'V Dem

Fürsten Pückler.

'VII> Haben sie von Deinen Fehlen
Immer viel erzählt,
Und fürwahr, sie zu erzählen
Vielfach sich gequält.
Hätten sie von Deinem Guten
Freundlich Dir erzählt,
Mit verständig treuen Winken
Wie man Bess'res wählt;
O gewiß! das Allerbeste
Blieb uns nicht verhehlt,
Das fürwahr nur wenig Gäste
In der Klause zählt. –
          (Westöstlicher Divan. Buch der Betrachtung.)

 

Es ist kein Geschenk des Zufalls oder der Laune, was Ihnen hier dargebracht wird. Aus wohlüberlegten Gründen und mit freudigem Herzen biete ich Ihnen an, das Beste was ich zu geben vermag. Als Zeichen meines Dankes für das Vertrauen was Sie mir schenken.

Die Menge ist nicht dazu geeignet, die Wahrheit sondern nur den Schein zu prüfen; den geheimen Wegen einer tiefen Natur nachzuspüren, das Rätselhafte in ihr 'VIII aufzulösen ist ihr versagt, sie spricht nur ihre Täuschungen aus, erzeugt hartnäckige Vorurtheile gegen bessere Überzeugung, und beraubt den Geist der Freiheit das vom Gewöhnlichen Abweichende in seiner Eigenthümlichkeit anzuerkennen. In solchen Verwirrungen waren auch meine Ansichten von Ihnen verstrickt, während Sie aus eigner Bewegung, jedes verkleinernde Urtheil über mich abweisend mir freundlich zutrauten: Sie würden Herz und Geist durch mich 'IX bereichern können, wie sehr hat mich dies beschämt! – Die Einfachheit Ihrer Ansichten, Ihrer sich selbstbeschauenden selbstbildenden Natur, Ihr leiser Takt für fremde Stimmung, Ihr treffendes fertiges Sprachorgan; sinnbildlich vieldeutig in melodischem Styl innere Betrachtung wie äußere Gegenstände darstellend, diese Naturkunst Ihres Geistes, alles hat mich vielfältig über Sie zurecht gewiesen, und mich mit jenem höheren Geist in Ihnen bekannt gemacht, 'X der so manche Ihrer Äußerungen idealisch parodirt.

Einmal schrieben Sie mir: Wer meinen Park sieht, der sieht in mein Herz. – Es war im vorigen Jahr in der Mitte September, daß ich am frühen Morgen, wo eben die Sonne ihre Strahlen ausbreitete in diesen Park eintrat; es war große Stille in der ganzen Natur, reinliche Wege leiteten mich zwischen frischen Rasenplätzen, auf denen die einzelnen 'XI Blumenbüsche noch zu schlafen schienen; bald kamen geschäftige Hände ihrer zu pflegen, die Blätter, die der Morgenwind abgeschüttelt hatte, wurden gesammelt und die verwirrten Zweige geordnet; ich ging noch weiter an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Stunden nach allen Richtungen, so weit ich kam fand ich dieselbe Sorgfalt und eine friedliche Anmuth, die sich über alles verbreitete. So entwickelt und pflegt der Liebende den Geist 'XII und die Schönheit des Geliebten, wie Sie hier ein anvertrautes Erbtheil der Natur pflegen. Gern will ich glauben, daß dies der Spiegel Ihres tiefsten Herzens sei, da es so viel Schönes besagt; gern will ich glauben, daß das einfache Vertrauen zu Ihnen nicht minder gepflegt und geschützt sei als jede einzelne Pflanze Ihres Parks. Dort hab' ich Ihnen auch aus meinen Briefen und dem Tagebuch an Goethe vorgelesen, Sie haben gern zugehört; ich gebe 'XIII sie Ihnen jetzt hin, beschützen Sie diese Blätter wie jene Pflanzen, und so treten Sie abermals hier zwischen mich und das Vorurtheil derer, die schon jetzt noch eh sie es kennen dies Buch als unecht verdammen und sich selbst um die Wahrheit betrügen.

Lassen Sie uns einander gut gesinnt bleiben, was wir auch für Fehler und Verstoße in den Augen Anderer haben mögen, die uns nicht in demselben Lichte sehen, wir wollen die Zuversicht zu einer höheren 'XIV Idealität, die so weit alle zufällige Verschuldungen und Mißverständnisse und alle angenommene und herkömmliche Tugend überragt, nicht aufgeben. Wir wollen die mannigfaltigen edlen Veranlassungen, Bedeutungen und Interesse verstanden und geliebt zu werden nicht verläugnen, ob andre es auch nicht begreifen, so mag es ihnen ein Räthsel bleiben.

Im August 1834.

Bettina v. Arnim.

 

I Vorrede.

Dies Buch ist für die Guten und nicht für die Bösen.

Während ich beschäftigt war diese Papiere für den Druck zu ordnen, hat man mich vielfältig bereden wollen manches auszulassen oder anders zu wenden, weil es Anlaß geben könne zu Mißdeutungen. Ich merkte aber bald, man mag nur da guten Rath annehmen wo er der eignen Neigung nicht widerspricht. Unter den vielen Rathgebern war nur einer, dessen Rath mir gefiel; er sagte: Dies Buch ist für die Guten und nicht für die Bösen; nur böse Menschen können es übel ausdeuten, lassen Sie alles stehen wie es ist, das giebt dem Buch seinen Werth und Ihnen kann man auch nur Dank wissen, daß Sie das Zutrauen haIIben, man werde nicht mißdeuten, was der gute Mensch nie mißverstehen kann. – Dieser Rath leuchtete mir ein, er kam von dem Factor der Buchdruckerei von Trowitzsch und Sohn, Herrn Klein, derselbe, der mir Druck und Papier besorgte, Orthoraphiefehler corrigirte, Komma und Punkt zurecht rückte, und bei meinem wenigen Verstand in diesen Sachen viel Geduld bewies. Diese seine ausgesprochne Meinung bestärkte mich darin, daß ich den bösen Propheten und den ängstlichen Ansichten der Ratgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg dieses Rathes ausfallen mag, ich freue mich seiner, da er unbezweifelt von den Guten als der edelste anerkannt wird, die es nicht zugeben werden, daß die Wahrheit eines freudigen Gewissens sich vor den Auslegungen der Bösen flüchte. –

Auch dem Herrn Kanzler von Müller in Weimar sage ich Dank, daß er auf meine Bitte sich bemühte, trotz dem Drang seiner Geschäfte, meine Briefe aus Goethes umfassenden Nachlaß hervor zu suchen, es sind jetzt achtzehn Monate, daß ich sie in Händen habe; er schrieb mir damals: III So kehre denn dieser unberührte Schatz von Liebe und Treue zu der reichen Quelle zurück von der er ausgeströmt! Aber eines möchte ich mir zum Lohn meiner gemessnen Vollziehung Ihres Wunsches und Willens, wie meiner Enthaltsamkeit doch von Ihrer Freundschaft ausbitten. – Schenken Sie mir irgend ein Blatt aus dieser ohne Zweifel lebenswärmsten Correspondenz; ich werde es heilig aufbewahren, nicht zeigen noch copieren lassen, aber mich zuweilen dabei still erfreuen, erbauen oder betrüben, je nachdem der Inhalt sein wird; immerhin werde ich ein zweifach liebes Andenken, einen Tropfen gleichsam Ihres Herzbluts, das dem größten und herrlichsten Menschen zuströmte daran besitzen. – Ich habe diese Bitte nicht befriedigt, denn ich war zu eifersüchtig auf diese Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Theilnahme geschenkt hatte, sie sind meistens von seiner Hand corrigirt, sowohl Orthographie als auch hie und da Wortstellung, manches ist mit Röthel unterstrichen, anderes wieder mit Bleistift, manches ist eingeklammert, anderes ist durchstrichen. IV – Da ich ihn nach längerer Zeit wieder sah, öffnete er ein Schubfach, worin meine Briefe lagen, und sagte: Ich lese alle Tage darin. Damals erregten mir diese Worte einen leisen Schauer. Als ich jetzt diese Briefe wieder las, mit diesen Spuren seiner Hand, da empfand ich denselben Schauer, und ich hätte mich nicht leichtlich von einem der geringsten Blätter trennen mögen. Ich habe also die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen übergangen aber nicht undankbar vergessen; möge ihm der Gebrauch, den ich davon gemacht habe, beides, meinen Dank und meine Rechtfertigung beweisen.

 

V Anhang

zum

Briefwechsel mit Goethe's Mutter.

 

Liebste Frau Rath.

Am 1. März 1807.

Ich warte schon lange auf eine besondre Veranlassung, um den Eingang in unsere Correspondenz zu machen. Seitdem ich aus Ihrem Abrahamsschooß, als dem Hafen stiller Erwartung, abgesegelt bin, hat der Sturmwind noch immer den Athem angehalten, und das Einerleileben hat mich wie ein schleichend Fieber um die schöne Zeit gebracht. Wie sehr bejammere ich die angenehme Aussicht, die ich auf der Schawell zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den Knopf des VI Katharinenthurms, noch auf die Feueresse der rußigen Cyklopen, die den goldnen Brunnen bewachen; nein! die Aussicht in Ihren vielsagenden feurigen Blick, der ausspricht was der Mund nicht sagen kann. – Ich bin zwar hier mitten auf dem Markt der Abentheuer, aber das köstliche Netz, in dem mich Ihre mütterliche Begeistrung eingefangen, macht mich gleichgültig für alle. Neben mir an, Thür an Thür, wohnt der Adjutant des Königs; er hat rothes Haar, große blaue Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderstehlich hält: der ist er selber. Vorige Nacht weckte er mich mit seiner Flöte aus einem Traum, den ich für mein Leben gern weiter geträumt hätte, am andern Tag bedankt ich mich, daß er mir noch so fromm den Abendseegen vorgeblasen habe; er glaubte es sei mein Ernst und sagte, ich sei eine Betschwester, seitdem nennen mich alle Franzosen so, und wundern sich, daß ich mich nicht drüber ärgere; – ich kann aber doch die Franzosen gut leiden.

Gestern ist mir ein Abentheuer begegnet. Ich kam vom Spaziergang und fand den Rothschild vor der Thür mit einem schönen Schimmel; er sagte: es sei ein Thier wie ein Lamm, und ob ich mich nicht draufsetzen wolle? – ich ließ mich gar nicht bitten; kaum war ich aufgestiegen, VII so nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben so kehrte es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb plötzlich stehen und ich sprang ab; nun sprachen alle von ihrem gehabten Schreck; – ich fragte: was ist denn passirt?Ei, der Gaul ist ja mit Ihnen durchgegangen!So! sagt' ich, das hab' ich nicht gewußt. – Rothschild wischte mit seinem seidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß ab, legte ihm seinen Überrock auf den Rücken, damit es sich nicht erkälten solle, und führte es in Hemdärmel nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu sehen. – Wie ich am Abend in die Gesellschaft kam, nannten mich die Franzosen nicht mehr Betschwester, sie riefen alle einstimmig: ah l'héroïne!

Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch über mich verbreitet sich ein wenig diese Gewalt. Ein gar schöner (ja ich müßte blind sein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner schlanker brauner Franzose sieht mich aus weiter Ferne mit scharfen Blicken an, er naht sich bescheiden, er bewahrt die Blume, die meiner Hand entfällt, er spricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? – ich thue zwar sehr kalt und ungläubig; wenn man inVIIIdessen in meiner Nähe sagt: le roi vient, so befällt mich immer ein kleiner Schreck, denn so heißt mein liebenswürdiger Verehrer.

Ich wünsche Ihr eine gute Nacht, schreib‘ Sie mir bald wieder.

Bettine.

IX Goethe's Mutter an Bettine.

Am 14. März 1807.

Ich habe mir meine Feder frisch abknipsen lassen und das vertrocknete Tintenfaß bis oben vollgegossen und weil es denn heute so abscheulich Wetter ist, daß man keinen Hund vor die Thür jagt, so sollst Du auch gleich eine Antwort haben. Liebe Bettine, ich vermisse Dich sehr in der bösen Winterzeit; wie bist Du doch im vorigen Jahr so vergnügt dahergesprungen kommen? – wenn's kreuz und quer schneite, da wußt ich das war so ein recht Wetter für Dich, ich braucht nicht lange zu warten, so warst Du da. Jetzt guck ich auch immer noch aus alter Gewohnheit nach der Ecke von der Katharinenpfort, aber Du kommst nicht, und weil ich das ganz gewiß weiß, so kümmert's mich. Es kommen Visiten genug, das sind aber nur so Leutevisiten, mit denen ich nichts schwätzen kann.

Die Franzosen hab' ich auch gern, – das ist immer ein ganz ander Leben, wenn die französische Einquartierung hier auf dem Platz ihr Brod und Fleisch ausgetheilt kriegt, als wenn die preußische oder hessische Holzböck' einrücken.

X Ich hab' recht meine Freud' gehabt am Napoleon, wie ich den gesehen hab'; er ist doch einmal derjenige, der der ganzen Welt den Traum vorzaubert, und dafür können sich die Menschen bedanken, denn wenn sie nicht träumten, so hätten sie auch nichts davon und schliefen wie die Säck', wie's die ganze Zeit gegangen ist.

Amüsire Dich recht gut und sei lustig, denn wer lacht, kann keine Todsünd' thun.

Deine Freundin

Elisabeth Goethe.

Nach dem Wolfgang frägst Du gar nicht; ich hab' Dir's ja immer gesagt: wart' nur bis einmal ein andrer kommt, so wirst Du schon nicht mehr nach ihm seufzen.

 

XI Frau Rath.

Am 20. März 1807.

Geh' Sie doch mit Ihren Vorwürfen; – das antwort' ich Ihr auf Ihre Nachschrift, und sonst nichts.

Jetzt rath' Sie einmal was der Schneider für mich macht. Ein Andrieng! – Nein! Eine Kontusche? – Nein! Einen Joppel? – Nein! Eine Mantille? – Nein! Ein paar Boschen? – Nein! Einen Reifrock? – Nein! Einen Schlepprock? – Nein! Ein Paar Hosen? – Ja! – Vivat – jetzt kommen andre Zeiten angerückt, – und auch eine Weste und ein Überrock dazu. Morgen wird alles anprobirt, es wird schon sitzen, denn ich hab' mir alles bequem und weit bestellt, und dann werf' ich mich in eine Chaise und reise Tag und Nacht Courier durch die ganzen Armeen zwischen Feind und Freund durch; alle Festungen thun sich vor mir auf und so geht's fort bis Berlin, wo einige Geschäfte abgemacht werden, die mich nichts angehn. Aber dann geht's eilig zurück und wird nicht eher Halt gemacht bis Weimar. O Frau Rath, wie wird's denn dort aussehen? – mir klopft das Herz gewaltig, obschon ich noch bis zu Ende April reisen kann, ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auch XII Muth genug haben sich ihm hinzugeben? – ist mir's doch, als ständ' er eben vor der Thür! – Alle Adern klopfen mir im Kopf; ach wär' ich doch bei Ihr! – das allein könnt' mich ruhig machen, daß ich säh', wie Sie auch vor Freud' außer sich wär'; oder wollt mir einer einen Schlaftrunk geben, daß ich schlief bis ich bei ihm erwachte. Was werd' ich ihm sagen? – ach, nicht wahr, er ist nicht hochmüthig? – von Ihr werd' ich ihm auch alles erzählen, das wird er doch gewiß gern hören. Adieu, leb' Sie wohl und wünsch' Sie mir im Herzen eine glückliche Reis'. Ich bin ganz schwindlich.

Bettine.

Aber das muß ich Ihr doch noch sagen, wie's gekommen ist. Mein Schwager kam und sagte, wenn ich seine Frau überreden könne, in Männerkleidern mit ihm eine weite Geschäftsreise zu machen, so wolle er mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb' über Weimar gehen. Denk' Sie doch, Weimar schien mir immer so entfernt, als wenn es in einem andern Welttheil läg', und nun ist's vor der Thür.

1 Briefwechsel mit Goethe's Mutter.

Liebe Frau Rath,

Am 5. Mai 1807.

Eine Schachtel wird Ihr mit dem Postwagen zukommen, beste Frau Mutter, darin sich eine Tasse befindet; es ist das sehnlichste Verlangen Sie wieder zu sehen, was mich treibt Ihr solche unwürdige Zeichen meiner Verehrung zu senden. Thue Sie mir den Gefallen Ihren Thee früh morgens d'raus zu trinken, und denk' Sie meiner dabei. – Ein Schelm giebt's besser als er's hat.

Den Wolfgang hab ich endlich gesehen; aber ach was hilft's? Mein Herz ist geschwellt wie das volle 2 Segel eines Schiff's, das fest vom Anker gehalten ist am fremden Boden, und doch so gern in's Vaterland zurück möchte.

Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt' Sie mich lieb.

Bettine Brentano.

Goethe's Mutter an Bettine.

Am 11. Mai 1807.

Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer so schönen Reise schreibst Du einen so kurzen Brief, und schreibst nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn gesehen hast; das hab' ich auch schon gewußt und er hat mir's gestern geschrieben. Was hab' ich von Deinem geankerten Schiff? da weiß ich so viel wie nichts. Schreib' doch was passirt ist. Denk' doch daß ich ihn acht Jahr nicht gesehen hab', und ihn vielleicht nie wieder seh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willst, wer soll mir dann erzählen? – Hab' ich nicht Deine alberne Geschichten hundertmal angehört, die ich auswendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren hast, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die 3 größte Freud' machen könntest, da schreibst Du nichts. Fehlt Dir denn was? – es ist ja nicht über's Meer bis nach Weimar. Du hast ja jetzt selbst erfahren, daß man dort sein kann, bis die Sonne zweimal aufgeht. – Bist Du traurig? – Liebe, liebe Tochter, mein Sohn soll Dein Freund sein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, und Du sollst mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg, die mein spätes Alter noch zählt, es ist ja doch der einzige Name der mein Glück umfaßt.

Deine treue Freundin

Elisabeth Goethe.

Vor die Tasse bedank' ich mich.

An Goethe's Mutter.

Am 16. Mai 1807.

Ich hab' gestern an Ihren Sohn geschrieben; verantwort' Sie es bei ihm. – Ich will Ihr auch gern alles schreiben, aber ich hab' jetzt immer so viel zu denken, es ist mir fast eine Unmöglichkeit, mich loszureißen, ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie soll ich denn sagen wie es gewesen ist? – Hab' Sie Nachsicht und 4 Geduld; ich will die ander Woch' nach Frankfurt kommen, da kann Sie mir alles abfragen.

Ihr Kind

Bettine.

Ich lieg' schon eine Weile im Bett und da treibt mich's heraus, daß ich Ihr alles schreib' von unserer Reise. – Ich hab' Ihr ja geschrieben, daß wir in männlicher Kleidung durch die Armeen passirten. Gleich vor'm Thor ließ uns der Schwager aussteigen, er wollte sehen wie die Kleidung uns stehe. Die Lullu sah sehr gut aus, denn sie ist prächtig gewachsen und die Kleidung war sehr passend gemacht; mir war aber alles zu weit und zu lang, als ob ich's auf dem Grempelmarkt erkauft hätte. Der Schwager lachte über mich und sagte, ich sähe aus wie ein Savoyardenbube, ich könnte gute Dienste leisten. Der Kutscher hatte uns vom Weg abgefahren durch einen Wald, und wie ein Kreuzweg kam, da wußt' er nicht wohinaus; obschon es nur der Anfang war von der ganzen vier Wochen langen Reise, so hatt' ich doch Angst, wir könnten uns verirren und kämen dann zu spät nach Weimar; ich klettert' auf die höchste Tanne und da sah ich bald, wo die Chaussee lag. Die ganze Reise hab' ich auf dem Bock gemacht; ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz, 5 der Fuchsschwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, schirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anspannen. Mit den Postillions sprach ich gebrochen deutsch als wenn ich ein Franzose wär'. Im Anfang war schön Wetter, als wollt' es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Menschenseele was des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein schien der Mond in dieses verödete Silberparadies, eine Todtenstille – nur die Räder pfiffen von der Kälte. Ich saß auf dem Kutschersitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' schlägt Funken aus mir; – wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwager reichte mir ein Pistol aus dem Wagen und fragte, ob ich Muth habe loszuschießen, wenn die Spitzbuben kommen, ich sagte: ja, er sagte: schießen sie nur nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angst im Wagen, ich aber unter freiem Himmel mit der gespannten Pistole, den Säbel umgeschnallt, unzählige funkelnde Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Riesenschatten auf den breiten mondbeschienenen Weg warfen, – das alles machte mich kühn auf meinem erhabe6nen Sitz. – Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in seinen Jugendjahren so begegnet hätte, ob das nicht einen poetischen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr vergessen. Jetzt mag er anders denken, – er wird erhaben sein über einen magischen Eindruck; höhere Eigenschaften (wie soll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn behaupten. Wenn nicht Treue, – ewige, an seine Schwelle gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in jener kalten hellen Winternacht gestimmt, in der ich keine Gelegenheit fand mein Gewehr loszuschießen, erst wie der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken; der Wagen hielt und ich lief in den Wald und schoß in die dichte Einsamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig los, indessen war die Axe gebrochen; wir fällten einen Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und knebelten ihn mit Stricken fest; da fand denn mein Schwager daß ich sehr anstellig war, und lobte mich. So ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird die Festung gesperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bis den andern Morgen um sieben halten; es war nicht sehr kalt, die beiden im Wagen schliefen. In der Nacht fing's an zu schneien, ich hatte den Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig 7 sitzen auf meinem freien Sitz; am Morgen guckten sie aus dem Wagen, da hatte ich mich in einen Schneemann verwandelt, aber noch eh' sie recht erschrecken konnten, warf ich den Mantel ab, unter dem ich recht warm gesessen hatte. In Berlin war ich wie ein Blinder unter vielen Menschen, und auch geistesabwesend war ich, an nichts konnt' ich Theil nehmen, ich sehnte mich nur immer nach dem Dunkel, um von nichts zerstreut zu sein, um an die Zukunft denken zu können, die so nah gerückt war. Ach wie oft schlug es da Allarm! – plötzlich, unversehens, mitten in die stille Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller als ich's denken konnte, hatte mich ein süßer Schrecken erfaßt. O Mutter, Mutter! denk Sie an ihren Sohn, wenn Sie wüßte, sie sollte ihn in kurzer Zeit sehen, sie wär auch wie ein Blitzableiter, in den alle Gewitter einschlügen. – Wie wir nur noch wenig Meilen von Weimar waren, da sagte mein Schwager, er wünsche nicht den Umweg über Weimar zu machen und lieber eine andre Straße zu fahren. Ich schwieg stille, aber die Lullu litt es nicht; sie sagte: einmal wär' mir's versprochen und er müßte mir Wort halten. – Ach Mutter! – das Schwert hing an einem Haar über meinem Haupt, aber ich kam glücklich drunter weg.

8 In Weimar kamen wir um 12 Uhr an; wir aßen zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten sich auf's Sopha und schliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht. Ich rathe Ihnen, sagte mein Schwager, auch auszuruhen; der Goethe wird sich nicht viel draus machen, ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Besondres wird auch nicht an ihm zu sehen sein. Kann Sie denken, daß mir diese Rede allen Muth benahm? – Ach ich wußte nicht was ich thun sollte, ich war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders angekleidet, ich stand am Fenster und sah nach der Thurmuhr, eben schlug es halb 3. – Es war mir auch so, als ob sich Goethe nichts draus machen werde mich zu sehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute stolz nennen; ich drückte mein Herz fest zusammen, daß es nicht begehren solle; – auf einmal schlug es 3 Uhr. Und da war's doch auch grad' als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da, eine Portechaise? Nein, sagt' ich, das ist eine Equipage für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein wahrer Chokoladenbrei auf der Straße, über den dicksten Morast mußte ich mich tragen lassen, und so kam ich zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie gesehen, ich that als sey ich eine alte Be9kanntschaft von ihm, er besann sich hin und her und sagte: ja, ein lieber bekannter Engel sind Sie gewiß, aber ich kann mich nur nicht besinnen wann und wo ich Sie gesehen habe. Ich scherzte mit ihm und sagte: jetzt hab' ich's herausgekriegt daß Sie von mir träumen, denn anderswo können Sie mich unmöglich gesehen haben. Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ihren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenommen und zum Andenken aufbewahrt; und hier schreib' ich's Ihr ab. Bettina Brentano, Sophiens Schwester, Maxmilianens Tochter, Sophie La Rochens Enkelin wünscht Dich zu sehen, l. Br., und giebt vor, sie fürchte sich vor Dir, und ein Zettelchen das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman seyn, der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin, daß sie nur ihren Spaß mit mir treibt, so muß ich doch thun, was sie haben will, und es soll mich wundern, wenn Dir's nicht eben so wie mir geht.

Den 23. April 1807.

W.

Mit diesem Billet ging ich hin, das Haus liegt dem Brunnen gegenüber; wie rauschte mir das Wasser so betäubend, – ich kam die einfache Treppe hinauf, in der Mauer stehen Statuen von Gyps, sie gebieten 10 Stille. Zum wenigsten ich könnte nicht laut werden auf diesem heiligen Hausflur. Alles ist freundlich und doch feierlich. In den Zimmern ist die höchste Einfachheit zu Hause, ach so einladend! Fürchte Dich nicht: sagten mir die bescheidnen Wände, er wird kommen und wird sein, und nicht mehr sein wollen wie Du , – und da ging die Thür auf, und da stand er feierlich ernst, und sah mich unverwandten Blickes an; ich streckte die Hände nach ihm, glaub' ich, – bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich rasch auf an sein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie erschreckt, das waren die ersten Worte, mit denen seine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in sein Zimmer und setzte mich auf den Sopha gegen sich über. Da waren wir beide stumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung gelesen daß wir einen großen Verlust vor wenig Tagen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! sagt' ich, ich lese die Zeitung nicht. – So! – ich habe geglaubt, alles interessire Sie, was in Weimar vorgehe. – Nein, nichts interessirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. – Sie sind ein freundliches Kind. – Lange Pause – ich auf das fatale Sopha gebannt, 11 so ängstlich. Sie weiß daß er mir unmöglich ist, so wohlerzogen da zu sitzen. – Ach Mutter! Kann man sich selbst so überspringen? – Ich sagte plötzlich: hier auf dem Sopha kann ich nicht bleiben, und sprang auf. – Nun! sagte er, machen Sie sich's bequem; nun flog ich ihm an den Hals, er zog mich auf's Knie und schloß mich an's Herz. – Still, ganz still war's, alles verging. Ich hatte so lange nicht geschlafen; Jahre waren vergangen in Sehnsucht nach ihm, – ich schlief an seiner Brust ein; und da ich aufgewacht war, begann ein neues Leben. Und mehr will ich ihr diesmal nicht schreiben.

Bettine.

 

12 September 1807.

Frau Rath, so oft mir was Komisches begegnet, so denk' ich an Sie, und was das für ein Jubel und für eine Erzählung sein würde, wenn Sie es selbst erlebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, sitze ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unserm Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit seinen Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigsten so gut erzählen wie Sie, aber er schneidet auf und verbraucht Juden- und Heidenthum, die entdeckte und unentdeckte Welt zur Decoration seiner Abentheuer; Sie aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit so freudigen Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was passirt ist. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab, im großen Eichenwald ins Freie gesetzt, es war Zeit – die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über Nacht dem Bürgermeister die Pantoffel zerfressen. Ich weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr nicht alle Gläser umgeworfen, alle Möbel angenagt, und alle Hauben und Tocken beschmutzt hat. Mich hat's gebissen, aber im Andenken an den schönen stolzen 13 Franzosen, der es auf seinem Helm vom südlichen Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald setzte ich's auf die Erde, wie ich wegging, sprang es wieder auf meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts profitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber hatte als die schönen grünen Eichbäume. Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern so großen Lärm und schimpften so sehr auf unsern lieben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich suchte mir den schönsten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte hinauf. Da oben ließ ich's aus seinem Beutel, – es sprang gleich lustig von Ast zu Ast und machte sich an die Eicheln, unterdessen kletterte ich hinunter. Wie ich unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen verloren, und obschon ich nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht unterscheiden, wo die Stimmen herkamen. Ich blieb stehen, bis sie herbeikamen, um mich zu holen; sie zankten alle auf mich ich schwieg still, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Boden, und schlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mondschein, wo der Wagen umfiel, ganz sanft, daß niemand beschädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog 14 vom Bock und legte sich am flachen Mainufer in romantischer Unordnung grade vor das Mondantlitz in Ohnmacht; zwei Schachteln mit Blonden und Bändern flogen etwas weiter und schwammen ganz anständig den Main hinab; ich lief nach, immer im Wasser, das jetzt bei der großen Hitze sehr flach ist, alles rief mir nach ob ich toll sei, – ich hörte nicht, und ich glaub' ich wär' in Frankfurt wieder mit sammt den Schachteln angeschwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte an dem sie Halt machten. Ich packte sie unter beide Ärme und spazierte in den klaren Wellen wieder zurück. Der Bruder Franz sagte: Du bist unsinnig Mädchen, und wollte mit seiner sanften Stimme immer zanken; ich zog die nassen Kleider aus, wurde in einen weichen Mantel gewickelt und in den zugemachten Wagen gepackt. –

In Aschaffenburg legte man mich mit Gewalt ins Bett und kochte mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu trinken, that ich, als ob ich fest schlafe. Da wurde von meinen Verdiensten verhandelt, wie ich doch gar ein zu gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligkeit sei und mich selber nie bedenke, wie ich gleich den Schachteln nachgeschwommen und wenn ich die nicht wiedergefischt hätte, so würde man morgen nicht haben mit 15 der Toilette fertig werden können, um bei'm Fürst Primas zu Mittag zu essen. Ach! sie wußten nicht was ich wußte, – daß nämlich unter dem Wust von falschen Locken, von goldnen Kämmen, Blonden, in rothsammtner Tasche ein Schatz verborgen war, um den ich beide Schachteln ins Wasser geworfen haben würde, mit allem was mein und nicht mein gehörte, und daß, wenn diese nicht drinn gewesen wär', so würde ich mich über die Rückfahrt der Schachteln gefreut haben. In dieser Tasche liegt verborgen ein Veilchenstrauß, den Ihr Herr Sohn, in Weimar in Gesellschaft bei Wieland, mir heimlich im Vorübergehen zuwarf. – Frau Mutter, damals war ich eifersüchtig auf den Wolfgang und glaubte, die Veilchen seien ihm von Frauenhand geschenkt; er aber sagte: kannst Du nicht zufrieden sein, daß ich sie Dir gebe? – ich nahm heimlich seine Hand und zog sie an mein Herz, er trank aus seinem Glas und stellte es vor mich, daß ich auch draus trinken sollte; ich nahm es mit der linken Hand und trank, und lachte ihn aus, denn ich wußte, daß er es hier hingestellt hatte, damit ich seine Hand loslassen sollte. Er sagte: hast du solche List, so wirst Du auch wohl mich zu fesseln wissen mein Leben lang. Ich sag' Ihr, mach' Sie sich nicht breit, daß ich Ihr 16 mein heimlichstes Herz vertraue; – ich muß wohl jemand haben, dem ich's mittheile. Wer ein schön Gesicht hat, der will es im Spiegel sehen, Sie ist der Spiegel meines Glücks, und das ist grade jetzt in seiner schönsten Blüthe, und da muß es denn der Spiegel oft in sich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatsch' Sie ihrem Herrn Sohn im nächsten Brief, den Sie gleich morgen schreiben kann, und nicht erst eine Gelegenheit abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenstrauß in der Schachtel in kühler Mondnacht nachgeschwommen bin, wohl eine Viertelstunde lang, so lang' war es aber nicht, und daß die Wellen mich wie eine Wassergöttin dahingetragen haben, – es waren aber keine Wellen, es war nur seichtes Wasser, das kaum die leichten Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauscht war um mich her wir ein Ballon. Was sind denn die Reifröcke seiner Jugendliebschaften alle gegen mein dahinschwimmendes Gewand! sag' Sie doch nicht, Ihr Herr Sohn sei zu gut für mich, um einen Veilchenstrauß solche Lebensgefahr zu laufen! Ich schließ' mich an die Epoche der empfindsamen Romane, und komme glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat einen schlechten Geschmack an dem weißen Kleide mit 17 Rosaschleifen. Ich will gewiß in meinem Leben kein weißes Gewand anziehen; grün, grün sind alle meine Kleider.

Apropos, guck' Sie doch einmal hinter ihren Ofenschirm, wo Sie immer die schön bemalte Seite gegen die Wand stellt, damit die Sonne ihn nicht ausbleicht; da wird Sie entdecken, daß das Eichhörnchen der Ofengöttin großen Schaden gethan hat, und daß es ihr das ganze Angesicht blaß gemacht hat. Ich wollt' Ihr nichts sagen, weil ich doch das Eichhörnchen gegen Ihren Befehl an den Ofenschirm gebunden hatte, und da fürchtete ich, Sie könnte bös' werden, drum hab' ich's Ihr schreiben wollen, damit Sie in meiner Abwesenheit Ihren Zorn kann austoben lassen. Morgen geht's nach Aschaffenburg, da schreib' ich Ihr mehr. Mein Schawellchen soll die Lieschen ausklopfen, damit die Motten nicht hineinkommen, lasse Sie ja keinen andern drauf sitzen, adje Fr. Rath, ich bin ihre unterthänige Magd. –

18 An Frau Rath Goethe.

Frau Rath, Sie hat eine recht garstige Hand, eine wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater klatscht, wenn der Schauspieler Werdi wie ein Mülleresel dahertrappst und tragisches Schicksal spielen will, nein, sondern die geschriebene Hand ist häßlich und unleserlich. Mir kann Sie zwar immer so undeutlich wie Sie will schreiben, daß ich ein albernes Ding bin; ich kann's doch lesen, gleich am ersten großen A. Denn was sollte es sonst heißen? Sie hat mir's ja oft genug gesagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn Sohn schreibt, von mir, befleißige Sie sich der Deutlichkeit; die mildeberger Trauben hab' ich noch herausgekriegt, die Sie in chaldäischen und hebräischen Buchstaben verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll bestellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der Herr Schlosser hat mir übrigens nichts Besondres in Ihren Brief geschrieben. Ich kann das auch nicht leiden, daß Sie sich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, und ich sag' Ihr: lasse Sie ihn nicht auf meiner Schawelle sitzen, er ist auch so einer der Laute spielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle 19 sitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn so oft sieht, so bild't Sie sich ein er wär' besser als ich; Sie hat so schon einmal geglaubt, er wär' ein wahrer Apoll von Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und die Fr. Rath Schlosser hat gesagt, daß wie er neugeboren war, so habe man ihn auf ein grünes Billard gelegt, da habe er so schön abgestochen und habe ausgesehen wie ein glänzender Engel; ist denn Abstechen eine so große Schönheit? Adieu, ich sitze in einer Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und schreibe; schreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte ihm zu toll vorkommen, denn ich selbst, wenn ich denke: ich fände meinen Schatz im Kuhstall sitzen und zärtliche Briefe an mich schreiben, ich weiß auch nicht wie ich mich benehmen sollte. Doch sitze ich hier oben aus lauter Verzweiflung und weil ich mich versteckt habe, und weil ich allein seyn möchte, um an ihn zu denken. Adieu Fr. Rath.

Wir haben gestern beim Primas zu Mittag gegessen, es war Fasttag; da waren wunderliche Speisen die Fleisch vorstellten und doch keins waren. Da wir ihm vorgestellt wurden, faßte er mich am Kinn und nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte wie alt er denn glaubt' daß ich sei, nun, zwölf Jahre 20 allenfalls, nein, dreizehn, sagte ich. ja, sagte er, das ist schon alt, da müssen Sie bald regieren.

(Die Antwort fehlt.)

Winckel.

Liebe Frau Rath! – Alles was ich aufgeschrieben habe, das will ich Ihr vorlesen; Sie kann selbst sich überzeugen, daß ich nichts hinzugesetzt habe und das blos geschrieben, was meine Augen Ihr aus dem Mund gesogen haben, nur das kann ich nicht begreifen, daß es aus Ihrem Mund so gescheut lautet und daß meine Feder es so dumm wieder giebt; daß ich nicht sehr klug bin, davon geb' ich häufige Beweise. Also das kann ich wohl zugeben, daß Sie zu den Leuten sagt, Sie wünscht' sie wären alle so närrisch wie ich; aber sag' Sie ja nicht, ich sey klug, sonst compromitirt Sie sich, und der Wirth in Kassel an der großen Rheinbrücke kann den Gegenbeweis führen. Es war so langweilig bis unsere ganze Bagage an der Douane untersucht war, ich nahm den Mückenplätscher und verfolgte ein paar Mücken, sie setzten sich an die Fensterscheiben, ich schlug zu, die Scheibe flog hinaus, und mit ihr die Mücken 21 in die goldne Freiheit, über den großen stolzen Rhein hinüber; der Wirth sagte, das war dumm; und ich war sehr beschämt.

Ach, Fr. Mutter! Was ist hier in dem Langenwinkel für ein wunderlich Leben; das soll schöne Natur sein und ist es auch gewiß, ich hab' nur keinen Verstand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf den Johannisberg schweifen, werden sie von ein paar schmutzigen Gassen in Beschlag genommen, und von einem langen Feld raupenfräßiger Quetschen- und Birnbäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenschnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber gegen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in seiner Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze Natur noch so sehr entzückend wär' und ihr Duft führte nicht auch den Beweis, so wär' der Prozeß verloren.

Die Orgel klingt auch ganz fasch hier in der Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reisen, um eine so grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen zu hören.

Leb' Sie recht wohl.

Bettine.

22 Unser Kutscher wird Ihr eine Schachtel mit Pfirsich bringen, verderb' Sie sich nicht den Magen, denn der ist nicht göttlich und läßt sich leicht verführen.

Wir waren am letzten Donnerstag mit den beiden Schlossers bis Lorch. Man fuhr auf dem Wasser, Christian Schlosser glaubte die Wasserfahrt nicht vertragen zu können, und ging den Weg zu Fuß; ich ging mit ihm, um die Zeit ihm zu vertreiben, aber ich hab's bereut. Zum ersten Mal hab' ich über den Wolfgang mit einem andern gesprochen wie mit Ihr, und das war eine Sünde. Alles kann ich wohl vertragen von ihm zu hören, aber kein Lob und keine Liebe; Sie hat Ihren Sohn lieb, und hat ihn geboren, das ist keine Sünde, und ich lasse mir's gefallen: aber mehr nicht; die andern sollen nur keine weitere Prätensionen machen. Sie frägt zwar, ob ich ihn allein gepacht habe? – ja, Fr. Rath, darauf kann ich Ihr antworten. Ich glaub' daß es eine Art und Weise giebt, Jemand zu besitzen, die Niemand streitig machen kann; diese üb' ich an Wolfgang, keiner hat es vor mir gekonnt, das weiß ich, trotz allen seinen Liebschaften, von denen sie mir erzählt. – Vor ihm thu' ich zwar sehr demüthig, aber hinter seinem Rücken halte ich ihn fest, und da müßte er stark zapplen, wenn er los will.

23 Fr. Rath! – Ich kenne die Prinzen und Prinzessinnen nur aus der Zauberwelt der Feenmärchen, und aus Ihren Beschreibungen, und die geben einander nichts nach; dort sind zwar die schönsten Prinzessinnen in Katzen verwandelt, und gewöhnlich werden sie durch einen Schneider erlöst und geheirathet. Das überleg' Sie doch auch, wenn Sie wieder ein Mährchen erfindet, und geb' Sie diesem Umstand eine moralische Erläuterung.

Bettine.

(Die Antwort fehlt.)

 

Ich habe freilich einen Brief vom Wolfgang hier im Rheingau erhalten, er schreibt: Halte meine Mutter warm und behalte mich lieb. Diese lieben Zeilen sind in mich eingedrungen wie ein erster Frühlingsregen; ich bin sehr vergnügt, daß er verlangt, ich soll ihn lieb behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze Welt umfaßt; ich weiß, daß ihn die Menschen sehen wollen, und sprechen, daß ganz Deutschland sagt: unser Goethe. Ich aber kann Ihr sagen, daß mir bis heute die allgemeine Begeistrung für seine Größe, für seinen Namen noch nicht aufgegangen ist. Meine Liebe zu ihm beschränkt sich auf das Stübchen mit weißen Wän24den, wo ich ihn zuerst gesehen, wo am Fenster der Weinstock, von seiner Hand geordnet, hinaufwächst, wo er auf dem Strohsessel sitzt und mich in seinen Armen hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie ist seine Mutter, und Ihr sag' ich's: wie ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von seinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich verbrannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausschlug, aber so heiter, so lustig, wie die Flammen in blauer, sonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Leben lang werde ich lustig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wissen woher sich diese Lust schreibt; es ist nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir sein will und alle Lorbeerkränze vergißt.

Leb' Sie wohl und schreib' Sie ihm von mir.

25 Goethe's Mutter an Bettine.

Frankfurt am 12. Mai 1808.

Liebe Bettine, Deine Briefe machen mir Freude, und die Jungfer Lieschen, die sie schon an der Adresse erkennt, sagt: Fr. Rath, da bringt der Briefträger ein Plaisir. – Sei aber nicht gar zu toll mit meinem Sohn, alles muß in seiner Ordnung bleiben. Das braune Zimmer ist neu tapezirt mit der Tapete die Du ausgesucht hast, die Farbe mischt sich besonders schön mit dem Morgenroth das über'm Katharinenthum heraufsteigt und mir bis in die Stube scheint. Gestern sah unsre Stadt recht wie ein Feiertag aus in dem unbefleckten Licht der Alba.

Sonst ist noch alles auf dem alten Fleck. Um Deinen Schemmel habe keine Noth, die Liese leidet's nicht daß jemand drauf sitzt.

Schreib' recht viel und wenn's alle Täg' wär', Deiner wohlgeneigten Freundin Goethe.

 

26 Frau Rath!

Schlangenbad.

Wir sind gestern auf Müllereseln geritten, weit in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's durch bewaldete Felswege, links die Aussicht in die Thalschlucht und rechts die waldige emporsteigende Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren sehr verlockt, daß ich schier um meinen Posten gekommen wär', denn mein Esel ist der Leitesel. Weil ich aber immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, so drängte die ganze Gesellschaft auf mich ein und ich mußte tausend rothe Beeren am Wege stehen lassen. Heute sind's acht Tage, aber ich schmachte noch danach, die gespeisten sind vergessen, die ungepflückten brennen mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig bereuen wenn ich versäumte was ich das Recht habe zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß ich die Ordnung umstoße. Ich häng' mich nicht wie Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm in's Zimmer scheint, wenn die geputzten Leute da sind und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig bemerkt, wenn die aber weg sind und das Geräusch ist vorüber, dann hat die Seele um so größere Sehnsucht 27 sein Licht zu trinken. So wird auch er sich zu mir wenden und meiner gedenken wenn er allein ist. – Ich bin erzürnt über alle Menschen die mit ihm zu thun haben, doch ist mir keiner gefährlich bei ihm, aber das geht Sie alles nichts an. Ich werde doch nicht die Mutter fürchten sollen, wenn ich den Sohn lieb hab'? –

An Bettine.

Frankfurt am 25. Mai.

Ei Mädchen, Du bist ja ganz toll, was bild'st Du Dir ein? – Ei, wer ist denn Dein Schatz, der an Dich denken soll bei Nacht im Mondschein? – meinst Du der hätt' nichts Bessers zu thun? – ja proste Mahlzeit.

Ich sag' Dir noch einmal: alles in der Ordnung, und schreib' ordentliche Briefe, in denen was zu lesen steht. – Dummes Zeug nach Weimar schreiben; – schreib' was Euch begegnet, alles ordentlich hinter einander. Erst wer da ist, und wie Dir jeder gefällt, und was jeder an hat, und ob die Sonne scheint, oder ob's regnet, das gehört auch zur Sach'.

Mein Sohn hat mir's wieder geschrieben, ich soll 28 Dir sagen daß Du ihm schreibst. Schreib' ihm aber ordentlich, Du wirst Dir sonst das ganze Spiel verderben.

Am Freitag war ich im Conzert, da wurde Violoncell gespielt, da dacht' ich an Dich, es klang so recht wie Deine braune Augen. Adieu Mädchen, Du fehlst überall Deiner Frau Rath.

 

Frau Rath!

Ich will Ihr gern den Gefallen thun und einmal einen recht langen deutlichen Brief schreiben, meinen ganzen Lebensaufenthalt in Winckel.

Erst ein ganzes Haus voll Frauen, kein einziger Mann, nicht einmal ein Bedienter. Alle Läden im Haus sind zu, damit uns die Sonne nicht wie unreife Weinstöcke behandelt und garkocht. Das Stockwerk in dem wir wohnen besteht aus einem großen Saal, an das lauter kleine Kabinette stoßen die auf den Rhein sehen, in deren jedem ein Pärchen von unserer Gesellschaft wohnt. Die liebe Marie mit den blonden Haaren ist Hausfrau und läßt für uns backen und sieden. Morgens kommen wir alle aus unseren Ge29mächern im Saal zusammen. Es ist ein besondres Plaisier zu sehen wie einer nach dem andern griechisch drappirt hervorkommt. Der Tag geht vorüber in launigem Geschwätz, dazwischen kommen Bruchstücke von Gesang und Harpegge auf der Guitarre. Am Abend spazieren wir an den Ufern des Rheins entlang, da lagern wir uns auf dem Zimmerplatz; ich lese den Homer vor, die Bauern kommen alle heran und hören zu; der Mond steigt zwischen den Bergen herauf und leuchtet statt der Sonne. In der Ferne liegt das schwarze Schiff, da brennt ein Feuer, der kleine Spitzhund auf dem Verdeck schlägt von Zeit zu Zeit an. Wenn wir das Buch zu machen, so ist ein wahres politisches Verhandeln; die Götter gelten nicht mehr und nicht weniger als andre Staatsmächte, und die Meinungen werden so hitzig behauptet, daß man denken sollte, alles wär' gestern geschehen, und es wär' manches noch zu ändern. Einen Vortheil hab' ich davon: hätt' ich den Bauern nicht den Homer vorgelesen, so wüßte ich heut' noch nicht was drinn steht, die haben mir's durch ihre Bemerkungen und Fragen erst beigebracht. – Wenn wir nach Hause kommen, so steigt einer nach dem andern wenn er müde ist, zu Bette. Ich sitze dann noch am Klavier, und da fallen mir Melodien ein, auf denen 30 ich die Lieder die mir lieb sind, gen Himmel trage. Wie ist Natur so hold und gut. Im Bett richte ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb ist, und so schlafe ich ein. Sollte das Leben immer so fortgehen? – gewiß nicht.

Am Samstag waren die Brüder hier, bis zum Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein verschwärmt. George mit der Flöte, wir sangen dazu, so ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag nach Hause trieb. – Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheinspiegel in Mondnächten dahingleiten und singen, wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei lustige Abentheuer bestehen in freundlicher Gesellschaft, ohne Sorge aufstehen, ohne Harm zu Bette gehen, das ist so eine Lebensperiode in der ich mitten inne stehe. Warum lasse ich mir das gefallen? – weiß ich's nicht besser? – und ist die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was blos des Menschengeistes harrt um in ihm lebendig zu werden? – und soll das alles mich unberührt lassen? – Ach Gott das Philisterthum ist eine harte Nuß, nicht leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet unter dieser harten Schale. Ja, der Mensch hat ein Gewissen, es mahnt ihn, er soll nichts fürchten, und soll nichts versäumen was das Herz von ihm fordert. Die 31 Leidenschaft ist ja der einzige Schlüssel zur Welt, durch die lernt der Geist alles kennen und fühlen, wie soll er denn sonst in sie hineinkommen? – und da fühl' ich daß ich durch die Liebe zu Ihm erst in den Geist geboren bin, daß durch Ihn die Welt sich mir erst aufschließt, da mir die Sonne scheint, und der Tag sich von der Nacht scheidet. Was ich durch diese Liebe nicht lerne, das werde ich nie begreifen. Ich wollt' ich säß' an seiner Thür, ein armes Bettelkind, und nähm' ein Stückchen Brod von ihm, und er erkennte dann an meinem Blick weß Geistes Kind ich bin, da zög' er mich an sich und hüllte mich in seinen Mantel, damit ich warm würde. Gewiß, er hieß mich nicht wieder gehen, ich dürfte fort und fort im Haus' herumwandeln, und so vergingen die Jahre und keiner wüßte wer ich wäre, und niemand wüßte wo ich hingekommen wär, und so vergingen die Jahre und das Leben, und in seinem Antlitz spiegelte sich mir die ganze Welt, ich brauchte nichts Andres mehr zu lernen. Warum thu' ich's denn nicht? – es kommt ja nur drauf an daß ich Muth fasse, so kann ich in den Hafen meines Glückes einlaufen.

Weiß Sie noch wie ich den Winter durch Schnee und Regen gesprungen kam, und Sie fragt': wie läufst 32 du doch über die Gasse, und ich sagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof traktiren sollte, so würd' ich nicht weit in der Welt kommen, und da meinte Sie, mir sei gewiß kein Wasser zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals schon: ja, wenn Weimar der höchste Berg und das tiefste Wasser ist. Jetzt kann ich's Ihr noch besser sagen daß mein Herz schwer ist und bleiben wird so lang' ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht.

Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächstens bei Ihr angerutscht kommen.

An Goethe's Mutter.

Wicknel [sic] am 12. Juni.

Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufsehen unter den Leuten; die möchten gern wissen was wir uns zu sagen haben, da ich ihnen so unklug vorkomme. Sie kann getrost glauben, ich werd' auch nie klug werden. Wie soll ich Klugheit erwerben, mein einsamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? – Im Winter war ich krank; dann macht' ich ein Schattenspiel von Pappendeckel, da hatten die Katze 33 und der Ritter die Hauptrollen, da hab' ich nah' an sechs Wochen die Rolle der Katze studirt, sie war keine Philosophin, sonst hätt' ich vielleicht profitirt. Im Frühjahr blühte der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich ließ mir einen Tisch dr'um zimmern und eine Bank, und in seinem duftenden Schatten hab' ich an meinen Freund geschrieben. Das war eine Lust die keine Weisheit mir ersetzen konnte. Im Spiegel gegenüber sah ich den Baum noch einmal und wie die Sonnenstrahlen durch sein Laub brachen; ich sah sie drüben sitzen die Braune, Vermessene; an den größten Dichter, an den Erhabenen über alle, zu schreiben. Im April bin ich früh drauß gewesen auf dem Wall und hab' die ersten Veilchen gesucht und botanisirt, im Mai hab' ich fahren gelernt mit zwei Pferd', Morgens mit Sonnenaufgang fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich spaziert' in die Gemüsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur pflanzen, bei der Milchfrau hab' ich mir einen Nelkenflor angelegt, die dunkelrothen Nelken sind meine Lieblingsblumen. – Bei solcher Lebensweise, was soll ich da lernen, woher soll ich klug werden? – Was ich Ihrem Sohn schreib' das gefällt ihm, er verlangt immer mehr, und mich macht das seelig, denn ich schwelge in einem Überfluß von Gedanken die meine Liebe, mein 34 Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich ist. Was ist nun Geist und Klugheit, da der seligste Mensch, wie ich, ihrer nicht bedarf? –

Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn sah zum ersten Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an seinem Fenster hinaufwachsen, und legt's an meine Wange und sagte: das Blatt und deine Wange sind beide wollig; ich saß auf dem Schemel zu seinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit verging im Stillen. – Nun, was hätten wir Kluges einander sagen können was diesem verborgnen Glück nicht Eintrag gethan hätte; welch' Geisteswort hätte diesen stillen Frieden ersetzt der in uns blühte? – O wie oft hab' ich an dieses Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Gesicht streichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und sagte: ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du hast keine Ehre davon wenn du mir was weis machst mit deiner Liebe. – Da fiel ich ihm um den Hals. – Das alles war kein Geist und doch hab' ich's tausendmal in Gedanken durchlebt, und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; – es war kein Geist, und doch überstrahlt es mir alle Weisheit der Welt. – Was kann mir sein freundliches Spielen mit 35 mir ersetzen? – was den feinen durchdringenden Strahl seines Blicks, der in mein Auge leuchtet? – Ich achte die Klugheit nichts, ich habe das Glück unter anderer Gestalt kennen lernen, und auch was andern weh thut das kann mir nicht Leid thun, und meine Schmerzen; das wird keiner verstehen.

