hat Charakter, die Gestirne haben Charakter, der Himmel
der sie trägt, wie ein Baum die Äpfel, der ist der Charakterbaum. – Die Menschenseele ist ein
kleiner fliegender Samenstaub, der einen guten Boden sucht, um auch Charakter zu werden. – Das
Werden! – das große Werden – ist und soll sein der einzige Genuß, sagt die Günderode,
der wird aber nicht, der nicht göttlich wird, sagt die Günderode auch noch. – Für heut
hab ich genug geschrieben; nun wünsch ich daß morgen
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wieder was vorfallen möge, einzig um meinen historischen Brief fortsetzen zu können. –
Heut ist aber doch nichts vorgefallen, so sehr ich auch getrieben habe, und dem Fenster
hinausgekuckt ob nichts kommen wollte. – Vom Feuer war viel die Rede, man besuchte die Großmama,
um ihr zu gratulieren, daß ihr der Schreck nichts geschadet habe; sie wurde am End ärgerlich,
wie einer nach dem andern kam, die Fürstin von Ysenburg war zuerst bei ihr gewesen, da war
es gleich Mode geworden. – Es ist schlimm daß die Großmama sich nicht gut verläugnen kann,
weil sie nie aus Garten und Haus kommt! – Diese Häuslichkeit hat einen eignen poetischen
Schimmer alles in der höchsten Reinlichkeit und Heimlichkeit erhalten, – zu jeder Stunde,
zu jeder Jahreszeit ist nichts vernachlässigt, selbst das aufgeschichtete Brennholz am
Gartenspalier ist unter ihrer Aufsicht der Schönheitslehre. – Wenn es im Winter muß verbraucht
werden, so läßt sie es immer so abnehmen daß die Schneedecke soweit wie möglich unverlezt
bleibt, bis Thauwetter einfällt, wo sie's abkehren läßt. Im Herbst hat sie ihre Freude dran
wie die rothen Blätter der wilden Rebe es mit Purpur zudecken. – Im Frühling regnen die
hohen Akazien ihre Blüthenblättchen drauf herab und
286
die Großmutter freut sich sehr daran! – Ach was willst Du? – es giebt doch keine edlere Frau
wie die Großmutter! – Wer den wunderschönen Blitz ihres Auges verkennt, wenn sie manchmal
sinnend mitten im Garten steht, und späht nach allen Seiten, und geht dann plözlich hin,
um einem Zweig mehr Freiheit zu geben, um eine Ranke zu stützen! – und dann so befriedigt
in der Dämmerung den Garten verläßt, als habe sie mit der Überzeugung alles gesegnet,
daß es fruchten werde. –
Nein heute ist nichts weiter vorgefallen, was ich historisch nennen könnte, der Tag ist
total vorbei! – und nichts was nur den Hund hätte zum Bellen gebracht. – Nur eine kleine
elegische Scene. Die Großmama hat manchmal einen Verdruß an so einem Federvieh, wenn es in
ihre Hausordnung sich nicht fügt, so muß es geschlachtet werden, diesmal traf das traurige
Loos der Hinrichtung ein inpertinentes Huhn, was immer mit großer Geschwindigkeit die
Waizenkörner, welche sie für alle streut als Dessert zum Haber, für sich allein erschnappte.
Dies Huhn war von Meline in Affection genommen gleich als es auskroch, heißt
Männewei, von Mannweibchen, weil es lang unentschieden blieb, ob das Thier ein Hahn oder
Huhn sei, da es einen so rothen stolzen doppelten Kamm und
ei287nen
schönen rothen Bart hat, kurz ich komme grade an der Küche vorbei, wie die taube Agnes
auf dem Schemel sizt, das Huhn zwischen den Knieen das Messer wezt. – Ich springe hinzu,
zieh den Schemel unter ihr weg, sie fällt auf die Nase, das Huhn unter dem Messer weg flattert
mit großem Geschrei durchs Küchenfenster; es war die Zeit wo die andern Hühner schon alle
im Hühnerstall mit ihrem Hahn der goldnen Ruhe genießen, kaum hörten sie aber das Nothgeschrei
der Henne, als alle loslegten mit Gackern! Ich war voll Schreck über meine Kühnheit, die
Hinrichtung zu verhindern. Ich jagte das Huhn durch den Garten, ganz am End der Pappelwand
fing ichs erst ein, wo sollte ich mit hin, bracht ichs zurück so wurde es dennoch abgethan,
aber mir schauderte eine Suppe von diesem Huhn zu essen. – Ich marschierte zum Gärtner im
Boskett. – Der nimmt es unter seine Obhut bis bessere Zeiten kommen – Wie kann man auch
Thiere, die täglich unter uns herum laufen, uns trauen, einem nicht aus dem Weg gehen,
plözlich, was sie gar nicht gewärtig sind, über sie herfallen und fressen. Die taube Agnes
ist sehr erschrocken, daß der Poltergeist die Schawell unter ihr weggezogen hat, sie erzählt
noch mehrere Fälle von diesem Spukeding; – einmal war es mit ihrer Haube
288
ausgerissen, – sie war aber am Fensterrpiegel hängen geblieben. – Diesmal mit der Henne,
keiner glaubt ihr das, aber jeder wundert sich daß es verschwunden ist und nicht wieder
erscheint. – Und endlich, meint die Agnes, werden wirs doch einsehen daß es spukt.
Die alte Kordel sezte sich mit dem Rädchen herbei, die Agnes erzählte lauter
Geschichten von Küchenteufel, eine ganz apparte Klasse; wollt ich auch jezt sagen, daß ich das
Huhn weggeschleppt habe, keiner würde es glauben. – Abends beim Sternenschimmer, wo ich den
Kopf weit aus unserm Mansartfenster streckte, um recht viele Sterne zu Zeugen meines
feierlichen Schwures aufzurufen, that ich das Gelübde, Alles dran zu wagen wenn ich
einen Menschen in Gefahr sehe und wenn auch selbst das Messer schon über seinem Haupte
schwebt. – Ein rascher Entschluß vermag viel, aber Zagen ist das Verderben aller
Großthaten! Hätt ich nur einen Augenblick mich besonnen, so lebte jezt kein Männewei
mehr! – Und mit so einem Thier ists eine besondere Sache, man weiß nicht ob es ein
Jenseits hat, doch lebt es gern, doch hat es mehr mit der Natur zu schaffen wie wir,
doch gehört ihm die Welt, jeden Augenblick es drauf verweilt, ja es ist der Mühe werth
ein Leben zu retten, sei es welches es wolle. Ach
289
die Schwäne fallen mir hier ein, die ihr schneeweis Gefieder im eignen Blute mußten baden,
die Helden der Gironde! –
Schon wieder ist der Abend angerückt, lieber Clemens! – Heute sind keine
Ereignisse vorgefallen, nur Nachrichten eingelaufen, die aber viel versprechend sind.
– Savigny ist auf dem Trages und erwartet uns zum Diner den Sonntag, wir werden
also morgen in die Stadt gehen, diese Nachricht brachte Doktor Ebel als Auftrag
von Leonhardi, der uns einen Platz in seinem Wagen anbot. – Ebel ist ein
naturforschender Mistfinke, aber die Großmama geht ganz darüber hinweg, daß er immer
ein schmutziges Hemd an hat und schwarze Nägel, und that folgenden merkwürdigen
Ausspruch: Mein Kind! – die Reinlichkeit ist zwar die edelste Tugend und ist
verschwistert mit der sittlichen Reinheit. Selbst ein lasterhafter Mensch erhebt sich
aus seinem Sündenpfuhl, wenn er sich wäscht und ein reines Hemd anlegt, die Würde
des Menschen fühlt sich dadurch neu belebt. – Aber – – sagte sie und hielt ein, denn
der Mistfinke der einen Augenblick abwesend gewesen war, trat herein und brachte der
Großmama allerlei Abfall von der Natur, den sie sollte in ihr Naturalienkabinet
aufnehmen. Unter andern ein
290
Stück Leinwand von Asbest, was unverbrennlich sei. – Moose welche auf der höchsten
Spitze der Spitzberge wachsen, – purpurroth! – St. Piere und Büffon wurde
geholt, um über Schnecken und Muschelsamen, wovon Ebel eine ganze Bonbondüte
voll mitgebracht hatte, zu befragen, sie blieben die Antwort schuldig! – Ebel
erzählte also daß dieser aus dem Grund des schwarzen Meeres ihm von einem Freund zur
Untersuchung mit vielen Mühen und Unkosten gesendeter Muschelsame die wunderbarsten
Erscheinungen enthalte, mit einem Vergrößerungsglas betrachtet werde man die
ausgebildetste Formen drinnen finden, die so klein seien daß man sie für Sandkörnchen
halte. – Die Großmama war begeistert für diese Merkwürdigkeitstreckelchen, aus denen
die Welt zusammen gebacken ist und die Ebel mit Lebensgefahr unter einer
Taucherglocke von einem kühnen Taucher wollte erhalten haben, ein Paketchen draus
gemacht und mit Noten versehen in ein Kästchen gepackt, worin noch andre Seltenheiten
der Art liegen. – Das war nun was er in der rechten Rocktasche mitgebracht hatte. Nun
griff er in die linke Rocktasche. Das erste Päckchen enthielt ein Stück Spinnweb von
der Riesenspinne, – er konnte es ordentlich auseinander falten, ohne es zu zerreißen, es
fiel
291
dabei sehr viel Staub heraus, die Großmama hätte dies Chemiset der Arachne gewiß gern
unter ihren tausend Wundern der Welt besessen, allein Ebel wickelte es sorgfältig
wieder ein und steckte es in die Westentasche! – Ich glaub er hats irgend im Winkel auf
dem Boden entdeckt, und hat ihm die Reise aus Indien erspart! – Dafür entschädigte er sie
mit einem Stück Brod von der Brodbaumfrucht in Otaiti. – Dies war eine große Galanterie,
denn bekanntlich ist ihr Liebling unter allen ihren Werken dieser Roman, der auf Otaiti
vorgeht; sie war also durch dies Brod so entzückt, daß ihr die Thränen herabrannen! – O
Kinder, sagte sie, wie viel Schönes harret noch Eurer, wenn ihr Euer Interesse an der
Natur ausbildet, glaubt mir, nicht allein das wozu die Natur etwas geschaffen zu haben
scheint, hängt mit diesem Etwas zusammen, und ist darauf angewiesen; nein es führt alles
eine Sprache mit dem Geist. Dieser aber ist wie ein Kind, die große Rednerin Natur
spricht nur liebkosende Worte zu ihm, ja sie ahmt sein Lallen nach nur um ihm sich
verständlich zu machen; aber es muß einstens dahin kommen daß sie die höchste Begeistrung
zu ihm ausspreche und daß er ihr Antwort darauf geben könne. Ja, sagt ich, liebe Großmama.
Wenn die
292
Natur erst mit dem Menschen spricht, wie Mirabeau zu der Nation, dann werden lauter
Freiheitshelden geboren werden! – Ebel! – kreuzigt sich immer vor mir, er ist mehr
noch als Hase! – Jede Idee die ich ausspreche deucht ihm ein Pistolenschuß, das geringste
was ich sage hält er für eine Erbse, die ich ihm mit einem Blaserohr in die Perücke ziele;
– es kommt ihm immer vor als erschüttre ich das Weltall mit meinen Behauptungen. – Er
lauscht manchmal ob ers nicht krachen hört. – Er kuckt nach dem Wetter und behauptet die
Wolken die da heran kommen seien gewitterhaft von meiner electrischen Natur zusammen
gezogen, und er mag durchaus nicht in meiner Nähe verweilen bei schwüler Luft, er fürchtet
für sein geschäztes Dasein, das Gewitter könne in ihn einschlagen, und seine Seele
ungewaschen und ungekämmt vor den Richterstuhl Gottes bringen! – Der Herzog von Gotha war
dabei, als er dies einmal sagte, und hatte seine Verwundrung über den gelehrten Naturforscher,
er fragte ihn, ob er denn an ein leztes Gericht glaube, ob er an die Hölle glaube? – Da
kam es heraus daß er an noch mehr glaubt; nämlich an einen großen Actenschrank, worin alle
Lebensprozesse aller Menschen drinnen in höchster Ordnung aufgestapelt sind. Dieser
Actenschrank
293
ist sehr leicht beweglich, auf einen Wink fliegt er auf und präsentirt grade die Akten, die
zum Prozeß des Lebensverfloßnen die nöthigen überweisenden sind, denn kein Mensch wird
verurtheilt, er werde denn von der Gerechtigkeit des Richterspruchs überzeugt, – damit
er sich die Höllenpein nicht durch den Trost erleichtere, er sei ungerecht verdammt, – denn
Gott kann nicht ungerecht sein sezt Ebel hinzu! O Hirngespinst, o Scheusal, o Gespenst,
o Empusa, sagte der Herzog, und seitdem trägt Ebel den Namen Empusa! er wird auch nicht
mehr masculinirt, sondern muß weiblich passiren, was ihn ärgert, mich aber auch.
Genug von der Empusa; als sie geflohen war, so wollte die Großmama das Wort für ihn nehmen!
und meinte, es sei doch gut von ihm diese Freude ihr zu machen. Ich holte Licht und bat die
Großmama so sehr, sie möge doch die Asbestleinwand ins Licht halten. Aber ach, sie
brannte ab. – Adieu Leinwand! – Adieu Ebel, Du bist kein scharmanter Ebel mehr! –
Fortsetzung des historischen Briefes.
Am Samstag sind wir um neun Uhr nach Frankfurt gefahren! Der erste, der am Kornfeld von
Sachsenhausen uns begegnet, war die Empusa; sie hatte sich nicht mehr am Abend in die Stadt
getraut, es war Mehlthau gefallen und so blieb sie auf der
Gerber294mühle,
damit nicht auf ihm der Mehlthau sich hafte, der sehr oft die Auszehrung veranlasse. Ich rief dem
Kutscher halt, sprang aus dem Wagen, brach mehrere Aehren ab, nahm sie in den Mund und ließ
sie blühen; – dann persuadirte ich die Empusa, doch diese Roggenblüthe durch den Mund zu streifen
und zu essen, als ein ganz sicheres Mittel gegen die Auszehrung. – Dies hab ich im Kloster gelernt.
Empusa fraß die Roggenblüthe, fühlte sich nun, gesichert gegen den Mehlthau, ganz munter. – In
unserm Haus war alles voll Sonnenschein und erinnerte mich sehr an unsere Kindheit, wo wir uns als
in die Gallerie versteckten, um dort das kleine Seeschiff zu betrachten, und die unzähligen kleinen
Wachspüppchen von allen Ordensgeistlichen, vom Papst an bis zu den Bettelmönchen und Nönnchen. – Die
Gallerie stand offen, ich verweilte dort bei manchem aufgehobenen Kinderspiel aus unserer frühsten
Zeit; auch fand ich dort in einem Schrank den schönen Kastorhut der Mutter mit einem blitzenden
Band von Stahl und Goldperlen, auf den der Papa als die Johanniswürmchen sezte, wenn er mit uns
am Abend im hohen Sommer spazieren fuhr. – Der Kastorhut war mir gar zu lockend; ich sezte ihn
auf, er stand mir schön, ich glich der Mama, denn ihr Bild wurde mir
295
wieder ganz deutlich – und der Papa hatte mich auch lieb vor allen Kindern, ich glaub wohl daß ich
ohne Sünde den Hut kann behalten. – Ich frage bei Dir an, obs ein Diebstahl ist, – unterdessen hab
ich ihn zum Günderödchen gebracht daß sie mir ihn versteckt, bis du mir schreibst, ob du
erlaubst daß ich den Hut behalte! – ich behalt ihn aber doch! – Abends war bei der Gunda der
Thee; da waren allerlei Menschen, die ich noch nicht gesehen hatte, aber auch Link war da,
dein Freund! – sie erwarteten Heinse, aber der kam nicht, den ich doch so gern gesehen hätte.
Ich saß auf einer Schawell an der Thüre des Kabinettes, das ganz voll war! – an Günderödchens
Seite, so lehnte ich mich an sie und während ein Doktor Kästner sang: nicé bella nicé
amata schlief ich ein; kein Mensch hats gemerkt. –
Gestern am Sonntag fuhren wir nach dem Trages; – schon um sieben Uhr waren die Wagen vorgefahren,
alles was mitfuhr hatte sich im Saal versammelt, alles war eingestiegen, und als alles eingestiegen
war, da war kein Platz mehr für mich! – Da hieß es der Leonhardi kommt gleich vorgefahren mit
Fr. von Barkhausen, mit denen fährt die Bettine. – Der Leonhardi kam erst
gegen zehn Uhr! – keine Frau
296
von Barkhausen mit; man war unsicher ob ich allein mit ihm über Feld fahren könne, unterdessen
stieg ich ein und sagte fahr zu Kutscher, und bald war ich mit meinem Leonhardi in die
sommerlichen Felder entflohen. – Jezt laß Dir erzählen und glaub es nicht, das kann mich nur
überzeugen, daß es Dir zu toll vorkommt; er klappte einen Tisch auf, darauf legte er einen
Folianten, den er mitgenommen hatte, einen Krug Geilsheimer Wasser, den er mit einer Schlinge
ans Fenster befestigte, placirte er auch darauf, – und nun legte er sich mit beiden Ellbogen
auf seinen Tisch und fing an in der Chronik zu studiren und Excerpte zu machen. – Nachdem
ich eine Weile eine große Warze und eine kleinere Warze auf seinem Backen betrachtet hatte, so
fing ich an zu pfeifen. – Das war ihm verdrießlich; er bat mich stille zu sein, denn er habe da
was sehr ernstes vor und sich es zum Gesetz gemacht, nie Zeit zu verlieren! – ich schwieg recht
gern, aber ich sang in Gedanken und vergaß das Schweigen und sang wieder laut. – Das störte ihn
sehr; er machte mir Vorwürfe, daß ich keinen Augenblick Ruhe haben könne! – Als wir an einer
Schenke hielten um die Pferde zu futtern, sezte ich mich auf den Bock und ließ den Leonhardi
mit seiner alten Chronik im
Wa297gen!
– nur einmal ließ ich halten, weil eine wunderschöne Blume am Wege stand, die wollt ich pflücken;
da machte der Leonhardi einen fürchterlichen Lärm, ich hatte aber meine Blume. O blühte sie
doch ewig! – Es ist mir lieb daß bis jezt mir noch niemand gesagt hat wer sie ist, denn dann sezt
man gewöhnlich auch hinzu, sie ist ganz gewöhnlich und wächst da und da sehr häufig! – Nun laß Dir
nur erzählen, wie schrecklich bös ich den Leonhardi gemacht hab; ich wollte nämlich ein
Bischen fahren! und ich kann es auch recht gut. Da hat mir der Kutscher die Zügel gegeben;
der Leonhardi, der alle Augenblick aus seiner Chronik herauskuckt, sieht das, ruft ich
solls sein lassen die Pferde scheuen leicht. Der Kutscher sagt ich könnte getrost fahren; – ich
schnalze mit der Zunge und werfe den Pferden die Zügel ein bischen auf den Hals, sie werden
scharmant muthig und es geht noch einmal so rasch! – Der Leonhardi kriegt Angst schrecklich,
die Pferde seien ausgerissen, steckt eilig den Kopf durchs offne Fenster, wirft den Krug, der
Pfropfen geht heraus und das Geilsheimer Wasser fließt über die Chronik. –
Es mußte gewischt und geduppt werden den ganzen Weg! – aber jezt kommt was sehr lächerliches;
er holte einen ganzen Pack alter Zeitungen aus der Tasche,
298
ohne die er nie reist sagte er, – und nun wurden die nassen Stellen bepflastert; das ging so fort
bis wir in den Wald kamen, wo der Weg zu schlecht ist, um zu lesen oder zu pflastern. – Wir
kamen an, wie eben die Krebse auf den Tisch getragen wurden, – ungeheuer große Kerle aus dem
Goldweiher. Der Leonhardi zankte noch nachträglich auf mich daß ich allein am späten
Kommen schuld sei, – ich hätte alle Augenblick eine Blume abbrechen wollen, ich hätte das
Geschirr an den Pferden in Unordnung gebracht, ich hätte die Pferde wild gemacht. – Es waren
mehrere Hakennasen aus Savignys Familie da; – es war ein ziemlich heißer Nachmittag,
mit verbrannten Nasen kamen wir vom Hahnenkamm zurück; Savigny war über die Maßen
freundlich und schloß alle Schleusen seines Paradieses auf, und schien dennoch so einsam unter
uns allen, als wären wir wie eine Horde Räuber bei ihm eingefallen. Die Zeit kam zum Aufbruch;
auf der Heimfahrt war ich nicht in Leonhardis Kutschenverließ eingesperrt, er hatte
dagegen appellirt. – Ich schlief im Wagen bis in Hanau, wo die Pferde futterten; da sahen
wir Minchen und da theilte ich ihr Deinen Brief mit, sie freut sich recht die Heldin
Deiner Oper zu sein. Dort kam der Georg gefahren und
299
nahm mich in sein Gyk, wo ich durch die kühle Nachtluft sehr erquickt ward. – Heute Nachmittag
sind wir wieder in Offenbach angekommen; ich wollt, ich wär gar nicht fortgewesen, so müde bin ich
von dieser Reise. – Ich endige meinen historischen Brief, weil es mir grade so ist, als werde
nichts heut vorgehen, woraus ich geschichtlichen Honig saugen könnte. – Günderode, Minchen
und Marianne grüßen. – Du kommst wohl diese Messe nicht nach Frankfurt? –
Bettine.
Düsseldorf.
Liebe Bettine
Dein lezter Brief hat mich mehr als je ein vorhergehender erfreut, er ist recht fröhlich ohne
alle Melancholie und Du hast eine große Darstellungsgabe; immer mehr werde ich überzeugt, daß Du
eigentlich zum poetischen Auffassen aller Ereignisse, auch der kleinsten, das größte Talent hast,
und ich kann Dir nicht genug empfehlen daran festzuhalten. Alles, was Du mir erzählt hast, ist gut
und lieb und wahr. – Wie weh sollte es mir thun, wenn Du aus Deiner natürlichen Richtung herauskämest. –
Wie schön wird unsere Freundschaft werden, wenn nichts unklares und trübes mehr in ihr herrscht und
unsre Empfindungen
300
sich klar und tief aussprechen, und wir uns recht vernünftig an einander freuen können. Daß Du ruhig
und heiter bist und dahin strebst, fühle ich mit Freuden, und daß ich auch dahin strebe darfst Du mit
Recht von mir begehren. Du glaubst, ich werde diese Messe nicht nach Frankfurt kommen, ich komme doch,
und vielleicht bleibe ich den ganzen Winter über in Frankfurt. Savigny ist dann freilich allein
in Marburg, doch im Sinne des Worts genommen, ist er das wohl immer, was Du wohl an ihm bemerkt hast.
Am deutlichsten erscheint seine Einsamkeit darin, daß er einem nie vermißt; mich schmerzt das oft. Da
ich aber an die Vollendung eines Menschen kaum stärker glauben darf, als an die seinige, so wäre es
thöricht von mir näher zu untersuchen, ob er ganz recht hat, mich nur grade so zu lieben und nicht mehr;
er hat sicher recht und damit holla! – Eines fehlt uns, liebe Bettine, und mir mehr als Dir;
es ist die Kunst mit sich selbst genug zu haben, die müssen wir erlernen. Es ist das einzige Mittel
zum Überflusse zu kommen, denn dann haben wir die Hülle und die Fülle, indem unsre Liebe zu einander,
die nun Gott sei Dank das beste und edelste Geschenk des Geschickes ist, ein Übermaaß ist, über das
was als unsere innere Lebensgenüge noch obendrein uns
ge301worden
ist. – Gott wird Dir vielleicht und hoffentlich zu einem lieben Mann helfen, und mir zu einem lieben
Weibe, mit diesen Verhältnissen und dem gehörigen Glück und Unglück wird es sich so angenehm leben,
als es zum Leben nothwendig ist. Das nach der Meinung vieler Narren und Weisen höchst eitel und nicht
sehr zu schätzen sein soll. – Doch noch eins mein Kind! – es ist zwar leicht sich über vielen Verdruß,
über viele Kleinlichkeiten hinauszusetzen, noch leichter aber ists sich alles das zu ersparen. Sich
ein wenig einzuschränken, um keinen Verdruß zu haben, lohnt wohl der Mühe; Verdruß kränkt uns doch,
und nimmt uns das Vertrauen zu den Menschen; hieraus wäre wohl zu empfinden daß er dem freien
Lebensorgan unseres Herzens in den Weg tritt, und wenn wir ihn nicht mehr empfinden, so ist das doch
eine Abstufung unserer Seele. Wie schön ist es nun die Menschen um sich her so zu berühren, daß sie
einem keinen Verdruß mehr machen können, und doch die Freiheit und das ganze Leben seines Herzens zu
behalten. Daß Du nun von so vielen Menschen verkannt wirst, wie zum Beispiel von Ebel, der
trotz seiner schwachen Seiten ein sehr gelehrter Mann ist, und von Leonhardi, der offenbar
einen Widerwillen gegen Dich hat, wundert mich nicht,
302
da mir selbst in einzelnen Minuten Deine Erscheinung nicht ganz gefällt und mich drückt. Wenn ich
das empfinde, der ich Dich so gut kenne, wie sollen das alle die Leute nicht empfinden, die keinen
Menschen kennen? – Nun zweifle ich aber gar nicht, daß es Dir einleuchten werde, wie es nicht zu
verschmähen sei allgemein liebenswürdig und geliebt zu werden, denn nur dann kann man behaupten zur
wahren Schönheit des Gemüths gelangt zu sein, wenn kein guter Mensch unbefriedigt von uns geht. – Ich
weiß nicht Bettine warum es mich so unendlich unmuthig macht, wenn ich Trätschereien über Dich
höre, aber ich glaube es ist deswegen, weil es eine wirkliche Nachlässigkeit von Dir ist, sie zu
veranlassen. – So habe ich jezt zum Beispiel wieder gehört daß Du dem Mädchen, was Dich Sticken lehrt,
Briefe von mir und Dir vorliest, und was hindert dies Mädchen, sie mag ein gutes Geschöpf sein oder
nicht, das was sie gehört, herumzutragen? – Was Du selbst nicht verbirgst, wird sie auch nicht
verschweigen, und hat es wohl nicht verschwiegen, sonst wüßte ichs nicht. So wie Du zu ihr mit Deiner
Vertraulichkeit hinab steigst, steigt sie wieder hinab, und sofort ist der Weg sehr kurz, daß unser
ganzer Umgang ein Gassenhauer wird. Das ist nun eine sehr
303
verdrießliche Sache, das macht Dich und mich den Leuten lächerlich und mit Recht, und uns beiden
macht es die Leute beschwerlich, denen Du es so wenig wie ich verdenken darfst über das zu lachen
und zu spotten, was mit solchen Pretensionen im Kothe gefunden wird. Sehr ungeschickt und eben so
thöricht aber wär es, wenn Du dem Mädchen das verweisen wolltest, oder nur ein Wort darüber verlörst,
denn das Mädchen hat gar nichts verbrochen, sondern blos Dir selber sollst Du es verweisen und das
recht tüchtig. Diese ganze Geschichte kann zwar sehr zufällig und nicht so bedeutend sein, als sie
hier auf dem Papier Dir wiedergegeben ist, auch hast Du vielleicht Dein Vertrauen seitdem beschränkt,
von deren Mittheilung zu der niedrigsten Klasse kein großer Schritt ist, sie selbst mag sein wie
sie will, sie darum zu verwerfen wäre unmenschlich, aber überhaupt in eine vertraute Freundschaft
mit ihr zu gerathen, ist sehr thöricht. Du siehst nun ob die Brüder und Anverwandte keine Ursache
haben mit Dir und mir unzufrieden zu sein, wenn sie solche Dinge von uns erfahren sollten; ich glaube
sie haben keine Ursache unsern Umgang zu ehren, wenn Offenbacher Juden sich über ihn unterhalten.
Werde nicht traurig über die Geschichte, sondern nehme Dich in acht mit Deinem Vertrauen. Es kommt am
304
Ende der Verdruß auf mich und mit Recht, warum habe ich Dich nichts besseres gelehrt. Ich habe
unlängst dem Franz gebeten Dich nach Frankfurt zu nehmen; er thäte es gern, nur macht er
mancherlei Einwendungen, er begehrt daß Du der Toni gehorchen, reinlich, fleißig und häuslich
sein sollst, das ist nun freilich in Etwas gegen Deinen Freiheitssinn, der in Dir von der Großmutter
ordentlich erzogen wurde, aber das wirst Du ihm doch nicht verdenken, bei der großen Ausbreitung des
Familienzirkels im Hause kann er nur wünschen daß ein so junges Mädchen wie Du, sich an ihn und Toni
anschließe, dies ist eine nothwendige Folge seines treuen Gemüths. – Du wünschest nicht in Frankfurt
zu sein, so wie Du jezt bist ist es Dir viel angenehmer, weil Wald und Flur Dir vor der Thür entgegen
lachen, weil Musik und alles und die Einsamkeit Dir dort theilweise geraubt werden und auch der
Umgang der Großmutter Dir dort fehlen wird. Aber wär es vielleicht nicht besser und zuträglicher für
Deine ganze Zukunft, wenn Du Dich mit Geist und Seele in einen ganz andern Zirkel stelltest? – Du
würdest eine schöne Mühe anwenden Dich dem Franz gefällig zu machen, Du wirst selbst nach und
nach Dich mehr der Gesellschaft anderer Menschen, der das Weib nie
305
entgehen soll und darf, anpassen, und mit viel größerer Freude und Ruhe wirst du dich selbst und die
innere Bildung Deiner Seele fortsetzen, wenn Du siehst daß die Menschen Dich lieben. Es wäre selbst
das schönste Unternehmen mit Mühe daran zu arbeiten (ohne doch deswegen es merken zu lassen) die
Geselligkeit und Freundlichkeit unseres Hauses unter Deinem heimlichen Schutzrecht gedeihen zu machen,
und ich zweifle nicht daran daß es Dir möglich wäre, wenn Du recht wolltest. –
Sieh, das sind alles fromme Wünsche, und ich weiß kaum, ob die Momente, an die sie sich knüpfen,
wirklich eintreten werden, und ob es möglich sein wird je auf einem solchen Parterre des Witzes und
des Extraordinairen, einen freundlich häuslichen Garten anzulegen, wo jeder gern sein möchte. Ich habe
nie Gemüther angetroffen, die so warm lieben, und zugleich sich schämen diese Liebe zu äußern. So
trifft der Spott immer die Innigkeit, und ist keiner da, der sie auslacht, so lacht sie sich selber
aus. – Übrigens weiß ich bei allem dem nicht, ob man damit überein gekommen ist, Dich nach Frankfurt
zu nehmen; mein Wunsch wäre es beinah daß Du mehr in den gewöhnlichen Frankfurter Schlendrian kämst,
damit Du das Auffallende in Deinem Betragen etwas unterdrücktest, denn durch dies
306
Auffallende kannst Du leicht einstens noch viel Verdruß haben, nicht als wäre es deswegen schlecht
an sich, nein, es ist nur hinderlich und steht oft und bei dem Weibe fast immer im Wege, Gutes zu
wirken.
Die Sitte kann keinem Menschen erlassen werden; sie ist eine Art Allerweltsprache, ohne die man
nie verstanden wird; doch soll der Mensch in sie eben so wenig von Jugend auf hineingeleimt werden,
als er ganz unfähig für sie werden darf. Aber schön ist, wenn sie der Mensch mit freiem Willen
ergreift, sie durch die schöne Eigenthümlichkeit seines Daseins veredelt, und so allen Andern in
dieser allgemeinen Sprache sich selbst liebenswürdig und verständlich macht. Jede gänzliche
Verschließung des Menschen ist verderblich und hat etwas fürchterliches und unnatürliches, um so
mehr, wenn sie nicht ganz freiwillig, sondern durch eine äußere schmerzliche Berührung mit der Welt
hervorgebracht ist, die aus Unfähigkeit und Unbildung entstand; denn in dem Zusammenhang besteht
die ganze Größe der Welt, und an ihr können wir uns allein stärken und bilden. Wer sich diesem
Zusammenhang entzieht, muß ein großes reiches Leben zurückgelegt haben, das er nun ausbilden und
verarbeiten will, oder er muß sich von seinen Wunden heilen wollen, so kann er zu
307
entschuldigen sein, wenn er zurücktritt. Aber jener, der durch Ungewohnheit und Ungeschicklichkeit im
Umgang mit Schmerz und Sehnsucht nach eben der Welt, der er sich nicht anpassen kann, sich
zurückzieht und auf sich selbst reduzirt, der verdient bei allen übrigen Verdiensten doch von dieser
Seite für einen unvollkommnen ungeschickten Menschen gehalten zu werden, und wird mit Recht
ausgelacht, wenn er seiner Unbeholfenheit den Namen der Zurückgezogenheit oder der Betrachtung
geben will. So lange liebe Bettine als die Einsamkeit dir noch anklebt als Widerwillen
gegen die Gesellschaft, mußt Du Dich nach den Menschen umsehen, und alle Mittel anwenden Dich
von allen Menschen geliebt zu machen.
