3 Geschichte

des Herrn

William Lovell.

 

Erstes Buch.

5 1.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Rom.

Gottes Seegen möge zu Dir kommen, lieber Bruder, so wie er mich nun ganz verlassen hat. Wenn Du in Deinem Herzen noch an den armen Willy denkst, so bete für mich, daß ich bald unser gutes Englisches Ufer wiedersehe, und Dich mitten drinn' im schönen gottesfürchtigen Lande, wo alle Menschen meinen frommen, einfältigen Glauben haben, und die ganze Christenheit einen stillen, einträchtigen Wandel führt. Hier scheint zwar die Sonne schöner und wärmer, weil es Gottes gnädiger Wille ist, daß sie auch über die Gottlosen scheinen soll: aber nach meiner Einsicht thut er daran gar nicht ganz recht.

6 Du bist noch immer beim alten Lord Burton, nicht wahr Thomas? – Der Garten in Bonstreet ist noch schön und frisch, und der Fischer Peter spielt noch jeden Abend auf der Schallmey? – Ach mir ist, als könnt ich Dich jetzt so mit Deinen übereinandergeschlagenen krummen Beinen vor dem Thor des Hofes sitzen sehn, wo ich sonst immer ehemals saß und den lustigen Schallmeyklang anhörte, der alle Bauren und selbst das liebe Vieh fröhlich machte, wenn es von der Weide zurück kam: – hier sitz' ich jetzt in meinem kleinen dunkeln Kämmerchen, und weine, daß ich nicht bei Dir bin. Nun, Gott wird alles zum Besten lenken.

Du wirst mir abmerken, daß ich in der Fremde gar nicht mehr so vergnügt bin, wie ehemals; Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit. Freilich wohl! Aber es ist doch nicht Recht, daß man einen alten Mann so zur Betrübniß zwingt, der sich wegen der Seelen anderer Menschen abhärmt, daß ihm kein Bissen Brod und kein Tropfen Wein mehr schmeckt. Wir sind hier jetzt so lustig, Bruder, daß wir sogar auf dem Rande von Felsen tanzen und springen; – ich sah einmal einen Jungen, der 7 aus purem liebem Muthwillen in einen tiefen Brunnen fiel und elendiglich ersaufen mußte. Ich kann nicht schwimmen, Thomas, ich bin zu alt, um jemand wieder aus dem Wasser ans Tageslicht zu ziehn. Was Herr William denkt, kann ich nicht wissen, aber Gott mag ihm beistehn, wenn er ganz verlassen ist.

Du wirst aus meinen Jammerliedern nicht recht klug werden können, lieber Bruder! – Ach, wohl dem Manne, dem das Elend eine Wallisische Mundart spricht, und der nicht sitzet, wo die Spötter sitzen, noch wandelt den Weg der Gottlosen, den ich jetzt alle Tage mit meinem Herrn gehn muß. Er ist nicht mehr derselbe, er ist völlig ausgetauscht, er bringt sein Geld durch, als wenn er die Schatzkammer hätte; – aber das Geld ist doch am Ende immer nur ein irdisches Gut, an dem Gott keinen Wohlgefallen hat, aber seine Seele, Tom, seine Seele, die er von Gott geliehen bekommen hat, und die er ihm dereinst wieder bezahlen sollte, verschwendet er auch, als wenn Seelen nur so auf allen Jahrmärkten zum Kaufe ständen. – Wenn er sich nicht bald wieder ändert, wird es mit seiner Rechnung an dem großen Wechseltage 8 übel aussehen. Doch richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.

Ja, Bruder, unsre heilige Schrift ist jetzt noch mein einziger Trost in meinen trüben Jammerstunden; Du glaubst gar nicht, was für Kraft in dem Buche steckt. Ich packte es so sorgfältig mit in meinen Koffer ein, und ich sitze nun oft ganze Stunden und lese so andächtig, als wenn ich bald vor Gott geführt und ein Engel aus mir gemacht werden sollte. Man kann nicht wissen, wie schnell sich manchmal etwas fügt; es ist noch nicht aller Tage Abend, und sollte ich den großen Schritt thun müssen, so denke ich in meinem Examen nicht ganz schlecht zu bestehen.

Sage mir einmahl, lieber Bruder, warum manche Menschen so dumm, und bei allem ihren eingebildeten Verstande vor Dummheit ordentlich wie vor den Kopf geschlagen sind? daß sie die große breite Heerstraße des göttlichen Worts durchaus nicht sehn wollen, die ihnen vor den Füßen steht, und sich lieber durch einen dichten wildverwachsenen Wald einen Weg hauen, sich immer in dem Gesträuche reissen, und stehen und sich weiß machen, sie haben die 9 schönste Chaussee von der Welt vor sich! Mein Herr und Herr Rosa bilden sich immer ein, ich verstehe ihre hohen freigeisterischen Reden gar nicht, die sie manchmal führen, wenn ich dabey bin. – Ach, ich verstehe alles recht gut, wie sie es gerne mögen wollen; wenn man in seinem dummen einfältigen Herzen den Gedanken an Gott, und den Glauben an ihn so recht warm und kräftiglich fühlt, so faßt man auch recht gut den Sinn von all' den irdischen Irrlehrern, die in der Finsterniß wandeln, und da aus den Händen ihre Augen machen müssen. – – Aber wir sind besser dran, Thomas, die wir vom Herrn erleuchtet sind, wir sehn mit unsern eigenen Augen, wir fühlen mit unserm eigenen Herzen, die Gott uns mit auf die Welt gab und seinen Stempel drein setzte: sie haben nachgemachte Herzen, die im Sturm und Ungewitter nicht ausdauern, die in der Hitze zergehen und in der Kälte zusammenschrumpfen. Gott hat mir einen Glauben gegeben, der für alle Tage in der Woche aushält, und des Sonntags schenkt er mir zuweilen noch eine fromme christliche Erleuchtung, daß es mir wie ein Magnet durch meine Seele geht und sie wieder jung und 10 frisch macht: nicht solche Erscheinungen, Thomas, die bei uns manche närrische Leute haben; so eine sanfte, stille Wärme, wie das erste Thauwetter im Frühjahr. – Darum könnt ich mich auch immer noch trösten, wenn das ganze Unglück nicht grade meinen Herrn beträfe, den ich so ausserordentlich von ganzer Seele lieb habe, daß ich für ihn sterben könnte, wenn es seyn müßte; aber er macht sich aus dieser Liebe gar nichts mehr: ich würde gegen einen Hund, der aus meiner Hand lieber, als von einem andern sein Stückchen Brod äße, mehr Andächtigkeit haben. Die Mädchen und Weiber hier mit ihrem gezierten und hochfahrenden Wesen sind ihm lieber, so ein Herr Rosa, der nicht an Gott und Ewigkeit glaubt, ist sein Herzensfreund, solche Leute, die ihren Verstand für thurmgroß halten, wenn sie den Himmel mit allen seinen Sternen nicht sehen wollen, und sich einbilden, sie könnten dies alles auch so und noch besser machen, wenn sie nur Zeit und Handwerkszeug hätten. Gott mag ihnen vergeben und ein Einsehn in ihre Narrheit haben; die Hunde bellen den Mond an, und wenn der Mond so denkt wie ich, so nimmt er es ihnen gewiß nicht übel.

11 Ein Traum, sagt man freilich wohl, ist nur ein Schaum; aber ein Schiffer hat mir doch einmal erzählt, daß es auf dem Meere einen gewissen kuriosen Schaum gebe, der ordentlich Sturm und Schiffbruch voraus prophezeihe! – Könnt' es denn nicht auch mit manchen Träumen dieselbe Bewandniß haben? – So hatt' ich schon in Frankreich einen gar bedenklichen Traum, damals, als der gute Herr Mortimer von uns wieder nach England zurückreiste. Wir alle standen nehmlich unten an einem hohen, hohen Berge, ich, mein Herr, Herr Mortimer, Herr Balder und der Italiäner Rosa; oben wollten sie alle gerne hinauf, aber Herr Mortimer wurde müde und setzte sich unten in einer schönen grünen Stelle nieder. Mit einemmale war ich weg und ich konnte gar nicht klug daraus werden, wo ich geblieben wäre; die drei übrigen gingen den Berg hinauf, und Herr Balder hatte einen sehr wunderlichen Gang; als sie fast oben waren, fiel Herr Balder herunter, und aus dem Italiäner ward ein ganz fremder, unbekannter Mensch. Jetzt ging nun ein schwarzer, alter Pudel dicht hinter meinem Herrn, hielt immer den Kopf dicht über der Erde, und 12 ging so recht aufmerksam und liebreich; Du kennst wohl die närrische Art an den Pudeln, Thomas, wenn sie so zutraulich und gesetzt hinter einem hergehen. Oben stand Herr William und sah so recht dreist in den tiefen fürchterlichen Abgrund hinein, als wenn er da in den Steinklippen zu Hause gehörte: ich kann es nicht leiden, Thomas, wenn ein Mensch so recht oben auf einer Felsenklippe nicht etwas schwindlicht wird, denn es liegt in der Natur und es ist eine Art von Frechheit, sich nicht da oben ein bischen zu fürchten. Nein, wie gesagt, Herr William that das gar nicht, sondern grade umgekehrt, er bückte sich noch so recht muthwillig über. Der Hund, der mein Gemüth haben mußte, faßte ihn beim Rockschooß, um ihn fest zu halten; Herr William sah sich so mit seinen großen Augen um, und gab dem redlichen Pudel, einen tüchtigen Stoß mit dem Fuße, daß der Hund sich zusammenkrümmte, umkehrte und mit einem recht kläglichen Gewinsel den Berg hinunter trabte, so langsam, als wenn er zur Leiche ginge. In der Mitte sah sich der Hund noch einmal um, und so, wie ich es voraus gedacht hatte, fiel der Herr William jetzt plötzlich in das Felsenthal hinunter. –

13 Nun, Thomas, mögt' ich wohl ein groß Stück Geld darauf wetten, daß Niemand anders als Ich der Pudel gewesen ist? Herr Mortimer wollte auf diesen Traum damals gar nicht achten; aber er ist mir heute wieder recht lebhaft eingefallen. –

Wie gesagt, ich wollte, ich könnte nach England zurückreisen; gebe Gott, daß sich bald dazu eine Gelegenheit findet, denn es gefällt mir nun in den fremden Ländern hier gar nicht mehr. – Vielleicht geht aber noch alles wieder gut: lebe recht wohl, lieber Bruder, und bleibe Du mein guter Freund, ich bin gewiß zeitlebens

der Deinige.

14 2.

William Lovell an seinen Freund Eduard Burton.

Rom.

Dein Brief, lieber Freund, der mich trösten, der mir den Zusammenhang der Dinge im wahren Gesichtspunkte zeigen sollte, ist zu spät gekommen. Ich war vielleicht schon ruhig, als Du die Feder ansetztest, um mich zu beruhigen. Es ist so etwas Jämmerliches in allen Bekümmernissen dieser Sterblichkeit, daß der Gram schon von selbst verschwindet, wenn man ihn nur genauer ins Auge faßt. Sollt' ich jammern und klagen, weil nicht jeder meiner übereilten Wünsche in Erfüllung geht? Da müßt' ich mein ganzes Leben verklagen und ich wäre ein Thor. Das Flehen der Sterblichen schlägt gegen die tauben Gewölbe des Himmels, weil alles sich in einem nichtigen schwindelnden Zirkeltanz dreht, nach Genüssen greift, die nur der Wiederschein von würklichen Gütern sind, und so jeder fühlt, wie ihm sein geträumtes Glück aus den Händen entschwindet. Wer aber vorher weiß, welche 15 Gerichte er an dieser Tafel findet, der wählt klug aus und kostet von jedem, wenn die Nachbarn hungrig vom Tische gehn, indem sie auf eine Lieblingsspeise warteten, die nicht aufgetragen wurde. – Und ist es nicht so leicht, den Küchenzettel von diesem Leben zu erhalten?

Du wirst mir schon nach diesem Tone meines Briefes glauben, daß ich völlig getröstet bin, ich glaube jetzt, oder bilde mir es ein, alle Parthien dieses Lebens überblicken zu können, daß mich keine Anlage dieses seltsam geordneten Parks überrascht, daß ich es weiß, wenn ich durch krumme Labyrinthe auf meine Fußstapfen zurückgekehrt bin, und den Zaun recht gut bemerke, der sich hinter Gebüsche verstecken soll. Ich bin sogar seitdem in eine muthwillige Laune gefallen, in einen gewissen humoristischen Rausch, in welchem mir die Freuden und Leiden dieses Lebens weder wünschenswürdig noch verabscheuungswerth erscheinen, es ist alles um mich her ein breiter, mühsam erfundener Scherz, der, wenn man ihn zu genau beobachtet und anatomirt, nüchtern erscheint: aber wenn man sich auf dieser Maskerade dem Lachen und der guten Laune gutwillig hingiebt, so verfliegt der 16 Spleen, und wir fühlen es, daß wir auch im Lachen weise seyn können.

Ist denn überhaupt nicht alles auf dieser Erde ein und eben dasselbe? Wir drücken uns selbst die Augen fest zu, um nur nicht diese Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schranken einfallen, die Menschen von Menschen trennen. Ich könnte hier viel wieder erzählen, was ich vordem meinem guten Mortimer nicht glauben wollte, denn bloß durch diesen Eigensinn unterscheiden sich die Charaktere der Menschen; wir würden alle einen Glauben haben, wenn wir uns nicht von Jugend auf ein Schema machten, in das wir uns nach und nach mühsam hineintragen, das Gerüst und Sparrwerk eines Systems, und daraus unsere eingebildete Wahrheit herausschreien, und dem Nachbar gegenüber nicht glauben wollen, der in einem andern Käfig steckt und eine andre Lehre predigt. Frei stehe der kühnere Mensch, ohne Stangen und Latten die ihn umgeben, in der hohen Natur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth ziehe er seine Philosophie, und schreite wie ein Riese über die Zwerge hinweg, die wie Ameisen zwischen seinen Füßen kriechen und sich mit kläg17licher Emsigkeit mit Sandkörnern schleppen, um den gewaltigen Bau aufzuführen, den ein einziger Fußtritt aus seinen Wurzeln hebt.

Was wollt ich nun mit mir selber, als ich jene Briefe an Dich und an meinen Vater schrieb, in welchem ich so flehentlich um Amalien bat? – Bin ich denn in diesem Namen, in diesem Laut eingekerkert, daß meine Seele nach ihrem Besitz und nach Freiheit schmachtet? Denn was ist unsre sogenannte Liebe anders, als diese nichtswürdige Einbildung, daß wir ein Wesen, das erste beste zu unsrer Gottheit stempeln, und alle Gebete und Gedanken nach ihm hinrichten? – Kannte ich denn Amaliens Seele hinglänglich in den paar Wochen, in welchen ich sie sah, um ihre Freundschaft zu wünschen? – Und wenn ich nun auch ihr Freund bin, wenn mein Verstand auch ihre Vorzüge erkannt, – welcher Unsinn, daß ich mit kindischen Gefühlen diese Achtung zu sinnlicher Liebe ausdehne? – daß ich verlange, Amalie soll meine Frau werden? –

Ich muß über mich und meinen Zustand lachen, wenn ich länger fortfahre, mir ihn deutlich zu entwickeln. – Daß wir Sinnlichkeit haben, 18 ist keineswegs verächtlich und kann es nicht seyn, – und doch streben wir unaufhörlich, sie uns selber abzuleugnen und sie mit unserer Vernunft in eins zu schmelzen, um nur in jedem der vorüberfliegenden Gefühle uns selbst achten zu können. Denn freilich ist nichts als Sinnlichkeit das erste bewegende Rad in unserer Maschine, sie wälzt unser Daseyn von der Stelle, und macht es froh und lebendig; ein Hebel, der in uns hineinreicht, und mit kleinen Gewichten große Lasten zieht. Alles, was wir als Schön und Edel träumen, greift hier hinein, Sinnlichkeit und Wollust sind der Geist der Musik, der Mahlerei und aller Künste, alle Wünsche der Menschen fliegen um diesen Pol, wie Mücken um das brennende Licht. Schönheitssinn und Kunstgefühl sind nur andere Dialekte und Aussprachen, sie bezeichnen nichts weiter, als den Trieb des Menschen zur Wollust; an jeder reizenden Form, an jedem Bilde des Dichters weidet sich das trunkene Auge, die Gemählde, vor denen der Entzückte niederkniet, sind nichts als Einleitungen zum Sinnengenuß, jeder Klang, jedes schöngeworfene Gewand winkt ihn dorthin; daher sind Boccaz und Ariost 19 die größten Dichter, und Titian und der muthwillige Correggio stehen weit über Dominichino und den frommen Raphael.

Ich halte selbst die Andacht nur für einen abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes, der sich in tausend mannichfaltigen Farben bricht, und auf jede Stunde unsers Lebens Einen Funken wirft. – Da mir die Augen nun darüber geöfnet sind, will ich mich geduldig in mein Schicksal ergeben, ich darf kein Engel seyn, aber ungestört will ich als Mensch dahin wandeln, ich will mich hüten, mir selbst um mein Daseyn ängstigende Schranken zu ziehn. – So ist mir der Name Amalie fremd geworden; war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe, etwas anders, als das rohe Streben nach ihrem Besitze? ein Gefühl, das wir uns von Jugend auf verkünsteln, und uns das simple Gemählde unsers Lebens mit unsinnigen Arabesken verderben. – Darum eben verachtet der Greis diese jugendlichen Aufwallungen und wilden Sprünge des Gefühls, weil er zu gut erfahren hat, wohin sich alle diese glänzende Meteore am Ende senken; sie fallen wieder wie Raketen zur Erde und verlöschen. – Aber diese Greise 20 sind zugleich für Künste und Enthusiasmus todt, weil die Blüthe der Sinnlichkeit für sie abgeblüht ist, die Seele ist in ihnen ausgeloschen, und sie sind nur noch die matte Abbildung eines Lebendigen.

Ich will dem Pfade folgen, der sich vor mir ausstreckt, die Freuden begegnen uns, so lange die Spitzen in unsern Sinnen noch scharf sind. Das ganze Leben ist ein taumelnder Tanz; schwenkt wild den Reigen herum, und laßt alle Instrumente noch lauter durcheinander klingen! Laßt das bunte Gewühl nicht ermüden, damit uns nicht die Nüchternheit entgegen kömmt, die hinter den Freuden lauert, und so immer wilder und wilder im jauchzenden Schwunge, bis uns Sinne und Athem stocken, die Welt sich vor unsern Augen in Millionen flimmernde Regenbogen zerspaltet, und wir wie verbannte Geister auf sie von einem fernen Planeten herunterblikken. Eine hohe bachantische Wuth entzünde den frechen Geist, daß er nie wieder in den Armseligkeiten der gewöhnlichen Welt einheimisch werde!

21 3.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Warum schwärmen Sie schon wieder in Neapel herum und verlassen Ihren Freund? – Ich mag nicht Ihr Begleiter seyn, weil ich Baldern fürchte, sein Anblick und seine Art des Wahnsinns schneiden durch mein Herz. Ich fühle mich hier in manchen Stunden ausserordentlich einsam, ich gehe aus, um Sie zu sehen und vergesse, daß Sie nicht in Rom sind. Ich habe so eben einen Brief an meinen Freund Eduard gesiegelt und die Thränen stehen mir noch heiß in den Augen; alles, was ich je empfand, kam ungestüm, wie ein Waldstrom in meine Seele zurück, ich unterdrückte dis Gefühl, das immer heftiger in mir emporquoll und schrieb endlich in einer Angst, die zur Wuth ward, ich trotzte mir selber und ergab mich einer blinden Sucht zu übertreiben, mußte aber den Brief plötzlich abbrechen, weil die Thränen endlich ihrer Fesseln ledig wurden und ich laut schluchzend und klagend in meinen Sessel sank. Wie aus den 22 Wolken schwindelte ich herunter, alles, was mich aufrecht erhielt, verließ mich treulos; – der Mensch ist ein elendes Geschöpf!

Ja das Blendwerk der jugendlichen Phantasie ist jetzt von meinen Augen genommen, ich habe mich über meine Empfindungen belehrt, und verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einst als ein Gott erschien, – aber ach, Rosa, ich wünsche mir jetzt in manchen Stunden dis kindische Blendwerk zurück. Was ist aller Genuß der Welt am Ende, und warum wollen wir die Täuschung nicht beibehalten, die uns auf jedem Felsen einen Garten finden läßt? –

Und ist denn meine jetzige Meinung nicht vielleicht eben so wohl Täuschung, als meine vorhergehende? – Mir fällt es erst jetzt ein, daß beide Ansichten der Welt und ihrer Schäzze einseitig sind und es seyn müssen, – alles liegt dunkel und räthselhaft vor unsern Füßen, wer steht mir dafür ein, daß ich nicht einen weit größeren Irrthum gegen einen kleineren eingetauscht habe?

Als ich mich so meiner vorigen Existenz erinnerte, als ich alle Scenen, die mich sonst entzückten, meinen Augen vorübergehen ließ, als 23 ich an die Aussichten des Lebens dachte, wie sie damals vor mir lagen, – o Rosa, wie eine untergehende Sonne beschien mich der blasse Strahl, ohne mich zu erwärmen; es fiel eine seltsame, räthselhafte Ahndung meine schwankende Seele an, – ich kann Ihnen meinen Zustand unmöglich deutlich machen. – Mir war's, als käme es wie eine göttliche Offenbarung auf mich herab, es gingen die verschlossenen Thüren in meinem Innersten auf, und ich schaute in die seltsame verworrene Werkstatt meiner Seele. Wie wüst und ungeordnet lag alles umher, was ich so schön und zierlich aufgepackt glaubte, in allen Gedanken fand ich ungeheure Klüfte, die ich aus trunknem Leichtsinn vorher übersehen hatte, das ganze Gebäude meiner Ideen fiel zusammen, und ich erschrak vor der leeren Ebene, die sich durch mein Gehirn ausstreckte. Nun stiegen alle Erinnerungen noch schöner und goldener in mir auf, die Vergangenheit stand noch frischer und lebendiger vor mir, und ich sah nur, wie viel ich verloren hatte und konnte keinen Gewinn entdecken.

Ist in jeglichem Lebenslaufe nicht vielleicht eine schöne blumenreiche Stelle, aus der sich ein Bach 24 ergießt, und dem Wanderer durch sein ganzes Daseyn frisch und erquickend nachfolgt? Hier muß er dann anfangen sein Glück zu gründen; Liebe, Freundschaft und Wohlwollen wandeln in dieser schönen Gegend, und warten nur darauf, daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten. Wenn nun der Mensch hindurchgeht und nicht auf den Gesang der Vögel horcht, die ihn anrufen, daß er hier verweilen solle, – wenn er wie ein nüchterner Träumer einen öden Pfad sucht, und der Quelle vorübergeht, – wenn ihm Liebe und Freundschaft, alle zarten Empfindungen vergebens nachwinken, und er lieber nach dem Gekrächze des heisern Raben hinhorcht, – ach, so verliert er sich endlich in Wüsten von Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; – alles hinter ihm ist zugefallen und er kann den Rückweg nicht entdecken; er erwacht endlich und fühlt die Einsamkeit um sich her. – –

Lieber Rosa, was sagen Sie zu diesem Briefe und zu Ihrem Freunde? – so weit hatte ich geschrieben, als ich unwillig die Feder niederwarf, und im rothen Abendschein durch die Straßen ging. Bald floß mein Blut schneller durch meine Adern, als mir so manche von den 25 bekannten Gesichtern begegneten, als ich unsre Donna Bianka an ihrem Fenster sah. Die Einsamkeit, die engen Wände sind es, die uns verdrüßlich und melancholisch machen; mit der freieren Luft athmet der Mensch eine freiere Seele ein, und fühlt sich wie der Adler, der sich mit regerem Flügelschlag über die finstern Wolken hinaushebt. – Ich komme jetzt eben von der schönen Bianka zurück, und mein Brief ist mir unverständlich. Ich bin oft darauf gefallen, daß man nur immer suchen sollte, recht viele Menschen und ihre Gemüthsart und Ansicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlieren uns sonst gar zu leicht in klägliche Träumereien: aber jedes neue Gesicht und jedes fremde Wort eröfnet uns die Augen über unsre Irrthümer. Ich kann oft einem einfältigen Menschen wie einem Orakel zuhören, weil er mich durch seine Reden in einen ganz neuen Gesichtspunkt stellt, weil ich mich so in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich meine eigene Gemüthsstimmung vergleiche, daß ich selbst in seinem einfältigsten Geschwätz einen tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Weibern vorzüglich habe ich aus jedem gesproche26nen Worte, selbst aus dem unbedeutendsten etwas gelernt.

Bianka läßt grüßen; sie ist ein liebenswürdiges Geschöpf. Wir sprachen heute lange darüber, wie ich sie zuerst durch Sie hätte kennen lernen; ich finde sie jetzt noch schöner als damals, ihr großes feuriges Auge hat einen Strahl in seiner Gewalt, der bis ins Innerste des Herzens dringt, sie hat alle meine Sinne in Aufruhr gesetzt, und ich habe sie verlassen, auf die schönste glücklichste Art beruhigt.

Ich werde von ihr und von Ihnen träumen; antworten Sie mir bald.

27 4.

Rosa an William Lovell.

Neapel.

Ihr Brief hat mich sehr amüsirt, lieber Freund; er macht so ein wahres Gemählde des Menschen aus, daß ich ihn oft gelesen habe. – Vorzüglich lustig ist die Schwermuth, mit der er anhebt; und der Uebergang aus diesem Adagio in das gesetzte und feste Andante ist so überraschend und doch so natürlich, daß mir alles so deutlich war, als hätte ich es selbst geschrieben. Ich denke, Sie werden noch öfter ähnliche Erfahrungen an sich machen, und die Klagen werden sich, wenn Sie sonst wollen, eben so kalt und philosophisch schließen, wie dieser Brief es thut. Es ist leider eben so demüthigend als wahr, daß bei Ihrer Melancholie nicht die philosophische, sondern die medicinische Untersuchung die richtigere war. Bianka hat sie von einer Krankheit geheilt, die kein Weiser, kein Dichter, kein Spaziergang, kein Gemählde, keine Musik heilen konnte.

Die klemmende unbekannte Sehnsucht, die so oft den Busen des Jünglings und des auf 28 keimenden Mädchens zusammenzieht, was ist sie anders, als das Vorgefühl der Liebe? Und was ist die Liebe mit allen ihren fröhlichen Qualen und ihren peinigenden Freuden weiter, als das Drängen nach dem Genusse, dem Ziele, nach welchem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in seine Muttersprache übersetzte, seine langweiligen Gedichte die lustigste Lektür von der Welt seyn müßten?

Grüßen Sie Bianka von mir und weihen Sie ihr eine Ihrer feurigsten Oden, denn sie hat es um Sie verdient. Diese Mädchen verdienen nicht nur mit dem Rosenkranze der Liebe, sondern auch mit der eichenlaubigen Bürgerkrone geschmückt zu werden. Dante war gewiß eben so enthaltsam, als Sie, sonst hätte er sein finsteres Gedicht nicht geschrieben, an dessen Existenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie meinem Rathe, denn nur der Phlegmatische wird nicht bei einer ähnlichen Art zu leben düster und melancholisch.

Ich sehe die Gegenden um Neapel und die Mädchen der Stadt mehr, als den finstern Balder, der wie eine Mumie in einer Katakombe 29 in seinem Zimmer liegt, und selbst das Licht der Sonne verachtet, weil es ihm ein Bild der Fröhlichkeit ist. – Ich möchte, wenn ich ein Dichter wäre, nichts als lachende Satyren schreiben, ohne Bitterkeit und schiefe Spitzen; wenn man die Menschen genauer ansieht, so giebt es keinen, den man bemitleiden kann, sie erschüttern nur das Zwergfell und die Thränen sind bei den Menschen nur eine andre Art zu lachen, eben so wollüstig, ohne traurig zu machen. Beides Schwäche, aber liebenswürdige Schwäche der Muskeln, ein Krampf, ohne den die Gesichter ganz ihre Mannichfaltigkeit verlieren würden. Ihr Shakspear hat nie so etwas wahres gesagt, als wenn er den Puck zum Oberon sagen läßt:

Lord, what fools these mortals be!

Lesen Sie die Stelle und den ganzen Zusammenhang im Mod [sic] summer – nights dream, sie ist der beste Kommentar über meine Meinung.

30 5.

Balder an William Lovell.

Neapel.

Ich will Worte schreiben, William, Worte, – das, was die Menschen sagen und denken, Freundschaft und Haß, Unsterblichkeit und Tod – sind auch nur Worte. – Wir leben jeder einsam für sich, und keiner vernimmt den andern, antwortet aber wieder Zeichen aus sich heraus, die der Fragende eben so wenig versteht; – aber so wie unser ganzes Leben ein unnützes Treiben und Drängen ist, das elendeste und verächtlichste Possenspiel, ohne Sinn und Bedeutung, so will ich Dir in einer schwermüthig lustigen Stimmung einen Brief schreiben, über den Du lachen sollst.

Ich weiß selbst nicht, warum ich schreibe, – aber eben so wenig weiß ich, warum ich Athem schöpfe. – Es ist alles nur um die Zeit auszufüllen und etwas zu thun, die elende Sucht das Leben mit sogenannten Geschäften auszufüllen, – Länder erobern, Menschen bekehren, oder Seifenblasen machen, eine Sucht, die bei 31 der Geburt unserer Seele eingeimpft ist, – denn sonst würde schon der Knabe die Augen zumachen, sich vom langweiligen Schauspiel entfernen und sterben; diese Wuth also etwas zu thun macht, daß ich Papier und Feder nehme und Gedanken schreiben will, – das unsinnigste, was der Mensch sich vorsetzen kann.

Ich wette Du lachst schon jetzt, so wie ich über den Anfang meines Briefes gelacht habe, daß mich die Brust schmerzt. – Du liesest den ganzen Brief nehmlich nur aus Dir heraus und ich schreibe Dir im Grunde keinen Buchstaben. Aber mags seyn. Bin ich doch auch wohl ehedem ein Thor gewesen, ganze Bücher mit Vergnügen durchzulesen, und mir einzubilden, daß ich den Geist des Verfassers dicht vor meinen Augen habe. Mein Bedienter ist gutwillig genug und so geschäftig, mir Papier, Dinte, Feder und alles übrige zu besorgen, als wenn von diesem meinem Schreiben das Heil ganzer Länder abhinge. Daß es noch Menschen giebt, die das, was man Geschäfte nennt, ernsthaft treiben können, ist das wunderbarste in der Welt: – oder, ob sie noch gar nicht darauf gefallen sind, sich selbst und andre näher zu betrachten, wie 32 lächerlich, possenhaft und weinerlich alles, alles, selbst Sterben und Verwesen ist? –

Manche von den Menschen, die mich besuchen, geben sich viele Mühe sich zu meinem kranken Verstande herabzulassen, wenn sie von ihren wichtigen Armseligkeiten sprechen. Sie glauben, ich verstehe sie nicht, wenn ich über dem düstern Abgrunde meiner Seele brüte, und setzen mir dann auf eine ekelhafte Art ihre Zwerggedanken auseinander. Ich höre sie in meiner Spannung zuweilen wie aus einer tiefen Ferne in meine Seele hineinreden, wie ein unartikulirter Wasserfall, der gegen die Ufer schlägt, ich antworte ihnen mit Worten, ohne sie zu überlegen, und sie verlassen mich mit tiefem Bedauern und halten mich für höchst unglückselig, weil ich ihre tiefen Ideen nicht verstehe, wie sie meinen.

Neulich war ich in einer Gesellschaft von einigen Menschen, die sich untereinander Freunde nannten. Es waren Künstler, und zwei darunter hielten sich für Dichter. Man hatte mich aus Mitleid gebeten, um mich zu zerstreuen und meinen trüben Geist aufzuheitern. Ich saß wie eine Statüe unter ihnen, und hörte dabei jedes Wort, das sie sprachen. Man machte sich 33 gegenseitige Komplimente, einer sprach von den ungeheuern Talenten des andern, ließ aber dabei doch seinen Neid ziemlich deutlich hervorblicken. Der eine sprach von seinen Idyllen, die einer seiner Feinde in einer gelehrten Schrift heruntergesetzt habe, weil er ihm seinen großen Ruhm beneide, er bat die andern Dichter eine Satyre auf diese Zurücksetzung zu schreiben, und man sprach mit einem Eifer und Feuer von der ganzen Kinderei, als wenn das Wohl der Welt darauf beruhe. Der Dichter sprach immer langsam und accentuirte jedes Wort hart und feierlich; der andere bildete sich wieder ein lebhafter zu seyn, und schrie und sprach schneller, jeder hielt es für nothwendig, irgend etwas Charakteristisches an sich zu haben, damit nicht die großen Seelen so leicht miteinander verwechselt würden. Ach das Brausen von Mühlrädern ist verständiger und angenehmer als das Klappern der menschlichen Kinnbacken, der Mensch steht unter den Affen, eben deswegen, weil er die Sprache hat, denn sie ist die kläglichste und unsinnigste Spielerei; – mir gingen hundert wilde Gedanken mit harten Tritten durch den Kopf, alle diese Menschen wurden plötzlich so 34 weit von mir weggerückt, daß ich sie nur noch wie Larven in einem fernen Nebel dämmern sah, daß ich ihr Gekreisch wie Sumsen von Grillen hörte, ich stand in einer fernen Welt und gebot herrschend über die niedrigen Schwatzthiere, tief unter mir. – Ich ward begeistert und stand prophetisch auf und rief den Fleischmassen zu: O ihr Armseligen! – ihr Verblendeten! – Merkt ihr denn nicht auf eure Nichtigkeit und bedenkt nicht, was ihr seyd? – Klumpen von todter Erde, die über kurzem wieder in Staub verwehen; deren Andenken wie Schatten von Wolken vorüberfliegen, – euer Leben fährt wie ein Rauch dahin und euer Ruhm ist eine halbe Stunde, in der ein müssiger Schwätzer von euch spricht und euch verachtet. Und ihr steht, als wenn ihr Erde und Himmel beherrschtet, du hältst dich für Gott und betest dich selber an, weil du jämmerliche Verse gezimmert hast! – Ihr werdet sterben, sterben: – die Verwesung empfängt euch und fragt nicht nach eurem überirdischen Genie! Die Hunde wühlen einst eure Gebeine aus, und fragen nicht darnach, ob daß derselbe Kopf war, der einst Stanzen schrieb! – O Eitelkeit, du 35 nichtswürdigster Theil des Menschen! – Thiere und Bäume sind in ihrer Unschuld verehrungswürdiger, als die verächtliche Sammlung von Staub, die wir Mensch nennen!

Ich kann mich nicht erinnern, was ich ohngefähr weiter gesagt haben mag: aber ich verachtete sie so tief, daß ich sie mit den Füßen hätte zertreten können, daß ich es für eine Wohlthat an ihnen selbst hielt, sie zu vernichten. – Als ich zum gewöhnlichen Leben zurückkehrte, fand ich mich von ihren Armen fest gehalten, man hatte meine Wuth gefürchtet und man schafte den überlästigen Redner nach Hause.

Könnt' ich nur Worte finden, um die Verachtung zu bezeichnen, in der mir alles erscheint, was Mensch heißt! – Mein Arzt ist sehr für meine Gesundheit besorgt, weil es sein Gewerbe mit sich bringt. Wenn ich nicht gern vom Wetter mit ihm spreche, findet er meine Umstände bedenklicher, will es mich aber nie merken lassen, daß er mich für wahnsinnig erklärt. Er giebt mir viele kühlende Mittel und behandelt mich wie eine todte Maschine, ob er mir gleich selber so erscheint. Er schüttelt zu allen meinen verwirrten Gedanken den Kopf, weil er sie 36 nicht in seinen Büchern gefunden hat, und im Grunde bin ich wahnsinnig, weil ich nicht dumm und phlegmatisch bin. Daß Gewohnheit und Dummheit die Menschen so wie ein dicker Nebel umgeben kann, aus dem sie nie herauszuschreiten vermögen! Lag er nicht von Jugend auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir selbst mit Armseligkeiten verdeckte und mir log, ich sei froh? Kündigte sich nicht oft der innerste dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich eigensinnig mein Ohr verstopfte? – Ich verstelle mich nicht mehr und bin wahnsinnig! – Wie vernünftig die Menschen doch sind!

O ich muß fort, fort, ich will in wilden Wäldern die Seelen suchen, die mich mehr verstehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir sympathisiren: es ist nur nicht Mode so zu denken, wie ich, weil es nicht einträglich ist.

Ich spiele mit den Menschen, die zu mir kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir neulich die Mühe, mich zu dem dummen Geschwätze meines Arztes herunter zu lassen; wir sprachen über Stadtneuigkeiten, über Anekdoten, die er ungemein lächerlich fand; ich lieh ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er 37 fand, daß ich mich ungemein bessere. Mit Selbstzufriedenheit verließ er mich und ich konnt' es nicht unterlassen, ihm nach unsrer feierlichen Unterhaltung ein so lautes Gelächter nachzuschicken, daß er sich erblassend umsah und wieder alle Hofnung verloren gab.

Ich habe ehedem einen Menschen gekannt, der taub, stumm und blind war. Keine Seele schien sich in ihm zu offenbaren, und er war vielleicht der Weiseste unter den Sterblichen.

Rosa hält sich für sehr klug und sieht mich immer mit Mitleid an, und ich möchte nicht er seyn; ein Narr, den jeder Blick eines Mädchens entzückt, der immer, wenn er spricht, Epigramme drechselt und seine Worte nur für ein dankbares Lächeln verkauft; dessen Lebenslauf kleine Zirkel sind, die er unaufhörlich von neuem durchläuft. Wenn er stirbt, wird ihm die Schaam gewiß am meisten weh thun, daß er ordentlich verwesen muß.

Ich wohne jetzt in meinem Garten vor dem Thore. Wie auf der See treiben meine Gedanken ungestüm hin und wieder, ich fürchte mich vor dem blauen gewölbten Himmel über mir, der dort gebogen wie ein Schild über der 38 Erde steht, unter welchem wir Gewürme wie gefangene Mücken sumsen und nichts sehen und nichts kennen und fühlen. – Ich mag auch gar nichts mehr denken und ersinnen. – Es geht ein Sturm durch die Wölbung und die fernen Wälder zittern rauschend, die See fürchtet sich und murmelt leise und verdrossen, es donnert fern ab im Himmel, als wenn ein Gewitter zurecht gelegt wird, und der Werkmeister unachtsam den Donner zu früh aus der Hand fallen läßt. – –

Ich schreibe beim heftigsten Gewitter. – Es braust mit Hagel und Regengüssen und der Sturmwind und Donner stimmen sich, und einer singt dem andern den tobenden Wechselgesang nach. Wie fliehende Heere jagen Wolken Wolken, und die Sonne flimmert bleich auf fernen Bergen, die ganz weit weg wie goldene Kinderjahre in der Sturmfinsterniß dastehen; das Meer schlägt hohe Wogen und donnert in seinem eigenthümlichen Ton. – Ich lache und wünsche das Wetter immer lauter und lauter, und schreie dazwischen und schelte den Donner furchtsam – brause und stürme wirbelnd, und reiße die Erde und ihre Gebilde zusammen, damit ein andres Geschlecht aus ihren Ruinen hervorgehe!! –

39 Die Alltäglichkeit kömmt wieder und das Wetter fliegt weiter. Wie eine reisende Komödiantentruppe spielen die Wolken in einer andern Gegend nun dasselbe Schauspiel, dort zittern andre Menschen jetzt, wie vor kurzem hier viele bebten, – und alles verfliegt und verschwindet und kehrt wieder, ohne Absicht und Zusammenhang. –

Ich fürchte mich des Nachts nicht mehr. – Als ich neulich allein um Mitternacht in meinem Zimmer stand und aus dem Fenster den Zug der trüben Wolken sah, und mir alles wie Menschengedanken und Empfindungen am Himmel dahinzog, als ich sichtbarlich in Dunstgestalt manche Erinnerung vor mir fliegen sah, – und ich zu ruhen und zu sterben wünschte, – da drehte ich mich plötzlich leise um, wie wenn mich ein Wind anders stellte. Und alle meine Vorfahren saßen, still und in Mänteln eingehüllt an meinem Tische, sie bemerkten mich nicht und aßen mit den nackten Gebissen von den Speisen, heimlich reckten sie die dürren Todtenarme aus den schwarzen Gewändern hervor, um kein Geräusch zu machen und nickten gegenseitig mit den Schädeln. Ich kannte sie alle, aber ich weiß 40 nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vielen Verdruß ich ihm gemacht hätte, mußte ich weinen, daß er jetzt so abgehärmt und jämmerlich aussah, und verschämt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hörten mich schluchzen und gingen still wie mit bösem Gewissen zur Thür hinaus, aber doch so langsam und gesetzt, daß sie glauben mußten, ich hätte sie nicht bemerkt. – Wenn wir ohne Schauder unter unsern Möbeln sitzen, warum wollen wir uns denn vor Todtengerippen fürchten? – Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten sich die Menschen Putz heraus, und entsetzen sich vor den näher verwandten Knochen.

Ich durchstrich noch in derselben Mitternacht das todte Gefilde, und rief alle Gespenster herbei und gab ihnen Gewalt über mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehört. – Die Klocken schlugen aus der Ferne und sprachen so langsam und feierlich wie betende Priester, Wälder und Winde sangen Grabgesang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unausbleiblichen Tod, aber alle Geschöpfe schliefen fest und hörten nichts davon, der Mond sah weinend 41 in die verschleierte Welt hinein; – es giebt nichts mehr, das mich entsetzt; und das macht mich betrübt. Der menschliche Geist kann alle Ideen sehr schnell erschöpfen, weil er nur wenige fassen kann. Er hat wie ein Monochord nur sehr wenige Töne.

Lebe wohl, wenn es in dieser Welt möglich ist; sei recht glücklich, mag ich nicht hinzufügen, weil es kein Glück giebt, als zu sterben, und ich weiß, daß Du den Tod fürchtest. – Ich habe schon oft heimliche Verwünschungen ausgestoßen und gräßliche Sprüche versucht, um die Gegenstände um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat sich mir kein Geheimniß enthüllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberungen geantwortet: – es ist gräßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, – ich muß fort, in die Wildnisse der Appenninen und Pyrenäen hinein, – oder einen noch kürzern Weg in das kalte würmervolle Grab.

42 6.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Die kleinen Bitterkeiten in Ihrem Briefe habe ich recht gut verstanden, und ich gebe zu, daß Sie im Ganzen Recht haben mögen. Der Scherz eines Freundes kann auf keine Weise beleidigen.

Balder hat mitten in den Ausbrüchen seines Wahnsinns einen Brief an mich geschrieben, in dem mir manche Ideen dunkel sind, er ist entweder seiner Heilung nahe, oder gefährlicher krank, als je. Was ich in seinem Briefe verstanden habe, hat mich betrübt. Lassen Sie doch ja etwas Acht auf ihn geben, er scheint die Idee zu haben, sich von Neapel zu entfernen. Er gewinnt freilich wenig, wenn man ihm das Leben erhält, – aber es sollte mir leid um ihn thun, wenn er ganz zu Grunde ginge. –

43 7.

Rosa an William Lovell.

Neapel.

Ihr Rath, lieber Freund, ist zu spät gekommen, Balder ist fort, Niemand weiß wohin. Ob er entflohen ist, ob er sich ermordet hat, alles ist ungewiß. – Ich weiß nicht, ob Sie sich noch so wie ehemals für ihn interessiren; wenn dis der Fall wäre, so würde mir diese Entfernung Ihrentwegen sehr schmerzhaft seyn. Er ist in den letzten Tagen zuweilen bis auf die höchste Stufe der Raserei gekommen, in einer Gesellschaft von Fremden hat er neulich alle mit den verächtlichsten Reden beschimpft, geschändet und endlich bewußtlos mit dem Messer nach ihnen gestochen. – Er ist zu beklagen, sein Tod wäre Gewinn für ihn. – Grüßen Sie Bianka und Ihre übrigen schönen Freundinnen von mir, nur keine von den spröden Tugendhaften, die uns so oft zur Last gefallen sind. – Leben Sie recht wohl und vergessen Sie Balder.

44 8.

Karl Willmont an seinen Freund Mortimer.

Bonstreet.

Du wunderst Dich gewiß über diesen Brief, besonders wenn Du bemerkst, von wo aus er datirt ist. Wundre ich mich doch selbst darüber, ich kann es Dir also nicht übel nehmen. Du hast mich nun gewiß spätestens in diesen Tagen in London vermuthet, und ich selbst war fest überzeugt, daß ich morgen dort seyn würde, und nun sitz' ich plötzlich hier auf Burtons Gut und fange einen Brief an Dich an, der eine Entschuldigung, Erzählung, wie es gekommen, und das Versprechen, daß Du mich nun ehestens sehen wirst, enthalten soll.

Die Entschuldigung, Mortimer, magst Du mir erlassen. – In Glasgow saß ich wochenlang in dem Hause eines alten Onkels, ohne zu wissen, wie ich die Zeit hinbringen sollte. – Wie wir uns gewundert haben! Ich dachte unaufhörlich an Emilien und an die Zukunft. Man wollte mich gern lustig haben, aber ich hatte al45le Elektricität verlohren, und war dumm und gefühllos; selbst der Wein konnte nur auf einzelne Minuten meine frohe Laune zurückbringen.

Langeweile ist gewiß die Qual der Hölle, denn bis jetzt habe ich keine größere kennen gelernt; die Schmerzen des Körpers und der Seele beschäftigen doch den Geist, der Unglückliche bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und unter dem Gewühl stürmender Ideen verfliegen die Stunden schnell und unbemerkt: aber so wie ich dasitzen und die Nägel betrachten, im Zimmer auf und niedergehn, um sich wieder hinzusetzen, die Augenbraunen reiben, um sich auf irgend etwas zu besinnen, man weiß selbst nicht worauf; dann wieder einmal aus dem Fenster zu sehen, um sich nachher zur Abwechselung aufs Sopha werfen zu können, – ach Mortimer, nenne mir eine Pein, die diesem Krebse gleich käme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und wo man Minute vor Minute mißt, wo die Tage so lang und der Stunden so viel sind, und man dann doch nach einem Monate überrascht ausruft: Mein Gott, wie flüchtig ist die Zeit! Wo sind denn diese vier Wochen geblieben?

46 Oft ärgerte ich mich, daß ich noch in Schottland war, und machte doch nicht die kleinsten Anstalten zur Abreise, ich führte mit meinen Verwandten das elendeste und platteste Leben von der Welt; ein Viehverkäufer genießt es auf eine gesundere Art, ja ein Mensch, der mit einem armseligen Schattenspiel von einem Dorfe zum andern wandert und in jedem seine elenden Späße wiederholt, beschäftigt sich geistreicher, als ich in dieser ganzen unermeßlichen langen Zeit gethan habe. Mein Blut war so träge und phlegmatisch, daß ich manchmal meine Finger gegen die Tischecke schlug, um mir nur Schmerz zu machen, mich zu ärgern und zu erhitzen, denn nichts ist niedriger, als wenn in der Sanduhr unsers Körpers so recht gemach ein Tropfen nach dem andern langsam und zögernd unser Leben abmißt, je mehr die Ströme des Bluts durcheinander rauschen, und freilich die Maschine etwas mehr abnutzen, um so heller und deutlicher lebt der Mensch. – Ich wünsche oft in Glasgow mit Sehnsucht, daß ein Gezänk oder Schlägerei auf der Gasse vorfallen mögte, damit ich nur etwas hätte, wofür ich mich interessiren könnte, es ward mir am Ende wichtig, 47 wenn der dicke Mann im benachbarten Hause einen andern Rock als gewöhnlich trug. Ich schäme mich noch jetzt dieses Lebens, so qualvoll und langsam, so schleichend und doch so ohne Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ihren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren hat, und es im heißen Sonnenschein wiedersucht.

Endlich dacht ich an Dich und an London, an die Zerstreuungen dort, an alle die philosophischen Gespräche, die wir miteinander führen könnten: ich unterdrückte es gewaltsam, wenn mir auch diese Aussicht manchmal langweilig vorkommen wollte. Ich entschloß mich kurz, nahm von allen meinen Freunden und Bekannten zärtlichen Abschied, setzte mich zu Pferde, und ritt mit frischem Leben erfüllt davon.

Mein Herz schlug immer gewaltiger, je mehr Meilen ich auf Englischem Boden zurücklegte. Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weniger! und beschloß dicht vor Bonstreet vorüberzureiten, aber ja niemand da zu besuchen, es könne doch von ohngefähr seyn, daß ich Emilien durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar keinen Plan, wie ich mich nehmen würde, wenn dis der Fall seyn würde, denn ich handle sehr 48 gern aus dem Stegereif und habe mich von jeher besser dabei befunden, denn meine dümmsten Streiche waren immer die, die aus einem weitläuftigen recht vernünftigen Plan entstanden.