So hell wie diese Nacht ist! Glanzverhüllt liegen die Berg' da mit ihren Rebstöcken und saugen schlaftrunken das nahrhafte Mondlicht. – Schreib' Sie bald; ich hab' keinen Menschen dem ich so gern vertraue, denn weil ich weiß daß Sie mit keinem andern mehr anbindet und abgeschlossen für mich da ist, und daß Sie mit niemand über mich spricht. – Wenn Sie wüßt' wie tief es schon in der Nacht ist! Der Mond geht unter, das betrübt mich. Schreib' Sie mir recht bald.

Bettine.

 

Winckel am 25. Juni.

Frau Rath, ich war mit dem Franz auf einer Eisenschmelze, zwei Tag' mußt' ich in der engen Thalschlucht aushalten, es regnete oder vielmehr näßte fortwährend, die Leute sagten: ja, das sind wir gewohnt, wir leben wie die Fisch', immer naß, und wenn einmal ein paar trockne Tage sind, so juckt einem die Haut, man möchte 36 wieder naß sein; ich muß mich besinnen wie ich Ihr das wunderliche Erdloch beschreibe, wo unter dunklen gewaltigen Eichen die Gluth hervorleuchtet, wo an den Bergwänden hinan einzelne Hütten hängen und wo im Dunkel die einzelnen Lichter herüberleuchten, und der lange Abend durch eine ferne Schalmei die immer dasselbe Stückchen hören läßt, recht an den Tag giebt daß die Einsamkeit hier zu Haus' ist, die durch keine Geselligkeit unterbrochen wird. Warum ist denn der Ton einer einsamen Hausflöte die so vor sich hinbläst, so melancholisch langweilig daß einem das Herz zerspringen möchte' vor Grimm, daß man nicht weiß wo aus noch ein; ach wie gern möchte' man da das Erdenkleid abstreifen und hochfliegen weit in die Lüfte; ja, so eine Schwalbe in den Lüften, die mit ihren Flügeln wie mit einem scharfen Bogen den Äther durchschneidet, die hebt sich weit über die Sclavenkette der Gedanken, in's Unendliche, das der Gedanke nicht faßt. –

Wir wurden in gewaltig große Betten logirt, ich und der Bruder Franz, ich hab' viel mit ihm gescherzt und geplaudert, er ist mein liebster Bruder. Am Morgen sagte er ganz mystisch: geb' einmal acht, der Herr vom Eisenhammer hat ein Hochgericht im Ohr; ich konnt's nicht errathen; wie sich aber 37 Gelegenheit ergab in's Ohr zu sehen, da entdeckt' ich's gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgestellt, eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre Reste hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus wollte der Franz das versteinerte langweilige Leben recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am Tintefaß, das so pelzig war und so wenig Flüssiges enthielt. Das ist aber nur die eine Hälfte dieses Lochs der Einsamkeit. Man sollt's nicht meinen, aber geht man langsam in die Runde, so kommt man an eine Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufgegangen war, entdeckte ich sie, ich ging hindurch, da befand ich mich plötzlich auf dem steilen höchsten Rand eines noch tieferen und weiteren Thalkessels, sein sammtner Boden schmiegt sich sanft an die ebenmäßigen Bergwände die es rund umgeben und ganz besäet sind mit Lämmer und Schafen; in der Mitte steht das Schäferhaus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten durchbraust, getrieben wird. Die Gebäude sind hinter uralten himmelhohen Linden versteckt, die grade jetzt blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und zwischen deren dichtem Laub der Rauch des Schornsteins sich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der goldne Sonnenschein hatte das ganze Thal erfüllt. 38 Ach lieber Gott, säß' ich hier und hütete die Schafe, und wüßte daß am Abend einer käm der meiner eingedenk ist, und ich wartete den ganzen Tag, und die sonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die Schattenstunden mit der silbernen Mondsichel und dem Stern brächten den Freund, der fänd' mich an Bergesrand ihm entgegenstürzend in die offne Arme, daß er mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe, was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß' Sie Ihren Sohn und sag' Sie ihm, daß zwar mein Leben friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet ist, daß ich aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer nach der Zukunft sehne wo ich den Freund erwarte. Adieu leb' Sie wohl. Bei Ihr ist Mitternacht eine Stunde der Geister, in der Sie es für eine Sünde hält die Augen offen zu haben, damit Sie keine sieht; ich aber ging eben noch allein in den Garten durch die langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt vom Mondlicht beschienen, und über die Mauer hab' ich mich gelehnt und hab' hinausgesehen in den Rhein, da war alles still. Aber weiße Schaumwellen zischten und es patschte immer an's Ufer, und die Wellen lallten wie Kinder. Wenn man so einsam Nachts in der freien Natur steht, da ist's als ob sie ein Geist wär' 39 die den Menschen um Erlösung bäte. Soll vielleicht der Mensch die Natur erlösen? ich muß einmal darüber nachdenken; schon gar zu oft hab' ich diese Empfindung gehabt als ob die Natur mich jammernd wehmüthig um etwas bäte, daß es mir das Herz durchschnitt nicht zu verstehen was sie verlangte. Ich muß einmal recht lang' dran denken, vielleicht entdeck' ich etwas was über das ganze Erdenleben hinaushebt. Adieu Fr. Rath, und wenn Sie mich nicht versteht, so denk' Sie nur wie Ihr noch immer in Ihren jetzigen Tagen ein Posthorn das Sie in der Ferne hört, einen wunderlichen Eindruck macht, ungefähr so ist mir's auch heute.

Bettine.

An Bettine.

Frankfurt am 28. Juli.

Gestern war Feuer am hellen Tag' hier auf der Hauptwach', grad' mir gegenüber, es brannte wie ein Blumenstrauß aus dem Gaubloch an der Kathrinenpfort'. Da war mein best Plaisier die Gassenbuben mit ihrem Reffs auf dem Buckel, die wollten alle retten helfen, der Hausbesitzer wollt nichts retten lassen, denn 40 weil das Feuer gleich aus war, da wollten sie ein Trinkgeld haben, das hat er nicht geben, da tanzten sie und wurden von der Polizei weggejagt. – Es ist viel Gesellschaft zu mir kommen, die wollten alle fragen wie ich mich befind' auf den Schreck, und da mußt' ich ihnen immer von vorne erzählen, und das ist jetzt schon drei Täg' daß mich die Leut' besuchen und sehen ob ich nicht schwarz geworden bin vom Rauch. Dein Melinchen war auch da und hat mir ein Brief gebracht von Dir, der ist so klein geschrieben daß ich ihn hab' müssen vorlesen lassen, rath einmal von wem? –

Die Meline ist aber einmal schön, ich hab' gesagt die Stadt sollt' sie malen lassen und sollt' sie auf dem Rathsaal hängen, da könnten die Kaiser sehen was ihre gute Stadt für Schönheiten hat. Deine Brüder sind aber auch so schön, ich hab' meiner Lebtag keine so schöne Menschen gesehen als den George, der sieht aus wie ein Herzog von Mailand, und alle andern Menschen müssen sich schämen mit ihren Fratzengesichtern neben ihm. – Adieu und grüß auch die Geschwister von Deiner Freundin Goethe.

41 An Bettine.

Da kommt der Fritz Schlosser aus dem Rheingau und bringt nur drei geschnittne Federn von Dir und sagt: er hätt' geschworen daß er mir keine Ruh' lassen will, ich müßt' schreiben wer's gewesen ist der Deine Brief' gelesen hat. – Was hat's denn für Noth, wer sollt's denn gewesen sein? – in Weimar ist alles ruhig und auf dem alten Fleck. Das schreiben die Zeitungen schon allemal voraus, lang eh' es wahr ist, wenn mein Sohn zu einer Reis Anstalt macht, der kommt einem nicht mit der Thür in's Haus gefallen. Da sieht man aber doch recht daß Dein Herz Deinem Kopf was weiß macht. Herz, was verlangst du? – Das ist ein Sprichwort, und wenn es sagt was es will, so geht's wie in einem schlechten Wirthshaus, da haben sie alles, nur keine frische Eier, die man grad' haben will. Adieu, das hab' ich bei der Nachtlamp' geschrieben.

Ich bin Dir gut.

Catharina Goethe.

Das hätt' ich bald vergessen zu schreiben wer mir Deinen Brief gelesen hat, das war der Pfarrer Hufnagel der wollt' auch sehen was ich mach' nach dem 42 Schreck mit dem Feuer, ich sagt: Ei Herr Pfarrer, ist denn der Katharine-Thurm grad so groß, daß er mir auf die Nas fällt wenn er umstürtzt? – Da hat er gesessen mit seinem dicken Bauch im schwarzen Talar mit dem runden weißen Kragen in doppelten Falten, mit der runden Stuckperück und den Schnallenschuh auf Deiner Schawell, und hat den Brief gelesen, hätt's mein Sohn gesehen er hätt' gelacht.

Katharina Goethe.

 

Frau Mutter ich danke Ihr für die zwei Brief' hinter einander das war einmal gepflügt, recht durch schweres Erdreich, man sieht's, die Schollen liegen neben an, wie dick; gewiß, das sind der Lischen ihre Finger gewesen mit denen Sie die Furchen gezogen hat, die sind recht krumm, was mich wundert das ist daß ich Ihr so gern schreib', daß ich keine Gelegenheit versäum', und alles was mir begegnet, prüf ich, ob es nicht schön wär ihr zu schreiben, das ist weil ich doch nicht alles und fortwährend an den Wolfgang schreiben kann, ich hab ihn gesagt in Weimar: Wenn ich dort wohnte, so wollt ich als nur die Sonn- und Feiertäg' zu ihm kommen und nicht alle Tag, das hat ihn gefreut; so 43 mein ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn schreiben darf, aber er hat mir gesagt schreib alle Tag', und wenn's Folianten wären, es ist mir nicht zu viel, aber ich selbst bin nicht alle Tag’ in der Stimmung, manchmal denke ich so geschwind, daß ich's gar nicht schreiben kann, und die Gedanken sind so süß, daß ich gar nicht abbrechen kann um zu schreiben, noch dazu mag ich gern grade Linien und schöne Buchstaben machen und das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu sagen was schwer auszusprechen ist, und manches hab' ich ihm mitzutheilen was nie ausgesprochen werden kann; da sitz' ich oft Stunden und seh in mich hinein und kann's nicht sagen was ich seh, aber weil ich im Geist mich mit ihm zusammen fühl', so bleib ich gern dabei, und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad' nur die Zeit angiebt, so lang' die Sonne sie bescheint. Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen; es sollte einer sagen ich leb', wenn er mich nicht mehr lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat keiner Verstand, an der Hand führt mich der Geist einsame Straßen, er setzt sich mit mir nieder am Wassersrand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf hohe Berge; da ist es Nacht da schauen wir in die Ne44bel-Thale da sieht man den Pfad kaum vor den Füßen aber ich geh' mit, ich fühl, daß er da ist wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verschwindet, und wo ich geh und steh, da spühr ich sein heimlich Wandeln um mich, und in der Nacht ist er die Decke in die ich mich einhülle, und am Morgen ist er es vor dem ich mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin ich allein, in meiner einsamen Stube fühl ich mich verstanden und erkannt von diesem Geist; ich kann nicht mit lachen ich kann nicht mit Comoedie spielen, die Kunst und die Wissenschaft die lasse ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt' ich Geschichte studieren und Geographie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir leben, erst recht erfüllt wär mit der Geschichte, so daß einer alle Hände voll zu thun hätt', um nur der Geschichte den Willen zu thun so hätt' er keine Zeit um nach den vermoderten Königen zu fragen, so geht mir's, ich hab' keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, so hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo es mich hinzieht, das ist der rechte Weg alles andre sind Irr- und Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne, Mond und Sterne gehören blos zur Aussicht meiner 45 Heimath. Dort ist der fruchtbare Boden, indem mein Herz die harte Rinde sprengt und in's Licht hinaufblüht.

Die Leute sagen: Was bist du traurig, sollt ich vergnügt sein? – oder dies oder jenes? – wie paßt das zu meinem innern Leben; ein jedes Betragen hat seine Ursache, das Wasser wird nicht lustig dahin tanzen und singen, wenn sein Bett nicht dazu gemacht ist. So wird' ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Lust der Grund dazu ist; ja ich habe Lust im Herzen, aber sie ist so groß so mächtig, daß sie sich nicht in's Lachen fügen kann; wenn es mich aus dem Bett aufruft vor Tag, und ich zwischen den schlafenden Pflanzen Bergauf wandle, wenn der Thau meine Füße wäscht, und ich denk demüthig, daß es der Herr der Welten ist der meine Füße wäscht, weil er will ich soll rein sein von Herzen wie er meine Füße vom Staub reinigt; wenn ich dann auf des Berges Spitze komme und übersehe alle Lande im ersten Strahl der Sonne dann fühl' ich diese mächtige Lust in meiner Brust sich ausdehnen, dann seufz' ich auf und hauch die Sonne an zum Dank, daß sie mir in einem Bild erleuchte was der Reichthum, der Schmuck meines Lebens ist, denn was ich sehe was ich verstehe es ist alles nur Wiederhall meines Glückes.

46 Adieu, läst sie sich den Brief, auch vom Pfarrer vorstudieren? – ich hab' ihn doch mit ziemlich großen Buchstaben geschrieben. Hat dann in meinem letzten Brief etwas gestanden, daß ich seinen heißen Durst hab', und daß ich mondsüchtig bin, oder so was? – wie kann Sie ihm denn das lesen lassen? sie wirft ihm ja seinen gepolsterten Betschemel um, in seinem Kopf. Die Bettine hat Kopfweh schon seit 3 Tagen und heut liegt sie im Bett und küßt ihrer Frau Rath die Hand.

An Bettine.

Wird' mir nicht krank Mädchen, steh auf aus Deinem Bett, und nimm's, und wandle. So hat der Herr Christus gesagt zum Kranken, das sag' ich dir auch, dein Bett ist deine Liebe in der du krank liegst, nimm sie zusammen und erst am Abend breite sie aus, und ruhe in ihr wenn du des Tages Last und Hitze ausgestanden hast. – Da hat mein Sohn ein paar Zeilen geschrieben, die schenk ich dir, sie gehören dem Inhalt nach dein.

Der Prediger hat mir deinen Brief vorgerumpelt wie ein schlechter Postwagen auf holperichem Weg, das schmeißt alles Passagiergut durcheinander; du hast auch 47 deine Gedanken so schlecht gepackt, ohne Komma ohne Punkt, daß wenn es Passagiergut wär' keiner könnt' das seinige heraus finden; ich hab' den Schnuppen und bin nicht aufgelegt, hätt' ich dich nicht so lieb so hatt' ich nicht geschrieben, wahr deine Gesundheit.

Ich sag' allemal wenn die Leut fragen was du machst: Sie fängt Grillen, und das wird dir auch gar nicht sauer, bald ist's ein Nachtvogel der dir an der Nas' vor bei fliegt, dann hast du um Mitternacht wo alle ehrliche Leute schlafen etwas zu bedenken, und marschierst durch den Garten an den Rhein in der kalten feuchten Nachtluft, du hast eine Natur von Eisen, und eine Einbildung wie eine Rakete, wie die ein Funken berührt, so platzt sie los. Mach daß du bald wieder nach Haus kommst. Mir ist nicht heuer wie's vorige Jahr, manchmal krieg ich Angst um dich, und an den Wolfgang muß ich Stundenlang denken, immer wie er ein klein Kind war, und mir unter den Füßen spielte, und dann wie er mit seinem Bruder Jacob so schön gespielt hat, und hat ihn Geschichten gemacht; ich muß einen haben dem ich's erzähl, die andern hören mir alle nicht so zu wie Du; ich wollt' wirklich wünschen, die Zeit wär' vorbei und Du wärst wieder da.

Adieu, mach das Du kommst, ich hab' alles so hell 48 im Gedächtniß als ob's gestern passiert wär', jetzt kann ich Dir die schönsten Geschichten vom Wolfgang erzählen, und ich glaub' Du hast mich angesteckt, ich mein immer das wär kein rechter Tag an dem ich nichts von ihm gesprochen hab'.

Deine Freundin Goethe.

 

Liebe Frau Rath.

Ich war in Köln da hab ich den schönen Krug gekauft, schenk Sie ihn Ihrem Sohn von sich, das wird Ihr besser Freud' machen, als wenn ich Ihr ihn schenkte. Ich selbst mag ihm nichts schenken, ich will nur von ihm nehmen.

Köln ist recht wunderlich, alle Augenblick hört man eine andre Glocke läuten, das klingt hoch und tief, dumpf und hell von allen Seiten unter einander. Da spazieren Franziskaner, Minoritten, Kapuziner, Dominikaner, Benediktiner an einander vorbei, die einen singen, die andern brummen eine Litaney, und wenn sie aneinander vorbeikommen, da begrüßen sie sich mit ihren Fahnen und Heiligthümern und verschwinden in ihren Klöstern. Im Dom war ich grade bei Sonnenuntergang, 49 da malten sich die bunten Fensterscheiben durch die Sonne auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bauwerk herum, und wiegte mich in den gesprengten Bögen.

Fr. Rath, das wär' Ihr recht gefährlich vorgekommen, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer solchen gothischen Rose hätte sitzen sehen; es war auch gar kein Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten, aber ich dachte: sollte der stärker sein wollen wie ich? – und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die Dämmerung eintrat da sah ich in Deutz eine Kirche mit bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne Sterne. Da war ich so allein, rund um mich zwitscherte es in den Schwalbennestern, deren wohl tausende in den Gesimsen sind, auf dem Wasser sah ich einzelne Segel sich blähen. Die andern hatten unterdessen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente und Merkwürdigkeiten sich zeigen lassen. Ich hatte dafür einen stillen Augenblick, in dem meine Seele gesammelt war, und die Natur, auch alles was Menschenhände gemacht haben und mich mit, in die feierliche Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels einschmolz. – Versteh' Sie das, oder versteh' Sie es nicht, es ist mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinen 50 übersichtigen Grillen behelligen, wem sollt ich sie sonst mittheilen!

Das ist auch noch eine Merkwürdigkeit von Köln; die Betten die so hoch sind, daß man einen Anlauf nehmen muß, um hinein zu kommen; man kann immer zwei, drei Versuche machen ehe einer glückt; ist man erst drinn, wie soll man da wieder herauskommen? ich dachte, hier ist gut sein, denn ich war müde, und hatte mich schon den ganzen Tag auf meine Träume gefreut, was mir die bescheeren würden; da kam mir auch, auf ihrem goldnen Strom ein Kahn beladen und geschmückt mit Blumen aus dem Paradies entgegen, und ein Apfel den mir der Geliebte schickte, den hab' ich auch gleich verzehrt.

Wir haben am Sonntag so viel Rumpelkammern durchsucht, Alterthümer, Kunstschätze betrachtet, ich hab' alles mit großem Interesse gesehen. Ein Humpen, aus dem die Kurfürsten gezecht, ist schön, mit vier Henkel, auf denen sitzen Nymphen die ihre Füße im Wein baden, mit goldnen Kronen auf dem Kopf die mit Edelsteinen geziert sind; um den Fuß windet sich ein Drache mit vier Köpfen, die die vier Füße bilden, worauf das Ganze steht; die Köpfe haben aufgesperrte Rachen die inwendig vergoldet sind, auf dem Deckel ist Bachus von zwei 51 Satyrn getragen, er ist von Gold und die Satyrn von Silber. So haben auch die Nymphen emaillirte Gewande an. Der Trinkbecher ist von Rubinglas, und das Laubwerk was zwischen den Figuren sich durchwindet ist sehr schön von Silber und Gold durcheinander geflochten. – Dergleichen Dinge sind viel, ich wollt' Ihr blos den einen beschreiben weil er so prächtig ist, und weil Ihr die Pracht wohlgefällt.

Adieu Frau Rath! – zu Schiff kamen wir herab, und zu Wagen fuhren wir wieder zurück nach Bonn.

Bettine.

 

Frau Rath.

Winckel.

Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht wär' die Sie ist, so würd' ich auch nicht bei Ihr schreiben lernen. Er hat gesagt, ich soll ihn vertreten bei Ihr, und soll Ihr alles Liebe thun was er nicht kann, und soll sein gegen Sie, als ob mir all' die Liebe von Ihr angethan wär' die er nimmer vergißt. – Wie ich bei ihm war, da war ich so dumm und fragte ob er Sie liebhabe, da nahm er mich in seinen Arm und 52 drückte mich an's Herz und sagte: berühr eine Saite, und sie klingt, und wenn sie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben hätte. Da waren wir still und sprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich sieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem sagt er: Du bist immer bei der Mutter, das freut mich; es ist als ob der Zugwind von daher geblasen habe, und jetzt fühl ich mich gesichert und warm, wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch auf dem Tisch zerschnitten hab', und daß Sie mir auf die Hand geschlagen hat, und hat gesagt: grad' wie mein Sohn – auch alle Unarten hast Du von ihm! –

Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wieder einmal so, daß man alles empfindet aber nichts dabei denkt; wenn ich mich recht besinne, so waren wir im botanischen Garten, grad' wie die Sonn' unterging; alle Pflanzen waren schon schlaftrunken, die Siebenberg waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich wickelte mich in den Mantel und setzt' mich auf die Mauer, mein Gesicht war vom letzten Sonnenstrahl vergoldet, besinnen mocht ich mich nicht, das hätt' mich traurig gemacht in der gewaltigen verstummten Natur. Da schlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä53fer hat mich geweckt) da war's Nacht und recht kalt. Am andern Tag sind wir wieder hier eingetroffen.

Adieu Fr. Rath, es ist schon so spät in der Nacht, und ich kann gar nicht schlafen.

Bettine.

An Bettine.

21sten September.

Das kann ich nicht von Dir leiden, daß Du die Nächte verschreibst und nicht verschläfst, das macht dich melancholisch und empfindsam, wollt ich drauf antworten, bis mein Brief ankäm', da ist schon wieder ander Wetter. Mein Sohn hat gesagt: was einem drückt, das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da hat er ein Gedicht draus gemacht. – Ich hab' Dir gesagt, Du sollst die Geschichte von der Günderode aufschreiben, und schick' sie nach Weimar, mein Sohn will es gern haben, der hebt sie auf, dann drückt sie Dich nicht mehr.

Der Mensch wird begraben in geweihter Erd', so soll man auch große und seltne Begebenheiten begraben in einen schönen Sarg der Erinnerung, an den ein jeder hintreten kann und dessen Andenken feiern. Das 54 hat der Wolfgang gesagt, wie er den Werther geschrieben hat; thues ihm zu Lieb' und schreib's auf.

Ich will Dir gern schreiben, was meine arme Feder vermag, weil ich Dir Dank schuldig bin; eine Frau in meinem Alter, und ein junges feuriges Mädchen, das lieber bei mir bleibt und nach nichts anderm frägt, ja das ist Dankenswerth; ich hab's nach Weimar geschrieben. Wann ich ihm von Dir schreib', da antwortet er immer auf der Stell'; er sagt, daß Du bei mir aushältst, das sei ihm ein Trost. – Adieu, bleib' nicht zu lang im Rheingau; die schwarzen Felswände, an denen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die machen Dich melancholisch.

Deine Freundin Elisabeth.

Der Moritz Bethmann hat mir gesagt, daß die Staël mich besuchen will; sie war in Weimar, da wollt', ich, Du wärst hier, da wird' ich mein Französisch recht zusammen nehmen müssen.

An Goethe's Mutter.

Diesmal hat Sie mir's nicht recht gemacht, Frau Rath; warum schickt Sie mir Goethe's Brief nicht? – 55 Ich hab' seit dem 13. August nichts von ihm, und jetzt haben wir schon Ausgang September. Die Staël mag ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich gedacht. Eine berühmte Frau ist was kurioses, keine andre kann sich mit ihr messen, sie ist wie Branntwein, mit dem kann sich das Korn auch nicht vergleichen, aus dem er gemacht ist. So Branntwein bitzelt auf der Zung', und steigt in den Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; aber der reine Waizen ist mir doch lieber, den säet der Säemann in die gelockerte Erd', die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wieder heraus, und dann übergrünt er die Felder, und trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein lustig' Erndtefest; ich will doch lieber ein einfaches Waizenkorn sein als eine berühmte Frau, und will auch lieber, daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. – Jetzt will ich Ihr nur sagen, daß ich gestern mit der Staël zu Nacht gegessen hab' in Mainz; keine Frau wollt neben ihr sitzen bei Tisch', da hab' ich mich neben sie gesetzt; es war unbequem genug, die Herren standen um den Tisch und hatten sich alle hinter uns gepflanzt, und einer drückte auf den andern, um mit ihr zu sprechen, und ihr in's Gesicht zu sehen; sie bogen sich weit über 56 mich; ich sagte: Vos Adorateurs me suffoquent, sie lachte. – Sie sagte, Goethe habe mit ihr von mir gesprochen; ich blieb gern sitzen, denn ich hätte gern gewußt, was er gesagt hat, und doch war mir's unrecht, denn ich wollt' lieber, er spräch' mit niemand von mir; und ich glaub's auch nicht, – sie mag nur so gesagt haben; – es kamen zuletzt so viele, die alle über mich hinaus mit ihr sprechen wollten, daß ich's gar nicht länger konnte aushalten; ich sagt' ihr: Vos lauriérs me pesent trop fort sur les épaules.[] Und ich stand auf und drängt' mich zwischen den Liebhabern durch; da kam der Sismondi, ihr Begleiter, und küßt' mir die Hand, und sagte, ich hätte viel Geist und sagt's den andern, und sie repetirten es wohl zwanzigmal, als wenn ich ein Prinz wär'; von denen findet man auch immer alles so gescheut, wenn es auch das gewöhnlichste wär'. – Nachher hört' ich ihr zu, wie sie von Goethe sprach; sie sagte, sie habe erwartet, einen zweiten Werther zu finden, allein sie habe sich geirrt, so wohl sein Benehmen wie auch seine Figur passe nicht dazu, und sie bedauerte sehr, daß er ihn ganz verfehle; Fr. Rath, ich wurd' zornig über diese Reden, (das war überflüssig, wird Sie sagen) ich wendt' mich an Schlegel, und sagt' ihm auf Deutsch: die Fr. Staël hat sich doppelt geirrt, einmal in der Er57wartung, und dann in der Meinung; Wir Deutschen erwarten, daß Goethe zwanzig Helden aus dem Ärmel schütteln kann, die den Franzosen so imponiren, Wir meinen, daß er selbst aber noch ein ganz andrer Held ist. – Der Schlegel hat unrecht, daß er ihr keinen bessern Verstand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein Lorbeerblatt, womit sie gespielt hatte, auf die Erde; ich trat drauf und schubste es mit dem Fuß auf die Seite und ging fort. – Das war die Geschicht' mit der berühmten Frau; hab' Sie keine Noth mit ihrem französisch, sprech' Sie die Fingersprach mit ihr, und mache Sie den Commentar dazu mit ihren großen Augen, das wird imponiren; die Staël hat ja einen ganzen Ameisenhaufen Gedanken im Kopf, was soll man ihr noch zu sagen haben? Bald komm' ich nach Frankfurt, da können wir's besser besprechen.

Hier ist's sehr voll von Rheingästen; wenn ich Morgens durch den dicken Nebel einen Nachen hervorstechen seh', da lauf' ich an's Ufer und wink' mit dem Schnupftuch, immer sind's Freunde oder Bekannte; vor ein paar Tagen waren Wir in Nothgottes, da war eine große Wallfahrt, der ganze Rhein war voll Nachen, und wenn sie anlandeten, ward eine Prozession draus, und wanderten singend eine jede ihr eigen Lied, neben einander hin; das war 58 ein Schariwari, mir war Angst, es möchte' unserm Herrgott zu viel werden; so kam's auch: er setzte ein Gewitter dagegen und donnerte laut genug, sie haben ihn übertäubt, aber der gewaltige Regenguß hat die lieben Wallfarther aus einander gejagt, die da im Gras lagen, wohl tausende und zechten; – ich hab' grad' keinen empfindsamen Respekt vor der Natur, aber ich kann's doch nicht leiden, wenn sie so beschmutzt wird mit Papier und Wurstzipfel und zerbrochnen Tellern und Flaschen, wie hier auf dem großen grünen Plan, wo das Kreuz zwischen Linden aufgerichtet steht, wo der Wandrer, den die Nacht überrascht, gern Nachtruhe hält und sich geschützt glaubt durch den geweihten Ort. – Ich kann Ihr sagen, mir war ganz unheimlich; ich bin heut noch caput. Ich seh' lieber die Lämmer auf dem Kirchhof weiden, als die Menschen in der Kirch'; und die Lilien auf dem Feld', die ohne zu spinnen, doch vom Thau genährt sind, – als die langen Prozessionen drüber stolpern, und sie im schönsten Flor zertreten. Ich sag' Ihr gute Nacht, heut hab' ich bei Tag geschrieben.

Bettine.

59 Kostbare Pracht und Kunstwerke, in Köln und auf der Reise dahin gesehen; und für meine liebste Fr. Rath beschrieben

Geb' Sie Achtung damit Sie es recht versteht, denn ich hab' schon zweimal vergeblich versucht eine gutgeordnete Darstellung davon zu machen.

Ein großer Tafelaufsatz der mir die ganze Zeit im Kopf herumspukt, und den mir deucht im großen Banketsaal der kurfürstlichen Residenz gesehen zu haben; er besteht aus einer ovalen fünf bis sechs Fuß langen christallenen Platte einen See vorstellend, in Wellen sanft geschliffen die sich gegen die Mitte hin mehr und mehr heben, und endlich ganz hoch steigen, wo sie einen silbernen Fels mit einem Throne umgeben auf welchem die Venus sitzt; sie hat ihren Fuß auf den Rücken eines Tritonen gestemmt, der einen kleinen Amor auf den Händen balancirt; rundum spritzt silberner Schaum, auf den höchsten Wellen umher reiten muthige Nymphen, sie haben Ruder in Händen um die Wellen zu peitschen, ihre Gewande sind emaillirt, meistens blasblau oder seegrün, auch gelblich; sie scheinen in einem übermüthigen jauchzenden Wassertanz begriffen; etwas tiefer, sil60berne Seepferde von Tritonen gebändigt und zum Theil beritten; alles in Silber und Gold getrieben mit emaillirten Verzierungen. Wenn man in den hohlen Fels Wein thut, so spritzt er aus Röhrchen in regelmäßigen feinen Strahlen rund um die Venus empor, und fließt in ein verborgnes Becken unter dem Fels; das ist die hohe Mittelgruppe. Näher am Ufer liegen bunte Muscheln, zwischen den Wellen, und emaillirte Wasserlilien; aus ihren Kelchen steigen kleine Amoretten empor die mit gespanntem Bogen einander beschießen, zwischen durch flüchten Seeweibchen mit Fischschweifen, von Seemännchen mit spitzen Bärten verfolgt, und an ihren Schilfkränzen erhascht oder mit Netzen eingefangen. Auf der andern Seite sind Seeweibchen die einen kleinen Amor in der Luft gefangen halten und ihn unter die Wellen ziehen wollen, er wehrt sich und stemmt sein Füßchen der einen auf die Brust während die andere ihn an den bunten Flügeln hält; diese Gruppe ist ganz köstlich und sehr lustig; der Amor ist schwarz von Ambra, die Nymphen sind von Gold mit emaillirten Kränzen. Die Gruppen sind vertheilt in beiden Halbovalen, alles emaillirt mit blau, grün, roth, gelb, lauter helle Farben; viele Seeungeheuer gucken zwischen den christallnen Wellen hervor mit aufgesperrtem Rachen; sie schnap61pen nach den fliehenden Nymphen, und so ist ein buntes Gewirr von lustiger, glitzernder Pracht über das ganze verbreitet; aus dessen Mitte der Fels mit der Venus emporsteigt; am einen Ende der Platte, wo sonst gewöhnlich die Handhabe ist: sitzt etwas erhaben gegen den Zuschauer der berühmte Cyklop Polyphem der die Galathee in seinen Armen gefangen hält; er hat ein großes Aug' auf der Stirn, sie sieht schüchtern herab auf die Schafheerde die zu beiden Seiten gelagert ist, wodurch die Gruppe sich in einen sanften Bogen mit zwei Lämmern, welche an beiden Enden liegen und schlafen, abschließt. Jenseits sitzt Orpheus, auch gegen die Zuschauer gewendet; er spielt die Leier, ein Lorbeerbaum hinter ihm, auf dessen ausgebreiteten goldnen Zweigen Vögel sitzen; Nymphen haben sich herbeigeschlichen mit Rudern in der Hand, sie lauschen; dann sind noch allerlei Seethiere bis auf zwei Delphine, die auf beiden Seiten die Gruppe wie jenseits in einem sanften Bogen abschließen; sehr hübsch ist ein kleiner Affe der sich einen Sonnenschirm von einem Blatt gemacht hat, zu Orpheus Füßen sitzt und ihm zuhört. – Das ist wie Sie leicht denken kann ein wunderbares Prachtstück; es ist sehr reich und doch erhaben; und ich könnte ihr noch eine halbe Stunde über die Schönheit der einzelnen Figuren 62 vorschwätzen. Gold und Silber macht mir den Eindruck von etwas heiligem; ob dies daher kommt, weil ich im Kloster immer die goldnen und silbernen Meßgeschirre. und den Kelch gewaschen habe, den Weihrauchkessel geputzt, und die Altarleuchter vom abträuflenden Wachs gereinigt, alles mit einer Art Ehrfurcht berührt habe? ich kann Ihr nur sagen, daß uns beim Betrachten dieses reichen und künstlichen Werkes eine feierliche Stimmung befiel.

Jetzt beschreib' ich Ihr aber noch etwas Schönes, das gefällt mir in der Erinnerung noch besser, und die Kunstkenner sagen auch es habe mehr Styl; das ist so ein Wort, wenn ich frage was es bedeutet, sagt man: Wissen Sie nicht was Styl ist? – und damit muß ich mich zufrieden geben, hierbei hab' ich's aber doch ausgedacht. Alles große Edle muß einen Grund haben warum es edel ist: Wenn dieser Grund rein ohne Vorurtheil ohne Pfuscherei von Nebendingen und Absichten, die einzige Basis des Kunstwerks ist: das ist der reine Styl. Das Kunstwerk muß grade nur das ausdrücken, was die Seele erhebt und edel ergötzt und nicht mehr. Die Empfindung des Künstlers muß allein darauf gerichtet sein, das übrige ist falsch. In den kleinen Gedichten vom Wolfgang ist die Empfindung aus einem 63 Guß, und was er da ausspricht, daß erfüllt reichlich eines jeden Seele mit derselben edlen Stimmung. In allen liegt es, ich will Ihr aber nur dies kleinste zitiren, das ich so oft mit hohem Genuß in den einsamen Wäldern gesungen habe, wenn ich allein von weitem Spazierwegen nach Hause ging.

Der Du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest:
Ach ich bin des Treibens müde
Was soll all' der Schmerz und Lust? –
Süßer Friede!
Komm, ach komm in meine Brust.

Im Kloster hab' ich viel predigen hören, über den Weltgeist und die Eitelkeit aller Dinge, ich habe selbst, den Nonnen die Legende Jahr aus Jahr ein vorgelesen, weder der Teufel noch die Heiligen haben bei mir Eindruck gemacht, ich glaub' sie waren nicht vom reinen Styl; ein solches Lied aber erfüllt meine Seele mit der lieblichsten Stimmung, keine Mahnung, keine weise Lehren könnten mir je so viel Gutes einflößen; es befreit mich von aller Selbstsucht, ich kann andern alles geben, und gönne ihnen das beste Glück, ohne für mich selbst etwas zu verlangen; das macht weil es vom reinen edlen Styl ist. So könnte ich noch manches seiner Lieder 64 hersetzen die mich über alles erheben, und mir einen Genuß schenken der mich in mir selber reich macht. Das Lied: Die schöne Nacht hab' ich wohl hundertmal dies Jahr auf spätem Heimweg gesungen:

Luna bricht durch Busch und Eichen
Zephyr meldet ihren Lauf,
Und die Birken streun mit Neigen

Wie war ich da glücklich und heiter in diesem Frühjahr wie die Birken, während meinem Gesang rund um mich her der eilenden Luna wirklich ihren duftenden Weihrauch streuten. Es soll mir keiner sagen, daß reiner Genuß nicht Gebet ist. Aber in der Kirche ist's mir noch nimmer gelungen, da hab' ich geseufzt vor schwerer Langenweile, die Predigt war wie Blei auf meinen Augenliedern. O je, wie war mir leicht wenn ich aus der Klosterkirche in den schönen Garten konnte springen, da war mir der geringste Sonnenstrahl eine bessre Erleuchtung als die ganze Kirchengeschichte.

Das zweite Kunstwerk welches ich Ihr beschreibe, ist ein Delphin aus einem großen Elephantenzahn gemacht; er sperrt seinen Rachen auf in den ihm zwei Amoretten das Gebiß einlegen; ein andrer der auf dem Nacken des Delphins sitzt, nimmt von beiden Seiten den Zaum; auf der Mitte des Rückens liegt ein gold65ner Sattel mit einem Sitz von getriebener Arbeit, welches Laubwerk von Weinreben vorstellt; inmitten desselben, steht Bacchus von Elfenbein; ein schöner, zarter, schlanker Jüngling mit goldnen Haaren und einer phrychischen Mütze auf; er hat die eine Hand in die Seite gestemmt, mit der andern hält er einen goldnen Rebstock, der unter dem Sattel hervorkömmt, und ihn mit schönem, feinem Laub überdacht; auf beiden Seiten des Sattels sind zwei Muscheln angebracht wie Tragkörbe, darin sitzen zwei Nymphen von Elfenbein in jedem, und blasen auf Muscheln; die breiten Floßfedern, so wie der Schwanz des Fisches sind von Gold und Silber gearbeitet; unmittelbar hinter dem Sattel schlängelt sich der Leib des Fisches aufwärts als ob er mit dem Schweif in die Lüfte schnalzte; auf dem Bug desselben sitzt ein zierliches Nymphchen, und klatscht in die Hände; dieses kommt etwas höher zu stehen, und sieht über die Gruppe des Bacchus herüber; die Floßfedern des Schweifes bilden ein zierliches Schattendach über der Nymphe; der Rachen des Fisches ist inwendig von Gold; man kann ihn auch mit Wein füllen, der dann in zwei Strahlen aus seinen Nüstern empor springt; man stellte dieses Kunstwerk bei großen Festen in einem goldnen Becken auf den Nebentischen auf. Dieses ist nun ein Kunst66werk vom erhabenen Styl, und ich kann auch sagen, daß es mich ganz mit stummer heiliger Ehrfurcht erfüllte. Noch viele dergleichen sind da; alles hat Bezug auf den Rhein, unter andern ein Schiff von Cedernholz, so fein gemacht, mit schönen Arabesken; ein Basrelief umgiebt den Obertheil des Schiffes, auf dessen Verdeck die drei Kurfürsten von Kölln, Mainz und Trier sitzen und zechen; Knappen stehen hinter ihnen mit Henkelkrügen. Dies hat mir nicht so viel Freud' gemacht, obschon viel Schönes daran ist, besonders die Glücksgöttin, die am Vordertheil des Schiffes angebracht ist.

Ich beschreib' Ihr noch einen Humpen, das ist ein wahres Meisterstück und stellt eine Kelter vor. In der Mitte steht ein hohes Faß, das ist der eigentliche Humpen; auf beiden Seiten klettern in zierlichen Verschlingungen Knaben hinauf mit Butten voll Trauben über die Schultern von Männern, um an den Rand zu gelangen und ihre Trauben auszuschütten; in der Mitte, als Knopf des Deckels der etwas tief in den Rand des Humpens paßt, steht Bacchus mit zwei Tigern die an ihm hinanspringen; er ist im Begriff die Trauben, deren gehäufte Menge mit einzelnen Ranken dazwischen, den Deckel bilden, mit den Füßen zu keltern. Die Knaben die von allen Seiten herüberreichen um ihre Gefäße mit 67 Trauben auszuleeren, bilden einen wunderschönen Rand; die starken Männer am Fuß der Kelter, die die kleinen Knaben auf ihre Schultern heben und auf mannigfache Weise heraufhelfen, sind ganz außerordentlich herrlich, nackt, einem oder dem andern hängt ein Tigerfell über den Rücken, sonst ganz ungeniert. Am Humpen sieht man auf einer Seite das mainzer Wappen, auf der andern das von Köln.

Der ganze Humpen steht auf einem Aufsatz der wie ein sanfter Hügel gestaltet ist; auf diesem sitzen und liegen Nymphen im Kreis; sie spielen mit Tamburinen, Becken, Triangel, andre liegen und balgen sich mit Leoparden, die ihnen über die Köpfe springen; es ist gar zu schön. – Das hab' ich Ihr nun beschrieben, aber hätte Sie es erst gesehen, Sie würde vor Verwunderung laut aufgeschrieen haben. Was überfällt einem nur, wenn man so etwas von Menschenhänden gemacht sieht? Mir rauchte der Kopf, und ich meinte in der trunkenen Begeistrung ich werde keine Ruhe finden, wenn ich nicht auch solche schöne Sachen erfinden und machen könne. Aber wie ich hinaus kam und es war Abend geworden, und die Sonne ging so schön unter, da vergaß ich alles, blos um mit den letzten Strahlen der Sonne meine Sinne in dem kühlen Rhein zu baden.

68 Eine Mutter giebt sich alle erdenkliche Mühe ihr kleines unverständiges Kindchen zufrieden zu stellen, sie kommt seinen Bedürfnissen zuvor und macht ihm aus allem ein Spielwerk; wenn es nun auf nichts hören will und mit nichts sich befriedigen läßt: so läßt sie es seine Unart ausschreien bis es müde ist, und dann sucht sie es wieder von neuem mit dem Spielwerk vertraut zu machen. Das ist grade wie es Gott mit den Menschen macht: er giebt das Schönste um den Menschen zur Lust, zur Freude zu reizen, und ihm den Verstand dafür zu schärfen. – Die Kunst ist ein so schönes Spielwerk, um den unruhigen, ewig begehrenden Menschengeist auf sich selbst zurück zu führen, um ihn denken zu lehren und sehen; um Geschicklichkeit zu erwerben, die seine Kräfte weckt und steigert. Er soll lernen ganz der Unschuld solcher Erfindung sich hingeben, und vertrauen auf die Lust und das Spiel der Phantasie, die ihn zum Höchsten auszubilden und zu reifen vermag. Gewiß liegen in der Kunst große Geheimnisse höherer Entwicklung verborgen; ja ich glaub' sogar, daß alle Neigungen von denen die Philister sagen, daß sie keinen nützlichen Zweck haben, zu jenen mystischen gehören die den Keim zu großen, in diesem Leben noch unverständlichen Eigenschaften in unsre Seele legen; 69 welche dann im nächsten Leben als ein höherer Instinkt aus uns hervorbrechen, der einem geistigeren Element angemessen ist. –

Die Art wie jene in Gold und Silber getriebne Kunstwerke aufgestellt sind, ist auch zu bewundern und trägt sehr dazu bei, dieselben sowohl in ihrer Pracht mit einem Blick zu überschauen, als auch ein jedes einzelne bequem zu betrachten. Es ist eine Wand von schwarzem Ebenholz mit tiefen Cassetten, in der Mitte der Wand eine große, in welcher das Hauptstück steht, auf beiden Seiten kleinere, in denen die anderen Kunstwerke, als: Humpen, Becher u. u. stehen. An jeder Cassette hebt sich durch den Druck einer Feder der Boden heraus und läßt das Kunstwerk von allen Seiten sehen.

Noch eines Bechers gedenke ich, von Bronze, eine echte Antike wie man behauptet: und man muß es wohl glauben, weil er so einfach ist und doch so majestätisch. Ein Jüngling: wahrscheinlich Ganymed, sitzt nachlässig auf einem Stein, der Adler auf der Erde zwischen seinen Knieen breitet beide Flügel aus, als wolle er ihn damit schlagen, und legt den ausgestreckten Kopf auf des Jünglings Brust, der auf den Adler herabsieht, während er die Ärme emporhebt und mit 70 beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den Becher bildet. Kann man sich was Schöneres denken? – Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenschaftlich den ruhigen Jüngling gleichsam anfällt und doch an ihm ausruht, und jener, der so spielend den Becher emporhebt, ist gar zu schön, und ich hab' allerlei dabei gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beschreiben und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; stell Sie sich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze Wand besteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in Holz geschnitzt, mit schönen Kleidern angethan, in bunter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den Bienenweisel ist, da ist Christus, auf beiden Seiten die vier Evangelisten, dann rund umher die Apostel, dann die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einsiedler. Diese Wand hab' ich in Oberwesel als Hauptaltar in der Kirche aufgestellt gesehen; es ist keine Figur die man nicht gleich als schönes, naives, in seiner Art eigenthümliches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß abbrechen, sonst könnte der Tag heran kommen über meinem extemporiren.

Bettine.

71 An Bettine.

Fr. 7ten Oktober 1808.

Die Beschreibung von Deinen Prachtstücken und Kostbarkeiten hat mir recht viel Plaisir gemacht; wenn's nur auch wahr ist, daß Du sie gesehen hast, denn in solchen Stücken kann man Dir nicht wenig genug trauen. Du hast mir ja schon manchmal hier auf Deinem Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn wenn Du, mit Ehren zu melden, in's Erfinden geräthst, dann hält Dich kein Gebiß und kein Zaum. – Ei, mich wundert's, daß Du noch ein End' finden kannst und nicht in einem Stück fortschwätzst, blos um selbst zu erfahren, was alles noch in Deinem Kopf steckt. Manchmal mein ich aber doch es müßt wahr sein, weil Du alles so natürlich vorbringen kannst. Wo solltest Du auch alles herwissen? – Es ist aber doch kurios, daß die Kurfürsten immer mit Fisch und Wassernymphen zu thun haben; auf der Krönung hab' ich in den Silberkammern auch solche Sachen gesehen, da war ein Springbrunnen von Silber mit schönen Figuren, da sprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die Tafel gestellt. Und einmal hat der Kurfürst von der Pfalz ein Fischballet aufführen lassen, da tanzten die 72 Karpfen, prächtig in Gold und Silberschuppen angethan, aufrecht einen Menuet. Nun, Du hast das alles allein gesehen, solche Sachen die man im Kopf sieht, die sind auch da und gehören ins himmlische Reich, wo nichts einen Körper hat, sondern nur alles im Geist da ist.

Mach doch daß Du bald wieder herkommst, Du hast den ganzen Sommer verschwärmt, mir ist es gar nicht mehr drum zu thun mit dem Schreiben, und ich hab' Dich auch so lange nicht gesehen, es verlangt mich recht nach Dir.

Deine wahre Herzensfreundin

Goethe.

An Goethe's Mutter.

Frau Rath, den ganzen Tag bin ich nicht zu Haus, aber wenn ich an Sie schreib', dann weiß ich, daß ich eine Heimath habe; es ist die Zeit, daß die Leut' Feldgötter im Weinberg aufstellen, um die Sperlinge von den Trauben zu scheuchen; heut' morgen konnt' ich nicht begreifen, was für ein wunderbarer Besuch sich so früh im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Nebel schimmerte; ich dachte erst, es wär' der Teufel, denn 73 er hat einen scharlachrothen Rock und schwarze Unterkleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und zwar so sehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis an's Wasser ging, wie ich jeden Abend thue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbestellt hätte, so würd' ich wohl nichts von Furcht gespürt haben; ich ging also noch einmal und glücklich an dem Lumpengespenst vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die stille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem stillen, ruhigen Abend, in dem mein Andenken ihm einen freundlichen Besuch macht, und er sich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kindischen Gedanken bei ihm anlande; was ich in so einsamer Abendstunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauscht, denke, das kann Sie sich am besten vorstellen, da wir es tausendmal mit einander besprochen haben, und haben so viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir mit einander zu ihm gereist kämen, das denk' ich mir immer noch aus. – Damals hatte ich ihn noch nicht gesehen, wie Sie meiner heißen Sehnsucht die Zeit damit vertrieb, daß Sie mir seine freudige Überraschung 74 malte und unser Erscheinen unter tausenderlei Veränderungen; – jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt und den Ton seiner Stimme, wie die so ruhig ist und doch voll Liebe, und seine Ausrufungen, wie die so aus dem tiefen Herzen anschwellen, wie der Ton im Gesang; und wie er so freundlich beschwichtigt und bejaht, was man im Herzensdrang unordentlich herausstürmt; – wie ich im vorigen Jahr so unverhofft wieder mit ihm zusammentraf, da war ich so außer mir, und wollte sprechen und konnte mich nicht zurecht finden; da legt' er mir die Hand auf den Mund und sagt': Sprech' mit den Augen, ich versteh' alles; und wie er sah, daß die voll Thränen standen, so drückt' er mir die Augen zu, und sagte: Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden am besten; – ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegossen, ich hatte ja alles, wonach ich seit Jahren mich einzig gesehnt habe. – O Mutter, ich dank' es Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in die Welt geboren, – wo sollt' ich ihn sonst finden! Lach' Sie nicht da drüber, und denk' Sie doch, daß ich ihn geliebt hab', eh' ich das Geringste von ihm wußt', und hätt' Sie ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wär', das ist doch die Frage, die Sie nicht beantworten kann.