Das Leben des Weibes ist fester und unbeweglicher als das Leben des Mannes, das Weib berührt
die Menschen näher und muß Segen über ihre Umgebung verbreiten. Was frommt es Dir, wenn dann
und wann ein geflügelter Denker an Dir vorübereilt, der Dich grüßt und weiter eilt, und Dir
die Sehnsucht unbefriedigter Liebe zurückläßt! Ich weiß nicht, welches Bild schöner ist, ein
Marienbild von einem trefflichen Meister, das in einer kleinen Dorfkirche vergessen hängt,
aber vor dem, fromme und unschuldige Menschen beten,
308
oder eine herrliche Statue in den Händen von Barbaren, die dann und wann von einem
durchreisenden Kunstkenner oder von einem reisenden Engländer bewundert wird. Jenes wird
nie verkannt und immer gewürdigt, dieses wird selten erkannt und jeder Dünkel brüstet sich
mit ihm. Ich wünsche es daher herzlich liebe Bettine, daß Du auch verkehrtere Menschen
und gewöhnliche durch deinen Umgang, durch eine einfache, durchaus sittliche Erscheinung,
die, ohne aufzufallen alle die Rechte der Liebenswürdigkeit und Güte geltend macht,
erfreuen mögest. Du rettest dadurch mich von Vorwürfen, und machst daß Deine Liebe zum
Schönen nie als eine Zuflucht erscheint, sondern ein freies schönes Erheben, das wie die
Andacht und Religion, neben dem stillen häuslichen Leben steht. –
Arnim hat mir neulich viel geschrieben, er ist bis Mailand herumgeirrt und hat
viel gedichtet; sein ganzer erster Brief ist über Dich, doch ohne Verliebtheit, mit
freundlicher Achtung und Annäherung erfüllt. Wenn ich nach Frankfurt komme lese ich ihn
Dir vor; er ist jezt in Genf und grüßt Dich herzlich. – Sollte Dir übrigens der Vorschlag
gemacht werden nach Frankfurt zu kommen, so mache keine Einwendung, als höchstens daß Du
gern Dein eignes Kämmerlein haben
309
möchtest, denn die vielen anderweitigen Berührungen, denen du ausgesetzt bist, wenn Du
die Wohnung theilst mit Gundel, die ganz andere Gewohnheiten und Verkehr hat als
ein so junges Mädchen wie Du sie haben kannst, würde auf Deine fernere Bildung sehr
verderblich wirken. – Adieu liebstes Schwesterchen, sei vergnügt und fleißig und fein.
Dein Clemens.
Düsseldorf.
An Bettine
Bettine Du schreibst nicht! Das macht mich ängstlich um Dich. Du bist seit
vierzehn Tagen in Frankfurt; ich muß mir das von andern schreiben lassen, es ist zum
ersten Mal daß ein Brief so lang ohne Antwort blieb; ich hatte Dir geschrieben aus
ernsten Gründen und Dir ans Herz gelegt, was Dir so nothwendig, mir so wichtig und
heilig ist. Was kann Dich abhalten mir zu antworten? – Ich bin seit gestern hier aus
Jena wo ich mit meinem Ritter war, der auch Dir so gut ist, dem Du nichts
geantwortet hast auf seine liebevollen Zeilen. Was ist das, daß Du verachtest, wenn ein
so großes Gemüth Dich freundlich begrüßt, daß Du diesen Gruß verschmähest! ist es nicht,
als wenn Du dem Sonnenschein, der sich über die Dächer zu Dir hernieder
310
stielt, um Deine Wohnung durch seinen Besuch Dir freundlich zu machen, die Fenster
verhängtest. Ich schreib Dir heute nicht mehr, aber ich bitte Dich, vernachlässige
nicht Deinen treuen Bruder! Ich bitte Dich schreib, Du glaubst nicht wie es mich
manchmal packt als könne diese reine Freude an Dir mir verdorben werden. –
Lieber Clemens.
Ich sitze hier schon eine halbe Stunde und besinne mich, – nicht was ich Dir schreiben
soll, denn ich hab genug zu sagen, aber wo ich anfangen soll! Das geschieht mir nun schon
so oft, als ich auf Beantwortung Deines lezten längeren Briefs denke. – Und sonst war das
nicht so! – nie hab ich mich bedacht, es floß mir aus der Feder! – Deine Verweise kränkten
mich nicht, wenn sie auch manchmal aus der Luft gegriffen waren, – und jezt weiche ich dem
aus Dir zu schreiben, alles dient mir zum Vorwand; ich geh zur Günderode ins Stift,
ich bleibe länger bei ihr mit dem heimlichen Willen, daß es zu spät sein möge Dir heute zu
schreiben, und so vergeht ein Tag nach dem andern; an jedem wache ich auf mit dem Gefühl
einer Tagespflicht die ich gern hinter mir haben wollte, und zu untüchtig bin
311
sie zu leisten. Also Du siehst wohl daß es nicht Leichtsinn war, hätte ich den nur dabei
gehabt so wär mein Brief schon längst bei Dir angelangt. – Ich hab der Günderode
davon gesagt und hab ihr (es mag Dir vielleicht nicht recht sein) Deinen Brief ganz
vorgelesen. – Sie sagte der Clemens spielt in einer fremden Tonart in der Du nicht
bewandert bist, in die Du auch nie hinein kommen wirst, es ist daher nur zweierlei zu
thun, entweder Du antwortest ihm Punkt für Punkt wie wenn Du vor Gericht ständest, wo
man ja auch aus dem innern Lebenskreis herausgeworfen wie ein Hund pariren muß. Oder
Du überspringst alles was er rügt, was er frägt und empfiehlt, denn er wird doch wohl
nicht mehr von der Stimmung dieses Briefs durchdrungen sein. Ich fand auch diesen
letzten Rath vorzuziehen, allein wo ich hier am Schreibtisch sitze mit mir allein,
(denn Dein Brief hat mich isolirt und ich weiß nichts in diesem Augenblick vom
Spielplatz geschwisterlicher Liebe) also mit mir allein hier, in den Spiegel sehend
über meinem Schreibplatz. – Da regt sich ein ungeheures Selbstgefühl! – Clemens!
ich glaub wohl es giebt Menschen die sich lenken lassen von dem Geiste anderer, ich
auch, sobald dieser Geist in dem meinen wiederhallt, sobald also er den meinen zur
Über312einstimmung
weckt. – Diesmal thut er das nicht, ich könnte diesem Brief wie der Inquisition gegenüber
stehen, die nie den Sinn von einem freisinnigen Menschen erfassen kann als nur zu seinem
Verderben! – Und – noch eine Frage: Soll ich Dich beschämen durch meine Antwort? – Das
wär schlimm, denn es bewiese Dir daß es mit der Hingebung in Freundschaft und Liebe nichts
ist, daß alles Rufen und Berufen immer dem inneren Selbst weichen müsse, daß alles was
diesem inneren Selbst widerspricht von ihm mit Füßen getreten wird, und ich muß Dir sagen
lieber Clemens, daß ich ganz nach diesem göttlichen Ebenbild des Selbstseins
geschaffen bin. –
Nun lasse uns immer diese bittere Frucht anbeißen, denn ich seh es geht doch nicht
anders; und eher wird mir das Herz nicht leicht Dir gegenüber.
Also erst der Eingang Deines Briefes der mir ein Streben nach Klarheit und Ruhe
unterlegt! – Nein Clemens, ich habe kein mir bewußtes Streben der Art, das muß
von selbst aus dem Lebensquell hervorspringen. Eines Strebens bin ich mir bewußt, weil
sich alle meine Kräfte darin bewegen. Das ist innere Unantastbarkeit. Du nennst das
„die Kunst mit sich selbst genug zu haben“ – mir ist das keine Kunst.
313
warum? – weil ich alles mein nenne, weil alles mein ist, was ich anrede, was mich
erregt. – Sehnsucht hab ich nie gehabt, von Kindheit an nicht, ich könnte Dir aus
dem Kloster darüber erzählen. Das Schöne hab ich lieb gewonnen, ich nahm es an wenn
man mir es schenkte, um gleich es wieder zu verschenken. Nur in der Freiheit, in dem
Fürsichbestehen gefällt mir das Leben; und ich werde nie etwas an mich reißen. Ich
werde mich hinneigen, aber ich werde mich nicht gefangen geben.
Du denkst Dir also unsre Liebe zu einander als den „Überfluß und die Fülle des
künftigen Lebens? die uns zu der Genüge desselben noch obendrein gegeben ist.“ – Du
sprichst aus: „Gott werde mir hoffentlich zu einem lieben Manne und Dir zu einer
lieben Frau helfen.“ Das sind Deine Worte an mich! und das ist die Tonart in die
ich durchaus nicht übersetzen kann. Und – ich kann mich dabei auch gar nicht
aufhalten, die liebe Frau, der liebe Mann mögen sich zusammen finden wo es ihnen
deucht, ich will sie nicht genieren! mehr läßt sich von mir nicht herausbringen. – Jezt
gehst Du weiter in Deinen Vermahnungen, als ob die Philister Dich trunken gemacht
hätten und sprichst vom Verdruß und von Abstumpfung gegen die Berührung
314
mit Menschen. Ach das mag ich gar nicht noch einmal lesen, mir ist als müsse ich
mit einem Mückenplättscher diese närrische Mücken von Dir alle todtschlagen. – Nun
sagst Du, daß Dir, der mich doch so gut kenne, meine Erscheinung in einzelnen
Minuten auch nicht gefalle.
Ach wär es möglich, daß eine fremde Sprache eine andre fremde Sprache mit
ihren Klängen und Wortarten so ganz decke, daß einer einen Roman in der einen
schrieb, der andre in der Meinung es sei die andre Sprache in ihr dieser in
der ersten geschriebnen Roman läse? – und kriegte da eine Geschichte heraus,
von der keine Spur je geahnt oder gemeint war. So ists mit Dir, und ich muß
Deine Hoffnungen alle niederschmettern, daß ich mich bemühen würde, „allgemein
liebenswürdig und geliebt zu werden.“ Du hast mich nicht in meiner Sprache
gelesen; Du hast eine andre Natur herausgekriegt, die Dir nur dann und wann
nicht gefällt, meistens aber doch. Wenn Du aber in der meinigen Sprache mich
gefaßt hättest, so würde ich keinen Augenblick Dir gefallen, nein davon nicht,
von andern Dingen wär die Rede. Ein Gewimmel von Mißverständnissen.
Nun lasse uns noch durch den Morast der Trätscherei waten, da ich
hochgeschürzt bin und
315
daher nicht fürchte mich zu beschmutzen. – Und doch kommt es mir sehr hart an daß
ich hier Halt machen muß. – Was Deine Briefe anbelangt, so liegen sie alle mit
Nummern bezeichnet in einem kleinen Schränkchen, das ich zur Noth bei einer
Feuersbrunst oder Überschwemmung unter den Arm nehmen könnte und damit das
Weite suchen; ich geh an diesen Behälter nie, nur wenn ich einen neuen
Ankömmling hineinsperre wie im Kloster, heraus kommt mit meinem Wissen
keiner! – ja ich selbst lese sie nicht leicht wieder wie ich sonst wohl
that, denn eine zu große Masse von Gedanken durchströmt mich und führt
mich wie ein gelichtetes Schiff auf die hohe See, die Heimath hab ich im
Herzen, aber ich kehr zu ihr nicht zurück, ich lande unter fremden
Himmelsstrichen. – So gehts mit Deinen Briefen, sie sind meine Heimath, in
ihnen bin ich geboren, aber die Heimath hab ich verlassen. So wenig ich die
Thüre meiner Hütte öffnen kann hier im fernen Welttheil, so wenig öffne ich
diese Briefe die mir geliebt aber fern liegen. – Versteh mich! das heißt
liebe mich darum!
Nun will ich Dir noch vom Veilchen erzählen, Du sagst von ihr,
„sie mag ein gutes Geschöpf sein, zu der ich hinabsteige mit meiner
Vertraulichkeit!“ –
316
Wer bin ich denn daß ich mich herablasse wenn ich mich zu einem guten Geschöpf
vertraulich wende? – Bin ich ein Engel? nun die fliegen ja den guten Menschen nach und
bewachen sie auf Schritt und Tritt, aber ich glaube nicht daß ich ein Engel bin,
ich glaub vielmehr daß ich zu ihr hinansteige statt herab! – Sie ist diesen ganzen
Sommer in Wiesbaden mit ihrem Großvater, sie weiß der alte Mann muß sterben mit seiner
Krankheit, er ist schon zwischen siebzig und achtzig Jahr, aber sie hat ihn hingeführt,
seine Enkel hat sie ausgethan bei befreundeten Juden für ein Kostgeld so hoch sie es zu
erschwingen vermag. Die Hoffnung daß die Bäder ihm nutzen, macht den alten Mann geduldig
in seinen Schmerzen; so denkt sie ihn leise den Lebenspfad fortzugeleiten, so pflegt
sie ihn! Er ist mein Großvater sagt sie, mein Vater war sein Liebling, er hat gar sehr
viel an ihm gethan! – und so wischte sie sich den Schlaf aus den Augen am Abend, denn
sie war früh aufgestanden; – also da las ich ihr als vor aus den Büchern die ich von
Dir hatte, manches schöne Lied vom Goethe hat sie auswendig gelernt während dem Sticken,
und ich fädelte ihr die Nadeln ein. Es waren die liebsten Zeiten mir. Als sie wegging,
hab ich ihr versprochen nach den Kindern zu sehen; und ich bin
des317wegen
mit ihr im Briefwechsel, so lasse ich ihr Stickmuster bei dem Goldarbeiter Fink machen,
wenn sie neue Aufträge hat, – ich schicke ihr die Seide und das Gold und geb ihr meine
Ansicht, es ist mir immer das größte Plaisir wenn ein Auftrag bei ihr einläuft, wobei
meine Erfindung von ihr in Anspruch genommen wird, mein liebstes ist Stahlflitter und
Perlen, und lezt haben wir eine grüne Sammet-Robe in solchen Stahlguirlanden angeordnet
mit einem Netz von goldnen Raupen darüber, und das soll so wunderschön gewesen sein
schreibt sie, daß man nicht glaubt in Paris könne es besser gemacht sein. – Meinst Du
so was hätte keinen Reiz für mich? Wohl freue ich mich über einen solchen Brief. Und
wie manche Stunde in der Nacht habe ich in Erfindungen geschwelgt. Du siehst
lieber Clemens, die Gegend ist anders als Du sie gedacht hast, da ist kein Steg
der hinab in die Gemeinheit führt. Wir befinden uns innerhalb der Grenzen des
einfachsten Verkehres, und Deine Furcht, daß Dein Umgang mit mir ein Gassenhauer werde
und daß man ihn belache und sich darüber ärgere im Kothe zu finden was mit so hohen
Pretensionen auftrete ist dem inneren Wesen nach ungegründet. – Du schreibst „in
eine vertraute Freundschaft mit ihr zu gerathen ist thöricht.“
– Cle318mens
was wär es wenn ich auch dadurch mich abhalten ließ der Veilchen die kleinen
Gefälligkeiten zu erzeigen, weil Offenbacher Juden von mir sprechen? –
Mein Aufenthalt hier in Frankfurt dauert nun schon vierzehn Tage, Morgens früh wecke
ich den Franz und laufe mit ihm in die Gemüsgärten vor der Stadt. Das ist meine
beste Zeit. Da ich mit der Gundel in einem Zimmer wohne so ist das Eckelchen
worin ich mich bewege sehr klein, dafür hab ich einen größeren Raum bei der Günderode
im Stift, wo ich Landkarten male von Alt-Griechenland. – Doch dort kommt der alte
Domherr von Hohenfeld hin und sieht auf mich herab und giebt mir Anweisung, das
ist mir unangenehm. – Ich hab früher mit dem Sonnenschein gern verkehrt, jezt ist mir
lieber die Nacht wo ich auf den langen dunklen Gängen spazieren gehe, und erwarte, daß
ein Geist kommt mit mir zu reden; mit dem Dominikus unterhalte ich mich über die
Republik der Herbstspinnen auf der Altan. Wohin ich gehe ist der wie von einem
allgemeinen Landregen aufgeweichte Pfad der Langenweile, in dem man leicht mit dem
Schuh stecken bleibt und nicht weiter kann! – Doch sollte ich mich nicht fassen
können und meinen Geist auf die Weide treiben, (Du nennst es Bildung meiner Seele ist
319
mir ganz unverständlich!) „ich soll mein auffallend Betragen unterdrücken,“ weiß nicht
in was es besteht, – soll die „Sitte als eine Allerweltsprache aus freier Anmuth führen
lernen,“ wo ist das Theater wo man diese Rolle spielt? –
Du hast es also gewünscht ich möchte Offenbach verlassen um in einen höheren Kreis
und Verkehr mit der Welt zu treten. Lieber Clemente, in dem Offenbacher Kreis
war die Katz zu Haus, in diesem hier tanzen die Mäuse auf dem Tisch! – Die Katze
konnte ich verstehen und Lehre von ihr annehmen, obschon ich oft dabei gähnen mußte.
Das lezte was ich ihr vorlas sind die lettres de Madame de Sevigné, es hat ihr
sehr leid gethan daß sie meiner Seelenbildung nicht konnte diese lezte Hand
anlegen. Hier verstehe ich wohl was sie meint. Diese an eine Tochter geschriebne
Briefe sind ein eleganter Tanz der Seele auf dem Tanzplatz der höheren Welt wo alles
ihrer Grazie bei jeder Wendung Beifall klatscht. – Ich werde nie in die Verlegenheit
kommen solche Briefe schreiben zu müssen. –
Adieu Clemens. Ich werde auch unter den Mäusen keine Gelegenheit haben mich
geltend zu machen; es ist ein appart Geschlecht, ich gehöre nicht dazu.
320 Ich hab einen recht garstigen Singlehrer, einen
alten Distelbart! pfui! wie mir der zuwider ist; wenn er fort ist mach ich
Fenster und Thüren auf, damit die Athmosphäre seines Dagewesenseins nicht im Zimmer
eingeklemmt bleibe. – Wenn Dir nächstens geschrieben wird daß ich über Schmerzen auf
der Brust klage, so bedaure mich nicht, ich muß lügen um des Distelbarts willen.
Adieu, ich gehe jezt zur Günderode und lese ihr diesen Brief vor, und consultire
ob ich diesen widerbellerischen Brief Dir schicken soll.
Clemens! – die Günderode hat gesagt, der Brief wär sehr gut und ich soll
Dir ihn schicken.
Bettine.
Düsseldorf.
Liebe Bettine
Du wirst Arnims Brief für Dich und Gundel erhalten haben, heute erhielt ich
Dein liebes Schreiben und danke Dir herzlich. Ich hoffe von Dir einen Brief in Marburg zu
finden, wohin ich in wenig Tagen abreise, und begehre denn auch sehnlich nach einem
ordentlichen schriftlichen Verkehr mit Dir. Dein heutiger Brief hat mir einen ganz eignen
Eindruck gemacht. Ich weiß nicht in wiefern sich Dein Gemüth verändert
321
hat durch Deinen Aufenthalt in Frankfurt, das Du so ruhig in eine verneinende Position
Dein ganzes Wesen übertragen hast. Ich kann mich nicht ohne Deine Treue im Leben denken,
und so habe ich leicht Furcht ich könne durch ein unwillkürliches Verletzen Dich
verscheuchen wie ein Reh, dem einer nachging und es liebt doch mehr den Wald als alle
Liebe die man ihm bietet. – Und was ist es denn was ich in meinem lezten Brief Dir
aussprach? – Alles was ich von Deiner Liebe erwarte; ich erwarte in ihr die Liebe eines
unverschrobenen reinen einfachen Gemüthes. Wenn Du aller Verschrobenheit entgegen arbeitest,
ich glaube zum andern, was ich Bildung der Seele nenne brauchst Du keine Mühe. Um eines
bitte ich Dich, lasse Dich nicht in die Basereien und Flüstereien ein die dort in der
Luft wehen, die als ewig langweiliger Schweif schiefer Liebeleien das Interesse für
unmittelbaren Geist durchkreuzen! Bleibe um Gotteswillen wie Du warst. Sei jedermann
höflich, aber nie, nie mit einem Menschen vertraulich, den Du nicht achtest.
Ich weiß wie leicht man durch das langweilige unordentliche Leben in der Gesellschaft zu
niedrigen Gattungen der Unterhaltung seine Zuflucht nimmt, da nichts Großes, nichts
Edles in ihr unsre Fähigkeiten anregt,
son322dern
Klatscherei, Coquettiren, dummes Wizlen etc. worüber der Mensch nach und nach schlecht
wird. Und solltest Du mirs verdenken daß ich zärtlich um Dich besorgt bin, und daß ich
in dieser Besorgniß jeden Schatten verfolge der sich in Deine Nähe wagt, von dem ich
nicht weiß, ob nicht ein falsches Licht diesen Schatten wirft, da seit einem langen Monat
Du nicht geschrieben hattest. Du müßtest mir immer etwas zu sagen haben, aber Du vergißt
mich gewiß einmal ganz. Andre mögen mir wohl gut sein, aber herzlich geliebt, scheint
mir, war ich nur von Dir, bei der ich keine Nebenbuhler hatte, deren Lehren Dir mehr
galten als die meinen. Menschen die nie wünschen können was ich wünsche, die waren nie
Deine Freunde, und Du hast mich bisher nicht in meinem Glauben geschwächt und mich mit
meinem Vertrauen noch nicht entzweit, wie mir schon manche schmerzliche Erfahrung geworden.
Liebe Bettine, thue Dein möglichstes mir getreu zu bleiben, hebe das dunkle
schwankende in Deinem Vertrauen zu mir auf, lasse es klar und fest werden, daß nie etwas
zwischen uns treten könne, selbst Deine Nachlässigkeit nicht. Außerdem bitt ich Dich noch
um eines: Ohne Dich öffentlich allzuhoch zu halten, so halte Dich doch innerlich über
jeden Preis. Der Edelstein, der
sei323nen
Preis bestimmen kann, ist der Taxe immer noch unterworfen. Sich so betragen, daß man den
verdient den man nicht lieben kann und den glücklich machen kann den man liebt; das ist
die Würde und die Höhe auf die sich die Bildung der Seele schwingen soll, und das ist
das ganze Geheimniß was Du vorgiebst oder auch meinst nicht verstehen zu dürfen. – O
weiche mir nicht aus; – die Idee, daß ich Dich jemals weniger schätzen dürfte, als ich
bis jezt zu meinem Trost und meiner Lebensfreude immer noch gethan, macht mich sehr betrübt.
O ich bitte Dich liebe Bettine, bringe es dahin daß die Menschen und Du selbst Dich
ehren. Wenn auch jene Dich nicht verstehen, und Du selber Dich nicht begreiflich machen
kannst. – Den zweiten oder dritten Jenner bin ich wieder in Marburg. Wenn es Dir
und Gundel Freude macht an Arnim zu schreiben, so erwarte ich Euern Brief
in Marburg zum Einschluß. – Hast Du nicht wieder das ungezogne Hannchen oder Hänschen
gesehen, Mienchen vergiß um alles in der Welt willen nicht zu grüßen und zu küssen,
ich kann sie manchmal Tage lang nicht vor den Augen wegbringen, sie ist meine Opernheldin,
nur noch viel lieber und zarter, sie hat mich einmal dazu verführt daß ich diese Oper schrieb,
täglich läßt mir der Kapellmeister
324
Ritter ihre Grazie in den schönsten Melodieen erklingen, und oft muß ichs selbst ihr
sagen in Tönen; noch am Abend spät erfind ich mir Melodieen zu meinen Versen, die Ritter
mit freundlicher Anerkenntniß in die Oper aufnimmt, für mich klingt das alles schön, ja
hinreißend. Aber kann michs nicht auch bestechen, die Lust sie doppelt zu besingen, mit
der Melodie und den Worten. –
Deine Verhältnisse mit dem Stickermädchen berühr ich nicht ferner. – Es ist einmal
traurig daß oft das einfachste wenn es ungewöhnlich ist, eine Laufbahn der Gefahr wird,
aber ich kenne auch Deinen Eigensinn oder Heroismus, – um Dich nicht zu beleidigen, – dem
Trotz zu bieten wenn Du etwas für Recht hältst, kenne ich.
Ich freue mich doch sehr auf den Savigny, da ich nun wieder Proviant auf die
langen Winterabende habe, ihm zu erzählen. Wenn er auch wenig oder gar nichts antwortet,
so hört er doch mit einem Interesse zu, das entschädigt für die Antwort die er einem
schuldig bleibt. – Du glaubst nicht wie wenige man findet in der Welt die ganz frei sind
vom Schlechten und Gemeinen, und wie ein Mann gleich Savigny ein wahres Wunderwerk ist.
325
Ich will Dir noch eine Ballade hierher schreiben die ich gestern gemacht habe, nur um
dem Arnim ein Gedicht schicken zu können, die Geschichte von Gottschalk Overstoulz
und der Maus und Bischof Engelbrecht, habe ich in der Köllnischen Chronik gelesen, es
geschah im dreizehnten Jahrhundert, das andre ist hinzugedichtet, viel Gutes mag vielleicht
nicht dran sein, aber es reimt sich doch, hat Anfang und Ende und gefällt Dir vielleicht.
Von Köllen war ein Edelknecht
Um Botschaft ausgegangen
,
Den Vater hielt ihm Engelbrecht,
Der Bischof hart gefangen.
Er ging gen Arle manchen Tag,
Er ging in schweren Sorgen,
Sein Liebchen ihm im Sinne lag,
Der hätt' er es verborgen.
Gar traurig er am Brunnen lag,
In Busch und grünen Hecken,
Da hört er schallen Hufesschlag
Und thät sich schnell verstecken.
Zum Brunnen ritt ein froher Mann,
Sein Hütlein thät er schwenken,
326 Ein andrer ging betrübt heran,
Die Lanze thät er senken.
Und sprach zum frohen – Froher Mann,
Was mag Dich so erfreuen –
Laß ab zu trauren, hub der an,
Gott will uns Trost verleihen.
Denn Gottschalk der getreue Mann,
Geht frei aus seinen Banden,
Durch Gottes Wunder er entrann
Mit allen den Verbannten.
Er hatte eine kleine Maus
Sich also zahm erzogen,
Die lief da freundlich ein und aus,
Und war dem Herrn gewogen.
Doch einst der kleine Freund entlief
Und wollte nicht mehr kehren,
Und wie Herr Gottschalk pfiff und rief,
Das Mäuslein wollt nicht hören.
Da sprach betrübt der treue Mann,
Ich muß Dich wieder haben,
Und mit den Freunden er begann,
Dem Mäuslein nachzugraben.
Und in der Erde eingescharrt
Fand Meißel er und Feilen,
327 Womit er ihre Bande hart
Gar leichtlich konnte theilen.
Der andre sprach, mein Schwesterlein
Das liegt gar hart gefangen,
So hart, daß selbst das Mäuslein klein
Nicht könnt zu ihr gelangen.
Des Schlosses Dach ist himmelblau,
Die Mauern grüne Wellen,
Die Graben rings sind Flur und Au,
Die Fenster Fluß und Quellen.
Der süße Knecht, die Liebe brach
In ihres Herzens Kammer,
Ihm folgten die Gesellen nach,
Der Schmerz und böse Jammer.
Die Hoffnung blies ihr Lämpchen aus,
Die Schmerzen sie bezwangen,
Und legte sie ins dunkle Haus
Wohl auf den Tod gefangen.
Am Fels wo wild der Rhein zerschellt,
Wo bös die Schiffe stranden,
Dort ewig sie gefangen hält
Der Schlund in kühlen Banden.
Ein Freund des Bischofs sie belog,
Herr Hermann sei erschlagen,
328 Der insgeheim gen Arle zog,
Den Vater zu erfragen.
Dann zäumten sie die Rosse auf,
Um von dem Quell zu scheiden,
Und gaben sich die Hand darauf,
Den Bischof zu bestreiten.
Und wie sie aus dem Walde schon,
Trat wieder an die Quelle,
Hermann des treuen Gottschalks Sohn,
Der traurige Geselle.
Er eilte an das Wasserschloß,
Wo bös die Schiffe stranden,
Und schrie, wer macht mich fessellos,
Wer sprenget mir die Banden.
Leb wohl, leb wohl, o Vater mein,
Leb wohl in großen Ehren,
Ich hab verloren das Mäuslein klein,
Es kann nicht wiederkehren.
Leb wohl, leb wohl, o Kerker mein,
Das Mäuslein ist verloren,
Das Schwert muß meine Feile sein,
Da thät er sich durchbohren.
Und stürzt hinab ins kühle Haus,
Wo Liebchen liegt gefangen,
329 O Liebchen breit die Arme aus
Ihn herzlich zu empfangen.
Ach läg' gefangen im kühlen Haus,
Die mich so hart betrogen,
Sie hätte, eh‘ dies Lied noch aus
Mich auch hinabgezogen.
Grüße die Gundel und alles, wem es Spaß macht dem lese mein Liedlein.
Clemens.
Marburg, am Mittwoch.
An Bettine
Den Montag bin ich von Münster wieder zurückgekehrt. Savigny ist mir dort
begegnet und war freundlich; daß ich keinen Brief von Dir hier gefunden habe macht
mich traurig, oder läßt mich einsam in meiner Trauer. – Deinen Brief, worin die Reise
auf den Trages beschrieben, hab ich ihm lesen lassen; er hat aber keine Sylbe
gesprochen und die Zeitung nachher gleich weiter gelesen. Überhaupt spricht er nie
von Dir und hört ungern von Dir reden. Das ist vielleicht in seiner Art und muß Dich
nicht verdrießen, Du hast die richtigste Ansicht von ihm, und wenn Du nichts mehr
330
von ihm begehrst, werde ich nichts mehr an ihm vermissen, der keinen Menschen vermißt.
Adieu, in höchstens vier Wochen bin ich bei Dir.
Clemens.
Lieber Clemens.
Es ist wohl wahr daß ich Dir lange nicht geschrieben habe, denn mein lezter Brief,
in dem ich wie ein ungebärdig Kind mich allem widerstemme, was Du mir vorhältst, der
gilt nichts. Aber diesmal, noch ehe ich Deinen langen Brief eröffnet hatte, nahm ich
mir vor auf der Stelle zu antworten; so hielt ich denn an mich, ließ mir erst eine
Feder schneiden, mit der ich gleich recht coulant schreiben wollte; und wie ich
schreibefertig war erbrach ich erst Deinen Brief, in dem ich las, und noch einmal las
und wieder las, daß Du in meinen lezten Brief Dich nicht zurecht gefunden hast, und
nicht mehr weißt, ob meine Briefe ruhig und zufrieden oder kalt und erschlafft sind;
ob ich Dich noch eben so liebe wie sonst, oder Dich ziemlich vergessen habe, da
stockten meine Gedanken. –
Ich habe zwar lange stillgeschwiegen gegen Dich, der Grund aber war kein andrer,
als weil die Antwort mir nicht gleich einfallen wollte; ich bin
331
nicht geübt mich zusammen zu nehmen und zu suchen in meinem Herzen nach Antworten.
Auf Vorwürfe die Irrthum sind, auf Sorgen die mich nicht grämen, auf Fragen von denen
ich nichts weiß. Da denk ich und will noch einmal denken, weil ich ja suchen muß nach
Antwort, und weil es ja nicht ist wie in Offenbach, wo ein frischer Wind durch die
Pappeln rauschte, alle Blätter zum Flüstern und Plaudern brachte, auch meine Gedanken
auf die Flügel nahm und zu Dir hinflog! – Sieh das ist Schuld daß ich weniger schrieb;
der Offenbacher Luftzug, ach, der erhielt mich so frisch! – Ach die Straßen waren
mein! die so sauber Morgens in der Frühsonne da lagen, und die rothen dunkelrothen
Granithäuser mit Spiegelfenstern und grünen Gittern. Ach jezt erst vermiß ich alles!