Ich ritt so in Gedanken vertieft hin und näherte mich dem Landhause Burtons früher als ich geglaubt hatte. Ein junger Mensch zu Fuß fragt mich plötzlich, wo der Weg nach Bonstreet gehe, er sei bis zur nächsten Stadt gefahren und habe sich nun verirrt. Ich führte ihn auf den Weg und ritt gedankenvoll neben ihm hin. Warum sollt' ich nicht den jungen Burton auf einen halben Tag besuchen dürfen? sagt' ich zu mir selbst. Am Ende sieht mich selbst der Vater gern. Und könnte mich nicht jemand von ohngefähr durch das Dorf reiten sehn, Emilie es erfahren und für die größte Gleichgültigkeit auslegen? – Ich könnte überdis zum Lord sagen, daß ich deßwegen einen kleinen Umweg genommen hätte, um den Bothen, der ihn sprechen wollte, gewiß und sicher nach Bonstreet zu bringen. – Ach ich hatte noch hundert andre Vorstellungen, tausend Stimmen in mir, die alle laut riefen: ich solle und müsse im Schlosse absteigen! – Ich gehorchte, denn 49 was thut man nicht alles, um nur eines solchen Lärmens los zu werden?

Ich sprach den jungen Burton, den Vater und Emilien. – Sie ist doch sehr schön, und so gut, so liebenswürdig! Ist es hier Sünde, wenn man wünscht? – Alle Federn meines Wesens haben neue Spannkraft erhalten, ich denke mit Schrecken an meinen Aufenthalt in Schottland. Hier leb' ich doch, noch hab' ich nicht ein einzigmal gegähnt; die Stunden verfliegen mir wie Minuten, und ich erobre ein Lächeln, einen freundlichen Blick nach dem andern von Emilien! – O heiliger Lovell, stehe mir in meiner Liebe bei! – Eduard hat mir seltsame Sachen von ihm erzählt, er muß sich sehr geändert haben; indeß ich gebe auf diese Aenderungen nicht viel, je mehr er auf der andern Seite übertreibt, um so eher kann er zu derselben Narrheit zurück kommen, in der er ehmals zu Hause war. – Ich kann mir aber jetzt seinen ehmaligen Zustand recht lebhaft denken, ich habe ihm damals doch etwas Unrecht gethan.

Emilie scheint sehr auf sich Acht zu geben; ich kann manchmal nicht klug daraus werden, 50 ob diese Kälte und Zurückgezogenheit erzwungen oder natürlich ist.

Schreibe mir ja, denn sonst habe ich noch einen Vorwand länger hier zu bleiben, als ich sollte, weil ich dann noch auf Deinen Brief warten würde. – Eduard läßt Dich grüßen; er ist ein vortrefflicher, herzensguter Mensch, und der Vater ist wieder ganz freundlich gegen mich und dann wieder plötzlich fremde, abwechselnd wie Herbstwetter; ich habe schon diese Gesichter bei mehreren reichen Leuten gefunden, sie setzen mich leicht in Verlegenheit. – Lebe wohl und antworte bald.

51 9.

Mortimer an seinen Freund Karl Willmont.

London.

Wenn du noch nicht bald des seltsamen Herumtreibens überdrüßig bist, so weiß ich nicht, was ich von Dir denken soll. Ich habe Dich schon sehnlich erwartet, so sehr, daß ich es erst jetzt erfahren habe, wie sehr Du mein Freund bist. Ich kann nichts rechts thun und denken, weil ich noch immer Deine Ankunft als einen Abschnitt ansehe, hinter welchem mein Leben von neuem beginnen soll. Oft ist es mir seltsam, daß Du nach einer so langen Entfernung nun wieder da seyn sollst; ich bin Dir schon vor dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans Fenster, wenn ich den Trab eines Pferdes höre. Tausend Ideen möcht' ich Dir gern mittheilen und Deine Meinung erfahren.

William Lovell ist sich selbst kaum mehr ähnlich, und es ist würklich seltsam, wenn man bedenkt, daß ein Mensch nichts Fremdartiges in sich hineinnehmen kann, und daß dieser Leicht52sinn, diese epikurische Freigeisterei schon damals in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kannten. –

Manches stimmt mich oft recht melancholisch, so unrecht es auch seyn mag, wenn man es ist: der alte Melun ist in Paris an einer Auszehrung gestorben, die Comtesse mit ihrem Liebhaber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß so viele von den Leuten, die ich gekannt habe, schon begraben sind! daß sich schon so manche dem Verderben in die Arme geworfen haben!

Was ist es überhaupt für ein armseeliges Ding um das, was man gewöhnlich Ausbildung nennt. In den meisten Fällen ist es nur Veränderung. Wie weise habe ich mich so oft in meinem zwanzigsten Jahre gefühlt, daß ich mich über manche Narrheiten des Menschengeschlechts erhaben fühlte: und jetzt rücken mir manche der Thorheiten so nahe, daß sie sich, wenn das Verhältniß so fortschreitet, bald mit meinem innersten Selbst vereinigen werden.

Du wirst bemerken, daß ich hier vorzüglich von meiner Liebe zu Amalien spreche. Eine Liebe, die vielleicht noch glühender ist, als die, mit der Lovell sie einst beglückte. Er hat sie 53 vergessen, und fühlt sich größer; ich habe meine Unempfindlichkeit abgelegt, und fühle mich edler. Sie ist mir weit ergebener als ehemals, aber es thut mir sehr leid, daß sie für meinen Verstand Achtung, eine viel zu übertriebene Achtung empfindet. Alle Gefühle, die ich ihr zeige, hält sie nur für Spiele meines Witzes, und sie behält sich daher beständig in ihrer Gewalt. Auch sie hat den leichtsinnigen William etwas mehr vergessen; nur seh' ich, wie zuweilen die alten Erinnerungen in ihrer Seele wieder aufwachen, und sie dann meinen Umgang plötzlich fade und abgeschmackt findet.

Die Seelen sind viel werth, die sich noch nicht ganz der Mode und der sogenannten Lebensart zum Opfer gebracht haben. Sie sind sehr selten, und man sollte sie darum köstlich achten.

Grüße Eduard Burton und komme bald nach London.

54 10.

Der Lord Burton an den Advokaten Jackson.

Bonstreet.

Ich bin Ew. Wohledlen für die Nachrichten, die mir Dieselben durch den jungen Fenton haben zukommen lassen, außerordentlich verbunden. Ich freue mich über den Eifer und über die Thätigkeit, mit welchem Sie unaufhörlich zu meinem Besten beschäftigt sind, ich gebe Ihnen von neuem die Versicherung meiner ewigen unveränderlichen Dankbarkeit. Ich bin überzeugt, daß Ihre Bemühungen nun bald sichtbarere Folgen haben werden, die bis jetzt ein ungünstiger Zufall immer noch zurückgehalten hat. Eilen Sie aber, damit meine Hoffnungen nicht immer nur Hoffnungen bleiben, damit ich endlich aufhöre, mit jedem Tage wieder meinen Genuß auf viele Tage aufzuschieben. Ich bin alt, und nicht mehr so für Hoffnungen gemacht, wie der jüngere Mann, die Unentschiedenheit ängstigt mich, und je gewisser ich meiner Sache zu seyn glaube, um so mehr Einwürfe und Zweifel fallen 55 mir wieder ein: alles dies beschäftigt meine Seele zu sehr, und macht sie unruhig. Das Alter kann diese Wogen nicht so leicht in Ruhe legen, als es der Jüngling kann. Vor zwanzig Jahren würde mich dieser Prozeß beschäftigt und zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich nur in dem entscheidenden Moment einen freudigen Moment erblicken. Sie sehen, wie fest ich darauf vertraue, daß sich alles zu meinem Vortheile entscheiden wird, aber Sie sehn auch zugleich, wie nöthig es ist, daß Sie meinen Besorgnissen so früh als möglich ein Ziel setzen. Denn ich finde es sehr natürlich und billig, daß Sie in Ihrer Lage durch Aufschub und Verlängerung meine Dankbarkeit verlängern und meine Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben, daß ich jetzt in einer gewissen Abhängigkeit von Ihnen existire, bey der Sie unvermerkt einen Theil meiner Schwächen nach dem andern für sich erobern können. Ich finde an dieser Klugheit nichts zu tadeln, sondern sie ist lobenswürdig, und der ist ein Thor, der in dem verworrenen Wechsel des Lebens nicht die wiederkehrende Fluth geschickt benutzt, um sein Fahrzeug flott zu machen. Sie sehen, wie sehr ich Ih56ren Verstand schätze; nur muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Klugheit bey mir unnütz ist, der ich mich Ihnen außerordentlich verbunden erkenne, wenn der Prozeß auch morgen geendigt ist, und der ich Sie grade eben so belohnen würde, als wenn das Endurtheil noch einige Jahre hindurch von einem Tage zum andern aufgeschoben würde. Sie können auf die Art alle Interessen, die Sie gewinnen wollen, auf eine weit schnellere und entschiedenere Art zusammenziehn, als wenn Sie auf ein langweiliges Sparen ausgingen das am Ende denn doch ungewiß seyn dürfte. Für Ihre Sorgfalt mir den jungen Fenton zu schicken, muß ich Ihnen Dank sagen; nur gestehe ich Ihnen zugleich, daß ich die Nothwendigkeit dieser Abgesandschaft nicht eingesehen habe. Durften Sie alle diese nicht außerordentlich bedeutende Nachrichten keiner Post vertrauen? In diesem Falle treiben Sie die Besorglichkeit zu weit, und kein Mann handelt gut und richtig, wenn er ängstlich handelt. Sie dürfen also nur künftig dreister verfahren, und nicht einen Mitwisser unsers Geheimnisses erschaffen, der uns beiden auf jeden Fall zur Last fällt. Wenigstens kommt es meinem Verstande so vor, und ich 57 denke, auch Sie werden mir darin vollkommen recht geben, denn jeder andre, als ich, würde dadurch in Ihrer Hand stehn, und einem so billigen Manne, wie Sie, muß es weh thun, wenn man auch nur auf einen Augenblick einen solchen Gedanken von ihm hegen könnte. Ich würde mich aber auf keinen Fall abhalten lassen, so zu handeln, wie ich mir zu handeln vorgesetzt habe. Ich habe schon oft mit meinen Freunden über den Satz gestritten, daß es so gut wie unmöglich sey, einem Manne, dem seine Plane ernst sind, das Kleinste oder das Größte in den Weg zu legen, das er nicht wieder fortschaffen, oder selbst zu seinem Vortheile brauchen könnte. Ich habe schon manchen meiner Verfolger mit seinen eigenen Waffen geschlagen, denn nichts ist dem Manne von Kopf unerträglicher, als zu sehn, wie jeder nach den Fäden greifen will, an denen er regiert wird, ich halte es nicht für unmöglich, sie alle durchzuschneiden, so daß dann der Mensch frey und ungehindert seinen Weg fortgeht. Ew. Wohledlen sind mir auch noch den letzten meiner Briefe schuldig, den Sie mir nach unserm Uebereinkommen sogleich hätten zurückschicken sollen. Sie 58 verzeihen, daß ich Sie an diese Zerstreuung erinnert habe, eben so, daß ich Ihnen mit einem so weitläuftigen Briefe zur Last gefallen bin. Die Zeit eines jeden Geschäfftmannes ist edel und fast unbezahlbar, ich bitte um Vergebung, wenn ich Ihre bessere Gedanken mit meinen schlechtern unterbrochen habe; sollte ich aber so glücklich gewesen seyn, Ihren Eifer von neuem zur Beschleunigung des Prozesses etwas anzufeuren, so haben wir beide bei diesem kleinen Stillstande gewonnen, und in dieser Hoffnung bin ich

Ihr

Gönner und Freund
Lord Burton.

59 11.

Rosa an Andrea Cosimo.

Rom.

Deine Meinung ist auch vollkommen die meinige. So sonderbar das klingen mag, wenn ein junger Mensch dies einem alten Manne sagt, so ist es mir doch wahrscheinlich, daß ich hierin recht habe. Es ist schwer, sich in den Standpunkt zu stellen, aus welchem ein Greis die Welt ansieht, allein gewiß nicht unmöglich. Ich finde es so wahr, was Du in Deinem neulichen Brief sagst, es ist so schwer und wieder so leicht, die Seelen der Menschen zu beherrschen, wenn man nur etwas die Fähigkeit besitzt, sich in die Gesinnungen anderer zu versetzen, ihre Verschiedenheiten zu bemerken, und dann Fassung und Gleichmüthigkeit genug zu behalten, um in keinem Augenblicke ihnen sein eignes Selbst darzustellen. So wie die Sprache nur in konventionellen Zeichen besteht, und jedermann doch mit dem andern spricht, ob er gleich recht gut weiß, daß jener durch seine Worte vielleicht keinen Begriff so bekömmt, wie er 60 es wünsche: eben so sollte aller unser Umgang beschaffen seyn. Ich spreche mit dem Franzosen französisch und mit dem Italiäner seine Muttersprache; eben so rede ich mit jedermann nur die Meinungen, die er versteht, das heißt, die ich ihm zutraue, ich suche mich selbst ihm niemahls aufzudrängen, sondern ich locke seine Seele allgemach über seine Lippen, und gebe ihm seine eigne Worte anders gewandt in's Ohr zurück. Welche Gesinnungen stehen dann in uns so fest und hell, um sie fremden Gemüthern aufzudrängen? Und wenn es der Fall seyn könnte, wo finde ich Brücken, um sie nach fremden Ufern hinüberzuschlagen? welchen Haken soll der Geist auswerfen, um mit einer fremden Seele zu entern? –

So ging ich lange Zeit mit Lovell um, ohne daß er es wußte, ich sprach mich ganz in ihn hinüber, und er erstaunte nicht wenig über die Sympathie unsrer Seelen, und traute mir nun jeden seiner flüchtigsten Gedanken, jede seiner seltsamen Empfindungen zu. Diejenigen, die er nicht bey mir wahrzunehmen glaubte, hielt er bald von selbst für unreif und thörigt, dagegen fing er emsig einen hingeworfenen Wink von 61 mir auf, und dachte lange über den darin liegenden Sinn. In kurzer Zeit täuschte er sich selbst so, daß er unsre Seelen für verschwistert hielt, nur daß ihm die meinige einige Jahre voraus sey.

Nichts ist dem Menschen so natürlich, als Nachahmungssucht. Lovell ward in einigen Monathen eine bloße Kopie nach mir. Jeder Ausspruch, jedes Wort, das wir für klug nehmen, rückt an der Form unsrer Seele, und so hat sich Lovell ganz von selbst die Philosophie erschaffen, die ich gern für ihn bilden wollte. Er ist feurig und lebhaft, daher ist es ihm nicht möglich, so wie viele Menschen thun, unentschieden zwischen zwey Meinungen zu stehn, und sich im Schwanken für keine zu interessiren. Was er für Wahrheit nimmt, ergreift er mit einem Eifer, wie der andächtige Enthusiast die Bildsäule der Madonne umfängt. Er verachtet jetzt tief alle Meinungen, die seinen jetzigen widersprechen, und die beste Art allen Rückfällen vorzubeugen, scheint mir die, ihn mit allen möglichen Einwürfen selber bekannt zu machen; nur stelle ich immer die guten und schlechten Ideen ganz neben einander, und indem er diese über 62 sieht, erscheinen ihm auch jene geringfügiger: oder wenn wir zuweilen über Gedanken und Charaktere uninteressanter oder stupider Menschen sprechen, lege ich diesen alles in den Mund, was ihn vielleicht in manchen einsamen Stunden beunruhigen möchte. So kann ihn keine Idee überraschen, und seine frühern Gefühle stehn in einer zu großen Entfernung, als daß sie ihn wieder erreichen könnten.

Die Eitelkeit ist gewiß das Seil, an welchem die Menschen am leichtesten zu regieren sind; sobald man es nur dahin bringen kann, daß sie sich ihrer gestrigen Empfindung schämen, handeln sie morgen gewiß anders; ein Freund oder Bekannter darf ihnen nur zu verstehen geben, was er für groß hält, und morgen suchen sie sich ihm in dieser Größe unvermerkt zu präsentiren. Die Sucht sich auszubilden, ist im Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erst denen, die uns umgeben; so formt sich der Mensch wider seinen Willen, und steht am Ende seiner Wanderschaft schwer behangen mit einem Trödelkram erlogner Meinungen und Gefühle.

63 Ich habe Dir meine Auslegung über Deine Ideen zu geben gesucht, und überreiche Dir erröthend meine Uebung; eine Verbesserung von Dir wird mehr werth seyn, als mein ganzer Brief, nur laß mich es wissen, wo ich Dich vielleicht mißverstanden habe.

64 12.

Andrea Cosimo an Rosa.

Neapel.

Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich Dir gar nichts darüber sagen. Nicht eben deswegen, weil ich so ganz Deiner Meinung beytrete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was ich Dir neulich schrieb, ganz so, wie ich es wünschte, gefaßt habest, sondern weil ich in diesem Briefe Dich so ganz wieder finde. O ihr Menschenkenner! die ihr aus der Seele der Menschen ein Exempel macht, und dann mit euren armseeligen fünf Specien hineinaddirt und dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem Gebäude machen, das Ihr nicht kennt. Ich habe von je die freche Hand bewundert, die mit dem Räthselhaftesten und Unbegreiflichsten gewöhnlich so umgeht, wie ein Bildhauer mit seinem Marmor; er wird geschlagen und geschliffen, als wenn alle die heruntergerissenen Stücke nun wirklich von dem Wesen getrennt wären, und am Ende ein Bild daraus entstünde, wie man es zu seinem Wohlgefallen, oder 65 zu seiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn nun plötzlich eine lange zurückgehaltene Empfindung wie ein Waldstrom in die Seele zurückschießt? O biete denn einmahl im Moment der Ueberraschung deine Rednerkünste auf, suche die Schleuse, die ihn wieder zurückdrängt! – Dankt Gott, daß der Mensch die Konsequenz nicht hat, auf die ihr eure Berechnungen gründet, denn dadurch allein trifft er oft zufälliger Weise mit euren Exempeln zusammen.

Du sprichst über die Eitelkeit gut und richtig, weil Du über Dich selbst sprichst. Es ist gar nicht nöthig, daß die Menschen aufrichtig sind, man findet ihre Meinung doch unter dem Wust von Lügen heraus. Aber glaube mir, daß bey Dir nur ein Paar Zufälle nöthig wären, um Dich aus Deiner Philosophie, oder Ueberzeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du willst) herauszuwerfen. Die meisten Menschen gehören gern zu irgend einer Schule, alle Vorzüge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgänger ziehn sie dann stillschweigend auf sich, weil sie den Nahmen ihrer Anhänger tragen: sie haben es gern, wenn sie alle Meinungen und Empfindungen wie in einem Schema vor Augen haben, 66 daß sie in vorkommenden Fällen nur unter den gemachten Linien und Eintheilungen nachsuchen dürfen, um nicht im Zweifel zu bleiben; daher sind sie aber auch meistentheils so leicht aus ihren Ueberzeugungen herauszuschrecken.

Bey Lovell magst Du übrigens im Ganzen Recht haben, aber er ist auch unter den Menschen einer von denen, die ich die Scheidemünze nennen möchte. Er gehört nicht zu den freyen Geistern, die jede Einschränkung der Seele verachten, er verachtet nur die, die ihm grade unbequem ist, und seine Verachtung ist dann Haß. Er findet sich und alles was er denkt, viel zu wichtig, als daß es nicht sehr leicht seyn sollte, auch seine innersten Gedanken von ihrem Throne zu stoßen. Wenn er die Menschen aber wie vorübergehende Bilder, und ihre Gesinnungen, wie das zufällige Kolorit ansähe, dann sollte es dir gewiß unmöglich werden, irgend etwas auf ihn zu wirken.

Jeder Mensch ist im Grunde gescheidter wie der andere, nur will dies keiner von ihnen glauben. Die Ecke des einen greift in die Fuge des andern, und so entsteht die seltsame Maschinerie, die wir das menschliche Leben nennen. 67 Verachtung und Verehrung, Stolz und Eitelkeit, Demuth und Eigensinn: alles eine blinde, von Nothwendigkeiten umgetriebene Mühle, deren Gesause in der Ferne wie artikulirte Töne klingt. Vielleicht ist es keinem Menschen gegeben, alles aus dem wahren Standpunkte zu betrachten, weil er selbst irgendwo als umgetriebenes und treibendes Rad steckt.

68 13.

Amalie Wilmont an ihre Freundinn Emilie Burton.

London.

Sie sind es schon gewohnt, liebe Emilie, meine uninteressanten Briefe zu lesen, ich habe also nicht viel zu besorgen, wenn ich Ihnen noch einmal schreibe. Es ist gewiß nicht Eitelkeit oder Stolz, wenn ich niemals von Neuigkeiten oder wichtigen Vorfällen, sondern immer nur von mir spreche, und von dem, was mir zustößt. Ich habe mich leider von Jugend auf daran gewöhnt, mich nur mit mir selbst und mit dem kleinen Zirkel zu beschäfftigen, der mich umgiebt. Wenn mir eine Krankheit meiner Eltern, eine Reise meines Bruders, oder das Unglück eines Freundes wichtig ist; so vergesse ich darüber die ganze übrige Welt, und weine oder freue mich, ganz für mich, wenn indeß auch in einem entfernten Erdtheile vielleicht eine ganze Nation untergeht.

Ach, liebe Freundinn, wenn ich doch bey Ihnen wäre, oder Sie bey mir seyn könnten! 69 Das ist die wiederholte Klage in allen meinen Briefen; ich sehne mich, wenn ich allein bin, mit einem unbeschreiblichen Gefühle nach Ihrem Garten hin, ich gehe in Gedanken durch alle Gänge spatzieren, und höre Ihr angenehmes und unterrichtendes Gespräch. Ach, in Ihrer Gesellschaft würde ich gewiß fröhlicher seyn, denn Sie würden mir zeigen, wie ungereimt mein Schmerz ist, es würde mir manches gleichgültiger werden, was mir jetzt so außerordentlich wichtig vorkömmt: an Ihrer Seite habe ich im vorigen Jahre so viel gelernt; ach, ich würde gewiß ruhig werden, und Sie würden viele meiner Zweifel auflösen, die mich jetzt ängstigen.

Lovell hat mich vergessen, ich muß es mit jedem Tage mehr glauben, und alle Nachrichten von ihm bestätigen es. Ach und es ist auch recht gut, daß ich nicht eine Ursache mehr werde, seinem kranken Vater Kummer zu machen. Er kömmt mir jetzt nur vor, wie ein Bild aus einem Traume der Kindheit, schön und glänzend, aber entfernt und unkenntlich. –

Mortimer spricht oft über alle diese Gegenstände sehr klug, und überredet mich manchmal auf ganze Tage; nur sagt er denn zuweilen wie70der etwas, das meiner Seele ganz fremd und zuwider ist. In den recht verständigen Menschen liegt zuweilen eine zurückstoßende Kälte, man schämt sich oft etwas zu sagen, was man für wahr hält, weil man nicht gleich die passendsten Worte dazu findet. Ich glaube, daß Mortimer mir nur in manchen Sachen recht giebt, um mir nicht zu widersprechen, weil er mich für zu einfältig hält, ihn ganz zu verstehen. Sein Herz ist nicht warm genug, er hat zu sehr die Welt und die Menschen kennen gelernet. Und doch fühl ich mich ihm zuweilen so geneigt, er kömmt mir oft wieder besser und edler als Lovell vor, dessen Enthusiasmus so unstät und ohne Ausdauer war; ich denke denn darüber nach, wie ich mit Mortimer leben würde, und gewöhne mich ordentlich an diese Vorstellung. Es kann auch seyn, daß er sich sehr nach mir bequemte, wenigstens thut er es jetzt auffallend, und wir lebten so vielleicht recht glücklich mit einander. – Wenn mir nur nicht immer wieder so manches von meinen vorigen Empfindungen zurückkäme! dann ist mir, wie wenn man von großen Schätzen träumt, und plötzlich in der stillen dürftigen Nacht aufwacht: man sucht 71 mit den Händen nach den Perlen und Diamanten, und stößt sich an der harten Wand.

Bin ich nicht thörigt? Was sagen Sie dazu, liebe, nachsichtige Freundinn? – Ich bin ein Kind, nicht wahr, das ist Ihre ganze Meinung? –

72 14.

Emilie Burton an Amalie Willmont.

Bonstreet.

Ihre Briefe, theuerste Freundinn! sind mir um so lieber, je mehr Sie darin von sich sprechen. Ich wollte, ich könnte bey Ihnen seyn, oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber leider ist mir beides unmöglich. Das Herz des Menschen liegt mit dem Verstande so oft im Kampfe, heute scheint uns das thöricht, was uns gestern edel vorkam, daß ich eben so wenig sagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen – als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.

Ihr Bruder ist jetzt hier, und will morgen abreisen, ich wünschte ich könnte ihn begleiten, statt daß ich ihm jetzt nur diesen unbedeutenden Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ihnen erzählen müssen, viel von Ihren Kinderjahren und Ihren frühern Spielwerken; es giebt nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau kennen zu lernen, an denen sich schöne Seelen hinaufranken, um schön zu wachsen. Mit Wohlgefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen 73 ich mit meinem Bruder trieb, und welchen wichtigen Einfluß diese auf uns beide gehabt haben. Schon in der Kindheit hatte mein Bruder den ernsten festen Blick, mit dem er jetzt in's Leben sieht; schon als Kind war Ihr Karl so muthwillig und liebenswürdig, und Sie eben so weich, als Sie beide jetzt sind. – Ich hoffe, Ihr Bruder wird auch so gut seyn, Ihnen von mir vieles zu wiederholen, was ich mit ihm gesprochen habe, und so kann ich mich eines weitläuftigen und ermüdenden Briefes überheben, in den ich doch nichts von der Herzlichkeit legen kann, mit der ich Sie umarmen würde.

Mein Bruder läßt herzlich grüßen; o wir sehn uns gewiß und bald einmahl wieder! –

74 15.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Mir scheint es, als zögen Sie sich jetzt, wenn Sie hier sind, mehr von mir zurück. Die Ursache davon kann ich nicht auffinden, und ich wünsche sehr, daß es nur Schein seyn möge.

Ich lebe hier in einem Taumel von einem Tage zum andern, ohne Ruhepunkt oder Stillstand fort. Mein Gemüth ist in einer ewigen Empörung, und alles vor meinen Augen hat eine tanzende Bewegung. Durchschwärmte Nächte und wiederholte Trunkenheit machen, daß mir die Welt ganz anders erscheint, nicht fröhlicher oder betrübter, aber weit seltsamer und unwichtiger. Man urtheilt nur denn über das Leben am richtigsten, wenn man im eigentlichen Sinne recht viel lebt, nicht nur den Becher einer jeden Freude kostet, sondern ihn bis auf die Hefen leert, und so durch alle Empfindungen geht, deren der Mensch fähig ist. – Mein Blut fließt unbegreiflich leicht, und meine Imagination ist angefrischt, und erstreckt sich auf alle Ideen des menschlichen Geistes.

75 Mit der ersten Gelegenheit denke ich meinen Willy nach England zurückzuschicken; mit seinem altväterschen Wesen und seiner gutgemeinten Ueberklugheit fällt er mir zur Last. Er will mit aller Gewalt mein Freund seyn, und es möchte hingehn, wenn er nur nicht den Bedienten ganz darüber vergäße. Als ich neulich spät in der Nacht, oder vielmehr schon gegen Morgen mit dem fröhlichsten Rausche nach Hause kam, hielt er mir eine pathetische Rede, und verdarb mir meine Laune. Er will gern fort, und sein Wille soll geschehn. –

Sie munterten mich ehedem auf, das Leben zu genießen, und jetzt sind Sie zurückgezogener als ich. Kommen Sie her, damit ich den verworrenen Rausch in Ihrer Gesellschaft genieße, und meine Sinne noch trunkener werden. Ich bin eben bey unsrer Signora Bianca gewesen, die das Muster der Zärtlichkeit ist, sie kann den theuren Rosa immer noch nicht vergessen, und spricht mit Enthusiasmus von ihm; Sie thun unrecht, das zärtliche Geschöpf so ganz zu vernachlässigen, Ich habe noch viele andre Grüße zu bestellen, die Sie mir erlassen mögen, genug, Sie stehn bey allen unsern schönen Bekanntschaf76ten im besten Angedenken. Ich bin auf heut Abend zur schwarzäugigen wollüstigen Laura hinbestellt, die jetzt schon meine ganze Phantasie beschäfftigt.

Wer kann die unbegreiflichen Launen zählen und beschreiben, die im Menschen wohnen? Die seit einigen Wochen in mir erwacht sind, und aus meinem Leben das bunteste und wunderlichste Gemählde bilden? Frohsinn und Melancholie, seltsame Ideen in der ungeheuersten Verbindung, schweben und gaukeln vor meinen Augen, ohne sich meinem Kopfe oder Herzen zu nähern. Man nenne doch die schöne Erweckung der innersten Gefühle nicht Rausch! Man sehe nicht mit Verachtung auf den Menschen hinab, dem sich plötzlich in der glücklichsten Erhitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun, dem neue Gedanken und Gefühle wie schießende Sterne durch die Seele fliegen, und einen blaugoldnen Pfad hinter sich machen.

O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Göttergefühl durch alle unsre Adern? Flieht nicht dann alles zurück, was uns in so manchen unsrer kalten Stunden demüthigt? Nie stehn wir in uns selbst auf 77 einer so hoch erhabnen Stufe, als wenn die Augen wie Sterne funkeln, und der Geist, wie eine Mänade wild durch alle Regionen der frechsten und wildesten Gedanken schwärmt. Dann pochen wir auf unsre Größe, und sind unser Seele und Unsterblichkeit gewiß, kein lahmkriechender Zweifel holt den fliegenden Geist ein; wir durchschauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Klüfte in unsern Gedanken und Meinungen, und fühlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fühlen, Träumen und Philosophiren, wie alle unsre Kräfte und Neigungen, alle Triebe, Wünsche und Genüsse nur Eine, Eine glänzende Sonne ausmachen, die nur in uns selbst zuweilen so tief hinuntersinkt, daß wir ihre verschiedene Strahlenbrechung für unterschiedene getrennte Wesen halten.

Spotten Sie nicht, Rosa, wenn ich Ihnen sage, daß jetzt eben diese Gluth des Weins aus mir spricht: oder spotten Sie vielmehr, so viel Sie wollen, denn auch das gehört zu den Vortrefflichkeiten des Menschen. Ich fühle es jetzt lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in Einem Range steht. – Der Wein läßt mich 78 so fühlen und sprechen, ein andres Nahrungsmittel, das dem Menschen die sogenannte Nüchternheit läßt, äußert sich in andern Ideen, und der quälende Hunger legt dem Menschen wieder andere Gesinnungen in den Mund. Wer von allen hat nun Recht? –

Ha! welche Wesen sind es, die das Thor
    Der dunkeln Ahndungen entriegeln?
Was hebt den Geist auf goldbeschwingten Flügeln
    Zum sternbesäten Himmelplan empor? –
Es schlägt der schwarze Vorhang sich zurücke,
    Und wundervolle Scenen thun sich auf,
Seltsame Gruppen meinem starren Blicke:
    Wie Traumerinnrung stehn sie da! mit frischem Glücke
    Beginn ich froh den neuen Lebenslauf!
Ich fühle mich von jeder Schmach entbunden,
    Die uns vom schönen Taumel rückwärts hält,
Die jämmerlichen Ketten sind verschwunden,
    Mit Freudejauchzen stürzen goldne Stunden
    Rasch auf mich ein, und ziehn mich tanzend durch die Welt.
Es sammlen sich aus den verborgnen Klüften
    Die Freuden, wie Mänaden um mich her, Es klingen ungesehne Lieder in den Lüften,
    Es wogt um mich ein ungestümes Meer,
Und Töne, Jauchzen, Wonne schwebt auf Blumendüften,
Und alles stürmt um mich, so wie ein wildes Heer.
79 Ich steh im glanzgewebten Feenlande,
Und sehe nicht zur dürren Welt zurück,
Es fesseln mich nicht irrdischschwere Bande,
    Entsprungen bin ich kühn dem meisternden Verstande,
Und taumelnd von dem neugefundnen Glück! –
Hinweg mit allen leeren Idealen,
    Mit Kunstgefühl und Schönheitssinn,
Die Stümper quälen sich zumahlen,
Und nagen an den dürren Schaalen
    Und stolpern über alle Freuden hin.
Hinweg mit Kunstgeschwätz und allen Musen,
Mit Bilderwerk, leblosen Puppentand, –
Hinweg! ich greife nach der warmen Lebenshand,
Mich labt der schön geformte lebensvolle Busen.
Ach, alles flieht wie trübe Nebelschatten
    Was ihr mit kargem Sinne schenken wollt;
Nur der besucht Elysiums schöne Matten,
Nur dem ist jede Gottheit hold,
    Der keinem Sinnentrug sein Leben zollt.
Der nicht in Lustgefilden schweift,
    Und sich an Dunstphantomen weidet,
Durch kranke Wehmuth und Begeistrung streift, –
Nein, der die schlanke Nymphe rasch ergreift,
Die sich zum kühlen Bad' entkleidet.
Ihm ist's vergönnt zum Himmel sich zu schwingen.
Es sinkt auf ihn der Götter Flammenschein,
Er hört das Chor von tausend Sphären klingen,
Er wagt es zum Olymp hinauf zu dringen,
Und wagt es nur, ein Mensch zu seyn.

80 Sie haben schon oft über meine Verse gespottet, und hier gebe ich Ihnen eine neue und noch bessere Gelegenheit, denn ich habe die Sylben und ihre Längen und Kürzen nicht nachzählen mögen; ein so korrekter Kritiker, wie Sie, findet also für seine Bemerkungen Stoff genug. –

Ich durchschweife oft in meinen abentheuerlichen Stimmungen die Stadt, und labe mich in der magischen Nacht an den wunderbaren und räthselhaften Bildern der äußern Gegenstände. Oft schwebt die Welt mit ihren Menschen und Zufälligkeiten wie ein bestandloses Schattenspiel vor meinen Augen. – Oft erschein ich mir dann selbst, wie ein mitspielender Schatten, der kömmt und geht, und sich wunderlich geberdet, ohne zu wissen warum. Die Straßen kommen mir dann nur vor, wie Reihen von nachgemachten Häusern mit ihren närrischen Bewohnern, die Menschen vorstellen; und der Mondschein, der sich mit seinem wehmüthigen Schimmer über die Gassen ausstreckt, ist wie ein Licht, das für andere Gegenstände glänzt, und durch einen Zufall auch in diese elende lächerliche Welt hineinfällt.

81 Dann schweif ich im wundervollsten Genuß der Phantasie auf den freyen Plätzen und zwischen den Ruinen umher, und ergötze mich an den Gestalten, die vorübergehn und mein Gefühl nicht kennen, und von mir nichts wissen. – Am liebsten aber begleite ich irgend eines der vorüberstreifenden Mädchen, oder besuche eine meiner Bekantinnen, und träume mir, wenn mich ihre wollüstigen Arme umfangen, ich liege und schwelge an Amaliens Busen. – Nichts macht mir dann meine eingebildete, alte schwärmerische Liebe so abgeschmackt und lächerlich, als dieser vorsätzliche Betrug.

Wie seltsam wird mir oft, wenn ich einem Mädchen nachfolge, die mich in ihre finstre enge Wohnung führt, wo ein Krucifix über dem Bette hängt, und die Bilder der Madonne und von Märtyrern neben Schminktöpfen und schmutzigen Gläsern mit Schönheitswassern; oder wenn ich im Gedränge von Lazaroni's und Handarbeitern in einer Herberge hinter einer andern stehe, und mit eben so vieler Andacht den pöbelhaften Späßen eines Pulicinello zuhöre, mit der ich ehedem den Shakspear sah. – Das Leben ist nichts, wenn man es nicht auf die 82 sinnlichroheste Art genießt; der Widerschein der Wollust fällt auf alle Gegenstände, und färbt auch die uninteressantesten mit einem goldenen Schimmer. – Amalie ist auch nur einer von den wandelnden Schatten, die Zeit ergreift sie eben so, wie mich, und wirft das abgenutzte, veraltete Bild in ihre dunkeln Tiefen, in die kein Auge dringt, und wo die Marionetten von tausend Jahrhunderten in bunter Vermischung aufgehäuft übereinander liegen.

Leben Sie wohl, und kommen Sie nach Rom, es ist endlich Zeit, kommen Sie gleich nach Empfang dieses Briefes; ein wiederkehrender Freund erregt eben die Empfindung in uns, wie dem Kinde der wiederkehrende Frühling.

83 16.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Rom.

Jetzt muß ich fort, Thomas, ich muß nach England, oder der Gram macht, daß ich mich hier in dem fremden, fatalen Lande muß begraben lassen. Ach, wer hätte das wohl noch vor einem Jahre gedacht! Wer mir es gesagt hätte, den hätte ich für einen Lügner gescholten, oder ihn wohl gar geschlagen, wenn es sich sonst hätte thun lassen. Aber kein Mensch kann auf solche Sachen fallen, das ist gewiß, weil bey der ganzen Geschichte der böse Feind sein Spiel haben muß, das glaube ich nunmehr gewiß und ganz festiglich. Ach Thomas, wenn man jetzt noch nach Dir schlagen und stoßen wollte, Leute, die Du hast groß werden sehn, es würde mir wie kalt Wasser durch die ganze Seele gehn, ja, und so muß Dir nun auch als einem redlichen Bruder zu Muthe werden, wenn Du so was von mir hörst, da ich noch älter bin, als Du bist. – Mein Herr, – ach, denke Dir, letzt kam er ganz betrunken nach Hause, wie er 84 fast alle Tage oder Nächte thut, und ich hatte die ganze lange kalte Nacht auf ihn wachen müssen, ich dachte an seinen alten kranken Vater, und die Thränen kamen mir darüber in meine beiden Augen. Ich stellte ihm also seinen ganzen Lebenswandel vor, und daß er sich bessern und ändern solle, ich sagte ihm alles so recht aus meinem alten ehrlichen Herzen heraus, und da, Thomas, lachte er mich aus, wie ein wahrer Heide. Da wurde ich denn auch hitzig, denn ich bin auch nur ein Mensch, lieber Bruder, und jetzt schon alt und schwächlich, gebrechlich und baufällig, ich fuhr so mit etlichen gottseeligen Redensarten und Kernsprüchen heraus, und da – lieber Bruder, seit der Zeit ist mir, wie einem armen Sünder zu Muthe, da schlug er mit dem kleinen Stocke nach mir, den er noch aus unserm lieben England mitgenommen hat, mit demselben Stocke, den ich ihm noch in London gekauft habe; hätt' ich das wohl damahls denken können! –

Nun läßt es mir hier keine Ruhe mehr, ich habe viel geweint, denn ich bin einmahl etwas weibisch, ich kann es immer nicht vergessen, und der junge Lovell kommt mir nun ganz an85ders vor; ich kann ihn nicht mehr mit derselben Liebe ansehn, ich bin so kleinmüthig und so gedemüthigt, als wenn ich Jemand ermordet hätte, welches Gott Zeit meines Lebens verhüten möge.

Und sollt' ich zu Fuße nach England gehn, so muß ich jetzt fort, und sollt' ich heimlich wie ein Schelm fortlaufen, so kann ich nicht hier bleiben. Ach Bruder, stirb mir ja nicht vorher, denn sonst hätt' ich ja gar keine Freunde auf dieser Erde mehr, sondern lebe im Gegentheil recht wohl, bis Dich mündlich wiedersieht

Dein

armer Bruder
Willy.

86 17.

Andrea Cosimo an Rosa.

Neapel.

Du hättest immer noch hier bleiben können, und nicht mit der Eile die Bitte Deines Lovell zu erfüllen nöthig gehabt. Ich melde Dir nur, daß sich der junge Valois in England erschossen hat. Man sollte sich mit solchen armseeligen Seelen gar nicht einlassen, die am Ende nicht einmal Muth genug haben, ihr Daseyn zu ertragen. Das ist wieder der Ausgang eines Deiner klugen und fein ersonnenen Projekte; entschuldige Dich nun, oder gestehe Deine Beschämung, je nachdem Du es am natürlichsten findest.

87 18.

Eduard Burton an William Lovell.

Bonstreet.

Deine Briefe, so wie der Gedanke an Dich betrüben mich seit einiger Zeit außerordentlich. Ach William, ich möchte Dir alles schicken, was Du mir ehemahls geschrieben hast, dann solltest Du Dich selbst wie in einem Gemählde betrachten, und Dich fragen: bin ich diesem Bilde noch ähnlich? Aber ich fürchte, Du wirfst alles ungelesen ins Feuer, obgleich die That wahrlich, wenigstens halb so strafbar wäre, als wenn Du einen lebenden Zeugen Deiner Thorheiten vernichtetest.

Könnt' ich doch eben so warm sprechen, und die Feder mit eben der Kunst der Ueberredung führen, wie Du! Aber alle Talente, die auch ehedem vielleicht in mir lagen, sind jetzt durch Deine Abtrünnigkeit von unserm Bunde gedemüthigt, ich fühle mich wie verstoßen und enterbt, und seh, indem ich schreibe, über die Wiese nach der mittägigen fernen Gegend, als wenn Du dort vom Hügel herunter kommen 88 müßtest, als wenn dann die ganze ehemalige Zeit wieder da wäre. – Ich träume und phantasire wie ein Kind, und weiß nicht, was ich mit meiner übeln Laune anfangen soll.

Sollten wir denn nun wirklich ganz von einander gerissen seyn? Ach ja, es ist, denn ich erkenne in Deinem Briefe den Lovell nicht wieder, den ich ehemals liebte. Damals war Dein Leben und Deine Art zu fühlen, wie ein sanfter, leise murmelnder Bach, den meine Wellen mit einer stillern und unmusikalischern Melodie begleiteten – jetzt erscheinst Du wie ein Wassersturz, dem ich erschrocken aus dem Wege trete. Ach, William, ich gebe Dir ja zu, daß Du in manchen Rücksichten jetzt klüger seyn magst, als vordem, aber ich beschwöre Dich, kehre, wenn es möglich ist, zu jener kindlichen Einfalt zurück. Ach ja wohl, wenn es möglich ist!

Eine schwarze Ahndung geht mir durch die Seele, daß Du vielleicht den altväterischen lahmen Ton in meinem Briefe belachst, und mir mit einer neuen, noch frechern Dithyrambe antwortest. Aber wenn Du es nun deutlich bemerkt hast, wie vieles, was man wahr und 89 groß nennt, in sich selbst zusammen fällt, wenn man den Grund des Gebäudes untersuchen will; so wage es nun auch, Dich selbst wie ein Mann anzurühren, und den Stoff Deiner eigenen Gedanken näher zu betrachten. Sey aufrichtig gegen Dich selbst, und Du findest denn vielleicht, daß Du in denselben Fehler gefallen bist, den Du so hitzig vermeiden wolltest, daß Du ein eifriger Systematiker bist, indem Du auf alle Systeme schimpfst.

Hast Du wohl den wahren Gesichtspunkt, wenn Du jetzt mit so vielem Muthwillen, mit solcher verachtenden Ereiferung über Dein voriges Wesen sprichst? Wir sollten doch immer daran denken, daß jede unsrer jetzigen Meinungen mit einer früheren zusammenhängen muß, daß die vorhergehende die spätere erzeugt, und daß aus unsern jetzigen Ideen wieder neue hervorgehen werden und müssen, und daß wir uns so durch unmerkliche Abstufungen endlich wieder einer längst veralteten Vorstellungsart nähern können: – alles dies sollte uns bewegen, nicht immer aus den vorigen Wohnungen unsrer Seelen Ruinen zu schlagen, um aus dem jetzigen Pallaste mit lachendem Spotte auf sie hindeuten 90 zu können. Wie den Aufenthalt meiner Kindheit, wie meine alten Bilderbücher liebe ich alles, was ich einst dachte und empfand, und oft drängt sich eine Vorstellung aus den frühsten Knabenjahren auf mich ein, und belehrt mich über meine jetzigen Ideen. Der Mensch ist so stolz, sich für vollendet zu halten, wenn er sein ganzes voriges Leben für verworfen ansieht, – und wie unglückseelig müßte der seyn, der nicht mit jedem Tage etwas Neues an sich auszubessern fände, der das schönste und interessanteste Kunstwerk gänzlich aufgeben müßte, mit dem sich die menschliche Seele nur immer beschäfftigen kann: die allmählige höchstmögliche Vollendung ihrer selbst.

Was soll ich Dir sagen, William? Ich fühl' es, daß alle Worte vergebens sind, wenn sich der Gegner einer eigensinnigen, rechthaberischen Sophisterey ergeben hat, die am Ende doch nur einseitig ist. Diese mit der Leidenschaft verbunden ist der Syrenengesang, dem vielleicht kein Sterblicher widerstehen kann, wenn er nicht wie der griechische Held von der Unmöglichkeit zurückgehalten wird. Und es kann seyn, daß auch dann die giftigen Töne durch das ganze 91 Leben nachklingen, daß die Seele beständig wie eine versengte Aehre, selbst im Wachsthume, die Spur davon behält. – Dein Vater ist sehr krank, und ich fühle, daß ich es auch werden kann, wenn ich recht lebhaft an Dich denke; wir gewöhnen uns so leicht daran, das Unglück, das wir nicht würklich vor uns sehen, als eine poetische Fiktion zu betrachten, daß alle Jammertöne gleichsam unbefiedert in uns anschlagen. Aber wenn ich mich dann zu Dir hinversetze, wenn mir die Bücher in die Hand fallen, die wir ehemals zusammen lasen, und ich noch einzelne Papierzeichen finde, oder angestrichne Stellen von Dir entdecke. – – O komm zurück, komm zurück, William! Gedenke der süßen Harmonien, die Dich sonst umschwebten, ein frommer kindlicher Sinn wohnte Dir im Busen, Du machtest Dir das Kleinste groß, und vergaßest darüber das Große; eine Blume war für Dich bedeutend, und ihr Verwelken merkwürdig, indem Dich politische Streitigkeiten und Partheykämpfe nicht kümmerten: ach vergieb, daß ich Dich damals so oft dieses zarten Kunstsinns wegen schalt, ich sehe jetzt mit Bedauern ein, daß die Seelen feinere Fühlfäden haben, die 92 sich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbehagen legen, als die sich an Felsen ansaugen müssen, um mit einer ungeheuren Masse Ein Wesen zu werden, damit sie sich selber interessiren. Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu stehen glaubte, und Du bist nun, wie mit zu stark gewachsenen Flügeln unwissend über das Ziel hinausgeflogen, das ich Dir setzen wollte.

Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe so abgeschmackt erscheint, in welchem Lichte muß dann unsre Freundschaft vor Dir stehn? War sie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeisterung, das Bedürfniß einer schönen Eingeschränktheit des Gemüthes? War ich nicht etwas eifersüchtig, als ich zuerst Deine Neigung zu Amalien bemerkte? Betrübte ich mich nicht innerlich, daß Deine Liebe zu einem andern Wesen sich nun unendlich höher hob, als zu mir? – Ach Lieber, untersuche doch ums Himmelswillen nicht die kleinen Widersprüche, die Kindereyen und Albernheiten, die so oft in unsern edelsten Neigungen und Gefühlen liegen. Es ist der grüne duftlose Stengel der Blume, aber beide können nur zusammen existiren. – Was ist der Mensch nach Deinen Ideen, die sich doch 93 in sich selber widersprechen? Die nichtswürdigste Verbindung seelenloser Glieder, – was giebt Dir denn nun diesen feurigen Enthusiasmus für Deine Meinung, wenn Du nichts mehr, als diese verworfene Maschine bist? Und könntest Du ihn ohne jene edlere Gefühle haben; so wärst Du eben durch diese trunkene Schwärmerey das verächtlichste unter allen denkbaren Wesen.

Ueberlege, daß das Leben eines so reizbaren Geistes, als der Deinige ist, nur einer magischen Laterne gleicht, die an der Wand die bunten Gegenstände abspiegelt, die ihr vorgehalten werden: daß es nur Sinnenreiz ist, was aus Dir spricht, nicht die innere, durch Gefühl und Nachdenken gereifte Ueberzeugung. Gieb mir wenigstens zu, daß dies möglich seyn kann, und untersuche Dich genauer, und kehre zurück, wenn Du es so findest. – Ach es sind vielleicht nur die wiederholten Sprüche eines kalten, verschlossenen Freundes, der mich aus Deinem Herzen verdrängt hat, dessen Philosophie nichts als ein blendendes Feuerwerk seyn soll, das seine Eitelkeit seinen Freunden giebt, und die Du, thörichter Jüngling, aus übel 94 verstandener Anhänglichkeit in Dein Herz aufnimmst. – – O, vergieb mir, William, es ist wahrlich nicht Härte, die aus mir spricht, nur mein herzliches Gefühl, das ich mir und Dir unmöglich verbergen kann.

Gieb Deiner Seele einmahl das traurige Fest, laß die wehmüthigen tragischen Empfindungen ungehindert zu Dir kommen, und denke recht lebhaft mich, Deinen Vater und Amalien! denke sie mit der Frühlingsempfindung wieder, wenn Du jemals für sie empfunden hast, und Deine ganze Liebe nicht Affektation war. Mir schien es, als würde Dir in einem Deiner letzten Briefe die Entsagung Amaliens gar zu leicht, weil Du nun um so erlaubter Deine neue Lebensbahn antreten konntest. – – Wie komme ich zu diesem Argwohn gegen meinen William? – Ach, in manchen Augenblicken tritt es, wie der böse Feind, zwischen uns, und will mein Herz ganz dem Deinigen abwendig machen; aber es soll gewiß nicht geschehn.