75 Über die Günderode ist mir am Rhein unmöglich zu schreiben, ich bin nicht so empfindlich; aber ich bin hier am Platz nicht weit genug von dem Gegenstand ab, um ihn ganz zu übersehen; – gestern war ich da unten, wo sie lag; die Weiden sind so gewachsen, daß sie den Ort ganz zudecken, und wie ich mir so dachte, wie sie voll Verzweiflung hier herlief, und so rasch das gewaltige Messer sich in die Brust stieß, und wie das Tage lang in ihr gekocht hatte, und ich, die so nah mit ihr stand, jetzt an demselben Ort, gehe hin und her an demselben Ufer, in süßem Überlegen meines Glückes, und alles und das Geringste was mir begegnet, scheint mir, mit zu dem Reichthum meiner Seeligkeit zu gehören; da bin ich wohl nicht geeignet, jetzt alles zu ordnen und den einfachen Faden unseres Freundelebens, von dem ich doch nur alles anspinnen könnte, zu verfolgen. – Nein, es kränkt mich und ich mache ihr Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte, daß sie die schöne Erde verlassen hat; sie hätt' noch lernen müssen, daß die Natur Geist und Seele hat und mit dem Menschen verkehrt, und sich seiner und seines Geschickes annimmt, und daß Lebensverheißungen in den Lüften uns umwehen; ja, sie hat's bös' mit mir gemacht, sie ist mir geflüchtet, grade wie ich mit ihr 76 theilen wollte alle Genüsse. Sie war so zaghaft; eine junge Stiftsdame, die sich fürchtete, das Tischgebet laut herzusagen; sie sagte mir oft, daß sie sich fürchtete, weil die Reihe an ihr war; sie wollte vor den Stiftsdamen das Benedicite nicht laut hersagen; unser Zusammenleben war schön, es war die erste Epoche, in der ich mich gewahr ward; – sie hatte mich zuerst aufgesucht, in Offenbach, sie nahm mich bei der Hand und forderte, ich solle sie in der Stadt besuchen; nachher waren wir alle Tage beisammen, bei ihr lernte ich die ersten Bücher mit Verstand lesen, sie wollte mich Geschichte lehren, sie merkte aber bald, daß ich zu sehr mit der Gegenwart beschäftigt war, als daß mich die Vergangenheit hätte lange fesseln können; – wie gern ging ich zu ihr! ich konnte sie keinen Tag mehr missen, ich lief alle Nachmittag zu ihr; wenn ich an die Thür des Stift's kam, da sah' ich durch das Schlüsselloch bis nach ihrer Thür, bis mir aufgethan ward; – ihre kleine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten; vor dem Fenster stand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorlesen; bei jedem Kapitel erstieg ich einen höheren Ast und las von oben herunter; – sie stand am Fenster und hörte zu, und sprach zu mir hinauf, und dann und wann sagte sie: Bettine, 77 fall' nicht; jetzt weiß ich erst, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Geringste sich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt hat; – sie war so sanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; – ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichlenden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; – ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Wort schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte. Einmal aß sie bei dem Fürst Primas mit allen Stiftsdamen zu Mittag; sie war im schwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Ordenskreuz; da machte jemand die Bemerkung, sie sähe aus wie eine Scheingestalt unter den andern Damen, als ob sie ein Geist sei, der eben in die Luft zerfließen werde. – Sie las mir ihre Gedichte vor und freute 78 sich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum wär'; ich war aber auch voll lebendiger Begierde es anzuhören; nicht als ob ich mit dem Verstand das Gehörte gefaßt habe, – es war vielmehr ein mir unbekanntes Element, und die weichen Verse wirkten auf mich wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem schmeichelt, ohne daß man sie übersetzen kann. – Wir lasen zusammen den Werther, und sprachen viel über den Selbstmord; sie sagte: recht viel lernen, recht viel fassen mit dem Geist, und dann früh sterben; ich mag's nicht erleben, daß mich die Jugend verläßt; wir lasen vom Jupitre Olymp des Phidias, daß die Griechen von dem sagten, der Sterbliche sei um das Herrlichste betrogen, der die Erde verlasse, ohne ihn gesehen zu haben. Die Günderode sagte, wir müssen ihn sehen, wir wollen nicht zu den Unseligen gehören, die so die Erde verlassen. Wir machten ein Reiseprojekt, wir erdachten unsre Wege und Abentheuer, wir schrieben alles auf, wir malten alles aus, unsre Einbildung war so geschäftig, daß wir's in der Wirklichkeit nicht besser hätten erleben können; oft lasen wir in dem erfundenen Reisejournal und freuten uns der allerliebsten Abentheuer, die wir drinn erlebt hatten, und die Erfindung wurde gleichsam zur Erinnerung, deren Beziehungen sich noch 79 in der Gegenwart fortsetzten. Von dem, was sich in der Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mittheilungen; das Reich, in dem wir zusammentrafen, senkte sich herab wie eine Wolke, die sich öffnete um uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war alles neu, überraschend, aber passend für Geist und Herz; und so vergingen die Tage. Sie wollte mir Philosophie lehren, was sie mir mittheilte, verlangte sie von mir aufgefaßt, und dann auf meine Art schriftlich wiedergegeben; die Aufsätze, die ich ihr hierüber brachte, las sie mit Staunen; es war nie auch eine entfernte Ahndung von dem, was sie mir mitgetheilt hatte; ich behauptete im Gegentheil, so hätt' ich es verstanden; – sie nannte diese Aufsätze Offenbarungen, gehöht durch die süßesten Farben einer entzückten Imagination; sie sammelte sie sorgfältig, sie schrieb mir einmal: Jetzt verstehst Du nicht, wie tief diese Eingänge in das Bergwerk des Geistes führen, aber einst wird es Dir sehr wichtig sein, denn der Mensch geht oft öde Straßen; je mehr er Anlage hat durchzudringen, je schauerlicher ist die Einsamkeit seiner Wege, je endloser die Wüste. Wenn Du aber gewahr wirst, wie tief Du Dich hier in den Brunnen des Denkens niedergelassen hast und wie Du da unten ein neues Morgenroth findest, und 80 mit Lust wieder heraufkömmst und von Deiner tieferen Welt sprichst, dann wird Dich's trösten, denn die Welt wird nie mit Dir zusammenhängen, Du wirst keinen andern Ausweg haben als zurück durch diesen Brunnen in den Zaubergarten Deiner Phantasie; es ist aber keine Phantasie, es ist eine Wahrheit, die sich nur in ihr spiegelt. Der Genius benützt die Phantasie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Menschengeist in seiner idealen Erscheinung nicht fassen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirst keinen andern Weg des Genusses in Deinem Leben haben, als den sich die Kinder versprechen von Zauberhöhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch sie gekommen so findet man blühende Gärten, Wunderfrüchte, krystallne Paläste, wo eine noch unbegriffne Musik erschallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man festen Fußes in ihr Centrum spazieren kann; – das alles wird sich Dir in diesen Blättern zu einem Schlüssel bilden, mit dem Du vielleicht tief versunkene Reiche wieder aufschließen kannst, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht solchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, sondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geist geboren wird; – wenn er erst in Dich eingefleischt 81 ist, dann wirst Du Dich der Begeistrung freuen, wie der Tänzer sich der Musik freut.

Mit solchen wunderbaren Lehren hat die Günderode die Unmündigkeit meines Geistes genährt. Ich war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner schwankenden Gesundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weise berührten mich denn solche Briefe? – verstand ich ihren Inhalt? – hatte ich einen Begriff von dem, was ich geschrieben hatte? Nein; ich wußte mir so wenig den Text meiner schriftlichen Begeistrungen auszulegen, als sich der Componist den Text seiner Erfindungen begreiflich machen kann; er wirft sich in ein Element, was höher ist als er; es trägt ihn, es nährt ihn, seine Nahrung wird Inspiration, sie reizt, sie beglückt, ohne daß man sie sinnlich auszulegen vermöchte, obschon die Fähigkeiten durch sie gesteigert, der Geist gereinigt, die Seele gerührt wird. So war es auch zwischen mir und der Freundin: die Melodieen entströmten meiner gereizten Phantasie, sie lauschte und fühlte unendlichen Genuß dabei, und bewahrte, was, wenn es mir geblieben wär', nur störend auf mich gewirkt haben würde; – sie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weissagungen nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich, 82 und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geist war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; – ich wollte schreiben, ich sah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußerlich vom Licht entfernen; am liebsten war mir, wenn ich die Fenster verhing und doch durch sah, daß draußen die Sonne schien; ein Blumenstrauß, dessen Farben sich durch die Dämmerung stahlen, der konnte mich fesseln und von der innern Angst befreien, so daß ich mich vergaß, während ich in die schattigflammenden Blumenkelche sah, und Duft und Farbe und Formen gleichsam ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundenen Geist lösten, daß ich ruhig und gelassen das, was mir ahndete, fassen und aussprechen konnte; – indem ich den Blumenstrauß der nur durch eine Spalte im Fensterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war selbst ein Geist, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; – das erste, was ich durch sie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Göttliche erzeugt sei, daß Schönheit der göttliche Geist sei, im Mutterschooß der Natur erzeugt; daß die Schönheit 83 größer sei wie der Mensch, daß aber die Erkenntniß allein die Schönheit des freien Menschengeistes sei, die höher ist als alle leibliche Schönheit. – O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen nieder zu lassen, so könnte ich vielleicht wieder sagen, alles was ich durch die Gespräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenstraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr sagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnsinn und Unsinn geachtet; – warum soll ich's aber hier verhehlen? Der's lesen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie sie durch Farbe und zufällige oder besondere Formen neue Erscheinungen bildeten. – So war's in meiner Seele damals, so ist es auch jetzt. Das große und scharfe Auge des Geistes war vom innern Lichtstrahl gefangen genommen, es mußte ihn einsaugen, ohne sich durch selbstische Reflexion davon ablösen zu können; der Freund weiß ja, was dieses gebannt-sein im Blick auf einen Lichtstrahl – Farbengeist für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein ist, sondern Wahrheit. –

Trat ich aus dieser innern Anschauung hervor, so war ich geblendet; ich sah Träume, ich ging ihren Ver84hältnissen nach, das machte im gewöhnlichen Leben keinen Unterschied; in dies paßte ich ohne Anstoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu sag' ich es meinem Herrn, der den Segen hier über sein Kind sprechen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fähigkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge sah deutlich große Erscheinungen, so wie ich es zu machte; – ich sah die Himmelskugel, sie drehte sich vor mir in unermeßlicher Größe um, so daß ich ihre Grenze nicht sah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geistigen Figuren, die ich als Geist begriff; es stellten sich Monumente auf von Säulen und Gestalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, sie wuchsen empor bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten sie vor einem höheren weißen Licht, und so zog in dieser Innenwelt eine Erscheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines silbernes Klingen, allmählig wurde es ein Schall, der größer war und gewaltiger, je länger ich ihm lauschte, ich freute mich, denn es stärkte mich, es stärkte meinen Geist, diesen großen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die 85 Augen, so war alles nichts, so war alles ruhig, und ich empfand keine Störung, nur konnte ich die sogenannte wirkliche Welt, in der die andern Menschen sich auch zu befinden behaupten, nicht mehr von dieser Traum- oder Phantasiewelt unterscheiden; ich wußte nicht, welche Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich immer mehr, daß ich das gewöhnliche Leben nur träume, und ich muß es noch heute unentschieden lassen, und werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieses Schweben und Fliegen war mir gar zu gewiß; ich war innerlich stolz darauf und freute mich dieses Bewußtseins; ein einziger elastischer Druck mit der Spitze der Fußzehen – und ich war in Lüften; ich schwebte leise und anmuthig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich berührte sie gleich wieder, und flog wieder auf, – und schwebte auf die Seite, von da wieder zurück; so tanzte ich im Garten im Mondschein hin und her, zu meinem unaussprechlichen Vergnügen; ich schwebte über die Treppen herab oder herauf, zuweilen hob' ich mich zur Höhe der niederen Baumäste und schwirrte zwischen den Zweigen dahin; Morgens erwachte ich in meinem Bett mit dem Bewußtsein, daß ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich's. – Ich schrieb an die Günderode ich weiß nicht was, sie kam heraus nach Offenbach, sah mich 86 zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Befinden, ich sah im Spiegel: schwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten sich unendlich verfeinert, die Nase so schmal und fein, der Mund geschwungen, eine äußerst weiße Farbe; ich freute mich und sah mit Genuß meine Gestalt, die Günderode sagte, ich sollte nicht so lang' mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenig Tage verflossen, so hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und schlief, und weiß auch nichts, als daß ich nur schlief: endlich erwachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, sah ich ihre schwanke Gestalt im Zimmer auf- und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, sagt ich, warum weinst Du? Gott sei ewig gelobt, sagte sie, und kam an mein Bett', bist Du endlich wieder wach, bist Du endlich wieder in's Bewußtsein gekommen? – Von der Zeit an wollte sie mich nichts Philosophisches lesen lassen, und auch keine Aufsätze sollte ich mehr machen; sie war fest überzeugt, meine Krankheit sei davon hergekommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Gestalt, die Blässe, die von meiner Krankheit zurückgeblieben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erschienen mir sehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrsch87 ten, und die anderen Gesichstheile verhielten sich geistig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin schon die ersten Spuren einer Verklärung sich zeigten.

Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage nicht geschrieben; es stieg so ernst und schwer herauf, der Schmerz ließ sich nicht vom Denken bemeistern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchsetzen, das ungeheure. Unterdessen hat man den Herbst eingethan, der Most wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Jubelgesang die Berge herabgefahren und getragen, und sie gingen mit der Schalmei voran und tanzten. O Du! – der Du dieses liest, Du hast keinen Mantel so weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was bist Du mir schuldig? – Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen lasse. – Wie kannst Du mir vergelten? – Du wirst mir nimmer vergelten; Du wirst mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirst Du mich nicht herbergen, und der Sehnsucht wirst Du keine Linderung gewähren; ich weiß es schon im Voraus, ich wird' allein sein mit mir selber, wie ich heut' allein stand am Ufer bei den düstern Weiden, wo die Todesschauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächst; dort hat sie den schönen Leib ver88 wundet, grad' an der Stelle, wo sie's gelernt hatte, daß man da das Herz am sichersten trifft; O Jesus Maria! –

Du! mein Herr! – Du! – flammender Genius über mir! ich hab' geweint; nicht über sie, die ich verloren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich schützte, die mich begeisterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich werden wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich muß streng sein gegen dies leidenschaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; – Du bist mild, und lächelst mir, und deine kühle Hand mildert die Gluth meiner Wangen, das soll mir genügen.

Gestern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfestes an beiden Bergufern mit anzusehen; auf unserem Schiff waren lustige Leute, sie schrieben Weinbegeisterte Lieder und Sprüche, steckten sie in die geleerten Flaschen, und ließen diese unter währendem Schießen den Rhein hinabschwimmen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei einbrechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem 89 Mäusethurm, mitten im stolzen Rhein, ragten zwei mächtige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten Aeste fielen herab in die zischende Fluth, von allen Seiten donnerten sie und warfen Raketen, und schöne Sträußer von Leuchtkugeln stiegen jungfräulich in die Lüfte, und auf den Nachen sang man Lieder, und im Vorbeifahren warf man sich Kränze zu und Trauben; da wir nach Hause kamen, so war's spät, aber der Mond leuchtete hell; ich sah zum Fenster hinaus, und hörte noch jenseits das Toben und Jauchzen der Heimkehrenden, und diesseits nach der Seite, wo sie todt am Ufer gelegen hatte, war alles still, ich dacht', da ist keiner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht ohne Grausen, nein mir war bang, wie ich von weitem die Nebel über den Weidenbüschen wogen sah, da wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als sei sie es selbst, die da schwebte und wogte, und sich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott doch schützen möge; – schützen?– vor was? vor einem Geist, dessen Herz voll liebendem Willen gewesen war gegen mich im Leben; und nun er des irdischen Leib's entledigt ist, soll ich ihn fürchtend fliehen? – Ach sie hat vielleicht einen bessren Theil ihres geistigen Vermögens auf mich vererbt seit ihrem Tod. Vererben doch 90 die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die Freunde? – Ich weiß nicht, wie weh' mir ist! – sie, die freundlich klare hat meinen Geist vielleicht beschenkt. Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute, die nach ihrer Kuh suchten, die sich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; sie ahndeten gleich, daß ich von dort her kam, sie wußten viel von der Günderode zu erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingesprochen und ihnen Almosen gegeben hatte; sie sagten, so oft sie dort vorbeigehen, beten sie ein Vater unser; ich hab' auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab' mich vom Mondlicht rein waschen lassen, und hab' es ihr laut gesagt, daß ich mich nach ihr sehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen einander austauschten.

Sie erzählte mir wenig von ihren sonstigen Angelegenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen sie noch außer mir war; sie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg gesprochen und auch von Kreuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber sei als der andre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam sie mir freudig entgegen und sagte: Gestern hab' ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist, sich umzu91 bringen, sie öffnete hastig ihr Kleid, und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum erstenmal unheimlich, ich fragte: nun! – und was soll ich denn thun, wenn Du todt bist? – O, sagte sie, dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich wird' mich erst mit Dir entzweien; – ich wendete mich nach dem Fenster, um meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu verbergen, sie hatte sich nach dem andern Fenster gewendet und schwieg; – ich sah sie von der Seite an, ihr Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; – nachdem ich sie eine Weile beobachtet hatte, konnt' ich mich nicht mehr fassen, – ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Knie, und weinte viel Thränen und küßte sie zum erstenmal an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Thränen, daß sie sich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, und ihre Lippen zuckten, und sie war ganz kalt 92 und starr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht erheben; sie sagte leise: Bettine, brich mir das Herz nicht; – ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und schluchzte laut, ihr schien immer banger zu werden, sie legte sich auf's Sopha; da wollt' ich scherzen und wollt' ihr beweisen, daß ich alles für Scherz nehme; da sprachen wir von ihrem Testament; sie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte sie einen kleinen Apoll unter einer Glasglocke, dem sie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich schrieb alles auf; im nach Hause gehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich so aufgeregt gewesen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz gewesen war, oder auch Phantasie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit seine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht sie, die ja oft auf diese Weise mit mir gesprochen hatte. Am andern Tag führte ich ihr einen jungen französischen Husaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der schönste aller Jünglinge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unvermuthet angekommen; ich sagte: da hab' ich Dir einen Liebhaber gebracht, der soll Dir das Leben wieder lieb machen. Er vertrieb uns allen die Melan93cholie; wir scherzten und machten Verse, und da der schöne Wilhelm die schönsten gemacht zu haben behauptete, so wollte die Günderode, ich solle ihm den Lorbeerkranz schenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geschmälert wissen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes lassen; so hab' ich denn nur die eine Hälfte. Einmal kam ich zu ihr, da zeigte sie mir einen Dolch, mit silbernem Griff; den sie auf der Messe gekauft hatte, sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrak, ich sagte: O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Muth voraussetzt, ich hab' doch noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär', etwas zu wagen, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe – siehst Du wie Du Dich fürchtest? – sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir, unter der Decke des glühendsten Muthwills; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen 94 Stichen in Stücke, das Roßhaar flog hier und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat, ihr nichts zu thun; – ich sagte: eh' ich dulde, daß Du Dich umbringst, thu' ich's lieber selbst; mein armer Stuhl! rief sie; ja was, Dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen; ich gab ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; so warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er prasselnd unter das Sopha fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten, in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab, und warf sie ihr vor die Füße; ich trat drauf und sagte: So mißhandelst Du unsre Freundschaft. – Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, spielend aber treu gegen einander bisher zusammen gelebt hätten; ich sagte: Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir deinen Willen kund thust, mich nur einen Augenblick besinnen machte; – komm vor mein Fenster und pfeif' um Mitternacht, und ich geh' ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag' ich für Dich; – aber Du! – was berechtigt Dich, mich aufzugeben? – wie kannst Du solche Treue verrathen; und versprich mir, daß Du nicht mehr deine 95 zaghafte Natur hinter so grausenhafte pralerische Ideen verschanzen willst; – ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf, und sah auf die Seite und war blaß; wir waren beide still, lange Zeit. Günderode, sagte ich, wenn es ernst ist, dann gieb mir ein Zeichen; – sie nickte. – Sie reiste in's Rheingau; von dort aus schrieb sie mir ein paarmal, wenig Zeilen; – ich hab' sie verloren sonst würde ich sie hier einschalten. Einmal schrieb sie: ist man allein am Rhein, so wird man ganz traurig, aber mit mehreren zusammen, da sind grade die schauerlichsten Plätze am Lust aufreizendsten, mir aber ist doch lieb, den weiten gedehnten Purpurhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich im Wandeln an einem Mährchen, das will ich Dir vorlesen; ich bin jeden Abend begierig wie es weiter geht, es wird manchmal recht schaurig und dann taucht es wieder auf. Da sie wieder zurückkam und ich das Mährchen lesen wollte, sagte sie: es ist so traurig geworden, daß ich's nicht lesen kann; ich darf nichts mehr davon hören, ich kann es nicht mehr weiter schreiben: ich werde krank davon. und sie legte sich zu Bett; und blieb liegen mehrere Tage, der Dolch lag an ihrem Bett; ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe stand dabei, ich kam herein; Bettine, mir ist vor drei Wochen eine Schwe96ster gestorben; sie war jünger als ich, Du hast sie nie gesehen; sie starb an der schnellen Auszehrung; – warum sagst Du mir dies heute erst, fragte ich? – nun was könnte Dich dies interessieren? Du hast sie nicht gekannt, ich muß so was allein tragen, sagte sie mit trocknen Augen. Mir war dies doch etwas sonderbar, mir jungen Natur waren alle Geschwister so lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müssen, wenn einer stürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelassen hätte; sie fuhr fort: nun denk': vor drei Nächten ist mir diese Schwester erschienen; ich lag im Bett und die Nachtlampe brannte auf jenem Tisch; sie kam herein in weißem Gewand langsam, und blieb an dem Tisch stehen; sie wendete den Kopf nach mir und senkte ihn und sah mich an; erst war ich erschrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich setzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht schlafe. Ich sah sie auch an und es war, als ob sie etwas bejahend nickte; und sie nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob sie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder sanft und klanglos nieder, und dann nahm sie die Nachtlampe, und hob sie auch in die Höhe, und zeigte sie mir, und als ob sie mir bezeichnen wolle, daß ich sie verstehe, nickte sie sanft, führte die Lampe zu 97 ihren Lippen und hauchte sie aus; denk nur, sagte sie voll Schauder, ausgeblasen; – und im Dunkel hatte mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Gestalt; und da hat mich plötzlich eine Angst befallen, die ärger sein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär' lieber gestorben, als noch länger diese Angst zu tragen.

Ich war gekommen, um Abschied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach Marburg reisen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben. Reise nur fort, sagte sie, denn ich reise auch übermorgen wieder in's Rheingau; – so ging ich denn weg. –Bettine, rief sie mir in der Thür zu: behalt' diese Geschichte, sie ist doch merkwürdig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg schrieb' ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunderlichen Leben; – ich wohnte einen ganzen Winter am Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit der Festungsmauer umgeben, aus den Fenstern hatt' ich eine weite Aussicht über die Stadt und das reich bebaute Hessenland; überall ragten die gothischen Thürme aus den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Festungsmauer, und stieg durch die verödeten Gärten; – wo sich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch die Hecken, – da saß ich auf der Steintreppe, 98 die Sonne schmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich suchte die Moose, und trug sie mit sammt der angefrornen Erde nach Haus; – so hatt' ich an dreißig bis vierzig Moosarten gesammelt, die alle in meiner kalten Schlafkammer in erdnen Schüsselchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich schrieb ihr davon, ohne zu sagen, was es sei; ich schrieb in Versen: mein Bett steht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da sind silberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Insel Cypros; die Bäume stehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äste; der Raasen, aus dem sie hervorwachsen, ist rosenroth und blaßgrün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner erstarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; – da antwortet' sie wieder in Versen: das sind Moose ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterschnee sie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine schallt es wieder, summen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue spiegelt sich die ganze Aue; Du mußt andre Räthsel machen, will Dein Witz des meinen lachen!

Nun waren wir in's Räthsel geben und lösen 99 gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Abentheuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu errathen gab; meistens löste sie es auf eine kindlich-lustige Weise auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem, einsamem Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beschrieben, ich nannte es la petite perfection und daß er mir mein Herz eingenommen habe; – sie antwortete gleich: auf einem schönen grünen Rasen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blasen, da flüchteten sich alle Hasen; so hoff' ich wird ein Held einst kommen, Dein Herz, von Hasen eingenommen, von diesen Wichten zu befreien und seine Gluthen zu erneuen; – dies waren Anspielungen auf kleine Liebesabentheuer. – So verging ein Theil des Winters; ich war in einer sehr glücklichen Geistesverfassung, andre würden sie Überspannung nennen, aber mir war sie eigen. An der Festungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zerbrochne Leiter stand drinn; – dicht bei uns war eingebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht auf die Spur kommen, man glaubte, sie versteckten sich auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augenschein genommen und erkannt', daß es für einen starken Mann unmöglich war, an dieser morschen, beinah stu100fenlosen himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich versuchte es, gleitete aber wieder herunter, nachdem ich eine Strecke hinaufgekommen war; in der Nacht, nachdem ich schon eine Weile im Bett gelegen hatte und Meline schlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein Überkleid um, stieg zum Fenster hinaus, und ging an dem alten Marburger Schloß vorbei, da guckte der Kurfürst Philipp mit der Elisabeth lachend zum Fenster heraus; ich hatte diese Steingrupp' die beide Arm in Arm sich weit aus dem Fenster lehnen, als wollten sie ihre Lande übersehen, schon oft bei Tage betrachtet, aber jetzt bei Nacht fürchtete ich mich so davor, daß ich in hohen Sprüngen davoneilte in den Thurm; dort ergriff ich eine Leiterstange und half mir, Gott weiß wie, daran hinauf; was mir bei Tage nicht möglich war, gelang mir bei Nacht in der schwebenden Angst meines Herzens; wie ich beinah oben war, machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spitzbuben wirklich oben sein könnten und da mich überfallen und von der Warte hinunterstürzen; da hing ich und wußte nicht hinunter oder herauf, aber die frische Luft, die ich witterte, lockte mich nach oben; – wie war mir da, wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weit verbreitete Natur überschaute, allein und gesichert, das 101 große Heer der Sterne über mir! – so ist es nach dem Tod', die freiheitstrebende Seele, der der Leib am angstvollsten lastet, im Augenblick da sie ihn abwerfen will; sie siegt endlich, und ist der Angst erledigt; – da hatte ich blos das Gefühl allein zu sein, da war kein Gegenstand, der mir näher war als meine Einsamkeit, und alles mußte vor dieser Beseligung zusammensinken; – ich schrieb der Günderode, daß wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieser Grille abhänge; ich schrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich setzte mich auf die Brustmauer und hing die Beine hinab. – Sie wollte immer mehr von diesen Thurmbegeistrungen, sie sagte: es ist mein Labsal, Du sprichst wie ein auferstandner Prophet! – wie ich ihr aber schrieb, daß ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und lustig nach den Sternen sähe, und daß mir zwar am Anfang geschwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, – da schrieb sie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böser oder guter Dämonen bist; – falle nicht, schrieb sie mir wieder, obschon es mir wohlthätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, so fürchte 102 ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkührlich zerschmettert in's Grab stürzest; – ihre Vermahnungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte Bescheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß ich von Geistern geschützt sei. Das Seltsame war, daß ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbestimmter Nachtzeit hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angst hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den ersten, und daß ich oben allemal die Beseligung einer von schwerem Druck befreiten Brust empfand; – oben, wenn Schnee lag, schrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und: Jesus nazarenus rex judaeorum als schützenden Talismann darüber, und da war mir, als sei sie gesichert gegen böse Eingebungen.

Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu besuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbegreiflich, daß er ein Weib interessiren könne; ich hörte, daß er von der Günderode sprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in meinem, von allem äußeren Einfluß abgeschiednen Verhältniß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick auf's Heftigste eifersüchtig; er nahm in mei103ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schos und sagte: wie heißt Du? –Sophie. Nun, du sollst, so lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Thurm; da oben stellt' ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Gesicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam, begegnete mir Kreuzer; ich sagte: weg aus meinem Weg, fort. Der Philolog konnte sich einbilden, daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen werde. – Es war in der Neujahrsnacht; ich saß auf meiner Warte und schaute in die Tiefe; alles war so still – kein Laut bis in die weiteste Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal schlug es Mitternacht, – da stürmte es herauf, die Trommeln rührten sich, die Posthörner schmetterten, sie lösten ihre Flinten, sie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es stieg der Jubellärm, daß er mich beinah wie ein Meer umbraus'te; – das vergesse ich nie, aber sagen kann ich auch nicht, wie mir so wunderlich war, da oben auf schwindelnder Höhe, und wie es 104 allmählig wieder still ward, und ich mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und schrieb an die Günderode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißesten Bitten that, mir zu antworten; ich schrieb ihr von diesen Studentenliedern, wie die gen Himmel geschallt hätten und mir das tiefste Herz aufgeregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnsucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Monate gingen vorüber, – da war ich wieder in Frankfurt; – ich lief ins Stift, machte die Thür auf: siehe da stand sie und sah mich an; kalt, wie es schien; Günderod', rief ich, darf ich hereinkommen? – sie schwieg, und wendete sich ab; Günderod', sag' nur ein Wort, und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, sagte sie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müssen uns doch trennen. – Was heißt das? – So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zusammen gehören. – Ach, ich wendete um! ach, erste Verzweiflung, erster grausamer Schlag, so empfindlich für ein junges Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieser Liebe, mußte so zurückgewiesen wer105den. – Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat sie mit zu gehen zur Günderode, zu sehen, was ihr fehle, sie zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angesicht zu gönnen; ich dachte, wenn ich sie nur einmal in's Auge fassen könne, dann wolle ich sie zwingen; ich lief über die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich stehen, ich ließ die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zitterte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich so oft zu ihr geführt hatte; – die Meline kam heraus mit verweinten Augen, sie zog mich schweigend mit sich fort; – einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich stand ich wieder auf den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schicksal mir nicht schmeicheln will, so wollen wir Ball mit ihm spielen; ich war heiter, ich war lustig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich im Schlaf. – Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da sah ich die Wohnung von Goethe’s Mutter, die ich nicht näher kannte und nie besucht hatte; ich trat ein. Frau Rath, sagte ich, ich will Ihre Bekanntschaft machen, mir ist eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verloren gegangen und die sollen Sie mir ersetzen; – wir wollen's versuchen, sagte sie, und so kam ich alle Tage und setzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem 106 Sohn erzählen und schrieb's alles auf und schickte es der Günderode; – wie sie in's Rheingau ging, sendete sie mir die Papiere zurück; die Magd, die sie mir brachte, sagte, es habe der Stiftsdame heftig das Herz geklopft, da sie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Frage, was sie bestellen solle, habe sie geantwortet: nichts. –

Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schlosser; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil er in's Rheingau reisen werde, und wolle gern ihre Bekanntschaft machen. Ich sagte, daß ich mit ihr brouillirt sei, ich bäte ihn aber, von mir zu sprechen und acht zu geben, was es für einen Eindruck auf sie mache. – wann gehen Sie hin, sagte ich, morgen? – Nein, in acht Tagen; – o gehen Sie morgen, sonst treffen Sie sie nicht mehr; – am Rhein ist's so melancholisch, sagte ich scherzend, da könnte sie sich ein Leid's anthun; –Schlosser sah mich ängstlich an; ja ja, sagt' ich muthwillig, sie stürzt sich in's Wasser oder ersticht sich aus bloßer Laune. – Frevlen Sie nicht, sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht: Geben Sie acht, Schlosser, Sie finden Sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich sage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten sie von unzeitiger me107lancholischer Laune; – und im Scherz beschrieb ich sie, wie sie sich umbringen werde im rothen Kleid, mit aufgelöstem Schnürband, dicht unter der Brust die Wunde; das nannte man tollen Übermuth von mir, es war aber bewußtloser Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkommen genau beschrieb. – Am andern Tag kam Franz und sagte: Mädchen, wir wollen in's Rheingau gehen, da kannst Du die Günderode besuchen. – Wann? fragte ich. – Morgen, sagte er; – ach, ich packte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, daß wir gingen; alles was ich begegnete, schob ich hastig aus dem Weg, aber es vergingen mehrere Tage und es ward die Reise immer verschoben; endlich, da war meine Lust zur Reise in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär' lieber zurückgeblieben. – Da wir in Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah in's mondbespiegelte Wasser; meine Schwägrin Toni saß am Fenster; die Magd, die den Tisch deckte, sagte: Gestern hat sich auch eine junge schöne Dame, die schon sechs Wochen hier sich aufhielt, bei Winckel umgebracht; sie ging am Rhein spazieren ganz lang, dann lief sie nach Hause, holte ein Handtuch; am Abend suchte man sie vergebens; am andern Morgen fand man sie am Ufer unter Weidenbüschen, sie hatte das Handtuch voll 108 Steine gesammelt und sich um den Hals gebunden, wahrscheinlich, weil sie sich in den Rhein versenken wollte, aber da sie sich in's Herz stach, fiel sie rückwärts, und so fand sie ein Bauer am Rhein liegen, unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefsten ist. Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und schleuderte ihn voll Abscheu weit in den Rhein, die Schiffer sahen ihn fliegen, – da kamen sie herbei und trugen sie in die Stadt. – Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hört' ich's mit an, und rief: das ist die Günderode! Man redete mir's aus, und sagte, es sei wohl eine andre, da so viel Frankfurter im Rheingau waren. Ich ließ mir's gefallen und dachte: grade was man prophezeihe, sei gewöhnlich nicht wahr. – In der Nacht träumte mir, sie käme mir auf einem mit Kränzen geschmückten Nachen entgegen, um sich mit mir zu versöhnen; ich sprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: es ist alles nicht wahr, eben hat mir's lebhaft geträumt! Ach, sagte der Bruder, baue nicht auf Träume! – Ich träumte noch einmal, ich sei eilig in einen Kahn über den Rhein gefahren, um sie zu suchen; da war das Wasser trüb' und schilfig, und die Luft war dunkel und es war sehr kalt; – ich landete an einem sumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuch109 ten Mauern, aus dem schwebte sie hervor und sah mich ängstlich an und deutete mir, daß sie nicht sprechen könne; – ich lief wieder zum Schlafzimmer der Geschwister und rief: nein, es ist gewiß wahr, denn mir hat geträumt, daß ich sie gesehen habe, und ich hab' gefragt: Günderode, warum hast Du mir dies gethan? Und da hat sie geschwiegen und hat den Kopf gesenkt und hat sich traurig nicht verantworten können. – Nun überlegte ich im Bett alles, und besann mich, daß sie mir früher gesagt hatte, sie wolle sich erst mit mir entzweien, eh' sie diesen Entschluß ausführen werde; nun war mir unsre Trennung erklärt, auch daß sie mir ein Zeichen geben werde, wenn ihr Entschluß reif sei; – das war also die Geschichte von ihrer todten Schwester, die sie mir ein halb Jahr früher mittheilte; da war der Entschluß schon gefaßt. – O ihr großen Seelen, dieses Lamm in seiner Unschuld, dieses junge zaghafte Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, so zu handeln? – Am andern Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter; –Franz hatte befohlen, daß das Schiff jenseits sich halten solle, um zu vermeiden, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort stand der Fritz Schlosser am Ufer, und der Bauer, der sie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die 110 Füße, und daß das Gras noch nieder liege, – und der Schiffer lenkte unwillkührlich dorthin, und Franz bewußtlos sprach im Schiff alles dem Bauern nach, was er in der Ferne verstehen konnte, und da mußt' ich denn mit anhören die schauderhaften Bruchstücke der Erzählung vom rothen Kleid, das aufgeschnürt war, und der Dolch, den ich so gut kannte, und das Tuch mit Steinen um ihren Hals, und die breite Wunde; – aber ich weinte nicht, ich schwieg. – Da kam der Bruder zu mir und sagte: sei stark, Mädchen. – Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man sich die Geschichte; ich lief in Windesschnelle an allen vorüber, den Ostein hinauf eine halbe Stunde Berg an, ohne auszuruhen; – oben war mir der Athem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den andern weit vorausgeeilt. – Da lag der herrliche Rhein mit seinem schmaragdnen Schmuck der Inseln; da sah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen, und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern, und die gesegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über diesen Verlust beschwichtigen werde, und da war auch der Entschluß gefaßt, kühn mich über den Jammer hinauszuschwingen, denn es schien mir unwürdig, Jammer zu äußern, den ich einstens beherrschen könne.

111 Briefwechsel mit Goethe.

113 Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben
    Petrarca's Brust, vor allen andern Tagen,
    Charfreitag. Eben so, ich darf's wohl sagen,
    Ist mir Advent von Achtzehnhundert sieben.

Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben
    Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,
    Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen,
    Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.

Petrarca's Liebe, die unendlich hohe,
    War leider unbelohnt und gar zu traurig,
    Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag;

Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe,
    Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig,
    Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag.

 

115 An Goethe.

Kassel, den 15. Mai 1807.

Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt etc.

Solche Worte schreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen mich diese? – Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; – ein Menschenkind, einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraus't, seiner selbst ungewiß hin- und herschwankend, wie Dornen und Disteln um es her – so bin ich; so war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend' ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden Angesicht beweisen, daß er mich durchdringt. O Gott! darf ich auch? – und bin ich nicht allzu kühn?

116 Und was will ich denn? – erzählen, wie die herrliche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegen kamen, jetzt in meinem Herzen wuchert? – alles andre Leben mit Gewalt erstickt? – wie ich immer muß hinverlangen, wo mir's zum ersten Mal wohl war? – Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! – ich bin weit entfernt, Ansprüche an das zu machen, was Ihre Güte mir zudenkt, – aber diese haben mich geblendet; und ich mußte zum wenigsten den Wunsch befriedigen, daß Sie wissen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.

Auch darf ich mich nicht scheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das sich aus meinem Herzen hervordrängt, wie die junge Saat im Frühling; – es mußte so sein, und der Saame war in mich gelegt; es ist nicht mein vorsätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Gespräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann setze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoos, oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich stehe an Ihrer Seite und umfasse Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre. Dann plaudre ich, wie es mir behagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, spreche ich mit Bedacht aus: Mein Kind! mein 117 artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, so klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geistern in eine andre Welt getragen zu sein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen so wiederhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen stände, – dann schaudre ich vor Freude und Sehnsucht zusammen. O wie viel hundertmal träumt man, und träumt besser, als einem je wird. – Muthwillig und übermüthig bin ich auch zuweilen, und preise den Mann glücklich, der so sehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es in freundlicher Großmuth.

Weh' mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd' ich im Leben das Herrlichste vermissen. Ach, ist der Wein denn nicht die süßeste und begehrlichste unter allen himmlischen Gaben? daß wer ihn einmal gekostet hat, trunkner Begeistrung nimmer abschwören möchte. – Diesen Wein werd' ich vermissen, und alles andre wird mir sein wie hartes geistloses Wasser, dessen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd' ich mich alsdann trösten können? – mit dem Lied etwa: Im Arm der Liebe ruht sich's wohl, wohl auch im Schooß der Erde? – oder: Ich wollt' ich läg' und schlief zehntausend Klafter tief.

Ich wollt' ich könnte meinen Brief mit einem Blick 118 in Ihre Augen schließen; schnell würde ich Vergebung der Kühnheit herauslesen, und diese noch mit einsiegeln; ich würde dann nicht ängstlich sein über das kindische Geschwätz, das mir doch so ernst ist. Da wird es hingetragen in rascher Eile viele Meilen; der Postillion schmettert mit vollem Enthusiasmus seine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: was bring' ich! – und nun bricht Goethe seinen Brief auf, und findet das unmündige Stammeln eines unbedeutenden Kindes. Soll ich noch Verzeihung fordern? – O, Sie wissen wohl, wie übermächtig, wie voll süßen Gefühls das Herz oft ist, und die kindische Lippe kann das Wort nicht treffen, den Ton kaum, der es wiederklingen macht.

Bettine Brentano.

119 An Bettine, im Brief an seine Mutter eingelegt
von Goethe.

Solcher Früchte, reif und süß, würde man gern an jedem Tag' genießen, den man zu den schönsten zu zählen berechtigt sein dürfte.

Wolfgang Goethe.

Liebe Mutter, geben Sie dies eingesiegelte Blättchen an Bettine und fordern sie auf, mir noch ferner zu schreiben.

 

120 An Goethe.

Am 25. Mai.

Wenn die Sonne am heißesten scheint, wird der blaue Himmel oft trübe; man fürchtet Sturm und Gewitter, beklemmende Luft drückt die Brust, aber endlich siegt die Sonne; ruhig und golden sinkt sie dem Abend in den Schoos.

So war mir's, da ich Ihnen geschrieben hatte; ich war beklemmt, wie wenn ein Gewitter sich spüren läßt, und ward oft roth über den Gedanken, daß Sie es unrecht finden möchten, und endlich ward mein Mißtrauen nur durch wenig Worte, aber so lieb gelöst. Wenn Sie wüßten wie schnelle Fortschritte mein Zutrauen in demselben Augenblick machte, da ich erkannte, daß Sie es gern wollen! – Gütiger, freundlich gesinnter Mann! ich bin so unbewandert in Auslegung solcher köstlichen Worte, daß ich schwankte über ihren Sinn; die Mutter aber sagte: sei nicht so dumm, er mag geschrieben haben, was er will, so heißt es, Du sollst ihm schreiben, so oft Du kannst und was Du willst. – Ach ich kann Ihnen nichts anders mittheilen, als blos, was in meinem Herzen vorgeht. O dürft' ich jetzt bei ihm sein, dacht' ich, so glühend hell sollte meine Freudensonne 121 ihm leuchten, wie sein Auge freundlich dem meinigen begegnet. Ja wohl herrlich! Ein Purpurhimmel mein Gemüth, ein warmer Liebesthau meine Rede, die Seele müßte wie eine Braut aus ihrer Kammer treten, ohne Schleier und sich bekennen: o Herr, in Zukunft will ich Dich oft sehen und lang' am Tage, und oft soll ihn ein solcher Abend schließen.

Ich gelobe es, dasjenige, was von der äußeren Welt unberührt in mir vorgeht, heimlich und gewissenhaft demjenigen darzulegen, der so gern Theil an mir nimmt, und dessen allumfassende Kraft den jungen Keimen meiner Brust Fülle befruchtender Nahrung verspricht.

Das Gemüth hat ohne Vertrauen ein hartes Loos; es wächst langsam und dürftig, wie eine heiße Pflanze zwischen Felsen; so bin ich, – so war ich bis heute, – und diese Herzensquelle, die nirgend wo ausströmen konnte, findet plötzlich den Weg an's Licht, und paradiesische Ufer im Balsamduft blühender Gefilde, begleiten ihren Weg.

O Goethe! – meine Sehnsucht, mein Gefühl sind Melodieen, die sich ein Lied suchen, dem sie sich anschmiegen möchten. Darf ich mich anschmiegen? – dann sollen diese Melodieen so hoch steigen, daß sie Ihre Lieder begleiten können.

122 Ihre Mutter schrieb wie von mir: daß ich keinen Anspruch an Antworten mache; daß ich keine Zeit rauben wolle, die Ewiges hervorbringen kann; so ist es aber nicht: meine Seele schreit, wie ein durstiges Kindchen; alle Zeiten, zukünftige und verflossene, möchte ich in mich trinken, und mein Gewissen würde mir wenig Bedenken machen, wenn die Welt von nun an weniger von Ihnen zu erfahren bekäme, und ich mehr. Bedenken Sie indeß, daß nur wenig Worte von Ihnen ein größeres Maß von Freude ausfüllen werden, als ich von aller späteren Zeit erwarte.

Bettine

Die Mutter ist sehr heiter und gesund, sie trinkt noch einmal so viel Wein wie vor'm Jahr, geht bei Wind und Wetter in's Theater; singt in ihrem Übermuth mir vor: „Zärtliche getreue Seele, deren Schwur kein Schicksal bricht.“

Extrablatt.

Wir führen Krieg, ich und die Mutter, und nun ist's so weit gekommen, daß ich kapituliren muß; die harte Bedingung ist, daß ich selbst Ihnen alles erzäh123len soll, womit ich's verschuldet habe, und den die gute Mutter so heiter und launig ertragen hat; sie hat eine Geschichte daraus zusammengesponnen, die sie mit tausend Plaisir erzählt; sie könnte es also selbst viel besser schreiben, das will sie nicht, ich soll's zu meiner Strafe erzählen, und da fühl' ich mich ganz beschämt.

Ich sollte ihr den Gall bringen, und führte ihr unter seinem Namen den Tieck zu; sie warf gleich ihre Kopfbedeckung ab, setzte sich und verlangte, Gall solle ihren Schädel untersuchen, ob die großen Eigenschaften ihres Sohnes nicht durch sie auf ihn übergegangen sein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irrthum zu benehmen; sie war gleich in heftigem Streit mit mir, und verlangte, ich solle ganz still schweigen und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam Gall selbst und nannte sich; die Mutter wußte nicht zu welchem sie sich bekehren solle, besonders da ich stark gegen den rechten protestirte, jedoch hat er endlich den Sieg davon getragen, indem er ihr eine sehr schöne Abhandlung über die großen Eigenschaften ihres Kopfs hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte versprechen sie nicht wieder zu betrügen. Ein paar Tage später kam eine gar zu schöne Gelegenheit mich 124 zu rächen. Ich führte ihr einen jungen Mann aus Strasburg zu, der kurz vorher bei Ihnen gewesen war; sie fragte höflich nach seinem Namen, noch eh' er sich nennen konnte, sagte ich: der Herr heißt Schneegans, hat Ihren Herrn Sohn in Weimar besucht und bringt Ihr viele Grüße von ihm. Sie sah mich verächtlich an und fragte: darf ich um Ihren werthen Namen bitten? Aber noch ehe er sich legitimiren konnte, hatte ich schon wieder den famösen Namen Schneegans ausgesprochen; ganz ergrimmt über mein grobes Verfahren, den fremden Herrn eine Schneegans zu schimpfen, bat sie ihn um Verzeihung und daß mein Muthwill keine Grenzen habe und manchmal sogar in's Alberne spiele; ich sagte: der Herr heißt aber doch Schneegans. O schweig, rief sie, wo kann ein vernünftiger Mensch Schneegans heißen! Wie nun der Herr endlich zu Wort kam und bekannte, daß er wirklich die Fatalität habe so zu heißen, da war es sehr ergötzlich die Entschuldigungen und Betheuerungen von Hochachtung gegenseitig anzuhören; sie amüsirten sich vortrefflich mit einander, als hätten sie sich Jahre lang gekannt, und bei'm Abschied sagte die Mutter mit einem heroischen Anlauf: leben Sie recht wohl Herr von Schneegans, 125 hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die Zunge bringen könne! –

Nun, da ich's geschrieben habe, erkenne ich erst wie schwer die Strafe ist, denn ich hab' einen großen Theil des Papiers beschrieben, ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir so sehr im Herzen liegen anzubringen. Ja, ich schäme mich Ihnen heute noch was anders zu sagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung und Liebe abzuschließen. Aber Morgen da fange ich einen neuen Brief an, und der hier soll nichts gelten.

Bettine.

An Goethe.

3ten Juni.

Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abgeholt, um doch eher schreiben zu dürfen, ohne unbescheiden zu sein. Ich möchte gar zu gern recht vertraulich, kindisch und selbst ungereimt an Sie schreiben dürfen, wie mir's im Kopf käme; – darf ich? z.B., daß ich verliebt war fünf Tage lang, ist das ungereimt? – Nun, was spiegelt sich denn in Ihrer Jugend126quelle? – Nur hineingeschaut; Himmel und Erde malen sich drinn; in schöner Ordnung stehen die Berge und die Regenbogen, und die blitzdurchriss'nen Gewitterwolken, und ein liebend Herz schreitet durch, höherem Glück entgegen; und den Sonnedurchleuchteten Tag kränzet der heimliche Abend in Liebchens Arm.

Drum sei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage lang verliebt war.

Bettine.

127 Goethe an B.

10ten Juni.

Der Dichter ist manchmal so glücklich, das ungereimte zu reimen, und so wär' es Ihnen zu gestatten, liebes Kind, daß Sie ohne Rückhalt alles, was Sie der Art mitzutheilen haben, ihm zukommen ließen.

Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Beschreibung dessen, der in fünftägigem Besitz Ihres Herzens war, und ob Sie auch sicher sind, daß der Feind nicht noch im Versteck lauert. Wir haben auch Nachrichten von einem jungen Mann, der in eine große Bärenmütze gehüllt in Ihrer Nähe weilt, und vorgiebt, seine Wunden heilen zu müssen, während er vielleicht im Sinne hat, die gefährlichsten zu schlagen.

Erinnern Sie sich jedoch bei so gefahrvollen Zeiten des Freundes, der es angemessener findet, Ihren Herzenslaunen jetzt nicht in den Weg zu kommen.

G.

 

128 Lieber Goethe! lieber Freund! –

14ten Juni.

Heute hab' ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen für einen Titel geben darf; da hat sie mir die beiden frei gelassen, – ich hab' sie beide hingeschrieben; ich seh' der Zeit entgegen wo meine Feder anders dahin tanzen wird, – unbekümmert, wo die Flammen hinausschlagen; wo ich Ihnen mein verborgnes Herz entdecke, das so ungestüm schlägt und doch zittert. Werden Sie mir solche Ungereimtheiten auch auflösen? – Wenn ich in derselben Natur mich weiß, deren inneres Leben durch ihren Geist mir verständlich wird, dann kann ich oft beide nicht mehr von einander unterscheiden; ich leg' mich an grünen Rasen nieder mit umfassenden Armen, und fühle mich Ihnen so nah wie damals, wo Sie den Aufruhr in meinem Herzen zu beschwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von meinen Armen umfaßt, so lange mich ruhig anzusehen, bis ich von der Gewißheit meines Glückes mich durchdrungen fühlte.

Lieber Freund! wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal so erkannt und so ergriffen war, wieder verlo129ren gehen könne? – Nein! – Sie sind mir nimmer fern. Ihr Geist lächelt mich an und berührt mich zärtlich vom ersten Frühlingsmorgen bis zum letzten Winterabend.

So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimniß mit der Bärenmütze für Ihren leisen Spott über meine ernste Treue auf das beschämendste erklären. – Nichts ist reizender als die junge Pflanze, in voller Blüthe stehend, auf der der Finger Gottes jeden frischen Morgen den zarten Thau in Perlen reihet, und ihre Blätter mit Duft bemalt. – So blüheten im vorigen Jahr ein paar schöne blaue Augen unter der Bärenmütze hervor, so lächelten und schwätzten die anmuthigen Lippen, so wogten die schwanken Glieder, und so schmiegte sich zärtliche Neigung in jede Frage und Antwort, und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. – Ich sah's mit an und verstand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte den jungen Husaren zur Günderode, die traurig war; wir waren jeden Abend zusammen, der Geist spielte mit dem Herzen, tausend Äußerungen und schöne Modulationen hörte und fühlte ich, – und doch war ich nicht verliebt. – Er ging, – man sah, daß der Abschied sein Herz bedrängte; wenn ich nicht 130 wiederkehre, sagte er, so glauben Sie, daß die köstlichste Zeit meines Lebens diese letzte war. – Ich sah ihn die Stiegen hinabspringen, ich sah seine reizende Gestalt, in der Würde und Stolz seiner schwanken Jugend gleichsam einen Verweis geben, sich auf's Pferd schwingen und fort in den Kugelregen reiten, – und ich seufzte ihm nicht nach.

Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarbten Wunde auf der Brust; er war blaß und matt, und blieb fünf Tage bei uns. Abends, wenn alles um den Theetisch versammelt war, saß ich im dunkeln Hintergrund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er spielte auf der Guitarre; – da hielt ich eine Blume vor's Licht, und ließ ihren Schatten auf seinen Fingern spielen, – das war mein Wagstück; – mir klopfte das Herz vor Angst, er möchte es merken; da ging ich in's Dunkel zurück und behielt meine Blume, und die Nacht legte ich sie unter's Kopfkissen. – Das war die letzte Hauptbegebenheit in diesem Liebesspiel von fünf Tagen.

Dieser Jüngling, dessen Mutter stolz sein mag auf seine Schönheit; von dem die Mutter mir erzählte, er sei der Sohn der ersten Heißgeliebten meines geliebten Freundes, hat mich gerührt.

Und nun mag der Freund sich's auslegen, wie es 131 kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen hatte, und im vorigen Jahre nicht.

Du hast mich geweckt mitten in lauen Sommerlüften, und da ich die Augen aufschlug, sah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir schweben, und da langt ich nach ihnen.

Adieu! in der Mutter Brief steht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.

Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schlosser in Ihren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.

Bettine.

Dein Kind, dein Herz, dein gut Mädchen, das dem Goethe über alles lieb hat, und sich mit seinem Andenken über alles trösten kann.

 

An Goethe.

18ten Juni.