Wenn die liebe Domstraße noch in gemächlichen Morgenträumen sich dehnte, und ich mit
den reinlichen Täubchen allein drin auf- und abspazierte; sie waren mich so gewohnt,
sie flogen nicht auf, wenn ich kam! – und dann waren noch mehr kleine Hauptplaisir
und Schelmstreiche, die auf den ganzen Tag mich glücklich machten. Das war zum Beispiel,
wenn ich ging auf Raub nach Röthel für meine Zeichnungen. In dem rothen Granit, von dem
dort
332
die Häuser gebaut sind, steckt solcher Röthel von verschiedenen Nüancen bis zum
stärksten Scharlachroth! den hab ich in der frühsten Frühe, wo kein Mensch merkte daß
ich die Häuser demolirte, mir beim Herrn Nachbar herausgebohrt, und habe dann meiner
Flora einen Kranz von Rosen aufgesezt mit diesem gestohlnen Gut! – Vier Knaben in
Rothstift mit Perücken in schwarzer Kreide spielen mit einem Bock in weißer
venetianischer Kreide auf hellblauem Papier. – Die Gassenbuben, denen ich sie
manchmal aus dem Fenster heraushielt, freute es unvergleichlich, und einer holte
den andern herbei; manchmal waren ihrer fünf bis sechs, die baten, ich soll ihnen
den Bock zeigen, sie haben mich bewundert. – Hier hat Fräulein Leonardi
einen Homer gezeichnet! – er wird sehr geschäzt; ich werds nie dahin bringen
einen Kopf zu zeichnen, der so viel Lob verdient und so wenig Neid, da er grade
aussieht wie ein alter Schulmeister, der die Auszehrung hat, und deswegen sehr
ärgerlich gestimmt ist. Die Gassenbuben würden vor ihm ausreißen, aber nicht ihn
bewundern wie meinen Bock! – Ach die schmutzigen Straßen hier! wenn in Offenbach ein
Plazregen kam, sahen da die Pflastersteine aus wie frisch gewaschne Gesichter, – hier
muß man ein Paar Tage durch die
333
Pfützen patschen! – aber was schadet das, wenn die Sonne, die dort sie schnell
auftrocknete, nur hier Gelegenheit fänd irgend zu einem zu schleichen; so lang
ich hier bin hat sie noch nicht einmal mir das Fenster auf die Diehlen gemalt! – um
solche Dinge muß ich Sehnsucht haben, als müsse ich aus der Haut fahren. – Ich gehe
in die Karmeliterkirche, setze mich da in die Bank, wo das Kirchenfenster mit seinem
Weinlaub sich auf den Boden malt; der Schatten des Laubes spielt mir auf dem Kleid,
der Wind weht das Blatt herunter, so fällt Schatten mir vom Schooß, das amüsirt mich
so träumerisch. – Die Zeit, die ich dort verliere, – nicht wahr, ich könnte sie
nüzlicher anwenden? Alles ist hölzern, was ich hier ernsthaftes beginne! ich hab nur
Interesse an Dummheiten. – Ein innerer Drang, heraus aus der Frankfurter Eierschale,
die ich durchpicken möchte; – In die Kirche gehe ich ins Hochamt gern. Der Franz
sagt: Du bist ja recht fromm Mädchen! – Was zieht mich in die Kirche? – Der Weihrauch,
es ist doch ein bischen ein stolzer Geruch! – In den Straßen riecht es nach Schacher;
Sonntags sind die Läden geschlossen! Was steckt denn hinter diesen eisernen Stäben und
Gittern? – Schacher, Geld! – Was machen die Leute mit dem Geld? – Ach! Sie
334
geben Dinees, sie putzen sich und fahren mit zwei Bedienten hinten auf. – Gestern erzählt
der Dominikus daß in Wien immer ein Bedienter von Heu ausgestopft ist, das
riechen des Fiackers hungrige Pferde; sie schieben dicht an den Staatswagen heran, der
Fiacker schlummert, jeder Gaul packt ein Bein der Gallahosen, und rupft das Heu
heraus. Die Schenkel werden dünner, bis nur die Hälfte des Heumannes noch am Wagen
hängt; der Herr steigt ein, der andere Diener springt hinten auf neben den Halbmann,
dessen Eingeweide der Wind plündert. – Aller Reichthum ist ein ausgestopfter Kerl
mit dem man Parade macht, und die Lungerer sind die Hungerpferde, es ist ihnen einerlei,
ob der seine Eingeweide verliert, an dem sie sich sattfressen. –
Du merkst Clemens, daß ich wieder mit allerlei der Beantwortung deines Briefes
ausweiche! – Mich hat zwar dies lange Stillschweigen nicht irre gemacht, ich glaub noch
fest, daß ich Dir am nächsten bin. Dein Käfig voll Turteltauben, die Du am Rhein Dir
eingefangen hast, die Dir im Kopf girren und gurren und (Bemerkung der Günderode)
dazu noch andere herbeilockst. Deiner Bruderliebe zapfst Du ein Schöpchen Moral für mich
ab. Ich lasse es stehen, denn
335
ich kann keinen Appetit mir dazu anschaffen, aber ich nehme es für genossen an. – Und da
muß ich Dir doch wohl beweisen, wie ich das Kleinod Deiner Liebe heilig halte über alle Moral
hinaus.
Und sage Du nicht, aber Du vergißt mich gewiß einmal ganz! Dich vergesse ich nie, aber
ich vergesse manches über Dich. – Deiner Sorgen, die mich ermüden würden, wollt ich nicht
augenblicklich sie vergessen; Deiner Moral vergeß ich, die meiner Liebe Eintrag thun würde. –
Das Alltägliche Leben ist hier sehr zudringlich, wo nicè bella nicè ingrata mich
verfolgt durch die ganze Wüste, in welchem die Gemeinde der Gesellschaft sich versammelt;
da wars in Offenbach doch anders, wo ich jeden Tag im Erbrausen der Symphonieen mich konnte
verlieren. Die Abendstunden waren lieblich bei der Großmama, wo wir über alten Büchern studirten,
dort sind mir oft über Nacht die tiefsten Gedanken eingefallen. Ich hab die höchsten Rollen
durchgespielt, mich tief ins Leben hineingedacht, nicht blos so obenhin, und hab mehr in denen
gewaltet und geschaffen in meinem innern Sinn, als in allem Äußern. Ich dachte oft: auf was
freust Du Dich denn so sehr? – Es war, den Traum der Einbildung von voriger Nacht fortzusetzen,
336
wenn ich schlafen gehen werde. Meine großen Menschheitsprojecte, führte ich da auf die
Höhe des Weltmeeres. – In der Dunkelheit der Nacht so allein, da wird das Tiefste was man
will recht deutlich! – Wenn man durchführte was man in der Nacht bei Mondschein halbschlummernd
sich ausdenkt! – Was würde dann noch als Traum können verworfen werden? – Ich thue meine große
Thaten alle im Traum, das Morgenroth scheint mir oft noch hinein, so nah drängt sich ihm das
Tagsleben, und ich springe auf meine Füße ganz voll Willenskraft, aber wo soll ich doch das
Leben anfassen? – Für Einen zu sorgen oder Zwei, die mir grade in den Weg kommen, deucht Euch
allen Extravaganz! – Ihr verbietet mir mit einem armen Judenmädchen Umgang zu haben; und ich
will Umgang haben mit allem was zugleich mit mir auf dieser Welt lebt. Oder sind dies etwa
keine gerechten Ansprüche: daß ich bin; und der Hülfe bedarf, die Du geben kannst. – Aber
Sittlichkeit und Anstand, das sind zwei dumme Wächter, die dem menschlichen Sein und Willen
den Weg verwehren. Fordere nun nicht mehr, ich soll Dir treu bleiben; ich bleibe Dir in
allem treu, was meine Natur nicht verläugnet, aber Deine närrische Angst, ich soll nie, nie
mit einem Menschen
337
vertraulich werden, den ich nicht achte, während ich mit allen Menschen vertraulich bin! und gar
keinen Unterschied zu machen weiß, als der sich von selbst macht! – Manchmal bist Du doch gar zu
blind über mich. – Ich kann die Menschen gar nicht von einander unterscheiden, und soll doch mich
nur an die halten, die ich achte! – ich könnte zu dieser Achtung sehr leicht die unrechten
herausgreifen, was soll ich sie erst lange hin- und her wenden, zu dem bischen Umgang, das doch
nichts mehr gilt, als eine Prise, welche die schnupfenden Leute sich bieten. Die Günderode
und ich gehören einstweilen zusammen, bei ihr ist der Ablagerungsplatz unserer Bemerkungen und
Witzeleien; das macht sich von selber. – Ich bitte Dich um Gotteswillen, gebe doch auch Deine
Stoßseufzer auf, um einen lieben Mann, den du mir herbeiwünschest, und an den Du nur denkst, wenn
Du preocupirt bist, von einer andern Liebe, als der brüderlichen, wo dann, wie natürlich, keine
Zeit zu dieser bleibt. Es ist Vorsorge, geliebter Clemens, aber glaube, daß ich keiner
Stütze im Leben bedarf und das ich nicht das Opfer werden mag, von solchen närrischen Vorurtheilen.
Ich weiß, was ich bedarf! – ich bedarf, daß ich meine Freiheit behalte. Zu was? – dazu, daß ich das
ausrichte, und vollende,
338
was eine innere Stimme mir aufgiebt zu thun. – Die Liebe mein Clemente, die werde ich
einfangen, wie den Duft einer Blume, alles wird dem Geist zuströmen, der nicht mehr sorgen wird,
wie er sich soll zu verstehen geben; denn im Allerinnersten ist es Tag bei mir, dagegen mir die
Welt sehr dunkel vorkommt, in der ihr glaubt Licht zu haben, und dies Licht ist aber nur das,
welches die Philister scheinen lassen; ein garstiges, schmutziges Talglicht zum Nutzen und
Besten der Bärenhäuter, zu deren Nutzen immer das ganze Leben berechnet ist. – So gehöre ich denn
in einen andern Kreis der Allgemeinheit, wo sich fassen möchten: Kinder, Helden, Greise,
Frühlingsgestalten, Liebende, Geister. – Warum wähl ich mir diesen, weil die mich fragen nach
dem Irdischen, sie gehören zu mir! – Da glänzen die Wolken schon im Abendroth. – Späte Rosen
glühen schon in der Halbdämmerung! Nacht gieb doch Kraft zur Unsterblichkeit.
Bettine.
Einen Gruß von Gundel.
An Bettine.
Ich habe einmal eine Geschichte gelesen, von zwei Liebenden, die mutterselig allein in einem
Walde saßen,
339
aus dem sie nicht mehr heraus konnten. Diese Leute wandten alle Mittel auf, um der Langenweile
zu entgehen, sie sezten sich einander gegenüber auf Bäume, und pfiffen, und schimpften, und
machten sich Vorwürfe, hatten Ängste etc.; sollten in unsern lezten Briefen sich nicht einige
Ähnlichkeiten mit diesen Verliebten finden lassen? – Ich zweifle kaum daran, und es hat also
vermuthlich nichts auf sich. – Zu meiner lezten ängstlichen Ermahnung an Dich, hat mir eine
gewisse Undeutlichkeit eines Briefes über Dich Anlaß gegeben, die aber nur eine Undeutlichkeit
ist. Laß Dir daher meine Besorgtheit als einen Beweis meiner Liebe, und nicht als einen
Argwohn oder Beschuldigung gelten. Das ich seit einer Zeit nicht mehr im Ton früherer Tage
schreibe, fühl ich selbst deutlich, aber ich bereue es nicht. Alles Wesen hat auf Erden seinen
Frühling, Sommer u. s. w.; wir spielen ganz natürlich mit den Kindern und werden ernster mit
den Erwachsneren, denn wir fühlen, daß sie selbst zu leben beginnen, und wir haben nun kein
Recht mehr, sie zu zerstreuen. Wenn einer ein Erzieher wäre, so thät er dies absichtlich, ist
er ein bloßer Liebender, so thut er es ohne davon zu wissen, und so ist es bei mir der Fall;
unser Verhältniß ist nun ernster zu einander, und weniger auf die bunte Phantasie gegründet,
340
weil unser Verhältniß zum Leben ernster ist. Man wird zu leicht verführt, die andern
Menschen zu vergessen, sobald man sich einem einzigen mit Bequemlichkeit ergeben kann, und
man nennt es nur zu leicht ein liebendes Gemüth haben, wenn man ein einseitiges Gemüth hat;
und wir sollen uns ja durchaus bilden, und alle unsere Flächen der Seele, mit der Welt in
unschuldige, wohlthätige Berührung bringen. Je einzelner und ausgezeichneter aber der einzelne
Mensch ist dem wir uns allein hingeben, jemehr beschränken wir uns, jemehr bestehlen wir die
andern Menschen um das Wohlthätige was unsere Liebe für sie haben könnte, und wenn wir es
beim Lichte betrachten, sind die Menschen nicht so verschieden als sie aussehen. Wir dürfen
nur das Wesentliche vom Zufälligen in ihnen trennen und nur jenes lieben, o wird unsre
Selbstliebe zur natürlichen schönen Liebe für die ganze Gattung; und richten wir dann über
uns einzelnen, wie wir über die ganze Gattung so gern richten, so gehen wir der schönsten
Bildung entgegen; wir erheben uns zu Repräsentanten der reinen Menschheit, wir werden, was
wir für das Höchste, Schönste in der Produktion des Universums erkennen, wir werden Bilder
der reinen Menschheit, Ebenbilder Gottes. –
341
Je begehrender, je wünschevoller aber unser Herz ist, je größere Pflicht liegt uns ob uns
zu bilden, je rührender uns die Liebe anderer zu empfinden und anzuschauen ist, jemehr
müssen wir das in uns für sie ausbilden, was uns mit ihnen verbinden kann; denn der ist
kein guter Mann, der gerne wohlthut und nichts zu erwerben sucht. Wir beide lieben einander
herzlich um unserer selbstwillen, das hat die Natur durch die Ähnlichkeit unserer Gemüther
so wohlthätig in uns vorbereitet, – es bliebe also blos uns noch übrig, uns einander zu
lieben um aller andern halben! – Das ist schwerer, denn hier setzen wir allgemein
anzuerkennende Vortrefflichkeit in uns voraus; – laß uns bescheiden sein, und wir müssen
eingestehen, daß wir sehr weit von der Vortrefflichkeit entfernt sind, und hier trennen
sich unsere Wege, nicht unsere Herzen; denn wir müssen uns auf einige Zeit aus dem
Gesichte verlieren, da du ein Weib bist und ich ein Mann, und ein vortreffliches Weib etwas
ganz anderes ist, als ein braver Mann. –
Doch lasse das alles ungeschrieben sein, es gefällt mir nicht, glaube mir, Deinem Herzen
und Deiner Liebe. Damit Du mein Vertrauen und meine Liebe erkennst, damit Du die Menschen
begreifst, die um Dich sind, damit Du etwas freudig fühlst, was auch mich innig
342
erfreut hat, so sende ich Dir einen Brief, der mir über Dich geschrieben ward, und der für
Dich und mich den Beweis enthält, daß ein vortreffliches geistvolles Wesen den innigsten
Antheil an uns nimmt, Dich und mich liebt, – so schicke ich Dir die beiden Briefe,
wovon der erste meine Warnung an Dich veranlaßte. – Auf diesen ersten Brief antwortete
ich und beschwerte mich über die Undeutlichkeit seines Inhalts in Hinsicht Deiner, und
erhielt hierauf die heutige schöne Antwort, die ganz Dein Herz und Geist einnehmen muß.
Ich bitte Dich aber, davon daß ich Dir die Briefe mittheile, Dir nichts merken zu lassen,
da diese Leute Dir nicht vertrauen, wie ich es thue. – Nochmals bitte ich Dich herzlich,
ja sogar ernstlich, um Vermeidung aller männlichen Gesellschaft, außer in Gegenwart
von Franz und Toni. Auch bitte ich um Fleiß, lieb Kind; sei wahr und treu,
ich liebe Dich unendlich.
Clemens.
Beiliegenden Brief besorge an Minchen.
Ich finde den ersten der beiden Briefe nicht gleich; ich schicke also nur den zweiten,
aber schweige und schicke ihn zurück.
343 Clemens.
Sehr viel Ärger wird Dir alles machen, was ich eben im Begriff bin Dir zu schreiben. Ich
spür schon, daß ich sehr alles das sein werde, was Du im Ganzen ein ungezognes oder ungebärdiges
Ding nennen kannst, wenn Du willst; – erstens, da der zweite mir gesendete Brief, den Du
wunderschön edel nennst, nichts als Lüge über mich und von mir ist, so behalte nur Deinen
ersten ganz und gar für Dich, – denn es ist mir gar nichts daran gelegen, dergleichen
durchzustudiren! – Und ich wollte doch lieber etwas anders thun, als dergleichen Geschwätz
nur zu berücksichtigen an Deiner Stelle, ob dies oder jenes ist oder war. Ich sage Dir
feierlichst, warte bis ich irgend eine Explosion gemacht habe; dann schreie: hätte ich mir
das gedacht! – obschon auch dies nach geschehener That nichts helfen kann! – aber dann hat
doch Dein Nachseufzer einen Grundton, und kann daher schon eine Melodie aus sich entwickeln. – Du
hast mich nach Frankfurt promovirt – jezt, wo ich da bin, läufst Du wie eine Glucke am Ufer, wo
das Entchen schwimmt und glucksest Dich ganz müde vor Angst. Aber ich schwimme gar auf keinem
gefährlichen Element, es ist lauter Einbildung von Dir!
344
Deine Illusionen hüpfen wie die Heuschrecken in Deinem Brief herum; ich weiß nicht welche ich
zuerst erwischen soll. – Die aller ledernste Heuschrecke ist mir die, wo Du mich mit Gewalt
willst auf den großen Unterschied hinweisen zwischen einem vortrefflichen Weib, und einem
braven Manne. Mögen sich diese zwei beiden zusammen finden auf irgend einem glücklichen Stern,
nur das einzige bitte ich mir aus, daß Du es mir nicht zu wissen thust; und ein für allemal
will ich von diesem Heiligthum gänzlich ausgeschlossen sein! – Und zweitens – Deine Warnung
vor aller männlichen Gesellschaft! Die Günderode sagt zu mir, sie kenne keine männliche
Gesellschaft, außer die meine. Ich lieber Clemens, kenne auch keinen männlichen Umgang,
als den mit den Hopfenstecken, die mir die Milchfrau besorgt hat für den kommenden Frühling,
sie sind die derbsten unter meinen Bekannten, auch gehe ich zwar mit ihnen um, aber nicht zart;
ich schneidle dran zu recht kleine Rinnen, an denen die Bindfäden hin und her sich flechten. –
Manchmal hab ich die ganze Stube voll Hobelspähne und Schwielen in der Hand. Die nicè ingrata,
obschon sie Dein Universitätsfreund ist, und nachdem Du ihr den Doktorschmaus bezahlt hattest, mit
Deinen besten Kleidern durchging,
345
hat zwar einen Bart, und möchte vielleicht auch für einen Mann gehalten sein; aber sie sieht in
den Spiegel und singt nicè bella, und wer zweifelt, daß sie eine Nicè ist. Gerne
fliehe ich sie, so weit der Schall ihrer Stimme trägt. Clemens, vor Ärger kann ich das
Schöne in Deinen Briefen nicht würdigen, ich will im ursprünglichsten Geist mit Dir eins sein,
aber mich faßt eine Ungeduld, Deine Belehrungen zu überspringen; – es ist ein wahrer Schiffbruch
mit der Moral, sie ist wie ein Uhrwerk, an dem die Kette gesprengt ist, sie rasselt sich aus und
auf einmal steht die Uhr still, und so todt sind mir diese Werke der Belehrung! ich laufe
zur Günderode, sie liest mit mir Deinen Brief; wir sind beide drüber hinaus, wir zanken
einander, wir lachen einander aus, wir kommen auf keinen grünen Zweig! – Gestern gingen wir bei
schönem Frost um die Thore, Günderödchen und ich – es war schon dämmerig und die Allee
ganz leer; ich war aufs Glacis gesprungen und wollte das Kunststück machen, von einem Thor zum
andern zu kommen, ohne herab zu fallen, da trat der Mond hervor und ein leiser Wind machte ihm
durch die Wolken Bahn, da sprang ich wieder herab, und zog es vor mit der Günderode
einen sanften philosophischen Schritt zu halten.
346
Adieu! – Noch einmal! Dein mitgetheilter Brief ist voll Unkraut der Lüge.
Bettine.
St. Clair ist hier, – erste männliche Unterhaltung in der Ecke des Fensters,
– ich könne eine Jeanne d'Arc sein, in mir läge Stoff zur Heldennatur, die Auriflamme zu
ergreifen, für die Erhaltung der Freiheit und Menschheitsrechte. Diese Unterhaltung hat mir
geschmeichelt, – ich liebe Kriegesthaten! – Kühn! Entschieden! – das sind Eigenschaften, die
ich in meiner Seele ausbilden möchte, – aber der Sclavenmarkt der Gesellschaft ist dazu
nicht. – Wohin fliehen! – überall triffst Du auf einen Boden, der der Saat der Drachenzähne
nicht günstig ist.
An Bettine.
Meine liebe Schwester, Dein lezter Brief hat mir einen recht traurigen Tag gemacht, weil ich
so etwas nicht erwartete. Der Brief, den ich Dir anvertraute, ist einer der liebevollsten Briefe,
deren ich mich erfreute, Du erklärst ihn für eine offenbare Lüge! Wer so lügen kann,
liebe Bettine, der ist sehr geistvoll, und sehr liebenswürdig, ich hab diesen Brief
nochmals gelesen, und mich trotz Deiner Beschuldigung wieder von
347
ihm hingerissen gefühlt; – und wenn Du seinen Inhalt eben so verstehst, wenn ich ihn nicht
unrecht erkläre, so sind unsre Meinungen verschieden. Übrigens will ich Dir nicht Unrecht geben,
da du wissen mußt, was Du schreibst; nur mußt Du mir erlauben, mich für Dein Recht hierin
nicht zu interessiren. Ich sage nur so viel noch von jenem Brief, was ihn mir durch und durch
unschuldig macht: erstens fängt er damit an sich selbst zu beschuldigen, dann erzählt er
eine Abfahrt zum Ball, die wohl nicht wahr sein muß, weil Du mir von ihr gar nichts geschrieben
hast. Ein Ball, wo Dich die Leute alle ansahen, und Du allen auffällst, ist ja auch nichts
merkwürdiges in Deinem Leben. – Sonst enthält er nichts als innige Rührung über Deine Liebe
zu Franz und zu den Kindern, ja er tadelt sogar Franzens Neckerei und erkennt wie
Du Dich schön dabei beträgst. Was von Deinem Gemüth darin gesagt ist, das ist nach meiner Kenntniß
Deiner, nicht nur wahr, sondern sogar geistvoll dargestellt. Über den ganzen Brief ist Innigkeit,
Begierde nach der Liebe eines würdigen Wesens, und nach schöner Eintracht verbreitet.
Jezt will ich aus dem Briefe das ausziehen, was allein gelogen sein kann, weil es allein
Thatsache ist, weil der übrige Theil nur die Empfindung des
Schrei348bers
darstellt. – Erstens: Bettine war schön! das ist nun freilich gelogen und muß Dich
ärgern; sie sprach viel auch wohl in den Tag hinein! das halte ich nicht ganz für gelogen,
da ich es sehr oft bei ähnlichen Gelegenheiten mit einer unangenehmen Empfindung an Dir bemerkt
habe. Ich weiß wie leicht Du in unendliche Lebhaftigkeit übergehst, und um so auffallender aus
einer traurigen Stummheit hervor. – Das Unschuldige darin kenne ich auch, aber das kennen nicht
alle Menschen, nicht dieser oder jener, der gegenwärtig ist und dem Du dadurch frei oder thöricht
oder coquett vorkömmst. –
Ob und wann ihr vor oder nach der Ankunft von Leuten retirirte, ein Umstand, dem Du
mit Unrecht einige Widerlegung widmest, ist ganz uninteressant. Genug daß Ihr Euch zurückzieht,
da Ihr wißt daß Franz, dem wir nur seine Vortrefflichkeit danken können, euch gern sieht,
er der mehr werth ist, als wir alle, hat die Paar Freistunden, nicht die Freude der Geselligkeit,
er liebt uns so innig, und wir dankens ihm nicht. Ihr, die bei ihm wohnt, solltet ihm noch treuer
anhängen, und er klagt so bescheiden über das, was er Dir befehlen könnte, daß Du nicht
herunterzubringen bist.
349
– Du mußt viel von Gundel zu lernen, mit ihr auszutauschen haben, da Du selbst die Paar
Minuten dem Franz nicht gönnen kannst. – Ich habe immer gefunden, daß mit mir zusammen
Du nicht viel zu erzählen hattest, da wir keine große Abenteuer haben, warum mußt Du nun der
Familie die Abendstunden rauben, um sie wieder da zu verbringen, wo man auch Dich nicht wünscht,
und wo Du beschwerlich fällst, was Du aus folgendem Brief ersehen kannst, in dem dargelegt ist,
das Gundel ihren ganzen Tag opfert, Dich anzuregen, daß Du Deine Schuldigkeit thust
(ich hoffte, Du würdest sie von selbst thun). Ich finde es daher sehr indiscret von Dir, ihr
diese Stunden, in denen sie allein sein möchte, auch noch zu stehlen.
Wenn ich in Frankfurt bin, so lese ich oft Abends vor; Alle hören mir gern zu und sind
zufrieden mit diesen Stunden, warum kannst Du das nicht auch? – Ich verlange nicht von Dir
daß Du dem einen in der Familie mehr anhängst, wie dem andern; man soll keinem Menschen anhängen,
insofern er Partei macht! In Deinem Wesen sollte sich vielmehr jede zufällige Trennung vereinigen,
jedes Mißverständniß lösen. Im Wesentlichen hat nach meiner Ansicht einer so wenig mit Dir gemein,
als der andre; und Du sollst Dir
350
selbst vertrauen, und dem was Dein Herz am liebsten beschäftigt. – Erinnere Dich daß man Dir sagte,
Du würdest Dich an mir betrogen finden, und daß man Dir Dein Vertrauen zu mir vorwarf. – Du
äusserst oft Ausdrücke von Charakterstärke; diese sind zum wenigsten, wenn Du sie auch noch nicht
erprobt hast, doch ein Beweis daß Du auf diese Eigenschaften den höchsten Werth legst; ich hoffe
daher daß Du nichts zwischen unsere Liebe kommen läßt, was sie erkälten könnte. Wie der Hunger der
beste Koch ist, so ist auch die Langeweile der beste Kuppler. – Ich bin nicht vortrefflich,
es sind daher nicht meine Verdienste, die mich Dir interessant erhalten können, oder das neue
Überraschende in mir, es ist Deine Treue, wenn die nicht zur Lüge in Dir soll werden, wodurch
alles in Dir zur Lüge werden müßte, was wir in diesen Jahren mit einander erlebt haben an
guten und bösen Stunden, so kann der nächste Wind dies Band, das dann nur ein Strohband ist
zerpflücken und es als Spreu in die Lüfte zerstreuen. –
Wenn Du, wie ich hoffte, jene Erkenntnisse, die ich Dir immer gepriesen, wirklich liebtest,
wenn Du Dich dem eigentlichen Wesen der Kunst und Poesie hingeben wolltest, so würdest Du Ruhe,
Friede und Glück
ge351nießen,
ohne Dich den andern zu entziehen; Du würdest als wahr empfinden, was ich Dich immer gelehrt
habe, daß nur der Mensch kann geliebt werden, insofern er ein wahrer und reiner Spiegel des
Ewigen und Göttlichen wird. – Und Du würdest selbst Deiner Liebe zu mir ihren Werth und ihr
Gesetz geben können, insofern ich jener Voraussetzung entspreche. Ich habe Dir nie das Einzelne
gerathen. Ich habe Dir immer das Ganze zu zeichnen gesucht, wie ich es begriff; – um Deiner
Persönlichkeit keine Gewalt anzuthun. Ehre Deine Persönlichkeit und bilde sie zum Schönen für
Alle, dann wirst Du glücklich sein; werde nicht zur Thörin, wie die Andern, bilde Dir nichts
ein! Arnim läßt Euch grüßen; er schrieb mir von Genua, Nizza und Paris. – Mein Lustspiel
wird jezt zugleich mit einem Buch von Arnim in Göttingen bei Diedrich gedruckt.
Schreibe Deinem Clemens.
Grüße die Günderode, sage daß ich schreiben würde, aber ihre Antworten sind nicht
auffordernd, nicht erschließend, sondern vielmehr abschließend. Weiß Gott, warum wir alle aus
dem Paradies des Vertrauens herausgeworfen sind und keiner findet irgend einen Schleichweg
dahin zurück. –
352
An Clemens.
Die Weck- und Schreckposaune! ist aber nichts destoweniger das Kämpfende. Achtes Kapitel
sechster Vers: Jakob hatte lange mit dem ihm unbekannten Manne gerungen; alle seine
Kräfte angewandt und noch nicht genug, ob ihn gleich das Gelenk seiner Hüfte verrenkt war;
daher sagte jener: „Laß mich gehen, denn die Röthe des Morgens bricht an.“ Aber Jakob
antwortete: ich laß dich nicht; es sei denn, Du segnest mich.
Er will den Segen, der den Segen in Armen hat! – Er hält den der ihn und alles hält.
Dein Brief ist so voll sorgender Liebe zu mir und doch so ohne Zutrauen daß ich eigentlich
nicht weiß, ob ich mich freuen soll oder nicht. Wie kannst Du glauben daß dch witzig und coquett
werde, um Deine Liebe zu verspielen; ich werde alles thun, um sie unberührt zu behalten; ich will
einfach bleiben und gut. – Ich will auch auf den vergangenen Streit nicht zurück kommen und
nichts entscheiden über Recht oder Unrecht. Nur allgemeine Bemerkungen lasse mich hier oben
ansetzen; nämlich:
Erstens: Empfindung ist grade gelogen und Thatsache wahr.
353
Zweitens: Wer klagt ist nicht unschuldig!
Drittens: Einen Ball, wo die Leute mich ansehen, wie die Kuh das neue Scheuerthor, ist
mir gar nicht wichtig von ihm zu erzählen.
Viertens: Man kann mich loben, aber auch lügen.
Fünftens: Die unendliche Lebhaftigkeit, aus der ich oft plötzlich aus einer traurigen
Stummheit übergehe, und die Dir oft unangenehm aufgefallen ist, hat sich auf jenem Ball
nicht ergossen! – Soll ich Dir sagen, wie es mir ergangen ist an jenem Abend? – Als wir
eintraten in den Saal, da stand ein ganzer Trupp langer, dünner, kurzer, dicker, breiter,
alle schwarz gekleideter Tanzherrn in der Mitte, die so viel Raum zum Tanz ließen zwischen
sich und den Wänden an denen die jungen Mädchen zwischen Mama's aufgereiht waren, wie
allerlei Marktfrüchte, worunter Schoten, Rüben und Zwiebeln nicht die wenigsten waren,
hier und da ein angenehmer Blumenkohl, nur selten ein Borsdorfer Apfel, worunter ich zu
zählen; jezt holten die Herrn diese Rübchen, Zwiebelchen und Schoten-Bouquettchen zum
Tanz. Alle hatten Uhrketten mit allerlei Berlocken, manche zwei aus der Tasche hängen;
diese Berlocken machten ein Glockenspiel wie eine Heerde. Ich saß da dicht am
Musikanten354balkon
und vertrieb mir die Zeit mit beiden Händen meine Ohren zuzuhalten, um nichts von der Musik
zu hören; dabei sah ich mir die Menschen an, die da herumhüpften, und hatte die Empfindung,
als ob sie alle toll seien und endlich mußte ich lachen, ich ließ die Hände los, da brauste
mir der Walzer seinen vollen Strom ins Gehör! – dann machte ich ein zweites Experiment; ich
klappte die Ohren auf und dann wieder zu, so kam ich stückweis zu einer ganz apparten Musik,
die ich mir aneinanderflickte, wie eine Harlequinjacke! – so vertrieb ich mir die Zeit.