Wärest Du mir nicht zu wichtig; so könnte ich Dir noch von meinem und Deinem Vater manche Umstände schreiben, Dich auf manches vorbereiten, Dir zeigen, wie oft mit dem Un95glücke das Glück des Menschen zusammenhängen könne; aber ich will lieber schließen. Findest Du noch einiges Interesse für Deine ehemaligen Wünsche; so soll Dich der nächste Brief von mir weitläuftig darüber unterrichten.

Lebe wohl, lebe wohl, theurer William! antworte mir bald, und zeige mir, daß Du noch etwas von Deinem ehemaligen Gefühle für Deinen Eduard übrig hast. – Es ist mir ängstlich den Brief zu schließen, weil ich nicht weiß, ob ich Dich im mindesten überzeugt habe, aber ich kann kein Wort mehr hinzusetzen. In manchen Rechtshändeln des Lebens kann nur das Gefühl allein das Wort führen, ein Händedruck, eine Thräne ersetzt eine ganze Abhandlung, – ach und meine Thränen kannst Du ja nicht sehn, die Seufzer hab' ich nicht niedergeschrieben. – Lebe wohl. –

96 19.

William Lovell an Eduard Burton.

Rom.

Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich muß Dir antworten. – Welchen Eindruck hat Dein Brief auf mich gemacht! – O wie ein Gewitter ist jedes Wort durch meinen Busen gegangen, und die Frühlingssonne ist auf einzelne Momente zwischen den Regenschauern zurückgekehrt. – Ich wollte Dir so vieles sagen, und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin beklemmt, die Angst drängt mein Blut nach der Kehle, – ach, ein Blutsturz würde mir Linderung schaffen, und meinem Herzen ein Labsal seyn. – Und doch könnt' ich nicht froh seyn, ich möchte mein ganzes Daseyn in stürzenden Thränengüssen dahin weinen, um nur der drückenden Bürde des Lebens los zu werden. – Wenn ich an mein voriges Glück denke, und der gestrige Taumel noch wie ein Dampf voll ungeheurer Gestalten vor meinen trüben Augen zittert, – Du hast gewaltig an die Kette gerissen, die unsre Seelen an einander bindet, die Wunde, 97 die sich gespaltet hat, ist schmerzhafter, als jene, die Du hast heilen wollen.

Ach Eduard, wenn ich nicht meinen Vater fürchtete, so flög ich jetzt nach England zurück, und stürzte als reuiger und beschämter Sünder vor Amaliens Füßen nieder, daß sie mir vergäbe, oder ich den Tod von ihrer Hand empfinge. –

Es ist wie Wetterleuchten am Horizont meines Lebens, – wie Klocken, die aus der Ferne den Götterlästerer zur Kirche und zur Strafe rufen. – Vergieb Du mir zuerst, mein Eduard, – ach, weiß ich denn nicht, daß, wenn mein Schicksal in Deiner Hand stände, ich der Glücklichste der Menschen wäre!

Möcht' ich wenigstens nicht wieder von diesem Taumel der Angst erwachen, die mich allmächtig ergriffen hat, – ach ich fühle schon jetzt die düstere entsetzliche Leere, die ihr folgen wird. – Lebe wohl, Theurester meiner Seele, und erquicke mich durch Deine Briefe, so wie Du mir durch diesen den letzten Muth entrissen hast.

Ich kann nicht weiter. –

98 20.

Der Advokat Jackson an den Lord Burton.

London.

Hochwohlgebohrner Herr,

Ich bin den Befehlen, die mir Ew. Gnaden neulich zukommen ließen, auf das treulichste gefolgt. So viel es von mir abhängen konnte, habe ich den Gang des Prozesses beschleunigt, und ich bin fest überzeuget, daß ich jetzt so viel gethan habe, als nur in meinen Kräften stand. Dieselben werden auch Ihre neulichen Briefe allbereits zurück erhalten haben, so daß ich den Befehlen, die Sie mir ertheilten, die genauste Folge geleistet habe.

Jetzt hat sich nun ein Vorfall ereignet, der den ganzen Prozeß in kurzer Zeit völlig beendigen könnte, aber leider zu Ew. Gnaden Nachtheil. Neulich saß ich noch spät in der Nacht in einem Zimmer auf dem Lovellschen Landgute, das mir der Lord eingeräumt hat, um dort zu 99 arbeiten. Man hat mir die Erlaubniß gegeben, alles zu durchsuchen, wo ich irgend nur Belege und Papiere zur Aufklärung der Sache zu finden hoffte. Ich hatte schon ganz, so wie der Lord, die Hoffnung aufgegeben, die bewußten Dokumente, die die Bescheinigung der Bezahlung enthalten, jemahls aufzufinden, ich hatte schon alles durchforscht, was mir zu meinem Endzwecke nur irgend merkwürdig schien. Jetzt gerieth ich in der Nacht über eine Schublade, die ich schon oft aufgezogen habe, und entdecke in dieser einen verborgenen Kasten, ich öffne ihn mit zitternder Hand, und finde, daß mich meine Ahndung nicht betrogen hatte. Die bewußten wichtigen Dokumente sind nunmehr in meiner Hand.

Ich würde es für Ungerechtigkeit halten, wenn ich nunmehr sogleich den Prozeß zu Lovells Vortheil beendigte, wie es jetzt allerdings nur eine Kleinigkeit wäre. Ich glaubte, ich sey es Ew. Hochwohlgebohrn schuldig, Denenselben zuvor wenigstens von dieser Begebenheit Nachricht zu ertheilen, um zu erfahren, ob Sie 100 nicht noch vielleicht neue und wichtige Gründe vorzubringen hätten, die nachher etwas von ihrer Kraft verlieren möchten; oder ob Dieselben nicht überhaupt zuvor die Dokumente in Augenschein nehmen wollten, um ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Ich darf sie aber auf keinen Fall der Post anvertrauen, und Ew. Gnaden haben mir, einen Bothen zu senden, ausdrücklich untersagt: es bleibt mir also kein andrer Weg übrig, als Ew. Gnaden zu ersuchen, die Reise hieher selber zu machen, oder mich nach Bonstreet kommen zu lassen; oder ich könnte Ihnen auch auf dem halben Wege bis Nottingham entgegen kommen. Ganz, wie Sie es befehlen.

Bis ich das Glück gehabt habe, Ew. Gnaden persönlich zu sprechen, bleibt dieser ganze Vorfall übrigens ein Geheimniß.

Daß ich es nicht am Diensteifer habe fehlen lassen, wird ein so scharfsichtiger Beobachter, als Ew. Herrlichkeiten sind, gewiß nicht zu bemerken unterlassen haben; wie sehr ihn Dieselben werden zu schätzen wissen, dies zu erfahren, hängt von der ersten mündlichen Unterre101dung ab, der ich mit großen Erwartungen entgegen sehe. – In der tiefsten Verehrung habe ich die Ehre mich zu nennen.

Ew. Herrlichkeiten

treuergebenster Diener
Jackson.

102 21.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Sie fragten mich gestern, was mir fehle. – Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig bin. – Ich will es Ihnen gestehen, daß ein Brief des jungen Burton mir allen Muth und alle Laune genommen hatte. Die Vergangenheit kam so freundlich auf mich zu, und war so glänzend, wie mit einem Heiligenschein umgeben. Sie werden sagen: Das ist sie immer, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil sie Vergangenheit ist. Aber nein, es lag noch etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht beschreiben kann, und das ich um alles nicht noch einmahl fühlen möchte.

Sie werden vielleicht die Erfahrung an sich gemacht haben, daß nichts uns so sehr demüthigt, als wenn uns plötzlich über irgend eine Sache oder Person die Augen aufgethan werden, die wir bis dahin mit Enthusiasmus verehrt, ja fast angebetet haben. Der nüchterne Schwindel, der dann durch unsern Kopf fährt, 103 die Nichtswürdigkeit, in der wir uns selbst erscheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen, alle üble Launen in Einem trüben Strome, alles stürzte auf mich zu, und ergriff mich und riß mich mit sich fort. – Alles, was ich empfunden und gedacht hatte, gieng wie in einem alles verschlingenden Chaos unter, alle Kennzeichen, an denen ich mich unter den gewöhnlichen Menschen heraushob, giengen wie Lichter aus und plötzlich verarmt, plötzlich zur Selbstverachtung hinabgesunken, war ich mir selbst zur Last, und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern eines engen Gefängnisses, um mich.

Ich erinnerte mich jetzt der trübseligen Augenblicke, die mich so oft im heftigsten Taumel der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Empfindungen, die so oft schon mein Herz zusammenzogen, so vieler Vorstellungen, die mich unabläßig wie Gespenster verfolgt hatten. – Wozu bin ich so umständlich? Blos um Ihnen zu zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie werden meine Schwäche verachten, aber dem Freunde muß man keine Thorheit verbergen. Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und 104 beweisen Sie dadurch, daß ich Ihnen nicht ganz gleichgültig bin.

Doch ich eile zu einer Begebenheit, die wichtiger ist, und die mich im Grunde schon alles hat vergessen lassen. Ich versuchte meinen Lieblings, Zeitvertreib, der mich am ersten tröstet; ich streifte in der Dämmerung durch enge und unbekannte Gassen; ergötzte mich, wenn ich einer Kirche vorbeygieng, an dem Gedanken, daß ich jetzt mitten in der Stadt gehe, deren Nahme mir in den Knabenjahren so schön und abentheuerlich geklungen hatte. Ich verirrte mich endlich in den kreuzenden Straßen, und gerieth, als es schon ziemlich spät war, an die Porta Capena. Ich gieng hindurch.

Sie kennen dort vor dem Thore die seltsamen und an manchen Stellen schauerlichen Ruinen. Es ward dunkler, und ich fürchtete mich endlich; ich erinnerte mich eines Menschen, von dem ich glaubte, ich weiß aber nicht warum, daß ich ihn nothwendig hier treffen müßte. Ich wollte umwenden, und sah seitwärts einige kleine unbedeutende Hütten in einer ziemlichen Entfernung; in einer von diesen brannten die Fenster hell und freundlich. Ich hatte einen unwi105derstehlichen Trieb nach diesem Hause hin, und fand nach vieler Mühe einen kleinen Fußsteig, der mich dorthin führte. – Die Töne einer Laute kamen mir silbern durch die stille Nacht entgegen, und ich wagte nicht, den Fuß hörbar aufzusetzen. Bäume flüsterten geheimnißvoll dazwischen, und vor dem Hause goß sich ein goldner Lichtstreif durch das kleine Fenster auf den grünen Rasen. Es war, als wenn ich mich einem Feenpallaste näherte. Jetzt stand ich dicht vor dem Fenster, und sah in eine kleine, nett aufgeputzte Stube hinein. Eine alte Frau saß in einem abgenutzten Lehnstuhle, und schien zu schlummern, ihr Kopf, mit einem reinen weißen Tuche umwickelt, nickte von einer Seite zur andern. Auf einem niedrigen Fußschemmel saß ein Mädchen mit einer Laute, ich konnte nur das freundliche Gesicht sehen, die kastanienbraune Locken, die unter einer Kopfbinde zurückgepreßt waren, die freundlichen hellen Augen, die frische Röthe der Lippen –

Ich stand wie bezaubert, und vergaß ganz, wo ich war. Mein Ohr folgte den Tönen, und mein Auge jeder, auch der unmerklichsten Bewegung des Mädchens. Ich sah wie in eine 106 neue Welt hinein, und alles kam mir so schön und reizend vor, es schien mir das höchste Glück in dieser Hütte zu leben, und dem Saitenspiele des Mädchens zuzuhören, dem Geschwätze der Alten und den kleinen Grillen in den Wänden. – Das Mädchen stand auf, das Licht zu putzen, das heruntergebrennt war, und ich gieng scheu zurück, denn sie trat dicht an's Fenster. – Der schlankeste Wuchs, die Umrisse, wie von dem Busen der Grazien entlehnt, sogar den weißesten Arm konnte ich noch auf meinem schnellen Rückzuge bemerken. – Ich wagte es nicht, näher zu kommen, und sah nur Schatten hin und her fahren und über den Rasen hinzittern. Ich stand da, wie ein Sünder im Orkus, der sich fürchtet, jetzt vor den ernsten Minos gerufen zu werden.

Die Lautentöne waren jetzt verstummt, und als ich endlich wieder näher trat, sah ich eben die Alte durch eine kleine Thür in die angränzende Kammer wanken. Das Mädchen stand mit herabrollenden Locken in der Mitte des Zimmers, und löste halbschläfrig das Busentuch auf. – O Rosa, ich habe bis jetzt noch gar kein Weib gesehn, ich habe nicht gewußt, was 107 Schönheit ist; gehen Sie mit Ihren Antiken und Gemählden; diese lebendigen, schöngeschlungenen zarten Umrisse hat noch kein Mahler darzustellen gewagt. – Plötzlich sah sie auf, wie aus einer Zerstreuung erwachend, und trat an's Fenster. In demselben Augenblicke thaten sich Fensterladen vor, und das Licht und die herrliche Scene, die es beleuchtet hatte, verschwand.

Ich fuhr wie aus einem Traume auf; wie man im Bette nach dem Gegenstande faßt, von dem man geträumet hat, so sah ich mich betäubt nach allen Seiten um, sie zu entdecken. – Wie öde kam mir alles umher vor! Die Bäume erschienen mir wie Ruinen, nur das kleine Haus war für mich bewohnt und freundlich. – Ich taumelte in die Stadt, und träumte die ganze Nacht nur von dem schönen unbekannten Mädchen.

Heute am Morgen war mein erster Weg durch die Porta Capena. Es war mir schwer, die Häuser zu entdecken, so verdummt war ich gestern. Endlich fand ich sie auf. – Aber es war mir doch alles anders. Ein kleiner Garten, fast nicht größer, als mein Zimmer, ist neben dem Hause mit einem bäuerischen Staket 108 umgeben, darin stand das Mädchen, o ich kannte sie gleich wieder, und mein Herz schlug schon, noch ehe sie mein Auge sah. – Aber aller Verstand und alle Ueberlegung verließ mich, ich wagte es kaum, das göttliche Geschöpf zu grüßen, sie dankte fremd, – warum lächelte sie mich nicht an? – Ihr Lächeln muß wohlthun, wie die Frühlingssonne. – Ich habe tausend Plane im Kopfe. – Sie war fort, als ich wieder umkehrte. – Ich habe keine Ruhe, ich werde heut am Abend wieder dort seyn; wenn ich in der Gegend stehe, ist mir zu Muth, wie in meiner Kindheit, wenn ich die schönen und abentheuerlichen Märchen hörte, die die jugend liche Phantasie gänzlich aus dieser Welt entrücken. –

109 22.

Emilie Burton an Amalie Wilmont.

Bonstreet.

Sie verlangen also durchaus und unbedingt meine Meynung? – Nun gut, so kann ich nichts weiter thun, als Ihnen sagen, wie ich an Ihrer Stelle handeln würde. Ich darf Sie wohl nicht erst daran erinnern, liebe Freundinn, daß das im Grunde sehr wenig gesagt ist, denn der wichtigste Umstand ist eben der, daß Sie nicht Emilie sind. Indeß wir wollen den Versuch wagen, da es Ihr Wille ist.

Lovell hat Sie gänzlich vergessen, und Mortimer liebt sie: beides gestehn Sie selber ein. Mortimer kann durch Sie glücklich werden, Lovell nicht mehr: Sie schätzen Lovell nicht mehr, wie ehedem, sondern lieben im Grunde Mortimer aufrichtiger, als ihn; – mich dünkt, hier sollte keine lange Untersuchung der Frage entstehen: Was zu thun sey? Die Erinnerungen, die Sie quälen, sollten Sie vielmehr durch Ihre Vernunft unterdrücken, als ihnen nachhängen; 110 denn alles, was uns und andern zur Last fällt, sollte man nie recht nahe auf sich zukommen lassen. Wir verderben uns durch kränkliche Einbildungen so oft unser Leben; ich habe es nur gar zu oft bemerkt, wie jene sogenannten feinern Empfindungen nur eine Art von Eigensinn sind, mit welchem man sich auf gewisse Ideen heftet, daß ich von je gewünscht habe, ich und alle meine Freunde möchten von dieser Krankheit verschont bleiben.

Schelten Sie mich keine Vernunftschwätzerinn, liebste Freundinn, ich sage nur, wie ich denke, und denke vielleicht nur so, weil ich die Erfahrungen nicht gemacht habe, mit denen Sie bekannt geworden sind: ich bin auch vielleicht weniger reizbar, ich habe vielleicht nie geliebt, – kurz, ich kann am Ende nur meine bisher gesammelten Ideen vortragen, und das Lächerliche liegt blos darin, daß ein Frauenzimmer so ernsthaft und zusammenhängend schreiben will. Meine Amalie wird dieses Vorurtheil nicht haben, und Ihre herzlichste Freundinn daher billiger beurtheilen.

Aber wenn Sie nun einen schätzbaren und verständigen Mann durch Ihre Hand würklich 111 glücklich machen könnten? Und wenn es nun auch durch eine kleine Aufopferung geschehen müßte? – Würden Sie sich wirklich so lange bedenken? – Sie liebten vielleicht Lovell nur, weil Ihr wohlwollendes zartes Gemüth einen Gegenstand nöthig hatte, an dem es sich äußern konnte. Tragen Sie jetzt alle diese Gefühle auf Mortimer über, und Sie werden beide glücklich seyn.

Mein Vater hat eine Geschäfftsreise nach London gemacht, ich glaube, er wird Sie und Ihren Bruder besuchen.

Leben Sie recht wohl, und nehmen Sie meinen Brief ja nicht wichtiger, als er seyn soll. – Grüßen Sie Ihren Bruder.

112 23.

Mortimer an Karl Willmont.

London.

Mit Erstaunen hab ich von Deiner Schwester gehört, daß Du schon wieder, und zwar von neuem nach Bonstreet gereis't bist! O du unsteter Landstreicher! Möchtest Du doch auch erst einen Ort gefunden haben, wo Du Lust bekämest, Dich anzusiedeln. So bist Du mir nun schon wieder entlaufen, ehe ich noch angefangen habe, Dich recht zu genießen.

Wünsche mir Glück, Karl, denn alles was ich wünschte, ist nun in Erfüllung gegangen. Deine Schwester hat sich plötzlich entschlossen; sie will die Meinige werden. Ich danke Gott, daß es endlich so weit gekommen ist. – Die Verlobung ist bey Deinen Eltern gestern gefeyert, und in einem Monathe ohngefähr zieh ich nach dem kleinen Landgute in der Nähe von Southampton, und seyre dann meine Hochzeit mit Amalien. – Ich versetze mich schon ganz in die stillen häuslichen Scenen, und erträume mir nicht das Glück aus einem Feenlande, son113dern rechne nur auf ein kleines, irdisches Glück, und das wird mir nun gewiß nicht fehlen.

Mein Landhaus liegt angenehm, und hat umher die reizendsten Spatziergänge, ich will nun dort nach meinem Herumstreifen den ländlichen Freuden leben.

Was Deine Schwester so plötzlich bestimmt hat, weiß ich nicht. Meine ausdauernde Liebe, mein Gefühl, das sich immer gleich blieb, scheint sie endlich überzeugt zu haben, daß nur dies die wahre Liebe sey. – Ich habe Dir heute nichts mehr zu sagen. Lebe wohl.

114 24.

Karl Willmont an Mortimer.

Bonstreet.

Ja wohl bin ich wieder Dir und der Stadt entlaufen. Aber ich verdiente auch wahrhaftig nicht den unbedeutendsten Blick von Emilien, wenn ich eine so schöne Gelegenheit ungenutzt gelassen hätte. – Du weißt, daß der alte Burton seines Prozesses wegen in London war: da er grade einige Häuser in der Nachbarschaft besuchte, kam er auch zu uns. Er war außerordentlich vergnügt, und dann sind die Menschen gewöhnlich höflich und freundlich; er ließ sich mit mir in ein weitläuftiges Gespräch ein, und da ich ihm unter andern erzählte, ich hätte schon längst die schönen Seen in Northumberland besuchen wollen; so schlug er mir vor, es jetzt beym schönsten Frühlingswetter zu thun, und ihn bis Bonstreet zu begleiten. Ich versprach es, ohne mich zu bedenken, und mußte Wort halten; und so rollte ich schon am fol115genden Morgen mit leichtem Herzen durch das Thor von London.

Und wie vergnügt bin ich darüber, daß ich nicht ein so großer Narr gewesen bin, zurück zu bleiben. Emilie freute sich sehr, als sie mich so unerwartet wiedersah. Wir haben viel mit einander gesprochen, wir sind sehr zärtlich gewesen, und es kömmt mir nun ganz närrisch vor, daß ich ordentlich wieder abreisen soll. Indessen darf ich doch nicht zu lange hier bleiben, um mir kein Dementi zu geben, ich muß sogar nach Northumberland reisen, um dem Lord und allen Menschen nicht wie ein Narr vorzukommen.

Wie manches in der Welt muß man nicht blos andern Leuten zu Gefallen thun! – Indeß mag auch dies unangenehme Geschäfft noch vorübergehn, wie so viele andere; es ist hier schön, ich will die paar Tage, die ich hier zubringe, recht geizig genießen, und für die Zukunft den Himmel sorgen lassen. Denn wie es am Ende noch mit meiner Liebschaft ablaufen soll, kann ich wahrhaftig nicht einsehn.

Wer weiß aber, wie wunderbar sich manchmal alles fügt! – Ich habe Leute gekannt, 116 die auf einen Gewinnst, den sie im Lotto hoften, Schulden machten. Sie waren weise, und ich will Ihnen nachahmen.

Aus den Bergen in Northumberland erhältst Du wieder einen Brief von mir.

117 25.

Amalie Wilmont an Emilie Burton.

London.

Ich bin Ihrem Rathe gefolgt, liebste Freundinn, um nur endlich der marternden Unruhe los zu werden. Ich bin mit Mortimer verlobt, und fühle mich recht froh und leicht. – Sie haben recht, es sind meistentheils nur kränkliche Einbildungen, mit denen wir uns ängstigen, Sorgen, deren zehnter Theil nur aus Wirklichkeit besteht, das übrige ist Traumgestalt. Ich denke mir jetzt mein zukünftiges Leben recht schön und froh. Mortimer ist weit herzlicher, als ich je von ihm geglaubt hätte, denn er freute sich über meine Einwilligung so sehr, daß es mich bey einem so gescheuten Manne ordentlich überraschte. – Er findet mich gewiß viel zu gut und verständig, ich weiß es zu gut, daß ich kindisch und voller Thorheiten bin: ach, wenn er sich nur nicht so mit mir betrogen findet, wie ich mich an Lovell geirrt habe.

118 Wir werden beide künftig recht einsam wohnen, in keiner großen Stadt, selbst von einer großen Heerstraße abgelegen. Ach, so wird ja nun endlich doch mein Lieblingswunsch erfüllt, in der freyen Natur zu leben. Ich bedarf um froh zu seyn keiner Zerstreuung und keiner großen Gesellschaften; ich wünsche, daß uns Niemand besuche, als gute Freunde, so wie Sie und Ihr Bruder, dann wollten wir dort einmal das schöne Leben von neuem führen, das ich bey Ihnen im vorigen Frühjahre genoß, als ich zuerst Lovell kennen lernte.

Doch, ich wollte ja nicht mehr an ihn denken. Ich soll mich ja mehr in meiner Gewalt haben, wie Sie mir selbst gerathen haben. Ich finde auch, daß ich es so ziemlich gelernt habe; nur manchmal widerstreben mir thörichte Erinnerungen. – O ich werde gewiß, auch wenn ich zuweilen an Lovell denke, an Mortimers Seite glücklich seyn. – Er kömmt mir jetzt immer vor, wie ein gestorbener Bruder, und ich muß noch manchmal weinen, aber es sind nicht mehr die brennenden Thränen, die ich ehemals vergoß.

Sie sehen, daß ich immer bleibe, wie ich war. Ich habe Sie schon oft um diesen schö119nen graden Sinn beneidet, den ich nie erlangen werde. –

Mein Bruder hat Ihren Vater nach Bonstreet begleitet, und mich dünkt, ich habe die Ursache errathen. – Sind Sie gar nicht begierig, sie zu wissen? – Doch still, ich darf wohl über meine, aber nicht über die Geheimnisse andrer Leute schwatzen. Das letztere ist unerlaubt, wenn das erste nur kindisch ist.

120 26.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Sie dauern mich mit Ihrer neuen Liebschaft. Rosaline mag nach Ihrer Beschreibung ein ganz hübsches Mädchen seyn, aber Sie sind und bleiben doch wahrhaftig ein Schwärmer. – Und die Noth bekannt mit ihr, und von ihr erhört zu werden! – Lieber Lovell, haben Sie denn Ihren ganzen Cursum mit so geringem Nutzen gemacht? – Es ist höchst unrecht, daß Sie noch von irgend einem Mädchen können in Verlegenheit gesetzt werden!

Wenn Sie einmal so sehr von ihr entzückt sind, so müssen Sie alles versuchen, ihr näher zu kommen. Es giebt nichts verdrießlichers, als Leute zu sehn, die ein Gut über alles wünschen, und nicht die kleinsten Mittel anwenden, seiner habhaft zu werden. Ich wollte, ich könnte Troclus seyn, um meinen armen Pandäus zu 121 beruhigen. Wenn gar nichts helfen sollte (woran ich zweifle) müssen Sie ihr die Ehe versprechen; am dritten Tage glaubt sie das Mährchen, und am vierten ist sie die Ihrige. Am zehnten spätestens wird sie Ihnen denn doch nicht mehr wie eine Gottheit erscheinen.

Nehmen Sie meinen Brief nicht übel, ich bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung versetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines kleinen unbedeutenden Mädchens nothwendig kindisch erscheinen muß.

Wenn mancher von unsern armseligen Bekannten dies Billet sähe, würde er mich mit hochweiser Miene Ihren Verführer nennen, und Wunder meinen, wie viel er dabey dächte. Ich höre von so manchen Menschen dies unschuldige Wort auf so unschuldige Leute anwenden, daß ich jetzt immer darüber lachen muß. Es giebt keinen größern Unsinn, als zu glauben, daß der Verstand auf unsre Gefühle und Handlungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine fremde Idee jemals die meinige werden könne, wenn ich sie nicht schon vorher gehabt habe. –

122 Leben Sie wohl, und geben Sie mir von Ihren Progressen Nachricht. Ich werde dieses Abentheuer als den guten oder schlechten Plan einer Komödie ansehn; zeigen Sie sich daher im dramatischen Fache, wenigstens als ein eben so guter, wo möglich noch besserer Dichter, als Sie bis jetzt im Lyrischen gethan haben.

123 27.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Es ist alles vergebens. Ich bin mir in meinem Leben noch nicht so einfältig vorgekommen, als seit einigen Tagen. – Oder sollte das seltsame Ding, was in einem Lande Schande, im andern Ehre bringt, woran keiner glaubt, und wogegen die ganze Natur sich empört, – sollte die sogenannte weibische Tugend hier wirklich einmal kein Vorurtheil seyn? Und doch ist es nicht möglich, mein Benehmen ist nur linkisch und ungeschickt. Das Mädchen mit diesen glänzenden Augen muß Temperament haben, nur versteh ich nicht die Kunst, Sinnlichkeit, Eigenliebe und Eigennutz bey ihr auf die wahre Art in Bewegung zu setzen.

Spotten Sie übrigens, wie Sie wollen, es ist gewiß ein himmlisches Geschöpf!

124 28.

William Lovell an Eduard Burton.

Rom.

Ich bin Dir noch die Nachricht schuldig, daß ich mich jetzt besser befinde, und daß ich nunmehr bey kälterem Blute Deinen Brief gründlicher zu verstehen glaube. Was Du gegen meine Ideen sagst, ist sehr wahr und gegründet; allein jeder Mensch hat seine eigene Philosophie, und die langsamere oder schnellere Cirkulation des Blutes macht im Grunde die Verschiedenheit in den Gesinnungen der Menschen aus. Daher hast Du in Deiner Person völlig Recht, und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das ist eben das Hohe in der menschlichen Seele, daß sich ihr einfacher Strahl in so unendlich mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe Dir zu, daß keine von allen die wahre sey, aber eben so wenig kannst Du behaupten, jene ist ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe anders sieht, und Du das vielleicht Blau nennst, was mir als Roth erscheint.

125 Doch wir wollen darüber nicht weiter disputiren. Du irrst aber darin völlig, wenn Du meinst, daß meine Gedanken nur Wiederholungen von fremden sind. Von Jugend auf habe ich die Menschen gehaßt und verachtet, die nur das Echo andrer sind, denn ihnen fehlt das Kennzeichen der Menschen; in die Klasse dieser kläglichen Geschöpfe wirst Du mich hoffentlich niemals geworfen haben; und dann ließe sich wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es bey einem Menschen von einigem Verstande möglich sey, ihn zu einer andern Denkungs- oder Handelsweise zu verleiten, bey der seine sogenannte Moralität litte.

Schilt mich nicht wieder einen Sophisten, denn ich will nun einmal recht kalt und gemäßigt sprechen. – Denke Dir den Fall, daß man einen guten unbefangenen Menschen nach und nach so betäubt, daß er unvermerkt in irgend eine Handlung hineintaumelt, die unsere strengere Moral nicht gut heißen kann; bey diesem Umstande ist nur zweyerley möglich. Entweder er ist nach begangener That eben so unschuldig, als vorher, er hat sie, ohne den Vorsatz Böses thun zu wollen, ausgeführt: nun so 126 ist er zwar im Angesichte des buchstäblichen Gesetzes schuldig, aber wahrlich nicht in den Augen der Vernunft, die nicht blos die grobe äußere, meistentheils nur zufällige Erscheinung, sondern den innern boshaften Sinn bestraft, selbst wenn dieser keine Handlungen hervorbringt. – Der zweyte Fall ist also nun dieser: daß schändliche Handlungen aus einem schändlichen Vorhaben entstehen. – Wie kann aber meine Seele fremde Ueberzeugung wirklich als die ihrige annehmen? Wo willst Du den Punkt, den Moment auffinden, in welchem eine reine Seele zu einer schlechten wird? Geschieht es durch einen Zufall: wie ist es möglich, daß sich dadurch ein Flecken im Geiste erzeugt, da er nur immer gute Gedanken und Vorsätze fassen kann? – Durch die Meinung eines andern? Er wird mit reinem Sinne den fremden nicht begreifen, und wenn er ihn begreift, so setzt dies schon voraus, daß er selbst verdorben sey. – Du wirst Dich aus diesem Labyrinthe von Widersprüchen nicht herausfinden können; nimm also meine Meinung an, und gieb mir zu, daß Deine Furcht gänzlich ungegründet ist.

Aber unmöglich kann mein verständiger Eduard 127 zu den Thoren gehören, die nur ihres Gleichen lieben können; ich weiß, wie entfernt er von diesem Sektirergeiste ist, daher brauch ich nicht zu heucheln, wenn ich von seiner Meinung abweiche, um nur seine Freundschaft nicht zu verlieren. Ich darf mich daher eben so dreist wie sonst unterschreiben, meines geliebten

Freundes

zärtlicher Freund
William Lovell.

128 29.

Walter Lovell an seinen Sohn William.

London.

Lieber Sohn,

Ich weiß nicht, ob Du noch immer auf Deinen unglücklichen Vater zürnest, Deine sparsamen und wortkargen Briefe lassen es mich befürchten. Ich habe Dir bis jetzt unausgesetzt das verlangte Geld geschickt, ohne bisher ein Wort darüber zu verlieren, ob Du gleich in jedem Vierteljahre mehr als im vorigen gebraucht hast. Du findest hierbey auch den Wechsel, den Du so ungestüm gefordert hast; nur zwingen mich diesmal die äußern Umstände, einige Worte hinzuzufügen, die Dir und mir gleich unangenehm seyn müssen.

Ich habe seit mehrern Jahren nur in Dir und in der Aussicht einer schönen Zukunft gelebt: aber seit einem halben Jahre hat sich Dein Herz von Deinem Vater abwendig gemacht; ich wüßte kaum, daß Du noch lebtest, wenn Deine Briefe, in denen Du mich, wie ein ungestümer 129 Gläubiger um Geld mahnest, mich nicht mittelbar davon benachrichtigt hätten. Ich gab Dir alles gern, denn ich habe mein Vermögen von je als ein Mittel angesehn, Dich glücklich zu machen; ich war dabey überzeugt, daß sich das Herz meines William wieder erweichen würde, und so ließ ich Deinen Thorheiten freyen Lauf.

Wenn Du aus diesem Briefe schließest, daß ich wieder krank bin, so irrst Du nicht. Ich bin es, und vielleicht gefährlicher, als je. Ich fühle die Lebenskraft gleichsam nur noch tropfenweise durch meinen Körper rinnen, darum kehre bald nach England zurück, theurer Sohn, damit ich Dich noch wiedersehe, und mir wenigstens noch Ein Glück auf dieser Erde übrig bleibt.

Ich kann nicht umhin, meine anfängliche Drohung zu erfüllen, denn Du mußt ja doch einmal alles erfahren. Meine schöne erträumte Zukunft, der Glanz unsers Hauses, Deine Größe, – alle meine Hoffnungen sind dahin, und auf ewig zernichtet! – Ich habe meinen Prozeß verlohren, und Burton ist jetzt Herr meiner Ländereyen. Wie es möglich geworden, auf welchen Wegen er dahin gekommen ist, das 130 alles kann ich nicht begreifen: aber genug, daß es geschehen ist! – Mir bleibt nun nichts weiter übrig, als die kleinen beiden Güter in Hampshire, wo ich in dem alten verfallenen Hause freylich noch zum Sterben Raum genug finde. – Ich sehe es schon voraus, wie sich alle meine Bekannten, die mir bisher schmeichelten, zurückziehen werden. Man kümmert sich so wenig um den Unglücklichen, der sich aus der großen Welt verliert, alles ist kalt und empfindungslos, wie die Lichter am Firmamente, wenn ein Stern heruntersinkt. Dies ist das passendste Bild meines Unglücks.

Burton besuchte mich schadenfroh einige Tage vorher, ehe das Urtheil meines Prozesses gesprochen ward. Er war ungewöhnlich freundlich, er betrachtete das Haus und den Garten aufmerksam, schon als sein Eigenthum, – und ich will ihm auch mein hiesiges Gut verkaufen, um nicht in der Nähe von London zu leben.

Tröste Dich, mein Sohn, und wenn Du vielleicht von diesem Schlage weniger getroffen seyn solltest, als ich, so versuche Deinen Vater zu trösten. Ich ziehe in zwey Wochen von hier 131 fort, Du weißt also, wohin Du Deinen Brief zu addressiren hast.

Daß Du jetzt weniger Aufwand machen mußt; daß es das letztemal ist, daß ich Dir einen so ansehnlichen Wechsel schicke, brauche ich wohl nicht erst hinzuzufügen. – Ach mein Sohn! stände Dein Glück in meiner Hand! – Doch ich will abbrechen; ich befinde mich sehr übel. – Lebe wohl.

132 30.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe mancherley Nachrichten aus England, die mich interessiren sollten, allein ich kann einzig an die schöne Rosaline denken. Himmel! welch ein Mädchen! Ich sehe unaufhörlich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann nichts anders denken, als ihren Gang und ihren schlanken Wuchs. Ich habe sie seitdem mehr als einmal gesprochen; aber alles ist vergebens. Sie hat eine Menschenscheu, die unüberwindlich ist, sie geht mir aus dem Wege, und wenn ich vor ihr stehe, schlägt sie die Augen zur Erde, und sieht mich nicht einmal an. – Es ist, als wenn ich zu dem Mädchen hingezaubert wäre, ich habe noch nie ein Geschöpf mit dieser Heftigkeit, ich möchte sagen, mit diesem Wahnsinne geliebt. So wie ich nur die Augen schließe, steht sie vor mir; ich bin seit einigen Tagen wie verrückt.

Ich mag weder Bianka noch Laura sehen; jedes andre Mädchen erscheint mir langweilig 133 und abgeschmackt. – Ach Rosaline! Ich möchte nach ihrem Hause hinüberfliegen, oder unsichtbar neben ihr seyn. – Sie spotten blos, weil Sie kälteres Blut haben, weil Sie sie nicht kennen.

Ich habe jetzt eine Idee, die sich gewiß ausführen läßt, und die mir ganz ohne Zweifel weiter hilft. – Nächstens ein mehreres davon; dann will ich Ihnen alles weitläuftig auseinander setzen. Ja es soll förmlich der intriguante Plan einer Komödie werden.

O wie lebt man anders, wenn man ein Wesen kennt, für das man lebt! Alles steht in meinem Kopfe in Bezug mit Rosalinen. – Die menschliche Seele ist doch ein kleines, armseliges Ding: denn ganz dasselbe sagt der Dichter und der religiöse Schwärmer auch von seiner Kunst. Der Philosoph findet allenthalben seine Systeme wieder, der Gelehrte zieht alles nach seinem Mittelpunkte. – O, so will ich denn einzig für sie leben! Sie soll die Sonne seyn, um die wie Planeten meine Gedanken und Systeme laufen. – Leben Sie wohl.

134 31.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Rom.

Ich bin jetzt hier, Thomas, so Gott will, etwas besser dran, darum werde ich auch wohl noch eine Zeitlang hier bleiben. Mit meinem Herrn steh ich wieder auf einem recht guten Fuß, er hat mir alles ganz ordentlich abgebeten, und er ist seit etlichen Tagen weit freundlicher mit mir, als er Zeit seines Lebens gewesen ist. Es ist gar nicht möglich, Thomas, daß man auf ihn recht böse seyn kann, ich habe sogleich alles vergessen und vergeben. – Mir ist wieder ganz wohl und leicht, aber doch gar nicht so, wie im vorigen Jahre, ich reise doch sobald als möglich fort, ich kann nicht hier bleiben.

Sieh, Thomas, die ganze Geschichte hat, so wie man zu sagen pflegt, ihren Haken. Mein Herr ist da vor dem Thore einem Mädchen gut, da wohn ich jetzt, – ach, nein Thomas, glaube nichts Böses von mir. Ich kann wahrhaftig nicht dafür, daß ich es meinem Herrn versprochen habe, daß ich mich so sehr 135 weit eingelassen habe. Ich stellte ihm alles ganz ordentlich und christlich vor, aber da half kein Reden und Ermahnen, er wußte mir auf alle meine Worte sehr schön Bescheid zu geben, so daß ich am Ende gar nicht mehr wußte, was ich sagen sollte, und wie ein alter Narre vor ihm stand, so weichherzig hatte er mich gemacht. Er sagte, daß er dem Mädchen so ganz wundersehr gut sey, daß er sterben würde, wenn ich ihm nicht den Gefallen thäte, und, da konnt' ich's denn nicht über's Herz bringen. Nun war mir die Freude auch noch etwas Neues, daß ich wieder gut Freund mit ihm war; das hat denn auch viel dabey gethan.

Nun wohn' ich hier vor dem einen Thore recht hübsch, recht wie auf dem Lande, und mir ist manchmal, als wenn ich in Bonstreet wäre. Aber ich weiß doch auch recht gut, daß es nicht ganz recht ist, und ich gräme mich in manchen Stunden recht sehr darüber, daß ich den Schritt gethan habe; aber der Mensch ist doch ein gar zu schwaches Geschöpf, und denn bin ich meinem Herrn Lovell gar zu gut, als daß ich ihm was abschlagen könnte, wenn er mich so recht herzbrechend darum bittet. – Je 136 nun, Gott muß ja bey so vielen Sachen ein wenig durch die Finger sehn, so mag er mir denn auch einmal von seiner Gnade etwas zukommen lassen.

Lebe wohl, lieber Bruder. Du hast mir lange nicht geschrieben, thu es doch nächstens einmal wieder, und sage mir Deine Bedenklichkeiten darüber, und wie man es ändern müßte. – Bis dahin lebe wohl.

137 32.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe Ihnen seit einigen Tagen keine Nachrichten gegeben, weil ich so vielerley einzurichten und zu besorgen hatte, daß mir wirklich keine Zeit übrig blieb.

Ich habe nach vielen Umständen meinen alten Willy beredet, in die benachbarte leerstehende Hütte neben Rosalinen einzuziehen; dort gilt er für meinen Vater, einen alten Venetianer, der hieher gekommen ist, um in Rom sein dürftiges Auskommen zu finden. Ich heiße Antonio. – Ich bin nun den größten Theil des Tages in einer gemeinen Tracht, die mich recht gut verstellt, bey Willy. Wir haben schon mit unsern Nachbarinnen Bekanntschaft gemacht, die gegen Leute, die, so arm wie sie scheinen, außerordentlich zuvorkommend sind. So ist alles im schönsten Zuge, und ich verspreche mir den glücklichsten Fortgang.

Was das Mädchen närrisch ist! Sie hat nun schon viel mit mir gesprochen, und ist außer138ordentlich zutraulich und redselig. Sie hat eine bezaubernde lebhafte Laune, und hat mich, wenn ich nicht sehr irre, gern. Doch ich zweifle noch, denn in nichts in der Welt irrt man so leicht.

Wenn ich ein Mahler wäre, schickt' ich Ihnen ihr Bild, und Sie sollten dann selbst entscheiden, ob ich wohl zu viel von ihr spreche. Wie versteinert betracht' ich oft die reizendste Form, die je aus den Händen der schaffenden Natur gieng, den sanften, zartgewölbten Busen, der sich manchmal bey einer häuslichen Beschäfftigung halb enthüllt, den schönsten kleinen Fuß, der kaum im Gange die Erde berührt. – O weh! ich bemerke, daß ich wörtlich wiederhole, was schon die abgeschmacktesten Dichter gesagt haben.

Ich lebe hier gewiß so romantisch, als es nur möglich ist; es kommt mir oft gar nicht vor, wie ein ordentliches Leben auf dieser Erde. Einen großen Theil des Tages bin ich in der kleinen Hütte, und sehe Rosalinen im kleinen Garten arbeiten; ich sehe in der Ferne Leute, die stolz vorüber fahren und reiten, und ich bedaure sie, denn sie kennen Rosalinen nicht; sie jagen mühsam nach Vergnügen, und denken nicht 139 daran, daß die höchste Seligkeit hier in einer seitwärts gelegenen Hütte wohnt. Mittags und Abends ess' ich bey Rosalinen, das haben wir gleich am zweyten Tage mit einander richtig gemacht; wir sparen, wie die Alte bemerkte, beide dabey. – Ach, Rosa, wie wenig braucht der Mensch, um glücklich zu seyn! Ich gebe, seitdem ich hier wohne, nicht den hundertsten Theil von meinem Gelde aus, und bin froh. – Daran denkt man so selten in jenem Taumel; – aber wie viel gehört auch wieder zum Glücke! – Würd' ich diese dumpfe Eingeschränktheit ertragen, wenn mir Rosaline nicht diese Hütte zum Pallaste machte? O jetzt versteh' ich erst diesen so oft gebeauchten und gemißbrauchten Ausdruck.

Es thut mir leid, wenn ich fortgehen muß, um zu thun, als wenn ich irgendwo arbeitete. Einmal habe ich schon auf den einsamen Spatziergängen, die ich dann mache, die Alte getroffen, die in einem Korbe dürre Reiser sammlete. Ich muß mich also in Acht nehmen, und ich kleide mich daher oft bey Willy um, und schleiche mich nach der Stadt.

Mir ist alles dürre und unangenehm, jedes Gesicht widrig. Und warum liebt sie mich nicht 140 so, wie ich sie anbete? – Mein Leben ist ein rastloses Treiben ungestümer Wünsche, wie ein Wasserrad vom heftigen Strome umgewälzt, jetzt ist das unten, was eben noch oben war, und der Schaum der Wogen rauscht und wirbelt durch einander, und macht den Blick des Betrachtenden schwindlicht.

141 33.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Sie fangen an mit Ihrer Geschichte recht amüsant zu werden. Es ist ja alles so schön, wie man es nur im besten Romane verlangen kann. Ich wünsche Ihnen Glück, denn es ist gewiß, daß nichts uns unser trocknes, prosaisches Leben so poetisch macht, als irgend eine seltsame Situation, in die wir uns selber versetzen. Im Grunde besteht unser ganzes Leben nur aus solchen Situationen, und ich tadle Sie daher gar nicht, wenn Sie sich Ihre Empfindungen so lebhaft als möglich machen. Fahren Sie nur fort, eben so aufrichtig gegen mich zu seyn, als bisher, so werden mir Ihre Nachrichten viel Vergnügen machen. Seyn Sie aber auch, wenn es irgend möglich ist, aufrichtig gegen sich selbst: denn sonst entsteht am Ende eine gewisse fade Leere, die man sich mit Enthusiasmus auszufüllen zwingt; dies sind die widrigsten Epochen des Lebens. Man quält sich dann, das Interesse noch an denselben Gegenständen zu finden, weil 142 es uns scheint, als machten sie unsern Werth aus. Jede Illusion aber, die kein Vergnügen macht, muß man emsig vermeiden. Man sollte sich überhaupt von Jugend auf daran gewöhnen, die äußern Gegenstände um sich nur als Spiegel zu betrachten, in denen man sich selber wahrnimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens von ihnen abzuhängen. Je mehr alles um uns her von uns abhängt, um so sklavischer es uns gehorcht, um so höher steht unser Verstand. Denn darin kann die Vernunft des Menschen unmöglich bestehen, seltsame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, sondern damit er durch sie ihm gleichgeschaffne Wesen nach seiner Willkühr lenke. Auf die Art kann der kluge Mensch Allen gebieten, mit denen er nahe oder fern in Verbindung sieht. Die Herrschaft des Verstandes ist die unumschränkteste, und Rosaline wird gewiß bald unter dem Gebote meines verständigen Freundes stehn, wenn er sich nicht von ihr beherrschen läßt, und selbst seine Vernunft unterdrückt. Ich wünsche Ihnen Glück, um nie in diesen Fall zu kommen.

143 34.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Es ist gewiß, daß man unter unschuldigen Menschen selbst wieder unschuldig wird. Jetzt kommen mir manche meiner Ideen zu gewagt vor, die mir sonst so natürlich schienen; ich bin hier in der kleinen Hütte demüthiger, ja ich fühl' es, daß ich ganz einer von den Menschen werden könnte, die ich mir bisher gar nicht deutlich denken konnte; die in einer engen dunkeln Stube geboren, nur so weit ihre Wünsche richten, als sie um sich sehen können; die mit einem Gebete erwachen und schlafen gehen, Mährchen hören und im Stillen überdenken, mit einem dumpfen, langsamen Fleiße eine Handarbeit lernen, und nichts so sehnlich als den Abend und die Schlafstunde erwarten. O Rosa, wenn man dies Leben näher kennen lernt, so verliert es sehr viel von seiner drückenden Beklemmung. Wir machen aus unserm Leben so gern Ein ununterbrochnes Vergnügen, und suchen Unannehmlichkeiten mühsam auf, um die Freude durch 144 den Kontrast zu würzen: bey diesen Menschen aber ist jedes unerwartete Vergnügen ein Weihnachtsfest, wie ein plötzlicher Sonnenblick an einem kalten Regentage scheint es hell und frisch in ihre Seele hinein. Ich werde mich künftig hüten, die Menschen mit dumpferen Sinne so sehr zu verachten. Ich komme am Ende auf den Gedanken, daß alle Menschen im Grunde gleich glücklich sind.

Wenn ich in meinem kleinen Besitzthume jetzt auf, und abgehe, über das Feld und nach der Stadt hinüber sehe, Rosalinens Stimme von neben an höre, und ich mich so recht ruhig und glücklich fühle, der Tag ohne Verdruß und Widerwillen sich schließt; so komme ich manchmal auf den Gedanken, in dieser Lage zu bleiben, hier ein Bauer zu werden, und das reinste, frischeste Glück des Lebens zu genießen. – Vielleicht bliebe ich hier immer froh und zufrieden, – vielleicht! – ach, die Wünsche, die Neigungen des Menschen! – Welcher böse Genius hat diesem Bilde, als es vollendet war, so viel der widersprechenden Triebe beygemischt!