Gestern saß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, Sie sah mich an und sagte: Nun was giebt's? – warum siehst Du mich nicht an? – ich wollte sie solle mir erzählen; – ich hatte den Kopf in meine Arme 132 verschränkt. Nein, sagte sie, wenn Du mich nicht ansiehst, so erzähl' ich nichts; und da ich meinen Eigensinn nicht brechen konnte, ward sie ganz still. – Ich ging auf und ab durch die drei langen, schmalen Zimmer, und so oft ich an ihr vorüberschritt, sah sie mich an, als wolle sie sagen: Wie lang' soll's dauern? – endlich sagte sie: hör! – ich dächte Du gingst; – Wohin? fragte ich. – Nach Weimar zumWolfgang, und holtest Dir wieder Respekt gegen seine Mutter; ach Mutter, wenn das möglich wär'! sagte ich, und fiel ihr um den Hals, und küßte sie und lief im Zimmer auf und ab. Ei, sagte sie, warum soll es denn nicht möglich sein? Der Weg dahin hängt ja an einander und ist kein Abgrund dazwischen; ich weiß nicht was Dich abhält, wenn Du eine so ungeheure Sehnsucht hast; – eine Meile vierzigmal zu machen ist der ganze Spaß, und dann kommst Du wieder und erzählst mir alles. –

Nun hab' ich die ganze Nacht von der einen Meile geträumt, die ich vierzigmal machen werde; es ist ja wahr, die Mutter hat recht, nach vierzig durchjagten Stunden läg' ich am Herzen des Freundes; es ist auf dieser Erde, wo ich ihn finden kann, auf gebahnten Wegen gehet die Straße, alles deutet dorthin, der Stern am Himmel leuchtet bis zu seiner Schwelle, die Kinder am Weg 133 rufen mir zu: dort wohnt er! – Was hält mich zurück? – ich bin allein meiner heißen Sehnsucht Zeuge, und sollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, diese sehnsüchtigen Gedanken – es sind Gestalten; sie sehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben verschleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. – O Goethe, ertrag' mich, nicht alle Tage bin ich so schwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles versprichst. Es geht wie ein schneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir sein möchte; – bei Dir, und nichts anders will ich, so wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wissen, nichts soll sich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte sollen schweigen; stille soll's in der Zeit sein, und Du sollst ausharren in Gelassenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Brust verwunden sind.

19ten Juni.

Gestern Abend war's so, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Thür auf und löschte mir das Licht, 134 bei dem ich Dir geschrieben habe. – Meine Fenster waren offen, und die Pläne waren nieder gelassen; der Sturmwind spielte mit ihnen; – es kam ein heftiger Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel aufgestört – er flog hinaus in den Sturm, er schrie nach mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erst wie das Wetter vorüber war legt' ich mich schlafen; ich war müde und sehr traurig, auch um meinen lieben Vogel. Wie ich noch bei der Günderode die Griechische Geschichte studirte, da zeichnete ich Landkarten, und wenn ich die Seen zeichnete, da half er Striche hinein machen, daß ich ganz verwundert war, wie emsig er mit seinem kleinen Schnabel immer hin und her kratzte.

Nun ist er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekostet; da hab' ich gedacht, wenn ich nun hinausflög', um Dich zu suchen, und käm' durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Thür, die Du mir nicht öffnen würdest, – nein Du wärst fort; Du hättest nicht auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du gehest andern Menschen nach, Du bewegst Dich in andern Regionen; bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache halten, bald die tiefen abgründlichen Felskerne; bald schreitet dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten, und dann nimmst Du 135 der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; deine Leyer findest Du immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frischgekränzt entgegen prangte, würdest Du fragen: Wer hat mir diese schönen Kranz gewunden? – Dein Gesang würde diese Blumen bald versengen; sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren, und bald würden sie unbeachtet am Boden schleifen.

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingiebt, alles heiße Sehnen und Wollen, kann ich nur solchen Feldblumen vergleichen; – sie thun unbewußt über dem grünen Rasen ihre goldnen Augen auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond, und verhüllen die zitternden, Thränen-belasteten Blumen in Nacht und betäubenden Schlummer. So bist Du Poete ein vom Sternenreigen seiner Eingebungen umtanzter Mond; meine Gedanken aber liegen im Thal, wie die Feldblumen, und sinken in Nacht vor Dir, und meine Begeisterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken schlafen unter deinem Firmament.

Bettine.

136 Goethe an Bettine.

18ten Juni.

Mein liebes Kind! ich klage mich an, daß ich Dir nicht früher ein Zeichen gegeben, wie genußreich und erquickend es mir ist, das reiche Leben deines Herzens überschauen zu dürfen. Wenn es auch ein Mangel in mir ist, daß ich Dir nur wenig sagen kann, so ist es Mangel an Fassung über alles was Du mir giebst.

Ich schreibe Dir diesen Augenblick im Flug', denn ich fürchte da zu verweilen, wo so viel überströmendes mich ergreift. Fahre fort, deine Heimath bei der Mutter zu befestigen; es ist ihr zu viel dadurch geworden, als daß sie dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine Liebe und meinen Dank.

G.

137 An Goethe.

Frankfurt am 29ten Juni.

Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder fließen ließ, so würdest Du manches Blatt von mir bei Seite legen, denn immer von mir und von Dir, und einzig von meiner Liebe, das wär' doch nur der bewußte ewige Inhalt.

Ich hab's in den Fingerspitzen, und meine ich müßte Dir erzählen, was ich Nachts von Dir geträumt habe, und denk' nicht, daß Du für anders in der Welt bist. Häufig hab' ich denselben Traum, und es hat mir schon viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer unter denselben Bedingungen mit Dir zu thun hat; es ist als solle ich vor Dir tanzen, ich bin ätherisch gekleidet, ich hab' ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge umdrängt mich. – Ich suche Dich, dort sitzest Du frei mir gegenüber; es ist als ob Du mich nicht bemerktest und seiest mit anderem beschäftigt; – jetzt trete ich vor Dich, goldbeschuhet, und die silbernen Ärme hängen nachlässig, und warte; da hebst Du das Haupt, dein Blick ruht auf mir unwillkührlich, ich ziehe mit leisen Schritten magische Kreise, dein Aug' verläßt mich nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende 138 und ich fühle einen Triumph des Gelingens; – alles was Du kaum ahndest, das zeige ich Dir im Tanz, und Du staunst über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf' ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir meine Flügel, und steig' auf in die Höhen; da freu' ich mich, wie dein Aug' mich verfolgt; dann schweb' ich wieder herab, und sink' in deine umfassenden Arme; dann athmest Du Seufzer aus, und siehst an mir hinauf und bist ganz durchdrungen; aus diesen Träumen erwachend kehr' ich zu den Menschen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen schallen mir fremd, und ihre Geberden auch; – und nun laß mich bekennen, daß bei diesen Bekenntniß meiner Traumspiele meine Thränen fließen. Einmal hast Du für mich gesungen: So laßt mich scheinen bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus. – Diese magischen Reize, diese Zauberfähigkeiten sind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: diese Ahndung läßt sich nicht bestreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und daß diese Welt, in der meine Sinne lebendig sind, versinken wird; das, was ich schützend decken sollte, das werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer139fen sollte, da werde ich mich rächen; und da wo mir unbefangne kindliche Weisheit einen Wink giebt, da werd' ich Trotz bieten und es besser wissen wollen; – aber das traurigste wird sein, daß ich mit dem Fluch der Sünde belasten werde, was keine ist, wie sie es alle machen; – und mir wird Recht dafür geschehen. – Du bist mein Schutzaltar, zu Dir werd' ich flüchten; diese Liebe, diese mächtige, die zwischen uns waltet, und die Erkenntniß, die mir durch sie wird, und die Offenbarungen, die werden meine Schutzmauern sein; sie werden mich frei machen von denen, die mich richten wollen.

Dein Kind.

An Goethe.

Vorgestern waren Wir im Egmont, sie riefen alle: Herrlich! Wir gingen noch nach dem Schauspiel unter den Mondbeschienenen Linden auf und ab, wie es Frankfurter Sitte ist, da hört' ich tausendfachen Wiederhall. – Der kleine Dalberg war mit uns; er hatte deine Mutter im Schauspiel gesehen und verlangte, ich solle ihn zu ihr bringen; sie war eben im Begriff, Nachttoilette zu machen, da sie aber hörte, er komme 140 vom Primas, so ließ sie ihn ein; sie war schon in der weißen Negligeejacke, aber sie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg sagte ihr, sein Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen gesehen, während der Vorstellung, und er wünsche sie vor seiner Abreise noch zu sprechen, und möchte sie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag essen. Die Mutter war sehr geputzt bei diesem Diner das mit allerlei Fürstlichkeiten und sonst merkwürdigen Personen besetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrscheinlich invitirt war, denn alle drängten sich an sie heran, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Sie war sehr heiter und beredsam, und nur von mir suchte sie sich zu entfernen. Sie sagte mir nachher, sie habe Angst gehabt, ich möge sie in Verlegenheit bringen; ich glaube aber, sie hat mir einen Streich gespielt, denn der Primas sagte mir sehr wunderliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm gesagt habe, ich habe einen erhabenen ästhetischen Sinn. Da nahm er einen schönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelson, und sagte: dieser feine Mann mit der Habichtsnase der soll Sie zu Tisch führen, er ist der schönste von der ganzen Gesellschaft, nehmen Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verstand aber nichts davon. Bei Tisch wechselte er mein Glas, 141 aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaubniß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm sonst nicht schmecken; das ließ ich geschehen, und alle Weine, die ihm vorgesetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank sie mit begeisterten Blicken aus; es war eine wunderliche Tischunterhaltung; bald rückte er seinen Fuß dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebste Unterhaltung sei; ich sagte, ich tanze lieber als ich gehe, und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich meinen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den ich vorgesteckt hatte, in's Wasserglas gestellt, damit er nicht sobald welken solle, um ihn nach Tisch wieder vorzustecken, er frug: Will you give me this? ich nickte ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er steckte ihn in Busen und knöpfte die Weste darüber zu, und seufzte, und da sah er, daß ich roth ward. – Sein Gesicht übergoß sich mit einem Schmelz von Freundlichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzuschlagen, als wolle er mich auffordern, seine wohlgefällige Bildung zu beachten; sein Fuß suchte wieder den meinen, und mit leiser Stimme sagte er: bee good fine girl. –Ich konnte ihm nicht unfreundlich sein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da zog ich das eine End' meines langen Gürtels um sein 142 Bein, und band es geschickt an dem Tischbein fest, ganz heimlich, daß es Niemand sah; er ließ es geschehen, ich sagte: bee good fine boy. – Und nun waren wir voll Scherz und Witz bis zum End' der Tafel, und es war wirklich eine zärtliche Lust zwischen uns; und ich ließ ihn sehr gern' meine Hand an sein Herz ziehen, wie er sie küßte. –

Ich hab' meine Geschichte der Mutter erzählt', die sagt', ich soll sie Dir schreiben, es sei ein artig Lustspiel für Dich, und Du würdest sie allein schön auslegen; es ist ja wahr, Du! der es weiß, daß ich gern den Nacken unter deine Füße lege, Du wirst mich nicht schelten, daß ich der Kühnheit des Engländers, der gern mit meinem Fuß gespielt hätte, keinen strengeren Verweis gab. – Du, der die Liebe erkennt, und die Feinheit der Sinne, o wie ist alles so schön in Dir; wie rauschen die Lebensströme so kräftig durch dein erregtes Herz, und stürzen sich mit Macht in die kalten Wellen deiner Zeit, und brausen auf, daß Berg und Thal rauchen von Lebensgluth, und die Wälder stehen mit glühenden Stämmen an deinen Gestaden; und alles was Du anblickst wird herrlich und lebendig. Gott, wie gern möcht' ich jetzt bei Dir sein! und wär' ich im Flug, weit über alle Zeiten, und schwebte über Dir: ich müßte 143 die Fittige senken und mich gelassen der stillen Allmacht Deiner Augen hingeben.

Die Menschen werden Dich nicht immer verstehen; und die Dir am nächsten zu stehen behaupten, die werden am meisten Dich verläugnen; ich seh' in die Zukunft, da sie rufen werden: „Steiniget ihn!« Jetzt, wo Deine eigne Begeistrung, gleich einem Löwen sich an Dich schmiegt und Dich bewacht, da wagt sich die Gemeinheit nicht an Dich.

Deine Mutter sagte letzt: Die Menschen sind zu jetziger Zeit alle wie Gerning, der immer spricht: „wir übrigen Gelehrten,“ und ganz wahr spricht, denn er ist übrig. –

Lieber todt als übrig sein! Ich bin es aber nicht, denn ich bin Dein, weil ich Dich erkenne in allem. – Ich weiß, daß wenn sich auch die Wolken vor dem Sonnengott aufthürmen, daß er sie bald wieder niederdrückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er keinen Schatten duldet, als den er unter den Sprossen seines Ruhmes sich selber sucht. – Die Ruhe des Bewußtseins wird Dich überschatten; – ich weiß, daß wenn er sich über den Abend hinwegbeugt, so erhebt er wieder im Morgen das goldne Haupt. – Du bist ewig. – D'rum ist es gut mit Dir sein.

144 Wenn ich Abends allein im dunklen Zimmer bin und des Nachbars Lichter den Schein an die Wand werfen, zuweilen auch Streiflichter Deine Büste erleuchten, oder wenn es schon still in der Stadt ist, in der Nacht; hier und dort ein Hund bellt, ein Hahn schreit; – ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menschlich ergreift; ich weiß nicht, wo ich vor Schmerz hin will. – Ich möchte anders als wie mit Worten mit Dir sprechen; ich möchte mich an Dein Herz drücken; – ich fühl', daß meine Seele lodert. – Wie die Luft so fürchterlich still ruht kurz vor dem Sturm, so stehen dann grad' meine Gedanken kalt und still, und das Herz wogt wie das Meer. Lieber, lieber Goethe! – dann löst mich eine Rückerinnerung an Dich wieder auf; die Feuer- und Kriegszeichen gehen langsam an meinem Himmel unter, und Du bist wie der hereinströmende Mondstrahl. Du bist groß und herrlich und besser als alles, was ich bis heute erkannt und erlebt hab', – Dein ganzes Leben ist so gut.

145 An Bettine.

Am 16. Juli 1807.

Was kann man Dir sagen und geben, was Dir nicht schon auf eine schönere Weise zugeeignet wäre; man muß schweigen und Dich gewähren lassen; wenn es Gelegenheit giebt, Dich um etwas zu bitten, da mag man seinen Dank mit einfließen lassen für das viele, was unerwartet durch Deine reiche Liebe einem geschenkt wird. Daß Du die Mutter pflegst, möchte ich Dir gern auf's Herzlichste vergelten; – von dorther kam mir der Zugwind, und jetzt, weil ich Dich mit ihr zusammen weiß, fühl' ich mich gesichert und warm.

Ich sage Dir nicht: komm! ich will nicht den kleinen Vogel aus dem Neste gestört haben; aber der Zufall würde mir nicht unwillkommen sein, der Sturm und Gewitter benützte, um ihn glücklich unter mein Dach zu bringen. Auf jeden Fall, liebste Bettine, bedenke, daß Du auf dem Weg' bist, mich zu verwöhnen.

Goethe.

146 An Goethe.

Wartburg, den 1. August in der Nacht.

Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchste Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.

Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich scheiden mußte, da ich glaubte, ich müsse ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich so dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zusammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müsse ich mich festhalten, – aber sie verschwanden, die grünen wohlbekannten Räume, sie wichen in die Ferne, die geliebten Auen und Deine Wohnung war längst hinabgesunken, und die blaue Ferne schien allein mir meines Lebens Räthsel zu bewachen; – doch die mußt' auch noch scheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als mein heiß' Verlangen, und meine Thränen flossen diesem Scheiden; ach, da besann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt bist in nächtlichen Stunden, und hast mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge147bilde auslegte und meine Liebe, meine schönen Träume, und hast mit mir gelauscht dem Geflüster der Blätter im Nachtwind; der Stille der fernen weit verbreiteten Nacht. – Und hast mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an der Hand führtest durch die Straßen, da hab' ich's an Deinem Athem empfunden, am Ton Deiner Stimme, an etwas, wie soll ich's Dir bezeichnen, das mich umwehte, daß Du mich aufnahmst in ein inneres geheimes Leben, und hattest Dich in diesem Augenblick mir allein zugewendet und begehrtest nichts als mit mir zu sein; und dies alles, wer wird mir's rauben? – was ist mir verloren? – Mein Freund, ich habe alles, was ich je genossen. Und wo ich auch hingehe – mein Glück ist meine Heimath.

Wie die Regentropfen rasseln an den kleinen runden Fensterscheiben, und wie der Wind furchtbar tobt! Ich habe schon im Bett gelegen, und hatte mich nach der Seite gewendet, und wollte einschlafen in Dir, im Denken an Dich. – Was heißt das: im Herrn entschlafen? Oft fällt mir dieser Spruch ein, wenn ich so zwischen Schlaf und Wachen fühle, daß ich mit Dir beschäftigt bin; – ich weiß genau, wie das ist: der ganze irdische Tag vergeht dem Liebenden, wie das irdische Leben der Seele vergeht; sie ist hier und da in 148 Anspruch genommen, und ob sie sich's schon verspricht, sich selber nicht zu umgehen; so hat sie sich am End' durch das Gewebe der Zeiten durchgearbeitet, immer unter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rücksprache zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen im Vorüberschreiten jede ihre Bitten und Befehle dar; und da ist ein übermächtiger Wille im Menschen, der heißt ihn allem sich fügen; den läßt er über sich walten, wie das Opfer über sich walten läßt, das da weiß, es wird zum Altar geführt. – Und so entschläft die Seele im Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit, die ihr Tyrann war und jetzt den Szepter sinken läßt. Da steigen göttliche Träume herauf, und nehmen sie in ihren Schoos, und hüllen sie ein, und ihr magischer Duft wird immer stärker und umnebelt die Seele, daß sie nichts mehr von sich weiß; das ist die Ruhe im Grabe; so steigen Träume herauf jede Nacht, wenn ich mich besinnen will auf Dich, und ich lasse mich ohne Widerstand einwiegen, denn ich fühle, daß mein Wolkenbett aufwärts mit mir steigt! –

Wenn Du diese Nacht auch wach gehalten bist, so mußt Du doch einen Begriff haben von dem ungeheueren Sturm. Eben wollte ich noch ganz stark sein und mich gar nicht fürchten; da nahm aber der Wind einen 149 so gewaltigen Anlauf, und klirrte an den Fensterscheiben und heulte so jammernd, daß ich Mitleid spürte, und nun riß er so tückisch die schwere Thüre auf, er wollte mir das Licht auslöschen; ich sprang auf den Tisch und schützte es, und ich sah durch die offne Thür nach dem dunklen Gang, um doch gleich bereit zu sein, wenn Geister eintreten sollten; ich zitterte vor herzklopfender Angst; da sah ich was sich bilden, draußen im Gang; und es war wirklich, als wollten zwei Männer eintreten, die sich bei der Hand hielten; einer weiß und breitschultrig, und der andre schwarz und freundlich; und ich dachte: das ist Goethe! Da sprang ich vom Tisch Dir entgegen und lief zur Thür hinaus auf den dunklen Gang, vor dem ich mich gefürchtet hatte, und ging bis an's Ende Dir entgegen, und meine ganze Angst hatte sich in Sehnsucht verwandelt; und ich war traurig daß die Geister nicht kamen, Du und der Herzog. – Ihr seid ja oft hier gewesen zusammen, Ihr zwei freundlichen Brüder.

Gute Nacht, ich bin begierig auf morgen früh; da muß sich's ausweisen, was der Sturm wird angerichtet haben; das Krachen der Bäume, das Rieseln der Wasser wird doch was durchgesetzt haben.

150 Am 2. August.

Heute Morgen hat mich die Sonne schon halb fünf Uhr geweckt; ich glaub' ich hab' keine zwei Stund' geschlafen; sie mußte mir grad' in die Augen scheinen. Eben hatte es aufgehört mit Wolkenbrechen und Windwirblen, die goldne Ruh breitete sich aus am blauen Morgenhimmel; ich sah die Wasser sich sammlen und ihren Weg zwischen den Felskanten suchen hinab in die Fluth; gestürzte Tannen brachen den brausenden Wassersturz, und Felssteine spalteten seinen Lauf; er war unaufhaltsam; er riß mit sich, was nicht widerstehen konnte. – Da überkam mich eine so gewaltige Lust – ich konnte auch nicht widerstehen: ich schürzte mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den Haaren im Zaum; ich stützte beide Hände in die Seite, um mich im Gleichgewicht zu halten, und sprang hinab, in kühnen Sätzen von einem Felsstück zum andern, bald hüben bald drüben, das brausende Wasser mit mir, kam ich unten an; da lag, als wenn ein Keil sie gespalten hätte bis an die Wurzel, der halbe Stamm einer hohlen Linde, quer über den sich sammlenden Wassern.

O liebster Freund! der Mensch, wenn er Morgennebel trinkt und die frischen Winde sich mit ihm jagen, und der Duft der jungen Kräuter in die Brust eindringt 151 und in den Kopf steigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus den Haaren schüttelt, was ist das für eine Lust!

Auf dem umgestürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dick belaubten Ästen unzählige Vogelnester, kleine Meisen mit schwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, sieben in einem Neste, und Finken und Distelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, sie groß zu ziehen in so schwieriger Lage; denk' nur: aus dem blauen Himmel herabgestürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn so ein Vögelchen heraus fällt, muß es gleich ersaufen, und noch dazu hängen alle Nester schief. – Aber die hunderttausend Bienen und Mücken die mich umschwirrten, die all' in der Linde Nahrung suchten; – wenn Du doch das Leben mit angesehen hättest! Da ist kein Markt so reich an Verkehr, und alles war so bekannt, jedes suchte sein kleines Wirthshaus unter den Blüthen, wo es einkehrte; und emsig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da summten sie an einander vorbei, als ob sie sich's sagten, wo gut Bier feil ist. – Was schwätze ich Dir alles von der Linde! – und doch ist's noch nicht genug; an der Wurzel hängt 152 der Stamm noch zusammen; ich sah hinauf zu dem Gipfel des stehenden Baumes, der nun sein halbes Leben am Boden hinschleifen muß, und im Herbst stirbt er ihm ab. Lieber Goethe, hätte ich meine Hütte dort in der einsamen Thalschlucht, und ich wär' gewöhnt, auf Dich zu warten, welch großes Ereigniß wär' dieses; wie würd' ich Dir entgegen springen und von weitem schon zurufen: „Denk' nur unsere Linde!“ – Und so ist es auch: ich bin eingeschlossen in meiner Liebe, wie in einsamer Hütte, und mein Leben ist ein Harren auf Dich unter der Linde; wo Erinnerung und Gegenwart duftet, und die Sehnsucht die Zukunft herbeilockt. Ach, lieber Wolfgang, wenn der grausame Sturm die Linde spaltet, und die üppigere stärkere Hälfte mit allem inne wohnenden Leben zu Boden stürzt, und ihr grünes Laub, über bösem Geschick, wie über stürzenden Bergwassern, traurend welkt, und die junge Brut in ihren Ästen verdirbt; o dann denk' daß die eine Hälfte noch steht, und in ihr alle Erinnerung und alles Leben, was dieser entsprießt, zum Himmel getragen wird.

Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir nicht so nah, daß ein Brief, den ich früh geschrieben, Dir spät die Zeit vertreibt. – Ach lasse sie Dir vertreiben als wenn ich selbst bei Dir wär: zärtlich!

153 In Kassel bleib' ich vierzehn Tage, dort werd' ich der Mutter schreiben; sie weiß noch nicht, daß ich bei Dir war.

Bettine.

 

An Bettine.

War unersättlich nach viel tausend Küssen,
Und mußt' mit Einem Kuß am Ende scheiden.
Bei solcher Trennung herb empfundnem Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,

Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen,
So lang' ich's deutlich sah, ein Schatz der Freuden.
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fern entwichnen lichten Finsternissen.

Und endlich als das Meer den Blick umgränzte,
Fiel mir's zurück in's Herz, mein heiß Verlangen,
Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.

Da war es gleich als ob der Himmel glänzte,
Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen,
Als hätt' ich alles, was ich je genossen.

————

154 Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,
Dem Ocean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltsam fort zu Thale.

Doch stürzt sich Oreas mit einemmale,
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden
Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale.

Die Welle sprüht und staunt zurück und weichet,
Und schwillt Berg an, sich immer selbst zu trinken.
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben,

Sie schwankt und ruht zum See zurück gedeichet.
Gestirne spiegelnd sich, beschau'n das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

Deine fliegenden Blätter, liebste Bettine, kamen grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Verschwinden in etwas zu steuern. Beiliegend gebe ich Dir einen Theil derselben zurück; Du siehst wie man versucht, sich an der Zeit die uns des Liebsten beraubt, zu rächen und schöne Minuten zu verewigen. Möge sich Dir der Werth darin spiegeln, den Du für den Dichter haben mußt.

Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern, so versäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich 155 folge Dir gerne, wo Dich auch Dein dämonischer Geist hinführt.

Ich lege diese Blätter an die Mutter bei, die Dir sie zu freundlicher Stunde senden mag, da ich Deine Adresse nicht genau weiß. – Lebe wohl und komme Deinen Verheißungen nach. Weimar, den 7. August 1807:

Goethe.

An Goethe.

Kassel, den 13. August 1807.

Wer kann's deuten und ermessen, was in mir vorgeht? – Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Vergangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war; mein erregtes Herz, die Überraschung bei Dir zu sein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, so wie er auch immer dunkler ist, wo er an die Erde gränzt; jetzt in der Ferne wird er mild und hoch und ganz hell.

Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden 156 an mein Herz drücken und Dir sagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen ist, seitdem ich Dich weiß.

Ich weiß, daß es nicht der Abend ist, der mir jetzt in's Leben hereindämmert; o wenn er's doch wäre! Wenn sie doch schon verlebt wären die Tage, und meine Wünsche und meine Freuden, möchten sie sich alle an Dir hinaufbilden, daß Du mit überdeckt wärst und bekränzt, wie mit immergrünem Laub.

Aber so warst Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte; Du hast über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht weil ich weinte, aber warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens was mich zu Thränen rührte, so wie es meine Thränen waren die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und sehe unter der Hülle dieses Räthsels Rosen hervorbrechen, die der Wehmuth und der Freude zugleich entsprießen. – Ja, Du hast recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Lust durchwühlen, ich werde mich müde tummlen, so wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub' es war gestern!) mich aus Übermuth auf den blühenden Feldern herumwälzte und alles zusammen drückte, und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um sie in's Wasser 157 zu werfen, – aber auf süßem, warmem, festem Ernst will ich ausruhen, und der bist Du, lachender Prophet. –

Ich sag' Dir's noch einmal: wer versteht's auf der weiten Erde was in mir vorgeht, wie ich so ruhig in Dir bin, so still, so ohne Wanken in meinem Gefühl; ich könnte, wie die Berge, Nächte und Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von der ganzen blühenden Welt den Duft und Saamen zusammen auf der Berge Wipfel trägt, so werden sie auch berauscht, so wie ich gestern; da hab' ich die Welt geliebt, da war ich selig wie eine aufsprudelnde Quelle, in die die Sonne zum ersten Mal scheint.

Leb' wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich verschüchtert. – Von diesem steilen Fels, auf den sich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, ist nicht mehr herunter zu klettern, daran ist gar nicht zu denken, da bräch' ich auf allen Fall den Hals.

Bettine.

Und so weit hatte ich gestern geschrieben, saß heute Morgen auf dem Sessel und las still und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu bewegen, denn ich wurde dabei gemalt, so wie Du mich bald sehen sollst, – da 158 brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergeboren, und zum erstenn Mal glaubte ich an meine Seligkeit.

Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du betäubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; – wär's nur ganz still in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach diesem einen Augenblick der mich schmerzt, und nach dem ich mich immer zurücksehnen werde. – Ach! und was will ich denn mit Dir? – Nicht viel; Dich ansehen oft und warm, Dich begleiten in Dein stilles Haus, Dich ausfragen in müßigen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, so wie ich Dein Angesicht ausgefragt hab' über seine frühere und jetzige Schönheit. – Auf der Bibliothek da konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büste aufzuschwingen, und meinen Schnabel wie eine Nachtigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals die üppigen Gegenden der Jugend durchbraustest, und jetzt eben ganz still durch Deine Wiesen zogst; ach, und ich stürzte Dir Felssteine vor; und wie Du wieder Dich aufthürmtest; wahrlich es war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief eingewühlt. 159 O Goethe! – der Gott da oben ist ein großer Dichter, der bildet Geschicke frei im Äther schwebend, glanzvoller Gestalt. Unser armes Herz das ist der Mutterschooß, aus dem er sie mit großen Schmerzen geboren werden lässet; das Herz verzweifelt, aber jene Geschicke schwingen sich aufwärts, freudig hallen sie wieder in den himmlischen Räumen. – Deine Lieder sind der Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, – ich fühl's, mag sich's wenden wie es auch will, frei von irdischer Schwere wird es als himmlisches Gedicht einst aufwärts sich schwingen, und dem Gott da oben werden diese Schmerzen und diese Sehnsucht und diese begeisterten Schwingungen Sprossen des jungen Lorbeers weihen, und selig wird das Herz sein, das solche Schmerzen getragen hat.

Siehst Du, wie ich heute ernsthaft mit Dir zu sprechen versteh'? – ernster als je; und weil Du jung bist, und herrlich, und herrlicher wie alle, so wirst Du mich auch verstehen. – Ich bin ganz sanft geworden durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Menschen, mit Musik und Büchern herum, und Abends, wenn ich müde bin und will schlafen, da rauscht die Fluth meiner Liebe mir gewaltsam in's Herz. Da seh' ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das 160 umgiebt Dich und spricht für Dich; auf Höhen erscheinst Du; zwischen Bergwänden in verschlungnen Wegen ereile ich Dich, und Dein Gesicht malt Räthsel, lieblich zu lösen. – Den Tag, als ich Abschied nahm von Dir, mit dem einen Kuß, mit dem ich nicht schied, da war ich Morgens beinah eine ganze Stunde allein im Zimmer, wo das Klavier steht; da saß ich auf der Erde im Eck und dachte: „es geht nicht anders, Du mußt noch einmal weinen,“ und Du warst ganz nah und wußtest es nicht; und ich weinte mit lachendem Mund, denn mir schaute das feste grüne Land durch den trübsinnigen Nebel durch. – Du kamst, und ich sagte Dir recht kurz (und ich schränkte mich recht ein dabei) wie Du mir werth seist.

Morgen reise ich nach Frankfurt, da will ich der Mutter alle Liebe anthun und alle Ehre, denn selig ist der Leib, der Dich getragen hat.

Bettine.

161 An Goethe.

Am 21ten August.

Kannst Du dir keinen Begriff machen, mit welchem Jubel die Mutter mich aufnahm! so wie ich hereinkam, jagte sie alle fort, die bei ihr waren. Nun, Ihr Herren, sagte sie, hier kommt jemand, der mit mir zu sprechen hat, und so mußten alle zum Tempel hinaus. Wie wir allein waren sollte ich erzählen, – da wußt' ich nichts. Aber wie war's wie Du ankamst? – ganz miserabel Wetter; vom Wetter will ich nichts wissen; – vom Wolfgang, wie war's, wie Du hereinkamst? Ich kam nicht, er kam; – nun wohin? – in den Elephanten, um Mitternacht drei Treppen hoch; alles schlief schon fest, die Lampen auf dem Flur ausgelöscht, das Thor verschlossen, und der Wirth hatte den Schlüssel schon unterm Kopfkissen, und schnarchte tüchtig. – Nun wie kam er denn da herein? – Er klingelte zweimal, und wie er zum drittenmal recht lang an der Glocke zog, da machten sie ihm auf. – Und Du? – ich in meiner Dachstube merkte nichts davon; Meline lag schon lange und schlief im Alkoven mit vorgezognen Vorhängen; ich lag auf dem Sopha, und hatte die Hände über'm Kopf gefaltet, und sah, wie der Schein 162 der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der Decke spielte; da hört' ich's rascheln an der Thür, und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, während ich lauschte, aber weil es doch ganz unmöglich war, in dieser späten Stunde, und weil es ganz still war, so hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; – und da trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und machte leise die Thür hinter sich zu, und sah sich um, wo er mich finden sollte; ich lag in der Ecke des Sophas ganz in Finsterniß eingeballt, und schwieg; da nahm er seinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuchten sah, und den suchenden Blick, und wie der Mund fragte: Nun, wo bist Du denn? da that ich einen leisen Schrei des Entsetzens über meine Seeligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.

Die Mutter meinte, das würde eine schöne Geschichte geworden sein in Weimar. Der Herr Minister um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine Visite gemacht! – Ja wohl ist die Geschichte schön! jetzt, wo ich sie hier überlese, bin ich entzückt, überrascht, hingerissen, daß mir dies all' begegnet ist, und ich frag' Dich: welche Stunde wird so spät sein in deinem Leben, daß es nicht dein Herz noch rühren sollte? – Wie Du in der Wiege lagst, da konnte kein Mensch ahn163den, was aus Dir werden würde, und wie ich in der Wiege lag, da hat mir's keiner gesungen, daß ich Dich einst küssen würde.

Hier fand ich alles auf dem alten Fleck; mein Feigenbaum hat Feigen gewonnen und seine Blätter ausgebreitet; mein Gärtchen auf dem großen Hausaltan, der von einem Flügel zum andern reicht, steht in voller Blüthe, der Hopfen reicht bis an's Dach, in die Laube hab' ich meinen Schreibtisch gesetzt; da sitze ich und schreib' an Dich und träume von Dir, wenn mir der Kopf trunken ist, von den Sonnenstrahlen; ach, ich lieg' so gern' in der Sonne und lasse mich recht durchbrennen.

Gestern ging ich am Stift vorbei, da klingelte ich nach früherer Gewohnheit, und da lief ich nach dem kleinen Gang, der nach der Günderode ihrer Wohnung führt. Die Thüre ist noch verschlossen, es hat noch niemand wieder den Fuß über die Schwelle gesetzt; ich küßte diese Schwelle, über die sie so oft geschritten ist, um zu mir zu gehen, und ich zu ihr. – Ach, wenn sie noch lebte, welch' neues Leben würde ihr aufgehen, wenn ich ihr alles erzählte, wie Wir in jenen Nachtstunden so still neben einander gesessen haben, die Hände in einander gefügt, und wie die einzelnen Laute, die über deine Lippen kamen, mir in's Herz drangen. Ich 164 schreib' dir's her, damit Du es nie vergessen sollst. Freund, ich könnte eifersüchtig sein über deine Anmuth; die Grazien sind weiblich, sie schreiten vor Dir her, wo Du eintrittst, da ist heilige Ordnung, denn alles zufällige selbst schmiegt sich deiner Erscheinung an. – Sie umgeben Dich, sie halten Dich gefangen, und in der Zucht, denn Du mögtest vielleicht manchmal anders, aber die Grazien leiden's nicht, ja diese stehen Dir weit näher, sie haben vielmehr Gewalt über Dich, als ich.

Der Primas hat mich auch einladen lassen, wie er hörte, daß ich von Weimar komme; ich sollte ihm von Dir erzählen. Da hab' ich ihm allerlei gesagt, was ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen hatte sich geputzt, es wollte Dir Ehre machen, ja ich wollte schön sein, weil ich Dich liebe, und weil es die Leute wissen, daß Du mir gut bist; ein Rosa Atlaskleid mit schwarzen Sammtärmeln und schwarzem Bruststück, und ein schöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne Spangen hielten meine schwarzen Locken zurück. Du hast mich noch nie geputzt gesehen; ich kann Dir sagen, mein Spiegel ist freundlich bei solcher Gelegenheit, und das macht mich sehr vergnügt, so daß ich geputzt immer sehr lustig bin. Der Primas fand mich auch hübsch und nennte die Farben meines Kleides préjugé vaincu, 165 nein sagte ich: Marlborough s'enva-t-en guerre, qui sait quand il reviendra. – Le voilà de retour sagte er, und zog meinen Engländer hervor der vor drei Wochen mit mir bei ihm zu Mittag gegessen hatte; nun mußte ich wieder neben ihm sitzen beim Soupé, und er sagte mir auch englisch allerlei Zärtlichkeiten die ich nicht verstehen wollte, und worauf ich ihm verkehrte Antworten gab, so war ich sehr lustig; wie ich spät nach Hause kam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohlgeruch, und da war eine hohe Blume die diesen Duft ausströmte die ich noch nie gesehen hatte, eine Königin der Nacht, ein fremder Bedienter der nicht deutsch sprechen konnte hatte sie für mich gebracht; das war also ein freundliches Geschenk vom Engländer der in dieser Nacht noch abgereist war. Ich stand vor meiner Blume allein und beleuchtete sie, und ihr Duft schien mir wie Tempelduft. – Der Engländer hat's verstanden mir zu gefallen.

Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich soll Dir sagen, daß wenn dein Sohn kommt, so soll er ihn in Aschaffenburg besuchen, wohin er in diesen Tagen abreist. – Da er aber erst zu Ostern kommt, so wird der Primas wieder hier sein.

Dein Kind küßt Dir die Hände.

166 Die Mutter läßt mich heut' rufen, und sagt', sie habe einen Brief von Dir, und läßt mich nicht hinein sehen, und sagt, Du verlangst, ich soll dem Dux schreiben ein paar Zeilen, weil er die Artigkeit gehabt hat, für die umgestürzte Linde zu sorgen, und das nennst Du in meine elegischen Empfindungen eingehen. – Liebster Freund, ich kann nicht leiden, daß ein andrer in meine Empfindung eingehe, die ich blos zu Dir hege; da treib' ihn nur wieder heraus; und sei Du allein in mir und mache mich nicht eifersüchtig.

Dem Dux aber sage, was meine Devotion mir hier eingiebt: daß es ein andrer hoher Baum ist, für dessen Pflege ich ihm danke, dessen blühende Äste weit über die Grenzen des Landes in andre Welttheile ragen, und Früchte spenden und duftenden Schatten geben. Für den Schutz dieses Baumes, für die Gnadenquelle die ihn tränkt, für den Boden der Liebe und Freundschaft, aus welchem er begeisternde Nahrung saugt, bleibt mein Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank' ich ihm auch noch, daß er der Wartburger Linde nicht vergißt. –

167 An Bettine.

Am 5ten September.

Du hast Dich, liebe Bettine, als ein wahrer kleiner Christgott erwiesen, wissend und mächtig, eines jeden Bedürfnisse kennend und ausfüllend; – und soll ich Dich schelten oder loben, daß Du mich wieder zum Kinde machst? Denn mit kindischer Freude hab' ich deine Bescheerung vertheilt und mir selbst zu geeignet. Deine Schachtel kam kurz vor Tische; verdeckt trug ich sie dahin, wo Du auch einmal gesessen, und trank zuerst August aus dem schönen Glase zu. Wie verwundert war er, als ich es ihm schenkte! Darauf wurde Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen; Niemand errieth, woher? Auch zeigte ich das künstliche und zierliche Besteck; – da wurde die Hausfrau verdrießlich, daß sie leer ausgehen sollte. Nach einer Pause, um ihre Geduld zu prüfen, zog ich endlich den schönen Gewandstoff hervor; das Räthsel war aufgelöst, und jedermann in deinem Lobe eifrig und fröhlich.

Wenn ich also das Blatt noch umwende, so hab' ich immer nur Lob und Dank dacapo vorzutragen; das ausgesuchte zierliche der Gaben war überraschend. Kunst168kenner wurden herbei gerufen, die artigen Balgenden zu bewundern – genug, es entstand ein Fest, als wenn Du eben selbst wieder gekommen wärst. – Du kommst mir auch wieder in jedem deiner lieben Briefe und doch immer neu und überraschend, so daß man glauben sollte, von dieser Seite habe man Dich noch nicht gekannt; und deine kleinen Abentheuer weißt Du so allerliebst zu drehen, daß man gern der eifersüchtigen Grillen sich begiebt, die einem denn auch zuweilen anwandlen; blos um das artige Ende des Spaßes mit zu erleben. So war es mit der launigen Episode des Engländers, dessen ungeziemendes Wagniß den Beweis für sein schönes sittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir sehr dankbar für solche Mittheilungen, die freilich nicht jedem recht sein mögen; möge dein Vertrauen wachsen, das mir so viel zubringt, was ich jetzt nicht mehr gerne entbehren mag; auch ein belobendes Wort muß ich Dir hier sagen für die Art, wie Du Dich mit meinem gnädigsten Herrn verständigt hast. Er konnte nicht umhin, auch dein diplomatisches Talent zu bewundern; du bist allerliebst meine kleine Tänzerin, die einem mit jeder Wendung unvermuthet den Kranz zuwirft. Und nun hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten Mutter lebst, wie Du ihrer pflegst, und welche schöne 169 vergangne Zeiten zwischen Euch beiden wieder auferstehen.

Der lieben Meline Mützchen ist auch angekommen. Ich darf's nicht laut sagen; es steht aber niemand so gut als ihr. Freund Stollen's Attention auf dem blauen Papier hat Dir doch Freude gemacht. Adieu mein artig Kind! schreibe bald, daß ich wieder was zu übersetzen habe.

An Goethe.

G. 17. September.

Freundlicher Mann! Du bist zu gut, Du nimmst alles, was ich Dir im heiteren Übermuth biete, als wenn es noch so viel Werth habe; aber ich fühl's recht in deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir gut bist, wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt und meint, es habe einen auserlesenen Strauß zusammen gesucht; dem lächelt man auch so zu und sagt; wie schön ist dein Strauß, wie angenehm duftet er, er soll mir blühen in meinem Garten, hier unter mein Fenster will ich ihn pflanzen; und doch sind es nur wurzellose Feldblumen, die bald welken. Ich aber sehe mit Lust, wie 170 Du mich in Dich aufnimmst, wie Du diese einfachen Blumen, die am Abend schon welken müßten, in's Feuer der Unsterblichkeit hältst und mir zurück giebst. – Nennst Du das auch übersetzen, wenn der göttliche Genius die idealische Natur vom irdischen Menschen scheidet, sie läutert, sie enthüllt, sie sich selbst wieder anvertraut, und so die Aufgabe, seelig zu werden, löst? Ja, Goethe, so machst Du die Seufzer die meine sehnende Liebe aushaucht zu Geistern, die mich auf der Straße der Seeligkeit umschweben; ach, und wohl auch meiner Unsterblichkeit weit voraneilen.

Welch' heiliges Abentheuer, das unter dem Schutze des Eros sich kühn und stolz aufschwingt, kann ein herrlicher Ziel erreichen, als ich in Dir erreicht habe! Wo Du mir zugiebst mit Lust: Gehemmt sei nun zum Vater hin das Streben. – O glaub' es: Nimmer trink' ich mich satt an diesen Liebesergießungen; ewig fühl' ich von brausenden Stürmen mich zu deinen Füßen getragen, und in diesem neuen Leben, in dem meine Glückssterne sich spieglen, vor Wonne untergehn.

Diese Thränen, die meine Schrift verblassen, die möcht' ich wie Perlen aufreihen und geschmückt vor Dir erscheinen, und Dir sagen: vergleiche ihr reines Wasser mit deinen andern Schätzen, und dann solltest Du mein 171 Herz schlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.

Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zauberschleier, aus denen sich schöne Träume entfalten. Du sitzest mit mir auf grünem Rasen, und trinkst dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießest die Neige auf meine Stirn. Aus diesem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bist. Ich glaube, daß Du Theil an solchen Träumen hast; daß Du liebst in solchen Augenblicken; – wem sollte ich sonst dies seelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbst! – Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann ist mir alles so gleichgültig, und was mir auch geboten wird, – ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geschieden sein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geist meine Liebe genießt, so wie meine Seele von deiner Güte sich nährt.

Ich soll Dir von der Mutter schreiben; – nun es ist wunderlich zwischen uns beschaffen, wir sind nicht mehr so gesprächig, wie sonst, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter seh'. Wie ich von der Reise kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens übernehmen, und obschon ich lieber geschwiegen hätte, so 172 war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderstehlich, wenn Sie mit großen Kinderaugen mich ansieht, in denen der genügendste Genuß funkelt. So lös'te sich meine Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was man sonst nicht leicht wieder aussprichst.

Am 2. Oktober.

Die Mutter ist listig, wie sie mich zum Erzählen bringt, so sagt sie: Heute ist ein schöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nach seinem Gartenhaus, es muß noch recht schön da sein, nicht wahr, es liegt im Thal? – Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch Berg auf, hinter dem Haus, da sind große Bäume, von schönem Wuchs und reich belaubt. – So! und da bist Du Abends mit ihm hingeschlendert aus dem römischen Haus? – Ja, ich hab's Ihr ja schon zwanzigmal erzählt; – so erzähl's noch einmal. Hattet ihr denn Licht im Haus? – Nein, wir saßen vor der Thür auf der Bank, und der Mond schien hell. – Nun! und da ging ein kalter Wind? – Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz still und wir waren 173 auch still. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er sagte: da fällt schon wieder ein Apfel und rollt' den Berg hinab; da überflog mich ein Frostschauer; – der Wolfgang sagte: Mäuschen Du frierst, und schlug mir seinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und seine Hand hielt ich fest, und so verging die Zeit – und wir standen beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand durch den einsamen Wiesengrund; – jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautlosen Stille, – der Mond kam hinter jedem Busch hervor und beleuchtete uns, – da blieb der Wolfgang stehen und lachte mich an im Mondglanz, und sagte zu mir: Du bist mein süßes Herz, und so führte er mich bis zu seiner Wohnung und das war alles. – „Und das waren goldne Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, sagte die Mutter, und die sind nur Dir bescheert, und unter Tausenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein Glücksloos zugefallen ist; ich aber versteh' es und genieße es, als wenn ich zwei schöne Stimmen sich singend Red' und Antwort geben hörte über ihr verschwiegenstes Glück.“

Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ mich lesen, was Du über mich geschrieben hast, daß es 174 Dir ein großer Genuß sei, meine Mittheilungen über Dich zu hören; die Mutter meint, sie könne es nicht, es läg' in meiner Art zu erzählen, das Beste.

Da hab' ich Dir nun diesen schönen Abend beschrieben.

Ich weiß ein Geheimniß: wenn zwei mit einander sind, und der göttliche Genius waltet zwischen ihnen, das ist das höchste Glück.

Adieu mein lieber Freund.

An Goethe.

Ach frage nur nicht warum ich schon wieder ein neues Blatt vornehme, da ich Dir doch eigentlich nichts zu sagen habe? – ich weiß freilich noch nicht womit ich's ausfüllen soll, aber das weiß ich, daß es doch zuletzt in deine lieben Hände kommt. Drum hauch ich's an mit allem was ich Dir aussprechen würde, ständ' ich selbst vor Dir. Ich kann nicht kommen, drum soll der Brief mein ungetheiltes Herz zu Dir hinüber tragen, erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoffnung auf neue, mit Sehnsucht und Schmerz um Dich; da weiß ich nun keinen Anfang und kein Ende.

175 Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen, wie soll ich loskommen vom Wünschen und Sinnen und Wähnen; wie soll ich Dir mein treues Herz das sich von allem zu Dir allein hinüberwendet, aussprechen? – ich muß schweigen wie damals, als ich vor Dir stand, um Dich anzusehen. Ach was hätt' ich auch sagen sollen? – ich hatte nichts mehr zu verlangen *).

Gestern waren viele witzige Köpfe im Haus Brentano beisammen, da wurden unter andern gymnastischen Geistesübungen auch Räthsel aufgegeben, da waren sehr geschickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich umsah, und kein Gesicht das mir einen befreundeten, verständlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthsel:

——————

*) Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu sagen;
Doch kommt's zuletzt in deine Hände.

Weil ich nicht kommen kann, soll was ich sende
Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.

Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen,
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen.
Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:

176 Warum die Menschen keine Geister sehen? – Keiner konnt es rathen, ich sagte: weil sie sich vor Gespenster fürchten. – Wer? – Die Menschen? – Nein die Geister. – Ja so grausamlich kamen mir diese Gesichter vor, und so fremd, und unverständlich, aus denen nichts zu mir sprach wie aus deinen geliebten Zügen, vor denen sich die Geister gewiß nicht fürchten; nein es ist deine Schönheit, daß die Geister mit deinen Mienen spielen, und dies ist der unwiederstehliche Reiz für den Liebenden, daß der Geist ewig dein Gesicht umströmt.

Sonntag, ganz allein im einsamen großen Haus alles ist ausgefahren und geritten und gegangen, und deine Mutter ist vor dem Bockenheimer Thor im Garten, weil heute die Birn geschüttelt werden von dem Baum der bei deiner Geburt gepflanzt wurde.

Bettine.

——————

So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen
Und sagte nichts. Was hätt' ich sagen sollen?
Mein ganzes Wesen war in sich vollendet.
    (Goethes Werke 2ter Band Seite 11.)

177 An Bettine.

Du bist ein feines Kind, ich lese deine lieben Briefe mit innigem Vergnügen, und werde sie gewiß immer wieder lesen mit demselben Genuß. Dein Malen des Erlebten sammt aller innern Empfindung von Zärtlichkeit, und dem was Dir dein witziger Dämon eingiebt, sind wahre Originalskizen, die auch neben den ernsteren Beschäftigungen ihr hohes Interesse nicht verläugnen, nimm es daher als eine herzliche Wahrheit auf wenn ich Dir danke. Bewahre mir dein Vertrauen und lasse es womöglich noch zu nehmen. Du wirst mir immer sein und bleiben was Du bist. Mit was kann man Dir auch vergelten, als nur, daß man sich willig von allen deinen guten Gaben bereichern läßt. Wie viel Du meiner Mutter bist weißt Du selbst, ihre Briefe fließen in Lob und Liebe über. Fährst Du so fort den flüchtigen Momenten guten Glückes, liebliche Denkmale der Erinnerung zu widmen; ich stehe Dir nicht dafür, daß ich mir's anmaaßen könnte solche geniale lebenvolle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn sie dann nur auch so warm und wahr an's Herz sprechen.

Die Trauben an meinem Fenster die schon vor ich178rer Blüthe, und nun ein zweitesmal Zeugen deiner freundlichen Erscheinung waren, schwellen ihrer vollen Reife entgegen, ich werde sie nicht brechen ohne Deiner dabei zu gedenken, schreibe mir bald und liebe mich.

G.

An Goethe.

Am 11. November.

Mit nächstem Postwagen wirst Du einen Pack Musik erhalten, beinah' alles vierstimmig, also für Dein Hausorchester eingerichtet. Ich hoffe, daß Du sie nicht schon besitzest; bis jetzt ist es alles was ich in dieser Art habhaft werden konnte. Gefällt sie Dir, so schick' ich nach was ich noch auftreiben kann; auf meine Wahl mußt Du Dich nicht dabei verlassen, ich richte mich nur nach dem Ruf dieser Werke und kenne das Wenigste. Musik imponirt mir nicht, auch kann ich sie nicht beurtheilen; ich verstehe den Eindruck nicht, den sie auf mich macht, ob sie mich rührt, ob sie mich begeistert; nur das weiß ich, daß ich keine Antwort darauf habe, wenn ich gefragt werde ob sie mir gefalle. Da könnte einer sagen, ich habe keinen Verstand 179 davon, – das muß ich zugeben, allein ich ahnde in ihr das Unermeßliche. Wie in den andern Künsten das Geheimniß der Dreifaltigkeit sich offenbart, wo die Natur einen Leib annimmt, den der Geist durchdringt und der mit dem Göttlichen in Verbindung ist; so ist es in der Musik, als wenn die Natur sich hier nicht in's sinnlich Wahrnehmbare herabneige, sondern daß sie die Sinne reizt, daß die sich mit empfinden in's Überirdische.