Endlich kam Grunelius der lange, und tanzte einen Walzer mit mir, ich aber nicht mit
ihm, denn er hielt mich schwebend und ich kam nicht dazu eine Fußspitze auf die Erde zu
setzen. Zu diesem Künststück mit mir, wie mit einer Porzellanurne herumzutanzen, brauchte er
alle Kneifgewalt seiner langen Finger, die er wie Krallen in mich einschlug; denn wär ich
heruntergefallen, so konnte ich den Hals brechen; da hätte man ihm vielleicht Vorwürfe
machen können. Wer war froher als ich, da ich wieder an meinem Platz war; nun schob ich mich
ganz unter den Balkon, hinter einen Haufen Shawls und Flöre; ich lehnte mich in ein Eckchen
und hatte ein heimathliches Gefühl, noch ein Weilchen konnte ich mit Mühe mich
355
wach erhalten, aber wie es kam daß ich dem Drang zu schlafen nachgab, weiß ich nicht zu sagen,
genug der Kampf war kurz, der Schlaf siegte, aber als edler Feind, denn nie hab ich süßer
geschlafen, die Musik war wie Goldfrüchte, die ein duftender Wind von den Zweigen löste, da
oben auf dem Berg und mir alle in den Schooß rollte; alle die Lichter waren Sterne am Himmel.
Auf einmal erwache ich zu meinem Erstaunen da zu sein, wo ich bin; statt dem Berg mit
Orangenbäumen besezt, lauter närrische Gesichter, die im Schweiß ihres Angesichts Baßgeige
und Fidel streichen oder mit aufgeblasenen Backen trompeten! – statt dem klaren Nachthimmel
mit Sternen, Staubwolken, die sich mit der Erleuchtung um den ersten Platz streiten. – Eine
Pause tritt ein, toute la masse des mâchoires en mouvement, mehrere Erfrischungen zu
verkauen. Es machte diese Bewegung, die immer zwischen den Kinnladen und den Schläfen
correspondirte, einen so fatalen Eindruck auf mich daß mir schwindelte, und ich fühlte daß
ich eine Art mal au coeur bekam! – Ach Clemens kann man so physisch unglücklich
werden, wie ich in diesem Augenblick war? – Ach hätte ich doch in jenem Augenblick in
Offenbach in unserm Hof können meinen Kopf unter die Pumpe
356
halten, wo ich mir schon manchmal ähnliches Weh vertrieb, wenn mich ein Ekel überkam über
irgend etwas, das mir unerträglich war. – Ach Gott! – Ach lieber Gott, Du hast so viele
geflügelte Boten, schick mir doch einen, der mich hier wegträgt auf mein Kopfkissen in die
Sandgasse, – Das war mein inneres Stoßgebet, ich wagte nicht den Kopf umzudrehen und nach
dem Engel umzuschauen aus Furcht vor dem Schwindel. – Da steht plötzlich der Franz
Chameau vor mir, ob ich den Kehraus wolle tanzen? – Da ich als vierjähriges Kind oft
mit ihm gespielt hatte, wo wir uns oft einander den Wall herunter gestoßen hatten, so
machte ich diesmal keine Complimente mit ihm und sagte: ach gehen Sie Esel und machen
Sie mir nicht schwindlich mit Ihren Uhrketten. Diese Worte können höchstens das gewesen
sein, was ich in den Tag hinein geredet soll haben; mehr ist mir nicht bewußt den
ganzen Ball hindurch gesprochen zu haben, den ich noch verwünsche! – ich muß fort, ich muß
wieder nach Offenbach, in die dunkle reine Nachtluft dort meine Seufzer verhauchen. Die
weißen Wände meines Stübchens mit den gelben Streifen, die Diehle von Holz, der grau
angestrichene Tisch und Schrank! – ach ich sehne mich dahin! – ach ich kann die Teppiche
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nicht leiden! die rothseidenen Vorhänge rauschen mich noch ganz krank – und ich kann jezt
nicht fortschreiben weil ich ganz übel bin, blos von der Erinnerung. –
Lieber Clemens, seit zwei Tagen liegt der angefangene Brief da, und ich mochte nicht
wieder dran gehen aus Furcht vor dem Schwindel, lasse uns über die anderen Punkte jenes Briefes
schweigen, aus Furcht vor diesem Schwindel! – ich weiß Dir ja auch was Besseres zu sagen, jezt
kommt der Frühling bald denn in Erwartung des März, hab ich keinen Respect mehr vor dem Winter,
und meine Sehnsucht, die grüne Saat bald herauskommen zu sehen stellt ihn mir auch näher, ach
ja gewiß, der Frühling ist ein Knabe aus weiter Ferne, in so reiner klarer Luft kommt er
herangezogen, daß man ihn schon von sehr weit her sehen kann. Heute habe ich einen Brief von
Dir wieder gelesen, den Du mir in lezten Frühling schriebst, er ist so schön; wenn ich die Zeit
mir ihm so entgegen eilend denke, wie die Felder und Wiesen dann auch bei euch grün werden,
und dann fangen die Obstbäume an zu blühen und der Himmel wird ganz blau! vielleicht schreibst
Du mir dann auch einen blühenden Brief wieder, wenn die Sonne auf Deinen Schreibtisch scheint.
Ich habe dann zwar noch eine Beschäftigung mehr,
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denn die Altan wird ganz mit Bohnen und Hopfen bepflanzt. – Das wird ein grünendes Zelt, das
ganze Haus wird lustiger aussehen. Die Stangen hab ich mit dem Dominicus schon
geordnet; – Kasten haben wir mit guter Erde gefüllt, da sollen die Sonnenblumen zu einer
erstaunlichen Höhe drin wachsen; auf die Mauer kommen erstens ein Aurikelflor, zweitens
Ranunkeln – meine liebsten Blumen! – wenn diese sind abgeblüht, dann kommen die Grasblumen!
Nein diese sind mir die liebsten! – In die Mitte mache ich einen Sitz, auf beiden Seiten
kommen meine zwei große weiße Rosensträuche hin, die der Gärtner in Offenbach mir
überwintert, und den Granatbaum, und den Feigenbaum, unter dessen Schatten man ganz gedeckt
ist! – Adieu lieber Clemens! ich bin und bleibe wie ich war, Du thätest mir das größte
Unrecht, wenn Du nur vermuthen könntest daß ich anders werde. – Ach ich kann ja meine Seele
nicht abwerfen wie ein schlechtes Gewand! –
Bettine.
Lieber Clemens.
Eben ist mein Brief schon fort, und da kommt George mit einem nachträglichen Anliegen an
Dich.
359
Am 19. März ist dem Clausner sein Geburtstag; George will daß wir ihm etwas
vorzaubern, um sein langes Alleinsein ein bischen mit vergnügten Augenblicken zu unterbrechen,
er meint, Du würdest gewiß etwas Schönes erdenken! – wo wir alle mitwirken könnten. – Was könnten
wir machen Clemens, besinne Dich, in der Übereilung fällt mir gar nichts ein: vielleicht ein
Schattenspiel in der Thür vom Saal angebracht, das giebt ein Familienplaisier, wenn wir am Abend
alle beisammen sind und die Decorationen malen und die Figuren dazu; und mach fort, schüttels aus dem Ärmel! –
An Bettine.
Ich kann Dir nur ein Paar Worte schreiben, da die Post spät ankam. Dein Brief hat mich recht
gerührt, schreib mir doch ausführlicher und hüte Dich vor aller Überreizung. Du hättest eine Ohnmacht
gehabt, schreibt mir die Toni, und an die Wand Dich gestoßen und ein tiefes Loch dicht unter dem
Aug! –
Ich fühl es an meinem Aug, so sehr leid thut mirs! So sind wir denn wider recht einig; ach Gott ich bin
doch so ängstlich! – Sei doch nur recht vergnügt, so wirst Du gewiß nicht mehr solche Anfälle haben! Ich
360
habe Dich gekränkt zwei Wochen lang mit dummen Briefen, und dann kamst Du auf den Ball und warst im
Herzen nicht freudig dazu, da war Dir die ganze Welt ein Ekel, da mußte Dir wohl wüste im Kopfe
werden! – Warum muß ich denn allein nur so dumm sein, hätte ein Anderer so von Dir gedacht, ich hätte
ihm den Kopf zurecht gesetzt und hätte Dich geschützt gegen jeden Vorwurf! – Ach ich bitte Dich, sei
glücklich. Ostern komme ich nach Frankfurt da wollen wir uns recht ausschwätzen. Grüße die Gundel,
sage ihr mein Mitleid mit ihrem Unwohlsein, wie auch daß ich einen großen Brief von der Mereau habe
und daß zwischen uns ein artiger Briefwechsel, eine Art Präliminair-Friedensartikel sich zu erheben
scheint. – Grüße die Toni, aber Dein Aug, Dein Aug! das scharfe Eisen was so dicht daran Dich
verwundete, leidet doch Dein Aug nicht; ich fühle wie ich Dich liebe voll Angst! thut es denn noch sehr
weh? – und eine Ohnmacht, gut daß ich nicht dabei war. Ich bitte halte Dich gut! ergieb Dich keiner
Betrübtheit, wenn es vielleicht eine böse Narbe wird! Wenns doch erst besser Wetter wär, so könntest
Du doch die frische Luft genießen, sie ist Dir sehr nothwendig, sie ist Dein
361
Element. – Du mußt alles Traurige vermeiden! – es könnte Dir schädlich sein.
Lebe wohl lieber Engel.
Clemens.
Liebe Bettine.
Ich erhalte Deinen kleinen Brief wieder zu spät, um viel zu schreiben, grad noch fünf Minuten.
Kannst Dus mir genauer noch beschreiben das Geburtsfest betreffend? Illumination? – Ölgetränkt? – wohin? – wie
groß? so will ich Euch viele Ideen angeben, wenn Du mir umgehend bestimmter schreibst und ihr noch
nichts angefangen habt; – so kann ich euch bis zum 19. noch ein kleines Lustspiel dichten für die
Schattenpersonnagen. Braucht ihr etwa auch Verse? Schreibe bestimmt darüber.
Clemens.
Liebe Bettine.
Euer Fest auf Klaudinens Geburtstag liegt mir so am Herzen, daß ich wünschte ihr möchtet etwas
recht Schönes und Edles vorstellen, das Euch Ehre machte, Du weißt, wie oft auch das Oelgetränkte, wenn es
noch so gut angelegt war, verunglückt. – Ich habe daher
362
nachgedacht und etwas ziemlich artiges erfunden, was sich auch gut ausführen läßt und bis auf ein
Härchen paßt. Das Ganze ist ein kleines Drama in einer Scene, daß ich euch schreiben will, und das
ihr, wenn ihr mir augenblicklich schreibt, ob ihr meinen Vorschlag folgen wollt, schon den nächsten
Mittwoch haben sollt. Ich will es euch hier näher beschreiben: Einige Mädchen haben eine Freundin,
die sie sehr lieben und deren Geburtstag sie feiern wollen; sie wissen aber nicht wie, denn ihre
Freundin ist so vortrefflich, daß sie nicht wissen, wie sie ihr recht Ehre erweisen sollen. Da sie
über ihre Anschläge sinnend in den Wald gehen, finden sie eine Matrone, der sie ihr Anliegen
vorbringen; diese ist eine Zauberin und verspricht den Jungfrauen zu helfen. Sie sagt: ich will eurer
Freundin die Thaten des edlen Weibes zeigen, das an ihrer Wiege stand, sie unsichtbar wiegte, ihre
Träume bildete und ihr, ohne das sie es weiß, Vorbild und Schutzengel geworden ist, nehmt die Blumen
die hier liegen und windet Kränze; da müßt ihr euch dann zusammensetzen und Kränze machen und während
der Arbeit ein zweckmäßig sanftes Terzett oder Duett singen, wozu ich euch, wenn ihr mir irgend ein
Muster angebt aus einer Oper, einige Verse machen will, auch kann es Lied mit Chor-
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oder Wechselgesang sein, wie ihr mir die Anzahl der Jungfrauen, oder das Lied bestimmt. Wenn dann
eure Kränze fertig sind, so spricht die Zauberin: geht und holt eure Freundin und bekränzt sie; dann
geht ihr auf Clodine zu, die unter den Zuschauern sizt, hängt ihr die Kränze von weißen Rosen
und Lilien um und führt sie zu der Zauberin; diese nun hebt den Vorhang von ihrem Zauberspiegel,
indem die folgende Geschichte transparent gemalt und illuminirt erscheint.
„Claudia war eine römische Vestalin; ihr Vater ein Feldherr. Nach einem Sieg wollte er einen
Triumphzug in Rom feiern, aber ein Tribun der sein Feind war, verbot es ihm; Claudius
triumphirte dennoch. Der Tribun, erzürnt über seine Kühnheit, näherte sich ihm von hinten und wollte
ihn plötzlich vom Wagen reißen, Claudia bemerkte es und vergißt aus Liebe zu ihrem Vater
die Ruhe und Majestät ihres geheiligten Standes; sie springt dem Tribun vor, wirft sich in des Vaters
Wagen, umfaßt ihres Vaters Knie und weist den Tribun zurück. Dieser muß nun von seinem Vorhaben
abstehn, denn was eine Vestalin berührt ist heilig und sie ist dem Tribun an Macht gleich. Ich
habe euch die Scene mit der Feder skizzirt hier beigelegt, wie sie am wenigsten Mühe zu malen kostet. Man
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sieht von hinten in den Wagen, der Triumphirende merkt es noch nicht, alles ist der Moment. Die
Vestalin muß ganz verschleiert sein in weiße Gewänder gehüllt; auf dem Rande des Wagens steht eine
Viktoria, wie gewöhnlich bei dem Triumph, in der Ferne werden Trophäen getragen; das Ganze ist in den
kleinsten Raum gedrängt. – Wie schön paßt das auf Klodine, ihre treue Liebe zu ihrem Vater,
ihre Zucht, ihr Name Klaudia. Das wäre eine Scene. Eine andre aus dem Leben dieser Vestalin
ist folgende: die Römer wollten das Bild der Göttin Zybele nach Rom auf einem Schiffe über die Tiber
fahren, aber das Schiff ging nicht von der Stelle; da trat die Vestalin in einen Kahn, betete die
Göttin an, band dann ihren Gürtel an das Schiff der Göttin und zog das Schiff ohne Mühe herüber als
einen Beweis ihrer Tugend. Das wäre ein zweites transparentes Bild; dann könnt ihr um sie herum
tanzen und sie küssen und drücken etc. Ihr müßt mir aber bestimmt die Arien schreiben und die
Anzahl der Mädchen, damit ich die Verse schreiben kann, ihr müßt mir dazu die Worte der Arie
schreiben und wie sie einfallen, damit ich meine eben so einrichten kann. Ich meine Lotte
die Zauberin, Kundel, Du die Mädchen, oder auch die Jung dabei wenn ihr
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wollt, wegen dem Tanz oder wie es euch lieb ist. Da hättet ihr euer ganzes Fest einfach, neu und
schön; spreche doch mit dem Georg gleich darüber und wenn ihr dann wollt, so habt Ihr am Mittwoch
alles; ich eile mich und bleibe ein Paar Nächte auf. Die Bilder könnt ihr ja nach der Skizze
besser gezeichnet gleich von einem Maler zurecht pinseln lassen, sie müssen in der Form eines
großen Spiegels gemacht werden.
In diesem Augenblick erhalte ich den äußerst geistvollen Plan zu eurem Schattenspiel, ich will
alles so gut machen als ich kann, aber ich erschrecke fast vor dem Plan, wenn ich nur Leichtigkeit
genug besitze; das Ende sei mir überlassen sagt ihr. So haben wir denn wirklich wie Brüder in der
Ferne gearbeitet. Der Klausner steigt mit Winkelmann ein und fährt zu Brentano.
Nun fällt der Vorhang eures Schattenspiels und nun laßt meine Scene angehn, die geht gleichsam
bei Brentano vor, und das Edle Rührende in ihr hebt das Komische wieder auf, so daß das Fest
ganz den Eindruck einer freudigen Anmuth bekömmt. Euer Schattenspiel ist dann ein himmlisches
Vorspiel; was ich entworfen ist überhaupt äußerst leicht auszuführen, und wie glücklich
wird Klodine durch die Berührung ihrer kindlichen Zärtlichkeit sein. – Schreibt mir doch
366
gleich den Samstag, ob euch mein angehängter Plan gefällt. In Tonis Stube unter der Treppe
kann die Höhle der Zauberin sein, ihr dürft nur um die Ecke herum eine spanische Wand stellen, so
habt ihr ein Theater und in der Höhle ist ja noch dazu ein Eingang auf den Gang; schöner könnte
es nicht sein. Das Schattenspiel macht ihr an der Saalthüre und seid in Tonis Stube.
Während es hinweggenommen wird, kleiden sich die Schauspielerinnen an, die Gesellschaft tritt
in Tonis Stube und ist nun gleichsam mit dem Postwagen in der Sandgasse angekommen und da
geht das Weitere vor. Den Gesang, den Tanz könnt ihr ja weglassen, wenn es euch zuviel wird.
Aber mein Bild der Vestalin, meine kleine Scene mit der Zauberin, sie freut mich gar sehr und
ich weiß es wird sehr herrlich auf das Komische wirken. Schreibt gleich umgehend was ihr wollt,
an dem Schattenspiel fange ich heute schon an. Die Idee mit dem Postwagen und Winkelmann
ist göttlich. Danke der Toni herzlich.
Clemens.
Liebe Bettine.
Du hast mir einen schönen Ofenschirm geschickt, er entzückt alle Leute die ihn betrachten und ist
jezt der
367
größte Schatz meines Mobiliarvermögens, außer Deinem Portrait, wie Deine Liebe überhaupt mein
größter Besitz ist.
Ich sende euch hier das Schattenspiel, ich habe es in einem Tag geschrieben, das ist alles
was ich zu seiner Entschuldigung sagen kann. Die kleinen Cochonerien die es enthält habe ich
genau nach dem übersendeten Plan verfaßt und mir darin keine Freiheit erlaubt! – So eben erhalte
ich euren Familienbrief, worin Ihr noch viele Umstände vorbringt von Theater und dergleichen
was ich von hieraus nicht begreife, ich habe euch doch das Local bestimmt könnt ihr nicht fertig
werden damit, so spielt das Schattenspiel, und lacht wo möglich, ich will versuchen allein ohne
Hülfe die Claudine zu erfreuen; die Posse hab ich geschrieben das Edle will ich dichten!
– Auf den Schirm hat die Günderode mit Bleistift von ungefähr ihren Namen gekritzelt, auch
dies Zufällige hat mich sehr gerührt. Schreibe bis Mittwoch wieder Deine Briefe sind die einzigen
die ich jezt habe! –
Adieu Clemens.
An Clemens! –
Unser Theetisch hat sich in eine Pappfabrik verwandelt, George führt den englischen
Phaeton aus mit Jockey und Pferden. Franz macht die
Decora368tionen,
ich wollte die Schauspieler machen es mißlang, ich wurde abgesezt und darf nur immer noch das
zweite Bein machen den zweiten Arm und die Zimmer darf ich möbliren! – auch soll ich alle Nähnadeln
einfädeln. Günderödchen kommt zuweilen, weil ich nicht so oft zu ihr komme und dann
verschwinden wir ins kleine grüne Cabinetchen hinter der Treppe. Den Christian hatten wir
erwartet daß er uns würde helfen, er kam gestern an zu Pferde mit einem scharlachrothen Mantelsack,
einer Pelzmütze, einem Dompfaffen und einem zahmen Marder, den er mir schenkte; dies Thierchen
plagt mich sehr! aber weil es so sehr schön ist; es will auf meinem Schooß schlafen, und wenn ichs
herunter nehme dann knurrt es und fletscht mir die Zähne. Auch hat ihm der Christian tanzen
gelehrt, es quält mich, aber es ist mir doch eine Gesellschaft! – Die Proben vom Schattenspiel
werden gemacht; da ich keine Rolle dabei habe, so konnte ich gestern mit Marianne in die
Oper gehen! – ich hab mich an Offenbach erinnert bei der Musik. Palmira! – diese Oper giebt mir
die Empfindung, als läg ich auf duftendem Heu und schlief! und hörte das ganze nur mit halbem
Ohr. Heute Morgen war so schöner Reif, ich bin mit Marianne bis auf die Gerbermühl
gefahren, von dort
369
ging ich zur Großmama! – sie war recht erfreut; ich hab mit ihr ausgemacht, daß ich zum Frühjahr
bei ihr sein will und die ganze Frühlingsarbeit im Garten machen wie im vorigen Jahr noch! – Ach
das ist jezt für mich ein Erholungsplaisier! beim Gärtner war ich und hab nach meinen Bäumen
gesehen, alles sieht kernfrisch bei ihm aus und dem Frühling entgegen strebend. – Er glaube
nicht, sagt er, daß es diesen Frühling so schön sein werde, wie im vorigen Jahr! – die Witterung
lasse sich nicht so gut an! – Ach Frankfurt, du liegst mir wie Blei auf dem Herzen! in meinem
Schreibschrank hab ich in Offenbach gewühlt und hab da den Anfang von einer Beschreibung meines
Klosterlebens herausgefunden und dann auch ein Märchen, zu dumm – die Günderode hats
gesagt. Aber vom Kloster soll ich weiter schreiben, wenn das Schattenspiel vorbei ist. –
Es ist hier im Haus kein einsam Winkelchen, wär die Günderode nicht, dann wüßt ich
nicht, wo ich mich suchen sollte! – Der Toni ihr Kind hat die Röthlen gehabt, da hab ich
als Abends gesessen.
Heute Abend wird eine Hauptprobe des Zauberfestes vorgenommen. Ich mußte alle Rollen
abschreiben, hin und wieder laufen alles herbei holen! Am Samstag werde ich
370
Dir die Einrichtung und Verfassung des Ganzen berichten und den nächsten Dienstag wie das Ganze
abgelaufen ist. Lieber Clemens wenn wirst Du denn kommen? schreib mir genau den Tag,
rechne es aus, wenn es möglich sein kann, daß ich mich freue und jeden vorgegangenen Tag einen
weniger zählen kann, bis plötzlich die Freude hereinbricht daß Du da bist, und dann giebt es
schöne Tage! Ich werde die ersten Frühlingsgänge mit Dir machen, wir werden mit
dem Günderödchen manche Stunde verbringen; ach gestern wars schön bei ihr, da hatten
wir ein klein Feuerchen in ihrem Ofen angemacht und ohne Licht waren wir da beisammen, und
sahen die Flammen spielen, die Günderode machte ein Märchen draus, sie legte alles aus,
was die Flammen mit einander plauderten. –
Das schöne Wetter duftet schon wenn man vors Thor kommt, die Hecken können die Veilchen
nicht mehr verbergen, sie hauchen einem an, ganz vergnügt daß sie gebrochen werden! Die Luft,
sie kommt geströmt aus wärmeren Landen, man möchte mit sich aufschwingen, wenn sie den süßen
Athem der Pflanzen davon trägt. –
Bettine.
371 Liebe Bettine
So eben hab ich Deinen Brief erhalten, es freut mich daß meine schlechte Arbeit euch genügte;
die Kürze der Zeit etc. – Beiliegenden Brief gieb am Morgen ihres Geburtstages der Claudine,
er enthält ein Gedicht von mir, gedruckt für sie, Du sollst Niemand im Hause davon sagen, ehe Du
es ihr selbst gegeben hast; dann aber kannst Du ein Paket mit etlichen funfzig bis sechszig
Exemplaren dieses Gedichtes, welches ich heut mit dem Postwagen schickte öffnen, dem George
fünf Exemplare zum vertheilen geben, der Toni eben so viel, eben so viel der Großmutter
schicken; der Gundel auch so viel, auch schicke jeder Günderode eins, die übrigen
giebst Du der Clodine für ihre Freunde. Ich bitte Dich aber das Paket vom Postwagen nicht
eher zu öffnen, als die Clodine den inliegenden Brief erhielt, denn es ist unschicklich,
daß Du es eher gelesen hättest, als sie, auch liegt in jenem Paket keine Zeile von mir an Dich,
ermäßige daher Deine Neugierde und hebe es auf bis zur rechten Stunde, dann gehst Du auf Dein
Zimmer und theilst die Exemplare ein, und giebst jedem das seine. So geschwind habe ich noch nichts
gedichtet. Seit meinem letzten Brief, bis heut, gezeichnet, geschrieben, gedruckt! – Ich wünsche
sehr daß Du mir alles
372
schreibst, wie es gegangen, besonders ob sich Schwab erfreute.
Am Geburtstage einer Freundin von Clemens Brentano, den 19. März.
Durch grüne Auen wollt‘ ich mit dir schweifen,
Wärst du des süßen Maien frohes Kind,
Und wollte sinnreich nach den Blumen greifen,
Zu flechten dir ein zärtliches Gewind,
Wir Blüthen werden all‘ in Liebe reifen,
So spräch‘ der Kranz, weil wir dir ähnlich sind.
Doch keine Blume ist vor dir entsprungen,
Der ungetheilten Kraft bist du gelungen.
In leisem Schlummer träumend sinnt die Erde,
Wie sie die junge Zeit erfreuen soll,
Da sieht sie sich, in züchtiger Geberde
Stehst du vor ihr so sinnend, liebevoll,
Und jungfräulich begrüßte dich ihr Werde,
Der keine Blume noch am Busen schwoll.
Doch bald die Einsamkeit dir zu versüßen,
Läßt als Gespielen sie dich Veilchen grüßen.
So fehlen Blumen, Blume dich zu kränzen,
Die selbst des Jahres frühste Blume blüht,
373 Doch in des Lebens Garten ohne Gränzen,
In dem der Frühling ewig kehrt und flieht,
Seh‘ eine edle Blume fern ich glänzen,
Die bis zum Namen selbst dir ähnlich sieht,
Das Herrliche kehrt ewig zu dem Leben,
Und jeder Sommer muß uns Lilien geben.
Dich Römerin, Vestale seh‘ ich wieder,
Dich Claudia, die treu den Vater ehrt,
Keusch hüllt ein reiner Schleier dir die Glieder,
Die aller Liebe reine Flamme nährt.
Es priesen uns noch keines Sängers Lieder,
Den hohen Sinn, den uns dein Leben lehrt,
Bescheidne, zürne nicht, laß es gelingen,
Die Römerin will der Barbare singen.
Da Claudius, der Feldherr, siegreich kehrte,
Will er, als Sieger soll ihn Roma sehn,
Der in der eignen That den Römer ehrte,
Will im Triumphe auch die That erhöh‘n,
Doch ein Tribun, der tiefen Haß ihm nährte,
Will ungepriesen soll sein Werk vergeh‘n:
Es läßt der Mächtige dem Sieger sagen,
Du sollst durch Rom nicht deine Lorbeern tragen.
Doch achtet, trotzend auf des Sieges Flügel,
Der Feldherr nicht des Richters ernsten Stab,
374 Im Heeresprunk grüßt er die sieben Hügel,
Von seines Wagens goldner Höh‘ herab,
Und tausendfach in heller Waffen Spiegel
Grünt ihm der Lorbeer, den der Sieg ihm gab,
Es lenket durch des Volkes laute Mitte,
Der Zug zum Kapitole hin die Schritte.
Da öffnet zweien sich das Volks Gedränge,
Erzürnt tritt der Tribun zum Sieger hin,
Ihn, dem er untersagt des Siegs Gepränge,
Will er gewaltsam von dem Wagen ziehn:
Auch Claudia dringt durch der Bürger Menge,
Zu ihrem Vater und umfasset ihn.
Besiegt muß der Tribun zum Volke kehren,
Den sie berührte, muß er zürnend ehren.
Die Jungfrau gab dem Sieger das Geleite,
Der mit dem Adler nun die Taube trug,
So stand sie schüchtern an des Vaters Seite,
Und um die Tochter er den Purpur schlug,
In schönerm Sieg trug sie aus schönerm Streite,
Zum Kapitole hin der laute Zug:
So Heldenmuth und Schönheit sich gesellten,
Es triumphirt die Holde mit dem Helden.
Wer auf der Erde gleich den Göttern handelt,
Dem öffnet sich der hohen Götter Kreis,
375 Auf Erden sind sie menschlich einst gewandelt,
Und waren edel, sinnbegabt und weis,
Zu Göttern hat der Glaube sie verwandelt,
Denn Göttlichkeit ist aller Schönheit Preis,
So wollte Rhea gern, da du gebeten,
In deiner Heimath Götter Mitte treten.
Zu Schiffe auf der gelben Tiber Wogen
Führt man Cybelens Bild von Pessinunt,
Schon nahet sich des Segels voller Bogen,
Der Göttin Ankunft eilt von Mund zu Mund,
Sie zu empfangen kommt das Volk gezogen,
Doch plötzlich faßt den Kiel des Flusses Grund,
Und wie sich auch der Schiffer Arme regen,
Fest ruht das Schiff, und läßt sich nicht bewegen.
Da flehet kniend Claudia am Strande,
Der hohen Götter gute Mutter an,
Löst dann den keuschen Gürtel vom Gewande,
Und zu dem Schiffe führet sie der Kahn,
Den Gürtel knüpft sie an des Kieles Rande,
Und gütig folgt Cybele ihrer Bahn.
Stumm sieht das Volk sie durch die Wellen gleiten
Von Reinen lassen Götter gern sich leiten.
So in des Vaterlandes großer Sitte
Lebt Claudia die Römerin auch groß,
376 Nun theilst du, Claudia, in unsrer Mitte,
Ein frommes treues Kind des Vaters Loos.
Was göttlich noch auf Erden, folgt dem Schritte
Der Jungfrau gern nach in des Hauses Schooß.
Strebt Ihr zu gleichen, der wir uns verbanden,
Ich liebe Sie, die früher ich verstanden.
Liebe Bettine
Diesem Brief thue nicht so viel Ehre an, als allen meinen vorhergehenden, denn ich
schreibe in einer wunderlichen Stimmung, und scheine mir gar nicht vernünftig zu sein.
Seit einigen Tagen ist es so schönes Wetter hier wie im Sommer; ich sitze nicht mehr
meinem schwarzen Ofen gegenüber, alle Fenster meiner hellen Stube stehen auf; ich habe
keine Rast und keine Ruhe, ich gehe dem Haus aus und ein, kleide mich alle Augenblicke
anders an und empfinde eine ganz wunderbare Angst, so als harre ich am Fenster ein
geliebtes schönes Mädchen vorübergehen zu sehen; oder als müsse mich jemand heimlich
lieben, ich wüßte nicht wer, und wünschte dieser oder jener, kurz ich kann Dir's nicht
sagen wie mir es ist, und ich muß mich recht zusammennehmen nicht weichherzig zu werden.
Es ergreift mich alle Frühling so ein Hinausweh! – Heimweh darf ich es
377
nicht nennen, – und was mich dann betrübt, das ist, ich weiß daß es mir draußen auch
nicht wohler wird. Wenn Du es nicht wärst die mir das Leben zu erfreuen suchte, so wüßte
ich nicht wie mich anstellen. Bin ich nicht recht undankbar gegen Dich, Du opferst mir
Dein ganzes Leben auf, und ich bringe den größten Theil des Jahres fern von Dir zu;
Du zählst die Minuten bis zu meiner Ankunft und ich halte mich noch ein Paar Tage in
Wetzlar auf. Aber schreiben mußt Du mir nach Wetzlar, bei Herrn von Bostell werde
ich wohnen, mit der nämlichen Post mit der Du sonst hierher schreibst. Dienstag Abend
mußt Du mir schreiben, damit ich gleich aufbreche und zu Dir laufe. Den ersten und
zweiten Tag wird es nun zwar sehr herrlich sein wenn wir zusammen sind, aber die ganze
Woche, wie wird es dann sein? – und den Monat? – werden wir uns nicht im Hause
langweilen, während draußen im Wald jeder Sperling es besser hat? – Wir wollen recht
viel spazieren gehen, und Morgens früh, wenn noch alles schläft schon vor den Thoren
herumlaufen. So eben erhalte ich Deinen Brief, der eben so abgeschmackt vom schönen
Wetter spricht wie der meinige, ich hoffe doch, dieser soll Dich mehr freuen, als mich
der Deinige! ich fand einen fremden Ton drinn, oder
378
vielmehr ermüdet und abgespannt, was ich sonst gar nicht an dir gewohnt bin, Deine
Unruh treibt Dich auch umher, vielleicht ist das schöne Wetter dran Schuld. Bis den
Sonntag werde ich gewiß bei Dir sein, lebe wohl. –
Clemens.