Doch hinweg davon. O Rosa, nennen Sie mir ein Schauspiel, das dem an Reiz gleich 145 käme, wenn sich eine schöne, unbefangne Seele mit jeder Stunde mehr entwickelt. Wir sind jetzt bekannter mit einander, ich und Rosaline, ich habe sie täglich gesehn und gesprochen, mein anscheinendes Unglück hat sie gerührt. – Sie ist so das reine Bild einer Mädchenseele, ohne die feinere Ausbildung, die die Erscheinung zugleich verschönert und entstellt. Da uns die Verschiedenheit des Standes kein Hinderniß in den Weg gelegt hat, so sind wir auf einem recht vertrauten Fuße mit einander. – Wir sitzen oft im finstern Winkel, und sprechen über unser Schicksal, sie erzählt mir Familiengeschichten, oder wunderbare Mährchen, die sie mit außerordentlicher Lebhaftigkeit vorträgt; dann singt sie wieder ein kleines Volkslied, und begleitet es mit den Tönen der Laute. – Es giebt keine Musik weiter, als diese kleinen, tändelnden, fast kindischen Lieder, die so gleichsam im simpeln Gang des Gesanges das Herz auf der Zunge tragen, und wo nicht Töne, wie ungeheure Wogen steigen und fallen, und sich in einen wilden Zug mischen, der kreischend sich durch alle Tonarten schleppt, und dann in ein Chor aller stürmenden Instrumente versinkt. Das Herz 146 bleibt um so leerer, je voller das Ohr ist; die Seele kann nur diesen stillen Gesang so recht aus dem Grunde genießen, hier schwimmt sie mit dem silbernen Strome in ferne dunkle Gegenden hinunter, die leisesten Ahndungen erwachen in den Winkeln, und gehn still durch das Herz und Rückerinnerung eines frühern Daseyns, wunderbares Vorgefühl der Unsterblichkeit rührt die Seele an.

Wenn ich ihr gegenüber sitze, – o wie Feuer weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr schon an den Busen stürzen wollen, und diese Reize mit unzähligen Küssen bedecken; ich träume oft so lebhaft vor mir hin, daß ich nachher ungewiß bin, ob ich es nicht schon gethan habe. Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr hinüber, die Töne ihrer Laute klingen mir oft schmerzhaft im Kopfe nach – und bald, bald muß es sich ändern, oder ich verliere den Verstand.

Der Arme, er merkt nicht, daß es schon geschehn ist! werden Sie ausrufen. Sie sehn, daß ich Ihnen selhst die Waffen gegen mich in die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen Einfälle denken, ich mag mir nicht meine heißen 147 Gefühle zerlegen, um ihre Bestandtheile kennen zu lernen, – ich mag es nicht, und selbst wenn es wahr seyn sollte. Und alles zugegeben, so glänzt in dieser Sinnlichkeit so viel erhabner Geist, daß ich keine andre platonische Liebe brauche.

Als ihre Mutter neulich schlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Thüre saß, entdeckt' ich ihr meine Liebe. Sie war gerührt und zärtlich, und sagte mir sehr naiv, daß sie schon einen Bräutigam habe, und mich daher nicht lieben dürfe, wenn sie auch herzlich gern wolle. Es ist ein armer Fischer, der jetzt einer kleinen Erbschaft wegen zu Fuße nach Calabrien gegangen ist; sie beschrieb ihn mir sogleich, und gestand mir ganz unverholen, daß er so hübsch nicht sey, als ich. Dasselbe Mädchen, das mich vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes würdigte! O ihr Menschenkenner, wann werdet ihr das Herz der Weiber ergründen können!

Sie rührte mich, als sie mir die Einrichtung ihrer künftigen kleinen Wirthschaft beschrieb. Wie beschränkt sind die Wünsche dieser Menschen! Wenn ich an meine Verschwendung denke, wie ein weggeworfner oder verspiel148ter Theil meines Vermögens dies herrliche Geschöpf glücklich machen würde! – Ich lerne viel in diesen Hütten, Rosa, ich glaube, ich lerne hier mehr ein Mensch seyn, und mich für das Unglück der Menschen interessiren. – Und sie sollte hier für einen armseligen Schiffer aufgeblüht seyn? Für einen Verworfenen, der sich vielleicht glücklich schätzen würde, wenn er mein Bedienter werden könnte? – Nimmermehr! – Dagegen muß ich Vorkehrungen treffen, und ich denke, das Beste ist schon geschehen. Wir nennen uns Du, und zuweilen, wenn sie ausgehen muß, oder ich in der Stadt bin, giebt sie bey meinem Willy Briefe für mich ab. – Neulich saß sie auf einem niedrigen Schemel, und schaukelte sich während dem Erzählen ein wenig, plötzlich wollte sie fallen, ich fing sie auf, und meine Hand kam durch einen Zufall auf ihre schöne, feste Brust zu liegen. Wir sprachen weiter, ich zog die Finger nicht zurück, sondern spielte an dem Busentuche wie in Gedanken, sie sah mich erröthend und halblächelnd an, und ließ es geschehen, indem sie in der Rede fortfuhr.

Sie ist sich mit ihren dunkeln Trieben selbst 149 ein Räthsel: sie kommt mir in manchen Augenblicken mit ihrer Unschuld wie eine heilige Priesterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit vor; – und dann wieder die feurigen Augen! Der muthwillige Zug um den Mund! –

Ich habe neulich in der Ferne für mich ein paar schalkhafte italiänische Liedchen gesungen, und ich ertappte sie gestern, wie sie eben, wie unwillkührlich, die ersten Takte griff, und den Anfang sang. – Plötzlich hielt sie inne, ward ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort, gleichsam wie eine gefährliche, nicht genug verschwiegene Freundinn. – Ich kenne nichts schöners, als diese ungeschminkte Natur zu studiren; o sie wird, sie muß die Meinige werden! – Stammelnd hab' ich ihr die Ehe versprochen, und, das weiß Gott! wenigstens halb im Ernst. –

So eben seh ich sie vor die Thüre treten, ich gehe zu ihr; – leben Sie wohl.

150 35.

Rosaline an Anthonio.

Du bist schon wieder fort, Lieber, und ich glaubte Dich so gewiß zu treffen. Ich ließ Dich gestern gern die Laute mitnehmen, und that, als merkt' ich es nicht, weil ich sie heut wieder abholen wollte. – Du böser Mensch! mich vergebens kommen zu lassen! – Dein Vater sieht immer so verdrießlich aus, ich glaube, es will ihm noch gar nicht bey uns gefallen: ich scheue mich vor ihm, weil er mich immer so ernsthaft ansieht. – Komm doch ja heut Abend, ich will Dir ein neues Lied spielen, das ganz wie auf Dich gemacht ist. Komm ja und bleib hübsch lange. Die Abende sind jetzt so schön, und wir wollen denn noch mit einander singen. Aber Du mußt nicht wieder böse werden, ich will ja auch kein Wort wieder vom armen Pietro sprechen.

151 36.

Anthonio an Rosaline.

Nein, Liebe, sprich nicht wieder von ihm, denn sein Nahme geht mir immer wie ein Dolchstoß durch's Herz. Ich hoffe immer noch, daß er nie wieder zurück kommen wird; wer weiß was ihm begegnet ist, da er gar keine Nachrichten von sich giebt. – Thut es mir nicht selber weh, daß ich so oft von Deiner Seite muß? Du hättest mich aber gewiß getroffen, wenn ich daran gedacht hätte, daß Du kommen könntest.

O Rosaline, laß die Gesänge, die den kranken Rest meines Herzens zerschmelzen, und meine Seele ganz mit sich nehmen. Leb' ich nicht schon ganz bey Dir, nur allein in Deiner Gegenwart? Keine Arbeit will mir jetzt von der Hand gehn, da ich immer nach der Gegend hinsehe, in welcher Dein Haus steht. – Ach, wenn Du mich doch so lieben könntest, wie ich Dich liebe! o Rosaline, welche Aussicht würde sich mir eröffnen! – O ja, ja, singe das Liedchen, wenn es so wie auf mich gemacht ist, 152 und wenn von einem weichherzigen Mädchen und einem erhörten Liebhaber darin die Rede ist, o so laß es auch denn noch auf mich passend werden. Ich sehe Dich gewiß heut Abend, ich bleibe mit Dir vor der Thüre sitzen, – ach, könnt' ich zeitlebens nur um Dich seyn, könnt' ich ewig den süßen Ton Deiner Stimme hören! Alles, was ich vernehme, klingt mir wie Dein Gesang, so tief bin ich in Träume versunken, ich fahre auf, wenn man meinen Namen nennt, wenn jemand mich ruft. – O glaub' es, glaub' es theures Mädchen, daß ich nie ohne Dich würde leben können: daß ich für Dich alles, selbst das Gewagteste und Schrecklichste ausführen könnte.

153 37.

Rosaline an Anthonio.

Und warum wurdest Du denn nun doch so verdrießlich, als ich gestern das Liedchen sang? – Was willst Du von mir? – Seh ich Dich nicht gern kommen und ungern fortgehen? Denk' ich nicht fleißig an Dich? Hab' ich nicht gestern die versprochenen Küsse gewissenhaft abbezahlt, und sogar noch einige, ich weiß nicht wie viel, mehr gegeben? Was kannst Du denn noch verlangen? – Aber Du machst mich immer mit traurig, und ich weiß gar nicht, was ich Dir zu Gefallen thun kann; Dir ist nichts recht, und Du weißt gewiß selbst nicht, was Du willst. – Siehst Du, ich kann auch einmal böse werden, aber gewiß nur jetzt, nicht, wenn ich Dich vor mir sehe, dann hab' ich alles vergessen, worüber ich klagen könnte.

Meine Mutter hat heute schon ein ernsthaftes Gespräch mit mir gehabt, ich soll nicht so viel bey Dir seyn, hat sie gesagt. Ich seh aber nicht, warum. Sie ist alt und ein wenig eigensinnig, fast so ein Gemüth, wie Dein Va154ter; Du gefällst ihr nicht recht, denn Du bist ihr etwas zu leichtsinnig. Du mußt darüber nicht böse werden, sie ist schon alt, und das macht es, denn wer mögte Dich wohl sonst nicht gern leiden? Jeder Mensch, der Dich sieht, muß Dein Freund seyn. Nur das ernsthafte, finstre Wesen kleidet Dich gar nicht, das kann ich Dich versichern, Du kömmst mir dann mit einemmal ganz fremd vor; schaff' es ab.

Auch mit Deinem Vater bist Du nicht recht gut, der meint es mit seinen Ermahnungen doch gewiß sehr rechtschaffen. Mach' es, wie ich, ich lasse meine Mutter oft lange reden, und thu, als hör' ich ihr zu, und denke unterdessen an Dich.

Aber wie viel hab ich nun an Dir getadelt! Ach glaube nur nichts davon, das ist grade so, als wenn ich ein Lied von bösen Menschen singe, ich kann immer nicht daran glauben. Ich habe meine Altklugheit nur vom Hörensagen. – Noch eins, sey heut Abend etwas artiger, als gestern, denn sonst werd' ich noch den Hund abrichten, daß er Dich beißen soll. – Adieu, und komm hübsch früh.

155 38.

William Lovell an Rosa.

Rom.

O Rosa, warum bin ich nicht zufrieden und glücklich? Warum bleibt ein Wunsch nur so lange Wunsch, bis er erfüllt ist? Hab' ich nicht alles, was ich verlangte? und dennoch werd ich immer weiter vorgedrängt, und auch im höchsten Genusse lauert gewiß schon eine neue Begierde, die sich selbst nicht kennt. Welcher böse Geist ist es, der uns so durch alle Freuden anwinkt? Er lockt uns von einem Tage zum andern hinüber, wir folgen betäubt, ohne zu wissen, wohin wir treten, und sinken so in einer verächtlichen Trunkenheit in unser Grab. Ich schwöre Ihnen, daß mir in manchen Momenten aller Genuß der Sinne verabscheuungswürdig erscheint, daß ich mich vor mir selber schäme, wenn ich diese holden Züge betrachte, diese Unschuld, die sich auf der weißen reinen Stirn abspiegelt; es ist mir manchmal, als wenn mich eine Gottheit durch ihre hellen Augen anschaute, und ich erröthe dann wie ein Knabe.

156 Neulich war ich in der höchsten Verwirrung; sie hatte eines von den neuern Liedern gehört, und spielte es mir in ihrer Unbefangenheit am Abende vor, weil es ihr so passend auf mich schien. Fühlen Sie, wie mir zu Muthe ward, wie gedemüthigt. Es war wirklich das Lied, welches mich durch einen Zufall zuerst auf die Idee meiner Verkleidung führte, und aus dem ich sogar meinen Nahmen Anthonio entlehnt habe. Kann die bitterste Satyre mich tiefer erniedrigen, als dieses kindliche, fromme, unschuldige Wesen? Nie hab ich vor einem Menschen so in aller Nacktheit gestanden, nie bin ich so durch und durch beschämt worden. Bey jedem andern Mädchen würd' ich überzeugt seyn, sie habe mich vollkommen errathen; allein ich schwöre Ihnen, daß es hier nicht der Fall ist.

Und was ist denn nun von einer andern Seite mein ganzes ängstliches Gefühl? Wozu alle diese seltsamen Windungen? Ich liebe sie, und sie liebt mich. Ich kann ja kein Glück eines fremden Wesens berechnen, oder mir vorstellen; folglich ist das Aufsuchen meines eigenen Glücks die einzige Regel, die wir in diesem Leben anwenden können. Ich glaube, das Mißvergnü157gen, noch nicht ganz glücklich zu seyn, ist es, was mir meine Lage verbittert: die Armseligkeit, nicht irgend einen Schluß recht lebhaft zu fassen, und ungestört nach ihm zu handeln.

Sie haben nie ein Wesen, wie diese Rosaline, gekannt, und Sie kennen daher auch die schönste Blüthe des Vergnügens nicht. Sie sollten sie sehn, wie sie mir entgegen läuft, und denn wieder stille steht, und plötzlich thut, als habe sie nur irgend einen Gegenstand gesucht; die List, die sie bey aller frommen Unschuld hat, und die jedem Mädchen mit auf die Welt gegeben wird, und die, wenn ich so sagen darf, die Unschuldigen noch unschuldiger macht. Die Mutter schlief neulich in ihrem Lehnstuhle, und ich küßte sie, indem sie neben mir saß; von ohngefähr schallte der Kuß etwas stärker, und die Mutter wachte auf; in demselben Augenblicke aber hatte sie ihren kleinen Hund schon ein wenig gezwickt, so daß er schreien mußte, und die Mutter keinen Argwohn schöpfte.

Ich erhitze sie oft lebhaft durch boshaft geschlungene Umarmungen und wollüstige Küsse, die sie erwiedert, ohne zu wissen, was sie thut. Sie preßt sich denn ängstlich an meine Brust, 158 und stößt beklemmte Seufzer aus. Ja, ich mache sie selbst glücklich, wenn ich sie über ihr eignes Wesen aufkläre, sie wird sich selbst im Kelche der Wonne berauschen, und mir noch für mein höchstes Glück Dank sagen.

Werden Sie nicht bald nach Rom zurückkehren? Ich vermisse täglich Ihre Gesellschaft, vorzüglich, wenn ich nicht bey Rosalinen bin. In Rom fang' ich an, allen Leuten fremd zu werden, ich mag Niemand besuchen, ich mag nichts thun: schon seit lange ängstigt mich ein Brief, den ich an meinen Vater schreiben muß, ich kann nichts anders denken und sprechen. –

159 39.

Walter Lovell an seinen Sohn William.

Kensea in Hampshire.

Ich bekomme keine Antwort auf meinen Brief, und ich werde mit jedem Tage schwächer. Der Arzt findet es jetzt bedenklich, und ich fühl' es, daß die Uhr meines Lebens zu Ende gelaufen ist. – Alles wird mir gleichgültig, was mir sonst wichtig war, meine ehemaligen Plane habe ich völlig vergessen, komm also ohne alle Scheu nach England zurück, lieber Sohn, heirathe, wenn Du durchaus willst, Amalien, ich will und kann nichts weiter dagegen einwenden, nur brich Dein Schweigen und komm. Ach, wenn Du willst, muß ich Dich freilich auch noch wegen einer meiner Briefe um Vergebung bitten, ich meinte es gut mit Dir, und damals war auch die Lage der Sachen anders.

Wenn der Wind hier durch den Wald bläs't, und die losgegangenen Tapeten im Nebenzimmer rauschen und klatschen, o dann, lieber William, fühl' ich mich so einsam, so heimathlos. Ich sehe 160 trostlos dem trüben Beschluß eines trüben Lebens entgegen. Ich sehe keine Freunde, keine andre Gesichter, als die meiner Bedienten, alle haben sich von mir zurückgezogen, und ich befinde mich wohl dabey. Nur Dich wünsch' ich bey Tage und in der Nacht zu mir her; ich war ein Thor, daß ich mühsam erst ein Gebäude meines Glückes aufführen wollte, und nicht die Freuden annahm, die mir das Schicksal an der Brust meines Sohnes, in den Armen einer guten Tochter, vielleicht in einem Zirkel von fröhlichen Enkeln anbot. Jetzt ist mir die Binde gelöst, und es ist vielleicht zu spät. – Doch nein, mein William giebt mir gewiß Freude und Trost zurück; wer weiß, welche einsamen Gegenden er schon durcheilt, um seinen alten kranken Vater noch wieder zu sehn! Wo Du auch seyst, Gott sey mit Dir!

161 40.

Rosaline an Anthonio.

Die ganze, ganze lange Nacht hab' ich nicht schlafen können. Und daran bist blos Du Schuld! Immer war mir, als schliefest Du neben mir, ich hatte Dich in meinen Armen, und wachte von Deinen Küssen auf. Als der Mond durch eine Ritze der Fensterladen in meine Stube schien, und der Strahl sich so über den Boden goß und an der Decke schimmerte, hab' ich recht herzlich geweint, weil ich mich zum erstenmal im Leben so einsam fühlte. O Du böser Mensch kannst die Noth gar nicht verantworten, die Du mir machst. Mein Vater ist todt und meine Mutter stirbt auch vielleicht bald; wenn nun Pietro nicht zurück kömmt, so bist Du der einzige Mensch auf der Welt, der mir noch beystehn kann. Aber wenn Du alle meine Liebe nicht verdientest! Ach Anthonio, Du hast Dich so oft über meine Lustigkeit gefreut, ich bin nur frölich, wenn ich Dich sehe, Du siehst, wie betrübt ich werde, wenn ich allein bin. Drum 162 sollten wir uns gar nicht trennen, dann würden wir beide immer recht vergnügt seyn.

Du bleibst jetzt oft viel länger weg, als anfangs. Du freust Dich nicht mehr wie sonst darüber, wenn ich Dir einen Kuß gebe; sage mir, was hab' ich Dir gethan, du Unzufriedner? Oder ist es die Sitte in Eurem Lande, daß man immer so ernst und verdrießlich ist?

163 41.

Anthonio an Rosaline.

Was Du mir gethan hast, liebstes, bestes Mädchen? Nichts, als daß Du mich nicht eben so sehr liebst, wie ich Dich liebe. – Warum verläßt Du mich oft so plötzlich? Warum darf ich nicht in der Nacht bey Dir bleiben, wenn Du Dich ohne mich so einsam fühlst? Die wahre Liebe ist mit diesem Eigensinne unbekannt. Wenn Du mich nur hier sähest, wie ich oft in der Nacht nach Deinem Hause hinüber blicke, wie ich nicht schlafen kann, und mir schweigend Deine Lieder wiederhole, um mich nur etwas zu beruhigen, wie ich Dein Bild tausend und tausendmal küsse, das ich neulich bey Dir zeichnete! Das Papier ist von meinen Thränen naß; das Haus wird mir zu enge, und ich schweife im trüben Mondlichte dann zwischen den Ruinen umher, und Deine Gestalt begleitet mich allenthalben. O Rosaline, dieses Zagen, diese Angst kennst Du nicht, denn sonst würdest Du meinen Zustand mehr bemitleiden. Nein, Hartherzige! Du kennst die Liebe nicht, denn Du 164 verhöhnst meine Empfindung. Undankbare! Du weidest Deine Eitelkeit an meinem Gram, und wirst Dich über meine Verzweiflung freuen! – Stand ich nicht gestern noch eine Stunde länger vor Deiner Thüre, und Du kamst nicht wieder, wie Du mir versprochen hattest? Spieltest Du nicht, um mich zu kränken, dies verhaßte Lied von dem Anthonio? – Nein, Du betrügst mich nur mit einem Schein von Liebe, Du freust Dich darüber, daß Du mich gedehmüthigt hast, und alle Deine Küsse, Deine Umarmungen sind Heucheley. Labe Dich an meinem Anblicke, wenn Du mich wahnsinnig gemacht hast!

O vergieb mir, Theure, wenn ich Dir Unrecht thue! Betrüben möcht ich Dich nicht.

165 42.

Rosaline an Anthonio.

Du kannst das Lied vom Anthonio nicht leiden? Mein liebstes Lied, weil es Deinen Nahmen führt? Ach, Lieber, wie unrecht thust Du mir! Dir zum Possen soll ich es singen, und ich will mich dadurch trösten, weil ich nicht wieder herausgehn konnte. Die Mutter war böse und hatte mir es streng verboten, und ich muß ihr doch gehorchen. Sie will nicht gern, daß ich so viel bey Dir bin. Nein, wenn es Dir nicht gefällt, will ich das Lied nie mehr spielen, so sehr ich es auch liebe. Ich Dich kränken! Ach, Anthonio, wie sollt ich das können? – Wenn Du da bist, schäm' ich mich nur immer zu sagen, wie gut ich Dir bin: man hat keine Worte dazu, ich müßte neue ausdenken, und das geht denn nicht. Aber wenn Du so weggegangen bist, und ich Dir nun nachsehe, oder wenn ich einen Deiner Briefe lese, sieh, so kehrt sich mir das ganze Herz um, und ich möchte Dir nachrennen, Dich vor der ganzen Welt in meine Arme drücken, Dein liebes Ge166sicht küssen, und in Thränen vergehn, und rufen: Ja, Menschen seht es, Bäume und Berge hört es, so, so lieb' ich ihn; was kümmert ihr mich alle, wenn er mir nur, der einzig Theure in der Welt, übrig bleibt? Sieh, wenn Du nichts nach mir fragtest; so könnt' ich zu Deinen Füßen niederknien, und um Deine Liebe bitten; ich könnte meine Religion verlassen und nicht mehr zur göttlichen Madonne beten, wenn Du es wolltest: ich könnte mit Dir in fremde, wüste Länder ziehn, wo man andre Sprachen spricht, wo, wie man mir einst erzählt hat, Eis und Winter fast immer die Luft zusammen zieht; o ich könnte für Dich sterben, – alles, alles, nur Dich nicht vergessen, nur nicht Deinen Tod, oder Deine Verachtung überleben. – Ach, kannst Du mich noch unempfindlich und undankbar schelten? Kannst Du noch auf mein liebes Lied böse seyn?

167 43.

Anthonio an Rosaline.

Nein, ich will Dein Lied nicht mehr schelten, liebe Rosaline. Ich habe Dir und ihm Unrecht gethan, und ich will es ihm abbitten: Schicke mir zur Versöhnung die Abschrift, die Du davon hast, ich will es zu Deinen Briefen, zu Deinem Bilde legen, neben Deiner Locke; mehr kann ich ihm zur Ehre doch nicht thun. – Wie hat mich Dein lieber Brief gerührt! O, ich habe ihn um Vergebung gebeten, und will es mündlich bey Dir wiederholen. Bin ich Dir wirklich so theuer, als Du da schreibst? Ich kann es nicht glauben, und glaub' es doch so gern. Deine Stimme klingt mir, wie ein Ton aus einem Traume, der mir die Schätze der Erde verspricht, und dem die wirkliche Natur nicht Wort halten kann. Ach nein! die Liebe macht das Unmögliche leicht. Sie ersetzt uns jedes Glück der Erde. –

168 44.

Rosaline an Anthonio.

Siehst Du nun wohl, daß ich Recht habe? Dafür will ich Dir nun auch das Lied so zierlich und schön abschreiben, als es mir nur immer möglich ist. –
 

Der Arme und die Liebe.
Es kam an einem Pilgerstab
    Wohl über's graue Meer
Ein Wandersmann in's Thal hinab,
    Von fremden Landen her.
Erbarmt euch meiner, rief er aus,
    Ich komm aus fernem Land,
Verlohren hab' ich Gut und Haus,
    Anthonio genannt.
Die Eltern starben mir schon lang',
    Ich war noch schwach und klein,
War ohne Gut, war ohne Rang,
    Und Niemand dachte mein.
169 Da nahm ich diesen Wanderstab
    Und trat die Reise an,
Stieg hier ins frische Thal hinab,
    Fleh' euer Mitleid an. –
Da ging er wohl von Thür zu Thür,
    Ging hier und wieder dort,
Ward abgewiesen dort und hier,
    Und schlich sich weinend fort.
„Was suchst Du in der Fremde Glück?
    Wir sind Dir nicht verwandt!
Geh, wo Du her kömmst, nur zurück,
    Bist nicht aus unserm Land. –
Genug der Freunde leiden Noth,
    Der Landsmann sucht hier Trost,
Für sie wächst unser schönes Brodt,
    Für sie der süße Most.“ –
Still und beschämt mit Ach und O!
    Schlich er die Straße hin,
Da ruft es sanft: Anthonio!
    Ein Mädchen winkt ihn hin.
O nimm von meiner Armuth an,
    Spricht sie mit frommen Sinn,
Ich gebe was ich geben kann,
    Nimm alles, alles hin.
170 Lucindes blaues Auge weint,
    Er dankt mit heißem Kuß,
Und sieh! die Liebenden vereint
    Ein rascher Thränenguß.
Ach nein, Du bist mir nicht verwandt,
    Dennoch erbarm ich mich,
Und bist Du gleich aus fremden Land',
    So lieb ich dennoch Dich.
Die Liebe kennt nicht Vaterland,
    Sie macht uns alle gleich.
Ein jedes Herz ist ihr verwandt,
    Sie macht den Bettler reich!

Ich habe schon oft versucht, statt Lucinde Rosaline zu singen, allein es will nicht in den Takt passen, und das thut mir sehr leid. – Wir wollen heut Abend einmal versuchen, ob wir das Lied nicht noch ein wenig abändern können. Du mußt mir helfen, denn Du weißt ja damit Bescheid. Ich lese Deine Verse alle Tage, und versteh sie jedesmal etwas besser. – O ich bin in manchen Stunden ordentlich stolz auf Dich, und daß Du unter den tausend, tausend Mädchen grade mich nur einzig und allein liebst. Und doch wieder nicht stolz, nur so froh, 171 daß ich dann dem Himmel mit weinenden Augen danke, daß er es so gelenkt hat, daß Du mich aufgefunden hast. – – Warum meine Mutter nicht ganz so denken will, wie ich? Ich kann gar nicht begreifen, wie man etwas gegen Dich haben kann. Alle Menschen sollten so seyn, wie Du, so wäre das die schönste Welt. – Adieu, und bleibe ja heut länger.

172 45.

Anthonio an Rosaline.

Also heut, würklich nun heut! – So ist denn doch endlich die zögernde Stunde herangeschlichen, die mich vollkommen glücklich machen soll. – O wie dank ich Dir! Aber Du wirst doch Wort halten? –

173 46.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Es ist wunderbar, wie lange ich in dem Vorhofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tausend Zufälle vereinigen sich, um mich immer wieder von der höchsten Wonne zu entfernen. Rosaline ist mein, unbedingt mein. – Sie hatte sich neulich für meine Bitten erweicht, und mir versprochen, mich in der Nacht heimlich zu sich kommen zu lassen, aber die Mutter wurde krank, und sie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche Nacht hatt' ich! Die Sehnsucht regte sich mit allen ihren Gefühlen in mir, ich konnte nicht eine Minute schlafen, und doch auch nicht wachen. Ich lag in einer Art von Betäubung, in der sich Bilder auf Bilder drängten, und mein kleines Zimmer zum Tummelplatze der verworrensten Scenen machten. Es war eine Art von Fieberzustand, in welchem mir hundert Sachen einfielen, über die ich noch lange werde denken und träumen können.

174 Sie hat sich mir gänzlich dahin gegeben, sie steht in meiner Willkühr. – Aber verdammte Kleinigkeiten, die sich nicht berechnen lassen, werfen sich immer wieder dazwischen. – Aber ich muß den letzten und vollkommenen Sieg erfechten, oder ich verdiene es nicht, Ihr Freund zu seyn.

175 47.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Es ist um rasend zu werden! Alles ist dahin! Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, ist gänzlich, durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wieder, ich verachte und hasse mich selbst, ob ich gleich nur auf den Zufall fluchen sollte. Denken Sie nur selbst, alles war bestimmt und fest gemacht, Rosaline war so zärtlich gegen mich, wie sie noch nie gewesen ist, sie war völlig davon überzeugt, daß ich sie heirathen wollte, und bey Gott ich hätt' es auch gethan; sie hatte mir die gestrige Nacht zugesagt, und ich erwartete mit Ungeduld die Adendröthe; tausend Ideen gingen durch meinen träumenden Sinn, ich konnte mir meine Phantasien und Hoffnungen gar nicht als würklich denken, – o und sie sind es auch nun nicht geworden! Ich stehe hier wie ein Schulknabe, der seinen Lehrer fürchtet, ich bin beschämt und verworfen: gestern kam noch bey Tische ein alter Mann als Bothe, der Pietro's, des armseligen Fischers, des Bräutigams 176 Zurückkunft ansagte. In wenigen Tagen wird er hier seyn. Ich war wie vom Schlage getroffen, alle meine Sinne waren gelähmt, bleich, und wie aus der Ferne hört' ich nur die genaueren Nachrichten, die der Schurke mitbrachte. Schon das verdammte Gesicht des Kerls, als er zur Thüre hereintrat, kündigte mir nichts Gutes an. Es war eine von den Physiognomien, die dazu gemacht sind, Unglücksbothschaften zu bringen.

Und dann die Freude der Mutter! Die stille Beschämung Rosalinens, die mir plötzlich durch die bloße Nachricht ganz abgewandt wurde! O mich wundert, daß ich nicht den Verstand verlohren habe! Sie weicht mir seitdem ängstlich aus, sie ist kalt und fremde, und ich stehe auf demselben Punkte, auf dem ich mich am ersten Tage unsrer Bekanntschaft befand. – Ich könnte den Kerl ermorden, der sich so ungerufen zwischen uns drängt, und all mein Glück und meine schönen Träume vernichtet. – Warum hängen wir so oft von nichtswürdigen Zufälligkeiten ab! – Und nun jetzt, jetzt, da sich so eben alle meine Wünsche krönen wollten. – Wenn ich sie sehe, mit all ihren Reizen, und 177 die Phantasie mir die heiligen von keinem Blicke entweihen vor die Augen zaubert! Wenn ich mich in ihre nackten Arme, an ihren entblößten Busen denke, die keusche Schaam im Streite mit der wollüstigen Begierde, alles mir so ganz hingegeben, ich im höchsten Taumel versunken – und nun geht sie mir vorüber, und kennt mich nicht, und heut Abend war das letzte Ziel meines Glücks! – Ich könnte sie ergreifen, und im Gefühle der Begierde erwürgen, und wüthend an ihrem Busen sterben. – Rathen Sie mir, Rosa, was ist zu thun? Ich habe allen Verstand, alle Besinnung völlig verlohren.

178 48.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Ich kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber Freund, denn ich habe mich noch nie in einer ähnlichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht einmal wissen, wie ich an Ihrer Stelle handeln würde. Freilich sollte es nicht möglich seyn, daß ein Zufall uns das plötzlich nähme, was wir für unser höchstes Glück halten, in dessen Besitz wir schon sind: indessen es geschieht alle Tage, und dies ist der Inhalt der meisten menschlichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Bräutigam, der so plötzlich aus den Wolken fällt, ist sehr verzeihlich. Aber Sie sollten doch Mittel dagegen versuchen; unser ganzes Leben erscheint mir immer als ein Kampf mit dem Schicksale, es überlistet uns in jedem Augenblicke, aber wir müssen uns nicht sogleich für überwunden erkennen, sondern List gegen List setzen. Dieser Streit macht unser Daseyn interessant, er macht, 179 daß wir uns nicht so demüthig abhängig von einer blinden unbekannten Macht fühlen. – Doch ich weiß, Sie haben zwar Stärke genug, diese Ideen zu denken, aber nicht nach ihnen zu handeln. Ihre Gefühle bleiben immer nur innerlich in Ihnen.

180 49.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ihren Brief habe ich erst jetzt bey meiner Zurückkunft gefunden. Sie haben Recht, und ich habe nach Ihrem Rathe gehandelt, ohne ihn zu kennen.

Ich bin noch wie im Traume, es ist Nacht, indem ich Ihnen schreibe, und ich weiß noch immer nicht, was morgen geschehen wird. Seit einer Stunde bin ich von einer kleinen Reise zurück gekommen, ich bin müde und kann doch nicht schlafen. – Die Ankunft Pietro's hatte mir alle Laune verdorben; ich wußte den Weg, den er kommen, und wann er anlangen würde. Ich ritt auf die Straße nach Neapel; bey Rosalinen schützte ich eine nothwendige Arbeit vor, die ich in der Stadt zu Ende bringen müßte. Hinter Sezza liegt ein einzelnes einsames Haus, dort erwartete ich den Bösewicht, den ich schon im innersten Herzen haßte, noch ehe ich ihn gesehn hatte. Er wollte gestern Abend dort ankommen, und kam nicht. Endlich that 181 sich nach Mitternacht die Thür auf, und er trat herein, er hatte noch gegenüber ein kleines Dorf besucht, und hatte sich jetzt bey unruhigem Wetter über den Fluß setzen lassen; dadurch war er so lange aufgehalten. – Nun ich ihn vor mir sah, war er mir noch mehr zuwider. – Ein ganz gemeiner Mensch, der kaum sprechen kann, verdrüßlich oben drein, und zwar deswegen, weil die gehoffte Erbschaft nicht so ansehnlich ist, als er erwartet hatte. Das widrigste Gemisch von bäurischem und schurkischem Wesen, schmutzig und gefräßig; dieses Thier ging jetzt dem Besitze der göttlichen Rosaline entgegen, von der er in seinem ganzen Leben nicht die kleinste ihrer Vortrefflichkeiten verstehen wird.

Er brach auf, weil er gern bald nach Rom wollte; es war Mondschein, und er fühlte sich noch frisch. Ich ritt dieselbe Straße, und stieg vom Pferde, um mit ihm zu sprechen. Der Schändliche sprach von Rosalinen, wie er von einem Mittagsessen sprach, ohne alle Theilnahme, er wolle sie blos des ganz kleinen Vermögens wegen heirathen, das ihre Mutter besitze. – Ich weiß nicht, wie es kam, alles umher umgab mich, so wie ein Traum, ich zog plötzlich 182 einen Dolch und stieß nach ihm, verfehlte aber, und streifte ihn bis zur Hälfte hinunter. – Ich stieg wieder zu Pferde und jagte davon, indem ich immer noch seine Stimme hinter mir, bald lauter, bald schwächer hörte. – Es war ganz unwillkührlich geschehn, und wie leicht hätte es kommen können, daß ich ihn ermordet hätte! –

Die Nacht und der heutige Tag sind mir in einem ununterbrochenen Schwindel verflossen. Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. – Ich hätte vielleicht einen Handel mit ihm treffen können, daß er weiter keine Ansprüche auf Rosalinen machen solle, wenn ich bey kaltem Blute gewesen wäre; ich weiß nun nicht, wie alles sich endigen wird. – O ich bin böse auf mich selbst; ich muß es Ihnen gestehn, Rosa, ich freue mich inniglich, daß mir der tödtliche Streich mißglückte, ich fühle es, daß ich ewig diese rasche That bereuen würde. Sagen Sie mir dagegen, was Sie wollen, es empört sich das Gefühl, die Menschen, so wie die leblosen Gegenstände zu gebrauchen, und sie nur für Mittel anzusehn, uns selbst froh zu machen.

Wäre Pietro nicht dazwischen gekommen, so 183 hätt' ich Rosalinen geheirathet, wäre mit ihr nach England gezogen, und hätte ihr und der Natur gelebt. –

Wenn ich es noch thun könnte! Was hindert mich, mich der Mutter zu entdecken? Aber der Bräutigam könnte einen Verdacht auf mich werfen: er wird nun vielleicht etwas länger bleiben, da ihn die Wunde wahrscheinlich am Gehen hindert, und diese paar Tage will ich noch in Rosalinens Gesellschaft genießen. – Ich bin zu müde, leben Sie wohl.

184 50.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe mehrere Tage hindurch in einer Verworrenheit aller Begriffe und Empfindungen gelebt; ich mochte Ihnen nicht schreiben, weil ich zu träge war. Jetzt aber will ich Ihnen den Verfolg meiner Liebschaft melden, und ich bin auf Ihre Antwort äußerst begierig.

Ich habe so eben eine halbe Flasche Cyperwein getrunken, und meine Hand zittert, indem ich schreibe; ich bin äußerst froh und zufrieden, und mir ist so leicht, daß ich bey jedem Absatze aus vollem Halse lachen muß. Willy sieht mich von der Seite mit mißtrauischen Augen an, und scheint dabey halb eingeschlafen. Das Leben ist das allerlustigste und lächerlichste, was man sich denken kann; alle Menschen tummeln sich wie klappernde Marionetten durch einander, und werden an plumpen Dräthen regiert, und sprechen von ihrem freyen Willen. – Heut am Morgen kam die Nachricht von Pietro's Tode, man hatte den Leichnam an der Land185straße gefunden, und ein Vorübergehender hatte ihn zufälliger Weise erkannt. Sagen Sie, was Sie wollen, es ist nicht möglich, daß ich Schuld an seinem Tode seyn sollte, wenigstens kann ich es nicht glauben. Er ist von Natur gestorben, und was kümmert er mich nun weiter? An jener unbedeutenden Streifwunde kann unmöglich ein so rauher, eisenfester Mensch verbluten: und wenn es der Fall seyn könnte, so würde ich es wahrhaftig nur sehr lächerlich finden, daß wir, wie eine gesprungene Flasche, auslaufen können, und mit den wenigen rothen Tropfen alle unsere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft, in der wir leben konnten, alles was wir noch hätten thun können. Aber wie gesagt, ich glaube es nicht, und kein Mensch wird mich davon überreden.

Es war ein groß Geheul im Hause, vorzüglich von der Alten; Rosaline grämte sich auch, aber ich bemerkte deutlich, wie sie sich im Stillen von leisen Gedanken trösten ließ. Ich ging fort, weil mir die Scene zur Last fiel, und fand Nachmittag Rosalinen allein, in Thränen gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam vor dem Abende nicht wieder. O wie sie schön 186 war, als sie auf dem Fußschemel saß, und den Kopf auf den weißen Arm auf dem Sessel stützte! Wie sich die Umrisse aller Glieder an einander schmiegten, und das reizendste Bild, wie hingegossen, da lag! Ich vergaß alles, und verschlang die vereinigte Schönheit mit gierigen Blicken. Sie sank weinend in meine Arme, und ihre Thränen lockten die meinigen hervor. Ich fühlte ihr Herz klopfen, ich küßte sie, sie war ganz Schmerz, und ließ mich alles thun, was ich wollte. Meine Phantasie war erhitzt, und ich lös'te leise und behende des Busentuch ab, sie wehrte sich nur halb, und verbarg sich an meiner Brust. Meine Augen verschlangen die Reize, meine Finger berührten den schönsten elastischen Busen, und sie sah mich seufzend, halb drohend und halb lächelnd, an. O Rosa, ich werde von neuem trunken, wenn ich mich nur dieser Scene erinnre. – Wir sprachen dabey immer von ihrem Unglücke, und eben durch die Thränen war sie weicher geworden, und ihre Sinnlichkeit mehr als sonst gereizt. – Bald wurden ihr meine Scherze zu dreist, sie stand auf und lief in ihre Kammer, ich folgte ihr nach. Sie bat, sie weinte von neuem, und 187 drückte mich dann heftig in ihre Arme, indeß ich mich ungestört damit beschäfftigte, sie auszukleiden. Welche himmlische Reize entwickelten sich nach und nach unter meinen geschäfftigen Händen! Die letzte Hülle sank, und sie stand nun nackt mit schamhafter Röthe und brennendem Auge vor mir. – O Rosa, ich werde es nie, nie vergessen; diesen weißen Busen und diesen zarten Lilienhals, die schlanken Seiten und die blendend weißen Schenkel, alles im schönsten Ebenmaaße, in einer grünen Dämmerung die mediceische Venus vor mir, indem vor dem Fenster das grüne Weinlaub zitterte, und einen Flimmerschein durch das Gemach warf. Mein Busen kochte, meine Hände zitterten. – In zwey Minuten war auch ich entkleidet, sie hatte sich ganz vergessen, und flehte mein Mitleid an und stürzte zu meinen Füßen. Ich drückte sie an mich, sie zitterte, die zarten Muskeln des Körpers spielten wie die leisesten Wellen eines Baches durcheinander. Unvermerkt sank sie auf ihr Bette und ich mit ihr, und nun verlohr ich alle Besinnung, ich sah nur den schönen Busen, unter dem zum Halse hinauf die feinsten blauen Adern liefen, ich versank in 188 ein Meer von Wollust, und dachte nichts, ich empfand nur sie, die holde, himmlische Rosaline, ein jeder Pulsschlag in mir jauchzte, wie Geistergesänge klang es um mich her, und wie ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohllaut stürmte es durch meinen Geist.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß liegen, kein ander Gefühl giebt uns Befriedigung, kein Genuß des Geistes erquickt uns. Nur hier, hier versammlet sich alles, was durch unser ganzes Leben an Freuden und seeligen Empfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerstreut liegt. Nur dies ist der einzige Genuß, in welchem wir die kalte, wüste Leere in unserm Innern nicht bemerken, wir versinken in Wollust, und die hohen rauschenden Wogen schlagen über uns zusammen, dann liegen wir im Abgrunde der Seeligkeit, von dieser Welt und von uns selber abgerissen. – Nein, nur für sie, für Rosalinen allein will ich jetzt leben; Pietro ist ausgeblieben, und ich nehme sie mit mir, ich hab' es versprochen, nur ihr zu leben, und ich will ihr und mir mein Versprechen halten.

Alles dämmert vor meinen Augen, und ich sehe sie immer noch vor mir stehen, halb in sich 189 geschmiegt, halb an mich gedrückt. Nein, keine andre Erinnerung verdient seit diesem Augenblicke einen Platz in meiner Seele, – ich möchte zu ihr hinüber stürzen, aber die Mutter ist jetzt dort. – Ueber die elende Narrheit! daß es unsre sogenannte Tugend, unsre Lebensweise mit sich bringt, daß wir nicht so glücklich seyn dürfen, als wir seyn könnten! – Die Menschen haben ordentlich darauf studiert, alle ihre Freuden schon in der Geburt zu ersticken; da muß erst Hochzeit, Trauung gehalten werden, tausend unangenehme und widrige Sachen um sich her versammlet, Glückwünsche von alten Narren und Muhmen, damit ja das allerhöchste, der himmlischste Genuß im Menschen zum niedrigsten und langweiligsten Spaße herabgewürdigt werde, damit wir uns ja auf keinen Augenblick von dieser jämmerlichen Erde entfernen, und aus ihrem Dunstkreise von Armseligkeiten mit den Flügeln der Wonne hinüber heben.

Sie hätten sie sehn sollen, Rosa, wie Schaam und Wonne in den hellen Augen kämpften: wie sie mich zurückstoßen wollte, und doch nur fester an sich drückte; wie sie klagen wollte, und doch ihren Mund meinen wollüstigen Küssen darbot. – 190 Nein, bis jetzt hab ich noch nie diesen Genuß empfunden; das Vergnügen an anderen Weibern ist nur wie ein Vorgefühl, eine Ahndung dieser Seeligkeit. In den Armen der Blainville fühlt' ich nur den Anfang des Rausches, und log mir eine Entzückung der Götter; Reue und Ueberdruß bemeisterten sich meiner sehr bald. Laura, Bianka und alle übrigen dieser Zunft sind verworfene Geschöpfe, die ihre Entzückungen heucheln, und nach dem Preise erhöhn. – Rosaline, Rosaline ist das einzige Weib in der Welt, die übrigen sind ihr nur gleichsam nachgemacht. –

Ich fange jetzt würklich an, schläfrig zu werden; die Traumbilder, die mich begrüßen wollen, tanzen schon jetzt um mich herum, und necken mich. Alle haben die entkleidete Rosaline in ihrer Mitte. – Ich werfe mich aufs Lager. Willy, sey' ich, ist schon zu Bette gegangen; in Rom schlägt es drey Uhr. – Leben Sie recht wohl, lieber Rosa; ich beneide jetzt keinen Menschen, sondern bedaure sie alle. Noch nie hab' ich mich so darüber gefreut, daß ich Lovell hin. –

191 51.

Rosaline an Anthonio.

Ach, Anthonio, Anthonio! Komm doch sobald, als möglich. Ich getraue mich gar nicht, meine Mutter anzusehn; alles was ich sonst gern that, ist mir jetzt zur Last, mir ist, als gehört ich gar nicht mehr in dieses Haus. – Ich möchte einsam und unbemerkt im Winkel sitzen, und den ganzen Tag über weinen. Ach, Anthonio! was hast Du aus mir gemacht? – Ich lebte so still vor mich hin, und war mit allem zufrieden, und jetzt ist mir das ganze Haus zu enge, ich denke unaufhörlich an Dich und an gestern, und mit einer quälenden Unruhe; mein Herz schlägt schwer und gewaltsam. O komm heut recht früh, damit ich nur wieder ein paar Augen finde, die ich ansehn darf, und die ich, ach! so gern betrachte.

192 52.

Rosaline an Anthonio.

Und war das nun wohl recht gestern auf dem Spatziergange! Ich war in mir so froh und heiter, recht still und zufrieden, – und Du, – ach, Anthonio, Du weißt es gar zu gut, daß ich Dir nichts abschlagen kann, und das macht Dich so stark und dreist, weil ich nur zu schwach bin. Aber habe Mitleid mit mir. – Ach, was kann mir nun alles noch helfen? Meine Laute macht mir keine Freude mehr, meine Mutter ist mir oft in der Seele zuwider; und doch möcht' ich ihr manchmal um den Hals fallen, und ihr alles, alles sagen. Aber es hält mir die Zunge fest, es drängt mir in der Kehle, daß mir die Sprache versagt. Ich weine viel, und sie meynt, es sey um den armen Pietro. – Ach Anthonio, halte nur Dein Versprechen, ich beschwöre Dich bey der Mutter Gottes, denn sonst bin ich gänzlich verlohren.

193 53.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Wenn man recht froh und zufrieden lebt, in einer schönen Einförmigkeit, den einen Tag, so wie den andern, so schreibt man ungern, weil man nichts zu schreiben hat. Ich habe mich mit Rosalinen nun ganz gut eingerichtet, und ich fühle nach langer Zeit die schöne Behaglichkeit wieder, die Erfüllung aller Wünsche zu sehn, ohne jenen Sturm des Bluts, ohne jenes ängstliche Herzklopfen, das aus unserm Leben unangenehme Abschnitte macht. Jetzt aber fließt mir die Zeit ruhig vorüber, und jeder Spaziergang, fast jeder Besuch bey Rosalinen macht uns eine Gelegenheit, der Göttinn der Liebe ein Opfer zu bringen. Ich wäre ganz glücklich, wenn mich der Eigensinn und die Launen Rosalinens nicht zuweilen störten. Daß sich doch keine von den Armseligkeiten ihres Geschlechtes losmachen kann! Wir streiten zuweilen, und es ist nichts widriger, als ein Zank mit einem Mädchen, das man gern hat; alle wollen be194lehren; alle, selbst die unbedeutendsten, wollen hofmeistern. Bald bin ich ihr zu ernsthaft, bald zu vergnügt, an meinem Willy hat sie großen Antheil genommen, ich soll mit ihm, als meinem Vater, freundschaftlicher umgehn. Indeß, ich will mir meine angenehme Lage nicht verbittern. – Leben Sie wohl.

195 54.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe nach langer Zeit wieder einmal Laura und die schöne Bianka besucht. Mich wundert sehr, daß ich nicht schon eher darauf gefallen bin, meine Ergötzungen mannichfaltiger zu machen. Warum muß der Mensch selbst in seinen Vergnügungen einseitig und eigensinnig seyn? – Rosaline dringt jetzt in mich, daß ich sie heirathen soll, und ich glaube, unter solchen Umständen kann einem ein jedes Mädchen zuwider werden; dabey hat sie ihr kindliches unbefangenes Wesen verlohren, und spricht jetzt so altklug und überlegt. Lieber Freund! Wodurch entsteht doch die Philosophie unsrer Weiber? –

Mein Willy will nach England, und jetzt wäre die beste Gelegenheit, seiner los zu werden: einer meiner Bekannten reist dorthin, und will ihn herzlich gerne mitnehmen. Aber freylich würde denn mein ganzes Verhältniß mit Rosalinen gestört! Ich weiß noch gar nicht, wie ich das alles einrichten soll. – Kommen Sie doch nach Rom, ich beschwöre Sie, ich vermisse Sie bey jeder Gelegenheit.