Wenn man von einem Satz in der Musik spricht, und wie der durchgeführt ist, oder von der Begleitung eines Instruments und von dem Verstand mit dem es behandelt ist, da meine ich grade das Gegentheil, nämlich daß der Satz den Musiker durchführt, daß der Satz sich so oft aufstellt, sich entwickelt, sich koncentrirt, bis der Geist sich ganz in ihn gefügt hat. Und das thut wohl in der Musik; ja alles, was den Erdenleib verläugnet, das thut wohl. Ich habe einen sehr ausgezeichneten Musiker zum Lehrer, wenn ich den frage, warum? – so hat er nie ein Weil zur Antwort, und er muß gestehen, alles in der Musik ist himmlisches Gesetz, und dies überzeugt mich mehr, daß in der Berührung zwischen dem Göttlichen und Menschlichen keine Erläuterung stattfinde. Ich habe hier eine freundliche Bekanntschaft mit einer sehr musikalischen Natur; wir 180 sind oft zusammen in der Oper, da macht sie mich aufmerksam auf die einzelnen Theile, auf das Durchführen eines Satzes, auf das Einwirken der Instrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich solchen Bemerkungen nachgehe; das Element der Musik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, stößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geschmack behandeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich aus der Finsterniß in's Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Garten auf grünem Rasen lag, und in den sonnigen blauen Himmel sah, während im Nachbarsgarten Onkel Bernhards Kapelle die ganze Luft durchströmte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Musik vertrauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Begeistern für Musik, ich fühlte mich in ihr wie der Fisch sich im Wasser fühlt. – Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, so könnte ich's nicht eigentlich wissen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der Musik; ich war viel zu tief versunken, als daß ich gehört hätte auf das was ich vernahm.

Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht sagen was ich weiß. Gewiß, Du würdest mir recht geben, wenn 181 ich mich deutlich aussprechen könnte, und auf andre Weise wirst Du am wenigsten sie verstehen lernen. – Verstehen, wie der Philister verstehet, der seinen Verstand mit Consequenz anwendet und es so weit bringt, daß man Talent nicht vom Genie unterscheidet. Talent überzeugt, aber Genie überzeugt nicht; dem, dem es sich mittheilt, giebt es die Ahndung vom Ungemessenen, Unendlichen, während Talent eine genaue Grenze absteckt und so, weil es begriffen ist, auch behauptet wird.

Das Unendliche im Endlichen, das Genie in jeder Kunst ist Musik. – In sich selbst aber ist sie die Seele, indem sie zärtlich rührt; indem sie aber sich dieser Rührung bemächtigt, da ist sie Geist, der seine eigne Seele wärmt, nährt, trägt, wiedergebärt; und darum vernehmen wir Musik, sonst würde das sinnliche Ohr sie nicht hören, sondern nur der Geist; und so ist jede Kunst der Leib der Musik, die die Seele jeder Kunst ist; und so ist Musik auch die Seele der Liebe, die auch in ihrem Wirken keine Rechenschaft giebt, denn sie ist das Berühren des Göttlichen mit dem Menschlichen, und auf jeden Fall ist das Göttliche die Leidenschaft die das Menschliche verzehrt. Liebe spricht nichts für sich aus, als daß sie in Harmonie versunken ist; Liebe ist flüssig, 182 sie verfliegt in ihrem eignen Element; Harmonie ist ihr Element.

Am 17. November.

Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken dem wunderlichen Platz zu gut, wo ich mich befinde; ich bin in der Karmeliterkirche, in einem verborgnen Winkel hinter einem großen Pfeiler; da geh ich alle Tage her in der Mittagsstunde, da scheint die Herbstsonne durch's Kirchenfenster und malt den Schatten der Weinblätter hier auf die Erde und an die weiße Wand, da seh ich wie der Wind die bewegt und wie eins nach dem andern abfällt; hier ist tiefe Einsamkeit, und die Menschen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe, die sind gewiß da um an ihre Todten zu denken, die hier begraben sein mögen. Hier am Eingang ist die Gruft wo Vater und Mutter begraben liegen und sieben Geschwister; da steht ein Sarg über dem andern. Ich weiß nicht was mich in diese große düstre Kirche lockt; für die Todten beten? – soll ich sagen: „Lieber Gott im Himmel, heb' doch diese Verstorbenen zu Dir in den Himmel?“ – Die Liebe ist ein flüssig Element, sie löst Seele und Geist in sich auf, und das ist Selig183keit. – Wenn ich hier in die Kirche gehe, an der Gruft vorbei die meine Eltern und Geschwister deckt, da falte ich die Hände, und das ist mein ganzes Gebet.

Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine große Gewalt über ihn; oft schickte mich die Mutter mit einer schriftlichen Bitte an ihn und sagte: laß den Vater nicht los, bis er ja sagt, – und da hing ich mich an seinen Hals und umklammerte ihn, und da sagte er: Du bist mein liebstes Kind, ich kann nicht versagen.

Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer großen Schönheit; sie war so fein und doch so erhaben, und glich nicht den gewöhnlichen Gesichtern; Du sagtest von ihr, sie sei für die Engel geschaffen, die sollten mit ihr spielen. Deine Mutter hat mir erzählt, wie Du sie zum letzten Mal gesehen, daß Du die Hände zusammen schlugst über ihre Schönheit, das war ein Jahr vor ihrem Tod; da lag der General Brentano in unserem Haus' an schweren Wunden; die Mutter pflegte ihn, und er hatte sie so lieb, daß sie ihn nicht verlassen durfte. Sie spielte Schach mit ihm, er sagte: matt! und sank zurück in's Bett; sie ließ mich holen, weil er nach den Kindern verlangt hatte, – ich trat mit ihr an's Bett, – da lag er blaß und still; 184 die Mutter rief ihn: mein General! Da öffnete er die Augen, reichte ihr lächelnd die Hand und sagte: meine Königin! – und so war er gestorben.

Ich seh' die Mutter noch wie im Traum, daß sie vor dem Bett steht und die Hand dieses erblaßten Helden fest hält und ihre Thränen leise aus den großen schwarzen Augen über ihr stilles Antlitz rollen. Damals hast Du sie zum letzten Mal gesehen, und Du sagtest voraus, daß Du sie nicht wiedersehen würdest. Deine Mutter hat mir's erzählt, wie Du tief bewegt über sie warst. Wie ich Dich zum ersten Mal sah, da sagtest Du: Du gleichst Deinem Vater, aber der Mutter gleichst Du auch, und dabei hast Du mich an's Herz gedrückt und warst tief gerührt, das war doch lange Jahre nachher.

Adieu.

Bettine.

Von den Juden und den neuen Gesetzen ihrer Städtigkeit hat Dir die Mutter schon Meldung gethan; alle Juden schreiben seitdem; der Primas hat viel Vergnügen an ihrem Witz. – Alle Christen schreiben über Erziehung; es kommt beinah alle Woche ein neuer Plan von einem neu verheiratheten Erzieher her185 aus. Mich interessiren die neuen Schulen nicht so sehr als das Judeninstitut, in das ich oft gehe.

An Bettine.

Weimar, den 2. Januar 1808.

Sie haben, liebe kleine Freundin, die sehr grandiose Manier, uns Ihre Gaben recht in Masse zu senden. So hat mich Ihr letztes Packet gewissermaßen erschreckt, denn wenn ich nicht recht haushälterisch mit dem Inhalt umgehe, so erwürgt meine kleine Hauskapelle eher daran, als daß sie Vortheil davon ziehen sollte. Sie sehen also meine Beste, wie man sich durch Großmuth selbst dem Vorwurf aussetzen könne; lassen Sie sich aber nicht irre machen. Zunächst soll Ihre Gesundheit von der ganzen Gesellschaft recht ernstlich getrunken und darauf das Confirma hoc Deus von Jomelli angestimmt werden, so herzlich und wohl gemeint, als nur jemals ein salvum fac Regem.

Und nun gleich wieder eine Bitte, damit wir nicht aus der Übung kommen. Senden Sie mir doch die jüdischen Broschüren. Ich möchte doch sehen wie sich 186 die modernen Israeliten gegen die neue Städtigkeit gebehrden, in der man sie freilich als wahre Juden und ehemalige kaiserliche Kammerknechte traktirt. Mögen Sie etwas von den christlichen Erziehungsplänen beilegen, so soll auch das unsern Dank vermehren. Ich sage nicht, wie es bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist, daß ich zu allen gefälligen Gegendiensten bereit sei, doch wenn etwas bei uns einmal reif wird was Sie freuen könnte, so soll es auch zu Ihnen gelangen.

Liebstes Kind, verzeih daß ich mit fremder Hand schreiben mußte. Über Dein musikalisches Evangelium und über alles was Du mir Liebes und Schönes schreibst, hätte ich Dir so heute nichts sagen können, aber laß Dich nicht stören in Deinem Eigensinn und in Deinen Launen, es ist mir viel werth Dich zu haben wie Du bist, und in meinem Herzen findest Du immer eine warme Aufnahme. Du bist ein wunderliches Kind, und bei Deiner Ansiedlung in Kirchen könntest Du leicht zu einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu bedenken.

Goethe.

187 An Goethe.

Wer draußen auf der Taunusspitze wär' und die Gegend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schönheit steigen und sinken sähe Abends und Morgens, während sein Herz so mit Dir beschäftigt wär' wie meins, der würde freilich auch besser sagen können was er zu sagen hat. Ich möchte so gern vertraulich mit Dir sprechen, und Du verlangst ja auch ich soll Eigensinn und Laune Dir preisgeben.

Du kennst mein Herz, Du weißt das alles Sehnsucht ist, Wille, Gedanke und Ahnung; Du wohnst unter Geistern, sie geben Dir göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du giebst alles zum Voraus was ich nicht zu fordern verstehe. Mein Geist hat einen kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt sie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden als wenn der Geist ihr gewachsen ist; Du bist meiner Liebe gewachsen; Du bist mild, freundlich, nachsichtig; lasse mich's fühlen wenn mein Herz sich nicht im Takt wiegt, ich versteh Deine leisen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über 188 alles; was könnte dem auch wohl noch erfreulich scheinen zu lernen, der wie ich, hiervon Erfahrung hat. – Ich bin entfernt von Dir, die Meinen sind mir fremd geworden, da muß ich immer in Gedanken auf jene Stunde zurückkehren, wo Du mich in den sanften Schlingen Deiner Arme hieltest, da fang' ich an zu weinen; aber die Thränen trocknen mir unversehens wieder: Er liebt ja herüber in diese verborgene Stille, denke ich, und sollte ich mit meinem ewigen ungestörten Sehnen nach ihm nicht in die Ferne reichen? Ach vernimm es doch was Dir mein Herz zu sagen hat, es fließt über von leisen Seufzern, alle flüstern Dir zu: mein einzig Glück auf Erden sei Dein freundlicher Wille zu mir. O lieber Freund, gieb mir doch ein Zeichen*). Du seist meiner gewärtig. Du schreibst daß Du meine

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*) Ein Blick von Deinen Augen in die meinen,
Ein Kuß von Deinem Mund auf meinem Munde,
Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde,
Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen?

Entfernt von Dir, entfremdet von den Meinen,
Führ' ich stets die Gedanken in die Runde,
Und immer treffen sie auf jene Stunde,
Die einzige; da fang' ich an zu weinen.

Die Thräne trocknet wieder unversehens:
Er liebt ja, denk' ich, her in diese Stille,
Und solltest Du nicht in die Ferne reichen?

 

189 Gesundheit trinken willst, ach ich gönne sie Dir, lasse keinen Tropfen übrig, möchte ich mich selber doch so in Dich ergießen und Dir wohl bekommen.

Deine Mutter erzählte mir wie Du kurz, nachdem Du den Werther geschrieben, im Schauspiel gesessen, und wie Dir da anonym ein Billet sei in die Hand gedrückt worden, darin geschrieben war: ils ne te comprendront point, Jean Jacques. Sie behauptet, ich aber könne immer zu jedem sagen: tu ne me comprendras point Jean Jacques, denn welcher Hans Jacob wird Dich nicht mißverstehen, oder Dich gelten lassen wollen. – Sie sagt aber, Du Goethe verstündest mich, und ich gelte alles bei Dir.

Die Erziehungsplane und Judenbroschüren werd' ich mit nächstem Posttag senden. Obschon Du nicht zu allen gefälligen Gegendiensten bereit bist; aber doch mir schicken willst was reif ist, so denke doch, daß meine Liebe dir brennende Strahlen zusendet um jede Regung für mich zu süßer Reife zu bringen.

Bettine.

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Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens;
Mein einzig Glück auf Erden ist Dein Wille,
Dein freundlicher zu mir; gieb mir ein Zeichen!
      (Goethes Werke 2ter Band Seite 10.)

 

190 An Goethe.

Was soll ich Dir denn schreiben, da ich traurig bin und nichts neues freundliches zu sagen weiß? lieber mögt' ich Dir gleich das weiße Blatt schicken, statt daß ich's erst mit Buchstabe beschreibe, die doch immer nicht sagen, was ich will, und Du fülltest es zu deinen Zeitvertreib aus, und machtest mich überglücklich und schicktest es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen Umschlag sähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie die Sehnsucht immer der Seeligkeit gewärtig ist, und ich lese nun, was mich aus deinem Mund' einst entzückte: Lieb' Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die süßen Worte mit denen Du mich verwöhntest, so freundlich mich beschwichtigend; – ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt' ich wieder, sogar dein Lispeln würde ich mitlesen, mit dem Du mir leise das lieblichste in die Seele ergossen und mich auf ewig vor mir selbst verherrlicht hast *). –

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*) Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte,
Anstatt daß ich's mit Lettern erst beschreibe,
Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe
Und sendetest's an mich, die Hochbeglückte.

 

191 Da ich noch an deinem Arm durch die Straßen ging: Ach, wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zufrieden, alle Wünsche waren schlafen gegangen, hatten wie die Berge, Gestalt und Farbe, in Nebel eingehüllt; ich dachte, so ging es, und weiter, ohne große Mühseeligkeit vom Land' in die hohe See, kühn und stolz, mit gelös'ten Flaggen und frischem Wind. – Aber Goethe, feurige Jugend will die Sitten der heißen Jahreszeit, wenn die Abendschatten sich über's Land ziehen, dann sollen die Nachtigallen nicht schweigen: singen soll alles, oder sich freudig aussprechen; die Welt soll ein üppiger Fruchtkranz sein, alles soll sich drängen im Genuß, und aller Genuß soll sich mächtig ausbreiten, er soll sich ergießen wie gährender Most, der brausend ar-

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Wenn ich den blauen Umschlag dann erblickte;
Neugierig schnell, wie es gezi mit dem Weibe,
Riss' ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe;
Da läs' ich was mich mündlich sonst entzückte:

Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig Wesen!
Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest
Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest.

Sogar dein Lispeln glaubt' ich auch zu lesen,
Womit du liebend meine Seele fülltest
Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest.
      (Goethes Werke 2ter Band Seite 12.)

 

192beitet, bis er zur Ruhe kommt, untergehen sollen wir in ihm, wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch wiederkommen wie sie. So ist dir's geworden, Goethe, keiner weiß wie Du mit Gott vertraut warst, und was für Reichthum Du von ihm erlangt hast, wenn Du untergegangen warst im Genuß.

Das seh' ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde ihre Gluth in sich saugt, und ihr die feurigen Flügel leise zusammen faltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es still auf der Welt, die Sehnsucht steigt so heimlich aus den Finsternissen empor; ihr leuchten die Sterne so unerreichbar über'm Haupt, so unerreichbar, Goethe!

Wenn man seelig sein soll, da wird man so zaghaft, das Herz scheidet zitternd vom Glück, noch ehe es den Willkommen gewagt; – auch ich fühl's, daß ich meinem Glück nicht gewachsen bin. Welche Allbefähigung, um Dich zu fassen! – Liebe muß eine Meisterschaft erwerben, das Geliebte besitzen wollen, wie es der gemeine Menschenverstand nimmt, ist nicht der ewigen Liebe würdig, und scheitert jeden Augenblick am kleinsten Ereigniß. – Das ist meine erste Aufgabe, daß ich mich Dir aneigne, nicht aber Dich besitzen wolle, Du allbegehrlichster!

193 Ich bin doch noch so jung, daß es sich leicht entschuldigen läßt, wenn ich unwissend bin. Ach, für Wissenschaft hab' ich keinen Boden, ich fühl's, ich kann's nicht lernen, was ich nicht weiß, ich muß es erwarten, wie der Prophet in der Wüste die Raben erwartet, daß sie ihm Speise bringen. Der Vergleich ist so uneben nicht: durch die Lüfte wird meinem Geist Nahrung zugetragen, – oft grade, wenn er im Verschmachten ist.

Seitdem ich Dich liebe, schwebt ein unerreichbares mir im Geist; ein Geheimniß, das mich nährt. Wie vom Baum die reifen Früchte fallen, so fallen hier mir Gedanken zu, die mich erquicken und reitzen. O Goethe, hätte der Springquell eine Seele, er könnte sich nicht erwartungsvoller an's Licht drängen, um wieder empor zu steigen, als ich mit ahnender Gewißheit mich diesem neuen Leben entgegen dränge, das mir durch Dich gegeben ist, und das mir zu erkennen giebt, daß ein höherer Lebenstrieb den Kerker sprengen will, der nicht schont der Ruhe und Gemächlichkeit gewohnter Tage, die er in brausender Begeisterung zertrümmert. Diesen erhabenen Geschick entgeht der liebende Geist nicht, so wenig der Saame der Blüthe entgeht, wenn er einmal in frischer Erde liegt. So fühl' ich mich in Dir, du fruchtbarer gesegneter Boden! Ich kann sagen, wie 194 das ist wenn der Keim die harte Rinde sprengt, – es ist schmerzlich, die lächlenden Frühlingskinder sind unter Thränen erzeugt.

O Goethe, was geht mit dem Menschen vor? was erfährt er, was erlebt er in dem innersten Flammenkelch seines Herzens? – Ich wollte Dir meine Fehler gern bekennen, allein die Liebe macht mich ganz zum idealischen Menschen. Viel hast Du für mich gethan, noch eh' Du von mir wußtest, über vieles, was ich begehrte und nicht erlangte, hast Du mich hinweg gehoben.

Bettine

An Goethe.

Am 5. März.

Hier in Frankfurt ist es naß, kalt, verrucht, abscheulich; kein guter Christ bleibt gerne hier; – wenn die Mutter nicht wär', der Winter wär' unerträglich, so ganz ohne Hältniß, – nur ewig schmelzender Schnee! – Ich habe jetzt einen Nebenbuhler bei ihr, ein Eichhörnchen, was ein schöner französischer Soldat als Einquartirung hier ließ, von dem läßt sie sich alles gefallen, sie nennt es Hänschen, und Hänschen darf Tische und Stühle zernagen, ja es hat selbst schon gewagt, 195 sich auf ihre Staatshaube zu setzen, und dort die Blumen und Federn anzubeißen. Vor ein paar Tagen ist ging ich Abends noch hin, die Jungfer ließ mich ein, mit dem Bedeuten, sie sei noch nicht zu Hause, müsse aber gleich kommen. Im Zimmer war's dunkel, ich setzte mich an's Fenster und sah hinaus auf den Platz. Da war's, als wenn was knisterte, – ich lauschte und glaubte athmen zu hören; – mir ward unheimlich, ich hörte wieder etwas sich bewegen, und fragte, weil ich's gern auf's Eichhörnchen geschoben hätte: Hänschen bist Du es? sehr unerwartet und für meinen Muth sehr niederschlagend, antwortet eine sonore Baßstimme aus dem Hintergrund: Hänschen ist's nicht, es ist Hans, und dabei räuspert sich der ubeque malus Spiritus. Voll Ehrfurcht wag' ich mich nicht aus der Stelle, der Geist läßt sich auch nur noch durch Athmen und einmaliges Niesen vernehmen; – da hör' ich die Mutter, sie schreitet voran, die kaum angebrannte, noch nicht volleuchtende Kerze hinter drein, von Jungfer Lieschen getragen. Bist Du da? fragte die Mutter, in dem sie ihre Haube abnimmt, um sie auf ihren nächtlichen Stammhalter, eine grüne Bouteille, zu hängen. ja, rufen wir beide, und aus dem Dunkel tritt ein besternter Mann hervor und fragt: Fr. Rath, werd' ich heut' Abend mit Ihnen 196 einen Specksalat mit Eierkuchen essen? Daraus schloß ich denn ganz richtig, daß Hans ein Prinz von Mecklenburg sei; denn wer hätte die schöne Geschichte nicht von deiner Mutter gehört, wie auf der Kaiserkrönung die jetzige Königin von Preußen, damals als junges Prinzessinnenkind und ihr Bruder, der Frau Rath zusahen, wie sie ein solches Gericht zu speisen im Begriff war, und daß dies ihren Appetit so reizte, daß sie es beide verzehrten, ohne ein Blatt zu lassen. Auch diesmal wurde die Geschichte mit vielem Genuß vorgetragen und noch manche andre, z. B. wie sie den Prinzessinnen den Genuß verschaffte, sich im Hof am Brunnen recht satt Wasser zu pumpen, und die Hofmeisterin durch alle mögliche Argumente abhält, die Prinzessinnen abzurufen, und endlich, da diese nicht darauf Rücksicht nimmt, Gewalt braucht und sie im Zimmer einschließt. Denn: sagte die Mutter, ich hätte mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen lassen, als daß man sie in dem unschuldigen Vergnügungen gestört hätte, das ihnen nirgendwo gegönnt war, als in meinem Haus; auch haben sie mir's beim Abschied gesagt, das sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei mir waren. – So könnte ich Dir noch ein paar Bogen voll schreiben von allen Rückerinnerungen!

197 Adieu, lieber Herr! – Die Frau grüß' ich, Riemer's Sonett kracht wie neue Sohlen; er soll meiner Geschäfte gewärtig sein, und seinen Diensteifer nicht umsonst gehabt haben.

Gelt', ich mach's grade wie dein Liebchen, schreibe, kritzele, mach' Tintenkleckse und Orthographiefehler, und denk', es schadet nichts, weil er weiß, daß ich ihn liebe, und der Brief, den Du mir geschrieben, war doch so artig und zierlich abgefaßt, das Papier mit goldnem Schnitt! – Aber, Goethe, erst ganz zuletzt denkst Du an mich! erlaub', daß ich so frei bin Dir einen Verweis zu geben, für diesen Brief, fasse alles kurz ab, was Du verlangst und schreib's mit eigner Hand, ich weiß nicht warum Du einen Secretair anstellst um das überflüssige zu melden, ich kann's nicht vertragen, es beleidigt mich, es macht mich krank; im Anfang glaubt' ich der Brief sei gar nicht an mich, nun trag' ich doch gern' solch einen Brief auf dem Herzen, so lange bis der neue kommt, – wie kann ich aber mit einer solchen fremden Secretairhand verfahren? nein, diesmal hab' ich Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich mit dem Secretair in die alte Schublade eingeklemmt wurdest, und der Mutter hab' ich gar nicht gesagt, daß Du 198 geschrieben hattest, ich hätte mich geschämt, wenn ich ihr diesen Perückenstyl hätte vortragen müssen. Adieu, schreibe mir das einzige, was Du zu sagen hast und nicht mehr.

Bettine.

An Goethe.

Am 15. März.

Nun sind's beinahe sechs Wochen, daß ich auch nur ein Wort von Dir gehört habe, weder durch die Frau Mutter, noch durch irgend eine andre Gelegenheit. Ich glaube nicht, daß, wie viele andere sind, Du auch bist, und dir durch Geschäfte und andere Wichtigkeiten den Weg zum Herzen versperrst; aber ich muß fürchten, daß meine Briefe Dir zu häufig kommen, und muß mich zurückhalten, was mich doch seelig machen könnte, wenn es nicht so wär', und ich glauben dürfte, daß meine Liebe, die so anspruchslos ist, daß sie selbst deinen Ruhm vergißt, und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder spricht, Dich erfreut. Wie ein Löwe möcht' ich für Dich fechten, möcht' alles verderben und in die Flucht jagen, was nicht werth ist, Dich zu berühren; muß um deinetwillen die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen 199 Gnade widerfahren lassen, weil Du sie verherrlichst, und weiß nichts von Dir! sag' nur, ob Du's zufrieden bist, daß ich Dir schreibe? – sag' nur: ja Du darfst! Wenn ich nun in etlichen Wochen, denn da haben wir schon Frühling hier, in's Rheingau gehe, dann schreib' ich Dir von jedem Berg aus; bin Dir so immer viel näher, wenn ich außer den Stadtmauern bin, da glaub' ich manchmal mit jedem Athemzug Dich zu fühlen, wie Du im Herzen regierst, wenn es recht schön ist draußen, wenn die Luft schmeichelt, ja wenn die Natur gut und freundlich ist, wie Du, da fühl ich Dich so deutlich. – Aber was soll ich mit Dir? – Du selbst hast mir nichts zu sagen, in dem Brief, den Du mir schriebst, den ich zwar so lieb habe, wie meinen Augapfel, da nennst Du mich nicht einmal wie Du gewohnt warst, grad' als ob ich Deiner Vertraulichkeiten nicht werth wäre. Ach, es geht ja von Mund zu Herzen bei mir! ich würde nichts von Schatz und Herz und Kuß veräußern, und wenn ich auch am Hungertuch nagen müßte. In der Karmeliterkirche hab' ich im Herbst allerlei geschrieben, Erinnerungen aus der Kindheit, – sie fielen mir immer ein wenn ich dahin kam, und doch war ich blos hingekommen, um ungestört an Dich zu denken! Jede Lebenszeit geht mir in Dir auf, ich denke mir die Kinder200jahre, als ob ich sie mit Dir verspiele, und wachs empor und wähne mich geborgen in Deinem Schutz, und fühle stolz mich in Deinem Vertrauen, und da regte sich's im Herzen vor heißer Liebe, da such' ich Dich, wie soll ich Ruhe finden? – an Deiner Brust nur, umschränkt von Deinen Armen. – Und wärst Du es nicht, so wär' ich bei Dir; aber so muß ich mich fürchten vor aller Augen, die sind auf Dich gerichtet, ach, und vor dem stechenden Blick, der unter Deinem Kranz hervorleuchtet! *)

Außer Dir erscheinen mir alle Menschen wie einer und derselbe, ich unterscheide sie nicht, ich begehr' nicht nach dem ungeheuren allseitigen Meer der Ereignisse. Der Lebensstrom trägt Dich, Du mich, in Deinen Armen durchschiff' ich ihn, Du trägst mich bis zum Ende, nicht wahr? – Und wenn es auch noch tausendfache Existenzen giebt, ich kann mich nicht hinüberschwingen, bei Dir bin ich zu Hause, so sei doch auch zu Hause mit mir, oder weißt Du etwas besseres als mich und Dich im magischen Kreis des Lebens?

Unlängst hatten wir ein kleines Fest im Hause wegen

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*) (Goethe's Werke, 2ter Band, Seite 7.)

 

201 Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, sie befand sich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Musik von blasenden Instrumenten, auch wurden Verse zu Savignys Lob gesungen, wo sie so tapfer einstimmte, daß man sie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch deine und ihre Gesundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken schmetterten, so ward sie feierlich vergnügt. Nach Tisch erzählte sie der Gesellschaft ein Mährchen, alles hatte sich in feierlicher Stille um sie versammelt. Im Anfang holte sie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle Rollefähigen Personen in der grotesken Weise aus ihrem großen Gedächtniß-Kasten auf das fantastischste geschmückt, es wurden noch allerlei kleinen Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spanische Tänzerin auf, die mit Castagnetten sehr schön tanzte. Dieses graziöse Kind giebt hier beim Theater Vorstellungen, ich hab' Dir von ihr noch nicht gesagt, daß sie mich seit Wochen in einem stillen Enthusiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß sich die Tugend in die reine Kunst verwandle, daß man nehmlich nach den Gesetzen einer himmlischen Harmonie die Glieder des Geistes mit leichtem Enthusias202mus rege, und so mit anmuthigen Geberden die Tugend ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Musik. Nach dem Souper tanzte man, ich saß etwas schläfrig an der Seite deiner Mutter, sie hielt mich umhals't und hatte mich lieb wie den Joseph; ich hatte dazu auch einen rothen Rock an. Man hat einstimmig beschlossen, es solle nie ein Familienfest gegeben werden ohne die Mutter, so sehr hat man ihren guten Einfluß empfunden; ich hab' mich gewundert wie schnell sie die Herzen gewinnen kann, blos weil sie mit Kraft genießt und dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt.

Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht vergessen, was ich für deine Frau versprach; nächstens wird alles fertig sein, nur die Frau von Sch. mußte ich schändlicherweise vergessen mit dem Tuch! nun was ist zu thun? mein Minister, denk' ich, bekömmt hier eine schöne Negotiation. Gelt', ich mißbrauch' deine Geduld? – Guter! Bester! dem mein Herz ewig dient.

Dein Sohn wird sein Bündel bald schnüren; – nur nicht zu fest! denn ich will ihm bei der Durchreise noch einen Pack guter Lehren mitgeben, die er auch noch mit einschnüren muß. Mein Bruder George hat ein kleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt es 203 kennen, da du selbst den Plan dazu gemacht und mit Basset, der jetzt in Amerika wohnt, den Bau besorgtest. Ich freu' mich gar sehr über seine schönen Verhältnisse, ich meine, dein Charakter, deine Gestalt und deine Bewegungen spiegeln sich in ihnen. Wir fahren beinah alle Tage hinaus, gestern stieg ich auf's Dach; die Sonne schien so warm, es war so hell, man konnte so recht die Berge im Schoos der Thäler liegen sehen. O Jammer, daß ich nicht fliegen kann! was nützt es all', daß ich Dich so lieb hab? – jung und kräftig und stolz bin ich in Dir; – ich mag's nicht auslegen, die Welt schiebt doch alles Gefühl in ihr einmal gemachtes Register, Du bist über alles gut, daß Du meine Liebe duldest, in der ich überglücklich bin. Wie das Weltmeer ohne Ufer, ist mein Gemüth, seine Wellen tragen, was schwimmen kann; Dich aber hab' ich mit Gewalt in's tiefste Geheimniß meines Lebens gezogen, und walle Freudebrausend dahin über der Gewißheit deines Besitzes.

Wenn ich mich sonst im Spiegel betrachtete und meine Augen sich selbst so feurig anschauten, und ich fühlte, daß sie in diesem Augenblick hätten durchdringen müssen, und ich hatte niemand, dem ich einen Blick ge204 gönnt hätte, da war mir's leid, daß alle Jugend verloren ging, jetzt aber denk ich an Dich.

Bettine.

An Goethe.

Am 30. März.

Kleine unvorhergesehene Reisen in die nächsten Gegenden, um den Winter vor seinem Scheiden noch einmal in seiner Pracht zu bewundern, haben mich abgehalten sogleich meines einzigen und liebsten Freundes in der ganzen Welt, Wunsch zu befriedigen. Hierbei sende ich alles was bis jetzt erschienen außer ein Journal, welches die Juden unter dem Namen Sulamith herausgeben. Es ist sehr weitläufig; begehrst Du es, so send' ich's, da die Juden es mir als ihrem Protector und kleinen Nothhelfer, verehren. Es enthält die verschiedensten Dinge, kreuz und quer; besonders zeichnen sich die Oden die sie dem Fürst Primas widmen, darin aus; ein großes Gedicht, was sie ihm am Neujahrstag brachten, schickte er mir und schrieb: „Ich verstehe kein hebräisch, sonst würde ich eine Danksagung schreiben, aber da für die kleine Freundin der Hebräer nichts zu verkehrt und undeutsch ist, so trage ich ihr auf, in mei205nem Namen ein Gegengedicht zu machen.“ – Der boshafte Primas! – Ich hab' ihn aber gestraft! Und gestern im Konzert sagte er mir: es ist gut, daß die Juden nicht eben so viel Heldengeist als Handelsgeist haben, ich wär' am End' nicht sicher, daß sie mich in meinem Taxischen Haus blockirten. –

Während dem bin ich im Odenwald gewesen, und bin auf des Götz altem Schloß herumgeklettert, ganz oben auf den Mauern wo beinah kein menschlicher Fuß mehr sich stützen kann; über Mauerspalten, die mich doch zuweilen schwindlen machten, als immer im Gedanken an Dich, an Deine Jugend, an Dein Leben bis jetzt, das wie ein lebendig Wasser fortbraust. Weißt Du? – es thut so wohl, wenn einem das Herz so ganz ergriffen ist. Wie ich mich drehe und wende, so spiegelt sich mir im Gemüth, was ich im Hinterhalt habe und was mir wie ein seliger Traum nachgeht, und das bist Du!

Dort war es wunderschön! Ein ungeheurer Thurm, worauf ehemals die Wächter saßen, um die Frankenschiffe in dem kleinen Mildeberg zu verkünden mit Trompetenstoß. Tannen und Fichten wachsen oben, die beinah halb über seine Höhe hervorragen.

Zum Theil waren die Weinberge noch mit Schnee 206 bedeckt; ich saß auf einem abgebrochnen Fensterbalken und fror, und doch durchdrang mich heiße Liebe zu Dir, und ich zitterte vor Angst, hinunter zu stürzen, und kletterte doch noch höher, weil mir's einfiel Dir zu lieb' wollt' ich's wagen. So machst Du mich oft kühn; es ist ein Glück, daß die wilden Wölfe aus dem Odenwalde nicht herbei kamen, ich hätte mich mit ihnen balgen müssen, hätte ich Deiner Ehre dabei gedacht; es scheint Unsinn, aber so ist's. – Die Mitternacht, die böse Stunde der Geister, weckt mich; ich leg' mich im kalten Winterwind an's Fenster; ganz Frankfurt ist todt, der Docht in den Straßenlaternen ist im Verglimmen, die alten rostigen Wetterfahnen greinen mir was vor, und da denk' ich: ist das die ewige Leier? – Und da fühl' ich, daß dies Leben ein Gefängniß ist, wo ein jeder nur eine kümmerliche Aussicht hat in die Freiheit: das ist die eigne Seele. – Siehst Du, da ras't es in mir; ich möchte hinauf über die alten spitzen Giebeldächer, die mir den Himmel abschneiden; ich verlasse das Zimmer, eile über die weiten Gänge unseres Hauses, suche mir einen Weg über die alten Böden, und hinter dem Sparrwerk ahnde ich Gespenster, aber ich achte ihrer nicht; da suche ich die Treppe zum kleinen Thürmchen, wenn 207 ich endlich oben bin, da seh ich aus der Thurmluke den weiten Himmel, und frier' gar nicht; und da ist's als müsse ich die gesammelten Thränen abladen, und dann bin ich am andern Tag so heiter und so neugeboren, und ich suche mit List nach einem Scherz den ich ausführen möchte; und kannst Du mir glauben? das alles bist Du.

Bettine.

Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr Maskeraden und alle mögliche Ergötzlichkeit; sie hat unsere ganze Familie in ihren Schutz genommen, ist frisch und gesund.

An Bettine.

Die Documente philanthropischer Christen- und Judenschaft sind glücklich angekommen, und Dir soll dafür, liebe kleine Freundin, der beste Dank werden. Es ist recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, da so viele Menschen todt geschlagen werden, die übrigen auf's beste und zierlichste auszuputzen sucht. Fahre fort, mir von diesen heilsamen Anstalten, als Beschützerin dersel208ben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Dem braunschweigischen Judenheiland ziemt es wohl, sein Volk anzusehen, wie es sein und werden sollte; dem Fürsten Primas ist aber auch nicht zu verdenken, daß er dies Geschlecht behandelt wie es ist, und wie es noch eine Weile bleiben wird. Mache mir doch eine Schilderung von Herrn Molitor. Wenn der Mann so vernünftig wirkt als er schreibt, so muß er viel Gutes erschaffen. Deinem eignen philanthropischen Erziehungswesen aber wird Überbringer dieses, der schwarzäugige und braunlockige Jüngling empfohlen. Lasse seine väterliche Stadt auch ihm zur Vaterstadt werden, so daß er glaube, sich mitten unter den Seinen zu befinden. Stelle ihn Deinen lieben Geschwistern und Verwandten vor, und gedenke mein, wenn Du ihn freundlich aufnimmst. Deine Berg-, Burg-, Kletter- und Schaurelationen versetzen mich in eine schöne heitere Gegend, und ich stehe nicht davor, daß Du nicht gelegentlich davon eine phantastische Abspiegelung in einer Fata Morgagna zu sehen kriegst.

Da nun von August Abschied genommen ist, so richte ich mich ein, von Haus und der hiesigen Gegend gleichfalls Abschied zu nehmen und baldmöglichst nach dem Carlsbader Gebirge zu wandeln.

209 Heute um die eilfte Stunde wird confirma hoc Deus gesungen, welches schon sehr gut geht und großen Beifall erhält.

Weimar, den 3. April 1808.

G.

An Goethe.

Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an Deinem Brief, – der ist wie ein allgemeiner Landregen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis an's Ende; Du besitzest zwar die Kunst, in kleinen Formenzügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu lassen, und in dem was Du unausgesprochen läßt, stiehlt sich die Versicherung in's Herz, daß man Dir nicht gleichgültig ist; ja ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kalten Brief; aber wenn Deine schöne Mäßigung plötzlich zum Teufel ging', und Du bliebst ohne Kunst und ohne feines Taktgefühl, so ganz wie Dich Gott geschaffen hat Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir fürchten, wie jetzt, wenn ein so kühler Brief ankömmt, wo ich mich besinnen muß was ich denn gethan hab'.

210 Heute schreibe ich aber doch mit Zuversicht, weil ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn sich hier wohl und lustig befindet; er giebt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unserer Loge; früh Morgens spaziert er schon auf den Stadtthürmen herum, um die Gegend seiner väterlichen Stadt recht zu beschauen; ein paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Gemüsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die ersten wunderbarlichen Vorbereitungen dazu geschehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der Nichtschnur abgemessen wird, und wo diese fleißigen Gärtner mit so großer Sorgfalt jedem Pflänzchen seinen Lebensunterhalt anweisen; auch an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die Pfingstwiese, auf den Schneidewall; dann hinter die schlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter, und sind gegen Abend bei Mondschein zu Wasser wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geschichten und Lustparthieen; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung sein wird. Es war als lief ich in Weimar durch den Park, 211 in dem ein starker Regen fiel; es war grade alles im ersten Grün, die Sonne schien durch den Regen. Als ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich schon von Weitem sprechen; ich rief, – Du hörtest nicht, – da sah ich Dich auf derselben Bank sitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die schöne breite Malve noch spät gewachsen war; – gegenüber lag auch die Katze wie damals, und als ich zu Dir kam, sagtest Du auch wieder: Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht so nah. – Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum so lieb war, konnt' ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die solche Zutraulichkeit erlaubt. – Du! der einen Kreis des Lebendigen umfasset, in dem wir alle Dein Vertrauen in so mächtigen Zügen schon eingesogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die rasch in meinem Herzen aufsteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor Dir auszusprechen; aber so ein Traum stürzt wie ein angeschwollner Strom über den Damm. Es mag sich einer schwer entschließen eine Reise nach der Sonne zu thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht ankömmt, davon abhält; – mir gilt in solchen Augen212blicken die Erfahrung nichts, und so scheint mir denn, Dein Herz zu erreichen in seinem vollen Glanze, nichts Unmögliches.

Molitor war gestern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, sie haben ihn sehr ergötzt; dieser Edle ist der Meinung, daß, da er einen Leib für die Juden zu opfern habe, und einen Geist ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzuwenden; es geht ihm übrigens nicht sehr wohl, außer in seinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch fest glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunst wieder in's Gleichgewicht zu bringen ist. Er hat groß Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divinationskraft begabt bin; brav ist er, und will ernstlich das Gute; bekümmert sich deswegen nichts um die Welt und um sein eigen Fortkommen; ist mit einem Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern die er im Vermögen hat, sehr wohl zufrieden.

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein großes Fest giebt; – da werd' ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen haben; diese vielen Lichter, die geputzten Leute, die ge213schminkten Wangen, das summende Geschwätz haben eine narkotische unwiderstehliche Wirkung auf mich.

Bettine.

An Frau von Goethe.

Am 7. April.

Erinnern Sie sich noch des Abends den wir bei Frau von Schoppenhauer zubrachten, und man eine Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? – Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, ist beikommendes Röckelein; ich hab' es so schön gemacht, daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Ungerechtigkeit doch nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann. Betrachten Sie es indessen mit Nachsicht, denn im Stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem Genie beinah zu viel zugetraut habe. Wenn Sie nur immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern so viel Freude machen möchte, als in meiner Gewalt steht.

August scheint sich hier zu gefallen; das Fest welches der Fürst Primas der Großmutter und dem Enkel gab, beweist recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will indessen der Frau Rath nicht vorgreifen, die es Ihnen mit den schönsten Farben ausmalen wird. August schwärmt 214 in der ganzen Umgegend umher; überall sind Jugendfreunde seines Vaters, die von den Höhen da und dort hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden sie mit ihm an so schönen Orten verlebten; und so geht es im Triumph von der Stadt auf's Land, und von da wieder in die Stadt. – In Offenbach, dem zierlichsten und reinsten Städtchen von der Welt, das mit himmelblauseidenem Himmel unterlegt ist, mit silbernen Wellen garnirt und mit blühenden Feldern von Hiazynthen und Tausendschönchen gestickt; da war des Erzählens der Erinnerungen an jene glückliche Zeiten kein Ende.

Beiliegende Granaten hab' ich aus Salzburg erhalten; tragen Sie dieselben zu meinem Andenken.

Bettine.

Einliegende Bücher für den Geheimenrath.

An Bettine.

Weimar, den 20. April 1808.

Auch gestern wieder, liebes Herz, hat sich aus Deinem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergossen, grade zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer 215 waren in großer Überlegung, was zu einem angesagten Fest angezogen werden sollte. Nichts wollte recht passen, als eben das schöne Kleid ankam, das denn sogleich nicht geschont wurde.

Da unter allen Seeligkeiten, deren sich meine Frau vielleicht rühmen möchte, die Schreibseeligkeit die aller geringste ist: so verzeihe Du, wenn sie nicht selbst die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht hast. Wie leer es bei uns aussieht, fällt mir erst recht auf, wenn ich umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freundliches zuschicken möchte. Darüber will ich mir nun also weiter kein Gewissen machen und auch für die gedruckten Hefte danken, wie für Manches wovon ich noch jetzt nicht weiß, wie ich mich seiner würdig machen soll. Das wollen wir denn mit bescheidenem Schweigen übergehen und uns lieber abermals zu den Juden wenden, die jetzt in einem entscheidenden Moment zwischen Thür und Angel stecken, und die Flügel schon sperren, noch ehe ihnen das Thor der Freiheit weit genug geöffnet ist. –

Es war mir sehr angenehm, zu sehen, daß man den finanzgeheimeräthlichen, jacobinischen Israelssohn so tüchtig nach Hause geleuchtet hat. Kannst Du mir den Verfasser der kleinen Schrift wohl nennen? Es 216 sind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plaidoyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden können. Leider ist das Ganze nicht rasch, kühn und lustig genug geschrieben, wie es hätte sein müssen, um jenen Humanitätssalbader vor der ganzen Welt ein- für allemal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um die Judenstädtigkeit selbst, damit ich ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre.

Was Du mir von Molitor zu sagen gedenkst, wird mir Freude machen; auch durch das Letzte was Du von ihm schickst, wird er mir merkwürdig, besonders durch das was er von der Pestalozzischen Methode sagt.

Lebe recht wohl! Hab' tausend Dank für die gute Aufnahme des Sohns, und bleibe dem Vater günstig.

G.

An Goethe.

Die Städtigkeits- und Schutzordnung der Judenschaft wird hierbei von einer edlen Erscheinung begleitet; nicht allein um Dir eine Freude zu machen, sondern weil dies Bild mir lieb ist, hab' ich's von der 217 Wand an meinem Bett genommen, an dem es seit drei Tagen hing, und seine Schönheit dem Postwagen anvertraut; Du sollst nur sehen was mich reizen kann. Häng' dies Bild vor Dich, – schau ihm in diese schönen Augen, – in denen der Wahnsinn seiner Jugend schon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnsucht erregt. – Dies Unwiederbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt, und schnell entschwindet, weil es zu herrlich ist für den Mißbrauch. – Diesem aber ist es nicht entschwunden, es ist ihm nur tiefer in die Seele gesunken, denn zwischen seinen Lippen haucht sich schon wieder aus, was sich im erhellten Aug' nicht mehr darf sehen lassen. – Wenn man das ganze Gesicht anblickt: – man hat's so lieb – man möcht' mit ihm gewesen sein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu vergüten durch tausendfache Liebe, – und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, scheinen alle Wünsche für ihn erfüllt. Sein ganzes Wesen, – das Buch was er an sich hält, macht ihn so lieb; hätt' ich damals gelebt, ich hätt' ihn nicht verlassen.

August ist weg; ich sang ihm vor: „Sind's nicht diese, sind's doch andre, die da weinen wenn ich wandre, holder Schatz, gedenk' an mich.“ Und so wan218derte er zu den Pforten unseres republikanischen Hauses hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erinnerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergessen zu haben scheinst, und mir nur immer von dem Volk schreibst welches verflucht ist, und es Dir lieb ist wenn Jacobson heimgeschickt wird, aber nicht wenn ich heimlich mit Dir bin, so schreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer lieb haben muß – halt, weil sie muß.

Dem Primas hüt' ich mich wohl, deine Ansichten über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht, und hab' auch meine Gründe; ich läugne auch nicht, die Juden sind ein heißhungriges, unbescheidenes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, so reißen sie einem bei der Hand an sich, daß man um und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß sie so lang in der Noth gesteckt haben; ihre Gattung ist doch Menschenart, und diese soll doch einmal der Freiheit theilhaftig sein, zu Christen will man sie absolut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der überfüllten Judengasse will man sie nicht heraus lassen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekostet, bis die Christen sich entschlossen hatten ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu schicken, 219 es war aber ein höchst genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, fürs erste Christen- und Judenkinder in eine Schule zu bringen; die können's denn mit einander versuchen, und den Alten mit gutem Beispiel vorgehen. Die Juden sind wirklich voll Untugend, das läßt sich nicht läugnen; aber ich sehe gar nicht ein, was an den Christen zu verderben ist; und wenn denn doch alle Menschen Christen werden sollen, so lasse man sie in's himmlische Paradies, – da werden sie sich schon bekehren, wenn's ihnen gefällig ist.

Siehst Du, die Lieb' macht mich nicht blind, – es wär' auch ein zu großer Nachtheil für mich, denn mit sehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.

Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus nach den Judenbroschüren reicht; ich bitte Dich, steck' das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in dein Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war, und hernach nicht mehr.

Bettine.

220 An Bettine.

Du zürnst auf mich, da muß ich denn gleich zu Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machst über meine kurzen kalten Briefe, da doch deine lieben Briefe, dein lieb Wesen, kurz alles was von Dir ausgeht, mit der schönsten Anerkenntniß müßte belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube fest, und daß es mir wohler thut, je länger ich deiner Liebe gewiß werde. Gestern schickte ich meiner Mutter ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein baares Äquivalent für das, was ich anders auszusprechen in mir kein Talent fühle; sehe zu wie Du Dir's aneignen kannst. Leb' wohl, schreib' mir bald, alles was Du willst.

Goethe.

Der durchreisende Passagier wird Dir hoffentlich werth geblieben sein bis an's Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm erzeigt hast. – Wenn ich in Carlsbad zur Ruh' bin, so sollst Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit 221 mir; schreib' mir ja recht viel von deinen Reisen, Landparthieen, alten und neuen Besitzungen; das lese ich nun so gern.

Weimar, den 4, Mai 1808.

 

Sonett, im Brief an Goethe's Mutter eingelegt.

Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen
Sprangst du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen.
„Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Möchte' ich als Vater segnend Häuser bauen!“

Und als du anfingst in die Welt zu schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen.
„Solch eine Schwester! und ich wär' geborgen:
Wie könnt' ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!“

Nun kann den schönen Wachsthum nichts beschränken;
Ich fühl' im Herzen heißes Liebetoben.
Umfass' ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?

Doch ach! nun muß ich dich als Fürstin denken:
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.

 

222 An Goethe.

Ist es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung, beschämt zu Deinen Füßen zu sehen, so sehe jetzt auf mich herab; so geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufsetzt; wenn ihr Herz auch stolz ist, ihn zu lieben, so ist die Krone doch zu schwer; ihr Köpfchen schwankt unter der Last, und noch obendrein ist sie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr schenkt.

Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder um schön Wetter zu beten, kann ich doch den blendenden Sonnenstrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel seufzen, still verschwiegen, als von deiner Muse an's helle Tageslicht geführt, beschämt, bekränzt; das sprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht so lange, nimm mir die Krone ab, verschränke deine Arme um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergessen über Dir selber, daß Du mich verklärt mir wiederschenkst.

Bettine.

223 An Goethe

Am 20. Mai.

Schon acht Tage bin ich in der lieblichsten Gegend des Rheins, und konnte vor Faulheit, die mir die liebe Sonne einbrennt, keinen Augenblick finden, deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. – Wie läßt sich da auch schreiben! Die Allmacht Gottes schaut mir zu jedem Fenster herein und neigt sich anmuthig vor meinem begeisterten Blick.

Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hellsehen begabt, was mir die Gedanken einnimmt. Seh' ich einen Wald, so wird mein Geist auch alle Hasen und Hirsche gewahr, die drin herumspringen; und hör' ich die Nachtigall, so weiß ich gleich was der kalte Mond an ihr verschuldet hat.

Gestern Abend ging ich noch spät an den Rhein; ich wagte mich auf einen schmalen Damm, der mitten in den Fluß führt, an dessen Spitze von Wellen umbraus'te Felsklippen hervorragen; ich erreichte mit einigen gewagten Sprüngen den aller vordersten, der grade so viel Raum bietet, um trocknen Fußes drauf zu stehen. Die Nebel umtanzten mich; Heere von Raben flogen über mir, sie drehten sich im Kreis, als wollten sie sich aus der Luft herablassen; ich wehrte mich dagegen mit 224 einem Tuch, das ich über meinen Kopf schwenkte, aber ich wagte nicht über mich zu sehen, aus Furcht in's Wasser zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, – dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Gestalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Flusse stehen sah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen fassen; endlich lernte er begreifen, wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord seines Dreibords. Da lag ich auf schmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo seine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem sehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und ihr Fahrzeug anstrichen.