Von Minchen Günderode hast Du lange nicht geschrieben; wenn die Günderode
Dein Märchen nicht gut findet, so ists noch nicht gesagt, daß ichs nicht erst sehen will,
ehe Du es ins Feuer wirfst, wie Du es schon mit manchem gemacht hast. Wenn sie aber sagt,
daß Deine Klostergeschichte gut ist, so freue ich mich unendlich darauf, sie mit Dir zu
lesen. Ist sie denn schon so weit, oder hast Du vielleicht noch Platz in dem Heft, das Du
dazu wirst geheftet haben? Wie schön wärs, wenn Du mir alle Tage ein einziges Blatt wolltest
davon vollschreiben bis ich komme, noch acht Tage nach Empfang meines Briefes.
Liebe Bettine.
Claudinens Brief war mir die schönste Belohnung, und doch ist mir ein ganz
gewöhnlicher von Dir immer viel lieber als ein solcher ungewöhnlicher. Daß Du mir heute
nicht geschrieben ist mir ordentlich ganz
379
schmerzlich gewesen; Du hast mich verwöhnt mit Deinen Briefen. Ich werde nun nicht mehr lange
ausbleiben; Bostell ist hier, mit dem werde ich einige Tage nach Wetzlar gehen, dann
komme ich nach Frankfurt, aber eher mußt Du nicht aufhören mir hierher zu schreiben, bis ich
Dir sage daß ich nach Wetzlar fort bin, bis zum Sonntag hab ich gewiß einen Brief noch von Dir.
Ach es ist mir eine so große Wohlthat, wenn ich Dich zufrieden weiß daß ich am Freitag mit
Begierde dem Postwagen entgegen eilte, weil mir Christian geschrieben hatte, er werde
kommen; ich hab zum wenigsten erfahren daß Du heiter und vergnügt bist, auch hat er mir die
Relation vom Fest gebracht. Robinson ist mit Christian gekommen; ein guter Kerl,
eine Art von wunderlichem Leonhardi. – Ich kann heute Dir nicht mehr schreiben, es
genüge Dir daß ich seit Tagen mehr als je an Dich denke, und besonders seit ich von Arnim
aus Bern einen schrecklich langen Brief erhielt, in dem er von Dir kein Wort spricht. Nein das
ist nicht wahr; er grüßt dich herzlich und denkt oft an Dich. –
Wie stehts um Deine Klostergeschichte? – schreib mir! es ist keine rechte Ruh mehr hier
im Hause; der Pfarrer Bang liegt oben und schnarcht, Christian
380
bläst immer lamentable Flöte und Winkelmann excerpirt die Lesebibliotheken. Nun kommt
dieser Welthanswurst der Robinson und will von mir profitiren, und nun bin ich schon ganz
zusammengeworfelt und finde mich zwar zusammen, aber nicht aus mir heraus.
Clemens.
Lieber Clemens.
Hier ein Brief von Md. Mereau, der an mich adressirt war; Du hast sie vielleicht jezt
schon gesehen und mit ihr gesprochen, sage mir, ob sie noch schön ist oder vielmehr, ob Du sie noch
lieb hast. Ich war auf der Gerbermühle und hab der Marianne von Deinem Lied erzählt, nun mußt
Du ihr es auch schicken, sie ist sehr begierig darauf wie natürlich, ich soll Dich grüßen von ihr.
Ich hab gefragt, warum sie so wenig mit uns war während Deinem Hiersein; ach sie wußt es nicht
warum! – Und ich weiß auch nicht warum ich hier sitze und der Zukunft den Rücken drehe und in den
Spiegel einer weit zurückgezogenen Zeit schaue und auf einen kleinen Fleck nur schaue. Das ist der
Beginn unseres Briefwechsels! – Weil Du jezt fort bist, so hab ich mich gar nicht mehr besinnen
können, wie ich Dir sonst schrieb, der Mereaubrief will
381
doch zu Dir, ich muß ihn schicken und schreiben! – da suche in nun in Deinen früheren Briefen,
wie es sonst mit uns war, so ganz gedächtnißlos bin ich und finde ein Lauffeuer verbundener Gefühle
und Gedanken, ein Morgenroth, ein Morgenlicht, ein Aufblühen, ein Mittagsglühen, ein unermüdliches
idealisches Tragen und Heben, ein Lehren in Liebe verwandelt und endlich eine schöne reine
Lebenskühle! – Ich bin ermattet, sie thut mir wohl diese Frische! – meine Sinne wollen schlafen ein
wenig, es war ein zu heißer Frühling. Knospe an Knospe blühen alle, – Du gehst voran; ungeduldig,
da machst Du die Thür auf vom nächsten Revier, wo die Blüthen freudig herumtanzen und wie es da
weiter geht mit Befruchten und Reifen, das ergreift Dich. Das Leben will keine Zeit verlieren!
Ich aber bleib noch hier, das schmale grüne Fleckchen des Unvergeßlichen! – erster Geschwisterliebe,
erster Erscheinung des Lebens, der ich mich verbunden habe; das braucht ja keiner Rosengluth,
keiner glühenden Früchte, das Hoffnungsgrün ist so rein, so einladend immer, auch im Nebel lebendig
durchschimmernd. – Das ist mein Plätzchen. –
Es ist jezt sehr still bei mir weil Du nun fort bist, ich werd mich aber bald wieder dran
gewöhnen. –
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Du wirst doch wohl nicht mit Deinem Freund Wrangel nach Rußland gehen! – ich rathe herum! – sonst
hast Du mir alles gesagt, diesmal gingst Du mit einem Geheimniß auf dem Herzen! – Ich seh Dich in
Gedanken übers Meer forteilen; das gebührt Dir ja auch. – Ich ging in andre Welttheile und machte
da jede Hütte auf an Deiner Stelle. – Wie ist das dumm, das man wie ein eingesperrter Vogel von einem
Stängelchen zum andern hüpft, von Marburg nach Frankfurt, wieder nach Marburg, zur Abwechslung nach Jena
oder Weimar! – für was lernt man Geographie und kann die Welt auswendig auf den Tisch malen! – und
bleibt hinterm Tisch sitzen, kommt nie in sie hinein. O welche schwere Verdammniß die angeschaffnen
Flügel nicht bewegen zu können; Häuser bauen sie, wo kein Gastfreund Platz drinn hat! – O Sclavenzeit,
in der ich geboren bin! – Werden die Nachkommen nicht einst mitleidig mich belächlen daß ich mirs mußte
gefallen lassen, wenn wir vielleicht als Geister einstens sclavische Natur uns vorwerfen! – Wie! Ihr
habt den Geist eingesperrt und einen Knebel ihm in den Mund gesteckt und den großen Eigenschaften der
Seele habt ihr die Hände auf den Rücken gebunden? – Ach Clemens gehe Du doch nur immer aufs Meer,
wo jede Welle
383
in die andere fließt! wo nichts noch feste Gestalt hat, wie gewonnen so zerronnen! besser daß alles
zerfließe, als das Gestalt gewinne, was nicht ganz Großmuth und Freiheit wäre! – Das sind so nachwehende
Töne aus meinen Unterhaltungen mit der Günderode, die auf drei Wochen nach Hanau ist.
Gestern waren wir bei Bethmann zu einer Lektüre vom Hamlet, die Scene zwischen ihm und Ophelia
unterbrach die Vorlesung, jeder hatte sie allein für sich gelesen, aber laut sie zu lesen das wollte
keiner. – Ich wills vorlesen rief ich, und glaubte nur die Schwierigkeit dieser Scene, Charakter und
Doppelklang der Ironie wieder zu geben, verhindere das Weiterlesen. Wie, Sie wollens lesen schrieen alle;
ich war schon aus meiner Ecke hervor am Tisch und las mit lauter Stimme die ganze Scene trefflich, ja
trefflich, denn die ganze Zeit hatte ich eine Umwälzung aller Sinnen erlitten und nun kam die Rache,
und die Lenznacht meiner Empfindungen stieg aus meiner Brust empor wie eine Feuersäule und ich las fort
stehend und freute mich am Widerhall meiner Stimme, und – siehe da, alle waren fort in die andren
Zimmer, ich war allein gelassen worden. – Was sie dachten weiß ich nicht. Auf mich hatte es eine
glückliche Wirkung; zum erstenmal wieder
384
eine Nacht wie die in Offenbach sonst waren, wo der Schlaf so leicht mich deckte, als sei es ein
Erwachen in eine höhere Sphäre. – Es weissagt etwas in mir, daß eine Kraft in dieser Welt sei, die mit
Leidenschaft mich liebt.
Bettine.
Weimar bei Friedrich Maier.
An Bettine.
Ich ging so hastig von Frankfurt; mein eiliges Entlaufen, mein gehemmtes Gehen und Wiederkehren,
das mußte Dir geliebtes Kind wie das Thun eines Nachtwandlers vorkommen und so wars auch, ich war wie
ein Schlafender, der sich gern seines Traumes erledigte wenn er nur könnte; nun hab ich bei diesem
Abschied von Dir gefühlt daß ich träume, daß ich wohl erwachen werde, wenn ich im Traumwahn von Deiner
Seite weiche, daß ich dann in nichts Ersatz finden werde für die Heimath bei Dir. – Aber der Traum
giebt einem andre Hoffnungen, die allergrößten vom Erdenleben! – und führt einem durch die
allerunbesonnensten feurigsten Lebensepochen; ist man erwacht, so sizt man tief in der leeren
Erdenschererei und alle prophetischen Klänge der hohlen Baßgeige Erfahrung, begrüßen einem mit
385
dem fatalen: hab ich dirs nicht gesagt? bis jezt bin ich dahin noch nicht gekommen, meine
Hoffnung im Steigen, meine Erwartung vom Zusammenleben mit viel bedeutenden wunderlichen,
liebenswürdigen Menschen hier, aufs höchste gespannt! – Der Park steht in seinem edelsten Grün.
Du hast solchen üppigen Rasen, so belaubte Kronen, noch nicht gesehen wie hier, wo ein rascher kühler
Fluß mit unendlicher Geschäftigkeit alles Leben nährt und in seinem Verband hält, er giebt der
irdischen Lust allhier einen himmlischen Anstrich von Kraft, von Poesie, von Lebensfülle. Einbrüche,
Wortbrüche und noch speciellere Brüche stürzen alle die Verhältnisse ein, die nicht unter
des Wonnemonatsheiligen Gerichtsbarkeit stehen. Er theilt Hirtenbriefe aus zu Schäferidyllen;
Ablaßbriefe, Beichtzettel, Schmutztitel von Erbau- und Predigtbüchern im Wonnemonat gehalten,
findest Du an den heimlichen Ufern der Ilm hingestreut, alles vom Wonnemonatheiligen unterschrieben.
Du findest aber auch in diesem Park die schönsten Altargeländer zum Anbeten der Heiligen! –
Gerichtsschranken zum verurtheilen, Ketten und Fußblöcke zum fesseln. Und da liegt mancher der sich
nicht kann helfen, da sind Prüfstände des tentamen und examen rigorosum des Lebens,
Krieg, großer Kampf,
386
kleine Hinrichtungen, Missethäter, die ihr Lebenlang an einer Kette schleppen, Gaudiebe und Gaudiebinnen,
die leicht von Hand zu Hand gehen lassen, was sie ewig zu bewahren geschworen hatten. Aber auch
mitten unter diesem Gewühl findet sich der Schlüssel zu dem stilleren Garten des Eden, in dem zuerst
das stille milde Erfreuen über das Sein einem anwehet, – wo man zuerst es sich sagt, welch beglückend
Gefühl dieses Sein ist, das die Entzückung unterbricht, um aufs neue wieder den Segnungen der Ruhe
sich hinzugeben. Der Morgen geht auf; – unter dem Baumschatten auf der Hausthürbank ruhig hingelagert,
sich und die Welt anschauen, das deucht einem das perennirende Vergißmeinnicht des Genusses. –
Ich könnte so fortträumen, um Dir zu beweisen daß ich träume! – Es ist ein wahrer Thauschimmer von
Lebensblüthen und alle meine Empfindungen sind ein blumiges Spielgärtchen, in der die erfrischte Welt
in der Morgenröthe liegt! – Und die Vergangenheit? –
Ich wohnte unter vielen vielen Leuten
Und sah sie alle todt und stille stehn,
Sie sprachen viel von hohen Lebensfreuden
Und liebten, sich im kleinsten Kreis zu drehn;
So war mein Kommen schon ein ewig Scheiden
Und jeden hab ich einmal nur gesehn,
387 Denn nimmer hielt michs, flüchtiges Geschicke
Trieb wild mich fort, sehnt ich mich gleich zurücke.
Und manchem habe ich die Hand gedrücket,
Der freundlich meinem Schritt entgegensah,
Hab in mir selbst die Kränze all gepflücket,
Denn keine Blume war, kein Frühling da,
Und hab im Flug die Unschuld mit geschmücket,
War sie verlassen meinem Wege nah;
Doch ewig ewig trieb michs schnell zu eilen,
Konnt niemals nicht des Werkes Freude theilen.
Rund um mich war die Landschaft wild und öde,
Kein Morgenroth, kein goldner Abendschein,
Kein kühler Wind durch dunkle Wipfel wehte,
Es grüßte mich kein Sänger in dem Hain;
Auch aus dem Thal schallt keines Hirten Flöte,
Die Welt schien mir in sich erstarrt zu sein.
Ich hörte in des Stromes wildem Brausen
Des eignen Fluges kühne Flügel sausen.
Nur in mir selbst die Tiefe zu ergründen,
Senkt ich ins Herz mit Allgewalt den Blick;
Doch nimmer konnt es eigne Ruhe finden,
Kehrt trübe in die Aussenwelt zurück,
Es sah wie Traum das Leben unten schwinden,
Las in den Sternen ewiges Geschick,
388 Und rings um mich ganz kalte Stimmen sprachen:
„Das Herz, es will vor Wonne schier verzagen.“
Ich sah sie nicht die großen Süßigkeiten,
Vom Überfluß der Welt und ihrer Wahl
Mußt ich hinweg mit schnellem Fittig gleiten.
Hinabgedrückt von unerkannter Qual,
Konnt nimmer ich den wahren Punkt erbeuten
Und zählte stumm der Flügelschläge Zahl,
Von ewigen unfühlbar mächtgen Wogen
In weite weite Ferne hingezogen.
Eben erhalte ich Briefe von Arnim mit seinen Reiseplänen schon unter Segel, er geht
übers Meer; unsre guten Wünsche, mögen sie ihm gute Engel der Begleitung sein; lese selbst,
die Briefe schicke hierher zurück. – Deine kleine Freundin Löwenstern wirst Du nun bald
wieder sehen, sie ist gestern abgereist, ich hab sie aus meinem Fenster bei ihrer
Freundin Fümelle einen zärtlichen mädchenhaften Abschied nehmen sehen; wenn Du sie
siehst, so empfiehl mich ihr als Deinen treuen Bruder, den ihre Freundschaft zu ihrer Gespielin
sehr gerührt hat; das Fräulein Fümelle wohnt mir gegenüber und wird wie ich höre auch
bald nach Offenbach gehen, ich sehe oft mit Vergnügen wie sie ihre kleine zierliche Figur von
Fenster zu Fenster trägt und keine
389
Ruhe in den Füßchen hat, und wie ihr Herr Papa sein Barbierbecken am Fenster stehen hat, und
wie das Barbierbecken den Herrn Papa abwartet bis er seinen Bart hineinschaben läßt von dem
kunstreichen Messer eines Weimarer Barbierheros! – Alles ist nämlich hier von einer Muse des
Übermuthes genährt, keiner geht über die Straße ohne persönliches Gefühl des Mitwirkens in die
tolle Alltäglichkeit, selbst bis auf den Friseur, der einer der wichtigsten Cavaliere ist.
Das ganze Windmühlenwerk der Künste ist fortwährend im Gang, die Hand des Tonkünstlers und der
Fuß des Tänzers klappen in einander, die Kunstreihe körperlich geistiger Fertigkeiten wird durch
einen Aufwand geistiger Regierung aufs höchste gesteigert. Fragen, Suchen und Finden sind drei
verschiedene Ichs, die überall sich beisammen finden, sie bilden wie eine Öhlschlagmühle eine
Witzschlagmühle. Nun schlagen auch noch die Nachtigallen dazu. Zwischen den blühenden Büschen
wandlen Deutschlands größte Geister, eingehüllt in den Nymbus ihres Namens; – es ist für einen
Anekdotenjäger das beste Revier; wärst Du hier, wir würden die Zeit aufs beste genießen und Du
würdest auf dem Schmetterlingsflügel der Welt wie auf einem Teppig Dich tummmeln, denn so möchte
ich Weimar nennen
390
statt deutsches Athen, mit welchem absurden Namen es sich prahlt. –
Ich bleibe auf jeden Fall einige Zeit hier, wo Du mich gern wissen sollst, denn ich bin sehr
gern und glücklich hier und streife meinen Mißmuth ab wie eine alte Schlangenhaut. Das einzige
ist, das Salbadern mit Herders Tod langweilt mich; aber auch hierüber ist ein Scherz nicht
unwillkommen:
Herder ist von uns gegangen,
Göthe sieht ihm traurig nach;
Wieland trocknet seine Wangen
Und Amaliens Herze brach. –
Diese empfindsame Gesellschaft hab ich wie sie im Vers beschrieben ist, mit schwarzer Kohle an
die weiße Gartenwand vor Göthes Garten, der in den Park führt, abgemalt; alles ist hingegangen
es zu betrachten. Der abgehende Herder und der weinende Wieland sind unwiderstehlich
gelungen! –
Lebe wohl! schreibe mir, schreibe doch der Mereau ein paar Worte und liebe sie, wie ich
es um Dich verdiene, daß Du die liebst, die mich versteht. – Von allem diesen haben wir unter uns
gesprochen und Du wirst mit andern nicht davon reden.
Du kannst mir einen Gefallen thun, wenn Du mir
391
sechs kleine Chemisettchen gestickt und mit Kragen von feiner Leinwand machen läßt; ich wünsche sie
aber sehr bald, deswegen laß sie recht artig, aber nicht zeitspielig machen. Ich konnte diesen
kleinen Toilettenbetrug sonst nicht leiden, aber ich will hier ein bischen unter die Leute gehen und weiß
ja noch nicht ob sie verdienen mich in meinem wahren Hemde zu sehen; die Dinger müssen nur ein
Herzfleckchen und bischen Hals sein. Herz und Hals wage ich nur in der Liebe.
Dein Clemens.
bei Friedrich Maier.
Ich habe nicht Zeit das Lied an Marianne abzuschreiben, schreibe Du es ab. –
Es stehet im Abendglanze
Ein hochgeweihtes Haus,
Da sehen mit schimmernden Augen
Viel Knaben und Jungfraun heraus.
Sie wechslen mit Weinen und Lachen,
Sie wechslen mit Dunkel und Hell,
Mit schimmernden Augen und Wangen
Sie wechslen ihr Röcklein gar schnell! –
Dort hab ich mein Liebchen gesehen
Ein freundliches zierliches Kind;
392 Sie konnte wohl schweben und drehen
Wie fallende Blüthen im Wind.
Und die in dem Hause dort wohnen
Sind heilig und wissen es nicht,
Sie spielen mit Kränzen und Kronen
Alltäglich ein neues Gedicht.
Sie sind gleich den Göttern und handlen
Alltäglich in andrer Gestalt,
Mein Liebchen wird auch sich verwandlen
Das thut meinem Herzen Gewalt.
O Liebchen wo bist du geblieben?
Ich steh vor dem schimmernden Haus,
Und will dich bescheiden nur lieben
O Liebchen, o sehe heraus!
Ich will dein pflegen und warten
Im Herzen so treu als ich kann,
Da seh ich sie sitzen im Garten
Wohl bei einem reichen Mann.
So kauf ich mir Harke und Spaten,
Bind mir ein grün Schürzelein vor.
Ich stell mich als wär ich der Gärtner
Und klopf bei dem Reichen ans Thor.
Thu auf, o Reicher den Garten,
Ich will dir so gern ohne Sold
393 Die Blumen all pflegen und warten
Sie sind ja mein Silber und Gold.
So sei mir o Gärtner willkommen,
Zieh höher die Rosenwand mir.
Verflecht sie zu Netzen und Schlingen,
Ich habe ein Vögelchen hier.
Zieh höher und dicht mir die Laube,
Zieh mir ein gitternes Haus,
Daß keiner das Vögelchen raube,
Daß es nicht fliege heraus.
Da klinget so herzlich und süße
Im Garten ein inniges Lied,
Die Bäume sie senden ihr Grüße,
Die Blume lauschend ihr blüht.
Da seh ich mein Liebchen so weinen,
Sie sieht zu mir heimlich herauf.
Die Sonne will nicht mehr scheinen,
Die Blumen sie gehen nicht auf.
So hast du dann es verlassen
Das schimmernde Götterhaus,
Deiner Locken Gold wird blassen,
Deiner Augen Licht gehet aus.
O Liebchen, o sei nicht so munter
Du hast vergeudet dein Loos;
394 Dein Sternlein, es gehet ja unter
Tief in des Meeres Schooß.
Ans Meer will ich und stehen
Still in dem Abendschein,
Da muß in den Wellen ich sehen
Versinken dein Sternelein.
Im Niedersehen da rollen
Die Thränen still hinab,
Die sich vereinen wollen
Mit deines Sternes Grab.
Dies Lied hab ich ersonnen
Wohl vor jenem Zauberhaus,
Das glänzt in der Abendsonne,
Wo du nicht mehr siehst heraus.
Als Jugend um Liebe brennte
In irrem Liebeswahn,
Da wolltest du ihn nicht erkennen
Die hell mich blickte an.
Lieber Clemens.
Dein Brief hat einen Eindruck auf mich gemacht, wie ungefähr das Licht wirken muß auf einen,
der lange blind gewesen oder im Dunkeln herumtappte. – Du gingst von hier und warst so unzusammenhängend,
395
daß selbst die Trennung von Dir übersprungen war; Du liefst, Du liefst, hätte ich nicht dem Buben
vor der Hausthür mein Schnupftuch in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle Dir nachlaufen,
denn Du habest es vergessen, so wußte ich nicht, wie ich Dich im lezten Augenblick noch an mich
erinnern sollte. – Der Knabe kam zurück und sagte Du habest es in den Busen gesteckt und aufgetragen
mich tausendmal zu grüßen! – tausendmal! – Einmal wär genug gewesen! – wenn Du nur vorher Dich
besonnen hättest daß Deine Schwester Dir gegenüber stand und wartete, daß Du sie ans Herz drücken
solltest. – Der Knabe sagte mir auch der Postwagen war noch nicht fertig angespannt, Du seiest
voran dem Thor zugegangen! – Ach Deine Ungeduld fort zu kommen, sie war Dir eingeimpft durch
jenen letzten Brief, den Du aus Weimar erhieltst; das Fieber ergriff Dich gleich, Du stürmtest
fort! – Du hast mich immer geplagt daß ich nie einen Versuch gemacht habe Deine Bitte zu
erfüllen, irgend etwas niederzuschreiben. Ich hab ein Märchen geschrieben seit Du weg bist.
Ein schwermüthiger Jüngling von Träumen aufgeregt, erwacht in der Nacht, die heiß und glühend
die Welt umfängt, wie gestern, wo es die ganze Nacht
396
wetterleuchtete; er stürzt hinaus ins Freie mit seinen getreuen Hunden und kommt in einsame
fürchterliche Gegenden, wo schreckliche Wasserfluthen von den Felsen niederstürzen, und die Bäume
auf den Höhen über ihm zusammenkrachen, wo es feucht ist, und giftige Kräuter am Gestein sich
hinaufranken und betäubend duften. Hier hört er auf einmal ein helles fröhliches Lied singen,
mit lustiger Stimme, er geht dem Tone nach und entdeckt einen muthwilligen Knaben, der über
einen schrecklichen Abgrund sich schaukelt über den brausenden Wassern, die in stürmender Eile
dahin rollen. Er siehts, erschrickt, wird tief bewegt von der Lebenskeckheit, viele Empfindungen
machen sein Herz ganz wild und glühend, er glaubt das Kind zu kennen, er will es warnen er
will es retten, doch nein es ist ihm noch fremd, nun entspringt heisse Liebe zu dem heiteren
Wesen in Todesgefahr, die Hunde klettern ihm nach wie er sich versteigt dem Kinde nachzukommen,
sie suchen ihm Bahn, doch mit Angst, und möchten ihn abmahnen, er gelangt endlich hinauf, jezt
ist die Frage was er mit dem Kinde anfängt. –
Er stößt ihm einen Dolch in die Brust ohne es zu wissen, sagt die Günderode. Ich bin
aber nicht so grausam und will das nicht, ich sage nein, es begegnen
397
ihm mit dem Knaben noch wunderbare Dinge, der sich ganz mit seinem Schicksal verknüpft, das führt
ihn durch Glaub, Hoffnung und Lieb, und das Märchen endet auf eine eigne Art. – Wenn es so enden
soll sagt die Günderode wieder, dann ist der Clemens der Jüngling, seine neue
Geliebte ist der Knabe, und wir zwei sind die zwei getreuen Hunde, die zwar ihn warnen aber
nichts vermögen, hätt es aber nach meiner Art geendet, so warst Du Bettine der Knabe. –
Ja wir beiden treuen Hunde von Dir lieber Clemens, ahnen ein schwer Gewitter über Deinem
Haupt. – Wir möchten Dich wieder nach Hause persuadiren und Dich beschwören den Block zu fliehen,
wenn Du auch ein Weilchen die Ketten mit Dir noch herumschleppen mußt. –
Ach Clemens ich bin müde und bin wie krank, aber es wird schon besser werden, könnt
ich nur zur Großmama nach Offenbach; die Luft ist mir dort zugethan, sie brachte mir immer gute
Bothschaft von Dir, besonders im Frühling, da war die Luft ganz würzig von aller herzlichen
Begeistrung der Bruderliebe. Die Günderode sagt auch zu mir, geh nach Offenbach, aber
nun hat mir gestern der Gärtner meinen Orangenbaum geschickt, und meinen Feigenbaum und den
Gra398natbaum
voll Knospen, wer wird sie pflegen bis ich wiederkomme? – Ich häng an diesen Bäumen die nun
schon zum zweitenmal mir blühen, ich bin ihr Spiegel, sie sehen sich in mir, sonst sagt ihnen
keiner daß sie schön sind, – so will ich hier bleiben. – Aber die Schwalbe dort, die alle Jahr
am Dachfenster baut und der zu lieb ich Nachts es offen ließ und die hereinkam Morgens, mich zu
grüßen, wenn ich noch schlief, die wird nach mir suchen, und der Lavendel der jezt blüht wer
wird ihn abschneiden? es wird alles verkehrt gehen dort, ich will hin auf acht Tage nur. Ich hab
mit Bäumen und Sträuchern zu reden, hören sie meine Rede zu ihnen nicht mehr, so werden all sie
meine Sprache wieder vergessen. – Oft am Fenster früh, wenn der kühle Wind von Osten her den Tag
ankündigte, sah ich den Mond noch am Himmel mit dem Morgenstern sich unterhalten. Alles ist
Mittheilung in der Natur, alles hat Flammenzungen, selbst der kalte Quell, in dem Du Dein Antlitz
badest! denn: ist Kälte nicht auch Feuer? – Ob der Schnee nicht die glühende Asche ist die vom
Himmel herabfällt, Du kannsts nicht wissen! – Gleich drauf als er die Asche abgelagert hat,
entzündet sich die blühende Erde, die düftereiche, – alles wird Flamme, der Vogel der im Busch
hüpft ist ein
399
spielend Flämmchen, und so alles Leben ist Flamme des erschaffenden Geistes! – Wer ist aber
dieser? – Ich bin die es zu denken vermag, und im Gedanken den Glauben verbirgt wie den Keim im
Busen der Erde. Der Glaube ist die Kunst, die Macht und die Kraft des Schöpfungswerkes! – sie
wird stille stehen, die Welterzeugung, die Schöpfung – wenn wir sagen, weiter giebt es nichts,
als was wir durch die bedingende Grenze unsers Wissens erlauben daß es sei. – Ja wohl auch – weiter
giebts nichts! Ich erlaub aber Alles, was ich zu denken vermag, daß es gleich sein darf. Wie
soll ich das Schöpfungswort: Es werde, mir anders auslegen? – Ich glaub daran daß wir einander
begreifen sollen, wir geschaffne Wesen – daß im Begreifen das Erschaffne liege, daß im Erschaffen
die Unsterblichkeit ihren unendlichen Keim heraufträgt zum Licht! – Licht! – Licht! – was ist
das? – ists das was wir mit dem dunklen Blick unseres Auges auffangen? – was uns den Vorhang
wegzieht, der Nacht, und Flur und Wälder zeigt im Schmuck der Farben? – – ja das ists, aber wo
ist sein Ende? – Es erleuchtet die Unendlichkeit in die Ewigkeit hinein. O was ist in der
Ewigkeit möglich? – Die offne Pforte, aus der die Schöpfungskraft niederwallt, ein voller
unversiegbarer Strom! –
400
Das Lichtelement, – der Alles umfangende Schooß dessen, was der Geist begreift. – Dies
Begreifen ist ein Lichtschöpfen; das ist der Gedanke. Denken ist einen Leib annehmen, das ist
Wirklichwerden! – Wer aber dies Wirklichwerden erzeugt, der ist eine erschaffende Kraft! diese
Kraft ist die Unsterblichkeit im Menschen, wer sie übt der kann nicht vergehen, was aber nicht
in ihr liegt, das ist Asche die niederfällt, wie der Schnee niederfällt von der Himmelsfeste.
Diese Geistesasche liegt schützend über dem nachkommenden Weltenfrühling, er wird durchdringen
mit seinen tausend und aber unzählbaren Flammengeschlechtern die alle zur Unsterblichkeit sich
aufschwingen, die alle Thatkraft werden der Erschaffung! Ja das ist die Werkstätte des Gottes,
sie heißt Weltengeist, in ihr wirkt die Menschheit das Unendliche, nur um selbst unendlich zu
sein! – Und ich bedenke dies, und frage mich was für ein Werk in der Schöpfung soll ich doch
vornehmen? – damit ich meine Unsterblichkeit feste, und sie durch die Ewigkeit strahle, denn
alles Thun ist nur Selbsterhaltung, und was ich nicht belebe mit meinem Geist, in dem bin ich
gestorben, aber den Tod soll ich bezwingen das ist die Aufgabe der Unsterblichkeit.
Wie tief fühle ichs, daß es so ist und sein muß! –
401
und ich getraue mir in meinem Geiste diese Schöpfung fortzuführen in dem was mir am nächsten
liegt, was mich anspricht um Erlösung! – Es sind die Blumen, die wollen von mir begriffen sein,
allerdings um ihrer selbstwillen! – sie sind verstanden in allen Winken die sie uns geben, so
sind sie in eine neue Sphäre geboren, und auch sie sind unsterblich durch den Begriff, der sie
immer weiter erzeugt! – so ists gewiß daß sie eine Sprache führen, die ganz mit unsern
Empfindungen verwandt ist, sie reden also mit uns! – nun? – haben wir denn keine Antwort? –
keine Mittheilung ihnen zu machen? – Ach nein! eine Blume ist ja nur ein Fragzeichen der Natur; –
die ganze Natur ist Sprache, die Blume ist ein Wort, ein Ausdruck, ein Seufzer ihrer vollen
Brust! – ja die Blume spricht auch für sich zu Dir, aber die ganze Natur bedarf ihrer, um sich
selbst auszusprechen, und alles Sein ist ihre Sprache, so redet die Natur mit dem Geist! und
diese liebende Unterhaltung ist die Nahrung des Geistes, daraus schöpft er seine Unsterblichkeit
daß er sie begreifen lernt und durch den Begriff sie eben fort erzeugt. Also ein Erzeugender
kann nicht sterben, denn in ihm würde die Unsterblichkeit untergehen! –
O lache mich nicht aus mit meinen Reden, es ist
402
nichts, es ist Kopfweh, unendliche Müdigkeit; schlafen verlangts in mir! An die Mereau soll
ich schreiben? – was denn? – ich kenne sie nicht, sage mir was sie ist, so will ich einen Stein
in den Brunnen werfen, ob sie versteht was der ankündigt.