196 55.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Ja ich will nur endlich kommen, denn es scheint mir selbst, als wenn Sie meiner bedürften. Lieber Freund, Sie sind in Ihren Briefen nicht mehr so aufrichtig, als Sie es anfangs waren; Sie fangen an, sich zu maskiren, aber ich sehe gar nicht warum. Schämen Sie sich zu gestehen, daß Ihre Leidenschaft nun nach dem Genusse nicht mehr jenes stürmende, drängende Gefühl ist, voller Ahndung und Ungewißheit? Sagen Sie es nur dreist heraus, denn die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, sondern an der Einrichtung unsrer Natur, der wir uns unbedingt unterwerfen müssen. – Erinnern Sie sich, was ich Ihnen mit prophetischem Geiste schon in einem meiner frühern Briefe sagte, daß man sich nie zwingen müsse, mit Enthusiasmus die Leere auszufüllen, die sich oft plötzlich in alle unsre Gefühle reißt, denn dies ist die höchste Quaal des Lebens, die wahre Tortur der Seele. Geben Sie sich und Ihren 197 Empfindungen nach, denn alle Ihre Schwüre, alle Ihre poetischen Betheurungen haben Sie im Grunde gar nicht gethan, sondern es sind nur nothwendige Aeußerungen des Gefühls, das Sie damals hatten; Sie haben nicht gesprochen, sondern Ihre Leidenschaft; diese ist jetzt fort, und mit ihr das Wesen, das Sie so sprechen ließ. – Doch mündlich ein Mehreres. In wenigen Tagen bin ich selbst in Rom; dann will ich doch auch Ihre Gottheit sehn und sprechen. –

198 56.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Rom.

Gottlob, Bruder, der Tag der Erlösung ist nun endlich da. Ach, mir ist recht froh und leicht, fast so, wie wenn ich manchmal von einem recht schlimmen Traume aufwache, und mich im warmen sichern Bette wieder finde; ich kann nun doch endlich nach England zurück reisen. Ein Franzose, ein Bekannter meines Herrn, auch so einer von den Herzensfreunden, reis't nach England; je nun, er ist immer noch gut genug, daß ich mit ihm reisen kann, und doch nun meinen lieben Bruder wiedersehe. Ich hätte auch hier das gotteslästerliche Leben nicht mehr aushalten können, das kannst Du mir glauben, lieber Thomas; ich war hier ganz, wie unter Heyden und Türken gerathen, und hatte keinen einzigen frohen Augenblick. Mein Herr ist verlohren, der böse Feind hat ihn gänzlich und ganz und gar eingenommen: lauter Unglück hat er angestiftet. Da ist hier ein armes, blutarmes und unschuldiges Kind, ein hübsches 199 Mädchen, die hat er verführt, das merk' ich so aus ihrem stillen, jammernden Wesen. Ich mag Dir nur nicht alles schreiben, wie ich es denke, und es ist Unrecht von mir, daß ich so denke: aber ich kann nicht dafür, lieber Bruder, die Gedanken kann man sich nicht geben und nicht nehmen, sie kommen ganz ungerufen, und quälen uns oft eben so, wie Mücken und Stechfliegen. Die sind sehr häufig, und auch so bey mir die schlimmen Gedanken. – Nun ich denke, Gott wird mich schon wieder zurecht bringen, sobald ich nur wieder auf unserm frommen, väterlichen Boden stehe. O wie freue ich mich, Dich und meinen alten Herrn, den guten Lord Lovell wieder zu sehn! – Grade, wie sich ein Kind auf den heiligen Christ freut, so ist mir zu Muthe. – Lebe wohl bis dahin, bester Bruder.

200 57.

Rosaline an Anthonio.

Wo bleibst Du doch, Anthonio, daß ich Dich gestern gar nicht gesehn habe? Willst Du mich denn ganz allein lassen? – Ach, ich habe viel zu Gott und seinen Engeln gebetet, aber mir ist keine Erhörung geworden, recht ohne Trost bin ich vom Himmel, wie eine Sünderin, abgewiesen. – Die Saiten auf meiner Laute sind gesprungen, und ich mag keine neue aufziehn: meine Laute, die ich von Kindheit auf kenne, die ich sonst so innig liebte. Siehst Du, so weit ist es schon mit mir gekommen. Die Thränen sind eine Gabe des Himmels, ich kann manchmal ordentlich gar nicht weinen, wenn ich es auch so gerne möchte. – O komm, komm, Anthonio, ich bin sonst wie ein Kind, das sich im Walde verirrt hat. Alles erschreckt mich, aber wenn Du da bist, ist es wieder wie ein Frühlingsschein um mich her. – Wenn ich Dich heut nicht sehe, kann ich wieder die ganze Nacht nicht schlafen; mir fällt so mancherley ein, wovor mir graut. – Ach, wohl dem armen Pietro, daß er todt ist! –

201 58.

Rosaline an Anthonio.

Ja wohl möcht' ich sterben, sterben, Anthonio. Du kömmst also nicht und siehst nach der kranken Rosaline, der Du sonst so viel von Deiner innigen Liebe vorgesprochen hast? – Ach, bleib noch ein paar Tage länger, und Du kömmst dann vergebens, um sie zu suchen. – Wer ist nun treulos? Hab ich es nicht immer gefürchtet, daß Du so seyn würdest? – Wenn ich erst todt bin, so will ich Dir erscheinen, Dich gewiß auffinden, und Deine Seele martern. – Dein Vater ist auch fort; Gott, wie mag das alles zusammenhängen? – Ich will den Brief zu Dir hinübertragen, ich weiß nicht, ob Du ihn erhalten wirst. Ach, was kann es mir auch helfen? – Mein Bild, das Du gezeichnet hattest, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte schon darauf getreten, es war ganz unkenntlich, ach, und es sieht mir jetzt gewiß sehr ähnlich. – Siehst Du, so ist Deine Liebe! Ach Anthonio, wenn Du schon so bist, welche Ungeheuer müssen dann die übrigen Männer seyn! – Ich 202 habe Dein Halstuch mitgenommen, und bewahr' es wie ein Heiligthum. – Ach Du geliebter Bösewicht, wohl versteh' ich es jetzt, was ich sonst nicht begreifen konnte, wenn Menschen sich vom Bösen versuchen ließen; Deine Gestalt, Dein Wesen hat er dann angenommen. – Ich kann nicht weiter, ich muß laut schluchzen; sollt' ich Dich denn auch heut nicht wieder sehn?

203 59.

Rosaline an William Lovell.

Ja, ja, nun ist mein Unglück gewiß. – Gott, ich werd' es nicht überleben. – Welche Ostern hab' ich gefeyert! es sind die letzten, das fühl' ich. – Du bist also nicht der, für den Du Dich ausgiebst? O Himmel! Mein Anthonio ist ein Betrüger! – Mein Anthonio? – Nein, Du bist nicht mein; Du bist mir fremd, Du bist vornehm, Du kannst nie der Meinige werden. Und jetzt könnt' ich Dich auch nicht mehr lieben. – Ach, wo ist alles, alles so plötzlich hingekommen, was ich für Dich empfand? – Hast Du mich denn wirklich nicht in dem Hofe der Peterskirche gesehn? O gewiß, denn Deine Augen waren immer nach mir hingerichtet. Aber Du schämst Dich jetzt meiner, – Du, – ich sollte Dich nicht so nennen, denn Du bist nicht meines Gleichen, Du liebst mich nicht. – Mein Herz klopfte ängstlich, – ich kannte Dich gleich am Ziehen der 204 rechten Augenbraune, an der Art zu lächeln, – an dem kleinen Flecke am Munde, ich wollte mich zu Dir drängen, ich konnte nicht; ich dachte in Ohnmacht zu sinken. – Ich konnte nicht den heiligen Vater ansehn, als er den Seegen sprach, denn ich sahe nur Dich, Dich einzig und allein in der ungeheuren Volksversammlung; meine Mutter stand hinter mir, und blieb zurück, als ich mich vordrängte. – Ach wohin wollt' ich mich drängen? – Lebe wohl, ich sterbe bald, der Seegen des heiligen Vaters ist meine Einseegnung zum Grabe gewesen. – Und Du warst so froh, – ach Anthonio, – vergieb, daß ich Dich immer noch bey diesem schönen Nahmen nenne, – Anthonio, – o was kann ich sagen! Mein Kopf schwindelt. – So eben sang meine Mutter still vor sich hin eins von unsern alten Liedern. – Ach, diese Lieder kennen mich nicht mehr, sie wollen mich nicht mehr trösten. – Nein, ich will auch nicht getröstet seyn, ich will verzweifeln, ich will wahnsinnig werden, und so zu Dir rennen, so Dir mit fliegenden Haaren wild vor die Augen treten, und Dich verlachen, wenn Du mich dann 205 nicht mehr kennst. – Ich glaube, mir ist im Kopfe eine Ader gesprungen, ich blute heftig, und bin wie betäubt. O Ungetreuer, mit diesem Blatte empfängst Du zugleich meine Blutstropfen; bald soll man meine Leiche vor Dir vorüber tragen; freue Dich dann Deines Werks! –

206 60.

Rosaline an William Lovell.

Verwünschungen, Flüche hinter Dir her! – Sie werden Dich ereilen und ergreifen. – Nein, ich kann nicht länger im Hause bey meiner Mutter bleiben, ich kann nicht länger in dieser Welt bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich an Dich erinnert. – Mir ist seltsam, ich will durch die Welt wandern, und Dich suchen, und wenn ich sterbe, sieh! dann treff ich Dich doch jenseits, denn Du mußt auch sterben; da kannst Du meinen Vorwürfen nicht entlaufen. – O weh Dir, Anthonio, daß Du sterben mußt; dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Sünden, aller, von der kleinsten, bis zur größten, verlesen. Mir ist der Tod ein Trost, Dir wird er wehe thun. – Ich hab' es schon lange heimlich geglaubt, aber keinem Menschen und auch Dir nicht sagen mögen, daß Du an Pietro's Tode Schuld bist. – O wehe Dir, wenn es so ist! – Ich werde hingejagt vom unbekannten Geiste in Tod und Grab, es brennt in 207 meinen Eingeweiden, und die Fluthen der Tiber sollen diese Flammen löschen. – Aber ich muß Dich noch sehn vorher, ich will Dir Deine Briefe zurück bringen; – ich will – ach, ich weiß selbst nicht, was ich will; sterben gewiß.

208 61.

Leonore Silva an William Lovell.

Ach, gnädiger Herr! Sie verzeihen es wohl einer alten Frau, wenn sie sich untersteht, Ihnen zur Last zu fallen. – Meine Tochter, die letzte Stütze meines Alters, ist todt; Gott mag ihrer Seele gnädig seyn! Sie ist in die Tiber gesprungen, gestern am Abend; vorher ist sie die ganze Stadt durchlaufen, und hat immer nach Ihnen gefragt. Auf der Brücke nach St. Angelo stand sie endlich still, und sah in's Wasser, sie deutete auf den Mondschein, und sagte: sie wolle jetzt in das goldene Paradies; ein Mann, der dort stand, hat es ganz deutlich gehört: so stürzte sie sich vom Geländer hinunter. – Man zog sie todt ans Land. – Ach, lieber gnädiger Herr, nun bin ich ganz verlassen, erzeigen Sie mir doch die Ehre, mich noch einmal zu besuchen, und eine arme, alte, verlaßne Frau etwas zu unterstützen. – Verzeihen Sie meine Dreistigkeit, der Kummer hat mich ganz niedergebeugt. Gott sey Rosalinens Seele gnädig; ich bete fleißig einen Rosenkranz zu ihrem Heil.
 

209 William Lovell.

Zweytes Buch.

211 1.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Wenn man sich noch einige Zeit nach dem geendigten Schauspiele verweilt, wie dann der Vorhang wieder in die Höhe geht, und einzelne Stücke von Dekorationen an den kahlen Wänden hängen, Waffen und Rüstungen zerstreut auf dem Boden liegen, die emsigen Aufseher die Lichter auslöschen und sammeln, hin und wieder ein schlechter Schauspieler noch mit tragischem Schritte auf- und niedergeht, und seine Rolle nicht vergessen kann: so, Rosa, in diesem armseligen Lichte erscheint mir jetzt das Leben. Alles sieht mir so abgetragen und dürftig aus. Die Menschen sind mir nichts als schlechte Komödianten, Tugendhelden oder witzige Köpfe, Liebhaber oder zärtliche Väter, nachdem es ihre Rolle mit sich bringt, die sie so schlecht, wie es nur immer 212 eine wandernde Truppe thun kann, zu Ende spielen. Auch ich bin unter dem Haufen einer der Mitspieler, und so wie ich die andern verachte, werde ich wieder von ihnen verachtet.

Warum schlagen so oft die höchsten Wogen in unsrer Seele, und dann so plötzlich ein träger dumpfer Stillstand? So wie das moosige, schlammige Gestade bey der Ebbe. – O ich möchte mir wieder Stürme in diese träge Blutmasse wünschen, Gefühle, die die Thränen aus ihren tiefen Kerkern reißen, Seufzer und Schmerz, Quaal und Wollust, um wieder in den Kreis der übrigen Menschen zu treten, den ich jetzt aus der Ferne anschaue und verachte.

Willy und sein altes, gutmüthiges Gesicht fehlt mir in jeder Stunde, er war sehr froh, daß er sein Vaterland wieder sehen sollte. Wie gern sich der Mensch doch an Erinnerungen und leblose Gegenstände fesselt, und jeden Berg und einheimischen Baum für einen Freund und Wohlthäter ansieht!

Rosalinens Mutter ist befriedigt, und alles mit ihr abgethan, ich glaube, sie wird nicht lange leben, und also auch meiner Unterstützung 213 nicht auf lange bedürfen, sie war sehr schwach, als ich sie sah. – Wie die Fäden eines Weberstuhls flimmert und zittert das menschliche Leben vor meinen Augen, ein ewiges Wechseln und Durcheinanderschießen, und dabey doch das langweilige, ewige Einerley!

214 2.

Rosa an William Lovell.

Rom.

Ja wohl, lieber Freund, es ist um die Menschen ein seltsames Ding! Ein Räthsel, das keiner je ganz auflösen wird. Es quält und ängstigt den Geist; indessen müssen wir wenigstens so viel zugeben, daß es ihn eben deswegen auch beschäfftigt und unterrichtet, wir müssen uns nur nie scheuen, einen Gedanken ganz zu Ende zu denken, unbekümmert, wohin er uns führen könnte. Sie fühlen es jetzt recht lebhaft, wie alles, was wir wissen und glauben, Nichts sey, aber bemerken Sie nur auch, wie Ihre Zweifel und Ihre nüchternen Gefühle, die daraus entstehen, ebenfalls nichts Festes, Unwandelbares sind. – Alles geht und zieht durch unsern Busen, alle Eindrücke existiren für uns nur, in sofern sie ihre Spuren zurück lassen: aber eben dies sollte uns bewegen, nie ganz und einzig in der Gegenwart zu leben; denn sie ist in unsrer Existenz das Unzuverläßigste.

Besuchen Sie mich heut wieder vor dem 215 Thore in meinem Garten, wir wollen mündlich ein Mehreres darüber sprechen, seit ich neulich Rom verlassen habe, habe ich vieles gelernt und erfahren, und manches ist in meiner Seele wankend gemacht, was ich noch vor kurzem für felsenfest hielt.

Ich habe Ihnen noch einen kleinen Vorfall nicht erzählt, den ich jetzt in der Eile nachholen will. Ich sprach Rosalinen im heftigsten Ausbruche ihres Kummers; sie war wirklich schön: bald ward sie zutraulicher, da sie hörte, ich sey Ihr Freund, und so gelang es mir unvermerkt, sie von ihrem Kummer etwas abzuziehn, und eben die Freuden bey ihr zu genießen, die Sie mir damals so poetisch beschrieben haben. – Ich mag nichts weiter hinzusetzen. Lieber Freund, was ist der Mensch? Auch davon heut Abend ein Mehreres.

216 3.

Eduard Burton an William Lovell.

Bonstreet.

Indem ich diesen Brief anfange, William, weiß ich nicht recht, was ich Dir sagen will, noch weniger, wie ich es Dir sagen soll. In meinem Sinn und Herzen liegt alles hell und klar, meine Meinung ist nicht Sophisterey oder Leidenschaft, die mir der Moment eingiebt, sondern meine Ideen sind gleichsam Ein Strom, der in der fernsten Kindheit entspringt, und so in gerader Richtung durch mein Leben fließt. Deine Gedanken sind einzelne Fragmente, die Dir vielleicht in der jedesmaligen Stimmung unumstößlich scheinen, weil sie eben durch diese Stimmung hervorgebracht sind, die Dir aber vielleicht selbst am folgenden Tage unverständlich sind. Du verachtest mich gewiß, wenn ich von Grundsätzen rede, nach denen man handeln müsse, aber seit ich Dich genauer kenne, ist diese Ueberzeugung eben durch Dich bey mir um so lebendiger geworden: diese Grundsätze müssen gleichsam der Faden seyn, an den w[i]r 217 unsre übrigen Gedanken und unsteten Empfindungen reihen, und der sie alle regiert. – Widerlegen kann ich Dir Deinen Beweis nicht, daß kein Mensch den andern verführen könne, aber, so wie mich dünkt, bedarf er auch keiner Widerlegung. Der Mensch fühlt den Einfluß andrer, ja selbst der leblosen Natur auf sein Herz und seinen Verstand viel zu sehr, als daß er sich je diesen Einfluß abläugnen könnte. Du behauptest zwar, daß Alles, was der Mensch denkt und empfindet, schon von je in ihm gelegen habe, und daß die äußern Gegenstände nur verächtliche Zufälligkeiten sind, daß alles dies grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm geweckt werde: daß ein unschuldiger Mensch nie schuldig werden könne, so wie der eigentliche Bösewicht nie rein gewesen sey: – bist Du wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier mit Deiner sophistischen Freygeisterey die gräßliche orthodoxe Prädetermination der Seelen vertheidigest? Du gestehst immer, und es ist Dein Glaubensbekenntniß, daß der Mensch nichts wissen könne, und doch willst Du dies so genau wissen? Wenn Du an allem zweifelst, so müssen Dir eben deswegen auch Deine Zweifel 218 verdächtig werden, und so kämest Du denn vielleicht auf einem mühseligern Wege zu demselben Punkte, auf welchem ich stehe: daß sich der blödsichtige Mensch gewissen Gesetzen, die ihm sein Genius aus dem Herzen zuruft, blind unterwerfen müsse. Glaube wenigstens, daß der Mensch unmöglich so seyn könne, wie er Dir erscheint, wenn Du ihn mit Deinen Sophismen anatomirst, Du siehst dann zwar lauter wirkliche Bestandtheile, aber eben deswegen, weil Du ein Ganzes in Theile zerlegt hast, ist es nicht das Ganze mehr. Daher sind alle Deine Folgerungen gar nicht auf den Menschen anwendbar, er ist nicht so, trotz dem, das Du behauptest, er müsse so seyn, und darum kann ich mich von Deinem neulichen scharfsinnigen Beweise so wenig überzeugen, daß ich Dich vielmehr vom Gegentheile überzeugen möchte.

Vergieb mir meine Weitschweifigkeit, und daß ich, um Dich zu überführen, selbst in den spitzen getadelten Ton Deiner Briefe falle: ich weiß, alles, was ich sage, ist unnöthig, denn Du glaubst Deine Behauptung nicht, ich sage alles dies blos, weil mich eben Dein neulicher Brief von der Sache überzeugt hat, die er wi219derlegen sollte, daß Deine Gedanken nur die Wiederholung fremder sind; schon daß Du über eine blos hingeworfene Idee einen eigenen Brief schreibest, hat mich davon überführt. – Aber vergieb mir, denn ich will Dir nicht gern wehe thun.

Ach ich sollte in einem ernstern Tone, mit tiefer Trauer sprechen, denn welche Nachricht hab' ich Dir zu hinterbringen! – Dein Vater ist nicht mehr, Gram und Krankheit haben endlich seinem mürben Leben ein Ende gemacht, das gleichsam nur noch an Einem Faden hing. – Ach, William, ich kann Dir unmöglich alles sagen, was ich denke. – Mit weinenden Augen habe ich die Papiere gesiegelt, die ich Dir hierbey überschicke, halte sie in Ehren, denn es sind die letzten Federzüge Deines Vaters, er muß oft in seinen einsamen Stunden nach Dir hinübergedacht, nach Dir sich hingesehnt haben. – Auch mein Vater ist jetzt krank, und ich habe viel mit seiner Pflege zu thun; ach, William, wenn man fürchtet, daß jemand, den wir so wohl kannten, nun von uns scheiden will, nach einem unbekannten Lande hin, und er selbst uns dann fremde wird, – o dann ma220chen wir unsre Liebe und Sorgfalt doppelt, wir vergessen uns selbst, und eben deswegen vieles, was wir ehedem an ihm tadelten, – –

Amalie Wilmont ist mit Deinem Freunde Mortimer verheirathet. Ich weiß nicht, wie Du diese Nachricht aufnehmen wirst; mir ist oft wie einem melancholischen Zuschauer zu Muthe, der im Schauspiele mit Widerwillen den Schluß des Stücks herannahen sieht, wie sich alles verläuft, die Hauptpersonen ausbleiben, die muntern Scherze schon erstorben sind, – endlich fällt der Vorhang, und unsre Freuden, unsre Theilnahme, unser Leben, alles, was wir hatten, ist dahin! –

221 4. Einlage des vorigen Briefes.

Die größte Schwachheit des Menschen ist, Plane für die Zukunft zu machen, und doch besteht darin das Leben: auf nichts sollte man vertrauen, denn nie entspricht die Zukunft unsern Erwartungen, wenn sie zur Gegenwart wird, und wir selbst und unsre innersten Empfindungen sind eben so gut dem Wechsel unterworfen, wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach mein Sohn, könnt' ich Dich nur in meine Arme schließen, wie froh wollt' ich denn darüber seyn, daß ich von meinem Traume erwacht bin! –

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Wie alles von mir zurück weicht, was mich sonst aufrecht erhielt! Meine Hände zittern, mein Gedächtniß wird schwach, und alle schönen Vorstellungen verfliegen, wie die Dünste eines Rausches. Mein ganzes Leben liegt wie ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintaumelte, ohne Besinnung da lag, und mich jetzt 222 mühsam an den feuchten Wänden zum Lichte empor arbeite.

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Nein, ich kann den Tod nicht fürchten, der mir in jeder Stunde näher tritt, ich sehe ihm mit festen Augen, ja mit einer Art von Sehnsucht entgegen. Jeder Klang ist versunken, nur eine innige Wehmuth schlägt unermüdet ihre Töne in mir an, so wie sich jedes fröhliche Geräusch in den ziehenden ernsten Kirchengesang verliert. Alle Gedanken sind nach dem Grabe hingerichtet, Sonnenaufgang und Untergang, alle Erscheinungen der Natur sind mir Bothen, die mich dorthin rufen. – Ich begreife die Verändrung nicht, die in mir vorgegangen ist, vieles steht verjüngt, wie in der Kindheit vor mir, ja ich bin wieder zum Kinde geworden, und gehe nun durch dasselbe rosenrothe Thor wieder aus dem Leben hinaus, durch welches ich eintrat. So ist mein ganzer Lebenslauf nur ein Kreis gewesen, indem ich immer glaubte, in grader Richtung fortzugehen. Die Welt mit allen Freuden und Leiden liegt hinter mir, wie ein weites Gebirge, das der Nebel unkenntlich macht, nur das Thal, in welchem ich Ruhe 223 finden soll, seh ich deutlich vor mir. Schwarze, im Winde flatternde Todtengewänder mit tiefen steifen Falten, Gräber und Todtengerippe stehn vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie sonst, davor entsetze: ist nicht alles um uns her Tand und Spiel, womit wir uns so ernsthaft beschäfftigen? Wie wir die Trümmern alter Palläste besuchen und ausmessen, so sollten wir mit Künstleraugen das Knochengebäude des Menschen betrachten, und das erhabene Kunstwerk bewundern, von dem uns dort in nackter Entblößung gleichsam die Latten und Grundlinien hingelegt sind, wie die Contoure einer Zeichnung neben dem Menschen, dem vollendeten Gemählde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir den Körper ab, Blumen, Gräser und Insekten nähren sich von unserm Stoff, so wie wir von der Pflanzennatur unser Daseyn erbetteln, aber der Geist schwingt sich aufwärts, und sieht mit Ruhe auf die Verwesung seines Körpers hinab.

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O könnt' ich den raschen Jüngling, könnt' ich Dich lieber Sohn nur einen Blick so in die Welt und ihren durch einander gezogenen ver224wirrten Wirbel hinein werfen lassen, wie ich jetzt alles sehe. Der Künstler wirft oft eine wunderbare Erleuchtung in unsre Seele, indem er längst bekannte und oft gesehene Gegenstände in seinem Gemählde so ordnet und zusammen stellt, ein eignes Kolorit und seltsame Zufälligkeiten hinzufügt, daß seine Darstellung eine neue und wundersame Bedeutung erhält. Aber für meine Gefühle und Ideen hat die gewöhnliche Sprache, das fühl' ich, gar keine Worte, ich müßte eine Art von Gedicht schreiben, um Dich etwas näher in meine Atmosphäre zu ziehn, so wie vielleicht alles recht Gute und Verständige immer ein Gedicht seyn müßte, weil das, was den Menschen ganz befriedigen soll, sein Gefühl und seinen Verstand zugleich ausfüllen muß. Reine Sätze der Vernunft auf die gründlichste Weise hintereinander gestellt, lassen die größere Hälfte im Menschen leer, und noch Niemand ist auf diese Weise geändert oder gebessert worden. Könnt' ich Dir doch, wie durch tausend Hohlspiegel, das Bild so zuwerfen, wie ich es vor mir sehe, o William, Du würdest es nicht der Mühe werth finden zu leben, alles das tief verachten, was die gewöhnlichen Menschen Fröh225lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht mich ernsthafter, als ein lachendes Gesicht, als jene hohe Festtage im menschlichen Leben, wo man recht darauf sinnt, und sich zwingt, alles Gewöhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider veralten ebenfalls, und werden verächtlich in einen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen für Tropfen unmerklich und unaufhaltsam fort, und alles ist dann leer und vorüber, in den Wind zerstreut und verflogen, daß der Mensch sich wie berauscht umsieht, und nicht begreifen kann, wo alles ihm unter den Händen fortgekommen ist, was er innig an sein Herz geheftet glaubte. – Ein Bauer hat heute hier in meinem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor meinem Hause vorüber, und ich mußte ihnen aus dem Fenster Glück wünschen, ja die freudetrunkenen Menschen ließen mir nicht eher Ruhe, bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um an dem Getümmel, an den Anstalten, die schon seit Wochen gemacht waren, und nun endlich, endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil zu nehmen. Für die beiden Neuvermählten war dieser Tag nun der wichtigste, seit die Welt steht; sie meynen, daß von diesem Tage ein 226 Abschnitt durch die Zeit in ganz Europa gehe, daß alles um ihre Hochzeit wisse, und jede Seele sie beneide: sie geben sich der stürmenden Freude und dem lauten Lachen Preis, ach! und bedenken nicht, daß sich alle Empfindungen, frohe und traurige, in uns, wie in einem Behältnisse sammlen, daß dies Vermögen ihrer Fröhlichkeit in einigen Stunden verschwendet wird, und daß sie dann in einer nüchternen Leerheit darben, und fröhliche Minuten erbetteln, die sie jetzt wegwerfen. Wenn ihr bey der Feldarbeit schwitzt, und unter dem Joche der Dürftigkeit seufzt, ach so werdet ihr sehr bald den heutigen Tag vergessen, eure Kinder werden euch nicht so entzücken, als an dem Tage ihrer Geburt, wenn sich nach und nach die Leiden entwickeln, die ihr um ihrentwillen duldet; die seidnen schöngeschürzten Quäste auf eurem Bette werden alt und unkenntlich, und den Kindern zum Spiele heruntergerissen werden, die die Braut gestern mit so emsiger Zierlichkeit aufsteckte, die neugeweißte Stube wird von der Lampe und vom Feuer schwarz geräuchert, eure glatten Gesichter legen sich in Falten, Zwietracht und Zank, Krankheit und Gram hemmen den Strom eures Le227bens, der euch jetzt so eben und glänzend erscheint. – Ach William, ich dachte an den frohen Tag zurück, der mich mit Deiner Mutter verband; wie alles sich verwandelt hat, und nichts in mir dem Lovell ähnlich sieht, der ich an jenem Tage war. Und doch, William, wenn ich Dir nur die Anstalten zu Deiner Hochzeit hätte besorgen helfen, ach ich wäre gewiß schwach genug gewesen, alles zu vergessen, und in der Einfalt des menschlichen Herzens zu glauben, die Natur schließe uns von ihren harten Gesetzen aus, und alles werde so golden und freundlich bleiben. – Und ist dies auf der andern Seite nicht vielleicht die höchste Weisheit des Menschen? Muß ich nicht vielleicht alle Zirkel um mich her aus meinem Mittelpunkte ziehen? –

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Ich will immer anfangen einen Brief an Dich zu schreiben, und nehme die Feder und schreibe mancherley nieder, und vergesse Dich dabey. Dann fällst Du mir plötzlich wieder ein, und der ganze Brief wird dann durch einen Zufall abgebrochen, und es ist mir unmöglich den Faden wieder zu finden. So habe ich schon einige Blätter vollgeschrieben, aber ich habe sie 228 vergebens gesucht. – Wenn ich die Augen zumache, unterrede ich mich mit Dir und trage Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich finde dabey nichts zu lachen, denn was thun unsre Briefe denn anders? Vielleicht daß sich in einem andern Leben die entfernten Gedanken schneller und edler zusammenfinden, als durch Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir dann erst besitzen, was wir jetzt nur zum Lehn erhalten haben; vielleicht thut sich uns dann das Verständniß auf, daß alle, alle Menschen das Gute wollten und hatten, aber daß die grobe unbeholfene Außenseite nicht gelenk genug war; und so finde ich denn, William, daß Du mir auch jetzt nicht entfremdet bist. Der Gedanke beruhigt mich, und macht mich heiter. –

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Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus der fernen Gegend herüber! – Wie ich mich hinsehne, wie sich oft mein Geist in mir ausstreckt, als wenn er zu Dir hinüberreichen wollte. Ich erinnre mich mancher Kindermärchen, und kann Stundenlang an das Wünschhütchen denken, das einen plötzlich von einem Orte zum 229 andern versetzt; dann könnt' ich Dich sehn und an Deinen Hals fliegen. Aber es ist unrecht, daß Du mir nicht schreibst; wodurch hab' ich das um Dich verdient? – Kannst Du noch immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater zürnen? – Ich habe Dich schon um Verzeihung gebeten, und will es noch einmal thun. –

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Mir sind die Schilderungen der Schlachten nicht fürchterlich, die sonst so leicht unsre Phantasie erschrecken. Hier fällt ein Mann zur Rechten, dort zur Linken, streifende Kugeln quetschen ganze Glieder nieder, Köpfe und blutbesprützte Arme liegen umher, und der Soldat marschirt mit geradem Sinn den Gefahren entgegen, sieht nicht nach seinem Kameraden links, nicht nach seinem gefallenen Bruder zur Rechten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. – Ich kann diesen Muth nicht bewundern, denn thun wir alle etwas anders im gewöhnlichen Leben? – Freunde sterben zur Rechten und zur Linken, und wir gehn dreist und grade fort, als würde uns der Tod niemals ereilen: wir erschrecken nicht vor dem Gifte, das diesen und 230 jenen wohl von uns Gekannten hinrichtete. Wir haben nur unsre Plane und Entwürfe im Auge, ach und bemerken es nicht, daß die Zeit hinter uns schleicht, und uns unvermerkt in Staub und Asche verwandelt. O wehe der menschlichen Eitelkeit! Wohl dem, der sich aus dem Strudel rettet, der uns alle mit sich fortwälzt! – Die höchste einzige Weisheit des Menschen ist: nicht diesem elenden Götzen zu opfern, dem, wie dem Molach [sic], alle unsre Kinder in die glühenden Arme gelegt werden. – Ach William, es giebt kein einziges ernsthaftes Geschäfft in dieser Zeitlichkeit, als zu sterben.

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Ach ja wohl könnte der Mensch viel besser seyn, wenn er immer in sich den kurzen Raum des Lebens bedächte. – Wie würden wir alles mit Liebe umfangen, wie warm jedem Gegenstande, dem wir nahe sind, die Hand drücken, wenn wir immer bedächten: ach, auch dieses Gebild zerfällt in kurzem, und Du weißt dann nicht, wohin es gekommen ist; es sehnt sich nach Deiner Liebe, o gieb sie ihm, so lange Du es noch vor Dir siehst. – Mein Vater 231 steht jetzt vor mir, und mahnt mich an allen Gram, den ich ihm so oft ohne Ursache machte, wie wenig ihm mein Herz in so manchen Stunden entgegen kam. Auf seinem Sarge und jetzt hab' ich es recht lebhaft gefühlt, wie viel ich ihm hätte seyn können. – Auch Du, William, wirst einst nach mir in den Wind seufzen, und meinen Grabhügel fragen, ob ich Dir denn auch ganz und aus vollem Herzen vergeben habe; ja, ja, geliebter Sohn, laß keinen Seufzer der Reue dann in Deinem Busen aufsteigen; ach freylich habe ich in manchen Stunden sehr auf Dich gezürnt, aber alles, alles ist jetzt fort, und mein Herz ist nur mit reiner Liebe angefüllt.

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Ich habe einen Blick hinab ins Thal des Todes gethan, und nun taumeln alle Wesen dieser Welt nüchtern und leer meinen Augen vorüber. Alles sind nur Larven, die sich einander selbst nicht kennen, wo einer dem andern vorübergeht, und ihm ein holes Wort giebt, das jener durch ein unverständliches Zeichen beantwortet. – Wie wüst' ist mir seitdem, und wie alles durch einander verworren! alles wie 232 trübe und unkenntliche Schatten eines veralteten Gemähldes. – Ich weiß mich kaum noch des gestrigen Tages zu erinnern, in der Zukunft wandelt mein Geist, wie einen Fremden betrachte ich mich selbst, und wünsche den Augenblick meines Todes.

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Nur Dich, William, vermiß ich noch, sonst nichts in der Welt, ich übersehe mein Leben und alle meine Erfahrungen gleichsam in einem Register. Unsre heftigen Begierden, unsre Entzückung und Verzweiflung entsteht nur daher, weil wir uns selbst und den kleinen Punkt unsers Lebens, auf dem wir grade stehen, zu sehr vor Augen haben, über unser kleines Unglück denken wir nicht daran, daß in demselben Momente viele Tausende unendlich elender sind, als wir, daß sich der Nachbar indessen freut, und in dieser Frölichkeit vielleicht schon unbemerkt die Quelle künftiger Trübsale sprudelt. – Alles ist mir jetzt gleich, nur nach Dir sehnt sich noch mein schwaches, väterliches Herz. – Du bist krank, mein Sohn, es leidet keinen Zweifel, sonst würdest Du schon vor mir stehen. –

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233 Mein Herz arbeitet schwer in mir, – nur unwillig thut es die letzten mühseligen Schläge, der Tod hat es mit seiner kalten Hand berührt, und die Lebenskraft hinweggenommen, – das Licht des Tages flieht. – Lebe wohl. –

234 5.

William Lovell an Eduard Burton.

Rom.

Ja wohl verfliegt alles und geht hinweg, und ich bin der betrübte Zuschauer des Possenspiels. Mein Vater ist also todt, und Amalie verheyrathet? – O möge es beyden gutgehen, das ist alles, was ich zu dieser Nachricht sagen kann. – Was ist es denn nun mehr? Ist es nicht so, und muß es nicht so seyn? – Der Thoren, die sich die Haare ausraufen, wenn ein Vorfall eintrifft, der nothwendig ist, und der in der Natur der Dinge gegründet liegt! Tod könnte nicht ohne Leben und Leben nicht ohne Tod seyn. – Mag es dahin gehn, was mir einst so werth und theuer war, denn was können wir in dieser Welt unsern Besitz nennen?

O ihr Menschen mit euren gepriesenen Grundsätzen! den Pfeilern, an denen ihr euch lehnt, und die sogenannten schwächeren Menschen um euch her verachtet! – Was ist denn diese eure gepriesene Vernunft? Diese Seelenstärke, mit der ihr euch brüstet? Alles ist nur Feigheit, 235 weil ihr euch selbst und euren Gefühlen nicht vertraut; oder vielmehr ihr habt kein Gefühl, aller menschliche Instinkt ist in euch untergegangen, und ihr behelft euch nun mit elenden Formeln, die ihr mühsam erfunden habt, um eure Blöße zu decken!

Welcher Mensch ist denn der edlere – derjenige, der stets nach dem Gefühle handelt, das ihn grade in diesem Momente beseelt und ergreift, das ihn wie ein Gott im Busen vorwärts treibt, und er nun geht, ohne mit feiger Aengstlichkeit hinter sich zu blicken? Oder der, der nur als ein Sklave nach einem Gesetze sucht, nach dem er handeln müsse, weil es ihm lästig fällt, frey zu seyn, und er also auch die Freyheit nicht verdient? Der Mensch ist nur denn geadelt, wenn er aus stillen unbewußten Gefühlen auf die Art gut ist, wie das Thier durch Instinkt, Nahrung und Gesundheit erwirbt, wie die Pflanze von innen herauswächst, wider ihren Willen. –

Die Grundsätze werden von den Menschen nur erfunden, um in einer trägen Bequemlichkeit ihr Leben so vor sich hin zu treiben, und in jedem Moment das Ganze übersehn zu kön236nen. Sie haben es in irgend einem Augenblicke ihres Daseyns recht lebendig gefühlt, daß kein Gedanke und keine Vorstellung fest und unerschütterlich in uns stehen, daß eine strömende Empfindung, die oft plötzlich hereinbricht, das niederreißt und hinwegführt, was oft seit Jahren mühsam aufgebaut wurde; darum haben sie etwas erfinden wollen, was die Gefühle wie mit eisernen Klammern an einander hält, sie haben die meisten Saiten der Laute zerrissen, um alle Töne im Gedächtnisse zu behalten, und sich durch keinen Klang überraschen und verwirren zu lassen. – Aber wohl dem Menschen, der diese dürre Bahn verläßt, auf der er sich erniedrigt fühlen muß, der sich vor keinem Gefühl und Gedanken in sich selber entsetzt, der alle Seegel seines Geistes anspannt, und alle Flaggen im Winde fliegen läßt, ihm allein ist es vergönnt, sich selber und seine geheimen Wunder in der Brust kennen zu lernen; er findet tausend Widersprüche in sich selber, alle Töne schlagen in ihm an, und er bildet aus allen eine reiche Harmonie, die freylich dem gröberen Ohre unverständlich ist; er sammlet alle die Tausend der seltsamen Erfahrungen, um 237 sich endlich über sein eignes Wesen zu beruhigen.

Ich habe mit Andacht die Blätter von der Hand meines Vaters gelesen; seine Stimme tönt wie die Stimme eines unsichtbaren Geistes jenseit eines breiten Stromes zu mir herüber; er sagt in seiner Verklärung mit andern Worten eben das, was ich so eben behauptet habe. – O Du, der Du so sicher stehst, mit so vieler Eitelkeit Dich selbst und Deine Vollendung betrachtest, bedenke, daß wir allgesammt nur schwache Sterbliche sind, und so wie Du glaubst, daß ich endlich noch zu Deiner Meinung übertreten werde, so bin ich überzeugt, daß Dich nur Dein Eigensinn hindert, meine Gedanken für richtiger zu halten, als Du bisher gethan hast.

Ihr Edlen und Vollendeten! die ihr aus dem verklärten Himmel mit Hohn auf die Welt hinunterseht, und doch so sehr den gefallenen Engeln ähnlich seyd! – Glaubst Du nicht, daß ich Deinen ganzen Brief verstanden habe, selbst die Stellen, von denen Du vielleicht glaubtest, ich würde den Sinn, der sie niederschrieb, nicht entdecken? – Warum hast Du mir keine Sylbe 238 von dem verlohrnen Prozesse meines Vaters geschrieben? – Er ist verlohren, und mein Vater und Amalie sind mir auch verlohren! – Du konntest es aber nicht unterlassen, mir die Krankheit Deines Vaters zu melden, weil Dir die Hoffnung Deiner baldigen unumschränkten Freyheit zu sehr im Sinne lag; eine heimliche Freude führte bey dieser Stelle Deine Feder, das wirst Du mir nie abläugnen können, wenn Du aufrichtig bist. Um Dich aber vor Dir selbst zu rechtfertigen, gebieten Dir Deine Grundsätze die Wartung des Kranken, die Liebe eines Sohnes für ihn, – o mehr kannst Du ja gar nicht thun, Du beweinst dann noch seinen Tod, – und welch ein vortrefflicher Mensch bist Du nicht bey alle dem! – O hinweg mit diesen Grundsätzen, mit allen ähnlich klingendem Galimathias! – Larven, die den Eigennutz verbergen sollen, die der Dünkel erfunden hat, um sich zu verschönern. O glaube mir, man kennt die Menschen, wenn man sich selbst kennt. – Und ich kann Dir auch diesen Eigennutz, diese heimliche Freude nicht verübeln, nur hin ich verdrüßlich, daß Du alles so absichtlich zu verstecken suchst, und mit glänzendem Firniß anzustreichen.

239 Du ziehst Dich von mir zurück, seit unsre Meinungen sich getrennt haben, und Deine Freundschaft für mich entstand vielleicht blos, weil ich Deine Eitelkeit nährte. Ich schien ein so schönes Echo von Dir zu werden, eine Kopie von Dir, die das Original nur um so mehr heben sollte, Deine ganze Liebe äußerte sich im Hofmeistern, und eben darum wurdest Du eifersüchtig, weil Du in dem irrigen Wahne standest, ich spreche jetzt die Worte eines andern nach. – O welche Wuth hat die Menschen denn besessen, daß sie stets ihre Meinungen verbreiten wollen! – Daß sie aus allen, mit denen sie umgehen, Spiegel zu schleifen suchen, in denen sich ihre eigne werthe Person präsentirt! – Wo ist denn hier die reine, gepriesene Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch selber so augenscheinlich widersprecht!

Ach, wenn ich den trüben Strom meiner Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke, aus wie seltsamen Vorfällen sich so oft mein Leben zusammenfügte! Wie gedemüthigt stehe ich dann an denselben Plätzen, an denen ich mich ehemals so groß und edel fühlte, blos weil ich mir selber meine innern Empfindungen ab240stritt. – Eitelkeit, sagt' ich, verband uns vielleicht, und ich möchte jetzt hinzusetzen, daß ich nicht mehr daran zweifle.

Erinnerst Du Dich noch des Tages, an welchem zuerst aus einer langweiligen Bekanntschaft unsre sogenannte Freundschaft entstand? – Wir waren auf einem Spatziergange, es war ein schöner Tag, und wir bestiegen den Berg, auf welchem schauerlich und wild die Ruinen eines alten Schlosses liegen. – Du klettertest mir mit jugendlichem Muthe voran, um mich in der Kühnheit zu übertreffen, und mein Wetteifer vermehrte sich mit Deiner Geschicklichkeit. Wir standen oben, und sahen mit Entzücken in die romantische Gegend hinab; ich hatte Dich bewundert, aber Dir war es noch nicht genug, Du stelltest Dich jetzt auf den äußersten Punkt eines hervorragenden, zerbröckelten Gesteins, so daß mir hinter Dir schwindelte. Ich sah Dich frey in der Luft schweben, und eine unbegreifliche Lust ergriff mich, Dich von der Spitze des Felsen in die Tiefe hinunterzustoßen; je mehr ich mich dieser Begierde erwehren wollte, desto heftiger ward sie in mir; endlich um mich selbst zu überwältigen, riß ich Dich mit gewaltigen 241 Armen zurück, und schloß Dich an meine Brust, und weinte laut; Du weintest mit, denn Du glaubtest, meine Thränen wären nur Zeugen meiner Liebe, meiner Besorglichkeit für Dich; – und so band Dich ein bloßer, schrecklicher Irrthum an mich. Hätte ich Dir mein Gefühl gestanden; so hättest Du mich mit Abscheu zurückgestoßen, und einen verworfenen Menschen genannt: Du wärest von dem Augenblicke an mein Feind geworden. – Aber jetzt gesteh ich Dir dies Gefühl, weil Du doch immer so strenge Wahrheit verlangst; wie sich dieser ganze Brief in dem verkleinernden Glase Deiner Seele abspiegeln wird, kann ich nicht berechnen. – Wer sich selbst etwas näher kennt, wird die Menschen für Ungeheuer halten. – Lebe wohl. –

242 6.

Mortimer an Eduard Burton.

Roger – place
in Hampshire.

Ich vereinige meine mit Amaliens Bitten, um Sie zu bewegen, uns mit Ihrer Schwester hier auf einige Tage zu besuchen. Ich finde mich hier außerordentlich glücklich und froh. – Ach, lieber Freund, folgen Sie meinem Beyspiele, verlieben Sie sich, und heirathen Sie dann, dies ist die schönste Epoche, das fühl' ich jetzt innig, die der Mensch erleben kann. Mag man doch vom Genusse der Philosophie und von den wunderbaren Empfindungen, die uns das Studium der schönen Wissenschaften gewähren soll, sprechen, was man will, es giebt immer Augenblicke im Leben, in denen der Mensch die Leere fühlt, die ihn dabey umgiebt, wie wenig alle seine Beschäfftigungen mit ihm selbst zusammenhängen. Aber wenn zwey Seelen mit einander verbunden sind, und der eine den andern mit jedem Tage mehr versteht, und sich ihr Band immer fester schlingt, wenn man selbst 243 neue Schwachheiten entdeckt, und dabey doch sieht, wie innig diese mit den Vortrefflichkeiten zusammenhängen, – o so fühlt man sich fest an diese Erde gekettet, auf der man vorher nur Gast und Fremdling war. Der Baum, der schon verdorren will, und den der Gärtner nun plötzlich in andere fruchtbare Erde setzt, so daß sich seine Wurzeln mit neuer Kraft ausstrecken und durch den Boden schlagen, diesem Baume muß ohngefähr so zu Muthe seyn, wie mir jetzt gegen ehedem in meinem freyen Stande war, als ich mich noch für nichts, als für mich selbst interessirte.

Lächeln Sie immerhin über mich, was thut es mir? Nennen Sie mich einen Schwärmer, und ich will Ihnen danken. Zeigen Sie mir den Menschen, der im Grunde nicht schwärmt, wenn er sich froh und glücklich fühlt.

Ich weiß es selbst recht gut, daß, so wenig ich auch eigentlicher enthusiastischer Verliebter bin, ich doch selbst nach einigen Monathen noch etwas kälter sprechen werde, als jetzt; aber wahrlich blos darum, weil ich mich dann an mein Glück schon etwas gewöhnt habe, nicht, weil ich es weniger innig fühlen werde. – Ach, wir wol244len lieber die ganze Untersuchung fahren lassen, so sehr der Mensch auch dahin neigt, alle seine Empfindungen zu zergliedern, ob sie es gleich nicht vertragen wollen.

Daß die meisten Leute in einem bejammernswürdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit für hohe Liebe und für das Ebenbild der Gottheit halten, ist gewiß, und hat mir selbst ehedem zu manchen witzigen Einfällen Gelegenheit gegeben: aber die Zeit ist jetzt vorüber, wo mir der höhere Mensch nicht denkbar war, der beide Empfindungen in eine verbindet, und eben dadurch beyde veredelt. Wenn der Mensch sich in keiner Stunde durch diese Verbindung gestöhrt fühlt, dann glaub' ich hat er seine schönste Vollendung als Mann erhalten, er ist über niedriger Wollust und über schaaler, fein ausgesponnener und langweiliger Zärtlichkeit gleich weit erhaben.

Mein Landsitz begrüßte uns mit einem der schönsten Tage, als wir hieher zogen, und das Wetter ist sich seitdem fast gleich geblieben. Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens und einer schönen Einförmigkeit ein, die in der Ferne oft so langweilig aussieht, aber nur des245wegen, weil sie nicht wie eine Weyhnachtspyramide mit Freuden ausgeputzt ist, die ins Auge fallen; aber der stille, leise Genuß, der unser Herz ausfüllt, ohne daß es selbst der Gegenstand unserer Liebe weiß, dies ist eigentlich die reinste Freude dieser Erde, durch keine Worte und durch kein Klapperwerk entweiht. Candaules fühlte sich gewiß nicht glücklich, als er durchaus einen Zeugen seines Glückes haben wollte: in den meisten Fällen ist eine solche stürmende Prunkglückseligkeit nur Eitelkeit; wir sind nur glücklich, damit uns andere beneiden sollen. – Hinweg damit, und hinweg mit aller Deklamation darüber! –

Kommen Sie und sehn Sie mich selbst und mein kleines Paradies um mich her; Neid, mehr zu besitzen, Widerstreben gegen eine Eingeschränktheit, die uns doch so wohlthätig und nöthig ist, diese Laster sind es, die jeden Menschen aus seinem Paradiese vertreiben, das er sonst ungestört genießen könnte: ach, und wer einmal über die glückliche Gränze gekommen ist, dem stellt sich auch ein Engel mit einem feurigen Schwerdte entgegen, daß er nicht zurück kann. Unsere vo246rige Seeligkeit sieht dann in der Ferne so dürftig aus, wie mit entblätterten Bäumen und verdorrten Gebüschen. – Leben Sie wohl, Sie sehn schon, daß ich zum Poeten geworden bin.

247 7.