Wie leidenschaftlos wird man, wenn man so frei und einsam sich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt sich Ruh' durch alle Glieder, sie ertränkt einen mit sich selbsten, sie trägt die Seele so still und sanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätschern hörte. Da sehnte ich mich nicht wie sonst meine Gedanken vor Dir auszusprechen, daß sie gleich den Wellen an der Brandung anschlagen und 225 belebter weiter strömen; ich seufzte nicht nach jenen Regungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß sie Geheimnisse wecken und dem glühenden Jugendgeist Werkstätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte sein Pfeifchen angezünd't; ich sagte: Herr Schiffskapitain, Ihr seht ja aus als hätt' die Sonne Euch zum Harnisch ausglühen wollen; – ja, sagte er, jetzt sitz' ich im Kühlen; aber ich fahre nun schon vier Jahre alle Reisende bei Bingen über den Rhein, und da ist keiner so weit hergekommen wie ich. Ich war in Indien; da sah ich ganz anders aus, da wuchsen mir die Haare so lang. – Und war in Spanien; da ist die Hitze nicht so bequem, und ich hab' Strabatzen ausgestanden; da fielen mir die Haare aus, und ich kriegte einen schwarzen Krauskopf. – Und hier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth und Arbeit, wie es ein Mensch kaum erträgt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hinter einander schlafen, – da mocht' es regnen und blitzen unter freiem Himmel. Hier schlaf' ich Nachts keine Stunde; wer's einmal geschmeckt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaarige Holländer über die Gosse zu fahren, – und sollt' 226 ich den ganzen Rhein hinunterschwimmen auf meinen dünnen Rippen, so muß ich fort aus einem Ort, wo's nichts zu lachen giebt und nichts zu seufzen. – Ei, wo möchtet Ihr denn hin? – Da, wo ich am meisten ausgestanden habe, das war in Spanien; – da möchte' ich wieder sein, und wenn's noch einmal so hart herging'! – Was hat Euch denn da so glücklich gemacht? – Er lachte und schwieg, – wir landeten; ich bestellte ihn zu mir, daß er sich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich nichts bei mir hatte; er wollte aber nichts nehmen. Im Nachhausegehen überlegte ich, wie mein Glück ganz von Dir ausgeht; wenn Du nicht wärst, im langweiligen Deutschland, so möcht' ich wahrhaftig auch auf meinen dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabschwimmen. Unsre Großmutter hat uns oft so erhabene Dinge gesagt von Deutschlands großen Geistern, aber Du warst nicht dabei, sonst hätt' ich mich vor Dir gehütet, und Du wärst meiner Begeistrung verlustig gewesen. Im Einschlafen fühlte ich mich noch immer gewiegt in süßer, gedankloser Zerstreuung, und es war mir, als hab' ich Dir große Dinge mitzutheilen, von denen ich glaubte, ich dürfe nur wollen, so werde sie der Mund meiner Gedanken aussprechen; jetzt aber, nach ausgeschlafnem Traumleben, weiß ich nichts als mich deinem Andenken, 227 deiner freundlichen Neigung auf's innigste anzuschmiegen; denn wärst Du mir nicht, ich weiß nicht was ich dann wär'; aber gewiß: unstät und unruhig würde ich suchen, was ich jetzt nicht mehr suche.

Dein Kind.

Wie ist mir, lieber einziger Freund! Wie schwindelt mir, was willst Du mir sagen, – Schatz! köstlicher! von dem ich alles lerne tief in der Brust, der mir alle Fesseln abnimmt die mich drücken, der mir winkt in die Lüfte, in die Freiheit.

Das hast Du mir gelehrt, daß alles was meinem Geist eine Fessel ist, allein nur drückende Unwissenheit ist; wo ich mich fürchte, wo ich meinen Kräften nicht traue, da bin ich nur unwissend.

Wissen ist die Himmelsbahn; das höchste Wissen ist Allmacht, das Element der Seeligkeit; so lange wir nicht in ihm sind, sind wir noch ungeboren. Seelig sein ist frei sein; ein freies, selbstständiges Leben haben, dessen Höhe und Göttlichkeit nicht abhängt von seiner Gestaltung; das in sich göttlich ist, weil nur reiner Entfaltungstrieb in ihm ist; ewiges Blühen an's Licht und sonst nichts.

228 Liebe ist Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Dies Herz, das von Dir empfunden sein will, will frei werden; es will entlassen sein aus dem Kerker in dein Bewußtsein. Du bist das Reich, der Stern, den es seiner Freiheit erobern will. Liebe will allmählig die Ewigkeit erobern, die wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.

Dies Sehnen ist jenseits der Athem, der die Brust hebt; und die Liebe ist die Luft, die wir trinken.

Durch Dich werd' ich in's unsterbliche Leben eingehen; der Liebende geht ein durch den Geliebten in's Göttliche, in die Seeligkeit. Liebe ist Überströmen in die Seeligkeit.

Dir alles sagen, das ist mein ganzes Sein mit Dir; der Gedanke ist die Pforte, die den Geist entläßt; da rauscht er hervor und hebt sich hinüber zur Seele die er liebt, und läßt sich da nieder, und küßt die Geliebte, und das ist Wollustschauer: den Gedanken empfinden, den die Liebe entzündet.

Möge mir dies süße Einverständniß mit Dir bewahrt bleiben, in dem sich unser Geist berührt; dies kühne Heldenthum, das sich über den Boden der Bedrängniß und Sorge hinweg hebt, auf himmlischen Stufen aufwärtsschreitend, solchen schönen Gedanken entgegen, von denen ich weiß, sie kommen aus Dir.

229 Goethe an B.

Am 7. Juni.

Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreise nach Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite so viel Herrliches und Wichtiges leuchtet mir entgegen, daß ich im voraus Beschlag lege auf jede prophetische Eingebung deiner Liebe; deine Briefe wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um den schönen Reichthum den sie enthalten, zu ordnen. Fahre fort, mit diesem lieblichen Irrlichtertanz mein beschauliches Leben zu ergötzen, und beziehende Abentheuer zu lenken; – es ist mir alles aus eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche Ferne, deren man sich deutlich bewußt fühlt, obschon man sie schon lange verlassen hat. Forsche doch nach dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du ihm wieder begegnest; es wäre doch wohl interessant zu erfahren, wie der indische Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den bösen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen. Adieu! Der Eichwald und die kühlen Bergschluchten, die meiner harren, sind der Stimmung nicht ungünstig, die Du so unwiderstehlich herauszulocken verstehst; auch pre230dige deine Naturevangelien nur immer in der schönen Zuversicht, daß Du einen frommen Gläubigen an mir hast.

Die gute Mutter hat mir sehr bedauerlich geschrieben, daß sie diesem Sommer Dich entbehren soll; deine reiche Liebe wird auch dahin versorgend wirken, und Du wirst Einen in dem Andern nicht vergessen.

Möchtest Du doch auch gelegentlich meinen Dank, meine Verehrung unserm vortrefflichen Fürsten Primas ausdrücken, daß er meinen Sohn so über alle Erwartung geehrt, und der braven Großmutter ein so einziges Fest gegeben. Ich sollte wohl selbst dafür danken, aber ich bin überzeugt, Du wirst das, was ich zu sagen habe, viel artiger und anmuthiger, wenn auch nicht herzlicher vortragen.

Deine Briefe werden mir im Carlsbad bei den drei Mohren der willkommenste Besuch sein, von denen ich mir das beste Heil verspreche. Erzähle mir ja recht viel von deinen Reisen, Landparthieen, alten und neuen Besitzungen, und erhalte Dich mir in fortdauerndem lebendigem Andenken.

G.

231 An Goethe.

Am 16. Juni.

Hier sind noch tausend herrliche Wege, die alle nach berühmten Gegenden des Rheins führen; jenseits liegt der Johannisberg, auf dessen steilen Rücken wir täglich Prozessionen hinaufklettern sehen, die den Weinbergen Seegen erflehen, dort überströmt die scheidende Sonne das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind trägt feierlich die Fahnen der Schutzheiligen in den Lüften, und bläht die weitfaltigen weißen Chorhemden der Geistlichkeit auf, die sich in der Dämmerung wie ein räthselhaftes Wolkengebilde den Berg hinabschlängeln. Im Näherrücken entwickelt sich der Gesang; die Kinderstimmen klingen am vernehmlichsten; der Baß stößt nur ruckweise die Melodien in die rechten Fugen, damit sie das kleine Schulgewimmel nicht all' zu hoch treibe, und dann pausirt er am Fuß des Bergs, wo die Weinlagen aufhören. Nachdem der Herr Kaplan den letzten Rebstock mit dem Wadel aus dem Weihwasserkessel bespritzt hat, fliegt die ganze Prozession wie Spreu auseinander, der Küster nimmt Fahne, Weihkessel und Wadel, Stola und Chorhemd, alles unter den Arm, und trägt's eilends davon, und als ob die Grenze der Wein232berge auch die Grenze der Audienz Gottes wär', so fällt das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen sich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelassenheit verdrängt den Bußgesang, alle Unarten gehen los, die Knaben balgen sich, und lassen ihre Drachen am Ufer im Mondschein fliegen, die Mädchen spannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die Bursche bombardieren sie mit wilden Castanien; da jagt der Stadthirt die Kuhheerde durch's Getümmel, den Ochs voran, damit er sich Platz mache; die hübschen Wirthstöchter stehen unter den Weinlauben vor der Thür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da sprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmessner sagte nach gehaltener Procession zum Herrn Kaplan: Nun haben wir's unserm Herrgot vorgetragen, was unserm Wein Noth thut: noch acht Tage trocken Wetter, dann Morgens früh Regen und Mittags tüchtigen Sonnenschein, und das so fort Juli und August! wenn's dann kein gutes Weinjahr giebt, so ist's nicht unsre Schuld.

Gestern wanderte ich, der Prozession vorüber, hinauf nach dem Kloster, wo sie herkam. Oft hatte ich im Aufsteigen halt gemacht, um den verhallenden Gesang noch zu hören. Da oben auf der Höhe war große Ein233samkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das Psalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war, spürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das sinkende Treiben des scheidenden Tags; ich blieb in Gedanken sitzen, – da kam aus dem fernen Waldgeheg' von Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geist, sein weicher Galopp tönte mir weissagend, die schlanke Figur des Reiters schmiegte sich so nachgebend den Bewegungen des Pferdes, das den Hals sanft und gelenk bog; bald in lässigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg gestellt, er mogte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und schwarzer Mütze sah ich nicht grade einem Mädchen ähnlich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu steil sei zum Hinabreiten, und ob es noch weit sei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatschte seinen sanften Hals. Des Reiters schwarzes Haar, seine erhabene Stirn und Nase waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechselweise Raum, uns näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte, 234 schien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen; ich aber entdeckte in seinen Zügen, seiner Kleidung und Bewegungen eine reizende Eigenheit nach der andern. Nachlässig, Bewußtlos, Naturlaunig saß er auf seinem Schimmel, der das Regiment mit ihm theilte. – Dorthin flog er im Nebel schwimmend, der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben, wo heute die Prozession in ausgelassnem Übermuth auseinander sprengte, allein zurück: Ich fühlte mich sehr gedemüthigt, ich ahndete nicht nur, ich war überzeugt, dies rasche Leben, das eben gleichgültig an mir vorüber gestreift war, begehre mit allen fünf Sinnen, des Köstlichsten und Erhabensten im Dasein sich zu bemächtigen.

Die Einsamkeit giebt dem Geist Selbstgefühl; die duftenden Weinberge schmeichelten mich wieder zufrieden.

Und nun vertraue ich Dir schmucklos meinen Reiter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnsucht nach dem lebendigen Geheimniß in der Menschenbrust. Soll ich in Dir lebendig werden, genießen, athmen und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, so muß ich, deiner höheren Natur unbeschadet, alles bekennen dürfen, was mir fehlt, was ich erlebe und ahnde; nimm mich auf, 235 weise mich zurecht und gönne mir die heimliche Lust des tiefsten Einverständnisses.

Die Seele ist zum Gottesdienst geboren, daß ein Geist in dem andern entbrenne, sich in ihm fühle und verstehen lerne, das ist mir Gottesdienst – je inniger: je reiner und lebendiger.

Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und Mond beschienen, da bist Du meine Heiligung.

Bettine.

 

Am 25. Juni.

Du wirst doch auch einmal den Rhein wieder besuchen, den Garten deines Vaterlands, der dem ausgewanderten die Heimath ersetzt, wo die Natur so freundlich groß sich zeigt; – Wie hat sie mit sympathetischem Geist die mächtigen Ruinen auf's neue belebt, wie steigt sie auf und ab an den düstern Mauern und begleitet die verödeten Räume mit schmeichelnder Begrasung, und erzieht die wilden Rosen auf den alten Warten und die Vogelkirsche, die aus verwitterter Mauerluke herablacht. Ja komm' und durchwandre den mächtigen Bergwald vom Tempel herab zum Felsennest das über dem schäumenden Bingerloch herabsieht, die Zinnen 236 mit jungen Eichen gekrönt; wo die schlanken Dreiborde wie schlaue Eidexen durch die reißende Fluth am Mäusethurm vorbeischießen. Da stehst Du und siehst, wie der helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus dem Wasserspiegel herauflacht, und Dich selbst auf deinem kecken, eigensinnigen, basaltnen Ehrenfels inmitten abgemalt, in ernste, schaurig umfassende Felshöhen, und hartnäckige Vorsprünge eingerahmt; da betrachte Dir die Mündungen der Thale, die mit ihren friedlichen Klöstern zwischen wallenden Saaten aus blauer Ferne hervorgrünen, und die Jagdreviere und hängenden Gärten, die von einer Burg zur andern sich schwingen, und das Geschmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer schmückt.

O Weimar, O Karlsbad, entlaßt mir den Freund! Schließ' dein Schreibpult zu und komm' hier her lieber, als nach Carlsbad; das ist ja ein Kleines, daß Du den Postillion sagst: links statt rechts; ich weiß was Du bedarfst, ich mache Dir dein Zimmer zurecht neben Meinem, das Eckzimmer, mit dem einen Fenster den Rhein hinunter, und dem andern hinüber; ein Tisch, ein Sessel, ein Bett und ein dunkler Vorhang, daß die Sonne Dir nicht zu früh herein scheint. Muß es denn immer auf 237 dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert sein, wo man so oft marode wird?

Eben entdeckte ich den Briefträger, ich sprang ihm entgegen, er zeigte mir auch von weitem deinen Brief, er freute sich mit mir und hatte auch Ursache dazu, er sagte: Gewiß ist der Brief von dem Herrn Liebsten! Ja, sagte ich, für die Ewigkeit! das hielt er für ein melancholisches Ausrufungszeichen.

Die Mutter hat mir auch heute geschrieben, sie sagt mir's herzlich, daß sie mir wohl will, von deinem Sohn erhalte ich zuweilen Nachricht durch andre, er selbst aber läßt nichts von sich hören.

Und nun leb' wohl, dein Aufenthalt im Karlsbad sei Dir gedeihlich, ich segne deine Gesundheit, wenn Du krank wärst und Schmerzen littest, würde ich sehr mitleiden; ich hab' so Manches nachfühlen müssen, was Du wohl längst verschmerzt hattest, noch eh' ich Dich kannte.

Die drei Mohren sollen deine Wächter sein, daß sich kein fremder Gast bei Dir einschleiche, und Du Dir kein geschnitzeltes Bild machst, dasselbige anzubeten. Laß Dir's bei den drei Mohren gesagt sein, daß ich um den Ernst deiner Treue bitte, erhalte mir sie unter den zierlichen müssigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die 238 Nadel mit dem Gordischen Knoten trag' an deiner Brust, denk daran, daß Du aus der Fülle meiner Liebe keine Wüste des Jammers machen sollst, und sollst den Knoten nicht entzwei hauen.

Dem Primas hab' ich geschrieben in deinem Auftrag, er ist in Aschaffenburg, er hat mich eingeladen, dorthin zu kommen; ich werde auch wahrscheinlich mit der ganzen Familie ihn besuchen, da kann ich ihm alles noch einmal mittheilen. Ich werde Dir Nachricht darüber geben.

Nun küsse ich Dir zum letztenmal Hand und Mund, um Morgen einen neuen Brief zu beginnen.

Bettine.

An Goethe.

Am 5. Juli.

Wenn ich Dir alle Ausflüge beschreiben sollte, liebster Herr, die wir von unserm Rheinaufenthalt aus machen, so blieb mir keine Minute übrig zum Schmachten und Seufzen. Das wär' mir sehr lieb, denn wenn mein Herz voll ist, so möcht' ich's gerne vor Dir überströmen lassen; aber so geht's nicht: Hat man den ganzen Tag im heißen Sonnenbrand einen Berg um den andern er239stiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Hast in sich getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, so möchte man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken, und ihm sagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beschreibung von Weg und Steg machen. Was vermag ich auch vor Dir, als nur Dich innigst anzusehen! Was soll ich Dir vorplaudern? – Was können Dir meine einfältigen Reden sein?

Wer sich nach der schönen Natur sehnt, der wird sie am besten beschreiben, der wird nichts vergessen keinen Sonnenstrahl, der sich durch die Felsritze stiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen streift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einsamen Ort. Wer aber Mitten drinnen ist, und mit glühendem Gesicht oben ankommt, der schläft wie ich gern auf dem grünen Rasen ein, und denkt weiter nicht viel, manchmal giebt's einen Stoß an's Herz, da seh' ich mich um und suche, wem ich's vertrauen soll.

Was sollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brausenden Wasserstrudel! – es drückt einem doch nur, und – keine Antwort, niemals, wenn man auch noch so begehrend fragt. –

240 Am 7. Juli.

So lauten die Stoßseufzer am Abend, am Morgen klingt's anders, da regt sich's schon vor Sonnenaufgang und treibt mich hinaus, wie einer längst ersehnten Botschaft entgegen. Den Nachen kann ich schon allein regieren, es ist mein liebstes Morgengebet ihn listig und verstohlen von der Kette zu lösen, und mich hinüber an's Ufer zu studieren. Allemal muß ich's wieder von neuem lernen, es ist ein Wagstück, mit Muthwill begonnen, aber sehr andächtig beschlossen; denn ich danke Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe ich dann einen der vielen Strahlenwege, die sich hier nach allen Seiten aufthun. Jedesmal lauscht die Erwartung im Herzen, jedesmal wird sie gelös't, bald durch die allumfassende Weite auf der Höh', durch die Sonne die so plötzlich alles aus dem Schlaf weckt; ich klimme herab an Felswänden, reinliches Moos, zierliches Flechtwerk begleitet den Stein, kleine Höhlen zum Lager wie gegossen, in denen verschnauf' ich, dort zwischen dunklen Felsen leuchtet ein helleres Grün: kräftig blühend, untadelich, mitten in der Wüste find' ich die Blume auf reinlichem Heerd, einfache Haushaltung Gottes; inmitten von Blüthenwänden die Opferstätte 241 feierlich umstellt von schwanken priesterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und Weihrauch streuen, und wie die indischen Mädchen goldnen Staub in die Lüfte werfen. – Dann seh' ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant ist, den der Zufall an's Licht gebracht hat. Wenn's einer wär', ich schenkte ihn Dir, und denk' mir deine Verwunderung über das Kleinod unserer rheinischen Felsen. Da lieg' ich am unbeschatteten Ort mit brennenden Wangen, und sammle Muth, wieder hinüber zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferstock des heiligen Petrus, der mit großem Himmelsschlüssel in's vergitterte Kapellchen eingesperrt ist, ruh' ich aus auf weichem Gras, und such' vergebens, o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüssel passen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängniß der Unwissenheit und Unbewußtheit; wo ist die Thür die dem Licht und der Freiheit sich öffnet. – Da ruschelt's, da zwitschert's im Laub, dicht neben mir, unter niederem Ast sitzt das Finkenweibchen im Nest und sieht mich kläglich an.

Das sind die kleinen allerliebsten Abentheuer und Mühseligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntschaft der kleinen Gänsehirtin, sie strahlte 242 mich von weitem an mit ihren zollangen schwarzen Augenwimpern, die andern Kinder lachten es aus und sagten alle Menschen hielten sich drüber auf, daß es so lange Wimpern habe. Es stand beschämt da, und fing endlich an zu weinen. Ich tröstete es und sagte: Weil Dich Gott zur Hüterin über die schönen weißen Gänse bestellt hat, und Du immer auf freier Wiese gehest, wo die Sonne so sehr blendet, so hat er Dir diese langen Augenschatten wachsen lassen. Die Gänse drängten sich an ihre weinende Hüterin, und zischten mich und die lachenden Kinder an, könnt' ich malen – das gäb' ein Bild!

Gut ist's, daß ich nicht viel von dem weiß, was in der Welt vorgeht, und von Künsten und Wissenschaften nichts versteh', ich könnte leicht in Versuchung gerathen, Dir darüber zu sprechen, und meine Phantasie würde alles besser wissen wollen, jetzt nährt sich mein Geist von Inspirarionen. – Manches hör' ich nennen, anwenden, vergleichen, was ich nicht begreife, was hindert mich danach zu fragen? – was macht mich so gleichgültig dagegen? oder warum weiche ich wohl gar aus, etwas Neues zu erfahren? –

243 Am frühen Morgen.

Ein Heer von Wolken macht mir heute meine frühe Wanderung zu Wasser, dort drüben die Ufer sind heute wie Schatten der Unterwelt schwankend und schwindend; die Thurmspitzen der Nebelbegrabenen Städte und Ortschaften dringen kaum durch, die schöne grüne Au' ist verschwunden. – Es ist noch ganz früh – ich merk's! kaum kann es vier Uhr sein, da schlagen die Hähne an, von Ort zu Ort in die Runde bis Mittelheim, von Nachbar zu Nachbar; keiner verkümmert dem andern die Ehre des langen Nachhalls, und so geht's in die Ferne wie weit! die Morgenstille dazwischen, wie die Wächter der Moscheen, die das Morgengebet ausrufen.

Morgenstund' hat Gold im Mund', schon seh' ich's glänzen und flimmern auf dem Wasser, die Strahlen brechen durch, und säen Sterne in den eilenden Strom, der seit zwei Tagen, wo es unaufhörlich gießt, angeschwollen ist.

Da hat der Himmel seine Schleier zerrissen! – nun ist's gewiß, daß wir heute schön Wetter haben, ich bleibe zu Hause und will alle Segel zählen, die vorüber ziehen, und allen Betrachtungen Raum geben, die mir die ferne allmählig erhellende Aussicht zuführt. Du kennst den Fluß des Lebens wohl genau; und weißt, wo die Sand244bänke und Klippen sind, und die Strudel, die uns in die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer mit gespanntem Segel, mit frischem Wind wohl kommen wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzudenken über den Eigensinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geistes, so mag dir's wohl anschaulich sein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen wird. O sag' mir's, daß ich nichts erwarten soll von jenen Luftschlössern, die die Wolken eben im Saffran und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen, sag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige Schweigen zwischen mir und der Welt sei nichtig und nichts!

Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au' seinen diamantnen Fuß aufsetzt und sich über's Haus hinüberschwingt auf den Johannisberg, der ist wohl grad' wie der seelige Wahn, den ich habe von Dir und Mir. Und der Rhein, der sein Netz ausspannt, um das Bild seiner paradiesischen Ufer drinn aufzufangen, der ist wie diese Lebensflamme, die von Spiegelungen des Unerreichbaren sich nährt. Mag sie denn der Wirklichkeit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; – es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geist geben 245 und den Charakter, der mein Selbst ausspricht, wie dem Fluß das Bild, das sich in ihm spiegelt.

Am Abend.

Heute Morgen schiffte ich noch mit dem launigen, Rheinbegeisterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au', seine enthusiastischen Erzählungen waren ganz von dem O und Ach vergangner schönen Zeiten durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier nicht im Paradiese gelebt habe, und dann erzählte er vom Ursprung des Rheins und seinen Windungen durch wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er da nach Norden sich wende und wieder zurückgewiesen werde links nach Westen, wo er den Bodensee bilde, und dann so kräftig sich über die entgegenstellenden Felsen stürze; ja, sagte der gute Vogt ganz listig und lustig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die von der Höhe des ungeheuren Urfelsen, der so mannigfaltige, abwechselnde Bestandtheile hat, niederfließen und den Rhein bilden, der als Jünglingskind erst sprudelt, das sind seine Musen, nämlich Wissenschaft, Kunst und Poesie, und wie da noch mehr herrliche Flüsse sind: der 246 Tessin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der schönste und berühmteste, so ist Goethe auch der berühmteste und schönste vor Herder, Schiller und Wieland; und da wo der Rhein den Bodensee bildet, das ist die liebenswürdige Allgemeinheit Goethes', wo sein Geist von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrungen ist, da, wo er sich über die entgegenstaunenden Felsen stürzt: das ist sein trotzig Überwinden der Vorurtheile, sein heidnisch Wesen, das braus't tüchtig auf und ist tumultuarisch begeistert; da kommen seine Xenien und Epigramme, seine Naturansichten, die den alten Philistern ins Gesicht schlagen, und seine philosophischen und religiösen Richtungen, die sprudeln und toben zwischen dem engen Felsverhak des Widerspruchs und der Vorurtheile so fort, und mildern sich dann allmählig; nun aber kömmt noch der beste Vergleich: Die Flüsse die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüsse, das sind die Liebschaften, so gehts immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Mosel, die Nette, die Ahr; – nun kommen sie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, – lauter Flußjungfern: die Elz, die Treisam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus 247 dem Odenwald und Melibocus herab, haben sich ein paar allerliebste Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die sind so eilig: was giltst Du, was hast Du? – Dann führt ihm der Main ganz verschwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er selber; und so macht's unser großer deutscher Dichter auch, wie unser großer deutscher Fluß; wo er geht und steht, wo er gewesen ist und wo er hinkommt, da ist immer was Liebes, was den Strom seiner Begeistrung anschwellt.

Ich war überrascht von der großen Gesellschaft; Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der Vergleiche waren noch kein Ende: Geschichte und Fabel, Feuer und Wasser, was über und unter der Erde gedeiht, wußte er passend anzuwenden; ein Rhinocerosgerippe und versteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er, als deine interessantesten Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß Du auch bis an's End', wie der Rhein, aushalten werdest, und nachdem Du wie er, alle gesättigt und genossen, sanft und gemachsam dem Meer der Ewigkeit zuwallen werdest; er schrieb mir das Verzeichniß aller Flüsse auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie 248 leid thut mir's, daß nach dieser noch die Lahn, die Sayn, die Sieg, die Roer, die Lippe und die Ruhr kommen sollen!

Adieu! Ich nenne diesen Brief die Epistel der Spaziergänge; wenn sie Dir nicht gefallen, so denke, daß die Nidda keine Goldkörner in ihrem Bett führt wie der Rhein, nur ein bischen Quecksilber.

Sei mir gegrüßt bei den drei Mohren.

Bettine.

An Bettine.

Am 15. Juli.

Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, so reich an Erlebtem, sind mir kurz nach einander zugekommen; der erste indem ich im Begriff war das Freie zu suchen. Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns seines Inhalts auf einem wohlgeeigneten bequemen Ruhepunkt, wo Natur und Stimmung, im Einklang mit deinen sinnig heiteren Erzählungen und Bemerkungen, einen höchst erfreulichen Eindruck nicht verfehlten, der sich fortan durch den gordischen Knoten signalisiren soll. Mögen die Götter diesen magischen Verschlingungen ge249neigt sein und kein tückischer Dämon daran zerren! an mir soll's nicht fehlen, deine Schutz- und Trutzgerechtsame zu bewahren gegen Nymphen und Waldteufel.

Deine Beschreibung der Rheinprozession und der flüchtigen Reitergestalt haben mir viel Vergnügen gemacht, sie bezeichnen wie Du empfindest und empfunden sein willst; lasse Dir dergleichen Visionen nicht entgehen, und versäume ja nicht solche vorüberstreifende Aufregungen bei den drei Haaren zu erfassen, dann bleibt es in deiner Gewalt das Verschwundene in idealischer Form wieder herbei zu zaubern. Auch für deine Naturbegeistrungen in die Du mein Bild so anmuthig verstrickst, sei Dir Dank, solchen allerliebsten Schmeicheleien ist nicht zu wehren.

Heute Morgen ist denn abermals deine zweite Epistel zu mir gelangt, die mir das schöne Wetter ersetzte. Ich habe sie mit Muße durchlesen, und dabei den Zug der Wolken studiert. Ich bekenne Dir gern, daß mir deine reichen Blätter die größte Freude machen; deinen launigen Freund, der mir schon rühmlichst bekannt ist, grüße in meinem Namen und danke ihm für den großmüthigen Vergleich; obschon ich hierdurch mit ausgezeichneten Prärogativen belehnt bin, so werd' ich diese doch nicht zum Nachtheil deiner guten Gesinnung miß250brauchen; liebe mich so fort, ich will gern die Lahn und die Sayn ihrer Wege schicken.

Der Mutter schreibe, und lasse Dir von ihr schreiben; liebet Euch unter einander, man gewinnt gar viel wenn man sich durch Liebe einer des andern bemächtigt; und wenn Du wieder schreibst, so könntest Du mir nebenher einen Gefallen thun, wenn Du mir immer am Schluß ein offnes, unverhohlnes Bekenntniß des Datums machen möchtest; außer manchen Vortheilen die sich erst durch die Zeit bewähren, ist es auch noch besonders erfreulich gleich zu wissen, in wie kurzer Zeit dies alles von Herzen zu Herzen gelangt. Das Gefühl der Frische hat eine wohlthuende, raumverkürzende Wirkung, von welcher Wir beide ja auch Vortheil ziehen können.

G.

An Goethe.

Am 18. Juli.

Warst Du schon auf dem Rochusberg? – er hat in der Ferne was sehr Anlockendes, wie soll ich es Dir beschreiben? – so, als wenn man ihn gern befühlen, streichlen möchte, so glatt und sammetartig. Wenn die Kapelle auf der Höhe von der Abendsonne beleuchtet ist, und man sieht in die reichen, grünen, runden Thäler, 251 die sich wieder so fest an einander schließen, so scheint er, sehnsüchtig an das Ufer des Rheins gelagert, mit seinem sanften Anschmiegen an die Gegend, und mit den geglätteten Furchen die ganze Natur zur Lust erwecken zu wollen. Er ist mir der liebste Platz im Rheingau; er liegt eine Stunde von unserer Wohnung; ich habe ihn schon Morgens und Abends, im Nebel, Regen und Sonnenschein besucht. Die Kapelle ist erst seit ein paar Jahren zerstört, das halbe Dach ist herunter, nur die Rippen eines Schiffgewölbes stehen noch, in welches Weihen ein großes Nest gebaut haben, die mit ihren Jungen ewig aus- und einfliegen, ein wildes Geschrei halten das sehr an die Wassergegend gemahnt. – Der Hauptaltar steht noch zur Hälfte, auf demselben ein hohes Kreuz, an welches unten der heruntergestürzte Christusleib festgebunden ist. Ich kletterte an dem Altar hinauf; um den Trümmern noch eine letzte Ehre anzuthun, wollte ich einen großen Blumenstrauß, den ich unterwegs gesammelt hatte, zwischen eine Spalte des Kopfes stecken; zu meinem größten Schrecken fiel mir der Kopf vor die Füße, die Weihen und Spatzen und alles was da genistet hatte, flog durch das Gepolter auf, und die stille Einsamkeit des Orts war Minuten lang gestört. Durch die Öffnungen der Thüren 252 schauen die entferntesten Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannst Du so viel Land übersehen, als Du Lust hast. Wie ein breites Feiergewand zieht es der Rhein schleppend hinter sich her, den Du vor der Kapelle mit allen grünen Inseln wie mit Schmaragden geschmückt, liegen siehst; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Johannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der beste Wein wächst, liegen von verschiednen Seiten, und fangen die heißen Sonnenstrahlen wie blitzende Juwelen auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie sich die Nebel zu Ballen wälzen und sich an den Bergwänden herabsenken, wie das Erdreich sie gierig schluckt, und wie die heißen Winde drüber herstreifen. Es ist nichts schöner, als wenn das Abendroth über einen solchen benebelten Weinberg fällt; da ist's, als ob der Herr selbst die alte Schöpfung wieder angefrischt habe, ja, als ob der Weinberg vom eignen Geist benebelt sei. – Und wenn dann endlich die helle Nacht heraufsteigt und allem Ruh' giebt, – und mir auch, die vorher wohl die Arme ausstreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht hat; – deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip253pen hatte, ohne ihn auszusprechen; – müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? – und keine Antwort? alles still? – Ja Natur! wer so innig mit ihr vertraut wär', daß er an ihrer Seeligkeit genug hätte! – aber ich nicht! – Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küsse; zieh' sie nicht zurück, wie Du sonst gethan hast.

Wo war ich heut Nacht? – wenn Sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hause geschlafen habe und doch so sanft geruht habe! – Dir will ich's sagen; Du bist weit entfernt, wenn Du auch schmälst, – bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.

Gestern Abend ging ich noch allein auf den Rochusberg, und schrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig, und wie ich mich wieder besann und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überrascht, ich hätte mich gefürchtet, – die Sterne litten's nicht; diese hunderttausende und ich beisammen in dieser Nacht! – Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten sollte, zähl' ich denn mit? – Hinunter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen gefunden zum Überfahren; die Nacht ist auch gar nicht lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und 254 sagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeschlafen, – dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht' ich an Dich; so oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich sagte immer im Herzen: Goethe, sei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den schilfigen Ufern des Rheins schiffe, und da wo es am tiefsten war, zwischen schwarzen Felsspalten, da entfiel mir dein Ring; ich sah ihn sinken, tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach Hülfe rufen, – da erwachte ich im Morgenroth, neubeglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Prophet! – deute mir diesen Traum; komm dem Schicksal zuvor, laß unserer Liebe nicht zu nahe geschehen, nach dieser schönen Nacht, wo ich zwischen Furcht und Freude im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte*). Ich

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*) Als ich auf dem Euphrat schiffte,
Streifte sich der goldne Ring
Fingerab in Wasserklüfte,
Den ich jüngst von Dir empfing.

Also träumt' ich. Morgenröthe
Blitzt' in's Auge durch den Baum,
Sag' Poete, sag' Prophete!
Was bedeutet dieser Traum?

 

255 hatte schon längst Sehnsucht nach diesem süßen Abentheuer; nun hat es mich so leise beschlichen, und alles steht noch auf dem alten Fleck. Keiner weiß wo ich war, und wenn sie's auch wüßten, – könnten sie ahnen, warum? – Dort kamst Du her, durch den flüsternden Wald, von milder Dämmerung umflossen, und wie Du ganz nahe warst, das konnten die müden Sinne nicht ertragen, der Thymian duftete so stark; – da schlief

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Dies zu deuten bin erbötig!
Hab' ich Dir nicht oft erzählt,
Wie der Doge von Venedig
Mit dem Meere sich vermählt?

So von deinen Fingergliedern
Fiel der Ring dem Euphrat zu.
Ach zu tausend Himmelsliedern,
Süßer Traum, begeisterst du?

Mich, der von den Indostanen
Streift bis Damascus hin,
Um mit neuen Caravanen
Bis an's rothe Meer zu ziehn,

Mich vermählst Du deinem Flusse,
Der Terrasse, diesem Hain,
Hier soll bis zum letzten Kusse
Dir mein Geist gewidmet sein.
      (Goethe's Werke, 5ter Band Seite 147 u. 148.)

 

256 ich ein, – es war so schön, alles Blüthe und Wohlgeruch. Und das weite, grenzenlose Heer der Sterne, und das flatternde Mondsilber, das von Ferne zu Ferne auf dem Fluß tanzte, die ungeheure Stille der Natur, in der man alles hört, was sich regt; ach, hier fühle ich meine Seele eingepflanzt in diese Nachtschauer; hier keimen zukünftige Gedanken; diese kalten Thauperlen, die Gras und Kräuter beschweren, von denen wächst der Geist; er eilt, er will Dir blühen, Goethe; er will seine bunten Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir ist es, daß ich denken will, daß ich ringe nach noch Unausgesprochenem. Du siehst mich an im Geist, und dein Blick zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft sagen, was ich nicht verstehe, – was ich nur sehe.

Der Geist hat auch Sinne; so wie wir manches nur hören, oder nur sehen, oder nur fühlen: so giebt's Gedanken, die der Geist auch nur mit einem dieser Sinne wahrnimmt; oft seh' ich nur was ich denke, oft fühle ich's; und wenn ich's höre, da erschüttert mich's. Ich weiß nicht wie ich zu diesen Erfahrungen komme, die sich nicht aus eigner Überlegung erzeugen; – ich sehe mich um nach dem Herrn dieser Stimme; – und dann meine ich, daß sich alles aus dem Feuer der Liebe erzeuge. Es ist Wärme im Geist, wir fühlen es; die 257 Wangen glühen vom Denken, und Frostschauer überlaufen uns, die die Begeistrung zu neuer Gluth anfachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich erwachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hätten die Gelübde meines Herzens Flügel, und schwängen sich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte Blau. – Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur angemessne Bewegung, reines Streben nach dem Himmlischen. Das ist mein Gelübde: Freiheit von allen Banden, und daß ich nur dem Geist glauben will, der Schönes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht.

Der Nachtthau hatte mich gewaschen; der scharfe Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leises Frösteln, aber ich erwärmte mich beim Herabsteigen von meinem lieben sammtnen Rochus; die Schmetterlinge flogen schon um die Blumen; ich trieb sie alle vor mir her, und wo ich unterwegs einen sah, da jagte ich ihn zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig beisammen, – ich hätte sie gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haspelten sie alle aus einander.

Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäste; – Christian Schlosser bringt mir einen Brief von der Mutter und Dir, ich schließe, um zu lesen.

Dein Kind.

258 Lieber Goethe! Du bist zufrieden mit mir, und freust Dich über alles was ich schreibe, und willst meine goldne Halsnadel tragen; – ja thu' es, und lasse sie ein Talismann sein für diese glückerfüllte Zeit. Heute haben wir den 21sten.

An Goethe.

Caub.

Ich schreibe Dir in der christallnen Mitternacht; schwarze Basaltgegend, in's Mondlicht eingetaucht! Die Stadt macht einen rechten Katzenbuckel mit ihren geduckten Häusern, und ganz bepelzt mit himmelsträubenden Felszacken und Burgtrümmern; und da gegenüber schauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man der Katze das Fell streicht.

Ich lag schon im Bett unter einer wunderlichen Damastdecke, die mit Wappen und verschlungenen Namenszügen, und verblichnen Rosen und Jasminranken ganz starr gestickt ist; ich hatte mich aber drunter in das Dir bekannte Fell des Silberbären eingehüllt. Ich lag recht bequem und angenehm, und überlegte mir, was der Christian Schlosser mir unterwegs hierher alles 259 vorgefaselt hat; er sagt, Du verstehst nichts von Musik, und hörst nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, woher er das wisse; – er meint, er habe sich Mühe gegeben, Dich über Musik zu belehren; es sei ihm nicht gelungen; – vom Tod aber habe er gar nicht angefangen, aus Furcht, Dir zu mißfallen. Und wie ich eben in dem alleinigen, mit großen Federbüschen verzierten Ehebett darüber nachdenke, hör' ich draußen ein Liedchen singen, in fremder Sprache; so viel Gesang – so viel Pause! – ich springe im Silberbär an's Fenster, und gucke hinaus, – da sitzt mein spanischer Schiffsmann in der frischen Mondnacht und singt. Ich erkannt' ihn gleich an der goldnen Quaste auf seiner Mütze; ich sagte: guten Abend Herr Kapitain, ich dachte, Ihr wär't schon vor acht Tagen den Rhein hinab in's Meer geschwommen. Er erkannte mich gleich und meinte, er habe drauf gewartet, ob ich nicht mit wolle. Ich ließ mir das Lied noch einmal singen; es klang sehr feierlich, – in den Pausen hörte man den Wiederhall an der kleinen scharfkantigen Pfalz, die in mitten umdrängender schwarzer Felsgruppen, mit ihren elfenbeinernen Vesten und silbernen Zinnen ganz in's Mondlicht eingeschmolzen war. –

Lieber Goethe, ich weiß nicht was Dir der Schlos260ser über Musik demonstrirt hat mit seiner verpelzten Stimme, – aber hättest Du heute Nacht mit mir dem fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne unter sich einen feierlichen Reihgen tanzten; wie sie hinüber wallten an die Ufer, die Felsen anhauchten und der leise Wiederhall in tiefer Nacht so süß geweckt, träumerisch nachtönte; der Schiffer, wie er aus verschmachteter Pause wehmüthig aufseufzt, in hohen Tönen klagt, und aufgeregt in Verzweiflung, hallend ruft nach Unerreichbarem, und dann mit erneuter Leidenschaft der Erinnerung seinen Gesang weiht, in Perlenreihen weicher Töne den ganzen Schatz seines Glückes hinrollt; – O und Ach! haucht, – lauscht, – schmetternd ruft; – wieder lauscht – und ohne Antwort endlich die Heerde sammelt, in Vergessenheit die kleinen Lämmer zählt: eins, zwei, drei, und weg zieht vom verödeten Strand seines Lebens, der arme Schäfer. – Ach wunderbare Vermittlung des Unausprechlichen, was die Brust bedrängt; ach Musik! –

Ja hättest Du's mit angehört, mit eingestimmt; hättest Du in die Geschicke mitgeseufzt, – mitgeweint, – und Begeistrung hätte Dich durchzückt, und mich, lieber Goethe, – die ich auch dabei war, – tief bewegt; – mich hätte der Trost in deinen Armen ereilt.

261 Mir sagte der Schiffer gute Nacht, ich sprang in mein großes Bett unter die damastene Decke; sie knarrte mir so vor den Ohren; – ich konnte nicht schlafen, – ich wollte still liegen, – da hörte ich in den gewundenen Säulen der Bettstelle die Todtenwürmchen picken; eins nach dem andern legte los, wie geschäftige Gesellen in einer Waffenschmiede. –

Ich muß mich schämen vor Dir; – ich fürchte mich zuweilen, wenn ich so allein bin in der Nacht und in's Dunkel sehe; es ist nichts, aber ich kann mich nicht dagegen wehren; dann möcht' ich nicht allein sein, und blos darum denke ich manchmal, ich müsse heirathen, damit ich einen Beschützer habe gegen diese verwirrte angstvolle Gespensterwelt. Ach Goethe! – nimmst Du mir das übel? – Ja wenn der Tag anbricht, dann bin ich selbst ganz unzufrieden über solche alberne Verzagtheit. – Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, wo jeder Busch, jeder Ast ein ander Gesicht schneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muthwille bezwingt die Angst. – Draußen ist es auch was ganz andres, – da sind sie nicht so zudringlich; man fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wirken, das alles und einem selbst durchströmt; – wer kann sich da fürchten? – Vorgestern auf dem Rochus, 262 in tiefer Nacht allein, da hörte ich den Wind ganz von weitem herankommen; – er nahm zu in rascher Eile, je näher er kam, und dann, grade zu meinen Füßen senkte er die Flügel sanft, ohne nur den Mantel zu berühren, kaum daß er mich anhauchte, mußte ich da nicht glauben, er sei blos gesendet, um mich zu grüßen? – Du weißt es doch, Goethe, Seufzer sind Boten; Du säßest allein am offnen Fenster, am späten Abend, und dächtest und fühltest die letzte Begeisterung für die letzte Geliebte in deinem Blut wallen; – dann unwillkührlich stößt Du den Seufzer aus, – der macht sich augenblicklich auf den Weg und jagt, – Du kannst ihn nicht zurückrufen.

Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger Brust aus verwirrtem Denken und Wünschen entspringen; aber ein solcher Seufzer aus mächtiger Brust, wo die Gedanken, in schöner Wendung sich verschränkend, auf hohen Kothurnen die Thaugebadeten Füße in heiligem Takte bewegen, von schwebender Muse geleitet; – ein solcher Seufzer, der deinen Liedern die Brust entwiegelt, – der schwingt sich als Herold vor ihnen her, und meine Seufzer, lieber Freund! – zu tausenden umdrängen sie ihn.

Heute Nacht nun hab' ich mich grausam gefürchtet, 263 – ich sah nach dem Fenster, wo es hell war, – ich wär' so gern' dort gewesen! ich war auf mein fatales Erblager aus dem vorigen Jahrhundert, in dem Ritter und Prälaten schon mögen ihren Geist ausgehaucht haben, und ein Dutzend kleiner Meister vom Hammer, alle emsig, pochten und pickten fest gebannt. Ach, wie sehnt' ich mich nach der kühlen Nachtluft. – Kann man so närrisch sein. – Plötzlich hatte ich überwunden, ich stand mitten in der Stube. Auf den Füßen, da bin ich gleich ein Held, es soll mir einer nah' kommen, – ach, wie pochten mir Herz und Schläfe, die vierzehn Nothhelfer, die ich aus alter Gewohnheit vom Kloster her noch herbeirief, sind auch keine Gesellschaft zum Lachen, da der eine seinen eignen Kopf, der andre sein Eingeweide im Arm trägt, und so weiter. Ich entließ sie alle zum Fenster hinaus. Und du magischer Spiegel, in dem alles so zauberisch wieder scheint, was ich erlebe, was war's denn, was mich beseligte? – Nichts! – Tiefes Bewußtsein, Friede athmen, – so stand ich am Fenster und erwartete den anbrechenden Tag. –

Bettine.

 

264 Am 24. Juli.

Über Musik lasse ich Dich nicht los. Du sollst mir bekennen, ob Du mich liebst, Du sollst sagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlst. Der Schlosser hat Generalbaß studiert, um ihn Dir beizubringen, und Du hast Dich gewehrt, wie er sagt, gegen die kleine Sept, und hast gesagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn Ihr sie nicht in Reih' und Glied könnt' aufstellen, wenn sie nicht einklingt in die so bündig abgeschlossnen Gesetze der Harmonie, wenn sie nicht ihren sinnlich natürlichen Ursprung hat, so gut wie die andern Töne, – und Du hast den verdutzten Missionair zu deinem heidnischen Tempel hinausgejagt und bleibst einstweilen bei deiner Lydischen Tonart, die keine Sept hat. – Aber Du mußt ein Christ werden, Heide! – Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne sinnliche Basis; sie ist der göttliche Führer, Vermittler der sinnlichen Natur mit der Himmlischen; sie ist übersinnlich, sie führt in die Geisterwelt, sie hat Fleisch und Bein angenommen, um den Geist vom Fleisch zu befreien, sie ist zum Ton geworden, um den Tönen den Geist zu geben, und wenn sie nicht wär', so würden alle Töne in der Vorhölle sitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundaccorde was Gescheuteres wären, als die Erzvä265ter vor der Erlösung, vor der Himmelfahrt. Er kam und führte sie mit sich gen Himmel, und jetzt, wo sie erlös't sind, können sie selber erlösen, – sie können die harrende Sehnsucht befriedigen. So ist es mit den Christen, so ist es mit den Tönen: ein jeder Christ fühlt den Erlöser in sich, ein jeder Ton kann sich selbst zum Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk der Erlösung aus dem Sinnlichen in's Himmlische vollbringen, und nur durch Christum gehen wir in das Reich des Geistes ein, und nur durch die Sept wird das erstarrte Reich der Töne erlös't und wird Musik; ewig bewegter Geist, was eigentlich der Himmel ist; so wie sie sich berühren, erzeugen sich neue Geister, neue Begriffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Offenbarungen, Musik ist das Medium des Geistes, wodurch das Sinnliche geistig wird – und wie die Erlösung über alle sich verbreitet, die von dem lebendigen Geist der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben sich sehnen: so leitet die Sept durch ihre Auflösung alle Töne die zu ihr um Erlösung bitten, auf tausend verschiednen Wegen zu ihrem Ursprung, zum göttlichen Geist. Und wir arme Menschen sollten uns genügen lassen, daß wir fühlen: unser ganzes Dasein ist ein Zubereiten, Seeligkeit zu fassen, und sollten nicht 266 warten auf einen wohlgepolsterten, aufgeputzten Himmel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles, was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem Glanz sich wieder finde; ja sogar behauptet, ihr verblichnes Hochzeitskleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und Silberblättern durchwirkt und scharlachrothem Sammtüberwurf, werde dort ihr himmlisches Gewand sein, und der juwelene Strauß, den ein grausamer Dieb ihr entwendet, sauge schon jetzt einstweilen das Licht der Sterne ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himmlischen Kronen zu glänzen. Sie sagt: für was wär' dies Gesicht das meinige, und warum spräche der Geist aus meinen Augen diesen oder jenen an, wenn er nicht vom Himmel wär' und die Anwartschaft auf ihn hätte? alles was todt ist, macht keinen Eindruck; was aber Eindruck macht, das ist ewig lebendig. Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, so meint sie, das sind alles Dinge, die im Himmel aufgestellt werden. Oft erzähle ich ihr von Kunstwerken meiner Einbildung. Sie sagt: das sind Tapeten der Phantasie, mit denen die Wände der himmlischen Wohnungen verziert sind. Letzt war sie im Conzert und freute sich sehr über ein Violoncell; da nahm ich die Gelegenheit wahr, und sagte: Geb' Sie acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht so lang' mit 267 dem Fidelbogen um den Kopf schlagen, bis Sie einsieht, der Himmel ist Musik. Sie war ganz frappirt, und nach langer Pause sagte sie: Mädchen, Du kannst Recht haben.

Am 25.

Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte verschreib' ich an Dich, gestern früh im Nachen da schlief ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Musik, und was ich Dir gestern Abend halb ermüdet und halb besessen niedergeschrieben habe, ist kaum eine Spur von dem, was sich in mir aussprach, aber Wahrheit liegt drinnen; es ist eben ein großer Unterschied zwischen dem, was einem schlafend der Geist eingiebt, und dem, was man wachend davon behaupten kann. Ich sage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu sein, wenn ich Dir schreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine Züge sammlen, unbekümmert, ob sie aus einer Anschauung hervorgehen, ob sie ein System begründen. Ich möchte selbst gerne wissen, was Musik ist, ich suche sie, wie der Mensch die ewige Weisheit sucht. Glaube nicht, daß, was ich geschrieben habe, nicht mein wahrer Ernst sei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob268schon es der himmlischen Genialität entbehrt und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn so schlecht verstand, hinter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu können. – Adieu! gestern Abend ging ich noch spät in der schönen, blühenden Lindenallee im Mondschein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und sanft singen. Da saß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lindenbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte sie an der Brust, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während sie ihr Lied sang; also im Keim, wo kaum die erste Lebensspur sich regt, da ist Musik schon die Pflegerin des Geistes, es summt in's Ohr und dann schläft das Kind, die Töne sind die Gesellen seiner Träume, sie sind seine Mitwelt; es hat ja nichts – das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es ist allein im Geist; aber die Töne dringen in es ein und fesseln es an sich, wie die Erde das Leben der Pflanze an sich fesselt, und wenn Musik das Leben nicht hielt', so würde es erkalten. und so brütet Musik fort, von da an wo der Geist sich regt, bis er reif und flück und ungeduldig hinausstrebt nach jenseits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Musik die Mutterwärme war, um den Geist unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.