Am Morgen nach einer wohldurchschlafenen Nacht muß ich doch dem Brief von gestern noch einen
menschlichen Schluß geben, Du könntest sonst glauben ich habe mich verstiegen
(übergeschnappt). Clemens was hab ich Dir vorgeplaudert? – ich wills nicht wieder lesen
sonst würde ichs vielleicht zerreißen, und einen zweiten schreiben kann ich nicht. Gestern war
ein Kopfwehtag, heute bin ich wohl aber matt und sehr aufgelegt zum Schlummer, und es ist mir
doch so bequem daß ich mir selber angehöre, und nichts will ich von allem behalten was mir auf
ewig sollte bleiben. Übertrage meine Liebe zu Dir auf die gute Sophie! Ich werde dann
kommen und naschen wie ein Kätzchen von dem was ehmals mein war! – Adieu doch! ich bin schon
ganz froh daß ich nichts mehr zu hüten habe mit sauerem Schweiß. Lieber ein Bettelmann sein,
als ein Hüter von etwas was einem doch nicht gehört!
Bettine.
403 Liebe Bettine!
Ich bin sehr betrübt daß Du mir gar nicht schreibst, ich bin immer in Ängsten, Du mögest krank
oder unwillig auf mich sein, auch Sophie ist betrübt darüber denn sie liebt Dich gar sehr,
ich habe mir alle Deine Briefe von Marburg schicken lassen und sie ihr vorgelesen, Du glaubst nicht
Liebe wie sie das rührt, und täglich wenn ich vertraulich mit ihr zusammen sitze und uns recht wohl
wird, spricht sie: ach wenn doch Bettine bei uns wäre! sie wird durch Deine Freundschaft
recht glücklich werden, bis jezt hat sie auf Erden noch keine Seele gehabt die sie so recht lieben
konnte, sie ist ihr ganzes Leben durch, wohl grausamer getäuscht und mißhandelt worden, als irgend
ein anderes gütiges und schuldloses Wesen, und allen hat sie vergeben, alles hat sie vergessen, ist
nicht menschenfeindlich gesinnt, ist immer freundlich, mild und unendlich anmuthig, ich habe eine
ruhige herzliche Empfindung für sie, die ich vorher nie gehabt, und auch sie liebt mich täglich
mehr und inniger, und wir vertrauen unserm Geschick, das uns von einander gerissen, um uns einander
besser wieder zu geben. Liebe Bettine, ich habe Dich so unendlich lieb, so lieb, als ich Dich
je liebte, ich fühle immer mehr daß Du mein Herz genährt und erhalten
404
hast, Du hast mich zu dem Menschen erzogen, den meine Geliebte achten und lieben muß, ohne Dich
wäre ich verzweifelt am Leben und an dem Heil. Ich wollte Du könntest mich verstehen, ich wollte
Du könntest recht deutlich fühlen, wie Dir nichts durch meine Liebe zu Sophien entzogen wird,
nein ich fühle tief im Herzen wie ich mich durch sie in Deiner Liebe verherrlichen kann, ich werde,
durch sie zur Ruhe gebracht, alle die Kräfte meines Geistes und meines Herzens im Tüchtigen,
glücklicher entwickeln, ich werde ohne Sehnsucht, ohne Begierde die Augen auf mein Tagewerk wenden
können und es zur Ehre meines Lebens vollenden, Du bleibst ewig meine Richterin, Du bleibst das
Maaß meiner Empfindung, und mein vertrauter Gott auf Erden. Wie Du liebst Bettine, solcher
Liebe wird auf Erden nicht genug gethan, und wen Du an Dein Herz schließest, der betet, Deine Arme
aber überreichen ihn, sie reichen in den Himmel und holen den Segen herab, für den Frommen, den Du
liebst. – Liebes Kind, wir werden noch einstens sehr glücklich sein auf Erden, denke Dir, wenn Du
die Gattin eines einfachen vortrefflichen Mannes wärst, der mich liebt, und ich und Sophie,
wir alle viere leben in inniger Verbindung und theilen alles, und ehren uns gegenseitig und lernen
405
uns einander das Vortreffliche ab. Ich habe das feste Vorgefühl, daß es uns bald so werden wird,
und ich bete darum zum Himmel, Du kannst meinem Himmel nur recht vertrauen, denn er liebt Dich,
und gewährt er Dir meine Bitte nicht um meinetwillen, so ist es doch um eines gewissen lieben
Kindes willen, um die geliebteste Bettine. Ich bin jezt täglich bei dem vortrefflichen
Bildhauer Tieck, der mich sehr lieb hat, es ist etwas entzückendes ihn arbeiten zu sehen,
wie er Götter und Menschen mit einem kleinen hölzernen Spatel aus Thon herauszaubert. Ich wünschte
Dich oft zu mir her, daß Du das auch sehen könntest. Ich hoffe Dir bald etwas von seiner Arbeit
schenken zu können, um es auf Deinen Tisch zu stellen, er hat mir es versprochen. – Ich bitte
Dich nochmals herzlich mir ja gleich und viel zu schreiben, und wenn Du Sophien auch
schreiben wolltest so recht wie es Dir ums Herz ist, ich glaube es würde sie sehr freuen. – Ich
bat Dich in einem Briefe um eine Puppe für der Mereau ihr Kind, ich bitte Dich nochmals
herzlich darum, die Kleine plagt mich alle Tag und hier kann man keine leidliche haben. Schreibe
mir doch ja, so glücklich bin ich doch nicht auf Erden, daß einige Worte von Dir
406
mich nicht unendlich glücklicher machen könnten, sei mir tausendmal geküßt; grüße Gundel
von Herzen.
Dein Clemens.
bei Doctor Fr. Mayer.
Liebe Seele!
Schon viele Tage war ich sehr betrübt gar keinen Brief von Dir zu haben, ich war oft recht ängstlich
Du mögest mich nicht mehr recht lieben, und ich wäre doch so recht unglücklich ohne Dich. Heute wollte
ich Dir nun mein Leid über Dich recht kläglich beschreiben, und da erhielt ich denn Deinen einzig lieben
Brief, der mich wieder ein bischen traurig macht auf eine andere Weise. Daß Du Sophien nicht recht
leiden magst, oder vielmehr Dich gegen sie verschließt, betrübt mich, wie sehr! – Deine Liebe ihr
übertragen? – O mein Kind das ist auch wunderbar – wem auf Erden könnten wir unsre Liebe zu einander
übertragen? – Ich schwöre Dir liebe Bettine, ich würde nie ein Weib nehmen können, bei dem ich Dich
entbehren könnte. Ich werde glücklich sein mit ihr, wenn Du mit glücklich sein willst; sie wird mit mir in
meine Einsamkeit nach Marburg ziehen, – den Winter schon wird sie mein Weib sein, st – st – kein Wort
davon geredet. – Wir
407
wagen keine Freiheit, wir sind beide gut und vernünftig, unsre bürgerliche Verhältnisse werden sich nicht
verwickeln und uns stranguliren! – wir sind vergnügt und leicht. Das ganze Blatt hat sich überhaupt gewendet,
sie liebt mich jezt leidenschaftlich, wie ich sie sonst liebte, und ich bin ruhig. Ich werde nicht an ihr
handeln, wie sie einst an mir, sie würde sterben, – sie ist sehr gut und resignirt auf alles um meinetwillen.
Doch lerne sie kennen, und dann liebe sie, dann hasse sie, Du wirst überhaupt entscheiden über uns. Schreibe
mir noch immer hierher, aber um Gottes und des Himmels willen schreibe mehr das Unmittelbare, was mich
und Sophie angeht; wenn Du es nicht thust das kränkt mich unendlich. Nochmals aber bitte ich Dich
der Mereau selbst zu schreiben!
O Kind, Du willst mit Blumen und Kräutern Dich einlassen, und glaubst schon sie zu verstehen. Warum
willst Du den Kreis des Vertrauens nicht auch ihr aufschließen? – Sie auch wirst Du erlösen aus einem
bezauberten Kreis der peinlichsten Gefühle! – Mich liebt sie mehr wie ihr eigenes Leben, und Du die ich
so liebe, Du stehst starr und stumm vor ihr als gehöre sie nicht zu Deiner Welt. – Du stoßest sie aus? –
was hat sie Dir gethan? schreib es ihr, sie wird sich dann
ver408theidigen,
denn sie liebt Dich innig und liest immer in Deinen Briefen und lernt lieben daraus! – Sonst kenne ich mehrere
vortreffliche Familien, so was ich und Du vortrefflich achten, Leute die mich leiden mögen! – Und besonders
lege ich mit meiner Guitarre und Deinen Compositionen viel Ehre ein.
Alle Abend sitze ich mit irgend einer Gesellschaft bis spät in die Nacht und singe und spiele daß mich alles
lieb hat, und hinterdrein doch wieder auf mich schimpft, das gehört sich aber so auf dem Weimarer Plundermarkt.
Ich bleibe wohl noch ein Paar Wochen hier, drum schreibe immer hierher; sehr erfreuen könntest Du mich, wenn
Du mir was Hofmann componirte wenn auch blos mit Klavierbegleitung abschreiben ließest, aber bald,
und mir es schicktest.
Vor einigen Tagen war ich in Lauchstädt, sechs Meilen von hier; ein Badeort, wo während der Kurzeit die
hiesigen Schauspieler spielen, dort sah ich das neue Stück, von Göthe, die Eugenie, es wurde schlecht
gegeben, aber es ist, nu, es ist halt von Göthe. – Als ich in die Promenade dort trat, wer kam mir
zuerst unter die Augen? – Minna R–bach, das Mädchen von Altenburg, das ich einst liebte, Perigot
der Pariser (läßt Dich grüßen) führte sie. Perigot begrüßte mich,
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sie erblaßte; sie hat einen dummen reichen Mann geheirathet, sie ist sehr unglücklich. Bei Tisch saßen wir
öfters nebeneinander, sie war sehr verlegen, ich redete kein Wort mit ihr; am Abend vor ihrer Abreise machte
ich durch Perigot die Bekanntschaft ihres miserablen Mannes, den ich bat mich seiner Frau zu
präsentiren, er that es; ich sezte mich neben sie und sagte ihr leise: nicht wahr Minchen ich hatte
recht, es geht dir recht schlecht, wie ich dir gesagt habe. – Da weinte sie beinah und mußte Tanzen gehen;
ich aber entfernte mich und sezte mich allein in die Allee, wo ich recht vergnügt an Dich gedachte, wie doch
die andern Weiber alle nichts gegen Dich sind! – Du sollst bald eine große Freude haben; ein Geschenk
erhältst Du in einigen Wochen von mir, so köstlich, so lieb, so hast Du in Deinem Leben nichts gehabt,
ich möchte es gar zu gern sagen, was es ist, aber ich denke durch mein Stillschweigen Dir einige Briefe
abzujagen. Übermorgen wird es angefangen, nun Du wirst ein freudig Wunder daran erleben, aber höre, sei
mir auch gut und halte auch mehr auf Sophien. Lebe wohl, für Puppe, Chemisettchen und Rock danke ich.
Dein Clemens.
Ich schreibe Dir morgen einige Gedichte ab die ich gemacht.
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Lieber Clemens.
Eins hab ich ganz vergessen Dir zu sagen daß Marianne ihr Gedicht von mir empfangen hat! ich war so
sehr betäubt als ich Dir das letztemal schrieb, wie es immer geht, wenn ein tiefer Traum durch nichts sich
abwälzen läßt, wenn alles was das äußere Leben hinzubringt von ihm ergriffen wird, um sich tiefer
hineinzuträumen, wenn jedes zufällige Ereigniß neue Traumverflechtungen bildet. – So war mirs und so
ist mirs noch hier in dem alten Stadtleben! Diese Empfindungen, diese Erinnerungen meines Traumlebens
müssen erst ganz abgestorben sein, ehe ich offen und frei mit euch sprechen kann über das Wie und
Warum. Denk Dir eine Schäferhütte mit einer Wiese umher mit duftendem Grün, ein Muster einfachen
Glückes, die Lämmer hatten da ihre poetische Trift, – die niederregnenden Blüthen versprachen Früchte! –
Und nein! Du hast geirrt, es war da keine Wiese, es war nur ein Traum hinter einem grünen Bettvorhang! –
ich reib die Augen, ich frag ists möglich? – es war doch alles so wahr in jener Heimath daß ich mich in
dies Erwachen nicht finden kann, und nun weiß ich nicht, ob ich nicht jezt eben erst in die Traumpforte
trete und entschieden ist, ob ich jezt träume oder
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früher geträumt hab, bis dahin werd ich an Deine Sophie nicht schreiben. – Ach Clemens! das
deucht Dich wunderlich, eigensinnig vielleicht, und widersprechend Deiner Bitte, Deiner Sehnsucht! – Aber
Dein lezter Brief führt ja da schon wieder ein Mienchen R–bach auf, die Du einst liebtest,
von der ich nichts weiß! – Und war das kein Traum von Dir? – Und nun führst Du den Traum fort, so wie Du
sie kommen siehst, gehest Du wieder auf Deinen Traum ein; Du gehst an ihr vorbei, thust im Traum als ob
Du sie nicht kennst, schleichst Dich dann an sie heran, um ihr Vorwürfe ins Herz zu schleudern, die
sie verdient wie Du meinst, und zulezt wachst Du auf mit der Satisfaktion, Deiner früheren Geliebten
eine Röthe und dann eine Todtenblässe abgejagt zu haben. Du erzählst mir Deinen Traum wie Du eben im
Begriff stehst mich in einen neuen Traum mit hineinzureißen; – was soll ich mich willkührlich brauchen
lassen, da ich wirklich bin, in Geschichten die unwirklich sind? – Wollte ich mich da gleich bereit
finden lassen, Du könntest nach geraumer Zeit aus diesem Traumleben erwachend, mir Vorwürfe machen,
Illusionen in Dir genährt zu haben, die dann zu nichts zerfallen! – Du sagst jezt schon Du liebtest
sie nicht mehr wie sonst! – Du sagst, daß sie selbst
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Dich einmal verworfen habe. Ach was kann mich denn abhalten Dir zu dienen, als die Gefahr, die Du dabei
läufst! war ich nicht manchmal schon die kleine Rettungsinsel, wenn alles rund um Dich her überschwemmt
war? – soll ich mich nun auch überschwemmen lassen? daß Du nicht weißt, wohin Du den Fuß setzen sollst,
wenn die Fluth über Dich gestürzt kommt. Wenn ihr beide euch wirklich wach glaubt, so entschuldigt mich,
daß ich so traumversunken bin und mich nicht zu euch hinüberträumen kann! – und entschuldigt es daß dies
alles eine Sorge ist um Dich, die mich im Traum gepackt hat.
Weiter weiß ich Dir nichts zu sagen, als daß ich müde und schläfrig bin. Gestern waren wir auf der
Gerbermühle, die Günderode mit mir, welch himmlischer Aufenthalt; warum kann man's versäumen,
wenn man die Sonne so untergehen sah, daß man sich wieder auf dem Platz einfindet, um sie am Morgen
wieder zu empfangen! – Adieu doch! –
Bettine.
An Bettine.
Du hast nun wohl meinen lezten Brief, der mit dem Deinigen sich gekreuzt hat, und ich hoffe er hat
413
Dir einen ruhigen ja glücklichen Eindruck gemacht, damit die Verwirrungen der Sprachen wie in Babylon
nicht den Fortbau unseres Glückes hindern.
Was hat Dein Brief mir und der armen Sophie für eine Angst gemacht, ich begreife Dich nicht! –
Hab ich Dir nicht mehrmals gesagt daß von Dir meine Zukunft abhänge, daß es Dein Wille ist, ja Deine
Neigung, die mich bewegt zu allem, die mich lenkt! – Und ich sage Dir nun daß ich Sophien nie
heirathen werde, wenn Du sie nicht lieb haben kannst, das ist auch ihre feste Entschließung, und sie
opfert mehr dabei auf als ich, denn sie liebt mich mehr als ich sie liebe, sie hat keine Bettine,
ich habe eine, die ich ewig mehr lieben werde als alle Menschen! Es ist mir ewig leid daß ich darüber
an andre geschrieben habe. Man scheint alle Glocken bei einer Sache angezogen zu haben, die gar nicht
der Mühe werth ist; was hat man Dir über uns gesagt? – sag es aufrichtig. Dabei sizst Du in Frankfurt
zwischen trostlosen Wänden und weißt Dir keinen Rath! hast Du denn gar kein Vertrauen mehr zu mir? – O
liebes Herz sei ruhig! glaube an mich und verirre Dich nicht! auch der Traum hat seine Ansprüche an die
unverkümmerte Wahrheit; das zu schöne Leben ist ja Traum und wenn Du erst mit uns beiden vereint bist,
414
dann ist mein Leben zu schön und dann träumen wir alle drei uns glücklich, und Du wirsts doch nicht
scheuen im Traum Deinen Bruder glücklich zu fühlen, glücklich zu machen! –
Jezt erst merke ich wie ich von den Leuten verschieden bin, denn meine Idee mich mit Sophie zu
vereinigen, ist mir eine der einfachsten meines ganzen Lebens; ich kann Dich versichern, zu Dir aus meiner
Stube in die Deine zu gehen war mir immer wichtiger und mit mehr Sorge verknüpft; Deine Angst aber ist
nicht in der Ordnung. Du solltest mich so lieben daß alles was ich mit Gleichmuth und Ruhe thue, das
heißt: daß alles was ich eigentlich thue, Dir gar keine Sorge machen könnte. Schau mir in die Augen,
mein Kind, mein treues gutes Kind und störe Dich nicht, was an meiner Seite vor sich geht; es geht uns
beide nichts an, wir müssen unser Sein unser Denken mit einander, nicht mit der Welt vermengen, sonst
giebt es Schmerzen. So wie Du allerlei Übles ahnest, so ahne ich Gutes, oder doch vielmehr ganz
ordentliche ruhige Begebenheiten und erschrecke nur darüber, wie Dich etwas so ganz gewöhnliches in
Sorgen setzen kann! – Ich sage Dir daher nur noch einmal, Sophie wird nicht mein Weib wenn Du
sie nicht lieben kannst, aber Du
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wirst sie lieben, das ist gar nicht anders möglich, sie wird deinetwegen expreß nach Trages kommen,
sie hat eine Begierde nach Dir wie noch nie nach einem Menschen. So oft ich ihr einen solchen Sorgenbrief
wie den lezten Deinigen bringe, wird sie immer sehr gerührt und betrübt, aber wenige Minuten drauf wird
sie wieder froh und viel muthiger als vorher, sie fühlt sich so viel viel besser als man von ihr denkt,
und freut sich inniglich darauf eure Liebe zu gewinnen. Ich versichere Dich ich werde so glücklich mit
ihr sein als man es dans ces pays bas auf dieser Erde sein kann, und das Schönste bei dem allen
ist daß wir uns gar nicht störend sein werden, daß das Schwere, Plumpe der gewöhnlichen Ehe, uns nicht
berühren soll; wir werden leben wie es Schneeflocken zusammenschneit und wie die zerrinnen, wenn ein
neuer Frühling kommen sollte, so werden auch wir zerrinnen, wenn wir nicht beisammen bleiben sollten etc.
Mache mich nicht unglücklich liebes Kind, sei nicht traurig um mich, ich schwöre Dir, so wahr als
Gott und unsere Liebe lebt, es ist da nichts, was Dich mit Recht betrüben kann! Vertraue mir ganz, aber
verstelle Dich nicht als seist Du ruhig, wenn Du es nicht bist. Ach aber, welcher göttlicher Beweis von
Deiner großen
416 Liebe
zu mir wäre es, wenn Du mit aller Innigkeit so recht aus ganzer Seele mir vertrautest! wenn Du wirklich
ruhig würdest und zu Dir sprächst: der Clemens kann nichts thun, was mich betrübt, er wird mein
Glück nur vermehren, nur befestigen können; in diesem Vertrauen will ich auf die Zukunft mich freuen.
Liebes Kind blicke um Dich auf die Herrlichkeit Gottes in der Natur und in der Kunst und in unserer
Liebe, liebes Kind, lasse Dich keine Sorge einnehmen. Ein tüchtiger Mensch kann nicht unglücklich werden,
ich fühle, ich kann es nicht, denn ich bemerke mich nicht mehr, so klein bin ich gegen Natur, Kunst und
die Liebe, und so auch thue Du.
Es wäre sehr betrübt, wenn Dich dieser Brief gar nicht ein bischen trösten sollte, er geht mir so
recht von Herzen! – Gunda schreibt mir aus Frankfurt Du seist sehr krank gewesen aus Liebe und
Sorge zu mir, deswegen hättest Du mir nicht geschrieben, Du seist so krank gewesen daß die ganze Familie
um Dich besorgt gewesen sei! Mein Kind ist das wahr? – und Du hättest es mir verschwiegen? – das kränkt
mich, das ist gewiß ein Schreckenberger von der Gundel! Liebes Kind nehme Dich zusammen, sei
lustig und vergnügt, ich schwöre Dir, es ist auch nicht für zwei Pfennige Elend auf der
417
Erde, und ich hab gar nicht nöthig besorgter oder vergnügter als sonst zu sein; denn es wird ewig beim
Alten bleiben; die Natur strengt sich nicht an natürlicher zu sein, Gott hat bis dato noch keine
Ursache gefunden göttlicher zu werden, der Mensch ist so menschlich als genug und
der Clemens ist und bleibt halt der Clemens, und wenn ich sechstausend Weiber nehme,
so werde ich immer nach wie vor der Clemens sein. Ich würde auf die letzten Nachrichten von euch
gleich zu Dir gekommen sein, wenn mich nicht folgendes abhielt: Erstens kann Sophie nicht eher
nach Trages reisen als in ungefähr vierzehn Tagen, und ich kann sie doch nicht allein hinreisen lassen;
zweitens will ich meine Büste von Tiek für Dich modelliren lassen und der konnte noch nicht
anfangen, weil ein großer Bacchus den er macht umgefallen und zerbrochen ist, so daß er ihn erst von
neuem machen mußte. Diese Büste ist das überraschende Geschenk, was ich Dir versprochen habe, es wird
Dir große Freude machen; er gießt einem nicht ab, wie Franz und Toni abgegossen wurden, er
modellirt einem aus freier Hand! – Ich will nun doch nicht eher von hier gehen bis ich Dir mein Wort
gehalten habe! –
Savigny schrieb mir heut, er habe einen Brief
418
von Arnim an mich, ich aber habe den Brief noch nicht, auf den ich unendlich ungeduldig bin; er
hat ihn Christian gegeben ihn mir zu schicken und der ist ein kommst du heut nicht so kommst du
morgen! –
Eben erhalte ich zu meinem haarzubergerichtenden Erstaunen beiliegenden verwirrten Brief der Großmutter!
Ich weiß nicht was er bedeuten soll. Es muß ihr von hieraus, wo vom Schuster bis zum Herzog alles von mir
und der Mereau spricht, manches Unwahre erzählt worden sein; – sie spricht mir auch von Dir! – O
sei um Gotteswillen nicht betrübt über mich, wolltest Du denn daß ich nie heirathen sollte? – Liebe Bettine,
wenn Du es verlangst, so will ich das einzige Weib, was mich als Gattin glücklich machen kann, verlassen und
will ein Einsiedler werden! Sei doch ruhig und setze mich nicht in Angst. Ich weiß mir nicht zu rathen und
zu helfen, wenn Dir es nicht wohl wird. –
Heut hab ich ein Liedchen an Arnim gemacht und eine schöne Melodie dazu, ich weiß noch nicht wo
er jezt wohnt, drum schicke ich es Dir allein, da er noch wohl in Deinem Herzen wohnt. Mädchen! wenn Du
meine Freunde so lieben kannst, warum wehrst Du Dich so gegen meine Freundin? –
419
Wunderlich ists daß alle Leute, welche die Mereau kennen, sich eben so wunderlich gegen unsere Verbindung
wehren; wie ihr auf sie zürnt, so zürnen sie auf mich. Ja zieht und zerrt nur, wir lieben uns und ihr müßt
euch einst noch freuen daran!
Dies Liedchen ist das Beste, was ich gemacht habe, mir ist es recht wie dem Jäger!
Der Jäger an den Hirten!
Durch den Wald mit raschen Schritten
Trage ich die Laute hin,
Freude singt was Leid gelitten,
Schweres Herz hat leichten Sinn!
Durch die Büsche muß ich dringen
Nieder zu dem Felsenborn,
Und es schlingen sich mit Klingen
In die Saiten Roß' und Dorn.
In der Wildniß wild Gewässer
Breche ich mir kühne Bahn,
Klimm ich aufwärts in die Schlösser
Schaun sie mich befreundet an.
Weil ich alles Leben ehre
Scheuen mich die Geister nicht,
Und ich spring durch ihre Chöre
Wie ein irrend Zauberlicht.
420 Haus' ich nächtlich in Kapellen
Stört sich kein Gespenst an mir,
Weil sich Wandrer gern gesellen,
Denn auch ich bin nicht von hier.
Geister reichen mir den Becher,
Reichen mir die kalte Hand,
Denn ich bin ein guter Zecher
Scheue nicht den glühen Rand.
Die Sirene in den Wogen
Hätt‘ sie mich im Wasserschloß,
Gäbe den sie hingezogen
Gern den Fischer wieder los.
Aber ich muß fort nach Tule
Suchen auf des Meeres Grund.
Einen Becher meine Buhle
Trinkt sich nur aus ihm gesund.
Wo die Schätze sind begraben
Weiß ich längst, Geduld! Geduld!
Alle Schätze wird‘ ich haben
Zu bezahlen meine Schuld.
Während ich dies Lied gesungen
Nahet sich des Waldes Rand,
Aus des Laubes Dämmerungen
Trete ich ins offne Land.
421 Aus den Eichen zu den Myrthen,
Aus der Laube in das Zelt
Hat der Jäger sich dem Hirten,
Flöte sich dem Horn gesellt.
Daß du leicht die Lämmer hütest,
Zähme ich des Wolfes Wuth,
Weil du fromm die Hände bietest
Werd ich deines Heerdes Gluth.
Und willst du die Arme schlingen
Um ein Liebchen zwei und zwei,
Will ich dir den Baum bald zwingen
Daß er eine Laube sei.
Du kannst Kränze schlingen, singen
Schnitzen, spitzen Pfeile süß,
Ich kann ringen, klingen, schwingen
Schlank und blank den Jägerspieß.
Gieb die Pfeile, nimm‘ den Bogen,
Ich bin Ernst und Du bist Scherz,
Hab die Sehne ich gezogen,
Du gezielt – so triff'st ins Herz.
Schreib mein Kind, sei ruhig, Heiopopeio, in drei Wochen küssen wir uns.
Clemens.
422 Weimar 23. Juli 1803.
Liebe Bettine.
Gestern Abend war ich bei Sophien, sie war ungewöhnlich schwermüthig, auch ich war nicht
vergnügt, der Gedanke an Deine zärtliche Angst um mich versetzt uns beide oft in solche Trauer; wenn
ich ihr dann erzähle, wie ich Dich über Alles liebe, wie ich Dich so vortrefflich halte, so wächst
ihre Sehnsucht nach Dir unendlich, und mit dieser ihr Muth. In dieser Idee Deiner Liebe gewiß würdig
zu sein, Dir nah zu sein, Deine geliebte Freundin zu werden, von Dir vieles zu erlangen, was sie bis
jezt umsonst auf Erden gesucht hat, ergriff sie eine innerliche himmlische Heiterkeit, sie ward ruhig
und ihr Anblick gab mir eine eigne Seligkeit. Heute Morgen schickte sie mir beiliegenden Brief an
Dich, den sie noch spät in der Nacht in jener hoffnungsvollen liebenden Begeisterung geschrieben hat;
ich zweifle nicht, Du vortreffliches geliebtes Herz, daß Du die Seele dieses Briefes ehren wirst,
daß Du ihr aufrichtig, ohne Delikatesse, ohne alle Resignation antworten wirst; Wahrheit sage auch
ihr, sage Alles, was Du empfindest, sie kann Alles ertragen um meinetwillen, und sei recht ruhig
und zufrieden; wenn Du sie kennen wirst und sie keineswegs lieben kannst, so wird
423
sie nie mein Weib. Ich muß noch an Savigny schreiben; drum lebe wohl; ich bitte Dich
herzlich schreibe mir öfter, aber ums Himmelswillen lauter Wahrheit! – mein, Dein, Sophiens Glück
hängt davon ab. Heute hat Tieck meine Büste für Dich angefangen.
Clemens.
An Clemens.
Was uns nah ist lieben wir innig im Leben, was uns näher ist können wir nicht genug lieben! Wer
liebend auf seinem Weg weiter geht bis ans Ende, der hat die Wallfahrt nach seiner Heimath recht
als ein Kind mit aller Andacht vollendet und kommt auch als Kind an das End seines Lebens! – Wie
weise, wie ernst müssen diese Kinder nicht sein! wie groß, wie herrlich, und doch sieht ihnen ihre
Größe niemand an. Sie treten lächelnd in den Kreis, und wenn sie scheiden treten sie lächelnd wieder
ab, dies ist Sonnenschein im Leben, ihr aber seid gerührt über die lächelnde Einfalt und schauert
über das geheime Geistige darin; das sind kühle Wolken, erquickender Regenschauer im Leben. – Der
lächelnde Mund kömmt näher, er küßt euch die Thränen von den Wangen, dies ist Regen und Sonnenschein
zugleich, eine Art Aprilwetter, das man Laune nennt, und auf welches
424
gemeinlich der herrliche Regenbogen erfolgt, der Friedensbote von Gott gesandt, der die Weltanschauung
in ein freudiges Licht stellt und Milde nach dem Sturm verkündet. So geht es auch mir. Oft hängt
die Thräne auf der lächelnden Lippe und der Friede sieht aus den Augen, von denen die Thräne eben
hinabrollte. Wenn nun aber der lächelnde Mund nicht gleich bereit ist die Thräne zu empfangen, das
heißt, wenn der Regenbogen nicht gleich erscheinen will, so entsteht daraus die Trauer, die Dich
ängstigt und die Du mir für dies mal vergeben mußt, weil ich Dir mit Wahrheit den Beweis geben kann
von meiner Liebe zu Dir, daß mir nichts mehr weh thun wird, was Du auch unternimmst, daß ich alles
um deinetwillen lieben werde, was Du Dir aus voller warmer Seele aneignest; ich weiß ja, daß Du
meinen Antheil an Deinem Glück nicht verschmähest, mehr begehre ich nicht. Sieh ich denke oft, ehe
man eine Hand umwendet ist es anders mit des Menschen Gedanken und Träumen und Entschlüssen. Also
mag auch noch vieles geschehen, wovon jezt unser Herz nichts ahnt und was es traurig machen würde,
wenn es das jezt schon wüßte; denn wenn wir nur bemerken wollen, wie oft kein Pulsschlag, kein Wink
mehr von Dingen da sind, von denen wir uns nie zu trennen
425
glaubten. Es ist eigentlich entsezlich! – man darf nicht viel dran denken, denn sonst erscheint
einem das Leben wie ein alter Mann, der eine kindische Neuigkeit mit wichtiger Miene uns hinterbringt,
um uns etwas weis zu machen, und dem wir auf die Spur gekommen sind und nun nichts mehr glauben
wollen, und wenn wir denn immer fort denken und grüblen wollen, so werden wir am Ende wie spukende
Geister, und spazieren ewig unter unsern alten Ruinen herum, indessen die übrigen sich schon neue
Gebäude aufgeführt haben. Freilich wenn freundliche Jäger, sich gerne in solche Schlösser verlieren,
sich nicht vor dem geistigen Druck der geistigen Hand fürchten, unerschrocken den glühenden Becher
kredenzen, mit wandlen in stiller Mondnacht über Flur, Berg und Thal und Strom, leise durch die
Fluth rauschen. – O blieb es ihm immer so kühl bis ans Herz wie dem Fischer! O könnte er doch immer
aus Thulens Becher trinken, trinken bis zum Hinsinken wo er begraben liegt.