Amalie Wilmont an Emilie Burton.

Roger – place.

Mortimer schreibt nach Bonstreet, und ich will also einen Brief an Sie, liebste Freundin, mit einlegen. Ich bin hier außerordentlich froh und gesund, ich wünsche, daß Sie uns hier besuchten, und mit uns die frische Luft und angenehme Gegend genössen. Kommen Sie, sobald Sie können. – Ich bin in große Versuchung gekommen, Ihnen meinen hiesigen Aufenthalt zu beschreiben, weil ich gern schwatze, wenn ich mich so recht glücklich fühle. –

Sehn Sie, vor unserm Hause ist eine große Allee von schönen Bäumen, die weit hinunter gehn, bis sie sich in ein angenehmes Wäldchen verlieren; unter den Bäumen trinken wir des Morgens Thee, und gehn dann spazieren. Auf der andern Seite des Hauses hat man eine schöne weite Aussicht über Wiesen und Ebenen, die alle so frisch, wie hingegossen da liegen: ich kenne schon alle Dörfer in der Nähe, und so248weit mein Auge sieht, bin ich nun zu Hause. Bey unsrer Wohnung ist zugleich ein sehr schöner Garten mit Teichen und niedlichen Brücken, alles so hübsch hell und natürlich, nicht mit Felsen vollgepackt, oder voll ängstlicher dunkler Alleen bergauf und ab, die einen nur ermüden und ängstigen, und aus denen man sich oft gar nicht wieder herausfinden kann; nein, dieser Garten sieht recht aus wie das Leben eines glücklichen Menschen; dunkle Alleen mit hohen Bäumen, die sich oben wie das Dach einer Kirche wölben, die wie seine ernsten schönen Tage dastehu, in denen er sich und die Zukunft jenseits des Grabes denkt; Blumenstücke, in denen sich immer die Winde jagen, und blaue und rothe Schmetterlinge mit ihren breiten Flügeln sich herumtreiben, das Bild seiner launigen Stunden, in denen ohne Zusammenhang Eine frohe Empfindung die andre drängt; kleine Gebüsche, die zerstreut wie die heitern Tage umher stehen, wo man sich schon im voraus auf einen andern freut, der so nahe ist, daß man ihn und viele andre bequem mit den Augen abreichen kann.

Und denn die Menschen hier! – Ich gehe Sonntags mit großer Andacht in die Kirche, 249 was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte. Dort war mir immer, als wenn ich von Einem Gefängnisse in das andre ginge. – Aber hier ist alles, selbst die Art, wie man zu Gott betet und ihm dankt, weit natürlicher; man kann sich hier die alten Erzählungen von der großen Frömmigkeit, von der hohen Liebe der Menschen zu Gott und unter einander recht lebhaft denken. – O liebe Freundinn! ich fühle, daß ich hier nach und nach weit besser werde, als ich sonst war, ich lerne die Menschen mehr kennen, und liebe sie mehr, ich bin nicht so eitel auf mich, wie wohl sonst in manchen Stunden, weil man sich gar zu leicht von seinen Bekanntinnen drehen und verdrehen läßt, aber ich achte mich hier in der freyen Natur mehr, und bin, wenn ich so sagen darf, manchmal ordentlich wie stolz auf mich. – Ich sollte meynen, der glückliche Mensch müßte sich immer so fühlen. – In den ersten Tagen war mir alles hier so einsam, von Eltern und vom Bruder entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß vor. – Mortimer, der viel gereist ist, und sich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man das Haus hat, wo man gebohren ist, lächelte 250 über mich, und dies trübselige Gefühl verlohr sich auch sehr bald.

Was mich am meisten froh macht, ist, daß ich nun doch oft Gelegenheit habe, manchen Armen zu trösten, und auf Tage glücklich zu machen. – Ach, wie viel hab' ich oft in London gelitten, wenn ich aus dem Fenster, aus dem warmen Zimmer das Elend der Menschen sah, und gern helfen wollte und nicht konnte. Ich verschenkte oft alles, was ich hatte, und schämte mich innerlich, wenn ich berechnete, wie viel mir mein unnützer Putz, Tapeten, Spitzen und dergleichen Kindereyen kosteten, die ich noch alle hätte entbehren können. Ich weinte oft, wenn ich nichts mehr wegzugeben hatte, und gelobte kindisch, wie viel ich einst thun wollte, wenn ich einmal durch einen Zufall reicher würde. – Jetzt sind mir die Gemählde des Jammers aus den Augen gerückt, und ich bilde mir ein, daß plötzlich alle getröstet sind, und im Ueberflusse leben, weil ich sie nicht mehr vor mir sehe. Hier hab' ich freyere Hand, weil ich mehr dazu anwenden darf, und weniger Gegenstände meines Mitleids finde. Es ist das schönste Gefühl, einen Armen wieder auf einen 251 Tag beruhigt zu haben, der wie eine lange Wüste vor ihm lag, durch die er noch wandern müßte. Die Männer sind doch seltsame Wesen! Mein Mortimer gehört nicht zu den härtesten, und doch scheint er in manchen Stunden für die kleinern Empfindungen ganz gefühllos. Ich hatte neulich einen ordentlichen Streit mit ihm. Schon seit einigen Wochen trieb sich hier eine arme Französinn herum, sie schien aus einem guten bürgerlichen Hause, und erzählte viel von ihren Eltern, die ihr früh in der Jugend gestorben waren, und von mancherley Unglücksfällen, die sie seitdem erduldet hatte. Ich will gerne glauben, daß manches davon erdichtet war; aber verdient ein Unglücklicher darum weniger unser Mitleid, weil er es nicht jedem Fremden vertrauen will, durch welche Schwächen er so unglücklich ward? Ich dachte mich in die Lage der Frau hinein, und wollte sie in meine Dienste nehmen, aber Mortimer setzte sich dagegen, und zwar aus keinem bessern Grunde, als weil sie ausgezeichnet häßlich und dabey einäugig sey, er sagte, daß er einem solchen Wesen nie trauen könne. – Bedenken Sie, liebe Emilie, blos weil sie häßlich war! – Aber 252 ich gab mich nicht eher zufrieden, bis mein kleiner Eigensinn die Oberhand behalten hatte; und so ist jetzt die Düpüis, oder Charlotte, wie wir sie auch nennen, Aufwärterinn in meinem Hause. – Wollten wir alle Physiognomien, die uns nicht anziehen, als fremde, widerwärtige Wesen betrachten, wie oft würden wir da ungerecht seyn! – Aber ich muß aufhören zu schwatzen; leben Sie wohl, theure Freundinn. –

253 8.

Eduard Burton an Mortimer.

Bonstreet.

Ich beneide Ihnen Ihr ruhiges, anspruchloses Glück, und wünschte, ich könnte ein Zeuge davon seyn, aber die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernichtet alle ähnliche Pläne und Entwürfe. Sein mürrisches Wesen, mit seiner Schwachheit verbunden, der Groll, den er auf die ganze Welt geworfen hat, verderben mir alle Laune; indessen trag' ich diese Schwächen des Alters gern, und sehe alles nur als eine nothwendige Aeußerung seiner Krankheit an. – Aber dann hat mir noch ein Brief von Lovell so alle Munterkeit, alle Energie des Herzens genommen, daß ich mich recht innig bedrängt fühle, von tausend Empfindungen angefallen, die ich bisher gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerst einen ungeheuren Irrthum, der mich durch mein ganzes Leben begleitet hat, der jetzt zum erstenmale in seiner ganzen Gräßlichkeit auf mich zutritt; ich fühle es, daß ich bisher einsam gelebt habe, 254 und meinen Schatten für meinen Freund hielt, und ihn liebte; sind wir denn alle nicht vor dieser Selbsttäuschung gesichert, daß wir unsere Empfindungen in andre übertragen, und so uns nur selbst aus ihnen herauslesen? – Ich lege Ihnen Lovells Brief bey; bis jetzt konnte ich mir ihn bey jedem Briefe recht lebhaft vorstellen, ich sah im Geiste alle den jugendlichen Leichtsinn, gepaart mit der Reue und einer innern Langeweile, wie er dann von neuem noch lauter in seine Harfe schlug, und mir noch poetischer schrieb, um sich selbst zu betäuben; ich sah jede Mine und Geberde, und nahm darum nicht alles ganz so ernsthaft, wie es auf dem Papiere stand. Aber plötzlich ist mir Lovell ganz fremd geworden, er hat gleichsam die ganze Larve abgenommen, und erscheint nun in seiner natürlichen Gestalt: dieser Menschenhaß, diese Verachtung seiner Selbst, die nur aus Bewußtseyn der Verworfenheit entstehen kann, dies Geständniß – o sagen Sie, würden Sie für einen solchen Menschen je einen freundschaftlichen Zug empfinden können? Diesen Brief kann ich unmöglich beantworten, denn ich würde keine Worte finden können; und wozu auch die Ant255wort, da ich es innig fühle, daß er mich ganz und auf ewig von Eduard [sic] getrennt hat? Eine Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den Scheidebrief nicht mit einer tieferen Rührung betrachten, als mit der ich diesen Brief ansehe. – Oder, sagen Sie, Mortimer, sollte es möglich seyn, daß dies nur ein Gemählde des Menschen sey, und daß jeder nur die Seiten zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben hat? – Aber nein, es ist nicht möglich, könnt' ich mich davon überzeugen, o so würd' ich mich still und beschämt niedersetzen, und heiße Thränen darüber vergießen, daß ich ein Mensch bin, und dann sterben. Aber nein, es ist nicht möglich, kein ähnliches Gefühl hat sich je in mir geregt, nein, die Menschen sind besser, denn ich bin besser, und welche Anmaßung, daß ich eine Ausnahme vom Geschlechte seyn sollte? – Und doch will immer noch die Liebe gegen Lovell wieder zu mir zurück! – Ich bin voller Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl; den besten Gruß an Ihre Gattinn.

256 9.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Sie haben Recht, Rosa, daß uns das Ungewöhnliche und Seltsame sehr oft näher liegt, als wir gemeiniglich glauben, ja, daß es oft mit dem Gewöhnlichen ganz dasselbe ist, nur daß es sich hier in einer andern Beziehung zeigt, als dort. Ich habe so eben den Brief Balders vor mir, und vergleiche ihn mit einigen Ideen meines Vaters, die er kurz vor seinem Tode niederschrieb, und ich finde, daß beide dasselbe nur mit andern Worten sagen, daß ich alles selbst schon außerordentlich oft gedacht, nur niemals ausgedrückt habe. Die verschiedenartigsten Meinungen der Menschen, zwischen denen ungeheure Klüfte befestigt scheinen, vereinigen sich wieder im Gefühle, die Worte, die äußern Kleider der Seele, sind es nur, die sie verschieden erscheinen lassen. Unsre kühnsten Gedanken, unsre frechsten Zweifel, die alles vertilgen, und gleichsam durch eine ungeheure Leere streifen, durch ein Land, das sie selbst entvölkert haben, beugen sich wieder unter 257 einem Gefühle, das die verlaßne Wüste wieder anbaut. Die verschiedenen Gedankensysteme der Menschen sind nur zufällige Kunstwerke, die jeder sich so oder so aufbaut, und mit diesen oder jenen Zierrathen aufputzt, je nachdem es ihm gutdünkt. So wie dieser die Tragödie, jener die Komödie liebt, ein andrer das lyrische, ein andrer das didaktische Gedicht; so macht sich der eine die stoische, der andre die akademische oder epikurische Philosophie zu eigen; aber alles sind nur die Außenwerke des Menschen, das Gefühl ist er selbst, das Gefühl ist die Seele, der Geist, die Philosophie der Buchstabe dieses Geistes; todte Zeichenschrift, wenn der Mensch sich nicht am Ende über alle Philosophie und Systeme, selbst über das System der Systemlosigkeit erhebt. Dieses Gefühl stößt so Zweifel als Gewißheit um, es sucht und bedarf keiner Worte, sondern befriedigt sich in sich selbst, und der Mensch, der auf diesen Punkt gekommen ist, kehrt zu irgend einem Glauben zurück, denn Glaube und Gefühl ist eins: so wird selbst der wildeste Freygeist am Ende religiös, ja er kann selbst das werden, was die Menschen gewöhnlich einen Schwärmer nennen, und wobey 258 sich die meisten, die das Wort aussprechen, nichts denken. Irgend ein Glaube drängt sich der Seele auf, bey allen Menschen ein und eben derselbe, nur erscheint er verschieden, weil ihn die grobe, unbeholfene Sprache entstellt. – Und wenn es kein Gefühl in uns geben kann, das uns nicht auf Wirklichkeit hinweist, das nicht mit dem wirklichen Dinge gleichsam korrespondirt, so läßt sich aus dem Hange zum Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man bißher gethan hat. Das Bewußtseyn unsrer Seele und der tiefe innige Wunsch nach Unsterblichkeit, das Gefühl, das uns in ferne unbekannte Regionen hinüber drängt, so daß wir uns eine Nichtexistenz gar nicht denken können, diese Gefühle sprechen am lautesten und innigsten für das Daseyn der Seele, so wie für ihre Fortdauer. – Aber wenn ich nun diesen überzeugendsten von allen Beweisen auch auf die Existenz der Gespenster, auf das Daseyn von ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten anwenden wollte? Und lasse ich ihn hier fallen, so fällt er dort von selbst. – Und was nennen wir denn Wunder? Die Menschen bezeichnen damit blos das Ungewöhnliche, nicht das an 259 sich Wunderbare, denn in manchen Stunden könnt' ich mich vor einem Baume, einem Thiere, ja vor mir selbst innerlich entsetzen. – Wer sind die fremden Gestalten, die mich umgeben und so bekannt mit mir thun? Mein Auge hat sich von meiner Kindheit an sie gewöhnt, und mein Sinn sich vertraulich an ihre Formen geschmiegt; aber wenn ich diese Bekanntschaft aufhebe, und sie mir als neu und zum erstenmale gefunden vorstelle? – O und wer bin ich selbst? – Wer ist das Wesen, das aus mir heraus spricht? Wer das Unbegreifliche, das die Glieder meines Körpers regiert? Oft kommt mir mein Arm, wie der eines Fremden entgegen; ich erschrak neulich heftig, als ich über eine Sache denken wollte, und plötzlich meine kalte Hand an meiner heißen Stirn fühlte. – Ich erinnre mich aus meiner Kindheit, daß uns die weite Natur mit ihren Bergen in der Ferne, mit dem hohen gewölbten blauen Himmel, mit den tausend belebten Gegenständen wie mit einem gewaltigen Entsetzen ergreifen kann; dann streift der Geist der Natur unserm Geiste vorüber, und rührt ihn mit seltsamen Gefühlen an, die wankenden Bäume sprechen in verständlichen Tönen 260 zu uns, und es ist, als wollte sich das ganze Gemählde plötzlich zusammen rollen, und das Wesen unverkleidet hervortreten und sich zeigen, das unter der Masse liegt und sie belebt; wir wagen es nicht den großen Moment abzuwarten, sondern entfliehn, ohne hinter uns zu sehen, und halten uns an einer von den tausend Kindereyen fest, die uns in den gewöhnlichen Stunden interessiren. – Oft ist mir jetzt, als wollte das Gewand der Gegenstände entfliehen wie von einem Sturmwinde ergriffen und ohnmächtig fällt mein Geist zu Boden, und die Gewöhnlichkeit kehrt an ihre Stelle zurück. In uns selber sind wir gefangen und mit Ketten zurückgehalten; der Tod zerreißt vielleicht die Fesseln, und die Seele des Menschen wird gebohren. –

Aber sagen Sie mir, Rosa, warum mir sonst diese Gedanken fern blieben, ob sie gleich in mir lagen? Warum ich Balders Worte damals nicht verstand, ob sie ihm gleich im Stillen mein Geist nachsprach, so wie er sie schon lange vor ihm so gesprochen hatte? Warum sind wir uns selbst oft so fremd, und das Nächste 261 in uns so fern? Wir sehn oft in uns hinein, wie durch ein künstlich verkleinerndes Glas, das die Hand, die ich mir vorhalte, tausendmal kleiner macht, und wie auf hundert Fuß von mir entrückt. –

262 10.

Rosa an William Lovell.

Rom.

Ich kann Ihre Frage nicht so beantworten, lieber Freund, daß Sie mit meiner Antwort zufrieden seyn werden. Die Gedanken und Empfindungen drehen sich im Menschen wie zwey Zirkel herum, die sich in Einem Punkte berühren, an diesem wissen wir nicht zu unterscheiden, was Idee und Gefühl ist, und wir halten uns dann für vollendet. Die Zirkel drehn sich weiter, und wir glauben uns dann wieder verständiger, weil wir beydes zu sondern wissen. Der Mensch ist sich selbst so räthselhaft, daß er entweder gar nicht über sich nachdenken, oder aus diesem Nachdenken sein Hauptstudium machen muß: wer in der Mitte stehen bleibt, fühlt sich unbefriedigt und unglücklich. – Ich sinne oft dem Gange meiner Ideen nach, und verwickele mich nur um so tiefer in diese Labyrinthe, je mehr ich nachsinne. So viel ist gewiß, daß wir gewöhnlich viel zu sehr den gegenwärtigen Moment vor Augen haben, und darüber 263 unser ganzes voriges Leben außer Acht lassen; die gegenwärtige Empfindung verschlingt alle früheren, und die jetzige Idee macht, daß uns alle vorhergehenden nicht mehr als Ideen, sondern als kindische ungeschickt entworfene Skitzen erscheinen. Daher läugnen wir uns so oft unsre innerste Ueberzeugung ab; und so wie der Mörder den noch halbbelebten Leichnam ängstlich mit Erde bedeckt, so verscharren wir muthwillig Empfindungen, die sich in uns zum Bewustseyn empor arbeiten wollen. – O, wenn wir doch Teleskope erfinden könnten, um in das tiefe Firmament unsrer Seele zu schauen, die Milchstraße der Ahndungen zu beobachten, die nie unserm eigentlichen Geiste näher rücken, sondern wie Nebelflor die Sonne in uns verdunkeln, ohne daß man sagen kann: jetzt geschieht es!

Die Träume sind vielleicht unsre höchste Philosophie, die Schlüsse der Schwärmer sind für uns deswegen vielleicht unverständlich und lückenvoll, weil wir es nicht begreifen, wie in ihnen Vernunft und Gefühl vereinigt ist. So kömmt mir das jetzt ehrwürdig vor, was ich noch vor einem halben Jahre belachte, und ich möchte 264 jetzt manchmal über das lächeln, was mir damals so wichtig erschien. – Es ist nichts in uns Festes, lieber William, mit unsrer veränderten Nahrung werden wir andere Menschen; je nachdem unser Blut schnell oder langsam fließt, sind wir ernsthaft oder lustig; sollten alle diese Erscheinungen von gar keinem Gesetze in oder außer uns abhängen, wie wenig Werth hätten dann die jedesmaligen Resultate! – Doch oft scheint das äußerlich Zufall, was eine lange berechnete innerliche Nothwendigkeit war; und so gleicht der Mensch vielleicht den Trauerspielen ihres Shackspear, wo, wie Sie mir selber oft gesagt haben, der Schluß so oft von einem plötzlich eintretenden Vorfalle abzuhängen scheint, da er doch schon in den ersten Versen des Stücks, in allen Kombinationen gegründet liegt, und daher nothwendig war.

Wir übersehn immer nur die Stelle unsers Lebens, auf der wir stehn, und alle unsre Gedanken, Empfindungen und Handlungen sind nur auf dieser Stelle einheimisch, jeder steht anders, alle Gesinnungen brechen sich in verschiedenen 265 Richtungen, und laufen nur für den gerade aus, in dem sie sind; daher wollen wir, wenn wir nichts anders seyn können, nachsichtig seyn, und nicht den Nachbar beurtheilen und tadeln, der uns von unserm Standpunkte vielleicht in einer seltsamen Verkürzung erscheint. –

266 11.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Es müßte nichts schöner seyn, als sich selbst recht genau kennen zu lernen, und, lieber Freund, wenn man sich recht fleißig beobachtet, warum sollte es der Mensch nicht auch hierin zu einer gewissen mechanischen Fertigkeit bringen können, wie in so manchen andern Sachen, die uns doch so durchaus geistig vorkommen? so daß wir am Ende eine Festigkeit des Blickes erhalten, der die ungewissen, flatternden Gestalten fest und stehend werden läßt. Mir sind wenigstens seit einiger Zeit tausend Sachen aus den fernsten Jahren, aus den verworrensten Gemüthsstimmungen eingefallen, an die ich bisher entweder gar nicht dachte, oder sie mir doch nicht so deutlich aus einander setzen konnte. Man steigt vielleicht immer höher, alles erscheint dann immer mehr als Zufälligkeit, was wir jetzt als unser Wesen betrachten, bis wir uns unserm eigentlichen Selbst immer mehr nähern, je mehr wir unser jetziges Selbst aus den Augen ver267liehren. – Wenn ich manchmal in der Abenddämmerung sitze und über mich sinne, da ist es manchmal, als schwingt sich mir etwas im Herzen empor, ein Gefühl, das mich überrascht und erschreckt und dabey doch so still und seelig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedächtniß, wie mit einer Hand darnach, um es mir selber aufzubewahren. Aber sonderbar, Rosa, es ist in mir, und verschwindet mir dann doch gänzlich wieder, so daß ich seiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken stehn mir zu Gebot, alle meine Erinnerungen und Anschauungen; aber dies ist ein Gefühl, das feiner und geistiger ist, als alles übrige; aber was ist es und woher kömmt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in mir bleibt? – Sollten diese Zustände vielleicht eben so in uns seyn, wie das Sonnenlicht in einer gläsernen Flasche, das kömmt und geht, so wie die Wolken ziehn; sie kann nichts dazu thun, und bildet sich doch vielleicht ein, alles wären nur Erleuchtungen, die sie willkührlich in sich selbst hervorbrächte.

Wie mag es überhaupt wohl um unsre Willkühr stehn? Wer weiß, was es ist, was uns regelt und regiert, welcher Geist, der außer uns 268 wohnt, und nur allmächtig und unwiderstehlich in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhörlich etwas Gräuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meinem stillen Gebete Gott mit den gräßlichsten Flüchen lästerte und darüber weinte, und es doch nicht unterlassen konnte, wo es mich unwiderstehlich drängte, meine Gespielen zu ermorden, und ich mich oft schlafen legte, blos um es nicht zu thun, – nun Rosa, damals war ich gewiß unschuldig und unverdorben, und doch war diese Entsetzlichkeit in mir einheimisch, – was war es denn nun, das mich trieb, und mit gräßlicher Hand in meinem Herzen wühlte? – Mein Wille und meine Empfindung sträubten sich dagegen, und doch gewährte mir dieser Zustand wieder innige Wollust. –

O wir sollten überhaupt zu unsern Kinderjahren in die Schule gehn, und das lernen, was wir so gern verlernen, und es dann mit nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unserer Seele nennen. Es ist, als wenn noch ein flüchtiger Schein einer früheren Existenz in die zarten Kinderjahre hineinspiegelte, wie der Widerschein 269 eines Glanzes, bedeutend und doch räthselhaft; wie Töne klingt es herüber, durch die der Wind fährt, die einzeln schallen, und in denen man doch Zusammenhang wahrnimmt.

Als Kind träumt' ich einst, die ganze Welt ginge unter, und aus allen den ungeheuren Massen schmolzen einzelne Töne heraus, die sich nun durch den leeren Raum spielend bewegten und um einander gaukelten, und sich verschlangen und bunt durch einander wühlten. Bald versank der helle Ton in den tiefern, und denn erklang ein wunderbares Gemisch; bald spaltete sich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farbenstrahl in viele helle Streifen, die wie Sonnenstrahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in den mütterlichen Ton zurückfielen. Ich hörte das wunderbarste Konzert, das mich in der ungeheuren Leere mit Schwindel erfüllte, so daß ich bald nichts mehr hörte, und in einen tiefen bewußtlosen Schlaf versank.

Ich weiß, daß dies für die meisten Menschen Unsinn ist, aber vielleicht ließe sich in dieser Ahndung der Wahrheit (denn das sind gewiß immer diese Spiele der Phantasie) ein sehr tiefer Sinn erforschen, wenn meine Beobach270tung eben so fein wäre, als der Sinn, der diese Erscheinung hervorbrachte, wenn ich nicht von den Armen des Irdischen zu fest gehalten würde, und sich immer wieder neue Bilder zwischen mein Auge und den beobachteten Gegenstand schöben: kurz, wenn ich mich in einer eben so glücklichen Himmelsverklärung, in einem ähnlichen Traume kommentiren könnte.

271 12.

Karl Willmont an Emilie Burton.

Roger–place.

Erschrecken Sie nicht, ums Himmels willen nicht, theuerste Freundinn, wenn Sie diesen Brief eröffnen und die Unterschrift gewahr werden; lesen Sie ihn lieber zu Ende, und thun Sie, als wüßten Sie nicht von wem er käme; o erstaunen Sie wenigstens so sehr, daß Sie in Gedanken immer weiter lesen, und sich nur beym Schlusse von Ihrer Verwunderung erholen können. Hören Sie mich wider Ihren Willen, so wie ich wider meinen Willen unaufhörlich an Sie denken muß. – Und doch, – was werde ich Ihnen nun sagen? – Meine Feder und mein Kopf stockt; ich hatte keine Ruhe, ich wurde hin- und hergetrieben, und eine unbekannte Gewalt mahnte mich, an Sie zu schreiben, – nun gut, und hier sitze ich, und weiß wahrhaftig nicht eine Sylbe, nachdem ich den Anfang niedergeschrieben habe. –

Meine Gedanken wandern von Osten nach Westen und von Süden nach Norden, und gehen 272 nach allen Richtungen, und kommen aus allen Richtungen, wie die Ameisen in den Stock meines Kopfes zurück, und alle schleppen so schwer und mühsam, ich denke wunder welche neue Systeme und Erfindung, welche unendliche Rechnungen und Auflösungen von algebraischen Räthseln sie mit sich führen, die Entdeckung vielleicht, die Meereslänge zu messen, oder den Luftball zu dirigiren, – und wenn ich sie nun am Eingange mustere, so schleppt sich dieser mit ihrem Bilde, dieser mit einer lahmen Sonnette, jener mit einem künstlichen Seufzer, dieser mit einer Anekdote, die Sie irgend einmal erzählt haben, – ach, und können Sie mir etwas schöners bringen? Ich lege alles auf den Winter und die theure Zeit hin, und denke mich in der Einsamkeit daran zu erquicken. Ach, eine bittersüße Erquickung!

Ich möchte manchmal alle Leute, die das Unglück und unsre verdammten Verhältnisse erfunden haben, zum Henker wünschen! Müssen wir denn in dieser öden lumpigen Welt noch so thun, als wenn wir wunder wie viel gewonnen hätten, wenn man uns die schwarzen Brandstellen zeigt, an denen vorher so herrliche Bäume 273 standen? Es ist jetzt in der ganzen Welt ein unglückliches Jahr, ein Mißwachs an Glück, das Unkraut, das zwar auch Blüthen hat, hat den Weitzen verdrängt, – und keiner von den Arbeitern will es merken, und wenn einer hie und da über die herrliche Erndte die Achseln zuckt, so wird er noch obenein für einen Felddieb erklärt, und mit Hunden gehetzt und mit Verwünschungen verfolgt.

Ich reiste von London hieher, um ruhiger zu werden, und ich bin nun unzufriedener, als je. O Emilie, verzeihen Sie den rauhen Ton meines Briefes, verzeihen Sie den ganzen Brief, ach verzeihen Sie mir, daß ich so unbeschreiblich an Ihnen hange. –

Wir sprechen täglich von Ihnen und von Ihrem lieben Bruder, wir ersetzen uns durch häufige Erzählungen von Ihnen Ihre Gegenwart, so gut wir es können: aber ich denke leider nur desto öfter an Sie, je mehr von Ihnen gesprochen wird, um so mehr fühl' ich Ihre Entfernung. –

Wir pflanzen und säen im Garten, und haben alle eine glückliche Hand. Meine Schwester wird hier ganz zur Bäuerinn, und lebt in 274 ihren Stauden und Blumen, und pflegt jeder mit einer mütterlichen Sorgfalt; ich suche indeß von einem Ende des Gartens zum andern, im Felde und im berachbarten Walde ein Etwas, das ich selbst nicht kenne; ich strebe Sie zu vergessen, und mich Ihrer recht lebhaft zu erinnern. – Neulich säeten wir alle Kresse, und recht zierlich die Nahmen unsrer ganzen Familie; ich säete ein E, und gab vor, es sey Ihr Bruder Eduard, Ihnen aber will ich gestehn, daß es Emilie war, und sehn Sie meine Freude: mein E steckte zuerst seine kleinen grünen Köpfchen aus der lockern Erde hervor, und sah sich nach mir um, und nun steht es in voller frischer Grüne, schön geschlungen und sanft; ich werde schon sorgen, daß es nicht abgeschnitten werde, sondern mir einbilden, die kleinen Stauden lernen Ihren Nahmen säuseln, wenn sie größer werden. –

Wie kindisch Ihnen mein ganzer Brief vorkommen mag! Ich schäme mich, denn es ist gewiß der schlechteste, den ich in meinem Leben geschrieben habe, und daß der nun gerade in Ihre Hände gerathen muß!

Es wird Abend, und mein Trübsinn nimmt 275 zu, je mehr die Sonne hinuntergeht; o noch eine Bitte, theuerste Freundinn, wenn Sie diesen Brief zu Ende gelesen haben, so würdigen Sie mich einer kleinen Antwort, wenn es auch nur einige Worte sind, die Sie meiner Schwester einlegen, damit ich doch so stolz seyn kann, daß ich etwas von Ihrer Hand besitze, das einzig und allein an mich gerichtet ist.

Ich siegle schnell, und schicke den Brief fort, damit ich mich nicht von neuem schäme.

276 13.

Emilie Burton an Karl Willmont.

Bonstreet.

Ich fühle es zwar recht gut, daß ich nicht schreiben sollte, allein es ist derselbe Fall, wie mit Ihnen, ich thu' es wider meinen Willen. Lieber, seltsamer Freund, warum machen Sie sich muthwillig Ihr Leben so unruhig und freudenleer? Wenn ich Sie überführen könnte, daß Sie unrecht haben, so sollte mich ein sehr langer Brief gar nicht gereuen, aber ich glaube, daß Sie sich selbst alles eben so gut und noch besser sagen, was ich Ihnen sagen könnte, daher ist meine Weisheit überflüßig. Es ist zwar schon eine alte Bemerkung, daß die Menschen nie so sind, wie sie seyn sollten und könnten; allein versuchen Sie es einmal, diese Bemerkung durch Ihre Handlungen zu widerlegen, und Sie werden finden, daß es weit leichter ist, als man gemeiniglich glaubt. Wenn ich mündlich mit Ihnen sprach, waren Sie oft gutmüthig genug, mir Recht zu geben und zu thun, als hielten Sie sich für überzeugt, aber ich 277 wette, daß Sie jetzt, indem ich Sie nicht sehe, die Achseln über mich zucken. – So sind die Männer, ihre Freundschaft ist Galanterie, und diese Galanterie verbietet ihnen, offenherzig zu seyn, weil sie uns für so thörigt und schwach halten, daß wir nur Schmeicheleyen und Komplimente ertragen können. –

Mein Vater ist sehr schwach, und ich bin sehr um ihn besorgt: dieser Kummer hat mir alle gute Laune geraubt.

Sehn Sie, wie freygebig ich bin! Sie verlangten nur einige Worte, und ich schicke Ihnen einen ganzen Brief, der noch überdies moralischen Inhalts ist. – Grüßen Sie Ihre liebe Schwester, und leben Sie recht wohl.

278 14.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Paris.

Lieber Bruder, mir kömmt nun unser liebes England schon ganz nahe vor, so weit es mir auch bey meiner ersten Reise war. Ich bin jetzt schon wieder in Paris, und meine übrige Reise ist mir nur noch wie ein Traum. Ach lieber Bruder, es war mir alles recht sonderbar, als ich wieder durch dieselben Gegenden und Steingebirge reiste, durch die ich mir meinem Herrn Lovell gefahren bin; oft war ich so in Gedanken, daß ich meinte, ich reise noch mit ihm, und dann war ich so zutraulich und behende mit dem Franzosen, wie mit meines gleichen. Ich wurde recht betrübt, wenn ich dann beym hellen Scheine der Lichter das fremde Gesicht sah, und ich hatte dann ein ordentliches Heimweh nach meinem Herrn, wenn er mich auch nicht mehr liebt.

Sey nicht böse über mich, lieber Bruder, wenn ich mich so gar sehr darauf freue, Dich wieder zu sehn; ich kann es eben so wenig lei279den, wie Du, wenn alte Leute sich wie die Kinder gebärden, es ist auch gar nicht mein Fall, und ich mache immer nur so viel unnützes Geschwätz, weil ich zu dem Rechten, was ich Dir sagen will, die Worte nicht finden kann. Es ist doch mit dem Menschen eine kuriose Einrichtung! Ich kann überhaupt mit dem Sprechen und Schreiben noch immer nicht recht ins Reine kommen, es laufen mir immer tausend Worte aus dem Munde heraus, die ich nicht haben wollte, und das sind die unnützen Worte, die ich so wenig wie ein andrer Mensch gebrauchen kann, die ächten und gediegenen aber sitzen mir inwendig fest, und wollen sich nicht los arbeiten. Noch närrischer ist es, daß ich manchmal wohl auch so einen recht vernünftigen Brocken herausbringen könnte, aber dann ist mir, als wenn ich mich ordentlich schämte, so gescheut wie andre Menschen zu seyn, und ich rede denn lieber dumm, um nur die Last wieder los zu werden. Ich glaube, Thomas, es giebt mehr solche Leute, wie ich bin, und die Anzahl der Dummen ist nicht so groß, als man gewöhnlich glaubt, drum hab' ich auch immer einen ordentlichen Respekt vor jedem ein280fältigen Menschen, weil ich immer meyne, er trägt unter seinem schlechten Ueberrocke ein kostbares Unterfutter.

Wenn ich erst zu Hause bin, und Dich besuche, will ich Dir sehr viel von meiner Reise erzählen. Das ist denn doch am Ende meine ganze Freude, die ich in der langen Zeit gehabt habe.

Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hause, so bekannt ist mir noch alles, und alles ist noch gerade so, wie damals, als ich hier war. Es ist eine närrische Gotteswelt, in der wir leben, und sie könnte gewiß besser seyn, wenn alle Menschen sich nur für Arbeiter in dem Weinberge hielten, aber alle wollen essen, und viele thun doch gar nichts, sondern verderben noch im Gegentheile die Reben, und stören andre Menschen in der Arbeit; und das soll denn heißen, daß sie den ganzen Weinberg regieren und in Ordnung halten.

In mehr die Menschen nach obenhin klettern, je mehr vergessen sie, daß sie auch nur Menschen sind, sie kennen dann ihre armen Brüder nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got tesfurcht wohnt überhaupt nur bey den armen 281 und geringen Leuten, die haben sie als ein ordentliches Privilegium und wie ein Schmerzengeld, weil sie viel irdische Uebel zu leiden haben; sie dürfen sich auch in ihrem Stande der Furcht des Herrn nicht schämen; sie ist ihr einziger Hausrath und bestes Einkommen. – Ich denke an alle die Sachen, weil ich Dir schon damals schrieb, lieber Bruder, daß es mir hier nicht gefalle. Jetzt geh ich nun in keine Komödie, aber es thut mir auch gar nicht leid. Wenn die Leute, die da so mit Bequemlichkeit über eine Prinzessinn weinen, die ihren Galan nicht heirathen soll, nur wüßten, wie viel und größeres Elend es in der Welt giebt. Aber darum wollen sie sich nicht bekümmern, und es rührt keinen, weil die armen Menschen nicht so geputzt sind, und sich nicht mit so schönen Reden aussteuern können.

In die Kirchen darf ich nicht allzugut hineingehn, sonst würd' ich es öfter thun; aber ich könnte mir bey Gott eine Verantwortung zuziehn, und die Musik, das Messelesen und die abgöttischen Gebräuche könnten auch meinem Glauben einen heimlichen Schaden beybringen; denn welcher Mensch kann so ganz und gar für 282 sich gut sagen? Meidet das Böse, so werdet ihr mit ihm in keine Bekanntschaft gerathen; und so hätte mein Herr William nur immer denken sollen, so wäre er gewiß noch derselbe fromme Herr, der er war. Sieh, lieber Bruder, da hast Du nun wieder solch weitläuftiges und einfältiges Geschwätz von mir, wie ich es nicht besser habe machen können. Gott segne Dich und erhalte Dich gesund, denn in einigen Wochen bin ich bey Dir!

Willy, Dein Bruder.

283 15.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich war durch unser gestriges Gespräch außerordentlich erhitzt, und ging, wie berauscht, nach Hause. Es waren so viele der fernsten Erinnerungen in mir geweckt, die noch immer in wiederholten Gängen durch meinen Busen zogen. Es ist manchmal, als wollte sich das Räthsel in uns selber aufschließen, als sollten wir plötzlich die Anwendung aller unsrer Empfindungen und seltsamen Erfahrungen kennen lernen. Die Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern, der monderhellte durchsichtige Himmel wölbte sich wie ein Krystall über mir, und spiegelte die seltsamsten Empfindungen wie Schatten in diese Welt hinein. – Rosalinens wehmüthige Gestalt war mit unter den bunten Schatten, sie ging neben mir, und verlohr sich im krausen Dunkel jedes Baums, und stand im hellen Mondscheine wieder da: wie Tapeten voll seltsamer Geschichten gewirkt, hing die ganze Natur um mich her. Vergangenheit und Zukunft 284 waren auf eine wunderbare Weise dargestellt, ich ahndete eine Menge von trüben und fröhlichen Empfindungen gleichsam im voraus.

Es fällt mir oft ein, warum ich gerade so und nicht anders empfinde, und warum ich vorzüglich auf diese Frage geführt bin, die mir gewiß in keiner andern Seelenstimmung beyfallen würde. Die Vorstellung unsrer Individualität ist die seltsamste, die uns überraschen kann.

Ich bin äußerst begierig, nun endlich den wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem wir fast täglich gesprochen haben. Ich kann mir sehr gut einen Menschen vorstellen, der eine unumschränkte Gewalt über alle Gemüther hat, die ihn umgeben; aber es muß das interessanteste Studium seyn, einen solchen näher kennen zu lernen, selbst zu fühlen, auf welche Art er an unsern Ideen und Gefühlen reist, und sich so gleichsam zu ihm hinaufzuheben, in dem wir lernen, wie er auf uns würkt, und er begreift, wie er auf uns würken kann. Ich wünsche seine Bekanntschaft, und fürchte mich doch vor unsrer ersten Unterredung. Sie haben gewiß viel zu freundschaftlich das Wort geführt, und er findet mich vielleicht einfältig und abge285schmackt, denn so sehr ich auch eine Zeitlang die höhere Achtung vor allen Menschen hatte, so war es mir doch leichter, mit ihnen umzugehn, und mein Benehmen freyer, als jetzt, da ich die meisten verachte. Wenn ich einen Mann von Verstand zum erstenmale sehe, bin ich leicht in Verlegenheit, ich fühle mich so entfernt von ihm, die fremde Art, dieselben Gedanken, die ich habe, zwar auch zu denken, aber in seinen Begriffen anders zu ordnen, macht mich verwirrt, und durch die Bemühung, mich ihm recht verständlich zu machen und näher zu bringen, werd' ich immer weiter von ihm entfernt, vorzüglich aber, wenn ich noch obenein bemerke, daß er sich nach mir bequemen will. – Ich wollte, man könnte sich immer erst nach einigen Vorreden kennen lerneu, so wie man manche Schriftsteller nur nach einigen vorausgeschickten, allgemeinen Ideen verstehen kann. – Leben Sie wohl.

286 16.

Rosa an William Lovell.

Ihre Besorgnisse, lieber Freund, sind ungegründet; der Mann, von dem wir gesprochen haben, gehört nicht zu jenen verständigen Leuten, die mit dem Fragmente ihrer Vernunft so ungeschickt umgehn, es so linkisch handhaben und widerwärtig regieren, daß man von ihrer Aufklärung keinen Genuß empfängt, sondern nur Verworrenheit der Begriffe, und Resultate, die fremd und unpassend unter den eigenen Mobilien unsers Gehirnes stehen. Diesem Manne wird es leicht, sich alle Gedanken, selbst die entferntesten, zu vergegenwärtigen, und sie zu seinen eigenen zu machen, für ihn giebt es keine fremde Seele, und darum behandelt er keine mit der Verachtung, die wir so oft an andern sogenannten verständigen Menschen, mit so tiefem innerlichen Widerstreben gewahr werden. Wenn ich Ihnen sage, daß er Sie vielleicht schon besser kennt, als Sie glauben, so ist dadurch wahrscheinlich alle Ihre Furcht gehoben, und damit Ihre Bekanntschaft nicht beym erstenmale 287 jene steife, widerwärtige Art erhalte, mit der man nach hergebrachten Formeln, wie in einem Spiele, sich seltsam genug die gegenseitige Vertraulichkeit abgewinnen will, so sollen Sie ihn auf einem Spatziergange treffen, wenn Sie heut Abend nach Sonnenuntergange die Ruinen vor dem Kapenischen Thore besuchen.

Leben Sie wohl.

288 17.

William Lovell an Rosa.

O Freund, welche seltsame Nacht hab' ich gehabt! welche Empfindungen hab' ich kennen gelernt! – Wie verhüllte Spiegel hing es in meinem Innern, heut ist der Vorhang hinuntergezogen, und ich erblicke mich selbst in veränderter Gestalt, und tausend seltsame Gegenstände um mich her.

Ich kann immer noch nicht zur Ruhe und zur Besinnung kommen; ich weiß noch immer nicht, was ich denke oder schreibe; ich liege noch wie in einem Traume, und hefte mein Auge auf das Papier und die hingeschriebenen Worte, um zu erwachen.

Ein andermal, morgen will ich Ihnen erzählen, wenn ich etwas beruhigter bin. Ich werfe mich ins Bette, um mich vor dem Grauen zu verbergen, das mir nachschleicht.

289 18.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe zu Ihnen geschickt, und vom Bothen leider vernehmen müssen, daß sie schon wieder nach Tivoli abgereist sind, ich hätte Sie so gern gesprochen und Ihren Rath und Beystand erbeten.

Ich habe in dieser Nacht nur wenig geschlafen, und bin im Schlafe von unangenehmen Träumen verfolgt. Ach Freund, ich kann Ihnen unmöglich sagen, was ich alles empfunden und gelitten habe, mir ist, als wenn sich vom gestrigen Abende eine Epoche durch mein ganzes künftiges Leben ausstrecken würde, viele Ahndungen sind mir näher getreten, und tausend ungewisse Zweifel haben sich inniger mit meiner Natur verbunden.

Ich gieng vor das Kapenische Thor. Der letzte Schimmer der Abendröthe glänzte in dem durchsichtigen Moose, das an den Ecken der Gebäude hängt, alles umher vereinigte sich zu großen Massen, und die Schatten kamen immer 290 größer von Osten her, ich wandelte mit stillem Erstaunen und vorbereitender Furcht unter den Ruinen, und dachte an meinen Vater und Rosalinen, und an jene Zeit, als diese Trümmern hier stattliche Landhäuser waren. – O ich bin heut ruhig genug, um Ihnen alles weitläustig zu beschreiben, das helle Morgenlicht glänzt über mein Papier, und ich schildere Ihnen meine gestrige Empfindung nur wie eine poetische Fiktion.

Ach ist nicht alles nur Erfindung und Gedicht, was vergangen ist? Die Gegenwart ist nur ein Traum, die Vergangenheit dunkle Erinnerungen aus dem Traume, die Zukunft eine Schattenwelt, deren wir uns einst auch nur mit Mühe erinnern werden.

In Rosalinens Fenstern brannte kein Licht, keine Lautentöne erklangen durch die Nacht, keine Schatten bewegten sich auf dem grünen Rasen. Ich konnte es nicht unterlassen, dicht zum verlassenen Hause hinzugehn, und meine Arme, wie in Gedanken, nach dem verödeten Gebäude auszustrecken: ich konnte es nicht begreifen, warum die Hütte jetzt unbewohnt war, alles in meinen Erinnerungen war so ungewiß und doch 291 so quälend, ich trat schnell vom Hause hinweg, und die Welt lag so dürr und ausgestorben da, ich hörte Menschenschritte, die dumpf und unerquicklich in der Einsamkeit wiederhallten, Vögel mit ziehenden Gesängen und rauschende Bäume, alles, alles umher, wie mühsam zusammengebracht, um die Todtenstille zu unterbrechen. Jeder Ton hatte seinen Klang verlohren, der uns entzückt und begeistert, jeder Gegenstand die Bedeutung, die ihm unsre erhitzte Phantasie beylegt. Die Berge standen fern hinauf wie Todtenhügel, das ganze Menschengeschlecht kam mir arm und bejammernswürdig vor, wie sie alle mit den Füßen schon in ihren Gräbern wandeln, und immer tiefer und tiefer untersinken, nach Hülfe schreyen, und kläglich die Hände ausstrecken, aber kein Vorübergehender sie hört und keiner sich der armen Verlassenen erbarmt. – Keine Dämmerung und Morgenröthe wollte sich an meinem Horizonte emporringen, unermüdet lag die melancholische Nacht mit ihren Flügeln über mir, ach und ich konnte nicht weinen und schluchzen, ich konnte meinen heißen dürren Jammer nicht in Thränen und Töne auflösen, kein Mitleid mit mir 292 selbst stieg wie eine Blume in meinem Herzen auf, um mich mit ihrem poetischen Dufte zu laben, keine goldene Täuschung kam meinen müden Sinnen zu Hülfe; ich fühlte mich wie in einem Gefängnisse unter Millionen Elenden verriegelt, dürr und kalt die Mauern um uns her, ach ich glaubte nicht der einzig Verstoßene zu seyn, und konnte mich darum nicht trösten.

Ich hatte vergessen, wen ich erwartete, als mir eine schreckliche, ach nur zu bekannte Gestalt näher trat. Die Furchtbarkeit meiner Empfindung kam in sichtbarer Bildung auf mich zu, und ich entsetzte mich innig. – Was soll ich hier von kindischen Träumereyen reden, an die ich selbst nicht glauben kann, warum soll ich mich wie ein Knabe geberden, wenn mich ein seltsamer oder auch nicht seltsamer Zufall überrascht? – Aber es mag seyn, mir ist als habe mein Vater schon diesen wundervollen Andrea gekannt, den ich nun zum drittenmale mit innigem Entsetzen und in immer nähern Beziehungen auf mich gesehen habe.

Ich weiß nicht, was ich gesprochen haben mag, ich weiß eben so wenig, was jener sagte, und was mich umgab. Wie wenn alle meine 293 seltsamsten Träume wirklich würden, wie wenn ich jetzt zum eigentlichsten Leben erwachen wollte, wie wenn die ganze Natur mich plötzlich festhielte, und jeder Baum und jeder Stern mit geheimnißvollen Winken auf mich hindeutete, – wie wenn sich jetzt jedes Räthsel von der Kette, die es lange zurückhielt, losreißen wollte, – so Rosa, – o ich habe keine Worte für dies Gefühl, – so wie einem Verbrecher, der sich plötzlich in seinen widersprechenden Lügen gefangen fühlt, und dem nun das Wort im Munde erstarrt, – so war mir in meinem Innern.

Im innersten Grausen sprach ich beherzt, ja frech, so wie im Rausche; der Alte schien verwundert. Ich sagte tausend Dinge, die ich nie gedacht habe, und die ich auch nur in diesen Augenblicken zur Hälfte dachte; ich war mir meiner selbst nur dunkel und ungewiß bewust, und es stand kein fremder Mann vor mir; ich sprach nur zu mir selber, und wie Wolken, Lichter und Schatten flatterten Gedanken durch meinen Kopf, wie wunderbare Töne von fremden ziehenden Vögeln erscholl es in meinem Innern, wie Mondschein, mit dem der Glanz der Morgenröthe kämpft, und beide ihre strahlenden Ge294webe durch einander spinnen, so seltsam erleuchtet war mein Gemüth.

Wir gingen auf und ab, und ich hörte ihn sprechen wie einen fernen Wasserfall, wie räthselhafte Donner, die beym Sonnenschein aus der Ferne den gerundeten Himmel hinanklimmen. – Wir verließen die Ruinen, und ich folgte ihm schweigend nach seiner Wohnung.

Ein blasses Licht erhellte sein altes, abgezehrtes Gesicht, in dem jede Falte und jeder Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn sich plötzlich der wohlbekannte Bruder an der Seite des Bruders in einen alten Mann umwandelt, so müßte jener die Empfindungen haben, die mich peinigten. Er ward mir so bekannt, und blieb mir doch so fremd, ich mußte ihn lieben und hassen, o ich hätt' ihn erwürgen mögen, um nur des Kampfes, um nur der Zweifel los zu werden. – Und ich kannte ihn dennoch, und sein Bild war von Jugend auf tief meiner Phantasie eingeprägt!