269 Am 26.

Dies heimliche Ergötzen an Deiner Brust zu schlafen: – denn dies Schreiben an Dich nach durchlaufner Tagsgeschichte ist ein wahres Träumen an deinem Herzen von deinen Armen umschlungen, ich freu' mich immer, wenn wir in die Herberge einziehen und es heißt: wir wollen früh zu Bett' denn wir müssen auch früh wieder heraus, der Franz jagt mich immer zuerst in's Bett', und ich bin auch so müde, daß ich's kaum erwarten kann; ich werfe in Hast die Kleider ab, und sinke vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da umfängt mich das Waldrevier, durch das wir am Tag' geschritten waren, das Licht der Träume blitzt durch die dunkeln Wölbungen des Schlafs. – Träume sind Schäume, sagt man, ich hab' eine andre Bemerkung gemacht, ob die wahr ist? – allemal die Gegend, die Umgebung in der ich mich im Traum fühle, die deutet auf die Stimmung, auf das Passive meines Gemüths. So träum' ich mich jetzt immer in Verborgenes, Heimliches; es sind Höhlen von weichem Moos bei kühlen Wassern, verschränkt von blühenden Zweigen; es sind dunkle Waldschluchten, wo uns gewiß kein Mensch findet und sucht. Da wart' ich auf Dich im Traum, ich harre, und sehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen, 270 verwachsenen Wegen hin und her, und eile zurück, weil ich glaub' jetzt bist Du da; dann bricht plötzlich der Wille durch, ich ringe in mir, Dich zu haben, und das ist mein Erwachen. Dann färbt sich's schon im Osten, ich rücke mir den Tisch an's Fenster, die Dämmerung verschleiert noch die ersten Zeilen; bis ich aber das Blatt zu Ende geschrieben habe, scheint schon die Sonne. Ach, was schreib' ich Dir denn? – Ich hab' selbst kein Urtheil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kommen wird. Laß andre ihre Schicksale bereichern durch schöne Walfarthen in's gelobte Land, laß sie ihr Journal schreiben von gelehrten und andern Dingen, wenn sie Dir auch einen Elephantenfuß oder eine versteinerte Schneck mitbringen, – darüber will ich schon Herr werden, wenn sie sich nur nicht in ihren Träumen in Dich versenken, wie ich. Laß mir die stille Nacht, nimm keine Sorgen mit zu Bett, ruh aus in dem schönen Frieden, den ich Dir bereite, ich bin ja auch so glücklich in Dir! Es ist freilich schön wie Du sagst, sich in dem Labyrinth geistiger Schätze mit dem Freund zu ergehen; aber darf ich nicht bitten für das Kind, das stumm vor Liebe ist? Denn eigentlich ist dieses geschriebene Geplauder nur eine Nothhilfe – die tiefste Liebe in mir ist stumm: es ist, wie ein Mückchen summt um deine Ohren im Schlaf, 271 und wenn Du nicht wach werden willst, und meiner bewußt sein, dann wird Dich's stechen. – Sag! ist dies Leidenschaft, was ich Dir hier vorbete? – O sag's doch; – wenn's wahr wäre, wenn ich geboren wär in Leidenschaft zu verflammen, wenn ich die hohe Ceder wär, auf dem die Welt überragenden Libanon, angezündet zum Opfer deinem Genius, und verduften könnte in Wohlgerüchen, daß jeder deinen Geist einsöge durch mich; wenns so wär, mein Freund, das Leidenschaft den Geist des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft! – und so ist es auch! dein Geist wohnt in mir, und entzündet mich, und ich verzehre mich in Flammen, und verdufte, und was die aussprühenden Funken erreichen, das verbrennt mit; – so knackert und flackert jetzt die Musik in mir, – die muß auch herhalten zum lustigen Opferfeuer; sie will nur nicht recht zünden, und setzt viel Rauch. Ich gedenke hier Deiner und Schiller's; die Welt sieht Euch an wie zwei Brüder auf einem Thron, er hat so viel Anhänger wie Du; – sie wissen's nicht, daß sie durch den einen vom andern berührt werden; ich aber bin dessen gewiß. – Ich war auch einmal ungerecht gegen Schiller, und glaubte, weil ich Dich liebe, ich dürfe seiner nicht achten; aber nachdem ich Dich gesehen hatte, und nach dem seine 272 Asche, als letztes Heiligthum seinen Freunden als Vermächtniß hinterblieb, da bin ich in mich gegangen; ich fühlte wohl, das Geschrei der Raben über diesem heiligen Leichnam sei gleich dem ungerechten Urtheil. Weißt Du, was Du mir gesagt hast, wie wir uns zum erstenmal sahen? – Ich will Dir's hier zum Denkstein hinsetzen deines innersten Gewissens, Du sagtest: Ich denke jetzt an Schiller, indem sah'st Du mich an und seufztest tief, und da sprach ich drein, und wollte Dir sagen, wie ich ihm nicht anhinge, und Du sagtest abermals: „ich wollte, er wär' jetzt hier. – Sie würden anders fühlen, kein Mensch konnte seiner Güte widerstehen, wenn man ihn nicht so reich achtet und so ergiebig, so war's, weil sein Geist einströmte in alles Leben seiner Zeit, und weil jeder durch ihn genährt und gepflegt war, und seine Mängel ergänzt. So war er Andern, so war er mir des meisten, und sein Verlust wird sich nicht ersetzen.“ Damals schrieb ich deine Worte auf, nicht um sie als merkwürdiges Urtheil von Dir andern mitzutheilen; – nein, sondern weil ich mich beschämt fühlte. Diese Worte haben mir wohlgethan, sie haben mich belehrt, und oft wenn ich im Begriff war über einen den Stab zu brechen, so fiel mir's ein, wie Du damals in deiner milden Gerechtigkeit den Stab über meinen Aberwitz gebrochen. 273 Ich mußte in aufgeregter Eifersucht doch anerkennen, ich sei nichts. „Man berührt nichts umsonst,“ sagtest Du, diese langjährige Verbindung, dieser ernste, tiefe Verkehr, der ist ein Theil meiner selbst geworden; und wenn ich jetzt ins Theater komme und seh' nach seinem Platz, und muß es glauben, daß er in dieser Welt nicht mehr da ist, daß diese Augen mich nicht mehr suchen, dann verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber nicht mehr da sein.“

Lieber Goethe, Du hast mich sehr hochgestellt, daß Du damals so köstliche Gefühle und Gesinnungen vor mir aussprachst. Es war zum erstenmal, daß jemand sein innerstes Herz vor mir aussprach, und Du warst es! – ja Du nahmst keinen Anstoß, und ergabst Dich diesen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärtlich und weich gestimmt, daß Du lange an mir gelehnt bliebst, und mich endlich fest an Dich drücktest!

Ich bin müde; ich habe geschrieben von halb 3 bis jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden – es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren. Du solltest nur das Getümmel von Nebel sehen auf dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt! 274 Wenn wir hier bleiben, dann schreib' ich Dir mehr heute Nachmittag, denn ich wollte Dir von Musik sagen, und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zusammenhängt – das bohrt mir schon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß schlafen.

Am Abend.

Ich bin sehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht schreiben, aber ich seh', daß diese Blätter auf dieser wunderlichen Kreuz- und Querreise sich zu etwas ganzem bilden, und da will ich doch nicht versäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages fest zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechselnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshausen geblieben, und haben den Rheinfels erstiegen; meine Hände sind von Dornen geritzt und meine Kniee zittern noch von der Anstrengung, denn ich war voran und wählte den kürzesten und steilsten Weg. Hier oben sieht es so feierlich und düster aus: eine Reihe nackter Felsen schieben sich gedrängt hinter einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und so treten sie keck ins Flußbett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen 275 stillen See um den verzauberten Lurelei sich herum schwingt, über Felsschichten hinrauschend, schäumt, bullert, schwillt, gegen den Riff anschießt und den überbrausenden Zorn der schäumenden Fluthen, wie ein echter Zecher, in sich hineintrinkt.

Da oben sah ich bequem unter der schützenden Mauer des Rheinfels die Nachkommenden mit rothen und grünen Parapluies mühsam den schlüpfrigen Pfad hinaufklettern, und da eben der Sonne letzter Hoffnungsstrahl verschwand, und ein tüchtiger Guß dem Gebet um schön Wetter ein End' machte, kehrte die Naturliebende Gesellschaft beinah am Ziel, verzagt wieder um und ich blieb allein unter den gekrönten Häuptern. Wie beschreib' ich Dir diese erlebte Stunde mit kurzem Wort, treffend; kaum konnte ich Athem holen, – so streng und gewaltig. Ach ich bin glücklich! die ganze Welt ist schön, und ich erleb' alles für Dich.

Ich sah still und einsam in die tobende Fluth, die Riesengesichter der Felsen schüchterten mich ein; ich getraute kaum den Blick zu heben; – manche machen's zu arg, wie sie sich überhängen, und mit dem düstern Gesträuch, das sich aus geborstener Wand hervor drängt; die nackten Wurzeln, kaum vom Stein gehalten, die hängenden Zweige schwankend im reißenden Strom; – 276 es wurde so finster, – ich glaubte, heute könne nicht mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob mich die Wölfe heute Nacht fressen würden, – da trat die Sonne hervor, und umzog mit Wolken kämpfend die Höhen mit einem Feuerring. Die Waldkronen flammten, die Höhlen und Schluchten hauchten ein schauerliches Dunkelblau aus über den Fluß hin; da spielen mannigfaltige Wiederscheine auf den versteinerten Gaugrafen, und eine Schattenwelt umtanzt sie in flüchtigem Wechsel auf der bewegten Fluth; alles wankte, – ich mußte die Augen abwenden. Ich riß den Epheu von der Mauer herab und machte Kränze und schwang sie mit meinem Hakenstock, mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in die Fluth. Ach, ich sah sie kaum, – weg waren sie! Gute Nacht! –

277 Am 27.

Goethe, guten Morgen! ich war früh um 4 Uhr bei den Salmenfischern und habe helfen lauern, denn sie meinen auch: „im Trüben ist gut fischen,“ aber es half nichts, es wurde keiner gefangen. Einen Karpfen hab' ich losgekauft und Gott und Dir zu Ehren wieder in die Fluth entlassen.

Das Wetter will sich nicht aufklären; eben schiffen wir über, um auf dem linken Ufer zu Wagen wieder nach Hause zu fahren, ich hätte gar zu gern noch ein paar Tage hier herumgekreuzt.

An Bettine.

3. August 1808.

Ich muß ganz darauf verzichten, Dir zu antworten, liebe Bettine; Du läßt ein ganzes Bilderbuch herrlicher, allerliebster Vorstellungen zierlich durch die Finger laufen; man erkennt im Flug die Schätze, und man weiß, was man hat, noch eh' man sich des Inhalts bemächtigen kann. Die besten Stunden benütze ich dazu, um näher mit ihnen vertraut zu werden, und ermuthige 278 mich, die elektrischen Schläge Deiner Begeistrungen auszuhalten. In diesem Augenblick hab ich kaum die erste Hälfte Deines Briefs gelesen, und bin zu bewegt, um fortzufahren. Hab' einstweilen Dank für alles; verkünde ungestört und unbekümmert Deine Evangelien und Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß Deine Psalmen herabströmen zu mir und den Fischen; wundre Dich aber nicht, daß ich, wie diese verstumme. Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu schreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Lust zu lesen.

Was Dir Schlosser über mich mitgetheilt hat, verleitet Dich zu sehr interessanten Excursionen aus dem Naturleben in das Gebiet der Kunst. Daß Musik mir ein noch räthselhafter Gegenstand schwieriger Untersuchung ist, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Ausspruch des Missionairs, wie Du ihn nennst, muß gefallen lassen, das wird sich erst dann erweisen wenn die Liebe zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abstrakten Studien bewegt, nicht mehr beharrt. Du hast zwar flammende Fackeln und Feuerbecken ausgestellt in der Finsterniß, aber bis jetzt blenden sie mehr als sie erleuchten, indessen erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, so bleibe nur dabei und sprühe nach allen Seiten hin.

279 Da ich nun heute bis zum Amen Deiner reichen inhaltsvollen Blätter gekommen bin, so möchte ich Dir schließlich nur mit einem Wort den Genuß ausdrücken, der mir daraus erwächst und Dich bitten, daß Du mir ja das Thema über Musik nicht fallen läßt, sondern vielmehr nach allen Seiten hin und auf alle Weise variirst. Und so sage ich Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe mir gut, bis günstige Sterne uns zu einander führen.

G.

An Goethe.

Rochusberg.

Fünf Tage waren wir unterwegs, und seitdem hat es unaufhörlich geregnet. Das ganze Haus voll Gäste, kein Eckchen wo man sich der Einsamkeit hätte freuen können, um Dir zu schreiben.

So lang' ich Dir noch zu sagen habe, so lang' glaub' ich auch fest, daß dein Geist auf mich gerichtet ist, wie auf so manche Räthsel der Natur; wie ich denn glaube, daß jeder Mensch ein solches Räthsel ist, und daß es die Aufgabe der Liebe ist zwischen Freunden, das Räthsel aufzulösen; so daß ein jeder seine tiefere Natur durch und in dem Freund kennen lerne. Ja 280 Liebster, das macht mich glücklich, daß sich allmählig mein Leben durch Dich entwickelt, drum möcht' ich auch nicht falsch sein, lieber möcht' ich's dulden, daß alle Fehler und Schwächen von Dir gewußt wären, als Dir einen falschen Begriff von mir geben; weil dann deine Liebe nicht mit mir beschäftigt sein würde, sondern mit einem Wahnbild, was ich Dir statt meiner untergeschoben hätte. – Darum mahnt mich auch oft ein Gefühl, daß ich dies oder jenes Dir zu lieb meiden soll, weil ich es doch vor Dir läugnen würde.

Lieber Goethe, ich muß Dir die tiefsten Sachen sagen; sie kommen eigentlich allen Menschen zu, aber nur Du hörst mich an und glaubst an mich, und giebst mir in der Stille recht. – Ich habe oft darüber nachgedacht, daß der Geist nicht kann was er will, daß eine geheime Sehnsucht in ihm verborgen liegt, und daß er die nicht befriedigen kann; zum Beispiel, daß ich eine große Sehnsucht habe bei Dir zu sein, und daß ich doch nicht, wenn ich auch noch so sehr an Dich denke, Dir dies fühlbar machen kann; ich glaube es kommt daher, weil der Geist wirklich nicht im Reich der Wahrheit lebt, und er also sein eigentliches Leben noch nicht wahr machen kann, bis er ganz aus der Lüge heraus in das Reich der Offenbarung übergegangen ist; denn die Wahr281heit ist ja nur Offenbarung, und dann wird sich ein Geist auch dem andern zu offenbaren vermögen. Ich möchte Dir noch anderes sagen, aber es ist schwer, mich befällt Unruh', und ich weiß nicht wohin ich mich wenden soll; ja, im ersten Augenblick ist alles reich, aber will ich's mit dem Wort anfassen, da ist alles verschwunden, so wie im Märchen, wo man einen kostbaren Schatz findet, in dem man alle Kleinode deutlich erkennt, will man ihn berühren, so versinkt er, und das beweist mir auch, daß der Geist hier auf Erden das Schöne nur träumt und noch nicht seiner Meister ist, denn sonst könnte er fliegen, so gut wie er denkt daß er fliegen möchte. Ach, wir sind so weit von einander! welche Thür ich auch öffne und sehe die Menschen beisammen, Du bist nicht unter ihnen; – ich weiß es ja, noch eh' ich öffne, und doch muß ich mich erst überzeugen und empfinde die Schmerzen eines Getäuschten; – sollte ich Dir nun auch noch meine Seele verbergen? – oder das was ich zu sagen habe, einhüllen in Gewand, weil ich mich schäme der verzagten Ahndungen? – soll ich nicht das Zutrauen in Dich haben, daß Du das Leben liebst, wenn es auch noch unbehülflich der Pflege bedarf, bis es seinen Geist mittheilen kann? – Ich habe mir große Mühe gegeben, mich zu sammlen und mich 282 selbst auszusprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht versteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brausen, da bin ich in die Finsterniß hinaus, und hab' mich fortgeschlichen bis zum Ufer; – da war es immer noch nicht einsam genug, – da störten mich die Wellen, das Rauschen im Gras, und wenn ich in die dichte Finsterniß hineinstarrte und die Wolken sich theilten, daß sich die Sterne zeigten, – da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Gesicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu sein; das stärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da besann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir spreche, oder ob ich nur mich von Dir hören lasse? – Ach Goethe! – Musik, ja Musik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapitel, – da hören wir auch zu, aber wir sprechen nicht mit, – aber wir hören, wie sie unter einander sprechen, und das erschüttert uns, das ergreift uns; – ja, sie sprechen unter einander, und wir hören und empfinden, daß sie eins werden im Gespräch. – Drum, das wahre Sprechen ist eine Harmonie, ohne Scheidung alles in sich vereint; – wenn ich Dir die Wahrheit sage, so muß deine Seele in meine überfließen, – das glaub' ich.

Wo kommen sie her, diese Geister der Musik? – 283 Aus des Menschen Brust; – er schaut sich selber an, der Meister; – das ist die Gewalt, die den Geist zitirt. Er steigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und sie sehen sich scharf an, der Meister und der Geist, – das ist die Begeistrung; – so sieht der göttliche Geist die Natur an, davon sie blüht. – Da blühen Geister aus dem Geist; sie umschlingen einander, sie strömen aus, sie trinken einander, sie gebären einander; ihr Tanz ist Form, Gebild; wir sehen sie nicht – wir empfinden's, und unterwerfen uns seiner himmlischen Gewalt; und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. – Das ist Musik.

O, glaub' gewiß, daß wahre Musik übermenschlich ist. Der Meister fordert das Unmögliche von den Geistern, die ihm unterworfen sind, – und siehe, es ist möglich, sie leisten es. – An Zauberei ist nicht zu zweiflen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleistet werde, und daß das Höchste von der Ahndung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geister sich neigen. Wer das Göttliche will, dem werden sie Göttliches leisten. Was ist aber das Göttliche? – Das ewige Opfer des menschlichen Herzens an die Gottheit; – dies Opfer geht hier geistiger Weise vor; und wenn es der Meister auch 284 läugnet, oder nicht ahndet, – es ist doch wahr. – Erfaßt er eine Melodie, so ahndet er schon ihre Vollkommenheit, und das Herz unterwirft sich einer strengen Prüfung, es läßt sich alles gefallen, um dem Göttlichen näher zu kommen; je höher es steigt, je seeliger; und das ist das Verdienst des Meisters, daß er sich gefallen lasse, daß die Geister auf ihn eindringen, ihm nehmen, sein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu suchen unter ewigen Schmerzen der Begeistrung. Wo ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Musik. Wie ich aus dem Kloster kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Rasen und hörte Salierl und Winter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beethoven. Das alles umschwärmte mich; ich begriff's weder mit den Ohren noch mit dem Verstand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Mensch fühlt es; und schon damals fragte ich mich: wer ist das, der da gespeist und getränkt wird durch Musik, und was ist das, was da wächst und sich nährt und pflegt und selbst thätig wird durch sie? – denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen sollte. Oft dachte ich, ich müsse mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde sie auf Hö285hen führen über den Feind, und dann müßten sie auf mein Geheiß, auf meinen Wink hinunterbrausen in's Thal, und siegend sich verbreiten. Da sah ich die rothen und weißen Fähnlein fliegen, und den Pulverdampf in den sonneblendenden Gefilden; da sah ich sie heransprengen im Galopp – die Siegesboten, mich umringen und mir zujauchzen; da sah und fühlte ich, wie der Geist in der Begeistrung sich löst und zum Himmel aufschwingt; die Helden, an den Wunden verblutend, zerschmettert, seelig aufschreiend im Tod', ja, und ich selbst hab' es mit erlebt, – denn ich fühlte mich auch verwundet, und fühlte wie der Geist Abschied nahm, gern noch verweilt hätte unter den Palmen der Siegesgöttin, und doch, da sie ihn enthob, auch gern sich mit ihr aufschwang. Ja, so hab' ich's erlebt und anderes noch: wo ich mich einsam fühlte, in tiefe, wilde Schluchten sah, nicht tief – untief; unendliche Berge über mir, ahndend die Gegenwart der Geister. Ja, ich nahm mich zusammen und sagte: kommt nur, ihr Geister, kommt nur heran; weil ihr göttlich seid und höher als ich, so will ich mich nicht wehren. Da hörte ich aus dem unsäglichen Gebraus' der Stimmen die Geister sich losreißen; – sie wichen von einander – ich sah sie aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch 286 die himmlische blaue Luft verdufteten sie ihre silberne Weisheit, und sie neigten sich in den Felsensaal herab und strömten Licht über die schwarzen Abgründe, daß alles sichtbar war. Da sprangen die Wellen in Blumen in die Höhe und umtanzten sie, und ihr Nahen, ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schönheit auf mich, daß meine Augen sie kaum faßten mit allem Beistand des Geistes – und das war ihre ganze Wirkung auf mich.

O Goethe! ich könnte Dir noch viele Gesichte mittheilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus sich umringt sah von den wilden Thieren, die in süßer Wehmuth aufstöhnten mit den Seufzern seines Gesangs; ich glaub's, daß die Bäume und Felsen sich nahten, und neue Gruppen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt; ich sah Säulen emporsteigen und wunderbares Gebälk tragen, auf dem sich schöne Jünglinge wiegten; ich sah Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgestellt waren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des stolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren, in denen Priesterinnen mit goldnen Opfergeräthen wandelten und die Säulen mit Blumen schmückten, und deren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreis't waren; ich sah diese ungeheuren Architekturen mit der Nacht 287 sich vermählen, die elfenbeinenen Thürme mit ihren diamantnen Lazuren im Abendroth schmelzen, und über die Sterne hinausragen, die im kalten Blau der Nacht wie gesammelte Heere dahin flogen, und tanzend im Takt der Musik, und um die Geister sich schwingend, Kreise bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäldern das Seufzen der Thiere um Erlösung; und was schwärmte alles noch vor meinem Blick, und in meinem Wahn. – Was glaubte ich thun zu müssen und zu können; welche Gelübde hab' ich den Geistern ausgesprochen; alles, was sie verlangten, hab' ich auf ewig und ewig gelobt. Ach Goethe, das alles hab' ich erlebt in dem grünen goldgeblümten Gras. Da lag ich in der Spielstunde, und hatte die feine Leinwand über mich gebreitet, die man da bleichte, ich hörte oder fühlte mich vielmehr getragen und umbraust von diesen unaussprechlichen Symphonieen, die keiner deuten kann; da kamen sie, und begossen die Leinwand; und ich blieb liegen und fühlte die Gluth behaglich abgekühlt. Du wirst gewiß auch Ähnliches erlebt haben; diese Fieberreize, in's Paradies der Phantasie aufzusteigen haben Dich auf irgend eine Weise durchdrungen; sie durchglühen die Natur, die wieder erkaltet – etwas anders geworden, zu etwas anderm befähigt ist. An Dich haben 288 die Geister Hand gelegt, in's unsterbliche Feuer gehalten; – und das war Musik; ob Du sie verstehst, oder empfindest; ob Unruh' oder Ruhe Dich befällt; ob Du jauchzest, oder tief trauerst; ob Dein Geist Freiheit athmet oder seine Fesseln empfindet; – es ist immer die Geisterbasis des Übermenschlichen in Dir. Wenn auch weder die Terz noch die Quint Dir ein Licht aufstecken, wenn sie nicht so gnädig sind, sich von Dir beschauen und befühlen zu lassen, so ist es blos, weil Du durchgegangen bist durch ihre Heiligung, weil die Sinne, gereift an ihrem Licht, schon wieder die goldnen Fruchtkörner zur Saat ausspreuen. Ja, Deine Lieder sind die süßen Früchte, ihres Balsams voll. Balsam strömt in Deiner dityrambischen Wollust! schon sind's nicht mehr Töne – es sind ganze Geschlechter in Deinen Gedichten, die ihre Gewalt tragen und verbreiten. – Ja, das glaub' ich gewiß, daß Musik jede echte Kunsterscheinung bildet und sich freut, in Dir so rein wiedergeboren zu seyn. – Kümmere Dich nicht um die leeren Eierschalen, aus denen die flückgewordenen Geister entschlüpft sind; – nicht um die Terz und die Quint' und um die ganze Baasen- und Vetterschaft der Dur- und Molltonarten, – Dir sind sie selber verwandt; Du bist mitten unter ihnen. Das Kind fragt nicht unter den Seinigen: wer sind diese, und wie 289 kommen sie zu einander? es fühlt das ewige Gesetz der Liebe, daß es allen verbindet. – Und dann muß ich Dir auch noch eins sagen: Komponisten sind keine Maurer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang nicht vergessen; die Treppe nicht, und nicht den Dachstuhl, und die Thür nicht, wo sie wieder herausschlüpfen können und glauben, sie haben ein Haus gebaut. – Das sind mir keine Komponisten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuschneiden, das hinten und vornen lang genug ist. O, Deine Lieder, die durch's Herz brechen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben saß auf dem Rheinfels, und der Wind die starken Eichen bog, daß sie krachten, und sie saus'ten und braus'ten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. – Da hab' ich's gewagt zu singen; da war's keine Tonart – da war's kein Übergang – da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was so gewaltig mit in die Natur einstimmte: es war der Drang, eins mit ihr zu sein. Da hab' ich's wohl empfunden, wie Musik Deinem Genius einwohnt! Der hat sich mir gezeigt, schwebend über den Wassern, und hat mir's eingeschärft, daß ich Dich liebe. – Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen, und glaube nicht, Du müßtest sie verstehen und würdigen lernen; ergieb Dich auf 290 Gnad und Ungnad; leide in Gottesnamen Schiffbruch mit Deinem Begriff; – was willst Du alles Göttliche ordnen und verstehen, wo's her kommt und hin will. Siehst Du, so schreib' ich, wenn ich zügellos bin und nicht danach frage, ob's der Verstand billigt. Ich weiß nicht, ob es Wahrheit ist; mehr, als das, was ich erst prüfe, aber so möchte' ich lieber schreiben, ohne zu befürchten, daß Du, wie andre, mich schweigen hießest; was könnt' ich Dir alles sagen, wenn ich mich nicht besinnen wollte! bald würde ich Herr werden, und nicht sollte sich mir verbergen, was ich halten wollte mit dem Geist, – und wenn Du einstimmtest und neigtest Dich meinem Willen, wie der Sept-Accord sich der Auflösung entgegen drängt, dann wär's wie die Liebe es will.

Rochusberg.

Ich kann oft vor Lust, daß jetzt die seelige einsame Stunde dazu ist, nicht zum Schreiben kommen. Hier oben, im goldnen Sommer an die goldne Zukunft denken, – denn das ist meine Zukunft: Dich wieder sehen; 291 schon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abschied reichst und zu verstehen giebst, es sei genug der Zärtlichkeit, – da wende ich in Gedanken schon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.

Wie seelig, also Dich zu denken, wie geschwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem sie hofft, den Schatz zu heben.

Mein erster Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief schrieb, eh' wir reisten. Ich wollte sehen, ob mein Tintenfaß noch da sei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe, ich habe Deine Briefe so lieb, ich habe sie eingehüllt in ein seidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem Zierath gestickt. Am letzten Tag vor unserer Rheinreise, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich sie nicht, da wir allesammt nur einen Mantelsack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verschließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich sie auch nicht lassen, ich dachte, der Nachen könnte versinken und ich versaufen, und dann würden diese Briefe deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erst wollte ich sie den Nonnen in Vollraths aufzuheben geben; – es sind Bernhardinerinnen, 292 die aus dem Kloster vertrieben, jetzt dort wohnen, – nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden; unter dem Beichtstuhl der Rochuskapelle, der noch steht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine kleine Höhle gegraben, und hab' sie inwendig mit Muscheln vom Rhein und wunderschönen kleinen Kieselsteinchen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab' ich sie in ihrer seidnen Umhüllung hinein gelegt, und eine Distel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich sorgfältig mit sammt der Erde ausgestochen. Unterwegs war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich getroffen, hätte ich sie nicht wieder grfunden, mir steht das Herz still; – Sieben Tag' war schlecht Wetter nach unserer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber zu kommen; der Rhein ist um drei Fuß gestiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's verwünscht, daß ich sie da oben hingebracht hatte; Keinem mocht' ich's sagen, aber die Ungeduld hinüber zu kommen, ich hatte Fieber aus Angst um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen sein und sie verderben; ach sie haben auch ein bischen Wassernoth gelitten, aber nur ganz wenig, ich war so froh wie ich von weitem die Distel 293 blühen sah, da hab' ich sie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; sie sind gleich trocken und ich nehm' sie mit. Die Distel hab' ich zum ewigen Andenken wieder festgepflanzt. – Nun muß ich dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nehmlich oben im Beichtstuhl ein Brett befestigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bienen waren ganz matt und saßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloster erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere celatrice, die hatte mich an sich gewöhnt, daß ich ihr alle Geschäfte besorgen half. Hatten wir den Wein im Keller gepflegt, so sahen wir nach den Bienen; denn sie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden sie von ihr gefüttert, die Bienen saugten aus ihrer Hand süßes Bier; im Sommer hingen sie sich an ihren Schleier, wenn sie im Garten ging, und sie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu sein. Damals hatte ich große Neigung zu diesen Thierchen. Die Mere celatrice sagte, vor allem müsse man die Furcht überwinden, und wenn eine stechen wolle, so müsse man nicht zucken, dann würden sie nie stark stechen. Das hat mich große Überwindung gekostet, nachdem ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, mitten 294 unter den schwärmenden Bienen ruhig zu sein, befiel mich die Furcht, ich lief, und der ganze Schwarm mir nach. Endlich hab' ich's doch gelernt, es hat mir tausend Freude gemacht, oft hab' ich ihnen einen Besuch gemacht und einen duftenden Strauß hingehalten, auf den sie sich setzten. Den kleinen Bienengarten hab' ich gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken besonders hab' ich hineingepflanzt. Die alte Nonne that mir auch den Gefallen, zu behaupten, daß man alle Blumen, die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausschmecke. So lehrte sie mich auch, daß wenn die Bienen erstarrt waren, sie wieder beleben. Sie rieb sich die Hand mit Nesseln und mit einem duftenden Kräutchen, welches man Katzenstieg nennt; machte den großen Schieber des Bienenhauses auf und steckte die Hand hinein. Da setzten sie sich alle auf die Hand, und wärmten sich, das hab' ich oft auch mitgemacht; da steckte die kleine Hand und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt' ich's auch probiren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; siehst du, so verliert man seine Unschuld und die hohen Gaben, die man durch sie hat.

Bald hab' ich auch den Eigenthümer des Korbes kennen lernen, indem ich am mitten Berg lag, um im Schatten ein wenig zu faulenzen, hört' ich ein Getrap295pel im Traumschlummer; das war die Binger Schaafheerde nebst Hund und Schäfer; er sah auch gleich nach seinem Bienenkorb; er sagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian und das warme, sonnige Plätzchen so wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit sie sich recht wohl befinden, und wenn sie sich dann mehren sollten und den ganzen gegitterten Beichtstuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, so solle es ihm recht lieb sein.

Der Schäfer ist ein alter Mann; er hat einen langen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte mir allerlei von den Kriegsscenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er seinen Hund, der ihm die Heerde regierte. Von verschiedenen Burggeistern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelheimer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaisersaal stehen, da sei es nicht geheuer; er habe selbst auf der Haide im Mondschein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem sei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menschen gewittert, so habe er fürchterlich geheult; da habe der Ritter sich umgekehrt, mit dem Finger gedroht, und gerufen: „bis stille, frevelicher Hund!“ – da sei der Löwe verstummt und habe dem 296 Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit besonderem Schauer, und ich schauderte zum Plaisir ein klein bischen mit; ich sagte: „ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer sich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß.“ „Was?“ sagte er, „ich war damals kein Schäfer, sondern Soldat, und auch gar nicht besonders fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um.“ – „Nun,“ fragt' ich: „Euer Schätzchen, das hat wohl umsonst auf Euch gewartet?“ – „Ja,“ sagte er, „wo Geister sich einmischen, da muß der Mensch dahinten bleiben.“ – Ich meinte, wenn man liebe, brauche man sich vor Geistern nicht zu fürchten, und könne sich grade dann für ihres Gleichen achten; denn die Nacht ist zwar keines Menschen Freund, aber des Liebenden Freund ist sie.

Ich fragte den Schäfer, wie er sich bei seinem einsamen Geschäft die Zeit vertreibe in den langen Tagen; – er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine schöne Schalmei – so nannte er ein Hautbois mit silbernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er sagte: 297 „die hat mir ein Franzose geschenkt, darauf kann ich blasen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich hier auf der Höhe weide, und seh' ein Schiffchen mit lustigen Leuten drüben, da blas' ich; in der Ferne nimmt sich die Schalmei wunderschön aus, besonders wenn das Wasser so still und sonnig ist wie heute; das Blasen ist mir lieber wie Essen und Trinken.“ Er setzte an, und wendete sich nach dem Thal, um das Echo hören zu lassen; nun blies er das Lied des weissagenden Tempelknaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille, die aus diesen Tönen hervorbricht und sich mitten im leeren Raum ausdehnt, beweist wohl, daß die Geister auch in der sinnlichen Welt einen Platz einnehmen; zum wenigsten ward alles anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von der Melodie beherrscht, und athmeten ihren weissagenden Geist; – die Heerde hatte sich zum Ruhen gelagert; der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe stand, und die Begeistrung eines Virtuosen empfand, der sich selbst überbietet, weil er fühlt, er werde ganz genossen und verstanden. Er ließ das Echo eine sehr feine Rolle drin spielen; hier und da ließ er es in eine Lücke einschmelzen; dann wie298derholte er die letzte Figur zärtlicher, eindringender; – das Echo wieder! – er ward noch feuriger und schmachtender; und so lehrte er dem Wiederhall, wie hoch ers treiben könne, und dann endigte er in einer brillanten Fermate, die alle Thäler und Schluchten des Donnersbergs und Hundsrücks wiederhallen machte. Er zog blasend mit der Heerde um den Berg. – Ich packte meine Schreibereien auf, da die Einsamkeit doch hier oben aufgehoben ist, und schlenderte noch eine Weile bei gewaltigem Abendroth, mit dem Schäfer in weisen Reden begriffen, hinter der weißen Heerde drein; er entließ mich mit dem Compliment, ich sei gescheuter als alle Menschen, die er kenne; dies war mir was ganz Neues, denn bisher hab' ich von gescheuten Leuten gehört, ich sei gänzlich unklug; ich kann aber doch dem Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch gescheut, und habe scharfe Sinne.

Bettine.

 

Winkel, 7. August.

Gestern hab' ich meinen Brief zugemacht und abgeschickt; aber noch nicht geschlossen. – Wüßtest Du, was mich bei diesen einfachen Erzählungen oft für Un299ruhe und Schmerzen befallen! – es scheint Dir alles nur so hingeschrieben wie erlebt; ja! – aber so manches seh ich, und denke es, und kann es doch nicht aussprechen; und ein Gedanke durchkreuzt den andern, und einer nimmt vor dem andern die Flucht, und dann ist es wieder so öde im Geist wie in der ganzen Welt. Der Schäfer meinte, Musik schütze vor bösen Gedanken und vor Langerweile; da hat er recht, denn die Melancholie der Langeweile entsteht doch nur, weil wir uns nach der Zukunft sehnen. In der Musik ahnen wir diese Zukunft; da sie doch nur Geist sein kann und nichts anderes, und ohne Geist giebt es keine Zukunft; wer nicht im Geist aufblüht, wie wollte der leben und Athem holen? – Aber ich habe mir zu gewaltiges vorgenommen, Dir von Musik zu sagen; denn weil ich weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdischer Zunge auszusprechen ist. So vieles halte ich zurück, aus Furcht, Du mögest es nicht genehmigen, oder eigentlich, weil ich glaube, daß Vorurtheile Dich blenden, die Gott weiß von welchem Philister in Dich geprägt sind. Ich habe keine Macht über Dich; Du glaubst Dich an gelehrte Leute wenden zu müssen; und was die Dir sagen können, das ist doch nur dem höheren Bedürfniß im Wege; O Goethe, ich fürchte mich vor Dir und dem 300 Papier, ich fürchte mich aufzuschreiben, was ich für Dich denke.

Ja das hat der Christian Schlosser gesagt: Du verstündest keine Musik, Du fürchtest Dich vor dem Tod, und habest keine Religion, was soll ich dazu sagen? – ich bin so dumm wie stumm, wenn ich so empfindlich gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach hätte, das vor schlechtem Wetter schützt, so könnte einem der kalte, lieblose Wind schon was anhaben, aber so ich weiß Dich in Dir selber geborgen; die drei Räthsel aber sind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten hin Musik erklären, und fühl' doch selbst, daß sie übersinnlich ist, und von mir unverstanden; dennoch kann ich nicht weichen von diesem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das Uubegreifliche ist immer Gott, und es giebt keine Zwischenwelt, in der noch andere Geheimnisse begründet wären. Da Musik unbegreiflich ist, so ist sie gewiß Gott; dies muß ich sagen, und Du wirst mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du bist zu gut, Du lachst nicht; und denn bist du auch zu weise; Du wirst wohl gerne Deine Studien und errungenen Begriffe aufgeben gegen ein solches, alles heiligende Geheimniß des göttlichen Geistes in der Musik. 301 Was lohnte denn auch die Mühe der Forschung, wenn es nicht dies wäre! nach was können wir forschen, was bewegt uns, als nur das Göttliche! – und was können Dir andere, die Wohlstudirten, Besseres und Höheres darüber sagen; – und wenn einer dagegen was aufbringen wollte, – müßte er sich nicht schämen? Wenn einer sagen wollte: Musik sei nur da, daß der Menschengeist sich darin ausbilde? – Nun ja! wir sollen uns in Gott bilden. Wenn einer sagt, sie sei nur Vermittlung zum Göttlichen, sie sei nicht Gott selbst! Nein, Ihr falschen Kehlen, Euer eitler Gesang ist nicht göttlich durchdrungen. Ach, die Gottheit selbst lehrt uns den Buchstaben begreifen, damit wir gleich ihr, aus eignem Vermögen im Reich der Gottheit regieren lernen. Alles Lernen in der Kunst ist nur dazu, daß wir den Grund der Selbstständigkeit in uns legen, und daß es unser Errungenes bleibe. Einer sagte von Christus, daß er nichts von Musik gewußt habe; dagegen konnte ich nichts sagen; einmal weiß ich seinen Lebenslauf nicht genau, und dann was mir dabei einfiel, kann ich nur Dir sagen, obschon ich nicht weiß, was Du dazu sagen wirst. Christus sagt: „Auch Euer Leib soll verklärt werden!“ Ist nun Musik nicht die Verklärung der sinnlichen Natur? – Berührt Musik nicht unsere Sinne, 302 daß sie sich eingeschmolzen fühlen in die Harmonie der Töne, die Du mit Terz und Quint berechnen willst? – Lerne nur verstehen, – Du wirst um so mehr Dich wundern über das Unbegreifliche. Die Sinne fließen in den Strom der Begeisterung, und das erhöht sie. Alles was den Menschen geistigerweise anspricht, geht hier in die Sinne über; drum fühlt' er sich auch durch sie zu allem bewegt. Liebe und Freundschaft und kriegerischer Muth, und Sehnsucht nach der Gottheit – alles wallt im Blut; das Blut ist geheiligt; es entzündet den Leib, daß er mit dem Geist zusammen dasselbe wolle. Das ist die Wirkung der Musik auf die Sinne; das ist die Verklärung des Leibes; die Sinne von Christus waren eingeschmolzen in den göttlichen Geist; sie wollten mit ihm dasselbe; er sagt: „Was Ihr berührt mit dem Geist, wie mit den Sinnen, das sei göttlich, denn dann wird Euer Leib auch Geist.“ Siehst Du, das hab' ich ungefähr empfunden und gedacht da, man sagte, Christus habe nichts von Musik gewußt.

Verzeihe mir, daß ich so mit Dir spreche, gleichsam ohne Basis, denn mir schwindelt, und ich deute kaum an, was ich sagen möchte und vergesse alles so leicht wieder; aber wenn ich in Dich das Zutrauen nicht ha303ben sollte Dir zu bekennen, was sich mir aufdringt, wem sollte ich's sonst mittheilen! –

Diesen Winter hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn ich auf der Guitarre spielte, kam sie eilig herab in ein Netz, was sie tiefer ausgespannt hatte. Ich stellte mich vor sie und fuhr über die Saiten; man sah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn ich Akkord wechselte, so wechselten ihre Bewegungen, sie waren unwillkürlich; bei jedem verschiedenen Harpege wechselte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es ist nicht anders, – dies kleine Wesen war freudedurchdrungen oder geistdurchdrungen, so lang mein Spielen währte; wenns still war, zog sie sich wieder zurück. Noch ein kleiner Geselle war eine Maus, der aber mehr der Vocalmusik geneigt war; sie erschien meistens, wenn ich die Tonleiter sang; je stärker ich den Ton anschwellen ließ, je näher kam sie; in der Mitten Stube blieb sie sitzen; mein Meister hatte große Freude an dem Thierchen; wir nahmen uns sehr in Acht, sie nicht zu stören. Wenn ich Lieder und abwechselnde Melodieen sang, so schien sie sich zu fürchten; sie hielt dann nicht aus und lief eilend weg. Also die Tonleiter schien diesem kleinen Geschöpfchen angemessen, die durchgriff sie, und wer kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; diese 304 Töne, so rein wie möglich getragen, in sich schön, die berührten diese Organe. Dieses Aufschwellen und wieder Sinken bis zum Schweigen nahm das Thierchen in ein Element auf. Ach Goethe, was soll ich sagen? – es rührt mich alles so sehr, ich bin heute so empfindlich, ich möchte weinen; wer im Tempel wohnen kann auf reinen heiteren Höhen, sollte der verlangen, hinaus in eine Spitzbubenherberge? – Diese beiden kleinen Thierchen haben sich der Musik hingegeben; es war ihr Tempel, in dem sie ihre Existenz erhöht, vom Göttlichen berührt fühlten, und Du, der sich bewegt fühlt durch das ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habest keine Religion? Du, dessen Worte, dessen Gedanken immer an die Muse gerichtet sind, Du lebtest nicht in dem Element der Erhöhung, der Vermittelung mit Gott. – Ach ja: das Erheben aus dem bewußtlosen Leben in die Offenbarung, das ist Musik.

Gute Nacht.

 

Carlsbad, den 28. Juli 1808.

Ist es wahr, was die verliebten Poeten sagen, daß keine süßere Freude sei, als das geliebte zu schmücken, 305 so hast Du das größte Verdienst um mich. Da ist mir durch die Mutter eine Schachtel voll der schönsten Liebesäpfel zugekommen, an goldnen Ketten zierlich aufgereiht; schier wären sie in meinem Kreise zu Zankäpfeln geworden. Ich sehe unter diesem Geschenk und der Anweisung dabei eine Spiegelfechterei verborgen, die ich nicht umhin kann zu rügen, denn da Du listig genug bist, mich mitten im heißen Sommer aufs Eis zu führen, so möchte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch uuvorbereitet und unverhofft mit Geschicklichkeit diese Winterfreuden zu bestehen wage; ich werde Dir nicht sagen, daß ich keinen lieber schmücken möchte wie Dich, denn schmucklos hast Du mich überrascht, und schmucklos wirst Du mich ewig ergötzen. Ich hing die Perlenreihe chinesischer Früchte zwischen den geöffneten Fensterflügeln auf, und da eben die Sonne drauf schien, so hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an diesen balsamartigen Gewächsen zu beachten. Das brennende Roth verwandelte sich da, wo die Strahlen auflagen, bald in dunklen Purpur, in Grün und entschiedenes Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes gehöht; kein anmuthigeres Spiel der Farben habe ich lange beobachtet, und wer weiß, zu welchen Umwegen mich das alles verführen wird; zum wenigsten würde der Schwa306nenhals, von dem die Dir gehorsamen Schreibefinger der Mutter mir melden, schwerlich mich zu so entschiedenen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und so hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemessen gefunden, mich so dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüsternen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben sollte. Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Sonnenlande, und ausgießen möchte' ich Dir gerne die gesammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu sehen, wie Du ihrer nicht achtest, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlst.

Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter haben mich hier bei einer Zeit aufgesucht, wo ich Dich gerne selbst auf- und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; schon seit mehreren Posttagen sah ich allemal den freundlichen Postknaben, der noch in den Schelmenjahren ist, mit spitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da schickte ich denn eilig hinunter, sie zu holen und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Posttag zum andern; nun war sie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit ist 307 ein gar zu süßes Ding. – Die liebe Mutter hatte aus einer übrigens sehr löblichen Ökonomie Deine Briefe gesammelt und sie der kleinen Schachtel beigepackt, und nun umströmt mich alles – eine andere Gegend, ein anderer Himmel, Berge, über die auch ich gewandert bin; Thäler, in denen auch ich die schönsten Tage verlebt und trefflichen Wein getrunken habe; und der Rhein, den auch ich hinunter geschwommen bin in einem kleinen, lecken Kahn. Ich habe also ein doppeltes Recht an Dein Andenken; einmal war ich ja dort, und einmal bin ich bei Dir, und vernehme mit beglückendem Erstaunen die Lehren Deiner Weisheit, wie auch die so lieblichen Ereignisse, denn in allen bist Du es, die sie durch ihre Gegenwart verherrlicht.

Hier noch eine kleine wohlgemeinte Bemerkung, mit Dank für das Eingesendete, die Du demjenigen, den es angeht, gelegentlich mittheilen mögest: ob ich gleich den Nifelheimischen Himmel nicht liebe, unter welchem sich der ..... gefällt; so weiß ich doch recht gut, daß gewisse Climaten und Atmosphären nöthig sind, damit diese und jene Pflanze, die wir doch auch nicht entbehren mögen, zum Vorschein komme. So heilen wir uns durch Rennthiermoos, das an Orten wächst, wo wir nicht wohnen möchten, und um ein ehrsameres Gleichniß 308 zu brauchen, so sind die Nebel von England nöthig, um den schönen grünen Rasen hervor zu bringen.

So haben auch mir gewisse Aufschößlinge dieser Flora recht wohl behagt. Wäre es dem Redakteur jederzeit möglich, dergestalt auszuwählen, daß die Tiefe niemals hohl, und die Fläche niemals platt würde, so ließe sich gegen ein Unternehmen nichts sagen, dem man in mehr als einem Sinne Glück zu wünschen hat. Grüße mir den Freund zum schönsten und entschuldige mich, daß ich nicht selbst schreibe.

Wie lang' wirst Du noch im Rheinlande verweilen? – was wirst Du zu der Zeit der Weinlese vornehmen? mich finden Deine Blätter wohl noch einige Monate hier, zwischen den alten Felsen, neben den heißen Quellen, die mir auch diesmal sehr wohlthätig sind: ich hoffe, Du wirst mich nicht vergeblich warten lassen, denn meine Ungeduld zu beschwichtigen, alles zu erfahren, was in Deinem Köpfchen vorgeht, dafür sind diese Quellen nicht geeignet.

Meinem August geht es bis jetzt in Heidelberg ganz wohl. Meine Frau besucht in Lauchstädt Theater und Tanzsaal. Schon haben mich manche entfernte Freunde hier brieflich besucht; mit andern bin ich ganz unvermuthet persönlich zusammen gekommen.

309 Ich habe so lange gezaudert, daher will ich dies Blatt gleich fort schicken, und schlage es an meine Mutter ein. Sage Dir alles selbst, wozu mir der Platz hier nicht gegönnt ist, und lasse mich gleich von Dir hören.

G.

 

Am 8. August.

Überall wo es gut ist, da muß man zu früh verlassen; – so war es mir wahrlich gut bei Dir, drum mußt' ich Dich zu früh verlassen.

Ein guter lieber Aufenthalt ist für mich, was das fruchtbare Land einem Schiffer ist, der eine unsichre Reise vor hat, er wird Vorrath einsammlen, so viel ihm Zeit und Mittel erlauben. Ach, wenn er auf der einsamen weiten See ist, wenn die frischen Früchte schwinden, das süße Wasser! – er sieht kein Ziel vor sich; – wie sehnsuchtsvoll wird die Erinnerung an's Land. – Jetzt geht mir's auch so, in zwei Tagen muß ich den Rhein verlassen, um mit dem ganzen Familientroß in Schlangenbad zusammen zu treffen. Ich war in dessen nicht immerwährend hier, sonst hätte Dich schon lange wieder eine Epistel von mir erreicht; viele Streifereien haben mich abgehalten: die Reise in die Wetterau, von wel310cher ich Dir hier ein Bruchstück beilege. Den Primas hab' ich in Aschaffenburg besucht, er meint immer, ich habe die Kinderschuhe noch nicht ausgetreten, und begrüßt mich, indem er mir die Wangen streichelt, und mich herzlich küßt. Diesmal sagte er: Mein gutes, liebes Schätzchen, wie Sie frisch aussehen und wie sie gewachsen sind! – Ein solches Betragen hat nun eine zauberische Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und gar, wie er mich ansah, und betrug mich auch als ob ich nur zwölf Jahre alt sei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter solchen zweifelhaften Umständen trug ich ihm deine Aufträge vor. Sei nur nicht bestürzt, ich kenne dein würdevolles Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Bothschafter nichts vergeben, ich hatte mir einen schriftlichen Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und legte ihm denselben vor, und die Zeile, wo Du geschrieben hast: Die Bettine soll sich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weise vom Primas heraus zu locken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade sehen, was da unten verborgen sei; ich machte vorher meine Bedingungen, er versprach mir das kleine Indische Herbarium, es ist in Paris, und er wollte noch denselben Tag drum schreiben. Was die Papiere des Probst 311 D'umée anbelangt, so hat er sehr interessante, wissenschaftliche Sachen die er Dir alle verspricht, die Correspondence mit ... giebt er nicht heraus, ich soll nur sagen, Du habest es nicht verdient, und er werde diese Briefe als einen wichtigen Familienschatz aufbewahren, und als ein Muster von feurigen Ausdrücken bei der höchsten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel bei dieser Rede, ich fühlte, daß ich roth ward, da hob er mir das Kinn in die Höhe und sagte: Was fehlt Ihnen denn, mein Kind, sie schreiben wohl auch an Goethe? – Ja, sagte ich, unter der Obhut seiner Mutter. So, so, das ist ganz schön, kann denn die Mutter lesen? – Da mußt ich ungeheuer lachen, ich sagte: Wahrhaftig, Euer Hoheit haben's errathen; ich muß der Mutter alles vorlesen, und was sie nicht wissen soll, das übergeh' ich. – Er brachte noch allerlei Scherzhaftes vor und frug, ob ich Dich Du nenne, und was ich Dir alles schreibe? – ich sagte des Rhythmus halber nenne ich Dich Du, und eben habe ich seine Dispensation einholen wollen um schriftlich beichten zu dürfen, denn ich wolle Dir gern beichten; er lachte, er sprang auf, (denn er ist sehr vif und macht oft große Sätze) und sagte: Geist wie der Blitz! ja, ich gebe Ihnen Dispensation und ihm, –schreiben Sie es ihm ja, – geb' 312 ich Macht, vollkommen Ablaß zu ertheilen, und nun werden Sie doch mit mir zufrieden sein? – Ich hatte große Lust ihm zu sagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr sondern schon eine Weile in's Blüthenalter der Empfindung eingerückt sei; aber da hielt mich etwas ab: bei seinen lustigen Sprüngen fiel ihm seine kleine geistliche violetsammtne Mütze vom Kopf; ich nahm sie auf, und weil mir ahndete, sie würde mir gut stehen, so setzte ich sie auf. Er betrachtete mich eine Weile, und sagte: ein allerliebster kleiner Bischof! die ganze Klerisen würde hinter ihm drein laufen, – und nun mochte ich ihm den Wahn nicht mehr benehmen, daß ich noch so jung sei, denn es kam mir vor, was ihn an einem Kind erfreuen dürfe, das könne ihm bei einer verständigen Dame, wie ich doch eine sein müßte, als höchst inconvenabel erscheinen. Ich ließ es also dabei, und nahm die Sünde auf mich, ihm was weiß gemacht zu haben, in dem ich mich dabei auf die Kraft des Ablasses verlasse, den er Dir übermacht.

Ach, ich möchte Dir lieber andere Dinge schreiben, aber die Mutter, der ich alles erzählen mußte, quälte mich drum, sie meint, so was mache Dir Freude und Du hieltest etwas drauf, dergleichen genau zu wissen; ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihr 313 ab, der mich dort schon an vierzehn Tagen erwartete, und doch möcht' ich Dich über diesen schmälen. Du bist ein coquetter, zierlicher Schreiber, aber Du bist ein harter Mann; die ganze schöne Natur, die herrliche Gegend, die warmen Sommertage der Erinnerung, – das alles rührt Dich nicht; so frendlich Du bist, so kalt bist Du auch. Wie ich das große Papierformat sah, auf allen vier Seiten beschrieben, da dacht' ich, es würde doch hier und da durchblitzen daß Du mich liebst; es blitzt auch, aber nur von Flittern, nicht von leisem, beglückendem Feuer. O, welcher gewaltige Abstand mag sein zwischen jener Correspondence, die der Primas nicht heraus geben will, und unserm Briefwechsel; das kommt daher weil ich Dich zu sehr liebe und es Dir auch bekenne, das soll eine so närrische Eigenheit der Männer sein, daß sie dann kalt sind, wenn man sie zu sehr liebt.