Clemens Dein Lied hat mich erfreut – es giebt eine Zeit im Jahr, wo die Bäume so festlich rauschen,
geschmückt mit ihrem Laub als ob sie den Bräutigam erwarten, und wenn wir wissen wollen was denn die
eigentliche Macht ihrer Schönheit ist, so ists immer ihre
426
eigne Gestalt! So ists mit Deinem Lied, vielleicht auch mit Deinem Charakter, mit Allem was aus Dir
hervorgehen wird noch! – es ist als ob es die Vorbereitung einer festlichen Zeit sei, und wenn wir uns
näher ihm vertrauen, so ist es immer wieder es selbst! Du bist es selbst das Glück auf das Du Dich so
festlich vorbereitest, das Glück dem Du Dich anvertraust.
So eben habe ich Sophiens Brief erhalten, er ist zu freundlich gegen mich. Wirklich ich
verdiene es nicht. Sie sollte mich schelten daß ich die ganze Zeit so mürrisch gegen sie war, und nun
unterwirft sie sich meinem Urtheil! – was soll ich darauf sagen? – Clemens, was ist dies
Verehren was sich auf nichts reimen will in mir? – Ihr kommt mir vor wie einer der den heiligen Geist
erwartet, und weil da grade eine Taube sich zu euerm Fenster gewöhnt, so empfangt ihr sie mit großer
Begeistrung! Und doch Deine Begeistrung hat mehr heiligen Geist in sich als die Taube die nur ein
Paar Futterkörnchen sucht. In wenig Tagen schreib ich an Sophie; daß die Post mir auf dem
Nacken sizt, merkst Du am kurzen Athem meines Briefs. Wir gehen in wenig Tagen nach Schlangenbad;
verzögre Deine Reise bis wir zurück kommen, denn hier
427
bleiben kann ich nicht, schon der Gedanke an andre Luft sagt mir, ich soll gehen.
Appropo's von der Großmama, die schon mit Deinem Vorhaben uns benachrichtigte, noch ehe die Propheten
und Vorläufer Deinen neuen Glauben verkündet hatten, die also aus dem Urborn geschöpft haben muß,
nemlich aus Handbrieflein von Weimar. – Daß ich krank gewesen ist auch wahr, ich habe Dir nichts davon
gesagt, weil ich Dir erst schrieb als ich schon wieder besser war, und Dir keinen unnützen Schrecken
einjagen wollte. Ich möchte Dir gern noch viel Liebes sagen und meiner Treue Dich versichern sowie
auch Sophie, aber wirklich die Zeit will nicht warten. Adieu, ich umarme euch tausendmal.
Bettine.
Liebe Bettine!
Deinen unendlich liebevollen, seelenvollen Brief habe ich heute morgen im Bette erhalten, er hat mich
aufgeweckt und ich habe ihn gebetet. Sei zufrieden mein Kind, es hat sich Alles so gewendet wie Du es
wünschtest, Sophie wird mein Weib nicht, aber meine liebe, sehr liebe Freundin. Sie selbst hat
freiwillig nach reifer Überlegung dieser Verbindung entsagt, aber sie kann
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nicht leben ohne mich, und sie ist entschlossen nach Marburg zu ziehen, um meiner und Savignys
Gesellschaft zu genießen. Ich habe ihr heute morgen sogleich Deinen Brief geschickt, und die beiliegenden
Zeilen schickte sie mir mit zurück, Du glaubst nicht wie sie Dich und mich liebt, und wie wir auf Erden
ihr Alles sein werden. Liebe kann ich nicht für sie empfinden, aber ein Vertrauen, eine Neigung die
nahe an Liebe gränzt. – Der Dichter Tieck war vor kurzem hier, er hat mich so lieb gewonnen daß
wir Tag und Nacht beisammen waren, ach er ist ein recht vortrefflicher Mann, er hat mir seinen
Dornenstock den ihm Hardenberg (Novalis) geschnitten, geschenkt, und ich gab ihm dafür die
kleine Vorstecknadel von Dir, ich habe ihm viel von Dir erzählt, er liebt Dich herzlich, und ich habe
ihm versprochen, Dich um ein Kleidchen für sein vierjähriges Kind zu bitten, der Gedanke machte ihm
unsägliche Freude. Sein ganzes Wesen hat eine große Gewalt über alle Menschen, wie auch Arnims
Wesen eine solche Macht übt. Die beiden lieben sich wechselseitig von Herzen. Du glaubst nicht wie
mich die Liebe dieses Mannes gestärkt und aufrichtig gemacht hat. – Meine Büste wird in wenigen Tagen
fertig, und dann reise ich ohngefähr von heut in zehn Tagen nach Marburg, und
429
von da nach Schlangenbad zu Dir, um Dir vieles zu erzählen; daß ich nach Schlangenbad komme, ja von
allem rede kein Wort. Freust Du Dich dann nicht auf die Büste? – Überlege es recht welches
Opfer Sophie gebracht hat für Dich, für mich, ach ihre Güte ist unbeschreiblich groß, ich
schwöre Dir, sie wird Dir eine theuerste Freundin werden. Lebe wohl, sei gesund, pudle Dich hübsch,
bald bin ich bei Dir. Aber um Gotteswillen schreibe noch einmal hierher, gleich von Schlangenbad. Schicke
den Brief an die Mereau.
Clemens.
Freitag, den 4. August.
Lieber Clemens.
Nur ein Wort, ich bin in Schlangenbad und habe so eben Deinen Brief bekommen, ich kann Dir nur
erzählen daß ich morgen ausführlich schreiben will, wenn der Genuß auf die Höhen zu steigen und
in die Ferne zu spähen mich dazu kommen läßt.
Sophie ist wunderbar daß sie mich so gern sehen will, ich weiß nicht was ich von mir
denken soll, daß ich bis jezt noch gar nicht daran gedacht hab.
Bettine.
Grüße sie von Herzen und sag ihr ich hoffe mein
430
möglichstes von unserer Zusammenkunft, aber so bald wirds nicht sein können, da wir sechs Wochen
hier bleiben! –
Clemens Du bist artig! und Sophie ist fein, ihr wollt euren Brautkranz von mir
geflochten haben, darum ist es daß ihr ihn wieder aufbündelt und mir alle aufgelösten Blumen in
den Schooß schüttet! – Geschwind Wasser her, daß sie mir frisch bleiben, und dort auf der Wiese
breche ich noch viele dazu, und alle Ihr kleinen Geschlechter, die Ihr die Augen noch nicht dem
Licht öffnet, seid zum Reigen im Hochzeitskranz gebeten. Ihr sollt an euern feinen Stielen nicken
auf der Braut ihrem Köpfchen und Ja sagen, wenn allenfalls die Braut zagt, denn! – es ist wahr –
ich würde ja auch gar sehr zagen – wenn ein wonneträumender Trunkener vor mir stände und wollt
mich fragen: Willst du mich glücklich machen? – Und: Nein! würde ich da sagen viel eher, aber
nicht: Ja, und der Pfarrer würde sich wundern; und weiter würd ich sagen: Seh, wie du fertig
wirst, wenn du durchaus und mit Gewalt dein Glück Dir willst bequem einrichten, damit es sich
bei dir niederlasse! – euch sag ich meine theuren Freunde, denn die seid ihr mir jezt, was ich
nicht verdeutschen kann, was aber tief in meiner Seele liegt. Grad vor meinem
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Fenster steht ein Rosenstrauch mit unzähligen Rosenfamilien, heut morgen vom Thau ganz schwer
lagerten die langen schwanken Äste beinah am Boden, ich nahm einen Zweig ins Aug auf den grad
die Sonne blizte und dachte das soll die Sophie sein und wie ich hinunterkam wars eine
freudige Rosenmutter mit drei Knöspchen dicht ihr am Busen! – ich hab sie nicht abgebrochen,
ich will sehen wie sie emporkommen. Ach! ein Knöspchen ist grad wie ein Wickelkindchen! – ach
auch sie verlangen daß man die Lippe zusammenziehe, und ein Schnütchen mache und sie küsse! –
sie wollen tändlen, sie lächlen und wollen angelacht sein, und die Lust, wie ein Vögelchen hüpft
in ihren Zweigen! –
Ich war ja auf der Reise hierher sehr vergnügt! – auf dem Bock saß ich, und die Neugierde
was es denn alles gäb in der Welt, ließ mich die ganze Nacht nicht schlafen! – Was hab ich
gesehen? – ganz stille Landstraßen mit Bäumen besezt, die wie besessen an uns vorbeirennten! –
durch Dörfer. Die kleinen Häuser sind ja auch Knospen sie umhüllen in seinen Windeln ein
Geschlecht, es könnte edel blühen; aber ihm fehlt die Luft, die reine balsamische des Geistes.
Ach wann wird der herabträufeln und von welchem Himmel? – er ist höher als der Nachthimmel voll
unzäh432liger
Sterne, der über meinem Haupte schwankte! – Die Sterne strahlen gegen Morgen viel heller und
freudiger, und doch sahen sie ihrem Untergang entgegen! Alles wird schöner wenn es sich bald
verändert; und wird das wohl im Tode auch so sein? Die Wolken errötheten endlich ganz
freudig – und die Sterne? – wo waren die geblieben? – Ist das Fexierspiel, im Himmel ein
schönes Spiel; ei dann nehm ich mirs heraus, und meint der liebe Himmel er hat mich, eh er
sichs versieht bin ich ihm entwischt. – Und eine Philosophie schaffe ich mir gegen ihn an,
die es ihm wett mache!
Ich bin krank gewesen blos von der Gottphilosophie die mir Günderödchen wollte
eintrichtern, das regte mir die Galle auf, und machte mir so fürchterlich Schwindel, dagegen
ist nun nichts gut, als ein Kräutchen am Weg gebrochen! – oder am nächsten Bach, oder auf
der Wiese wo alle Tag die Heerde weidet, pflück ichs nicht, so frißts der nächste Hammel ab! –
und damit dreh ich dem Gott den Rücken und freß mein Futterkraut, ich kann so nicht in die
närrische Art mich finden vom Gastmahl im Evangelium, wo der eine der kein hochzeitlich
Kleid an hatte, zur Thür hinauspromovirt wurde! Und doch, weil einmal ein Paar gute
Schelmen etwas Besseres zu thun hatten als bei Tische zu
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sitzen und zu schlemmen, wird der Herr des Gastmahls aufsäßig und ladet die Krüppel und
Bettler ein, die kommen zu Schaaren herangehinkt und gehockt und getrampelt. Sie hatten
die besten Seiten ihrer Lumpen nach außen gehängt, der Herr des Gastmahls war damit zufrieden.
Sie räuspern sich, sie husten, sie nießen in die Suppe wie solcher Leute Brauch; der Herr
des Gastmahls läßt es sich gefallen! – Sie genießen sie, knöpfen sich den Bauch auf, sie
schwemmen mit köstlichen Weinen die Bissen hinab! – der Herr hat seinen Wohlgefallen dran.
Der Weinstrom begräbt unter seiner Woge den gastlichen Anstand. Der Herr des Gastmahls
streicht sich den Bart, und geht so ganz fidel mit diesen Fleetzen um, aus Trotz gegen
die welche sein Gastmahl nicht wollten annehmen; der eine hatte einen Acker, der andere
einen neuen Backtrog, der dritte eine Frau im Handel.
In meinen Lernbüchern aus dem Kloster wo wir alle Sonntag mußten eine Betrachtung über
das Evangelium aufschreiben, was vorgelesen worden war, steht folgende Bemerkung: „Ich
bin recht froh daß die armen Schlucker sind bei dem Herrn zu Tisch gewesen, aber warum
konnte er doch so böse sein gegen die welche lieber ein anderes Geschäft thaten, als bei
ihm
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zu Gaste essen, vielleicht weil sie sahen daß er den zur Thür hinauswarf der ihm nicht
gefiel, wollten sie nichts mehr mit ihm zu schaffen haben! ich hätte mich auch gefürchtet
bei einem so strengen Gastgeber zu essen. –
Unsre Reisenacht hat mich ganz glücklich gemacht, obschon sie die Gegend mit ihrem Mantel
zudeckte. Außer ein Paar Strohhütten die vor Weinlaub nicht aus den Augen sehen konnten war
nichts am Wege, ein plaudernder Bach dessen Mundart ich noch nicht verstehe, war unser
Begleiter im engen Thal bis ins Schlangenbad hinein, von wo aus ich Dich grüße, in der
Hoffnung auf vier bis sechs himmlische Wochen! – in denen die Muse des Vielschreibens mich
umtanzt. – Du hattest mir Gedichte wollen abschreiben, Deine Liebesliedchen! – Schicke sie
mir, damit ich sie entziffern kann.
Bettine.
Liebe Bettine.
Du bist ein närrisches Mädchen, nun bist Du in Deinem lezten Brief wieder lustig, und
wir waren grade sehr traurig wegen Dir. Sophie weint oft Tage lang, sie glaubt
sie werde mich durch Dich verlieren. Nun
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waren wir schon entschlossen in ein Paar Tagen nach Trages zu reisen, damit Du sie dort
sehen könnest, und nun gehst Du auf einmal ins Schlangenbad. Sophie ist sehr traurig
darüber, sie weiß nun gar nicht wie sie zu Dir gelangen soll, ich bitte Dich schreibe bald,
ob es vielleicht gar nicht möglich ist, dann gehe ich grade nach Marburg, doch ohne Sophie
die auch dahin zieht; wann, wissen wir noch nicht. Ich bitte Dich herzlich, werde nicht wieder
ängstlich, beim Lichte besehen war die Langeweile in Frankfurt viel dran Schuld. Arnim
ist jezt in England, wohin ich ihm nicht schreiben kann. Meine Büste erhältst Du in einigen
Wochen; Du wirst sie finden wenn Du von Schlangenbad zurückkehrst, vielleicht besuche ich
Dich dort von Marburg aus. Um alles in der weltwillen verliebe Dich in Niemand den ich nicht
kenne. Die Männer sind außer mir, Arnim und Wrangel, nichts werth und Savigny,
der aber einen starken Naturfehler hat, daß er Dich nicht versteht, kann auch noch hinzugezählt
werden, der ist aber mehr vortrefflich als daß er mirs werth wäre, folgert sich daraus. Schreibe
der lieben Sophie, antworte auf ihren lieben Brief! –
Dein Clemens! –
Du fragst nach meinen Liebesliedern närrisch Kind,
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nicht alle Seufzer lassen sich in Worten aussprechen, und daß Du sie mit seufzen solltest, – ach
nein! das macht mich zu wehmüthig, viel lieber lasse Dich mit ihnen anhauchen; an die der Schmelz
der Poesie in reinen Krystallen sich anlegt.
Von den Mauern Wiederklang –
Ach! – im Herzen frägt es bang:
Ist es ihre Stimme;
Und vergebens sucht mein Blick
Kehret mir ein Ton zurück? –
Ists nur meine Stimme? –
Auf der Mauern höherm Rand
Sind die Blicke hingebannt,
Doch ich seh nur Sterne;
Und in hoher Himmelssee
Ich die Sterne küssen seh,
Wärens unsre Sterne.
Nacht ist voller Lug und Trug,
Nimmer sehen wir genug
In den schwarzen Augen;
Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl,
Ach ich seh ihr viel zu viel
In die schwarzen Augen.
437 Sonne wollt nicht untergehn,
Blieb am Berg neugierig stehn;
Kam die Nacht gegangen,
Stille Nacht in deinem Schooß
Liegt der Menschen höchstes Loos,
Mütterlich umfangen.
Willst du mir Trost verleihen
Laß mich aus deinen Augen.
Der Liebe Schwärmereien
Minutenwahrheit saugen,
Laß um des Lichtes Quelle
Die trunkne Fliege schwirren,
Laß, wird es ihr zu helle
Sie in die Flamme irren.
Du sahst im Nektarkelche
Die heitre Psyche sterben,
Wenn ich noch länger schwelge
Läßt du mich auch verderben?
Aus deines Herzens Raume
Möcht ich nur einmal trinken,
Und dann zum kühnsten Traume
Im Götterrausche sinken.
438 Du bist die Zaubervase,
Die meinen Geist umhüllet,
Und im Champagnerglase
Ist schon mein Loos erfüllet. –
Dies lezte kleine Gedicht, liebe Bettine, entstand weil unsre Sophie (denn so muß ich
sie nennen, die auf Deine Gunst meines Glückes Loos gesezt hat) einen kleinen Schmetterling
retten wollte, der nachdem er seine Flügel am Licht verbrannt hatte, in ihrem Champagnerglas
versank. – Ach Kind! diese Gedichte sind wie die kleinen Johanniswürmchen, die leuchtend
hin und wieder fahren.
Nun sing ich Dir hier noch ein Liedchen was aus den Saiten meiner Guitarre entschlüpfte, als
ich gestern Abend im Mondenschein mit Sophie am Fenster lag, nachdem ich Deinen lieben Brief ihr
vorgelesen hatte; und sie recht tief bewegt war von dem Glück was Du ihr im Rosenbusch unter Deinem
Fenster prophezeihst. –
Sieh dort auf dem Wiesengrunde,
Tanzen jezt ein Elfchen munter
Unterm Rosenbusch hinunter,
Der die Blätter niederstreut.
Elfchen spielen Lotto heut,
Schreiben auf die Blätter Nummern,
439 Ja du darfst nur kühnlich schlummern,
Denn dein Glück kommt dir im Schlummer.
Du gewinnst die beste Nummer:
Eine Braut wirst du im Schlummer,
Drum erwachst du ohne Kummer,
Hochzeit Hochzeit, hohe Zeit. –
Sieh wie scheint der Mond so weit,
Und die Frösche und die Unken
Singen bei Johannisfunken
Ihre Metten ganz betrunken.
Brünstig glühn Johannisfunken,
Sternlein kühl am Himmel prunken,
Und das Irrlicht hüpft betrunken,
Wo du gingst ein Jungfräulein.
Auf dem Acker glüht ein Schein,
Wo beim Drachen eingetruhet,
Kaltes Gold das roth ergluthet,
Fiel dein Kränzlein unvermuthet
In des Drachen Gruft hinunter
Und der Drache ist gebunden,
Und der Schatz ist dir gefunden:
Gold und Silber, Edelstein,
Und drei Rosen die sind dein.
Diese kleinen Gedichte, oder poetischen Mücken die
ei440nem
umschwirren in heiteren Stunden, summen einem im Geist bis man sie mit dem Reim todtschlägt, und
in dem Busen eines Freundes einsargt, damit sie doch da anständig begraben sein mögen! – Deiner
Treue von jeher, hab ich diese Spur heiterer und beglückender Stunden nun ganz unbefangen
hingegeben; keinem andern Menschen könnt ich das. O wie sehr fühl ich in diesem Augenblick was
Du mir bist! – Ach lasse darum diese Gedichte einen Werth für Dich haben, weil Du der Lebensbaum
bist, der in seine frische Rinde sie von der Bruderhand sich eingraben läßt; lasse es mit Dir
verwachsen das Gefühl daß glückliche Zeiten auch mich begrüßten, und wenn böse Zeiten kommen,
so lasse mich in Deines Herzens Schrein die Schätze der Erinnerung finden. In dieser Empfindung
einer stillen Nacht, wo ich die Schätze der Freundschaft und Treue, die nur in geliebten Menschen
aufbewahrt sind, überzählte, hab ich auch nachfolgendes Gedicht an Dich gemacht.
Laß Dich, mein Kind den Tadel nicht verführen,
Vertrau wenn Du ihn hast, dem guten Sinn,
Und sprich: Nur weil ich nicht unsterblich bin
Will die Versöhnung liebend mir gebühren.
Denn Gottes Hand sie kann uns plötzlich rühren,
Und stürb der Freund mir unversöhnet hin,
441 So würde scharfer Tadel, den Gewinn
Daß Liebe ich gegeben, mir entführen.
Bis dahin suche Trost in dem Sprüchworte,
Daß Rom nicht ist in einem Tag gebauet,
Daß Alle Alles auch zugleich nicht können.
Daß vor dem Morgen erst, der Himmel grauet,
Daß trunken bunt Aurora pflegt zu brennen,
Bevor der Gott tritt aus der Sonnenpforte.
Schreib, befriedige uns, beglücke und pflege unser Glück, ersehnt, verlangt von Deinem
treuen Bruder
Clemens.
Schmerzlich ists mir immer, wenn Du Deiner Klostertage erwähnst und nie Dich bemühen magst sie
ein bischen zu ordnen, da Du selbst noch Material dazu hast! – Wärs denn nicht höchst intressant
einen kleinen Katechismus Deiner religiösen Begriffe zu geben!
An Clemens.
Endlich komme ich dazu laut zu sagen, was ich heimlich oft dachte. Du siehst im Zauberspiegel
die Bettine wie sie sein könnte, aber nicht ist! –
Ich staune an, was Du von mir glaubst und erwartest, ich wundre mich und begreife nicht vor was
und wem Du mich warnst! – Die Günderode
442
schreibt, Du habest Dir die Aufgabe gemacht, mich durch eine Wiedergeburt Deines Geistes als Ideal
zu bilden. – Ach ich bin recht erschrocken davor! – und möchte mich vor Dir verbergen, daß Du ja
nicht dazu kommest! – Du bittest mich, mich nicht zu verlieben; ach Clemens, wenn Du mich
nicht idealisiren willst, dann will ich Dir das gern versprechen! mein Herz ist nicht leicht
bestechlich, und verliebe ich mich einmal wirklich, so werd ich dich nicht zum Vertrauten machen,
aus Furcht daß es Dir mißfallen könnte. Hier im Schlangenbad hab ich mit dem Herzog von Gotha viel
zu kämpfen, der mir alle Tage von Sophie spricht, er nennt sie seine Erate und giebt mir
beiliegenden Streckvers für sie. Ihr werdet es in der Überfülle eures Glückes nicht achten! – warum
hat ers auch gereimt und geleimt. Was man in der Prosa zu sagen sich gedrungen fühlt geht tiefer. –
Ich schwelge hier, es gefällt mir Alles; am liebsten ist mir der Morgen, wo man nur Bauern begegnet
und der Abend, wo die Lichter in den Hüttchen brennen, man sieht da das ganze Familienleben
hellerleuchtet. – Da geh ich oft Abends spät noch mit dem Voigt hinab den Thalweg, und da durch ein kleines
Fensterchen sehe ich die armen Leute sitzen und emsig
443
spinnen und wirken, so fern von allem Bedürfniß im Reichthum des Fleißes, der Andacht und des Vertrauens!
Eine so kleine Stube deucht mir so voll von dem Gefühl ihres innern Werthes dieser Menschen, die ihr
schwer errungenes Abendbrod gerne theilen mit dem ärmeren Gast. – Wenn ich mir nun denke, daß ihr
beide ein solches Haus bewohntet und daß euch da die Einsamkeit nicht drücken sollte, und ihr backtet da
euer Ambrosiabrod um es andern mitzutheilen, so habe ich euer Glück begriffen und schreibe davon
der Günderode. Die Günderode mit der sanften Würde ihres dichterischen Standpunktes
unter den Menschen schreibt wieder wie folgt: „Wer liebt den Clemens nicht? so wie er einem
entgegentritt, wer durchschaut alle Menschen, wer geht so tief in dem Auffinden ihrer Innerlichkeit,
und was könnte man ihm sagen, was er nicht schärfer und wahrer aufgefaßt hätte? Alle Menschen berührt
kaum sein Hauch und sie athmen, als wenn sie aufblühen wollten in edlere Begriffe und schönere
Handlungen.“ – So schreibt die Günderode; das lautet ganz schön zum Ansatz eines Posaunenstückes
Deines Ruhmes, der aus dem Nebel der Zeit golden aufsteigen und einen schönen Tag verbreiten werde.
„Aber“ fährt die Günderode fort: „so scharf dieser Clemens
444
und so nahe er fremden Menschen in ihrem eignen Bewußtsein tritt, so sehr heben ihn seine Launen aus
dem Sattel über sich selbst, die ihm den Begriff seines Amtsgeschäftes ganz verdüstern und ich kann es
gar nicht leiden, wenn er davon so klein und unbürgerlich denkt. – Wie dieser Dekrete ausfertigt und
jener auf den Rednerstuhl tritt, so ist der Clemens dazu bestimmt durch sein Leben, das sich in
die Begeisterung des Witzes, der Philosophie, des Eifers und der Experimentenlust verzweigt, die Menschen
zu wecken und in der dunklen Kammer eine Kerze anzuzünden, manches Neue alt und manches Alte neu zu
machen, und daß er nicht wie die meisten gebildeten Menschen gegen das Leben, gegen Geschäfte, Künste,
ja gegen Vergnügungen nur mit einer Art von Selbstvertheidigung zu Werke geht und lebt, wie man einen
Pack Zeitungen liest, nur damit man sie los werde, – das macht ihm viel Ehre. Nur bisweilen überfällt
ihn eine seltsame Blödsinnigkeit, daß ihm die Tage unnütz vorkommen und meint, es wäre Nichts und
käme zu Nichts, weil das, was durch ihn entstanden, nicht wie ein beschriebener Bogen Papier vor ihm
liegt.“ – Ach Clemens es ist gut, daß sie über Dich und nicht an Dich schreibt, denn Dir selber
hättest Du das Alles nicht sagen lassen und Dein
445
Verwerfen ihres Mißbegriffs von Dir, will ich gar nicht hören müssen. Das fügte sie noch hinzu, daß
der Lebensbalsam, den Du für Andre hast, einem feinen geistigen Öl in einem verschloßnen Gefäß gleich ist.
Nur mäßig verbreitet, erquickt und belebt es, ganz geöffnet betäubt, tödtet es und verzehrt sich selbst,
oft habe Dein Witz einen in die Ecke geworfen, wo er das Aufstehen vergessen! – Von Jung Stilling,
dessen Bekanntschaft die Günderode in Heidelberg machte, schreibt sie: „Der Mann hat meine ganze
Aufmerksamkeit gefesselt, er hat etwas Liebes, man sieht daß sein Leben aus einem Guß ist, daß sich von
seiner Jugend bis ins Alter eine grade Linie zieht und er mehr die Umstände bestimmt hat, als sich von
ihnen bestimmen lassen; selbst seine breite Eitelkeit, mit der er unaufhörlich Fürsten und Prinzen
bei den Haaren herbeizieht, indem er sich ihre Namen von seiner Frau soufliren läßt, hat etwas
treuherziges und beleidigt nicht.“ –
Liebster Clemente, ein wahrhafter Zug nur aus meiner Seele gebe Dir Licht über mein
Zurückhalten gegen Deine Verbindung mit Sophie! – Du schwebst also immer noch im Irrthum,
als könne es mich unglücklich machen? – Hab ich Dir das gesagt? – Nein! –
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Meine Krankheit, ein Gallenfieber – hat wahrhaftig keine Beziehung zu Dir! – Die Günderode hatte
mich geplagt mit Philosophie; ich mußte ihr Schelling vorlesen, – das hat mich krank gemacht.
Ach ich war so brennend verlangend nach frischer Luft, daß die ganze Welt um mich vor Begierde zitterte,
wie die Gegenstände in der Nähe des Feuers; so kam Bewußtlosigkeit, und als ich wieder zu mir kam, da
war das Erste, das sie ein Gelübde that, mich nie wieder Philosophie studiren zu lassen, – ich hatte
im Fieber fortwährend davon phantasirt. Was willst Du nun? – Wär es Deine Verbindung gewesen, die mir
zwar auch Sorge machte, aber doch nicht so viel wie die verdammte Philosophie, so würde ich von der
phantasirt haben, das war aber gar nicht. – Und sei jezt ruhig über beides, denn keines kümmert mich
mehr! – Und sag nicht Du willst um meinetwillen jezt nicht heirathen und willst lieber mit
Deiner Sophie zusammen unglücklich sein! – Ich würde Dir gleich hierher schreiben: „Du sollst
sie heirathen!“ wenn ich nicht fürchten müßte, Du glaubtest am Ende gar, Du habest sie nur um
meinetwillen geheirathet. Nein, so was muß man thun aus sich, für sich und wegen sich, aber keinem
andern zu Gefallen weder lassen noch thun. – Ich begreif kein Philistergesetz, aber
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daß ein Baum wurzle im geeigneten Boden seiner Nahrung, das begreife ich, und mögen seine Äste recht
schlank in die Weite sich strecken, daß die Sonne ihn früh vergolde und der Wind mit ihm plaudere, und
daß kein häßlicher Irrthum Dich um die Wahrheit Deines Glückes betrüge.
Es ist heut so trüb, so trüb wie nirgend in der Welt, man möchte sich vor lauter Trübsinn verlieben.
Die Nebel nehmen hier die seltsamsten Gestalten an, und der Regen fällt zuweilen auf kleine Stellen,
nicht tropfenweis, sondern aus einem Guß herab. Diese Trübheit macht mir Deutlichkeit und Klarheit so
lieb, so reizend sonst auch öfters Dunkelheit, Verworrenheit und Undeutlichkeit erscheinen mag; – drum
hab ichs auch gewagt durch meine Deutlichkeit diesmal die Verworrenheit in Dir aus dem Dunkel ins Klare
zu bringen.
Ich küsse Dich lieber Clemens und drücke Dich an mein Herz; sei gut und gegen mich besonders
und traue mir mehr wie Dir, das heißt in gewissen Dingen. – Du mußt wissen daß ich schon eine Weile
im Mondschein schreibe, weil mein Licht ausging. Der Mond schwimmt zwischen dem Gewölk und die grauen
Berge drüben sonnen sich in seinem Schein, ich wollte
448
sagen: monden sich, und begleiten sich gegenseitig
mit Schatten und die kleinen Quellen ruschlen so leise wie Gespenster. –
Leonhardi ist hier, er stählt sich mit Stahlbädern! Was wird dann erst werden, wenn diese Kur
gelingt! –
Bettine.
Marburg.
Liebe Bettine
Ich bin seit wenigen Tagen wieder hier. Meinen Brief, in dem ich Dir sage, daß ich Sophien nicht
heirathe, hast Du wohl erhalten? – Ich hoffe auf Antwort; – unterdessen muß ich Dich um alles in der Welt
bitten Dich nicht phantastischer Schwermuth zu übergeben, der alles Schöne und Wahre endlich in uns erliegt.
Ich habe Dich so oft gebeten, Du solltest Deine Empfindungen und Phantasien mehr von Dir trennen und sie
allein für sich in irgend einer Form niederschreiben, sie zur Poesie erheben, wie die Kirche von dem Dorf,
der Wald vom Felde stets getrennt sein muß, wenn etwas gedeihen soll. Dann fordere ich weiter auch, nie
wieder an meiner Liebe zu zweiflen, noch zu glauben, daß ich je ohne Deine Liebe leben
449
möchte. – Wenn Du Dich nicht zu Sophien neigen kannst, so ist dies nur, weil Du sie ganz verkennst;
es ist nicht jene Sophie mehr, die mich nicht verstand, es ist ein unschuldiges, liebes, treues
göttliches Weib.
Liebes Kind sei glücklich! es thut mir leid daß Du mir nie schreibst es freue Dich meine Büste zu
erhalten, in ungefähr drei Wochen wird sie Dir Tieck zusenden, es ist die beste Büste, die er
gemacht, ein wahres Kunstwerk! – Sie ist Dir zu lieb gearbeitet, halte sie lieb und schone sie! Ich werde
wohl in einiger Zeit zu Dir kommen, wenn Du mir schreibst, wann Du wieder in Frankfurt sein willst.
Da ich von Weimar wegging ist Sophie auf einige Zeit nach Dresden gegangen, um sich zu zerstreuen.
Ein Brief des Herzogs von Gotha an Sophie, worin er über Theater schwindelt und nur davon
spricht, Sophiens und mein Dichtertalent der Bühne zu widmen, bewog mich folgendes zu schreiben,
wozu mein Aufenthalt in Lauchstädt mir Gelegenheit gab; ich habe mit dem trefflichen Tieck dort viel
über Theater verkehrt. – Diese Truppe, von Goethe auf eine Stufe gebracht, wo sie jedem gefällt und
eigentlich imponirt, war der Gegenstand der galanten Conversation an table d'hôte und da alle
Laufgräben der Fadheit,
Un450wahrheit
und Gemeinheit mit Wetter- und Theatergesprächen eröffnet werden, so ist es doch noch wunderbarer, wenn man
in öffentlichen Blättern verkündigt, wie dieser oder jener mit Beifall aufgetreten und bis auf ein gewisses
Schnarren mit hinreichendem Gebrülle das schwer zu befriedigende sehr gebildete Publikum zu München,
Mannheim, Stuttgardt u.s.w. ganz entzückt hat; Alles dergleichen kommt mir viel erstaunlicher als Zeitungsartikel
vor, als irgend die einsamen Wetterbeobachtungen eines neben seinem Barometer studirenden Landpredigers
im Reichsanzeiger oder sonst in einem Provinzialblatt.