Es ist ein mühsames Geschäfft zu leben, unaufhörliche Zweifel und Furcht, Pein und Angst, das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir 295 in jedem dunklern Gange, in jeder neuen Krümmung ein seltsames und grauenvolles Unding erwarten, wir haben nicht Zeit zu überlegen, nicht Zeit, vor uns zu sehn, nicht Athem, um zu klagen, – bis wir niederstürzen, und alle Furchtbarkeiten zugleich über uns herfallen, und das ereilte Wild zerfleischen. Bis man erwacht, heißen unsre Phantasien Träume, bis dahin unser Daseyn Leben.

Ich trat ans Fenster. Ein kleiner Rasenplatz und Rosalinens Hütte gerade vor mir; ich sah in dem kleinen Garten deutlich die wankenden Malven stehn, und der Mond stieg jetzt dunkelroth herauf, und sah zuerst in ihr Fenster hinein, und fand sie nicht. – Der Alte muß mich hier oft gesehn haben, wie ein Geist hat er mich umgeben, ich schämte mich nicht vor ihm, sondern sah ihm nur um so unbefangener ins Auge. Dann flog ich mit meinen Gedanken zu Rosalinen hinüber, und ich sah sie sitzen, und stumm und zwecklos in die Saiten der Laute schlagen, ich tröstete sie über ihren Tod, und sah ein bitteres Lächeln auf ihrem Gesichte; dann hört' ich mich von meinem Vater rufen, mit denselben Tönen, mit denen er mich in der 296 Kindheit zu sich lockte, ich hörte den großen Hund, den treusten Freund meiner Knabenjahre, bellen, – und alles verschwand dann, und ich saß dem alten freundlich melancholischen Andrea und seinem grübelnden Auge gegenüber. –

Und jetzt sitz ich hier und bin einsam, und sehe ihn doch im nebenstehenden Stuhle sitzen. Ich werde ihn wiedersehn und werde anders fühlen, und er wird vergehen, so wie ich, und keiner wird unsrer denken. –

297 19.

Bianca an Lovell den Liebling ihrer Seele.

Rom.

Ist es Dir denn möglich, mich so ganz zu vergessen? Unsere munteren Gesellschaften haben an Dir ihre Seele verlohren, und jede Freude ist stumm und sitzt verlassen im Winkel. Denkst Du gar nicht mehr an unsere heiligen Bachanale zurück und an die stürmende Fröhlichkeit, die uns so wild und göttergleich begeistert? Sind Dir Deine schwermüthige Träumereyen und dein leeres Nachsinnen lieber als das Mädchen das Dich so innig liebt? – Schenke uns wenigstens den heutigen Abend, den wir allen Scherzen gewidmet haben und laß mich durch ein paar Worte die Du mit dem Boten zurückschicken kannst Deinen Entschluß erfahren. –

Bianca.

————

Ich komme.

W. Lovell.

298 20.

Rosa an Andrea Cosimo.

Tivoli.

Daß meine Reise hieher eine Art von Verbannung ist, fällt mir immer schwerer auf das Herz, je mehrere Tage ich von Rom entfernt bin. Daß ich gerade in diesem Zeitpunkte Deinen Umgang entbehren muß! Zu einer Zeit, wo ich mich immer mehr zu Dir hingedrängt fühle, wo sich gleichsam die Flügel meiner Seele von einander falten, um mich desto inniger an Dein Herz zu schließen. Du hast mich seit einiger Zeit mit neuen Ideen und Gefühlen überschüttet und eine neue Welt hat sich in mir eröffnet, eine Schaubühne, die unaufhörlich mit den wunderbarsten Scenen wechselt. Ich betrachte mein Leben seit jenem merkwürdigen Abende als ein neues, es hat sich mir ein Weg zu deiner Seele gebahnt, den ich weiter zu verfolgen brenne. Aber warum verwirfst Du mich und würdigst mich nicht Deines fernern Vertrauens? Darf ich den Argwohn schöpfen, daß Du Dich dem jugendlichen Lovell inniger 299 hingiebst? Was kannst du jezt noch ferner mit ihm wollen, da sein Vater todt ist? Ist es mir überhaupt erlaubt, zuweilen über Deine Plane im Stillen nachzugrübeln, und zuweilen einen würklichen Eigensinn und weitläuftige mir unnütz scheinende Maschinerie anzutreffen? Doch ich will schweigen, um mir nicht Dein Mißfallen zuzuziehn.

300 21.

Andrea Cosimo an Rosa.

Rom.

Es kann und soll nicht anders seyn als es ist, überlaß es mir meine Plane zu ersinnen und zu regieren, wenn sie Dir gleich noch wunderlicher erscheinen sollten. Was kümmert es Dich, wenn ich mir ein seltsames Spielwerk erlese, das mir die Zeit ausfüllt und auf meine eigene Art meinen Geist beschäftigt? Wenn ich bemerke, auf welche sonderbare Art die eine Seele auf die andere wirken kann? Du hast wohl mehrere Nächte unter Karten und Würfeln hingebracht; so vergönne mir, daß ich mir aus Menschen ein Glücksspiel und ernsthaft lächerliches Lotto bilde, daß ich ihre Seelen gleichsam entkörpert vor mir spielen lasse, und ihre Vernunft und ihr Gefühl wie Affen an Ketten hinter mir fühle, und danke dann dem Himmel, daß ich Dich als Freund und nicht als Spielzeug gebrauche.

301 22.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Sie fragen mich: wie ich lebe. Ich bin seit langer Zeit in einer Verfassung, daß ich nicht ohne Sie leben kann. Ich habe Sie immer nöthig, um jeden Gedanken und jedes Gefühl in Ihren Busen auszuschütten. – Mir ist jetzt oft zu Muthe als wären Flügel an meine Brust gewachsen die mich immer höher und höher heben und durch die ich bald die Erde mit ihren Armseligkeiten aus den Augen verlieren werde.

Ich sehe jetzt den alten Andrea täglich; ich habe noch nie einen Menschen mit dieser hohen Bewunderung betrachtet, ich habe aber auch noch nie eine Seele angetroffen, die alles, was sonst schon einzeln die Menschen vortreflich macht, so in sich vereinigte. Die Erinnerung macht mir jetzt eine seltsame Empfindung, daß ich ehedem vor seiner Gestalt zurückschauder302te; und doch will sich noch zuweilen ein quälendes dunkles Andenken in mir empor arbeiten. – O Rosa, könnte man sich doch in manchen Stunden vor sich selber verbergen! Ach was kann uns nicht betrüben, und uns mit scharfen Empfindungen anfallen, da wir alle so nackt und wehrlos sind? Je mehr man die Menschen lieben möchte, um so mehr wird man mißtrauisch seyn, ob sie es auch verdienen; keiner kennt den andern, jede Gesinnung geht verlarvt durch unsern eigenen Busen: wer vermag es, das Edle vom Unedlen zu sondern?

Schon seit lange hatte mir Andrea versprochen mich in eine Gesellschaft von Männern zu führen, die sich um ihn, wie um einen Mittelpunkt versammelt haben, und so gleichsam eine Schule bilden; ich brannte, um sie kennen zu lernen. Gestern wurde ich dort eingeführt.

Mir war während der Zeit manches durch den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn Andrea das Haupt irgend einer geheimen Gesellschaft sey, da man sagt, daß unser Zeitalter von der Wuth besessen sey, auf diese Art selt303sam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte so manches von abentheuerlichen und unsinnigen Ceremonien sogar in Büchern gelesen, und alles war mir immer als äußerst abgeschmackt erschienen; ich machte mich daher gegen Gebräuche und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichsam fest, und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das Gefühl sehr gegenwärtig, daß nichts auf mich wirken würde, was sonst unsre Phantasie so leicht in Aufruhr setzt. Ich erstaunte und schämte mich zu gleicher Zeit als ich ohne weitere Umstände in ein Haus und dann in einen geräumigen Saal geführt ward, in welchem sich die Gesellschaft schon versammelt hatte. Ich hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet und doch überlief mich nun ein feyerliches Grauen als mir jeder von ihnen auf eine simple Art die Hand gab und mich als Freund und Bruder begrüßte. Ich stand versteinert unter ihnen wie damals, als ich das erste große Raphaelsche Gemählde betrachtete, denn noch nie habe ich so viele charaktervolle Köpfe neben einander gesehn, noch nie hab' ich in einer großen Gesellschaft ein so ruhiges und gedankenreiches Gespräch gehört.

304 Als ich mich etwas genauer umsah, entdeckte ich bald mehrere Bekannte, die mit mir Nächte durchschwärmt, oder beym Spiele durchwacht hatten. Sie kennen ja auch den launigen witzigen Francesco, der uns mit seinen Einfällen so oft unterhalten hat, aber in dieser Gesellschaft war es mir nicht möglich, über ihn zu lachen, oder einen Spaß von ihm zu fordern, so ernst und ehrwürdig saß er unter den übrigen, von denen manche ihm aufmerksam zuhörten. Adriano, an dessen Einfalt wir uns so oft belustigt haben, hatte einen großen Zirkel um sich her versammelt und sprach mit großem Enthusiasmus und eben so vielem Verstande; ich konnte nicht müde werden ihn anzuhören, und mich über meinen bisherigen Irrthum zu verwundern. Es war mir, als wäre ich plötzlich in die Gesellschaft von abgeschiedenen Geistern entrückt, die im Tode alles Irrdische von sich werfen, und selbst ihren Brüdern unkenntlich sind. – Alle begegneten dem alten Andrea mit der ausgezeichnetsten Achtung, alle beugten sich vor ihm, wie vor einem höheren Wesen, und meine Ehrfurcht vor meinem alten Freunde ward dadurch nur um so größer.

305 Es ist, als wenn uns in der stillen Nacht tiefere Gedanken und ernstere Betrachtungen begrüßten, denn mit jeder Stunde ward die Gesellschaft feyerlicher, der Gegenstand ihres Gesprächs erhabener. Ich habe nie mit dieser Andacht in einem Tempel gestanden, noch in keinem Buche habe ich diese Gedanken gefunden, die mich hier durchdrangen. In solchen Stunden vergißt man seine vorige Existenz gänzlich, und nur die Gegenwart ist deutlich in unserer Seele. Ich werde diese Nacht nie vergessen.

Wir gingen erst am Morgen auseinander. Ein glühendes Roth streckte sich am Horizont empor und färbte Dächer und Baumwipfel; die freye Morgenluft und der helle Himmel kontrastirten seltsam mit dem dunklen nächtlichem Zimmer. Schaaren von Vögeln durchflatterten die Luft mit muntern Tönen, die Bewohner der Stadt schliefen fast noch alle und unsere Schritte hallten die Straßen hinab. – Könnt' ich begreifen warum diese sinnlichen Eindrücke mich stets so innig rühren! Der frische Morgen ist mir immer das Bild eines frohen und thätigen Lebens, die Luft ist gestärkt und theilt uns ih306re Stärke mit, das wunderbare Morgenroth strömt eine Erinnerung der frühesten Kindheit herauf und fällt in unser Leben und unsere gewöhnlichen Empfindungen hinein, wie wenn ein rother Strahl an den eisernen Stäben eines Kerkers zittert, in dem ein Gefangener nach Freyheit seufzt.

307 23.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Auch ich, lieber Lovell, fühle mich jetzt, ohne ihre Gesellschaft, einsam. Die Freundschaft wird unserer Seele schon darum ein unentbehrliches Bedürfniß, weil sie immer ein Herz sucht, dem sie sich ganz und in jeder Stunde mittheilen darf. Die Trennung unterbricht diese schöne Harmonie, denn die Briefe sind nur lahme und ungeschickte Boten, sie wissen die Stimmung nicht, in der sie uns antreffen, wenn sich im mündlichen Gespräche die Seelen fast unmittelbar berühren. Ich kann mir Sie und den alten Andrea recht lebhaft bey einander denken, ich sehe Ihren Enthusiasmus, denn ich weiß es aus eigener Erfahrung, wie viel dieser Greis nur durch einige Worte auf unsere Seele vermag. Ich kenne auch das Räthselhafte und fast Furchtbare das ihn umgiebt, er erscheint uns in jeder Stunde in einer veränderten Gestalt und es kostet ihn nichts, sich und eine ganze Ge308sellschaft plötzlich in einen andern Ton zu stimmen; alle Ideen des menschlichen Geistes stehen ihm ausserordentlich behende zu Gebote, er kann sich in jede Meynung kleiden, und es ist daher schwer, ja beynahe unmöglich, seine wahre von seinen erborgten abzusondern. Ich habe schon oft den Argwohn gehegt, daß er für jeden Menschen mit dem er umgeht, eine eigne Maske hat, er ist alle Ideen und Stimmungen des Menschen durchlaufen, ein jeder findet sich daher in ihm selber wieder. Seltsam aber ist es, daß ein solcher Mann alles, nur nicht einen gewissen Eigensinn verbergen kann, den zu maskiren selbst dem Unerfahrensten nur wenig kostet, er verachtet die Menschen im Allgemeinen und jeden insbesondere, und in manchen Stunden ist er schwach genug, daß er sich diese Verachtung merken läßt, um einen recht vollkommenen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch Sie werden bald diese Bemerkungen an ihm machen, und dies würde mir dann um so mehr eine Bestätigung seyn, daß ich mich nicht geirrt hätte. Es klingt freylich etwas anmaßend, daß ich einen so tiefen Menschen durchschauen und beurtheilen will, indeß kann ich es viel309leicht eben darum, weil ich seine Vortreflichkeiten verstehe und bewundere, und wie Sie in Ihrem Briefe sagen: man ist vielleicht um so argwöhnischer, je mehr man wünscht, die Menschen zu lieben.

310 24.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Soll ich es Ihnen gestehen, Rosa, daß mir Ihr Brief gewissermaßen wehe gethan hat? Denn es ist einmal eine Schwäche der menschlichen Seele die sie vielleicht nie ablegen kann, daß ihr gewisse Bemerkungen Schmerzen machen. Beim Anblicke aller Vortreflichkeiten scheint das menschliche Herz mit der Bewundrung zugleich einen gewissen Neid zu fühlen: ist der Eifer, irgend einem Muster ähnlich zu werden, wohl etwas anders? Wir suchen daher gern bey vorzüglichen Menschen eine Seite heraus, die unserm Tadel unterworfen seyn könnte, bloß um uns selbst als besser zu achten. Dieser Neid ist der Quell von allem, was wir in den gewöhnlichen Bedeutungen im Menschen Gut und Schlecht nennen, und eben darum, weil ich dies einsehe, sollte mich Ihr Brief auf keine Weise unzufrieden gemacht haben. Ich kann über meinen alten Freund durchaus nicht Ihrer Meynung seyn, am wenigsten kann ich jene 311 Schwäche an ihm finden, die Sie bemerkt haben wollen. Er ist für mich eine Kolossalstatue unter den gewöhnlichen Menschenbildern, ich finde stets in ihm einen Hauptgedanken und dieselbe erhabene Gemüthsstimmung; er versetzt mich jedesmal, oft wider meinen Willen in die seltsamsten Empfindungen, wie es sonst zuweilen wohl nur wunderbare Töne können, die unsre Seele gewaltsam nach dunklen, seltsamen Gegenden entführen.

Wenn ich mich oft betrachte und mich stumm in Gedanken verliere, so möcht' ich ihn in manchen Stunden für ein fremdes, übermenschliches Wesen halten, ich habe mir im Stillen manche wunderbare Träume ausgesponnen, die ich mich schämen würde, Ihnen so mit kaltem Blute niederzuschreiben, so sehr sie auch meine Phantasie gefangen halten. Er begegnet oft auf eine unbegreifliche Weise meinen Schwärmereyen mit einem einzigen Worte, das sie mir deutlicher macht, und in ein helleres Licht stellt.

Neulich war ich durch seine Reden in eine ungewöhnlich feyerliche Stimmung versetzt, er 312 sprach von meinem gestorbenen Vater und schilderte ihn genau nach seiner Gesichtsbildung und Sprache. Ich war gerührt und er fuhr fort, ja er sprach endlich ganz mit seinem Tone und sagte einige Worte, die sich mein Vater angewöhnt hatte, und die ich unendlich oft von ihm gehört habe. Ich fuhr auf, weil ich dachte, mein Vater sey wirklich zugegen, ich fragte ihn, ob er ihn gekannt habe und er betheuerte das Gegentheil; ich war in die Jahre meiner Kindheit entrückt und sah starr auf die Wand, um nicht in meiner Täuschung gestört zu werden. Plötzlich fuhr wie ein Blitz ein Schatten über die Wand hinweg, der ganz die Bildung meines Vaters hatte, ich erkannte ihn und er war verschwunden, seltsame Töne, wie ich sie nie gehört habe, klangen ihm nach, das ganze Gemach ward finster und der alte Andrea saß gleichgültig neben mir, als wenn er nichts bemerkt hätte.

Ein gewaltiger Schauder zog meine Seele heftig zusammen, alle meine Nerven zuckten mächtig, und mein ganzes Wesen krümmte sich erschrocken, als wenn ich unvorsichtig an die 313 Thore einer fremden Welt geklopft hätte, und sich zu meiner Vernichtung die Flügel öffneten und tausend Gefühle auf mich einstürzten, die der gewöhnliche Mensch zu tragen zu schwach ist. – Andrea erscheint mir jetzt als ein Thürhüter zu jenem unbekannten Hause, als ein Uebergang alles Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht löst Ein Aufschluß alle Räthsel in und ausser uns, unser Gefühl und unsre Phantasie reichen vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein, wo unsre Vernunft schier zurückbleibt; am Ende verschwindet alle Täuschung, wenn wir auf einen Gipfel gelangen, der der übrigen Welt die höchste und unsinnigste Täuschung scheint. Balder kömmt mit seinen Erscheinungen in meine Seele zurück, – o Rosa, was ist Unsinn und was Vernunft? Alles Sichtbare hängt wie Teppiche mit gaukelnden Farben und nachgeahmten Figuren um uns her, was dahinter liegt wissen wir nicht, und wir nennen den Raum, den wir für leer halten, das Gebiet der Träume und der Schwärmerey, keiner wagt den dreisten Schritt näher, um die Tapeten wegzuheben, hinter den Coulissen zu blicken und das Kunstwerk der äussern Sinne so zu zerstö314ren, – aber wenn, – o Rosa, nein ich schwindele, es ist mir innerlich alles so deutlich und ich kann keine Worte finden; aber ich mag sie auch nicht suchen. Sie werden ebenfalls diese Gefühle kennen und mir alles übrige erlassen.

315 25.

Rosa an William Lovell.

Tivoli.

Sie haben zum Theil recht, lieber Freund. Ihre Gefühle kann ich auf keine Weise tadeln, denn ich bin zu gut mit diesen bekannt, aber lieber Freund, kann denn der große Mensch nicht das Gröste und Kleinste in sich vereinigen und liegt nicht eben darinn seine höchste Größe? Doch ich will lieber abbrechen, denn wir streiten beyde am Ende nur über Worte.

Manche Ihrer Gedanken über Andrea sind mir aus der Seele geschrieben, in seiner Gegenwart fühle ich mich immer wie in der Nähe eines Ueberirrdischen. Auch manches ist mir begegnet, was ich mir auf keine Art zu erklären weiß. Als ich neulich mit ihm hier in Tivoli war, waren wir fast täglich zusammen und unser Gespräch fiel vorzüglich auf den Aberglauben und die wunderbare Welt, vor der unser Geist so oft steht, und dringend Einlaß begehrt. Meine Phantasie ward mit jedem Tage mehr erhitzt, alle meine bisherigen Zweifel verlohren immer mehr von ihrem Gewicht; Sie können sich 316 vorstellen, welchen seltsamen Eindruck Ihre Briefe damals auf mich machen mußten, in denen Sie immer mit so vielem Eifer von Rosalinen sprachen. An einem schönen Abende schweiften wir vor den Thoren umher, unsre Gespräche wurden immer ernsthafter und ich vergaß es darüber ganz, zur engen unangenehmen Stadt zurückzukehren. Es war indeß dunkle Nacht geworden und wir trennten uns. Alle meine Begriffe waren verwirrt, die Finsterniß ward noch dichter und ich näherte mich, wie es schien, immer noch nicht der Stadt. Ich versuchte einen neuen Weg, weil ich glaubte, ich habe mich verirrt, und so ward ich immer ungewisser. Die Einsamkeit und die Todtenstille umher, erregte mir eine gewisse Bangigkeit; ich strengte mein Auge noch mehr an, um ein Licht von der Stadt her zu entdecken, aber vergebens. Endlich bemerkt' ich, daß ich einen Hügel hinanstiege und nach einiger Zeit befand mich oben, neben der Kirche des heiligen Georgs. Der Wind zitterte in den Fenstern und pfiff durch die gegenüberliegenden Ruinen, ich glaubte in der Kirche gehn zu hören und ich irrte mich nicht; mit hallenden 317 Tritten kamen zwey unbekannte Männer aus dem Gewölbe und fragten mich, was ich suche. Ihre unbekannte Gestalt, der feyerliche Ton ihrer Stimme und eine kleine Blendlaterne, die nur mich und den einen von ihnen beleuchtete, machte mich schaudern. Ich fragte furchtsam nach dem Wege zur Stadt, und der eine von ihnen erbot sich, mich bis an das Thor zu bringen, der andre versprach so lange bey der Kirche zu warten.

Die kleine Laterne erhellte sparsam unsern Weg und Bäume und Stauden glitten uns, mit einem durchsichtigen Grün bekleidet, vorüber, mein Begleiter war stumm und ich ging wie im Traume hinter ihm. Jetzt waren wir nahe am Thore und der Mann mit der Laterne stand still; wir nahmen mit wenigen Worten Abschied und ein breiter Schimmer fiel auf sein Gesicht. Ich fuhr zusammen, denn es war ganz das bleiche Antlitz einer Leiche, die Augen waren wie weit hervorgetrieben, die Lippen blaß und wie in einem Todtenkrampfe verzerrt: ich glaubte ein Gespenst zu sehn, und erschrak nur noch inniger, als ich nach einigen Augenblicken die Züge Andrea's erkannte. Jetzt wandte er sich um, 318 und ging zurück, ich stand noch wie versteinert, und rief endlich laut und halb wahnsinnig: Andrea! – In demselben Augenblicke verschwand die Gestalt und das Licht, und betäubt und zitternd ging ich in die Stadt.

Aber wie fuhr ich zusammen, als mir Andrea vor meiner Wohnung entgegentrat und mich fragte, wo ich so lange geblieben sey. Ich konnte ihm nur wenige Worte sagen und die ganze Nacht hindurch lag ich in einem abwechselnden Fieber.

Und war es nicht eben die Gestalt unsers Andrea, mit Schrecken denke ich daran, die der unglückliche Balder so oft in den Exaltationen seiner Phantasie beschrieb? – Und doch hatte er ihn niemals gesehen. – Wer weiß, ob er mich nicht jetzt umgiebt, indem ich diesen Brief schrieb, und jeden Gedanken kennt, den ich denke! –

319 26.

Andrea Cosimo an Rosa.

Rom.

Warum hab' ich von Dir Argwöhnischen, nicht schon einen zweiten Brief erhalten? Ich bin auf Nachrichten von Dir begierig, weil ich mich von je für Dich interessirt habe. Ob Du es in dem Grade, wie ich Dich schätze und liebe, verdienst, ist eine andre Frage; indessen muß man sich darum bey den Menschen nie bekümmern; mein Eigensinn, den Du an mir neulich getadelt hast, besteht bloß darin, daß ich nie einen Gegenstand wieder fahren lasse, den meine Zuneigung einmal ergriffen hat; nur unterlaß die Forderung, daß ich Dir, wie ein Kind, von meinen Gedanken Rechenschaft ablegen soll. Erwarte erst das Ende jeder Prüfung, um meines ganzen Vertrauens werth zu seyn und begnüge Dich jetzt damit, daß Du von allen der Erste bist, der Ansprüche darauf machen kann. Wenn Dir also meine Liebe oder Achtung noch irgend etwas werth ist, so verschone mich mit ähnlichen Briefen, als Dein letzter war.

320 27.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Ich habe nie, Rosa, mit diesem Blicke ins Leben gesehn; wie vorübereilendes Schattenwerk, wie wandelnder Rauch, der über die Heide schreitet, so nichtig fliegt alles durcheinander. Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume, denke oder rase, die widerwärtigsten Gedanken und Gestalten haben sich innig mit einander verknüpft, und tausend Zweifel und Irrthümer, Schrecken und Truggestalten hängen wie ein Netz um mich her, das mich nicht wieder frey giebt.

Mein Herz ist die Höle des Aeolus geworden, in dem alle Stürme durch einander murren und sich mit wildem Grimme von ihren Ketten losreißen wollen. O, lassen Sie mich diesen Andrea begreifen, und ich will mich zufrieden geben und ich will alles übrige vergessen.

Ist die Welt nicht ein großes Gefängniß, in dem wir alle wie elende Missethäter sitzen, 321 und ängstlich auf unser Todesurtheil warten? O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder Wein, bey einer Dirne oder einem langweiligen Buche sich und ihr Schicksal vergessen können!

Doch der schwarze Tag bricht endlich, endlich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen zum letzten schrecklichen. Die finstre Parze findet endlich die Stelle, wo sie den Faden zerreißt. – O wehe uns, Rosa, daß wir geboren wurden!

O des klagenden Thoren! mit ohnmächtiger Kraft sperrt sich das arme Thier, in den Stall zu gehn, wo das schlachtende Messer seiner wartet. Die Zeit, dieser unbarmherzige Henkersknecht, schleppt Dich hinein, das Thor schlägt hinter Dir zu und Du stehst einsam unter deinen Mördern.

Was kann der Mensch wollen und vollbringen? Was ist sein Thun und Streben? –

O daß wir wandern könnten in ein fremdes, andres Land; ausziehn aus der Knechtschaft, in der uns unsre Menschheit gefangen hält!

322 Gräßlich werden wir zurückgehalten, und die Kette wird immer kürzer und kürzer. Alle täuschenden Freuden schlagen rauschend die Flügel aus einander und sind im Umsehn entflogen. Der Putz des Lebens veraltet und zerfällt in Lumpen; alle Gebrechen werden sichtbar.

Einsam steh ich, mir selbst meine Qual und mein Henker, in der Ferne hör' ich die Ketten der andern rasseln. – Schauder stehn vor unserm Gefängnisse zur Wacht. – Da läßt sich keiner bestechen, – eisenfest und unwandelbar stehn sie da. – –

Ich habe den Ruf vom jenseitigen Ufer gehört; ich habe den seltsamen Wink verstanden, und das Boot eilt schon herüber, mich abzuholen; ich trage meine Sünden in meiner Hand und gebe sie als Fährgeld ab. – – Die Wogen rauschen, es schwankt das Boot, das Steuer ächzt, und bald tret ich an das düstre fremde Gestade, und in doppelter Vereinigung kommen mir alle meine Schmerzen entgegen.

Gestern war ich bey Andrea und seiner Gesellschaft. Sie sprachen viel durcheinander und saßen in Reihen hinab, wie gefüllte Bilder aus Erde. Alle waren mir fremd und armseelig, 323 mit allen, selbst mit dem wunderbaren Andrea hatt' ich ein inniges Mitleiden. Sie waren ernst und feierlich, und mir war, als müßt' ich lachen. – Daß Gedanken und Vorstellungen den sogenannten Frohsinn aus unserm Gesichte verjagen können, ist bejammernswürdig.

Ich streckte meine Hand aus und berührte den nächstsitzenden; und wie ins Reich der Vernichtung griff ich hinein und war ein Glied der zerbröckelnden Kette. Ich gehörte nun mit zum Haufen, und war mir selber fremd und armseelig, so wie die übrigen.

Aller Augen waren starr auf die Wand geheftet, in allen spiegelte sich der Widerschein des Todes. Die Kerzen brannten dunkler, die Vorhänge rauschten geheimnißvoll, das Blut in meinen Adern wollte aufsieden und erstarrte.

Töne schlugen das Ohr mit seltsamer Bedeutung, wie Arabeskengebilde fuhr es durch meinen Sinn; ich erwartete etwas Fremdgestaltetes und lechzte nach etwas Ungeheuerm. Und ich vergaß hinter mir zu sehn und stand unter meinen Freunden einsam, wie in einem Walde von verdorrten Bäumen.

Schatten fielen von oben herunter und san324ken in den Boden. Dämpfe standen wie Säulen im Gemache, Dämmerung wankte hin und wieder wie ein Vorhang. Die Seele vergaß sich selbst und ward ein Bild von dem, was sie umgab.

Es kreiste und wogte gewaltig durch einander, wie ein Unding das zum Entstehen reif wird, so kämpfte die Masse gegen sich selbst. – Es schritt näher und glich einer Nebelgestalt; vor mir vorüber wie ein pfeifender Wind, – und o, – Rosaline!

Sie war es, ganz, wie sie lebte. Sie warf einen Blick auf mich und wie ein Messer traf er meine Augen, wie ein Berg mein Herz. Ich sträubte mich gegen meine innerliche Empfindung und es zog mich ihr nach; – ich stürzte laut schreiend nach ihrem Gewande und stieß mit dem Kopfe an die Mauer.

Ich erschrak nicht, verwunderte mich nicht und erwachte auch nicht. Wie andre Elemente umgab mich alles, ich sah die Freunde wieder, ich hörte wieder die Bäume und Wasser, die ganze Mühle der gewöhnlichen Welt, mit allen ihren Gängen.

Andrea und die übrigen waren stumm und 325 kalt, aber sie standen fern, fern von mir hinunter, ich kannte sie alle und verstand sie nicht, ich kam zurück und war nicht unter ihnen.

Man öffnete die Fenster; die Morgenluft brach herein, der Himmel war wie eine Platte buntgestreifter Marmor, die Wände der Welt waren wie immer mit ihren seltsamen Gewächsen ausgelegt, und wie ein wildes Thier, so fiel eine nüchterne Empfindung mein Herz an.

Wo steht die letzte Empfindung, daß ich zu ihr gehe? Wo wandeln die seltsamsten Gefühle, daß ich mich unter sie mische? Daß ich von diesem Traume erwache und einen andern noch fester träume!

Wolken fliehn und kommen wieder, das seltsamste Morgenroth wird Tagesschein. – So wird es mit diesem Herzen gehn. – Leider, daß ich das schon jetzt empfinde!

326 28.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Wie alles mich immer bestimmter zu jenen Schrecken hinwinkt, denen ich entfliehen wollte! Wie es mich verfolgt und drängt, und doch die gräßliche Leere in mir nicht ausfüllt! – Wie in einem Ocean schwimm ich mit unnützer Anstrengung umher; kein Schiff, kein Gestade, so weit das Auge reicht! unerbittlich streckt sich das wilde Meer vor mir aus, und Nebel streichen verspottend wie Ufer herum, und verschwinden dann wieder.

Nebelbänke sind unser Wissen und alles, was unsere Seele zu besitzen glaubt; der Zweifel rauft das Unkraut zusammt dem Getraide aus, und in der leeren Wüste schießen andre Pflanzen mit frischer Kraft hervor, deren Farben noch schöner und glänzender spielen. Der Mensch muß denken und eben darum glauben, schlafen und also träumen; es ist möglich, daß alle Gestalten nur in mir wandeln, alles ziehende Schattenbilder in der Hölung meines Au327ges, Schwingungen meiner Gehirnfibern, die ich nach dem allgemeinen Uebereinkommen die äußern Gegenstände benenne.

Der Wechsel der Jahreszeiten zerstört die Berge und Felsen, die ewigen Pfeiler der Erde zerbröckeln sich durch Regengüsse, der Mensch durch den Lauf seines Bluts, ein Todtenwurm in ihm, der ihn von innen heraus zernagt. Jedes Ding ist Bild und Gegenbild zugleich, es erklärt sich selbst und man sollte nie fragen: Wie hängt diese Erscheinung mit jener zusammen? – Der Geist des Forschens ist die Erbsünde, die uns von unsern ersten gefallenen Eltern angestammt ist.

Alles, was ich sonst meine Gefühle nannte, liegt todt und geschlachtet um mich her, zerpflücktes Spielzeug meiner unreifen Jugend, die zerschlagene magische Laterne, mit der ich meine Zeit vertändelte; bunte Farben und Schattenspielwerk!

Ich nenne mir manchmal den Nahmen Amalie oder Rosaline, um alles, wie mit einem Zauberspruche, wieder zum Leben zu erwecken, aber auch die Erinnerung ist abgeblüht, und wenn ich mein ganzes Leben hinuntersehe, 328 so ist mir, als wenn ich über ein abgemähtes Stoppelfeld blicke; ein trüber Herbst wandelt näher, der Nebel wird dichter, und der letzte Sonnenschein erlischt auf den fernen Bergen.

Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wundern aufsuchen, steile Felsen erklettern, und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Hölen verirren, und das dumpfe Rauschen unterirrdischer Wasser vernehmen, ich möchte Indiens seltsame Gesträuche besehen, und aus den Flüssen Wasser schöpfen, deren Nahme mich schon in den Kindermärchen erquickte, Stürme möcht' ich auf dem Meere erleben, und die Aegyptischen Pyramiden besuchen; – o Rosa, wohin mit dieser Ungenügsamkeit? und würde sie mir nicht selbst zum Orkus und in Elysium folgen? –

Und lern' und erfahr' ich denn nicht hier in Rom genug? Genügt mir nicht dies tiefe wunderbare Leben, in dem die Wunder mit den Stunden wechseln? Wohin von hier? Das Gewand der ganzen Erde ist kahl und dürftig, – o Balder, ich möchte dich in den tiefen Ge329birgen aufsuchen, um von Dir zu lernen und mit Dir zu leben.

Sollte es möglich seyn, daß ich schon hinter dem Vorhang stände, der die jenseitige Welt von den hiesigen Menschen sondert? Es ist vielleicht und ich erschrecke nicht mehr vor dem Gedanken. –

Mein Geist knüpfet sich immer vertrauter an Andrea, ich verstehe ihn, so viel sich zwey Menschen verstehen können, die immer das Nehmliche meynen und ganz etwas anders sprechen; in jedem Körper liegt die Seele, wie ein armer Gequälter in dem Stiere des Phalaris, sie will ihren Jammer und ihre Schmerzen ausdrücken, und die Töne verwandeln sich und dienen zur Belustigung der umgebenden Menge. – Sein feiner Sinn vermischt stets die Vernunft mit seinem innersten Gefühle, er baut sich keine Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu wohnen, er sucht nichts in sich zu verändern und auszurotten. –

Doch ich vergesse ganz, was ich erzählen wollte. Man vergißt über Worte sich und alles übrige, wir sprechen selten von uns selbst, sondern meist nur darüber, wie wir von uns 330 sprechen könnten, jeder Brief ist eine Abhandlung voll erlogener Sätze mit einem falschen Titel überschrieben, und so möcht' ich denn gern fortfahren zu schwatzen, wenn mich mein Gefühl nicht zu sehr ängstigte und zur Erzählung einer seltsamen Begebenheit hinrisse.

Es war vorgestern, als ich mit einer großen Gesellschaft zu einem prächtigen maskirten Balle fuhr. Ich liebe diese Maskeraden, weil sie mich stets in eine frölich wehmüthige Stimmung versetzen. Das Rauschen der seltsamen Gestalten durch die Säle und auf den Treppen, das räthselhafte Gezische und Geflüster, die Unbekanntschaft mit allen Menschen umher, alles ist für mich ein stilles Gedicht über das menschliche Leben, ein Schauspiel, worin die Schauspieler selbst ihre Rollen nicht verstehn, und sie dennoch meisterhaft darstellen. – Ich sah hier Pantalons und Pierrot's durcheinander springen, die Musik klang verworren in das bunte Geräusch hinein, die Kerzen flimmerten durch die Säle und glänzten gegen den Putz von schönkoeffirten Damen, ich stand an einen Pfeiler gelehnt und sah ohne Sehnsucht und ohne Ruhe in das große Findelhaus der mensch331lichen Narrheiten hinein. Von je hat mich die Maske, die mich nach und nach erhitzt, die gezwungene Art, aus den ausgeschnittenen Augen hervorzusehn, in eine Art von Trunkenheit versetzt; es währte daher nicht lange, so spielte alles nur, wie eine Traumgestalt um mich herum, und ich fuhr manchmal heftig auf, um mich nur wach zu erhalten; ich konnte in manchen Momenten gar nicht glauben, daß ich wirklich lebe, so seltsam umgab mich alles; wie den Kindern war mir, die durch einen rothen geschliffenen Stein die Sonne und die wunderbar gespaltene Welt umher betrachten. Es war als sähe ich in einen schiefhängenden Spiegel hinein, der mir eine andere weit entfernte Welt darstellte, die unser Geist nur zuweilen flüchtig besucht, wenn unser Körper in tiefen Träumen liegt.

Eine weibliche Gestalt strich kokettirend zu wiederholtenmalen bey mir vorüber. Ich hatte schon oft das Rauschen ihres seidnen Gewandes gehört und ward jetzt erst aufmerksamer. Mir war, als wenn sie mich recht geflissentlich vor allen übrigen Masken auszeichnete und eine Bekanntschaft mit mir suchte. Wir näherten 332 uns mit den gewöhnlichen Formeln, und mir ward es wunderbar leicht, recht abgeschmackt zu seyn; es sammleten sich daher bald mehrere Karrikaturmasken, die mich ungemein witzig fanden. Die Eitelkeit, (die gewiß wie ein elektrischer Drath bis in das tiefste Fundament der Seele geht) ward in mir wach, und die Gegenstände umher erhielten eine bestimmtere Form, ich bemühte mich nun, die Lobsprüche meiner Bewunderer zu verdienen und mir die Zuneigung der unbekannten schönen Maske zu erhalten. Das Gelärm umher war lauter, mir aber bedeutender als bis jetzt, ich sah wieder mit freyen Blicken umher und fand mich willig in die Thorheiten der bunten Bilder, die wie ein belebtes magisches Kartenspiel um mich sprangen.

O was ist der Mensch mit seinen Empflndungen, die so oft an den letzten Grundstein seines Gebäudes rühren und dann wieder verschwinden und sich vielleicht nie wieder anmelden? Meine Sinnlichkeit erwachte und ich verfolgte die unbekannte Maske bald durch das dickste Gedränge, ich begleitete sie, als sie in 333 eins der Zimmer ging, um sich mit Eis zu erquicken.

Hier sah ich den schönen Wuchs genauer und die zarten Arme, ich bat und flehte, aber sie wollte um keinen Preis die Maske vom Gesichte nehmen. –

Ich verlohr sie im Saale wieder aus den Augen, dessen Getön und Gebrause mir jetzt nach der augenblicklichen Ruhe, nach der stillern Erleuchtung des Zimmers innig zuwider war. Ich ging noch ein paarmal auf und ab, verlohr mich wieder in Träumereyen, und ging dann fort, um in meinen Wagen zu steigen. Zu meinem Erstaunen finde ich die oft gesuchte Maske vor der Thür, sie vermißt ihren Wagen ich biete ihr den meinigen an, und, o welche Freude! sie schlägt das Anerbieten nicht aus. –

Nun waren wir allein im Wagen, und ich wandte alle meine Beredsamkeit an, um sie zu bewegen, die entstellende Maske abzunehmen. Sie thut es endlich mit einer kaltblütigen Bewegung, – und o, – die Haare richten sich mir noch empor, – – Rosaline sitzt neben mir!

334 Sie warf mir einen drohenden Blick zu, und wie ein lauter Donnerschlag warf es sich in in den Wagen hinein. – Nun hört ich bloß das Rasseln der Räder, wie eine ganz ferne Kaskade, – ich fand mich am Morgen in meinem Zimmer wieder. –

Alles ist Trug und Schein um uns her, aber warum wir uns selbst Phantasien erschaffen, die unser Inneres so gewaltig umrütteln, o wer kann das ergründen? –

Meine Hände zittern noch, wenn ich daran denke, und doch ist es vorüber und ich zweifle jetzt selbst daran, daß es war. Weiß ich doch kaum, was ich jetzt thue und denke. –

335 29.

William Lovell an Andrea Cosimo.

Rom.

In manchen Stunden, wenn ich so recht innig fühle, wie alles umher und in uns nur Dunst und Rauch ist, möcht' ich Dich fragen: aber was ist denn der Mensch und sein eigentliches Selbst? Was können wir in ihm gut und böse, thöricht und verständig nennen? – Alles ist ein vorübergehend Räthsel, fades Wortspiel und langweiliger Zeitvertreib.

336 30.

Andrea Cosimo an William Lovell.

Rom.

Jedermann hat seine eigene Stimme und nur wenige wissen, was sie mit dieser sagen wollen. Die ganze Welt ist nichts als ein Gemählde, wo jedes Auge die Farben anders sieht. Auch meine Worte gehören nur mir zu und passen im Munde keines andern. –

Warum suchen wir immer nur Unterschiede zu machen? Alles in der Natur hat seinen nahen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch nicht gewahr werden, weil wir Menschen sind, und immer wider unsern Willen uns selbst zur Axe des Universums machen und machen müssen. Eben so ist es in uns selber. – Die Unterschiede erfand nur der blödere Sinn, um die Menschen in Reihen zu stellen; welcher Edle hatte nicht dieselben Neigungen und Triebe, dieselben Vorsätze, die der faßte, den wir einen Bösewicht nennen? Der Mensch kann nur unterscheiden nach den Erscheinungen, die äu337ßerlich und zufällig aus seinem Bruder heraustreten. Ich möchte keinen verdammen und keinen vergöttern, es ist alles Ein Gefolge, in dieselben Gewänder eingehüllt, mir alle gleich unkenntlich und gleich gut, ein Trauerzug, der auf Bergeswegen dahin geht, und hinter einem dunkeln Walde verschwindet.

338 31.

Andrea Cosimo an William Lovell.

Rom.

Freylich, lieber William, täuscht uns alles in und außer uns, aber eben deswegen sollte uns auch nichts hintergehen können. Wo sind denn nun die Quaalen, von denen ich so oft muß reden hören, die unsre Irrthümer, unsre Zweifelsucht, der erste Sonnenstrahl unserer Vernunft uns erschaffen? Es ist die Zeit, die auf ihrem Wege durch die große weite Welt auch durch unser Inneres zieht, und dort alles auf eine wunderbare Weise verändert. Veränderung ist die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken, und weil wir die Fähigkeit haben zu denken, haben wir auch zugleich die Fertigkeit verschiedenartige Gedanken hervorzubringen. Weil eine Gedankenfolge uns ermüdet und am Ende nicht mehr beschäftigt, so macht eben dies eine andere nothwendig; und dies nennen die Menschen gewöhnlich eine Veränderung ihres Charakters und ihrer Seele, weil sie sich immer viel zu wichtig finden, und sich gern über und 339 über so mit Lichtern bestecken möchten, daß man sie aus dem Glanze gar nicht heraus finden kann. Kann sich denn aber das Wesen verändern, das wir unsre Seele nennen? Hat es Theile, die von ihm losgerissen, oder die ihm angesetzt werden? Wechselt es sich mit einem andern aus? – O Freund, wir wechseln mit den Federn mit denen wir schreiben, die Seele mit ihrem Spielzeuge, den Gedanken, die von ihr selbst ganz unabhängig und nur ein feineres Spiel der Sinne sind.

Alles, was wir in uns kennen, ist Sinnlichkeit, dorthin führen alle Fußtapfen, die wir in der einsamen Wüste entdecken, zu dieser einzigen Höle werden wir immer wieder zurückgeführt, so seltsam sich der Weg auch krümmen mag. Nur in der Sinnlichkeit können wir uns begreifen, und sie regiert und ordnet das Gewebe, das wir immer von unserm Geiste getrieben glauben. Bloß hierauf können sich alle Plane und Entwürfe, Wünsche und stille Ahndungen gründen; in dieser Körperwelt bin ich mir selbst nur mein erstes und letztes Ziel, denn der Körper ordnet alles nur für seinen Körper an, er findet bloß Körper in seinem Wege, und 340 eine Verbindung zwischen ihm und dem Geiste ist für unser Fassungsvermögen unbegreiflich. Die Seele stehet tief hinab in einem dunkeln Hintergrunde und lebt im weiten Gebäude für sich, wie ein eingekerkerter Engel: sie hängt mit dem Körper und seinen vielfachen Theilen eben so wenig zusammen, wie der Verbrecher mit der Stadt in der er gefangen sitzt; wie man eben so wenig glauben würde, daß alle Straßen mit den Thoren und Thürmen umher bloß für den Gefangenen angelegt wären.

Was kann ich also für meine Seele thun, die wie ein unaufgelöstes Räthsel in mir wohnt? die dem sichtbaren Menschen die größte Willkühr läßt, weil sie ihn auf keine Weise beherrschen kann? und wie kann ein Körper gut oder böse seyn? – Er ist, das ist sein Verbrechen und seine Tugend, sein Daseyn ist seine Strafe, und seine Wohlthat, und wer hat dies nicht schon in sich selber empfunden?

Damit die verächtlichen Maschinen sich brüsten können, haben sie Nahmen und Unterschiede wie bunte, klägliche Ordenszeichen erfunden; nur der Pöbel hat die tiefe Achtung vor diesen.

341 Was bleibt uns übrig, William, wenn wir alle leere Nahmen verbannen wollen? – Freilich nichts zu philosophiren und mit Enthusiasmus für die Tugend und gegen das Laster zu reden, kein Stolz, kein Gepränge mit Redensarten, aber immer noch eben so viel Raum um zu leben.

Die Empfindung geht daher einen kürzern und richtigern Weg, als der grübelnde Verstand; denn das Gefühl ist der Haushofmeister unserer Maschine, der erste Oberaufseher, der dem alten pedantischen Verstande alles überliefert, der es weitläuftig und auf seine ihm eigene Art bearbeitet. Gefühl und Verstand sind zwey nebeneinander laufende Seiltänzer, die sich ewig ihre Kunststücke nachahmen, einer verachtet den andern und will ihn übertreffen.

Wenn wir nicht bloße Maschinen sind, so reißt sich die Seele einst gewiß von allem los, was sie so lästig gefangen hält, sie wird nicht schließen und unterscheiden, nicht ahnden und glauben, sondern im raschen, reißenden Fluge nach ihrem ungekannten Vaterlande eilen, wo sie wirken und ungefesselt dauern kann.

Wenigen wundervollen Menschen war es vielleicht gegönnt, sich schon hier, von den 342 Gauklern, ihren Sinnen, noch umgeben, kennen zu lernen, und in ihre innerste, verborgenste Tiefe zu schauen. Aber die Natur widerstrebt mit allen ihren Kräften, sie sind seltsame Wunderdinge, die sich vor sich selber entsetzen; die Fugen sind gerissen, der Geist sieht unmittelbar, ohne Sinne und ohne das Mittelglas des Verstandes, in das Daseyn und die Gegenstände hinein und der Körper schaudert unter heftigen Zuckungen.

343 32.

Balder an William Lovell.

Heut scheint die Sonne freundlich und ich denke an Deinen Nahmen, denn er ist wie blauer Himmel. Da war mir, als hört' ich Deinen Gang hinter mir in den Gebüschen und ich sah mich um. Aber der Wind kletterte nur in den Bäumen umher, und pflückte einige reife Blätter, die er der Erde, seiner Mutter, zum Verzehren hinlegte. Nun hab' ich noch in meiner Schreibtafel ein Blatt Papier und ich will es nehmen, und jetzt mit Dir sprechen; vielleicht findet sich einst ein Mann, der es zu Dir hinüberträgt.

    Wechselnd gehn des Baches Wogen
    Und er fließet immer zu,
    Ohne Rast und ohne Ruh,
    Fühlt er sich hinabgezogen,
    Seinem dunkeln Abgrund zu.
Also auch des Menschen Leben,
Liebe, Tanz und Saft der Reben
Sind die Wellenmelodie,
Sie verstummt spat oder früh.
    344 Ewig gehn die Sterne unter,
    Ewig geht die Sonne auf,
    Taucht sich roth ins Meer hinunter,
    Roth beginnt ihr Tages-Lauf.
Nicht also des Menschen Leben,
Seine Freuden bleiben aus,
Ist er nur dem Tod gegeben,
Er behält ihn dort im dunkeln Haus. –

So werd' ich jetzt gezwungen, nach einem gewissen Klange zu reden, der wie ein Wasserfall in meiner Seele auf- und niedersteigt. Mich besuchen oft Leute in meiner einsamen Waldwohnung, und sagen es ganz laut, so daß ich es höre, ich sey ein Prophet von Gott gesandt. Die guten Leute meinen es aber in ihrem Sinne recht gut, nur schieben sie das meiste auf meinen Bart, der mir wider meinen Willen so lang gewachsen ist.

Die Sonne spielt fröhlich zwischen den dunkelgrünen Zweigen herab und ich sehe, wie je des Thier sich in ihr goldnes Netz so gern und willig fängt. Die ganze Natur ist begeistert und die Waldvögel singen lange und schöne Lieder, und die Bäume stimmen drein mit lautem ehrwürdigem Rauschen und wie Harfensaiten 345 zittert und klingt alles um mich her, und ich singe innerlich Gesänge, ohne daß ich es weiß.