Die Mutter ist nun immer gar zu vergnügt und freundlich, wenn ich von meinen Streifereien komme; sie hört mit Lust alle kleine Abentheuer an, ich mache denn nicht selten aus Klein, Groß, und diesmal war ich reichlich damit versehen, da nicht nur allein Menschen, sondern Ochsen, Esel und Pferde sehr ausgezeichnete Rollen dabei spielten. Du glaubst nicht, wie froh es 314 mich macht, wenn sie recht von Herzen lacht. Mein Unglück führte mich grade nach Frankfurt, als Frau von Staël durchkam, ich hatte sie schon in Mainz einen ganzen Abend genossen, die Mutter aber war recht froh, daß ich ihr Beistand leistete, denn sie war schon prevenirt, daß die Staël ihr einen Brief von Dir bringen würde, und sie wünschte, daß ich die Intermezzos spielen möge, wenn ihr bei dieser großen Katastrophe Erholung nöthig sei. Die Mutter hat mir nun befohlen, Dir alles ausführlich zu beschreiben; die entervue war bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz Bethmann. Die Mutter hatte sich – ob aus Ironie oder aus Übermuth, wunderbar geschmückt, aber mit deutscher Laune, nicht mit französischem Geschmack, ich muß Dir sagen, daß wenn ich die Mutter ansah, mit ihren drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verschiedenen Seiten hinschwankten, eine rothe, eine weiße und eine blaue – die französischen Nationalfarben, welche aus einem Feld von Sonnenblumen emporstiegen, – so klopfte mir das Herz vor Lust und Erwartung; sie war mit großer Kunst geschminkt, ihre großen schwarzen Augen feuerten einen Kanonendonner, um ihren Hals schlang sich der bekannte goldne Schmuck der Königin von Preußen, Spitzen von altherkömmlichem Ansehen 315 und großer Pracht, ein wahrer Familienschatz, verhüllte ihren Busen, und so stand sie mit weißen Glacée-Handschuhen, in der einen Hand einen künstlichen Fächer, mit dem sie die Luft in Bewegung setzte, die andre, welche entblößt war ganz beringt mit blitzenden Steinen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit einer Miniatüre von Dir, wo Du mit hängenden Locken gepudert, nachdenklich den Kopf auf die Hand stützest, eine Prise nehmend. Die Gesellschaft der vornehmen älteren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlafzimmer des Moritz Bethmann; auf Purpurrothem Teppich in der Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leoparde, – sah die Gesellschaft so stattlich aus, daß sie wohl imponiren konnte. An den Wänden stc .den schöne schlanke Indische Gewächse, und das Zimmer war mit matten Glaskugeln erleuchtet, dem Halbkreis gegenüber stand das Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Estrade auch mit einem purpurnen Teppich verhüllt, an beiden Seiten Kandelaber. Ich sagte zur Mutter: die Fr. Staël wird meinen, sie wird hier vor Gericht des Minnehofs zitirt, denn dort das Bett sieht aus wie der verhüllte Thron der Venus. Man meinte, da dürfte es manches zu verantworten geben. Endlich kam die Langerwartete durch eine Reihe von erleuchteten Zimmern, beglei316tet von Benjamin Constant, sie war als Corrina gekleidet ein Turban von aurora- und orangefarbener Seide, ein eben solches Gewand mit einer orangen Tunika, sehr hoch gegürtet, so daß ihr Herz wenig Platz hatte, ihre schwarzen Augenbraunen und Wimpern glänzten, ihre Lippen auch von einem mystischen Roth; die Handschuh waren herabgestreift und bedeckten nur die Hand, in der sie das bekannte Lorbeerzweiglein hielt. Da das Zimmer, worin sie erwartet war, so viel tiefer liegt, so mußte sie vier Treppen herabsteigen. Unglücklicher Weise nahm sie das Gewand vorne in die Höhe statt hinten; dies gab der Feierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen Stoß, denn es sah wirklich einen Moment mehr als komisch aus, wie diese ganz in orientalischem Ton überschwankende Gestalt, auf die steifen Damen der Tugendverschwornen Frankfurter Gesellschaft loßrückte. Die Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man sie einander präsentirte. Ich hatte mich in die Ferne gestellt um die ganze Scene zu beobachten. Ich bemerkte das Erstaunen der Staël über den wunderbaren Putz und das Ansehen deiner Mutter, bei der sich ein mächtiger Stolz entwickelte. Sie breitete mit der linken Hand ihr Gewand aus, mit der rechten salutirte sie mit dem Fächer spielend, und indem sie das Haupt 317 mehrmals sehr herablassend neigte, sagte sie mit erhabener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer hören konnte: Je suis la mère de Goethe: ah, je suis charmèe sagte die Schriftstellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präsentation ihres geistreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beantwortete ihre Höflichkeiten mit einem französischen Neujahrswunsch, welchen sie mit feierlichen Verbeugungen zwischen den Zähnen murmelte, – kurz, ich glaube die Audienz war vollkommen, und gab einen schönen Beweis von der Deutschen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetscher zwischen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh' Du so krank warst, aber schon sehr mager, man erkennt jedoch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zügen, und besonders den Autor des Werther. Die Staël sprach über deine Briefe, und daß sie gern lesen möchte wie Du an deine Mutter schreibst, und die Mutter versprach es ihr auch, ich dachte daß sie von mir gewiß deine Briefe nicht zu lesen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün, so oft deine Name von 318 ihren nicht wohlgebildeten Lippen kam, überfiel mich ein innerlicher Grimm; sie erzählte mir, daß Du sie Amie in deinen Briefen nenntest; ach, sie hat mir's gewiß angesehen, daß dies mir sehr unerwartet kam; ach, sie sagte noch mehr. – Nun riß mir aber die Geduld; – wie kannst Du einem so unangenehmen Gesicht freundlich sein? – Ach, da sieht man, daß Du eitel bist. – Oder sie hat auch wohl nur gelogen! – Wär' ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit feurigen Drachen, würd' ich mit Blicken meinen Schatz bewachen. Nun sitz' ich weit entfernt von Dir, weiß nicht was Du alles treibst, und bin nur froh, wenn mich keine Gedanken plagen.

Ich könnte Dir ein Buch schreiben über alles was ich in den acht Tagen mit der Mutter verhandelt und erlebt habe. Sie konnte kaum erwarten, daß ich kam, um alles mit ihr zu recapituliren. Da gab's Vorwürfe; ich war empfindlich, daß sie auf ihre Bekanntschaft mit der Staël einen so großen Werth legte; sie nannte mich kindisch und albern und eingebildet, und was zu schätzen sei, dem müsse man die Achtung nicht versagen, und man könne über eine solche Frau nicht wie über eine Gosse springen und weiter laufen; es sei allemal eine ausgezeichnete Ehre vom Schicksal, sich mit einem be319deutenden und berühmten Menschen zu berühren. Ich wußte es so zu wenden, daß mir die Mutter endlich deinen Brief zeigte, worin Du ihr Glück wünschest, mit diesem Meteor zusammen zu stoßen, und da polterte denn alle ihre vorgetragne Weisheit aus deinem Brief hervor. Ich erbarmte mich über Dich und sagte: Eitel ist der Götterjüngling; er führt den Beweis für seine ewige Jugend. – Die Mutter verstand keinen Spaß; sie meinte: ich nehme mir zu viel heraus, und ich soll mir doch nicht einbilden, daß Du ein anderes Interesse an mir habest, als man an Kindern habe, die noch mit der Puppe spielen; mit der Staël könnest Du Weltweisheit machen; mit mir könnest Du nur tändlen. Wenn die Mutter recht hätte? – wenn's nichts wär' mit meinen neu erfundnen Gedanken, von denen ich glaubte, ich habe sie alleine? – Wie hab' ich doch in diesen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur blos an Dich gedacht! – Jede Wolke hab' ich um Rath gefragt, jeden Baum, jedes Kraut hab' ich angesprochen um Weisheit; und von jeder Zerstreuung hab' ich mich abgewendet, um recht tief mit Dir zu sprechen. O böser, harter Mann, was sind das für Geschichten? Wie oft hab' ich zu meinem Schutzengel gebetet, daß er doch für mich mit Dir sprechen soll, und dann hab' ich mich 320 still verhalten und die Feder laufen lassen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir sagen soll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles sei von Gott so angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechsel zwischen uns führe. Aber Du hast mehr Zutrauen in die berühmte Frau, die das große Werk geschrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. – Ach glaub' nur, Du bist vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.

Über Musik hatte ich Dir auch noch manches zu sagen; es war alles schon so hübsch angeordnet; erst mußt Du begreifen, was Du ihr alles schon zu verdanken hast. – Du bist nicht feuerfest. Musik bringt Dich nicht in Gluth, weil Du einschmelzen könntest.

So närrisch bin ich nicht, zu glauben, daß Musik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in deinem Geist, da Sonne und Mond sammt allen Sternen in Dir leuchten, da soll ich zweiflen, daß dieser höchste Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger ist unserer Sinne, Dich nicht durchströme? Meinst Du dann, Du wärst der Du bist, wenn es nicht Musik wäre in Dir? – Du solltest Dich vor dem Tod fürchten, da doch Musik ihn auflöst? Du 321 solltest keine Religion haben, da doch Musik in Dich die Anbetung pflanzt?

Horch in Dich hinein, da wirst Du in deiner Seele der Musik lauschen, die Liebe zu Gott ist; dies ewige Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geist ist.

Ich könnte Dir Sachen sagen, die ich selbst fürchte auszusprechen, obschon eine innere Stimme mir sagt, sie sind wahr. Wenn Du mir bleibst, so werd' ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibst, so werde ich wie der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt daß ich in Dir wieder blühe.

Mein Kopf glüht; ich hab' mich während dem Schreiben herumgestritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geist, aber sie im einfachsten Begriff zu fassen, das ist so schwer; ach, es kann ja nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geist, der alles Schöne als Früchte trägt, und da es schön ist, daß wir einander lieben, so wolle die Wahrheit nicht länger verläugnen.

Ich will Dir lieber noch ein bischen von unserm Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen, den wir so bald verlassen werden, und wer weiß, ob ich ihn wiederseh! – Hier, wo die Frühlingslüfte 322 balsamisch uns umwehen, laß einsam uns ergehen; nichts trenne Dich von mir! – und auch nicht die Frau von Staël!

Unsre Haushaltung ist allerliebst eingerichtet; wir sind zu acht Frauen, kein männliches Wesen ist im Haus; da es nun sehr heiß ist, so machen wir's uns so bequem wie möglich, zum Beispiel sind wir sehr leicht gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechisch drappirt. Die Thüren der Schlafzimmer stehen Nachts offen; – je nachdem eins Lust hat, schlägt es sein Nachtlager auf dem Vorgang oder an sonst einem kühlen Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der schönen, mit breiten Platten gedeckten Mauer liegend, dem Rhein gegenüber den Aufgang der Sonne zu erwarten, hab' ich schon ein paar Mal zu meinem Plaisir Nächte zugebracht; ich bin eingeschlafen auf meinem schmalen Bett; ich hätte können hinunterfallen im Schlaf, besonders wenn ich träume, daß ich Dir entgegen springe. Der Garten liegt hoch, und die Mauer nach jenseits geht tief hinab, da könnte ich leicht verunglücken; ich bitte Dich also, wenn Du meiner gedenkst im Traum, halte mir die schützenden Arme entgegen, – damit ich doch gleich hinein sinke; „denn alles ist doch nur ein Traum!“ – Am Tage geht's bei uns in großer 323 Finsterniß her; alle Läden sind zu im ganzen Hause, alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich Morgens weite Spaziergänge, aber das ist bei dieser Hitze nicht mehr möglich; die Sonne beizt die Weinberge, und die ganze Natur seufzt unter der Brutwärme. Ich gehe doch jeden Morgen zwischen vier und fünf Uhr heraus mit einem Schnikermesser, und hole frische kühle Zweige, die ich im Zimmer aufpflanze. Vor acht Wochen hatte ich Birken und Pappeln, die glänzten wie Gold und Silber, und dazwischen dicke duftende Sträußer von Maiblumen. Wie ein Heiligthum ist der Saal, an den alle Schlafkabinette stoßen; da liegen sie noch in den Betten, wenn ich nach Hause komme und warten, bis ich fertig bin; dann haben die Linden und Kastanien hier abgeblüht, und himmelhohes Schilf, das sich oben an der Decke umbiegt, mit blühenden Winden umstrickt; und die Feldblumen sind reizend, die kleinen Grasdolden, die Schafgarbe, die Johannisblume, Wasserlilien, die ich mit einiger Gefahr fische, und das ewig schöne Vergißmeinnicht. Heute hab' ich Eichen aufgepflanzt, hohe Äste, die ich aus dem obersten Gipfel geholt. Ich klettere wie eine Katze; die Blätter sind ganz purpurroth, und in so zierlichen Sträußern gewachsen, als hätten sie sich tanzend in Gruppen vertheilt.

324 Ich sollte mich scheuen, Dir von Blumen zu sprechen; Du hast mich schon einmal ein bischen ausgelacht, und doch ist der Reiz gar zu groß; die vielen schlafenden Blüthen, die nur im Tod erwachen, das träumende Geschlecht der Wicken, die Herrgottsschückelchen, Himmelsschlüssel mit ihrem sanften freundlichen Duft – sie ist die geringste aller Blumen. Wie ich kaum sechs Jahr alt war, und die Milchfrau hatte versprochen, mir einen Strauß Himmelsschlüssel mitzubringen, da riß mich die Erwartung schon mit dem ersten Morgenstrahl aus dem Schlaf im Hemdchen an's Fenster; wie frisch waren die Blumen! Wie athmeten sie in meiner Hand! – Einmal brachte sie mir dunkle Nelken in einen Topf eingepflanzt; welcher Reichthum! – Wie war ich überrascht von der Großmuth! – Diese Blumen in der Erde – sie schienen mir ewig an's Leben gebunden, es waren mehr als ich zählen konnte; immer fing ich von vorne an; ich wollte kein Knöspchen überspringen; wie dufteten sie! Wie war ich demüthig vor dem Geist, den sie ausströmten! – Ich wußte ja noch wenig von Wald und Flur, und die erste Wiese im Abendschein eine unendliche Fläche für's Kinderaug', mit goldnen Sternen übersäet; – ach, wie hat Natur aus Liebe es dem Geist Gottes nachahmen wollen. – Und wie liebt 325 er sie! – Wie neigt er sich herab zu ihr für diese Zärtlichkeit, ihm entgegen zu blühen! – Wie hab' ich gewühlt im Gras und hab' gesehen, wie eins neben dem andern sich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht übersehen bei der Fülle, aber sein schöner Name hat mich mit ihm vertraut gemacht, und wer sie genannt hat, der muß sie geliebt und verstanden haben. Das kleine Schäfertäschchen zum Beispiel – ich hätte es nicht bemerkt, aber wie ich seinen Namen hörte, da fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein solches Täschchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenperlen. Ach, alle Form enthält Geist und Leben, um sich auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen nicht? – singen sie nicht? – schreiben sie nicht Geist in die Luft? – malen sie nicht sich selbst ihr Innerstes in ihrem Bild? – Alle Blumen hab' ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich sie nach einander kennen lernte, und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir zum ersten Mal die Zunge aus seinem sammtnen Rachen entgegen streckte, als ich es zu kräftig anfaßte. – Ich will sie nicht nennen alle, mit denen ich so innig vertraut wurde, wie sie mir jetzt im Gedächtniß erwachen; nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums, 326 den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn Winters und Sommers in ihrer Zelle; sie richtete sich in allem nach ihm; sie gab ihm Nachts wie Tags die Luft, und nur so viel Wärme erhielt sie im Winter, als ihm noth that. Wie fühlte sie sich belohnt, da er mit Knospen bedeckt war! Sie zeigte mir sie, schon wie sie kaum angesetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich den Krug mit Wasser am Madlenenbrünnchen; die Knospen wuchsen und rötheten sich, endlich brachen sie auf; am vierten Tag stand er in voller Blüthe; eine weiße Zelle jede Blüthe, mit tausend Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf seiner Spitze eine Perle darreicht. Er stand im offenen Fenster, die Bienen begrüßten ihn. – Jetzt erst weiß ich, daß dieser Baum der Liebe geweiht ist; damals wußt' ich's nicht; und jetzt verstehe ich ihn. – Sag': kann die Liebe süßer gepflegt werden, als dieser Baum? – und kann eine zärtliche Pflege süßer belohnt werden, als durch eine so volle Blüthe? – Ach, die liebe Nonne mit halb verblühten Rosen auf den Wangen, in Weiß verhüllt, und der schwarze Florschleier, der ihren raschen zierlichen Gang umschwebte; wie aus dem weiten Ärmel des schwarzen wollenen Gewands die schöne Hand hervorreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal steckte 327 sie ein kleines schwarzes Böhnchen in die Erde, sie schenkte mir's und sagte, ich solle es pflegen; ich werde ein schönes Wunder dran erleben. Bald keimt' es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog sich an einem Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen geringelten Haken; dann bracht' es sparsame gelbe Blüthen hervor; aus denen wuchs so groß wie eine Haselnuß ein grünes Eichen, das sich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwischen denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, setzte sie ihrem elfenbeinernen Christus am Kruzifix zu Füßen, und sagte mir, man nennt diese Pflanze Corona Christi.

Wir glauben an Gott, und an Christus, daß er Gott war, der sich an's Kreuz schlagen ließ; wir singen ihm Litaneien und schwenken ihm den Weihrauch; wir versprechen heilig zu werden, und beten, und empfinden's nicht. Wenn wir aber sehen, wie die Natur spielt, und in diesem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn sie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und diese kleine Pflanze eben, so unscheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künst328liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmetterlinge mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeichnet sehen, dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gottheit selber nimmt ewigen Antheil an diesen Geheimnissen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Thier ist. – Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen, und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr sein, daß ich im Kloster war. Voriges Jahr hab' ich's im Vorüberreisen wieder besucht. Meine Nonne war Priorin geworden, sie führte mich in ihren Garten, – sie mußte an einer Krücke gehen, sie war lahm geworden, – ihr Myrrthenbaum stand in voller Blüthe. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war sehr gewachsen; umher standen Feigenbäume mit reifen Früchten und große Nelken, sie brach ab, was blühte und was reif war, und schenkte mir alles, nur der Myrrthe schonte sie; das wußte ich auch schon im Voraus. Den Strauß befestigte ich im Reisewagen; ich war wieder einmal so glücklich, ich betete, wie ich im Kloster gebetet hatte; ja seelig sein macht beten!

329 Siehst Du, das war ein Umweg und etwas von meiner Weisheit; sie kann sich freilich der Weltweisheit, die zwischen Dir und Deiner Amie Staël obwaltet, nicht begreiflich machen; – aber das kann ich Dir sagen: ich hab' schon viele große Werke gesehen von zähem Inhalt in schweinsledernem Einband; ich habe Gelehrte brummen hören, und ich habe immer gedacht eine einzige Blume müsse all' dies beschämen, und ein einziger Maikäfer müsse durch einen Schneller, den er einem Philosophen an die Nase giebt, sein ganzes System umpurzeln.

Pax tecum! wir wollen's einander verzeihen, ich, daß Du einen Herzens- und Geistesbund mit der Staël geschlossen hast, worüber, der Prophezeihung Deiner Mutter nach, ganz Deutschland und Frankreich die Augen aufreißen wird, denn es wird doch nichts draus: – und Du, daß ich so aberwitzig bin, alles besser wissen und mehr als alle Dir gelten zu wollen, denn das gefällt Dir. –

Heute geh' ich noch einmal auf den Rochusberg; ich will sehen, was die Bienen machen im Beichtstuhl ich nehme allerlei Pflanzen mit, die in Scherben eingesetzt sind, und auch einen Rebstock; die grab ich dort oben ein; die Rebe soll am Kreuz hinauf wachsen, in 330 dessen Schutz ich eine so schöne Nacht verschlafen habe; am Beichtstuhl pflanz' ich Kaiserkronen und Je länger je lieber, Deiner Mutter zu Ehren; – vielleicht, wenn mir's um's Herz ist, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letztenmal dort sein werde; um doch den Ablaß des Primas in Wirkung zu setzen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du siehst in mich hinein, und außer dem ist nichts in mir zu finden.

Den gestrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, denn er war schön. Wir gingen mit einem irreführenden Wegweiser durch eine Thalschlucht einen Fluß entlang, den man die Wisper nennt, wahrscheinlich wegen dem Rauschen des Wassers, das über lauter platte Felssteine sich windet, und in den Lücken schäumt und flüstert. Auf beiden Seiten gehen hohe Felsen her, auf denen zerfallene Burgen stehen, mit alten Eichen umwachsen. Das Thal wird endlich so enge, daß man genöthigt ist, im Fluß zu gehen. Da kann man nicht besser thun, als barfuß und etwas hochgeschürzt, von Stein zu Stein zu springen, bald hüben, bald drüben am Ufer sich fort zu helfen. Es wird immer enger und enger hoch über uns; die Felsen und Berge umklammern sich endlich; die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die schwarzen 331 Schlagschatten der übergebogenen Felsstücke durchschneiden ihre Strahlen; aus der Wisper, die kein ganz unbedeutender Fluß ist – sie rauscht mit ziemlicher Gewalt – stehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, heiligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Gesicht auf dem feuchten Stein; das stürzende Wasser beregnete mich fein, die Sonnenstrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsschichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finsterniß; meinen Strohut, den ich schon längst mit Naturmerkwürdigkeiten angefüllt hatte, ließ ich schwimmen, um die Wurzeln der Pflanzen zu tränken; – wie wir weiter kamen, drängten die Berge sich nesterweise an einander, die nur dann und wann von schroffen Felsen geschieden wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um zu sehen, wo man war; es war zu schroff, die Zeit erlaubte es nicht, dem gescheuten Wegweiser waren alle Sorgen auf dem Gesichte gemalt; er versicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unserer engen Schlucht; so kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.

Das Ziel unserer Reise war ein Sauerbrunnen hinter Weißenthurn, der in einer wüsten Wildniß liegt. 332 Wir hatten alle Umwege der Wisper gemacht; der kluge Wegweiser dachte, wenn wir uns von der nicht entfernten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, da die Wisper an dem Brunnen vorüber führt, und so hatte er uns auf einen Weg geführt, der wohl selten von Menschen betreten wird. Da wir dort ankamen, erleichterte er seine Brust durch ein Heer von Seufzern. Ich glaub', der fürchtete sich nicht allein vor dem Teufel, sondern vor Gott und allen Heiligen, daß sie ihn würden zur Rechenschaft ziehen, weil er uns in's Verderben gestürzt habe; – kaum waren wir angekommen, so schlug die Kukuksuhr in der einsamen Hütte bei dem Brunnen, und mahnte an den Rückweg. Es war acht Uhr! zu essen war nichts, auch kein Brod, nur Salat mit Salz ohne Essig und Öl. Eine Frau mit zwei Kindern wohnte da; ich frug, von was sie lebe; sie deutete mir in die Ferne auf den Backofen, der zwischen vier majestätische Eichen auf einem freien Platz in voller Gluth stand. Ihr kleines Söhnchen schleppte eben ein Reiserbündel hinter sich heran; sein Hemdchen hatte noch Ärmel, die Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund, mit dem es befestigt war; vorne war es weggerissen; seine Schwester-psyche wiegte sich quer über einen Block auf einem langen Backschieber; auf dem als Gegengewicht die zu 333 backenden Brode lagen; ihr Gewand bestand auch aus einem Hemd, und aus einer Schürze, die sie um den Kopf befestigt hatte, um die Haare vor dem Verbrennen zu bewahren, wenn sie in den Ofen guckte und die Reiser anlegte. Wir gaben der Frau ein Geldstück; sie frug, wie viel es wär; da sahen wir, daß es nicht in unserer Macht war, sie zu beschenken, denn sie war zufrieden und wußte nicht, daß man mehr brauchen könne, als man bedürfe.

Ich marschirte also wieder links um, ohne auszuruhen und kam Nachts um ein Uhr zu Hause an; in allem war ich zwölf Stunden unterwegs gewesen und durchaus nicht ermüdet. Ich stieg in ein Bad das mir bereitet war, und setzte eine Flasche Rheinwein an, und ließ es so lange herunterglucken, bis ich den Boden sah. Die Zofe schrie, und dachte es könne mir schaden im heißen Bad, allein ich ließ mir nicht wehren; sie mußte mich ins Bett tragen; ich schlief sanft, bis ich am Morgen durch ein wohlbekanntes Krähen und Nachahmen eines ganzen Hühnerhofs vor meiner Thür geweckt wurde.

Du schreibst: meine Briefe versetzen Dich in eine bekannte Gegend, in der Du Dich heimathlich fühlst; versetzen sie Dich denn auch zu mir? – siehst Du mich in Gedanken wie ich mit langem Hakenstock auf die 334 Berge klettere, und siehst Du in mein Herz, wo Du Dich von Angesicht zu Angesicht erblicken kannst? diese Gegend möcht' ich Dir doch am aller anschaulichsten machen!

Noch acht Wochen werd ich wohl in allerlei Gegenden herum streifen, im Oktober mit Savigny erst auf ein paar Monate nach München, und dann nach Landshut gehen, wenn es der Himmel nicht anders fügt. –

Ich bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der Feder erbarmen solltest, um zu „strafen oder zu lohnen,“ so adressire gleich nach Schlangenbad, über Wisbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. Schickst Du den Brief an die Mutter, so wartet sie auf eine Gelegenheit; und ich will lieber einen Brief ohne Datum, als daß ich am Datum erkennen muß, daß er mir vierzehn Tage vorenthalten ist.

Der Mutter schreib' ich alles, was unglaublich ist; obschon sie weiß, was sie davon zu halten hat, so hat es doch ihren Beifall, und fordert mich auf, ihr immer noch mehr dergleichen mitzutheilen; sie nennt dies „meiner Phantasie Luft machen.“

Bettine.

335 An Bettine.

Carlsbad, am 21. August.

Es ist noch die Frage, liebste Bettine, ob man Dich mehr wunderlich oder wunderbar nennen kann; besinnen darf man sich auch nicht; man denkt endlich nur darauf, wie man sich gegen die reißende Fluth Deiner Gedanken sicher zu stellen habe; laß Dir daher genügen, wenn ich nicht ausführlich Deine Klagen, Deine Forderungen, Fragen und Beschuldigungen beschwichtige, befriedige, beantworte und ablehne; im ganzen aber Dir herzlich danke, daß Du mich wieder so reichlich beschenkt hast.

Mit dem Primas hast Du Deine Sache klug und artig gemacht. Ich habe schon ein eigenhändiges Schreiben von ihm, worin er mir alles zusichert, was Du so anmuthig von ihm erbettelt hast, und mir andeutet, daß ich Dir alles allein zu verdanken habe und mir noch viel Artiges von Dir schreibt, was Du in Deinem ausführlichen Bericht vergessen zu haben scheinst.

Wenn wir also Krieg miteinander führen wollten, so hätten wir wohl gleiche Truppen; Du die berühmte Frau, und ich den liebenswürdigen Fürsten voll Güte gegen mich und Dich. – Beiden wollen wir die Ehre 336 und den Dank nicht versagen, die sie so reichlich um uns verdienen, aber beiden wollen wir auch den Zutritt verweigern, wo sie nicht hingehören, sondern nur störend sein würden, nehmlich zwischen das erfreulichste Vertrauen Deiner Liebe und meiner warmen Aufnahme derselben. – Wenn ich auch Deine Antagonistin in der Weltweisheit, in einer nur zufälligen Correspondence Amie nenne, so greife ich damit keineswegs in die Rechte ein, die Du mit erobernder Eigenmacht schon an Dich gerissen hast. Ich bekenne Dir indessen, daß es mir geht, wie dem Primas: du bist mir ein liebes, freundliches Kind, das ich nicht verlieren möchte, und durch welches ein großer Theil des ersprießlichsten Segens mir zufließt. Du bist mir ein freundliches Licht, das den Abend meines Lebens behaglich erleuchtet, und da gebe ich Dir, um doch zu Stande zu kommen mit allen Klagen, zum letzten Schluß beikommendes Räthsel; an dem magst Du Dich zufrieden rathen.

Goethe.

 

337 Charade.

Zwei Worte sind es, kurz, bequem zu sagen,
Die wir so oft mit holder Freude nennen,
Doch keineswegs die Wesen deutlich kennen,
Wovon sie eigentlich den Stempel tragen.
Es thut gar wohl, an schön beschloßnen Tagen
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen,
Und kann man sie vereint zusammen nennen,
So drückt man aus ein seliges Behagen.
Nun aber such' ich ihnen zu gefallen
Und bitte mit sich selbst mich zu beglücken;
Ich hoffe still; doch hoff' ich's zu erlangen:
Als Namen der Geliebten sie zu lallen,
In Einem Bild sie beide zu erblicken,
In Einem Wesen beide zu umfangen.

 

Es findet sich noch Platz und auch noch Zeit, der guten Mutter Vertheidigung hier zu übernehmen; ihr solltest Du nicht verargen, daß sie mein Interesse an dem Kinde, was noch mit der Puppe spielt, heraus hebt da Du es wirklich noch so artig kannst, daß Du selbst die Mutter noch dazu verführst, die ein wahres Ergötzen dran hat, mir die Hochzeitfeier Deiner Puppe mit dem kleinen Frankfurter Rathsherrn schriftlich anzuzeigen, der mir in seiner Alongeperücke, Schnabelschuhen und Halsschmuck von feinen Perlen im kleinen Plüschsessel, noch 338 gar wohl erinnerlich ist. Er war die Augenweide unserer Kinderjahre, und wir durften ihn nur mit geheiligten Händen anfassen. Bewahr' doch alles sorgfältig, was Dir die Mutter bei diesen Gelegenheiten aus meiner und der Schwester Kindheit mittheilt; es kann mir mit der Zeit wichtig werden.

Dein Kapitel über die Blumen würde wohl schwerlich Eingang finden bei den Weltweisen, wie bei mir; denn obschon Dein musikalisches Evangelium etwas hierdurch geschmälert ist (was ich doch ja nicht zu versäumen bitte im nächsten, recht bald zu erwartenden Brief), so ist es mir dadurch ersetzt, daß meine frühsten Kinderjahre sich mir auf eine liebliche Weise drin abspiegeln, denn auch mir erschienen die Geheimnisse der Flora als ein unmöglicher Zauber.

Die Geschichte des Myrrthenbaums und der Nonne erregt warmen Antheil; möge er vor Frost und Schaden bewahrt bleiben! Aus voller Überzeugung stimme ich mit Dir ein, daß die Liebe nicht süßer gepflegt kann werden, als dieser Baum, und keine zärtliche Pflege reichlicher belohnt, als durch eine solche Blüthe.

Auch Deine Pilgrimschaft im rauschenden Fluß mit der allerliebsten Vignette der beiden Kinder giebt ein er339götzliches Bild, und Deinen Rheinabentheuern einen anmuthig abrundenden Schluß.

Bleib' mir nun auch hübsch bei der Stange und gehe nicht zu sehr ins Blaue; ich fürchte so, daß die Zerstreuungen eines besuchten Badeorts Deine idealen, Eingebungen auf dem einsamen Rochus verdrängen werden; ich muß mich darauf gefaßt machen, wie auch auf noch manches andere, was Dir im Köpfchen und Herzen spuken mag.

Ein bischen mehr Ordnung in Deinen Ansichten könnte uns beiden von Nutzen sein; so hast Du Deine Gedanken, wie köstliche Perlen, nicht alle gleich geschliffen, auf losem Faden gereiht, der leicht zerreißt, wo sie denn in alle Ecken rollen können und manche sich verliert. –

Doch sage ich Dir Dank, wie dem lieben Rhein ein herzliches Lebewohl, von dem Du mir so manches Schöne hast zukommen lassen. Bleibe Dir's fest und sicher, daß ich gern ergreife, was Du mir reichst, und daß so das Band zwischen uns sich nicht leicht lösen wird.

Goethe.

 

340 Rochusberg.

Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier herauf zu gehen, wo ich in Gedanken so glückliche Stunden mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abschied zu nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der größer, feuriger, kühner und lustiger, und überirdischer als alle ist; – ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die Bienen angesiedelt, von der Nordseite geschützt durch die Mauer; Beichtstuhl und Altar stehen gegen Morgen. Meine Pflanzen hab' ich alle eingesetzt mit Hülfe des Schiffsjungen, der sie mir herauf bringen half; die Rebe im Topf, welche schon an 6 Fuß hoch ist und voll Trauben hängt, hab' ich am Altar zwischen eine gebrochne Steinplatte gesetzt; den Topf hab' ich zerschlagen und die Scherben leise abgenommen, damit die Erde hübsch an den Wurzeln bleibt; es ist eine Muskatellerart, die sehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn am Kreuz auf dem Altar festgebunden; die Trauben hängen grade über den Christusleib; – wenn er schön einwächst und gedeiht, da werden sich die Menschen wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bienen im Beichtstuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht, 341 und das Kreuz mit Trauben. Ach so viele Menschen haben große Paläste und prächtige Gärten; – ich möchte nur diese einsame Rochuskapelle haben, und daß alles so schön fortwüchse, wie ich's eingepflanzt habe; – vom Berg' hab' ich mit den Scherben die Erde los gegraben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab' ich unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es ist wohl zum letztenmal, daß er Rheinwasser trinkt. – Jetzt, nach beendigtem Werk, sitz' ich hier im Beichtstuhl, und schreib' an Dich; die Bienen kommen alle hintereinander heim; sie sind schon ganz eingewohnt; – könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken, so gefühlig, so süß summend, wie diese Bienen, beladen mit Honig und Blumenstaub, den ich von allen Feldern zusammen trage, und alles heim bringen zu Dir – nicht wahr? –

Am 13. August.

„Alles hat seine Zeit!“ sprech' ich mit dem Weisen, ich habe die Reben ihre Blätter entfalten sehen; ihre Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun sie Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlassen, du 342 stiller, stiller Rhein! Noch gestern Abend war alles so herrlich; aus der dunklen Mitternacht trat mir eine große Welt entgegen. Als ich von meinem Bett aufstand in die kühle Nachtluft am Fenster, da war der Mond schon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte die Welten alle unter sich getrieben; er warf einen fruchtbaren Schein über die Weinberge; – ich nahm das volle Laub des Weinstocks, der an meinem Fenster hinaufwächst, in Arm und nahm Abschied von ihm; keinem Lebendigen hätte ich den Augenblick dieser Liebe gegönnt; wär' ich bei Dir gewesen, – ich hätte geschmeichelt, gebeten und geküßt.

Schlangenbad, 17. August.

Nur das sei mir gegönnt! – und ach, es wird mir nicht leicht, es auszusprechen, was ich will, wenn mich manchmal der Athem drückt, daß ich laut schreien möchte.

Es überfliegt mich zuweilen in diesen engbegränzten Gegenden, wo die Berge übereinander klettern und den Nebel tragen, und in den tiefen kühlen Thälern die Einsamkeit gefangen halten, ein Jauchzen, das wie ein 343 Blitz durch mich fährt. – Nun ja! – das sei mir gegönnt: daß ich dann mich an einen Freund schließe, – er sei noch so fern, – daß Er mir freundlich die Hand aufs klopfende Herz lege und sich seiner Jugend erinnere. – O wohl mir, daß ich Dich gesehen hab'! jetzt weiß ich doch, wenn ich suche und kein Platz mir genügt zum Ausruhen, wo ich zu Haus bin und wem ich angehöre.

Etwas weißt Du noch nicht, was mir eine liebe Erinnerung ist, obschon sie seltsam scheint. – Als ich Dich noch nie gesehen hatte, und mich die Sehnsucht zu Deiner Mutter trieb, um alles von Dir zu erforschen, – Gott, wie oft hab' ich auf meinem Schemel hinter ihr auf die Brust geschlagen, um meine Ungeduld zu dämpfen. – Nun: – wenn ich da nach Hause kam, so sank ich oft mitten im Spielen von Scherz und Witz zusammen; sah mein Bild vor dem Deinen stehen, sah Dich mir nah kommen, und wie Du freundlich warst auf verschiedene Weise, und gütig, bis mir die Augen vor freudigem Schmerz übergingen.

So hab' ich Dich durchgefühlt, daß mich das stille Bewußtsein einer innerlichen Glückseligkeit vielleicht manche stürmische Zeit meines Gemüths über den Wellen erhalten hat. – Damals weckte mich oft dieses Bewuß[t]344sein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar Stunden mit selbsterschaffnen Träumen, und hatte am End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht; ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja selbst hart, wenn eins von den Geschwistern zur Unzeit mich zu einer Zerstreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn ich Dich jemals selbst sehen sollte, was mir unmöglich schien, so würde ich vielleicht viele Nächte ganz schlaflos sein. – Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. – In Berlin, wo ich zum erstenmal eine Oper von Gluck hörte (Musik fesselt mich sonst so, daß ich mich von allem losmachen kann), wenn da die Pauken schlugen, – lache nur nicht – schlug mein Herz heftig mit; ich fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir festlich wie dem Volk, das dem geliebten Fürsten entgegen zieht, und ich dachte: „in wenig Tagen wird alles, was Dich so von außen ergreift, in Dir selber erwachen! – Aber da ich nun endlich, endlich bei Dir war: – Traum! jetzt noch: – wunderbarer Traum! – da kam mein Kopf auf Deiner Schulter zu ruhen, da schlief ich ein paar Minuten nach vier bis fünf schlaflosen Nächten zum [er]sten Mal.

Siehst Du, siehst Du! – da soll ich mich hüten 345 vor Lieb', und hat mir nie sonst Ruhe geglückt; aber in Deinen Armen, da kam der lang' verscheuchte Schlaf, und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu lieben, das war's nicht; – aber soll keiner sich hüten oder sich um sein Schicksal kümmern, wenn er das rechte liebt; sein Geist ist erfüllt, – was nützt das andere! –

Den 18.

Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich den rechten Weg finden? Da so viele neben einanderher laufen, so denk' ich immer, wenn ich an einem Wegweiser vorübergehe, und bleibe oft stehen und bin traurig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach Haus' und mein', ich hätte Dir viel zu schreiben! – Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm sprechen wollt, – kommt aus meiner Brust hervor! aber ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich will, ich muß Dich nur sehen.

Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat die Abendseite vor sich: am äußersten Ende des dunkeln Himmels sieht man noch das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langsam abwärts ziehen – so geht 346 mir's bei der Erinnerung an Dich. Wenn die Zeit noch so dunkel und traurig ist; weiß ich doch wo mein Tag untergegangen ist.

Den 20.

Ich habe selten eine Zeit in meinem Leben so erfüllt gehabt, daß ich sagen könnte sie sei mir unvermerkt verstrichen; ich fühl' nicht wie andere Menschen, die sich amüsiren, wenn ihnen die Zeit schnell vergeht; im Gegentheil, es ist mir der Tag verhaßt, der mir vergangen ist, ich weiß nicht wie. Von jedem Augenblick bleibe mir eine Erinnerung tief oder lustig, freudig oder schmerzlich, – ich wehre mich gegen sonst nichts, als nur gegen nichts.

Gegen dies Nichts, das einem beinah überall erstickt!

Den 22.

Vorgestern war ein herrlicher Abend und Nacht; ganz mit dem glänzenden frischen Schmelz der lebhaftesten Farben und Begebenheiten, wie sie nur in Romanen gemalt sind: so ungestört; der Himmel war besäet mit unzähligen Sternen, die wie blitzende Diamanten 347 durch das dichte Laub der blühenden Linden funkelten; die Terrassen, welche an dem Berg hinauf gebaut sind, an dessen Fuß die großen Badehäuser liegen (die einzigen im engen Thal), haben etwas sehr festliches und ruhiges durch die Regelmäßigkeit ihrer Hecken, die auf jeder Terrasse ein Bosquet von Linden und Nußbäumen umgeben; die vielen Quellen und Brunnen, die man unter sich rauschen hört, machen es nun gar reizend. Alle Fenster waren erleuchtet, die Häuser sahen wunderbar belebt unter dem dunklen einsamen Wald des übersteigenden Gebirges hervor. – Die junge Fürstin von Baaden saß mit der Gesellschaft auf der untersten Terrasse und trank den Thee; bald hörten wir Waldhörner aus der Ferne; wir glaubten's kaum, so leise, – gleich antwortete es in der Nähe; dann schmetterte es über uns im Gipfel; sie schienen sich gegenseitig zu locken, rückten zusammen und in milder Entfernung entfalteten sie die Schwingen als wollten sie himmelwärts steigen, und immer senkten sie sich wieder auf die liebe Erde herab; – das Geplauder der Franzosen verstummte, ein paarmal hörte ich neben mir ausrufen: délicieux! –Ich wendete mich nach dieser Stimme: ein schöner Mann, edle Gestalt und Gesicht, geistreicher Ausdruck, nicht mehr jung, bebändert und besternt; – 348 er kam mit mir in's Gespräch und setzte sich neben mich auf die Bank. Ich bin nun schon gewohnt, für ein Kind angesehen zu werden, und war also nicht verwundert, daß mich der Franzose cher enfant nannte; er nahm meine Hand und fragte, von wem ich den Ring habe? – Ich sagte: von Goethe; comment de Goethe? – Je le connais; und nun erzählte er mir, daß er nach der Schlacht bei Jena mehrere Tage bei Dir zugebracht habe, und Du habest ihm einen Knopf von seiner Uniform abgeschnitten, um ihn als Andenken in deiner Münzsammlung zu bewahren; ich sagte: und mir habest Du den Ring zum Andenken gegeben, und mich gebeten, Dich nicht zu vergessen. – Et cela vous a remué le coeur?Aussi tendrement et aussi passionnement que les sons, qui se font entendre là haut! Da fragte er: Et vous n'avez réellement que treize ans? –Du wirst wohl wissen, wer er ist, ich habe um seinen Namen nicht gefragt.

Sie bliesen so herrlich in den Wald hinein, und mir zugleich alle weltliche Gedanken aus dem Kopf; ich schlich mich leise hinauf, so nah als möglich und ließ mir's die Brust durchdröhnen; recht mit Gewalt. – Der Ansatz der Töne war so weich, sie wurden allmählig 349 so mächtig, daß es unwiderstehliche Wollust war, sich ihnen hinzugeben. Da hatt' ich allerlei wunderliche Gedanken, die schwerlich bei dem Verstand die Mauth passirt hätten; es war als läg' das Geheimniß der Schöpfung mir auf der Zunge. Der Ton, den ich lebendig in mir fühlte, gab mir die Empfindung, wie durch die Macht seiner Stimme Gott alles hervorgerufen, und wie Musik diesen ewigen Willen der Liebe und der Weisheit in jeder Brust wiederholt. – Und ich war beherrscht von Gefühlen, die von der Musik getragen, durchdrungen, vermittelt, verändert, vermischt und gehoben wurden; ich war endlich so in mich versunken, daß selbst die späte Nacht mich nicht vom Platz brachte. Das Hofgeschwirr und die vielen Lichter, von deren Wiederschein die Bäume in grünen Flammen brannten, sah ich von oben herab verschwinden; endlich war alles weg; kein Licht brannte mehr in den Häusern; ich war allein in der kühlen himmlischen Ruhe der Nacht; ich dachte an Dich! Ach hätten wir doch beisammen unter jenen Bäumen gesessen, und bei dem Rauschen und Plätschern der Wasser mit einander geschwätzt!

350 Am 24. August.

Immer noch hab' ich Dir was zu erzählen; den letzten Abend am Rhein ging ich noch spät in's nächste Dorf mit Begleitung; als ich am Rhein hinschlenderte, sah ich von Ferne etwas Flammendes heranschwimmen; es war ein großes Schiff mit Fackeln, die zuweilen das Ufer grell erleuchteten; oft verschwanden die Flammen; Minuten lang war alles dunkel; es gab dem Fluß eine magische Wirkung, die sich mir tief einprägte als Abschluß von allem, was ich dort erlebt habe.

Es war Mitternacht, – der Mond stieg trüb' auf; das Schiff, dessen Schatten in dem erleuchteten Rhein wie ein Ungeheuer mitsegelte, warf ein grelles Feuer auf die waldige Ingelheimer Aue, an der sie hinsteuerten, hinter welcher sich der Mond so mild bescheiden hervortrug, und allmählig sich in die dünne Nebelwolke wie in einen Schleier einwickelte. – Wenn man der Natur ruhig und mit Bedacht zusieht, greift sie immer in's Herz. Was hätte Gott meine Sinne inniger zuwenden können? – was mich leichter von dem Unbedeutenden, was mich drückt, lösen können? – Ich schäme mich nicht, Dir zu bekennen, daß dein Bild dabei heftig in meiner Seele aufflammte. Wahr ist's: 351 Du strahlst in mich, wie die Sonne in den Krystal der Traube, und wie diese kochst Du mich immer feuriger, aber auch klarer aus.

Ich hörte nun die Leute auf dem Schiff schon deutlich sprechen und zur Arbeit anrufen; sie ankerten an der Insel, löschten die Fackeln; – nun wurde alles still, bis auf den Hund der bellte, und die Flaggen, die sich in der frischen Nachtluft drehten. – Nun ging' auch ich nach Haus, zum Schlafen, und wenn Du's erlaubst, so legte ich mich zu deinen Füßen nieder, und es belohnte mich der Traum mit Liebkosungen von Dir, wenns nicht Falschheit war.

Wer wollte nicht an Erscheinung glauben! Beglückt mich doch die Erinnerung dieser Träume noch heute! Ja sag: was geht der Wirklichkeit ab? – O ich bin stolz, daß ich von Dir träume; ein guter Geist dient meiner Seele; er führt Dich ein, weil meine Seele Dich ruft; ich soll deine Züge trinken, weil mich nach ihnen dürstet; ja, es giebt Bitten und Forderungen, die werden erhört.

Nun wehr' Dich immer gegen meine Liebe; was kann Dir's helfen? – Wenn ich nur Geist genug habe! – Dem Geist stehen die Geister bei.

Bettine

 

352 Am 30. August

Ich öffne das Siegel wieder, um Dir zu sagen, daß ich deinen Brief vom 10. seit gestern Abend in Händen habe, und habe ihn fleissig studirt. – O Goethe, Du sagst zwar, Du willst keinen Krieg führen, und verlangst Friede, und schlägst doch mit dem Primas wie mit einer Herkuleskeule drein. Mutz' mir doch den Primas nicht auf! – wenn ich's ihm sagte, er spränge Decken hoch und verliebte sich in mich – aber Du bist nicht eifersüchtig, Du bist nur gütig und voll Nachsicht.

Deine Charade hab' ich schlaftrunken an's Herz gelegt, aber gerathen hab' ich sie nicht; – wo hätt' ich Besinnung hernehmen sollen? – Mag es sein, was es will, es macht mich seelig: ein Kreis liebender Worte! – so unterscheidet man auch nicht Liebkosungen, man genießt sie und weiß, daß sie die Blüthen der Liebe sind. – Ach ich möchte wissen, was es ist:

Ich hoffe still; – doch hoff ich's zu erlangen,
Als Namen der Geliebten sie zu lallen.

Was hoffst Du? – sag mir's, und wie soll die Geliebte Dir heißen? welche Bedeutung hat der Name, daß Du mit Entzücken ihn nur zu lallen vermagst? –

353 In Einem Bild sie beide zu erblicken,
In Einem Wesen beide zu umfangen.

Wer sind die beide? wer ist mein Nebenbuhler? in welchem Bild soll ich mich spiegeln? – und mit wem soll ich in deinen Armen verschmelzen? – ach wie viele Räthsel in einem verborgen, und wie brennt mir der Kopf! – Nein, ich kann es nicht rathen; es will nicht gelingen, mich von deinem Herzen loszureißen und zu spekulieren.

Es thut gar wohl, an schön beschlossnen Tagen
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen.
Und kann man sie vereint zusammen nennen,

Das thut Dir wohl, daß ich an Dir verglühe, an schön beschlossnen Tagen, wo ich den Abend in deiner Nähe zubringe, und mir auch.

Und kann man uns vereint zusammen nennen
so drückt man aus mein seligstes Behagen.

Du siehst, Freund, wie Du mich hinüberrathen läßt in die Ewigkeit; aber das irdische Wort, was der Schlüssel zu allem ist, das kann ich nicht finden.

Aber deinen Zweck hast Du erlangt, daß ich mich 354 zufrieden rathen solle, ich errathe daraus meine Rechte, meine Anerkenntniß, meinen Lohn und die Bekräftigung unsers Bundes, und werde jeden Tag deine Liebe neu errathen, verbrenne mich immer, wenn Du mich zugleich umfangen und spiegeln willst in deinem Geist, und vereint mit mir, gern genennt sein willst.

Wenn Dir die Mutter schreibt, so macht sie den Bericht allemal zu ihrem Vortheil, die Geschichte war so: Ein buntes Röckchen, mit Streifen und Blumen durchwürkt, und ein Flormützchen mit silbernen Blümchen geschmückt, holte sie aus dem großen Tafelschrank, und zeigte sie mir als deinen ersten Anzug, in dem Du in die Kirche und zu den Pathen getragen wurdest. Bei dieser Gelegenheit hörte ich die genaue Geschichte deiner Geburt, die ich gleich aufschrieb. Da fand sich denn auch der kleine Frankfurther Rathsherr mit der Alongeperücke! – sie war sehr erfreut über diesen Fund und erzählte mir, daß man sie ihnen geschenkt habe, wie ihr Vater Syndikus geworden war. Die Schnallen an den Schuhen sind von Gold, wie auch der Degen und die Perlen-Quasten am Halsschmuck sind echt; ich hätte den kleinen Kerl gar zu gern gehabt. Sie meinte er müsse deinen Nachkommen aufbewahrt bleiben, und so kam's, 355 daß wir ein wenig Komödie mit ihm spielten. Sie erzählte mir dabei viel aus ihrer eignen Jugend, aber nichts von Dir; aber eine Geschichte, die mir ewig wichtig bleiben wird, und gewiß das schönste, was sie zu erzählen vermag.

Du erfreust Dich an der Geschichte des Myrrthenbaums meiner Frizlarer Nonne, er ist wohl die Geschichte eines jeden feurig liebenden Herzens. Glück ist nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab' mich schon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer bringt, und nicht der Liebe selbst, wodurch allein sie blühen könnte, wie jener Myrrthenbaum. Es ist besser, daß man Verzicht auf alles thue, aber die Myrrthe, die einmal eingepflanzt ist, die soll man nicht entwurzeln – man soll sie pflegen bis an's Ende.

Alles was Du verlangst, hoff' ich Dir noch zu sagen, Du hast recht vermuthet, daß mir die Zerstreuung hier viel rauben würde, aber dein Wille hat Macht über mich, und ich hoffe, er soll Feuer aus dem Geist schlagen. Die Herzogin von Baden ist fort, aber unsre Familie sammt anhängenden Freunden ist so groß, daß wir ganz Schlangenbad übervölkern. Adieu, ich schäme 356 mich meines dicken Brief's in dem viel Unsinn stecken mag. Wenn Du nicht frei Porto hättest, ich schickte ihn nicht ab.

Von der Mutter hab' ich die besten Nachrichten.

Bettine.

Ende des ersten Bandes.

 

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