Es kann sein, man will dadurch einer Geschichte der Kunst vorarbeiten, gleich einer Weltgeschichte aus
Armenbülletins, doch dergleichen soll mit vieler Theilnahme und großem Nutzen gelesen werden. – Mir auch
scheint es eine äußerst wichtige Sache ums Theater zu sein, mit der man es über die Maaßen gern recht
ernsthaft meinen möchte. Ich selbst gedenke meiner frommen Wünsche, die sich bei meinem schweren Leiden im
Parterre, wo ich doch wohl seit der Vetter von Lissabon Häring in den Kaffee getaucht, fünfundzwanzigmal
gesessen haben mag, entwickelt haben, ich würde diese Wünsche veröffentlichen, wenn nicht alles dieses wie
451
Spreu in der Luft verflöge vor Ludwig Tieck, der allein beauftragt ist der Mimik ein Licht aufzustecken,
da er das größte mimische Talent ist, was jemals die Bühne nicht betreten. Dieser Dichter, der als darstellender
Künstler, die Bühne zu einer Ehre gebracht haben würde, deren sich wenige diesseit oder jenseit der Lampen
träumen, ist kein Schauspieler geworden, worüber Thalia und Melpomene mit inniger Beschämung trauern sollten,
denn er hat den innersten Beruf und ein Talent zur Bühne, wie es sich alle Jahrhunderte einmal hinaufverirrt.
– Seine einzelne Äußerungen müssen einem zum Nachdenken erwecken, sie sind im Zusammenhang mit vielen
trefflichen andern Kunst= und Lebensansichten, und haben mich so erhoben und begeistert zur Bühne, der ich
gern darum mein Talent widmen werde, wenn ich welches habe; – ich glaube aber auch, daß man so wenig in der
Kunst und der Geschichte, als in der Natur plötzlich wirken könne. Der Bedingungen zu einer Vollendetheit auf
irgend einem Punkte des Daseins sind unendliche; es kann wohl ein Mensch vortrefflich sein, er kann gelungen
sein, daß ihm aber alles gelinge, besonders in einer Sache, die wie die dramatische Kunst nur mit allgemeiner
Weltkrankheit erkrankt und mit allgemeiner Weltgenesung
452
genesen kann, wäre eine beinah rasende Zumuthung. Selbst einem so außerordentlich von dem Schöpfer geliebten
Menschen als Goethe ist, konnte das nicht gelingen, – denn es wäre eine eben so gesegnete Vereinigung
aller geistiger, physischer und historischer Weltkräfte nöthig, um mittelbar durch einen Menschen der Bühne
aufzuhelfen als sie nöthig war, um einen so großen reinstrebenden Menschen, als Goethe war, aufzustellen! –
In keiner Kunstgattung sind aber die Bedingungen ihrer Vollendung so unendlich, als in der dramatischen.
Nur auf dem äußersten Gipfel ihrer historischen, moralischen und künstlerischen Größe kann eine Nation
ein vortreffliches Theater haben, dies ist zu beweisen! – aber von dem Bedürfniß desselben ist man entfernt
in einer Zeit, wo man mit peinigenden Mängeln überzufrieden stolzirt, und das Theater ohne alle Kunstheiligung
in den Kreis der menus plaisirs hinabgesunken ist.
Als in der menschlichen Gesellschaft die Unschuld verloren ging, trat die Sitte als Vermittlerin auf,
als Zucht und Treue entwichen, ließen sie die Höflichkeit und Savoir faire als Geschäftsträger zurück. Als
die Würde sich von dem Verdienst trennte, ließ es sich mit der Etikette ein, da die Völker nur große Haufen
eigennütziger Bürger wurden, entstanden die stehenden
453
Heere, und die Ehe als zwingendes Gesetz zeigt, daß die Liebe sich nicht immer sehr ehrbar betragen haben
mag! – Alle diese vermittelnden Selbstvertreter aber sind ehrwürdig, wenn gleich nicht unmittelbar göttlich
und heilig, denn sie sind Fußstapfen, Träger, Telegraphen, Hieroglyphen entflohener Götter von der Erde, und
an sie knüpft sich die Hoffnung, die Erweckung besserer Zukunft und alles Strebens. Sie stehen zwar stumm,
starr und todt wie Memnonssäulen in den Wüsten der Geschichte, aber jede Morgenröthe legt ihren Strahl
erinnernd an ihre Stirne und läßt sie mahnend tönen. Für die Kunst aber ist immer nach ihrem Untergang ein
solcher wohlthätiger, wenn gleich armer doch allein würdiger Träger jene, ihre ernste, strenge, rechte, oft
pedantische Periode gewesen, die wir Schule nennen. Wenn die freie genialische Produktion das sterbliche Kind
der Unsterblichkeit, seinen schönen blühenden Leib, dem Scheiterhaufen des ewigen Geschickes hingegeben,
dann sammlen fromme und gerechte Menschen das blos Rechte, Nothwendige und Gesetzliche, ich möchte sagen
Mathematische aus ihrem Andenken und stellen uns das Gerippe des Untergegangenen in seiner gesetzlichen
Schönheit vor Augen, das mit Verstand drappirt oft lange noch herrlicher und
be454wundrungswürdiger,
ja würdiger ist, als wir es sind, die es nicht verstehen. Manche Völker haben nur der Schule zu verdanken,
daß sie noch eine Ahnung der Künste besitzen, und ich halte es für eine Weisheit, Bescheidenheit und
Mäßigung Goethes auf seiner Stelle für das Theater die Schule in Deutschland aufgestellt zu haben, die
seinen Bemühungen dauerndern Werth geben wird, als wenn er alle Genialität auf dieser Bühne zu einer Zeit
losgelassen hätte, wo nichts als eine Thierhetze daraus werden konnte. Es ist nicht Noth in der Kunst das
Vortreffliche anzuschaffen, es ist Noth das Schlechte, Falsche, Verkehrte abzuschaffen, denn alles
Vortreffliche erblühet aus dem Rechten und Wahren. – Die Freiheit ist die Blüthe des Gesetzes, der Tod
aller darstellenden Kunst aber ist die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, und ich werde mir es niemals
nehmen lassen, daß einst die strenge, grausam scheinende bürgerliche Verachtung der Schauspieler ein
Hausmittel der Geschichte war vortreffliche Künstler zu haben. Um auf die Bühne berufen zu sein dazu
gehört ein Schatz von Talent und Unschuld, der die ganze Welt mit ihrer Ehre gewissermaßen wie ein Schiff
in den Grund bohrt, um über den Lampen auf der Zauberinsel der fata morgana zu landen. Jezt aber gleicht
455
das Theater einem Strande, dessen Bewohner aus gestrandeten Schiffern bestehn, die sich ganz wohl befinden,
ist hie und da ein Robinson drunter, den wir gern ansehen, so spielen seine Gehülfen doch die Affen zu schlecht,
indem sie aus Eitelkeit sich ihre Menschlichkeit immer merken lassen, als daß man nicht lieber den Kampeschen
Robinson läse als ihm zusähe. –
Die große Trauer und Angst aber, die mich bisher immer im Parterre, besonders wenn die Helden und Biedermänner,
die ersten Liebhaber männlichen und weiblichen Geschlechts in ihrem durch ganz Deutschland hergebrachten
eckelmüthigen, edelhaften, eitlen, heuchlerischen mit Empfindung eingesalbten Ton, die Thränen und Seufzer des
unschuldigen Publikums erwürgen und erjammern, geht mehr aus einem allgemeinen Entsetzen über dies Geschick
der Kunst, als aus Unwill über die Schauspieler hervor, die sich unendlich quälen und allen möglichen Lohn
und Dank verdienen; denn wie sollten sie es besser machen, als man es machen kann? Die Leute wollen es nicht
besser und ein Schelm giebt mehr als er kann *).
——————
*) Sollten vielleicht nicht manche wirkliche Schelme sein? – denn viele können
gar nichts. –
456 Dies Bruchstück aus meinem Glaubensbekenntniß über das Theater hab ich Dir hier
hergeschrieben, um daß wenn bei euren Soirées dort im Schlangenbad vielleicht die Rede zwischen dem Herzog August
und Dir, auf mich oder Sophie kommt, Du ihm allenfalls das nöthige sagen kannst. Es ist mir wichtig, daß
Männer wie dieser, der immer Sophiens warmer Freund war, doch zugleich auch gewahr werden daß es keine
engherzige Natur ist, keine Liebeständelei, die mich und Sophie zusammenführte, sondern mannigfache
Übereinstimmungen und Ergänzungen der Gemüther, der Ansichten, der Begriffe und der Ausführungen unserer
Lebenspläne. –
Lebe wohl, laß bald von Dir hören und behalte lieb Deinen
Clemens.
Eben erhalte ich Deinen Brief mit den Mittheilungen der Günderode, schicke mir den ganzen Brief, und
sage ihr, daß ich ihr herzlich danke für alles was sie über mich denkt und beschließt, und ihr werde ich
antworten. –
An Clemens!
Clemente, gestern erhielt ich Deinen Brief in Schlangenbad! Ich hätte sehr gern ihn den Herzog
von
457
Gotha vorgelesen oder lesen lassen, allein er war schon am Morgen abgereist, es war schade er hatte gern
etwas mit mir zu verhandeln, da er so oft auf dem Spaziergang neben mir herlief, zog er seine Schreibtafel
heraus, stellte sich vor mich daß ich nicht weiter gehen solle, es war recht lächerlich. Von
der Günderode erzählte ich ihm, von Deiner Sophie hat er mir viel erzählt, unendlich
Schönes. Sie hat mir eingeleuchtet wie ein Stern, ich mußte darüber entzückt sein; und verwundere mich, daß
ich ihn begegnen mußte hier, der die Sophie so verehrt, mir eine ganze Brieftasche voll Gedichte
an sie vorlas, alle Tage unendlich Vortreffliches mir erzählte. Dafür hab ich ihm auf meiner Guitarre
mehrere Präludien zu seinen Liedern componirt. Es war eine Noth mit seinen französischen Gedichten, zu so
was konnte ich keine musikalische Anwendung machen. Unter mir wohnt die Kurprinzessin von Hessen, der
hab ich alle Nacht aus dem Fenster vorgespielt, das machte ihr viel Freude, sie hat mich in Affection
genommen und ist oft mit mir allein spazieren gegangen, ich sollte ihr erzählen, da war viel von Dir die
Rede! Von wem soll ich sonst reden. Aber von meinem Aufenthalt bei der Großmama und von manchen ernsten
Geschichten und Gesichten der französischen
Revo458lution
war die Rede; da wunderte sie sich daß ich so ernste Dinge berühre schon in der Jugend.
Ich weiß was Jugend ist: Inniges unzerstreutes Empfinden des eignen Selbst. – Die Einsamkeit aber ist eine
Quelle sich selbst zu trinken. Dieser Gedanke gefiel der Kurprinzeß, ich mußte ihn ihr in ein Denkbüchlein
schreiben; und ich setzte noch hinzu: Denken ist die Wege Gottes beschreiten, – durch Denken gelangt man zu
Gott! „Und dies gefiel der Kurprinzeß so daß sie mich dafür auf die Stirne küßte. – Sie redet nun oft mit mir
und nennt das, seltsame Gedanken, was ich so herausplaudere ohne viel Nachdenken; so hatte ich lezt gesagt,
der Gedanke sei ein geflügelt Roß, und wer es regieren könne der schwinge sich mit ihm auf in die Unsterblichkeit.
– Das alles will sie behalten und aufschreiben; – immer möchte sie mehr aus mir herauslocken als ich grade sagen
kann oder mag, denn zu geistiger Offenbarung gehört der Wille, den Geist zu entfalten. – Der Geist ist zwar
immer wandelnd, nemlich in ihm selber wandelt sich alles was er berührt und davon wächst und blüht er, und
reift zur Frucht selber. – Unser höchstes Wirken ist Denken, giebt es vielleicht Geister die noch ein höheres
Wirken haben als denken? und was mag das sein?
459
– Nein! Denken ist das große Lebensmeer der Gottheit, aus dem entspringt alles Wirken! – So sag ich und die
Kurprinzeß freut sich an diesen Reden, und will wissen wo ich das alles her habe, ich sage das sind
Hobelspäne von Gesprächen mit der Günderode, und daß ich mich da oft durch die Gedankenfülle durchdränge,
wie durch eine Volksmenge die mich umwimmelt und daß ich den ersten besten beim Ohr kriege, und viele andre
witschen mir durch.“ – Da freut sich die Kurprinzess und will mehr wissen, und ich muß als in einem fort
aus dem Ärmel schütteln. – Und der Glaube ruft den Geist herbei, der sagt seine Geheimnisse, die Natur haucht
sie aus. – So ist jeder der belehrt sein will ahnungsvoll, wie die Knospe die dem Licht aufbricht, aus ihrem
Kelch duftet die Begeistrung fürs Licht. – Und das Licht kann dieser Begeistrung nicht widerstehen, so wenig
der Geist der Liebe widerstehen kann! –
Ich bin heute so munter, ich möchte noch mehr schwätzen! meine Augen sehen im Dämmerlicht sehr hell, ich
schreib gern bei Mondschein, da kann ich so vergnügt im Zimmer auf und abgehen. Am Himmel tragen die Wolken
ihre Begebenheiten mir vor, sie ballen sich zusammen und thürmen sich, und schreiten auseinander und
460
steigen und kreuzen sich und lassen sich nieder, kurz es ist ein Staatsleben unter ihnen. – Am meisten seh
ich Revolutionsereignisse drinn! – Wollt ich prophetisch sein, ich würde mich an die Wolken halten! – Nicht
daß sie wirklich Geschicke ausmalen könnten. Aber der Geist kann sich selber ahnen, selber erkennen, und sich
selber hinüber erzeugen in das was er sich vorstellen kann. Gewiß kommt einst eine Zeit der Erlösung, wo nicht
mehr einer die Wahrheit prophetisch oder ahnungsweise vorträgt, sondern wo die ganze Welt zugleich weiß und
empfindet, was ihr Lebensnahrung giebt, und wo sie drinn wuchert wie im üppigen Boden die Pflanzen und Früchte
wuchern! – Gedeihen des Geistes ist eine über alle Vorsichtsmaßregeln und Begriffe und Bedeutungen
hinausstrebende Kraft. – Alle Philosophie erstickt, umstrickt und zwar mit groben Stricken, den ungebundenen
Geist. Ach ich hab da lezt noch mit Sinclair disputirt. – Ich kann aber nicht disputiren, ich muß mich nur
todtärgern bis der Kerl fertig ist, wo ich gleich bei der ersten hölzernen Redensart als schon außer mir komme,
ich kann auf nichts acht geben, sie sagen ich wär eingebildet; die andern sind eingebildet mit ihrer Repulsion
und Attraction und Potenz, und Nothstall der Philosophie und Kunstreligion.
461 Es giebt Menschen die sind wie die Raupen, sie zehren nur vom Pflanzenstoff
des Geistes, wenn die sterben so werden sie zu Schmetterlinge, die gauklen in ihrer Seligkeit, so über den
Blumen. Das womit sie ihren Geist nährten gab ihnen keine andere Offenbarung der Seligkeit als nur diese! –
Was der Geist in sich entwickelt, das wird seine Offenbarung, sein höheres Leben! – Der Maler hat ein ganz
besonders Himmelreich (Verewigung) in das er sich durch seine Kunst hinüberübt und lernt! – Aber! aber! – Die
Maler malen ja alle daneben, und nicht das was ihnen wieder Geist giebt. Der Künstler muß ja etwas hervorbringen
was ihn wieder erzeugt, sonst ists aus mit der Ewigkeit. Der Musiker componirt ja falsch und wenn er noch so
sehr den Generalbaß reitet, grade deswegen; er spielt ja Menschensatzung und nicht über Irdisches! – Der
Sänger singt ja falsch und wenn er noch so rein trifft, er trifft ja die Seele, das Gefühl, dessen nicht der
Geist hat und auf höhere Berührung wartet. – Der nur erzeugt die wahre Kunst, der das hervorbringt, was die Zeit
zu dem erhöht wozu sie reif ist, um sie weiter zu reifen. – Der singt falsch, der durch seinen Gesang nicht das
göttliche Licht der Freiheit in dem Hörer entzündet, denn er erfüllt nicht
462
den Zweck der Kunst, und giebt dem Geist Ärgerniß, denn er zieht ihn herab.
Mit diesem lezten will ich in Deine Saiten eingreifen, von dem was Du über Schauspielkunst sagst. – Mir hat
der Mond dictirt.
Ich möchte der lieben Sophie auch noch was sagen, aber ich hänge vom Mond ab, daß er mir doch einen
Augenblick dazu Licht gebe! – eben kommt er! – Licht und Feuer in den zerstreuten Hütten funkelt durch das Grün
der Bäume. – So weit ich seh, versinkt die Welt in Ruh!
Clemens, die Sterne funkeln zu tausenden am Himmel, unter meinem Fenster steht meine alte
Invaliden-Schildwache und paßt auf ein Ständchen meiner Guitarre, er ist gewohnt mich Abends noch singen
zu hören, ich werd ihm ein alt Klosterlied an die Jungfrau Maria singen, denn es ist Morgen Maria Himmelfahrt.
Deine Freundschaft mit Tieck entzückt mich, – oft wenn ich in seinen Schriften las, hatte ich eine
große Begierde ihn kennen zu lernen. Ich werde ein Kleidchen machen für sein Töchterchen, so schön als möglich,
das schenk dem Liebchen von mir. – Du kommst also Clemente! ich freue mich. – Wir sind jezt ganz allein
463
hier! – wir machen Promenaden ins Wilde! – Die Toni hat aber als den Muth verloren, wenn wir den Weg
verloren hatten! ich dachte es wäre recht närrisch, wenn wir uns nicht wieder in die Heimath fänden und gingen
so fort und kämen in fremde Lande.
Bettine.
Lieber Clemens.
In wenig Tagen gehn wir von hier ab. Ich weiß nicht ob wir uns in Wisbaden aufhalten. Du mußt meinen
lezten Brief nicht erhalten haben, weil ich nichts von Dir weiß. So sehr ich mich freu Dich wieder zu
sehen thuts mir doch leid die Gegend zu verlassen; hier hab ich zum erstenmal die Natur beklettert,
mitten in ihrem Schooß konnte der Muthwille nicht Ruhe halten; wohin mein Auge blickte dahin wollte ich,
oft meint ich mit Händen die Berge zu greifen, und wenn ich eine Strecke gelaufen war, dann wars als sei
ich viel weiter entfernt vom Berg. Erreichen muß man nicht wollen; goldne Wünsche, grünende Hoffnungen
wartet nicht daß ich euch nachlaufe, wenn ich auch euch nachseufze ein Weilchen! – Es ist vor ein Paar
Tagen ein Mann hier durchgekommen mit einer Flugmaschine, er wollte sich damit sehen lassen, aber Leonhardi,
464
der noch zwei Stahlbäder zu nehmen hat, wovon er ganz stahlblau wird, wollte durchaus nicht, daß der Mann
fliegen solle, der Mann wollte uns auf der Terrasse ein Flugstückchen machen, für einen Thaler wollt ers
thun. Leonhardi sagte, der Mensch fällt gewiß, und bricht Hals und Bein, dann haben wir die Heilkosten,
den Doctor, den Apotheker, den Chirurg, den Aufwärter, das Essen, die Nachtwache, die Wartfrau, und zulezt
vielleicht gar die Begräbnißkosten sammt Pfarrer und Küster auf dem Hals, zu so wenig Badegästen, als wir
noch sind, kann sich das sehr hoch belaufen. Alles war von Leonhardis Weltweisheit eingenommen, der
noch vorbrachte, er säh es dem Kerl an, der sei expreß gekommen ein Unglück anzurichten. Vom Manne hatte
ich erfahren daß er keine drei Batzen habe, denn er hatte auch schon gestern keine mehr gehabt und sich
durchbetteln müssen. Leonhardi behauptete, des Mannes Augen seien auf seine Taschen gerichtet gewesen,
er sei ein Dieb. – Ich brachte die Nachricht, der Mann wolle mit Gewalt fliegen, da seht ihr,
sagte Leonhardi, er will uns einen Streich spielen. Ich wurde also wieder zu dem Mann geschickt, ob
er nicht gutwillig gehen werde, wenn man ihm ein Douceur gebe. Ich brachte die Nachricht: der Mann wolle
ab465solut
fliegen und lade die Gesellschaft bei Mondschein auf die Terasse. Ach, sagte Leonhardi, in dem Menschen
sizt die Verzweiflung; das ist eine dumme Geschichte in der einsamen Gegend, wo keine ordentliche Polizei ist,
– dem Mann verbieten zu fliegen habe er keinen Befehl, meint der Polizeimann, sagt der Badepeter, erzählte ich.
– Der gute invalide Polizeisoldat mußte kommen; der sagte: Lassen sie ihn, der wird nicht weit fliegen, er ist
auch Invaliede, es kann nicht jeder Nachtwächter in Schlangenbad sein, um sein Brod zu verdienen. – Da haben
wirs! – ein zerschoßner Kerl will da noch ungeheure Kunststücke machen! – Alles war aufgeregt, jeder lachte
darüber, aber man wollte ihn los sein. – Mit zehn Gulden geht er ab, rief ich. Die zehn Gulden waren gleich
beisammen und noch mehr, jeder steuerte ungezählt bei. – Ich lief mit dem Geld zum Mann, der gar nichts davon
wußte, auch so viel Geld seit lange nicht gesehen hatte. Ich konnte ihm schwer begreiflich machen daß es sein
gehöre, wenn er nicht fliegen wolle; dies lezte begriff er vollends gar nicht, denn er ließ sich durchaus
nicht vom fliegen abhalten, was er vorher eigentlich nicht im Sinne hatte, es mußte jezt geschehen! Ich
lief auf die Terrasse und rief der Mann kommt, er will doch mit aller Gewalt
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fliegen! – Ein großer Spektakel war da los, der Mann zog aus einem Pappkasten zwei Schläuche, blies Luft hinein,
es wurden zwei Pferdchen draus, ein weißes und ein schwarzes, so groß wie Windhunde, angespannt an einen
Luftballon in dem der Amor saß, das ging in die Höhe an einem langen Bindfaden und schwebte zehn Fuß über uns,
er hielt dabei eine Rede über das schwarze und weiße Pferd am Liebeswagen. Voigt sagt diese Rede sei
aus dem Plato. Als der Phaeton vom Abendwind eine Weile herumgetrieben war, wickelte der Mann den Bindfaden
wieder auf, entließ die Luft aus den Gaulen und nahm mit tausend Danksagungen Abschied. – Wir alle waren sehr
lustig über die Geschichte und gönnten es dem guten Mann, der durch seine Gutmüthigkeit den besten Eindruck
gemacht hatte.
Wir sind jezt ganz allein hier, wir machen von Morgens bis Abends die herrlichsten Spaziergänge, ich glaube
es wird traurig werden, wieder in mein finsteres Zimmer eingesperrt zu sein. Aber es wird doch ein angenehmer
Winter sein; die Heirathen der Geschwister werden nicht wenig zur häuslichen Glückseligkeit beitragen. Ich
wundre mich, daß Du so wenig Antheil dran nimmst.
467 Grüße Sophie von mir, und wenn Du schon in Marburg bist, so schreib ihr,
daß ich alle Tag an sie denke.
Bettine.
Liebe Schwester!
Deinen lezten Brief von Schlangenbad in dem Du Deine baldige Abreise angezeigt, nebst der Fluggeschichte,
erhielt ich eine Minute später als mein Brief an Dich abgegangen war. Ich erwarte von diesem für Dich so gütig
gewesenen Sommer nun auch gute Wirkung für Deine Gesundheit, Deinen Muth und Fleiß. Was mich betrifft, so
bleibe ewig beruhigt, und vertraue mir ganz daß ich in unserm engen Bund nie ein Wesen aufnehmen werde, als
nur wenn es sehr vortrefflich ist. Ich liebe und ehre Sophien zu sehr, um mehr von ihr zu sprechen,
wenn Du sie kennen wirst liebe Bettine, so wirst Du für sie empfinden, was auch ich für sie fühle. Sie macht
alles gesund und blühend, sie ist die ewige Jugend und immer ein Kind, sie ist wie ihr lezter Brief sagt,
eine sehr arme Frau, aber ein unendlich reiches Kind. Wenn ich nach Frankfurt komme, will ich Dich
über alles belehren und Deine Besorgnisse so aufklären, daß Du Dich über das ganze so freuen sollst, wie ich
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es thue. Nur bitte ich Dich nochmals, in allen Dingen die mich betreffen keine Vertraute zu haben.
Mit Savigny stehe ich auf einem ganz ordentlichen Fuß, wir achten uns, ohne doch daß unsere Herzen
innige Mittheilungen hätten. Seine Verschlossenheit, sein Verkehr mit Gunda und Winkelmann, ohne
daß ich weiß was sie mit einander wollen, und vor allem sein Geständniß, „daß er mit Dir platterdings gar
nicht existiren und keine Berührung mit Dir erträglich sei.“ Dieser deutliche Widerwille gegen das, was ich
auf Erden am meisten liebe, gegen Dich, dies Alles hat mir mein Verhältniß mit ihm bestimmt. Ich achte ihn
aber mehr als irgend einen Menschen in der Welt; daß er das Talent nicht hat vertraulich zu werden, lasse ich
ihn weiter nicht entgelten. Übrigens theile ich ihm nichts mehr mit, weil er stumm wie ein Ölgötze gegen mich
ist, und so wäre das gut. Manchmal muß ich tief in Gedanken über ihn sitzen, denn ich habe manche controverse
Erfahrungen an ihm gemacht, die ich zu reimen nicht im Stande bin; doch – Alles ist gut und bedeutsam in der
Welt, und wer weiß, wie sich dies noch einmal zurecht rücken wird! Über was kann ich denn klagen, als daß ich
ihn in dieser Abgeschlossenheit nicht verstehe; das ist am End auch meine Schuld und
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nicht die seine. Und mir selber kann ich dies auch nicht verdenken, da ichs bei allem guten Willen noch nicht
weiter gebracht habe, als mich zu verwundern, und mir jede Mißbilligung zu verbieten, bis ich eines Bessern
belehrt werde, was ohne Zweifel einst sein wird, da mir noch so viel zu lernen und zu begreifen bevorsteht.
Nun siehst Du mit meinem guten Weib werde ich gerechter werden, da sie mild ist, und doch unendlich lebensfrisch;
da sie die Weltverhältnisse weit besser versteht als ich und die große Lebensklugheit besitzt, an die menschliche
Gesellschaft keine Ansprüche zu machen, obschon sie allen Beziehungen in ihr genügen kann und mit ihrem
Wohlwollen immer giebt, wo sie verlangen könnte; und ihre Liebe niemals aufdringt, in der Einsamkeit selbst
ihren Reichthum an Geist niedergelegt hat, in dem sie schwelgen kann und reicher ist als andre, die sich im
Besitz der Wohlhabenheit fühlen. Es wird kommen und muß kommen, daß sie das Eis schmelze, denn sie ist der
Frühling und hat den Geist des Belebens! – und das gewinnt die Herzen! drum ist fürs Erste mein Aufenthalt
in Marburg mir wichtig grade um Savignys willen, wenn das so kommen dürfte, daß er allem dem entspräche,
was in ihm sein muß, was ich aber nie zu Tag fördern konnte, wenn
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ich wirklich durch meine Hast, durch meine Unbefähigung bessern Menschen gerecht zu sein, allein die Schuld
trüge, dieser oft qualvollen ungewürdigten Stunden und Tage unseres Zusammenseins! – und Sophie, die
ganz menschliche Freundin meiner Seele, baute zwischen uns die Brücke eines edlen Verkehrs, wo nicht mehr
eine grausame Ironie mich mit ihren Pfeilen träfe. Liebes Kind, dann müssen wirs ihm auch hingehen lassen, daß
er Dich nicht mag! – Es wird kommen, es wird kommen die gewünschte Frühlingszeit! – Nun sei froh und glücklich
und grüße mir die neu verheirathete Schwägerin.
Eben erhalte ich Deinen früheren Brief aus Schlangenbad, der über Weimar gegangen war. Ich bitte Dich
herzlich schreibe mir oft so, schreibe mir oft und viel, Deine Gedanken ziehen so im Flug, als wären sie Vögel
aus fremden heißeren Ländern. – Wie soll man ihrer habhaft werden, wenn nicht ein treuer Freund sie auffängt.
Spreche mir auch von Günderödchen, von Mariannen, die ich ewig lieben werde. – Und noch eins. –
Alles was durch andre Leute von Sophie Dir gesagt wird, glaube nicht, denn Du weißt ja wie andre Leute
von mir sprechen, wie auch die, welche für die besten, die edelsten gelten, nur Böses von mir
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zu sagen wußten oder ahnten, und doch hast Du das nie in mir gefunden! – Nicht wahr liebstes Kind, das hast
Du nie? – Das ist auch der Segen, der auf Dir ruht, daß keine Ungerechtigkeit noch aus Deiner Seele geflossen
ist, daß keine Äusserlichkeit, kein Egoismus mit Deinem Gefühl wuchert oder prachert. – Aus der Ambition
entspringt manches Übel der Seele und dies hat so böse Folgen oft, daß ich manchmal meine, alle Lähmungen
des Geistes entspringen vielmehr aus dem Ehrgeiz, als daß dieser ihn fördert. – Großmuth ist die Quelle alles
Reichthums und jeder, der sich abzuschließen wähnt, um sein inneres Eigenthum für sich allein zu bewahren und
es wie einen künstlichen Springbrunnen in die Höhe zu treiben, der wird auch einen solchen Springstrahl
hervorbringen, lustig und ergötzlich anzuschauen, und die Menschen werden sich wundern und es wird die Rede
sein von dem fameusen springenden Wasser im ganzen Land, wie von der Fontaine auf Wilhelmshöhe! – Aber was
ist es nun, wenn die Röhren, durch welche das Wasser läuft, einmal aus ihrer Lage kommen und der Strahl
versiegt, oder wenn die unterirdischen Wasser durch Zufall und Naturereignisse eine andere Wendung nehmen,
dann steht die Fontaine mit ihren Pretensionen bewundert zu werden, ganz verlassen; höchstens geht
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die Rede durchs Land: die Fontaine springt nicht mehr! schade um die alte Fontaine sagen dann die Leute,
wir haben unsern spiegelklaren Bergstrom, der sich wohlthätig durch unsere Fluren verbreitet! sehet den
schiffbaren Fluß, in dem unsre munteren Bäche und Flüsse zusammen kommen, dem gemeinsamen Leben zu Nutz und
Frommen! – Da unterscheidet man sie nicht mehr von einander, ob dieser oder jener seine Wellen dazu hergiebt
den Verkehr des Menschen unter einander zu fördern. – So muß es sein liebes Kind! so und nicht anders kann
das Vollkommne, das Genügende im Geist sich erweitern und vertheilen und beleben alle, die von ihm sich zu
nähren berufen sind! – Und so will es sich gestalten seit ich meine Sophie habe! – Und mögen die
Fontainen für sich springen so lang es geht zur Bewundrung der gelangweilten Menge; trägt der schiffbare
Fluß erst die Weltbegebenheiten und die Entwicklung des Weltgeistes auf die Höhe des Weltmeeres, in den er
einströmt, dann mag die Fontaine in verödeter Natur springen oder nicht, Schiffe könnte sie doch nimmer
tragen. Schreibe bald Deinem Clemens, der von Dir lebt, sich von Dir getragen fühlt zum Bessern,
zur Lust das Leben zu genießen und zu beherrschen.
473 So eben kommt die Frankfurter Post. Ich habe keine Zeile von Dir und von
Niemand. Savigny erhält die Briefe bündelweise; meine Einsamkeit erhöht sich so immer mehr, ich
bitte Dich herzlich schreibe, ich bin traurig, wenn ich so meinen Herrn Baron seine Briefe verschlingen sehe,
ohne mir etwas mitzutheilen, und ich habe gar nichts. Du hast ja auf der Welt nichts zu thun, schreibe mir doch
oder ich glaube daß Du mich nicht mehr liebst.
Clemens.
Ende des ersten Bandes.
[Ein zweiter Band ist nicht erschienen.]
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