Alte graue Helden treten
So vertraulich zu mir her,
Ehrfurchtsvolle Priester beten,
Und es rauscht das griech'sche Meer.
Circe's Weberstühle sausen,
Die Charybdis strudelt wild,
Pan erwacht, die Wälder brausen,
Jäger starren und es flieht das Wild.
Lanzenkämpfer taumeln rüstig,
Sich auf Rossen auf und her,
Und Ariost ersinnet listig,
Seine wundervolle Mähr
Vom Orlando, Rodomant,
Ach in seinen Liedern sonnt
Sich der Dichter, plötzlich bricht er ab
Ihn verschlingt das offne Grab.
Ach und keine Verse sprechen
Sanften Trost dem Armen zu,
Alle Harfensaiten brechen
Um ihn her die fürchterlichste Ruh.

Ich denke noch daran, daß wir oft über alles sprachen, was ich jetzt immer wirklich vor mir sehe.

Alle diese Leute sind nicht todt, sondern nur verdunkelt, sie kommen, wenn ich sie rufe, und vertragen sich brüderlich mit mir.

346 Denkst Du noch zuweilen an mich, wie ich an Dich und Deine Thorheiten denke? Es ist mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen, ich weiß es nicht zu sagen, wie sehr ich innerlich froh bin. Eine andere stillere Seele ist in mich eingegangen, und die hat über mich eine bessere Herrschaft angefangen.

Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach Nahmen. Es sieht um meine Wohnung wunderlich und doch schön aus. Felsen stehn hoch und ernsthaft da, und Ulmen und Pappeln, und an den senkrechten Wänden hängt der Epheu dick wie Riesenlocken herunter. Es ist alles hier um mich lebendig und voll Freundschaft, die Bäume grüßen mich, wenn ich aufwache, der Himmel zieht purpurroth über meinen Kopf weg und seine bunten Lichter spielen um mich herum und necken mich. – Ach Freund, wenn man die Blumen und Pflanzen näher kennen lernt, was sie dann anders sind, als man gewöhnlich glaubt, sie sind klüger als die Leute denken, und haben auch mehr Gewalt, als man meint. Die Menschenwissenschaft kennt nur einen Theil ihrer geheimen Kraft.

    347 Blumen sind uns nah befreundet,
    Pflanzen unserm Blut verwandt,
    Und sie werden angefeindet,
    Und wir thun so unbekannt.
    Unser Kopf lenkt sich zum Denken
    Und die Blume nach dem Licht,
    Und wenn Nacht und Thau einbricht
    Sieht man sich die Blätter senken.
    Wie der Mensch zum Schlaf' einnickt,
    Schlummert sie in sich gebückt.
    Schmetterlinge fahren nieder,
    Summen hier und summen dort,
    Summen ihre träge Lieder,
    Kommen her und schwirren fort,

Und wenn Morgenroth den Himmel säumt,
Wacht die Blum' und sagt, sie hat geträumt,
Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen
Alle Blätter ihres Kopfes hingen.

O was würden die Menschen in der Nacht erblicken, wenn sie plötzlich in ihren Träumen aufwachen könnten. Der Traum steht vor ihnen und weiß wenn der Mensch nicht mehr schläft, der gewöhnliche Betrug giebt auf den ersten Wink Acht und rennt wieder an seine Stelle. – Aber ich war einmal krank und sah alles mit Augen, und griff es mit diesen Händen, mit denen ich jetzt schreibe, ich weiß selbst nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or348dentlich stand und ich lachte über die andern Menschen.

Auch die Vögel und die Thiere, die Berge und die Felsen sind anders, als die Menschen sich einbilden wollen es zu wissen. Es ist nur zu weitläuftig, sonst könnt' ich hier viel davon schreiben und es würde doch weder Dir noch einem andern Menschen nützen, denn wer's nicht schon vorher weiß, kann mich doch immer nicht verstehn. So geht es mit allem Guten. Jeder Mensch spielt sein eigenes Instrument und hat einen andern Takt und ein anderes Lied abzuspielen.

Da hab' ich hier in einem Felsen einen Menschen gefunden, der alles so sehn kann, wie ich. Daß sich die Klugen doch so gern aus der Welt zurückziehn! Aber in der Einsamkeit denkt und fühlt die Seele anders, sie wird nicht durch das unordentliche Gezwitscher und Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur ist alles mit der Seele verwandt und auf einen Ton gestimmt, in jedes Lied stimmt sie freywillig ein und ist das Echo und eben so oft der Vorsänger von allem was ich denke: ein kleiner Vogel kann mir vielen Verstand in mei349nen Kopf hereinlocken. Der Mensch ist taub und kann mich nicht reden hören; aber wozu brauchen Menschen die Sprache? Sie ist unnütz und eine seltsame Erfindung. Sie ist erfunden, um zu lügen, nicht um die Wahrheit zu reden, denn sonst wäre sie besser und verständlicher; ein boshafter Lügner weiß alles damit zu machen, dem Verständigen fällt sie zur Last.

Wir leben wie Brüder bey einander und er hat gar kluge Einfälle. Uns beiden kommt die Welt anders vor, wie den übrigen Leuten, und doch ist die Kunst nur so klein und einfach.

Ich halte mir auch Tauben, die ganz zahm geworden sind und doch ihren natürlichen Muth und Verstand behalten haben. Ich habe sehr viel von ihnen gelernt, wenn sie manchmal so unter sich mit dem Kopfe nickten und girrten und sich ihre Zeichen machten, mit denen sie manchmal über den Menschen spotten. Diese und die Lämmer, die mit mir essen, sind die unschuldigsten und besten Geschöpfe von der Welt, und wenn sie Dich kennten, würden sie Dich grüßen lassen. Es ist nur um die Reise zu thun, so könntest du hier mit mir leben.

350 Von den großen Dingen, die ich weiß, kann und darf ich Dir nichts schreiben. Es ist bloß darum ein Geheimniß, weil Du es nicht verstehn würdest.

Den Nahmen Gottes denen nennen,
Die ihn nicht mit dem Herzen kennen,
Ist Missethat.
Es hängen um mich Geisterchöre,
Und sprechen laut, daß ich es höre; –
Sie halten Rath.
„Laß Mensch jetzt deine Zunge schweigen,
Bis sich die runden Jahre neigen,“
So tönt's herab;
„Was willst du vor der Zeit enthüllen?
Den Durst nach dieser Weisheit stillen
Ja Tod und Grab!“

Und so will ich denn lieber enden, um mir kein Mißfallen zuzuziehn.

Lebe wohl, William, so schreibe ich hier in meinen Bergen. – Die Stauden winken mir, zu ihnen zu kommen, und ein Wort mit ihnen zu sprechen, denn sie halten alle viel von mir; meinen Rosen muß ich noch Wasser zu trinken geben, und dann muß ich die kranke Pappel besuchen, die der Wind eingeknickt hat. Es ist ganz mein freyer Wille, aber ich habe es mir selbst zum Gesetze gemacht; ich helfe ihnen 351 in vielen Sachen, und die Blumen und Bäume hier würden sich sehr grämen, wenn ich einmal fortzöge.

Die Lämmer wundern sich, weil ich schreibe, was sie von mir noch nicht gesehn haben. Die unschuldigen Thiere können nur auf ihre Art sprechen, und es ist auch eben so gut.

Lebe recht wohl, ich will das Blatt einem fremden Manne geben.

352 33.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Wohin soll ich mich mit meinen Gedanken und Empfindungen wenden? Ueberall bin ich mir fremd, und überall find' ich mit meinen Ideen einen wundervollen Zusammenhang. Der höchste Klang des Schmerzes und der Quaal fließt wieder in den sanften Wohllaut der Freude ein, das Verächtliche steht erhaben und die Erhabenheit fällt zu Boden. Wie im Abgrunde der See Geschmeide und Kostbarkeiten unter Schlamm und neben verweseten Gerippen glänzen, so seltsam liegt alles in meinem Innern durcheinander.

    Es funkelt Gold in wilden Trümmern,
        Tief im verborgenen Gestein,
    Ich sehe ferne Schätze schimmern,
        Mich lockt der räthselhafte Schein.
    Und hinter mir fällt es zusammen,
        Ha! um mich her ein enges Grab,
    Die Welt, der Tag entflieht, die Flammen
        Der Kerzen sinken, sterben ab.
    353 Die Hand klopft zitternd an die Wände,
        Der unterirrd'sche Wandrer schaut
    Nach Licht und Rettung, ohne Ende
        Das Dunkel! – Ihn erquickt kein Laut.
    Er hämmert in den Felsgemächern
        Mit einer dumpfen Lebensgier,
    Gefangen von den dunkeln Rächern,
        Zur Strafe seiner Wißbegier.
    Da äugelt aus der fernsten Ritze
        Ein blaues Lichtchen nach mir hin,
    Ich krieche zu der schroffen Spitze,
        Und taste mit entzücktem Sinn,
    Und ach, es ist das Goldgestein,
        Das mich zuerst hieher versucht,
    Nun labt mich nicht der Flimmerschein,
        Der boshaft mich zuerst versucht.
    Es sehnt der Geist sich nach dem Bande,
        Das ihn mit zarter Fessel hielt,
    Als er sich wie im Vaterlande
        In seiner stillen Brust gefühlt.
    Doch fern ach! liegt das heimische Gestade,
        Am wilden Taurien verirrt,
    Kniet er umsonst und flehet Gnade,
        Das blut'ge Opfermesser klirrt!
    Doch Blumen blühn in diesen Schrecken,
        Die hell mit rothem Purpur glühn,
    Die Todesschatten, die ihn decken,
        Sie lassen prächt'ge Funken sprühn.
    354 Liegt alles nur im Sinnenglücke?
        Vereint sich jeder Ton zum Chor?
    Für tausend Ströme eine Brücke?
        Gehn alle Pilger durch dasselbe Thor?
    So öffnet mir die dunkeln Reiche,
        Daß ich ein Wandrer drinnen geh,
    Daß ich nur einst das Ziel erreiche
        Und jedes Wunder schnell versteh.
    Eröffnet mir die finstern Pforten,
        An denen schwarze Wächter stehn,
    Laßt alle gräßlichen Kohorten,
    Mit mir durch jene Pfade gehn!
    Je wildre Schrecken mich ergreifen,
        Je höher mich der Wahnsinn hebt,
    So lauter alle Stürme pfeifen,
        Je ängstlicher mein Busen bebt,
    So inniger heiß ich willkommen
        Was gräßlich sich mir näher schleift,
    Dem irrd'schen Leben abgenommen,
        Zum Geisterumgang nun gereift.
Alles Wilde, was ich je gedacht,
Alle Schrecken, die ich je empfunden,
Rückerinn'rung aus der trübsten Nacht,
Grauen meiner schwärzsten Stunden,
O vereinigt euch mit meinen Freuden,
Stürmet alle um mich her,
Schlinget euch an alle meine Leiden,
Fluthet um mich gleich dem wilden Meer,
Daß das Morgenroth sich in dem Abgrund spiegle,
Graun und Schrecken meine Heymath sey,
355 Daß der Wahnsinn immer rascher mich beflügle,
Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle,
Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey!

O Rosa, hier hätten Sie nun von neuem Gelegenheit, über mich zu spotten, aber ich finde immer mehr, daß man manches nur in Versen und in einer Art von Wahnsinn sagen könne, die prosaische Sprache widerspricht diesem Unsinn in jeder Zeile.

Lesen Sie doch aufmerksam Balders wunderbaren Brief, der wie der Gesang eines fremden, verirrten Vogels zu uns herübertönt.

Ich möchte Ihnen gern noch so vieles schreiben und kann keine Worte und keine Begriffe finden, es ist alles in mir wüst und verlassen, wie eine Gegend nach einem Erdbeben. –

Ich kann in mir selber keine Ruhe finden. Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich bin zufrieden. Dieser Zweifel ist der Henker, der unsre Seele auf die Folter legt. Andrea mag mir dagegen sagen, was er will: es ist die Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer wieder von neuem und stets von neuem dieselben Gedanken ohne Erfolg durch unsern Kopf rinnen zu lassen.

356 34.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Kensea.

Lieber Bruder. Ich habe Dich also doch nun wirklich endlich gesehen, und ich bin nun wieder umgekehrt, und sitze und denke hier in Kensea wieder an Dich, wo ich nach dem Willen meines lieben verstorbenen Herrn als ein Verwalter bleiben soll, bis mein Herr William aus Italien zurückkömmt. Wie ist die Zeit und das menschliche Leben doch so gar flüchtig! Es ist nicht anders, als wenn wir nur solche Bilder wären, die auf den Schießplätzen den Schützen oft vorbeygezogen werden, man sieht sie kaum, so sind sie auch schon wieder weg.

Hier leb' ich nun recht ruhig und von der ganzen Welt abgesondert. Ich denke oft an den guten alten Lord Lovell, der nun auch gestorben ist, und an alles, was ich so Zeit meines Lebens erfahren habe. Ich bin innerlich recht zur Ruhe gekommen und es ist mir, als wenn ich mich immerfort im Stillen grämte. Das 357 ist nun hier dasselbe Haus, in das ich als ein junger Bursche so munter und flink eintrat und mir alles in der Welt so herrlich und wie angeputzt vorkam; ich dachte immer: Ey, Willy, du bist jung, wie vieles Glück kann Dir noch begegnen, nur frisch und munter! Ich schrieb Dir damals auch einen langen und recht übermüthigen Brief, denn ich bildete mir auf die blanken Tressen auf meinem Rocke nicht wenig ein; es war mir mein Blut so warm, daß ich ordentlich glaubte, die ganze Welt sey nur mir zu Gefallen erschaffen. – Und nun, lieber Bruder, wenn ich daran denke, wie manche schwere Krankheit ich seitdem überstanden habe, wie oft es Dir so recht schlecht gegangen ist, daß ich herzlich weinen mußte, was alles der gute Lord Lovell gelitten hat, wie wir uns beyde nur im Grunde wenig gesehn hatten, wie ich mit der Herrschaft bald hier und bald da gewohnt habe, und wie ich nun als ein alter abgelebter Mann wieder über dieselbe Schwelle schritt, über die ich als ein junger Bursche sprang, – o lieber Bruder, so kann ich Dir gar nicht sagen, wie seltsam mir dabey zu Muthe wird. Ich möchte sagen, ich hätte mich 358 damals bloß in einen jungen Menschen verkleidet, oder mich nur jung angestellt, so unnatürlich kömmt es mir von damals vor. Herr Mortimer und seine Frau ist einmal hier durchgefahren und er hat mich bey der Gelegenheit besucht. Er ist munter und gesund und dabey recht freundlich gegen mich.

Ich gehe fleißig in die Kirche und halte mich jetzt mit meinen Gedanken mehr zu Gott, als jemals. Alles übrige ist doch nur eitel und vergänglich.

Der Garten hier ist gegen ehemals recht verwildert und ich kann ihn mit dem Gärtner unmöglich wieder recht in Ordnung bringen; das liebe Unkraut hat sich allenthalben eingeschlichen und tiefe Wurzel gefaßt; wir thun beide was wir können, aber es will immer nichts fruchten.

Bleib ja gesund, lieber Bruder, daß wir uns vor unserm Tode noch einmal sehn können, endlich muß es doch an's Sterben gehn, da hilft kein Widerstreben und dann wollen wir sanft und geruhig in dem Herrn entschlafen.

359 35.

Thomas an seinen Bruder Willy.

Bonstreet.

Deine Briefe, lieber Willy, sind mir jetzt immer gar zu fromm. Es ist freylich wohl wahr, daß man sich in Deinem Alter von dem Irrdischen etwas abziehen kann, und man thut ganz recht und wohl daran, aber alles Ding, Willy, hat auch sein Maaß und Ziel. Wir sind in der Welt, um zu arbeiten, und etwas zu thun und dazu möchte man alle Kourage verliehren, wenn man immer nur an die Vergänglichkeit der Dinge denken wollte, darum bilde ich mir manchmal ein, daß manches, was ich thue und verfertige, ewig dauern würde, und mir ist ganz wohl dabey zu Muthe.

Was du mir von Deinem Garten schreibst, will ich gar gern glauben, weil Du und der Gärtner vielleicht nicht mit dem Dinge umzugehen wissen. Auch gehören zu solchem Werke viele Arbeiter und Gartenknechte, wie du wohl auch hier an meinem Garten in Bonstreet wirst gesehn haben; die Natur hängt einmal nach 360 dem Verwildern hin, und darum muß man Tag und Nacht dagegen arbeiten.

Der alte Lord Burton ist recht gefährlich krank und ich glaube, daß er schon zum Grabe reif ist. Die Unterthanen sind alle vergnügt, und seine Kinder sind die einzigen, die ich weinen sehe. Es ist ihre Pflicht, als Kinder, sonst hat er von den andern nicht leicht eine Thräne verdient; er bekehrt sich vielleicht noch in seinen letzten Stunden, welches ich von Herzen wünschen will. Auf den Sohn hoffen wir aber alle recht mit Sehnsucht, und ich denke, es soll denn auch mit meinem Garten hier ein ander Ansehn gewinnen. Ich habe mit allen meinen Herrschaften bisher immer Unglück gehabt; die alte Dame in Waterhall ließ den Garten fast ganz verwildern, und der alte Lord Burton hat gar keinen recht guten Geschmack, und man darf ihm nichts einmal dagegen sagen, sonst wird er noch obendrein böse. So alt ich bin, so hör' ich es doch gerne, wenn fremde Herrschaften so den Garten und den Fleiß des Gärtners loben, und der Sohn, der junge Herr, hat auch schon manchmal mit mir darüber gesprochen, ausser seit sein Vater so krank ist, wo 361 er ordentlich melancholisch geworden ist. Man soll den hiesigen Garten gewiß weit und breit loben, die Leute sollen weit hieher reisen, um ihn zu sehn. Siehst Du, Willy, noch in meinen alten Tagen denke ich Ehre einzulegen, ich thue nicht so verzagt wie du. Lebe wohl und bleibe nur gesund.

362 36.

Andrea Cosimo an William Lovell.

Rom.

Ist denn Dein umherschweifendes, unruhiges Gemüth nun endlich zur Ruhe gebracht? Deine wilden Zweifel sind aufgelöst und Du wirst Dich und die Welt wieder unbefangener betrachten können. Ich habe alles für Dich gethan, was ich thun konnte, und der ungestümste Zweifler hätte dadurch befriedigt werden müssen.

363 37.

William Lovell an Andrea Cosimo.

Ich danke Dir, daß Du mich endlich aus den verworrenen Labyrinthen wieder zum Lichte des Tages geführt hast, denn meine Seele erlag allen den ungeduldigen Zweifeln. Aber jetzt ordnet sich alles Unstäte und Umherschweifende in meinem Gemüthe wie an Fäden die alle in Einem Mittelpunkte zusammentreffen. Du hast mich von der Wirklichkeit einer wunderbaren Welt überzeugt und alles hat sich in mir zufrieden gegeben, alle Ideen und Empfindungen nehmen wieder ihre natürliche Stelle ein und die Harmonie mit mir selbst ist hergestellt.

364 38.

William Lovell an Rosa.

Rom.

Endlich, Freund, bin ich beruhigt, ich habe die höchsten Spannungen der Phantasie überstanden und ein gewöhnlicheres Leben nimmt seinen Anfang. Andrea hat mich endlich von seiner Lehre überzeugt und ich fühle mich innerlich beruhigt, ich bin an eine stille ruhige Insel nach einem wilden Sturme verschlagen. Folgen Sie meinem Beyspiele, Rosa, und werfen Sie sich einer Ueberzeugung in die Arme, um beruhigt zu werden. Ueberzeugungen muß der Mensch haben, um sein Daseyn ertragen zu können, um nicht vor sich selbst und dem Abgrunde den er in seinem Innern entdeckt zurückzuschaudern. Ich mag diese Nothwendigkeit keine Schwäche nennen, denn durch Glaube und Ueberzeugung fühlt sich der Mensch stark; seine Zweifel waren nur ziehende Wogen die ihn an das feste Gestade trugen.

365 39.

Mortimer an Eduard Burton.

Roger–place.

Ich habe seit lange, theurer Freund, keine Nachrichten von Ihnen erhalten, und ich gerathe fast in die Besorgniß, daß Sie ebenfalls krank sind. Mit Ihrem Vater hat es sich wahrscheinlich nicht gebessert, denn sonst würden Sie mir wohl einige Nachricht davon gegeben haben.

Ich fühle mich in der Einförmigkeit des Landlebens noch immer sehr glücklich; es scheinen mir lauter Mißverständnisse zu seyn, wenn die Menschen so ämsig nach ihrem Glücke suchen, selten denkt man sich bey dem Worte Glück etwas deutliches, und die Wandrer gehn nun oft auf wunderbaren Wegen um das Ziel herum. Amalia ist eben so froh und gesund, als ich bin, und ich möchte sagen, daß sie mit jedem Tage heiterer wird.

Ich habe mich jetzt daran gewöhnt, eine eigene Haushaltung zu führen, und ich und meine Frau haben uns noch nie gestritten, ein 366 paar recht freundschaftliche Zänkereyen abgerechnet, die über ein häsliches Weib entstanden, die Amalia aus zu großer Gutherzigkeit in ihre Dienste genommen hat. Dies Wesen hat ganz das Ansehen einer verzauberten Fee, wenigstens habe ich noch in keinem Mährchen eine Beschreibung von einer häßlichern gefunden, ihre Physiognomie ist mir im höchsten Grade zuwider, es ist nicht meine Schuld, wenn ich sie zugleich für boshaft halten muß.

Leben Sie recht wohl und antworten Sie mir bald.

367 40.

Eduard Burton an Mortimer.

Bonstreet.

Ich konnte Ihnen bisher nicht schreiben, theurer Freund, weil die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage zunahm, mich zu sehr beschäftigte und zerstreute. Sie ahnden es vielleicht aus diesem Anfange, daß er nicht mehr ist, und diese Nachricht war es, die der Innhalt meines Briefes werden sollte. Ja Mortimer, er hat endlich alle Schmerzen die ihn folterten überstanden, und auch ich bin nun ruhiger. Seine Seele schied schwer von ihrem Körper, der sie doch nicht mehr zurückhalten konnte; ich kann es nicht unterlassen, ihn stets von neuem zu beweinen, wenn es mir wieder lebhaft einfällt, daß er nicht mehr ist, so viel ich auch in manchen Stunden von ihm habe leiden müssen. Ach, ich habe alles, alles vergessen, denn er war in seinen letzten Stunden so freundlich und zärtlich gegen mich; er hätte sich mit der ganzen Welt so gern versöhnt, und sprach oft mit vieler Rührung von Lovell, seinem gestorbe368nen Feinde. – Vor seinem Tode hat er noch viele Papiere verbrannt, die er mit nassen Augen betrachtete.

Leben Sie recht wohl und glücklich, ich werde Sie auf einige Tage besuchen, um mich zu zerstreuen. Morgen ist das Begräbniß.
 

369 William Lovell.

Drittes Buch.

371 1.

Eduard Burton an Mortimer.

Bonstreet.

Mein Sinn ist wieder frey, und die Natur umher wieder heiter. Die tiefe Traurigkeit kann mit allem Rechte zu den gefährlichen Krankheiten gerechnet werden. Ich bin jetzt genesen, und der Schmerz der Rückerinnerung ist weit sanfter und geistiger; wenn ich jetzt nur noch einige Geschäfte in Ordnung gebracht habe, so sehn Sie mich auf einige Tage in Ihrer Wohnung.

Wozu die Klagen, die ungestümen Stürme gegen ein unabänderliches und gewiß gütiges Schicksal? – Er ist hinab, zur Ruhe gegangen, und es ist menschlich die Arme nach dem Verschwindenden auszustrecken; aber war denn das Leben sein Gewinn und sein Glück? Der Mensch betrachte den Himmel mit seiner Sonne und mit seinen Sternen, und alle ängstlichen 372 Zweifel in seiner Brust werden vergehen, das Wohlwollen das wir in uns selbst empfinden, ist die Seele der ganzen Natur, ein Strom aus dem allgemeinen Meer der Liebe, aus Gott der sich in jedes Herz mit leisem Rieseln senkt. – Der gemeinste und der höchste Sinn haben hier nur einen und denselben Trost.

Aus jeder herben Empfindung entspringen bald fröliche Gefühle und ich glaube, daß meine Schwester schon jetzt mit Hoffnungen ihre Phantasie schmückt, die sie bis jetzt unterdrükken mußte. Es ist mir nie so recht gelungen, ihr eigentlicher Vertrauter zu werden, aber ich verarge ihr dies neue Leben nicht, obgleich Lovell in seiner jetzigen Stimmung schreckliche Sätze darinn über die Menschen entdecken würde. – O wie schmerzt es mich, so oft ich diesen Nahmen niederschreibe!

Leben Sie recht wohl, Emilie läßt Ihre Gattinn herzlich grüßen.

373 2.

Karl Wilmont an seinen Freund Mortimer.

London.

Du vermuthest mich vielleicht noch in Bonstreet und wunderst Dich den Brief von London datirt zu sehn? Nein, Mortimer, ich wünschte nicht, daß Du lange in Deinem Erstaunen bleiben mögest, denn ich fühle es, daß ich hier seyn muß.

Ich habe vier glückliche Tage in Bonstreet, an Emiliens Seite verlebt, und bey Gott, es hat mich noch nicht einen Augenblick gereuet, daß ich wieder so schnell abgereist bin. Ich sollte unwürdig genug seyn, Sie sogleich mit ihrer reichen Aussteuer zu heyrathen und dann gemächlich von ihrem Vermögen zu leben? Es kam bloß auf mich an, aber bey der ersten Nachricht von Burtons Tode ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich ein unwürdiger Mensch wäre, wenn ich es thäte. Du weißt, daß ich mehrere gute Empfehlungen an den Minister hatte, und er nahm mich freundlicher 374 auf als ich erwarten konnte: bey ihm arbeite ich jetzt. Ich theilte Emilien sogleich als ich in Bonstreet ankam meinen Plan mit und sie konnte ihn auf keine Weise mißbilligen. Das Bewußtseyn ihrer Liebe begleitet mich an meinen Arbeitstisch und die schwersten Geschäfte lächeln mich an; wir sind beyde noch jung, und so mag unsere Vereinigung noch immer ein Jahr oder etwas länger aufgeschoben bleiben; in dieser Zeit denke ich befördert zu werden und ihr dann doch mit einem kleinen Glücke entgegen zu kommen.

Ich lächle über mich selber wie ich bisher alles ernstere, festere Leben verabsäumt habe, sie nur so oft als möglich zu sehn suchte, und daß ich jetzt hier sitze, freywillig von ihr verbannt und mir noch aus meinem kältern Sinn ein großes Verdienst mache. Aber bisher war sie mir ungeist und ich verlängre nun gern meine poetische Idyllenexistenz, das goldne Zeitalter der reinen Liebe, das doch nachher auf immer verlohren ist.

Meine Lebensgeister sind sehr munter, und mir ist immer als wenn ich bey Emilien wäre. Die Stadt mit allen ihren Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gefällt mir, denn ich 375 bin wie mit einer neuen und klügern Jugend beschenkt. Wie herrlich das Leben mit seinem Treiben und seinem Gewühle vor mir liegt! Wer wollte sich nicht gern unter die Schwimmer auf diesem glänzenden Strome mischen?

Zuweilen mache ich mir Vorwürfe darüber, daß ich innerlich so froh bin. Die Menschen, (und ich mit eingerechnet,) sind ausgemachte Narren. Einen trüben, verkehrten Sinn, in dem sich alle Gegenstände dunkel und unkenntlich abspiegeln, halten Sie viel leichter für den Rahm der Tugend, als die frohe Gemüthsstimmung. Ich freue mich ja nicht über Burtons Tod, nicht daß er mir aus dem Wege gegangen ist, – o nein, nur über die Ebene, die plötzlich, ohne mein Zuthun, vor meinen Füßen liegt. Die Menschen sind darinn ganz gute Geschöpfe, und wohl mir, daß auch ich mir jetzt so recht wichtig und bedeutend vorkomme, daß ich alle Vorstellungen auf mich und mein künftiges Glück beziehe! Man lasse doch alle große kosmopolitische Plane, allen Kummer über Weltbegebenheiten fahren, und liebe sich und die Menschen recht innig, die der gütige Himmel dicht um uns angepflanzt hat! Dieser Empfin376dung, diesem Vorsatze will ich folgen, und Du mein lieber Mortimer, bist mit unter meine Geliebten eingeschlossen; aber auch meine Schwester die Du grüßen sollst, und jeden der sonst im Hause nach mir frägt, selbst die häsliche Charlotte nicht abgerechnet, die Dir so zuwider ist.

377 3.

Mortimer an Karl Willmont.

Roger – place.

Deinen Gruß an Charlotten magst Du bey der ersten Gelegenheit selbst bestellen, denn ich spreche nur ungern mit ihr, die übrigen sind besorgt und alle sagen von Herzen Dank, daß du Dich ihrer mit einem so fröhlichen Wohlwollen erinnerst. Dein Brief, Karl, hat mir sehr gefallen, denn eine liebenswürdige Menschlichkeit führt darinn das Wort, wir sollten alle so empfinden, und die Menschen würden sich aus dieser dürren Erde einen Garten machen.

Nein, du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, lieber, unbefangener Mensch. Liegt es denn nicht in unserer Natur, daß wir das Glück willkommen heißen, wo wir es finden? Deine Seele hat ihre Unschuld behalten und Du wirst nie schlecht empfinden, und wenn auch bey der Betrübniß andrer Dein Mund sich zum frohsten Lachen zieht.

Mit Deinem Plane bin ich ebenfalls sehr zufrieden, die Thätigkeit wird Dich zum Manne 378 machen, denn das ist der große Vortheil der Beschäftigung, daß sie unsern Geist reifer macht, wenn sie gleich in sich selbst oft keinen großen Werth hat. Die meisten Menschen wissen immer nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen, wenn sie nicht von einer geordneten Thätigkeit mitgenommen werden, sie werden dann nur gar zu leicht auch im Geiste müssig und faul und sind nachher für jede Arbeit unbrauchbar, wenn sie auch gerne arbeiten wollten, ihr Daseyn wird dann durch ewige unbedeutende Zerstreuungen zerschnitten und sie werden sich selbst zur Last. Du wirst bald fühlen wie Dein Geist durch eine nicht übertriebene und verworrene Thätigkeit elastischer wird und Emilie wird mehr als einen Gewinn davon haben.

Alle Deine Wünsche mögen in Erfüllung gehn, nur erliege nicht unter Deinen Vorsätzen.

379 4.

Emilie Burton an ihre Freundinn Amalie.

Bonstreet.

Morgen, liebe Freundinn, reise ich mit meinem Bruder von hier ab, um Sie auf einige Tage zu besuchen. Ich bin jetzt wie aus einem Kerker erlöst, seit ich nicht mehr so traurig bin; man fühlt nie so tief, wie wenig alle Vernunftgründe vermögen, man bemerkt nie so sehr, wie schwach wir sind, als wenn ein recht heftiger Schmerz unsre Seele durchdringt. Alle unsre Freuden und Hoffnungen fliehen dann plötzlich hinweg, und bleiben in einer unkenntlichen Ferne stehn; die Verzweiflung breitet sich in unserm ganzen Innern aus und wir kommen uns selber als Kinder vor, daß wir uns über irgend etwas freuen konnten.

Aber nach einem heftigen Schmerze, wenn die Brust sich erst durch Schluchzen freyern Athem gemacht hat, fühlen wir unser Leben dann auch mit frischem Wohlbehagen; und wie freue ich mich jetzt, Sie nach einer so langen 380 Trennung wieder zu sehn! – Mein Herz wird sich in Ihrem Gespräche erleichtert fühlen, und Sie werden mir dann so vieles, so mancherley erzählen müssen. – Ich erschrecke manchmal innig, wenn ich plötzlich daran denke, wie alles sich in und um uns verändert; wie manches ist jetzt anders als es noch vor einem Jahre war, und wie anders waren wir, als wir noch zwey Jahre jünger waren! Mich befällt es manch, mal, daß ich glaube, der Mensch könne für nichts in sich gut sagen; und wie betrübt ist dieser Gedanke!

Warum fang' ich an so weitläuftig zu werden, da wir uns nun bald mündlich sprechen? – Denken Sie wohl noch zuweilen an den armen Lovell? Was er jetzt treiben mag, der arme in sich verunglückte Mensch! – Ich möchte ihn wohl noch einmal wieder sehn. – Leben Sie wohl.

381 5.

Bianka an William Lovell.

Rom.

Ich sehe Dich jetzt nur so selten, Du eigensinniger Träumer! und dann nur auf einzelne flüchtige Augenblicke! Es ist mir eingefallen, wenn ich manchmal Dein verdrüßliches Gesicht ansehe, daß Du selbst nichts weißt, was Du von Dir und von mir haben willst. Umsonst werden alle Scherze und jeder Muthwille wach, wenn Du bey mir bist; Du bleibst in Deiner Verschlossenheit, und lächelst nur zuweilen halb mitleidig, halb erzwungen, um mich nur nicht rasend zu machen. – Ist das derselbe Lovell den sich vor einem Jahre mein lüsternes Auge wünschte?

Laura ist bey mir und wir haben eben von Deiner unerträglichen Laune gesprochen. Daß wir uns so an Dich gewöhnt haben, ja daß wir Dich so lieben, ist um zu verzweifeln! Es fehlt nicht viel, daß wir Sonnette auf Dich machten; aber nimm Dich in Acht, daß es nicht im Ernste Satyren werden!

382 O ihr Männer! seyd ihr nicht unbegreifliche Thoren, daß Ihr erst mit so vielen Erniedrigungen um unsre Gunst bettelt, und sie verachtet, wenn ihr endlich erhört seyd! Müßtest Du Dich nicht hoch glücklich schätzen, daß zwey römische Mädchen, ich und meine Freundinn Laura, Dich so lieben? nicht für Dein Geld, sondern weil Du Lovell bist. Aber Du bist ein kalter, nördlicher Satan, der mich martert und mich mit meiner innigen Liebe verächtlich stehn läßt und vorübergeht! – Ich will auch nicht mehr an Dich denken, ich will Dich bey andern Männern vergessen!

Aber besuche mich nur heut noch, wenn Du Dich nicht besser zu beschäftigen weißt, ich will meine ganze Phantasie aufbieten, Dich fröhlicher zu machen.

Hast du Verdruß, Händel und Prozesse vielleicht in Deinem Vaterlande? – O laß alles fahren und freue Dich des Lebens und der Liebe! Was ist alles übrige? – Nicht der Mühe werth um davon zu reden. – O das habe ich Dich so oft an meinem Busen beschwören hören, Du Ungetreuer! Komm und sey jetzt nicht 383 meineidig, sondern wiederhole Deinen Schwur. – Wenn Du es willst, soll Laura bey mir bleiben.

Sehr närrisch macht sich die Feder in meinen zum Schreiben ungelenken Fingern aber möchten die ungeschickten verwirrten Streiche doch Zaubercharakter seyn, die Dich unaufhaltsam herbannten!

384 6.

Franzesko an William Lovell.

Rom.

Sie waren gestern ganz ohne Zweifel böse auf mich, weil ich Sie mit Adriano bey Ihrer Bianka störte, aber ich hoffe, ich habe mich doch im Ganzen so schnell wieder entfernt, daß Sie nicht unversöhnlich seyn werden. Ich reiche Ihnen mit aller meiner Gutmüthigkeit die Hand zum Frieden, denn es wäre unverzeihlich, wenn wir beyde noch vor Ihrer Abreise Feinde werden sollten.

Wenn ich nicht etwas zu fett wäre, so würde ich Sie begleiten und bey der Gelegenheit auch einmal andre Länder, als Italien zu sehn bekommen; aber so bin ich in mir selber gefangen, denn das Reisen bekömmt mir nie. Sonderbar, daß wenn man es sich gut schmecken läßt, man es nachher mühsam findet, einen Berg zu erklettern. – Indessen es lassen sich nicht alle Genüsse und alle Vortreflichkeiten verbinden.

385 Wenn ich mir meine neugierige Seele denke, die so in schweren unbeholfenen Fesseln sitzt, und doch gern manches Neue lernen und erfahren möchte, so bekomme ich ein ordentliches Mitleiden mit mir selber. Als ich noch zuweilen weit zu Fuße ging, nahm ich mir vor, den größten Theil der Welt recht genau zu betrachten, und jetzt habe ich nun alles im verjüngten Maaßstabe, in Kupferstichen vor mir und muß mich daran begnügen. – Doch, was hat man von einer ganzen Reise, wenn man wieder kömmt?

Trinken Sie ja nicht gleich kalt Wasser, wenn Sie aus dem Wagen oder vom Pferde steigen, denn ich habe es aus eigner Erfahrung, daß das sehr schädlich ist.

Bleiben Sie einem Frauenzimmer zu gefallen nie einen Tag länger an einen Orte; man hat nur Undank davon.

Lassen Sie fleißig nachsehn ob keine Linse am Wagen fehlt, damit Ihnen nicht plötzlich ein Rad abläuft und Sie einen gewaltigen Stoß bekommen.

Nehmen Sie auf jeden Fall einige Flaschen vorzüglich guten Wein mit, man weiß sonst 386 manchmal nicht, was man in den schlechten Wirthshäusern anfangen soll, wo man oft in den miserabelsten Speisen die Zähne bewegt um nur mit dem Wirthe keine Händel zu bekommen.

Die Postillione sind am besten, wenn sie halb betrunken sind.

Wenn Sie Ihren Freunden Naturseltenheiten mitbringen sollen, so ist es am bequemsten daß Sie diese auf der letzten Station kaufen, und dann schwören, Sie hätten sie mit eigenen Händen aus dem oder dem Berge gebrochen; man kann manchen Leuten damit eine sehr fröliche Stunde machen.

Nehmen Sie sich besonders vor dem Morgenthau in Acht; es ist widerwärtig auf einer Reise krank zu werden.

Unterlassen Sie es nie, an die Aufwärterinnen einige Liebkosungen wegzuwerfen, Sie bekommen durch dieses Hausmittel allenthalben weit bessere Suppen.

Die Rechnungen der Wirthe braucht man nie zu überrechnen, denn richtig addirt werden sie selbst vom Einfältigsten; man spart beym Einsteigen in den Wagen damit einige Zeit.

Ihren Bedienten behandeln Sie ja recht 387 schlecht, sonst ist er auf der Reise Ihr Herr. In einem fremden Lande können Sie ihm am meisten bieten, weil er schon Gott dafür danken wird, wenn Sie ihn nur wieder zurück bringen.

Ich halte Sie für meinen wahren Freund, denn ich bin wenigstens der Ihrige, und darum habe ich Ihnen einige Kenntnisse mitgetheilt, die ich mir ehemals auf meinen Reisen abstrahirt habe. Der ganze Brief macht wenigstens daß Sie auf der Reise vielleicht an mich zuweilen denken, damit habe ich schon genug und übergenug gewonnen, und gegen unsern Andrea will ich recht damit prahlen, daß ich Ihnen manchen vortreflichen Rath auf den Weg gegeben habe.

Besuchen Sie mich aber noch morgen Abend, Sie werden eine Gesellschaft von lustigen Freunden finden.

388 7.

Bianka an William Lovell.

Rom.

Und Du willst uns also wirklich verlassen? Ich sehe Dich nun in langer Zeit nicht, vielleicht nie wieder? – Willst Du auf der Reise zuweilen an Deine Bianka denken? Doch darauf darf ich kaum hoffen und meine Zudringlichkeit wird mich Dir nur noch verhaßter machen. Ich habe gehört, daß Du schon morgen früh abreisen willst und so wünsche ich Dir denn alles mögliche Glück. Wenn Du mich liebtest, würdest Du mich heut noch zum letztenmale besuchen, aber ich zweifle, daß Du kömmst. Ich möchte Dich so gern sprechen, aber Dir liegt nichts daran, – und so magst Du denn gehn. – Lebe wohl.

389 8.

William Lovell an Rosa.

Chambery.

Ich habe mich nirgends aufgehalten, und darum haben Sie bis jetzt noch keinen Brief von mir erhalten, hier aber will ich nun mehrere Tage von den Beschwerlichkeiten der Reise ruhn.

Ich hätte nicht noch jenen lustigen Abend bey unserm Franzesko genießen sollen, denn die Einsamkeit, die Entfernung von Ihnen und allen unsern Freunden drückt mich nun um so schmerzhafter. Schon unter der Munterkeit, unter dem lauten Lachen sah ich in Gedanken meinen einsamen Wagen zwischen düstern Bergen fahren, und nun sitz ich hier in einer fremden Stadt, so ganz abgesondert, tief in Betrachtungen und Erinnerungen mancherley Art versenkt.

Ich wollte vor meiner Abreise noch Bianka besuchen, allein halb war es unmöglich, halb hab' ich es vergessen. Nichts ist für mich widriger und betrübter als jeder Abend vor ei390ner Abreise, man ist ermüdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Finsterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieses, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergessen; Koffer und Mantelsäcke werden dann zugeschlossen, und wir werden so recht darauf aufmerksam gemacht, wie unser ganzes Leben aus so elenden Bedürfnissen zusammengeflickt ist, wie wir mit einem Praß von unnützen Nothwendigkeiten beladen, wie wir an uns selbst so wenig, ja fast nichts sind. Das ängstliche Herumtreiben der Aufwärter, die größere Leere der Zimmer, der Gedanke der Reise, – alles giebt dann eine dunkle Allegorie von der widrigen Maschinerie des menschlichen Lebens, wo alle Räder und alle Getriebe so kreischend hervorschreien, wo das Bedürfniß die erste bewegende Kraft ist. Dann gehn Berge und Thäler wie Schatten meinem Sinn vorüber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Aengstlichkeit, als wenn ich sterben sollte.

Mit dem ersten Ruck des Wagens hören dann gewöhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergesse denn, daß ich den Ort, den ich verlas391se, vielleicht nie, oder mit ganz ungeänderten Gefühlen wiedersehe. – Und kann man denn allenthalben zugleich und allenthalben der nemliche seyn? Oder sollen wir ewig von einem Orte zum andern ziehn, – ach Rosa, ich bin sehr unzufrieden und verdrüßlich! – grüßen Sie Andrea und alle meine Freunde herzlich, seyn Sie versichert, daß ich zurückkehre, so bald es möglich ist.

In den wildesten Gegenden der Piemontesischen Gebürge fühlte ich mich oft auf eine seltsame Art glücklich, ich dachte an den Vorfall mit den Räubern, der mir vor ohngefähr anderthalb Jahren hier begegnete. Ich glaubte oft, daß Balder jetzt aus einem dunkeln Gebirgpfad heraustreten müßte, oder daß Niemand anders als Amalie in der Kutsche vor mir fahren könne, oft hatten auch die Gesichter, denen ich begegnete, eine auffallende Aehnlichkeit mit jenen, die ich suchte. Ich weiß selbst nicht, was mich zu so seltsamen Erwartungen stimmte, noch weniger warum ich es so innig wünschte, daß meine Träume zur Wirklichkeit werden möchten.

392 Lassen Sie mich Ihnen einige Empfindungen mittheilen, hie ich nicht unterlassen konnte, im Wagen niederzuschreiben.

Mit trüben Auge
In finstrer Nacht,
Geht durch das Leben
Das Kind geleitet
Vom ernsten Führer,
Den es nicht kennt.
    Im Thal, am lauten Wasserfall
Stehn beyde Wandrer still,
Der Führer spricht zum Horchenden:
    Sieh, hier blühen alle Blumen,
Alle Wünsche, alle Freuden,
Pflücke, denn wie fließend Wasser
Rauscht das Leben Dir vorüber.
    Fort weicht die Gestalt
Und tiefbekümmert
Sieht ihr mit langem Blicke
Der einsam Verlassene schmachtend nach.
    Wind säuselt in den Blumen,
Wellen murmeln so wie zum frölichen Tanz,
Da beugt sich der Fremdling
Und mäht mit raschen zitternden Händen
Die kleine Stelle
Auf der er steht.
    Und Blumen und Gräser
Und giftiges Unkraut
Und stachlicht Gewürme
393 Fühlt zitternd die Hand.
Und halb erschrocken
Und halb entschlossen
Wirft Gräser und Unkraut,
Gewürme und Blumen
Das Kind mit Gewinsel
In die Fluthen des lauten abrollenden Stroms.
    „Wo sind die Freuden?
Wo sind meine Wünsche?
Du hast mich betrogen
Und einsam verlassen
Zittr' ich noch einmal
Die Hand nach den täuschenden Blumen zu strecken.“
    Da fließt des Mondes goldnes Licht
Durch Thal und Wies' und über den Strom
Und räthselhaft steht rings die Gegend
Im Glanz des Abends.
„Wo find ich die Heimath?
Wo find ich Gefährten?
Ich sehe nur Schatten,
Die dunkel und dunkler
Vom Strom herüber,
Bald hierhin, bald dorthin
Wie Wolken gehn.
Liegt alles jenseits,
Was ich mir wünsche
Und herzlich suche?
Ich höre Töne,
Sind's ferne Wasser,
394 Sind's tönende Wälder,
Sind's Menschenstimmen?
So fremd und vertraulich,
So ernst und so freundlich
Klingts fern herüber.
Ach wie trotzig braust der Strom sein Lied fort,
Ziehende Vögel spotten meiner in der Ferne,
Wolken sammeln sich um den Mond und nehmen ihn mit sich,
Ach kein Wesen, das meiner sich erbarmte.
Ist dies das Leben,
Voll Lieb und Freude?
Wo find ich die schöne,
Verlassene Heimath? – –

Wie mag sich in meinem Vaterlande jetzt alles verändert haben? – Wie habe ich mich selbst verändert! – Und doch bin ich innerlich noch so sehr dasselbe Wesen.

Das Wetter ist sehr trübe und ich will mich niederlegen, um zu schlafen.

395 9.
Eduard Burton an Mortimer.

Bonstreet.

Ich schicke Ihnen hier einige Papiere, die Sie, wie ich glaube, mit Intresse lesen werden. Unsre neulichen herzlichen Gespräche gegen mir ein Recht, nicht geheimnißvoll gegen Sie zu seyn, ob ich Sie gleich ersuche, diese Blätter in keine andre Hände zu geben, denn sie sind von meinem Vater.

Vorn habe ich mehrere Bogen weggeschnitten, die, wie es scheint, zu Exercitien in der Sprache gedient haben, durch einen Zufall hat er in diesem Buche dann für sich weiter geschrieben und so sind diese Geständnisse entstanden. Es giebt vielen Aufschluß über seine Art zu denken und über den Menschen vielleicht überhaupt. Er hat es selbst späterhin angemerkt, was er in seiner Jugend geschrieben hat.

Mich hat die Lectüre betrübt und nachdenkend gemacht. – Ist es nicht wunderbar, daß sich aus einem Schreibebuche der Charakter eines Menschen zum Theil entwickeln konnte?

396 Auch in seiner Krankheit hat er noch daran geschrieben, er suchte das Buch selbst und ließ es sehr emsig suchen, weil er mir es selbst geben wollte, aber es war nirgends zu finden. Jetzt hab' ich es bey dem Aufräumen der Zimmer von ohngefähr unter dem Bette entdeckt, in welchem er starb. –

Schicken Sie es mir zurück, so bald Sie es geendigt haben.

397 10.
Einlage des vorigen Briefes.

In meinem sechszehnten Jahre geschrieben.

Ja ja, Herr Wilkens ich habe Ihre Regeln recht gut verstanden, und vielleicht besser als Sie es glauben. Ihr ganzer Unterricht bezieht sich am Ende dahin, daß ich die Sprache zu meinem Nutzen gebrauchen lerne, und dann ist der Mensch gebildet. Habe ich mich nicht noch gestern an einem schwierigen Briefe üben müssen, in welchem eine gut angebrachte captatio benevolentiae, gleich im Anfange mein Hauptaugenmerk seyn mußte?

Ich bin seit gestern gegen jedermann besonders gegen die Bedienten sehr auf meiner Hut, denn ich sehe in jedem freundlichen Gesichte, in jedem ehrerbietigen Gruß nur eine captatio benevolentiae und gegen meinen Vater habe ich sie selbst auf die glücklichste Art benutzt, denn ich habe nun endlich die schöne goldne Uhr, nach der so lange mein Sinn trachtete. – Nur muß ich dafür sorgen daß niemanden diese Be398trachtungen über meine Lehrstunden in die Hände fallen.

Es ist aber, als wenn der Unterricht aller meiner Lehrer, ja selbst meines Vaters nur dahin ginge, daß ich lügen und mit den Worten spielen lernte, wenigstens ist die kluge Schmeicheley gewiß die Poesie, die am unmittelbarsten auf die Seele wirkt. – Ich glaube, alle Complimente die meinem Vater gemacht werden, und die er zurückgiebt, sind nur Repetitionen aus einem frühern Unterrichte.

Ich muß selbst die Probe an den Menschen machen, die mich umgeben, vorzüglich am Koch und am Gärtner. Wenn der Satz richtig ist, so hat vielleicht jedermann eine schwache Seite, die man ihm abgewinnen muß, um ihn nach Gefallen zu benutzen. Das wäre wenigstens ein sehr lustiges Leben, wenn mir plötzlich alle Trauben des Gartens, alle Leckerbissen der Küche, ja selbst alle Goldstücke meines Vaters zu Gebote ständen.

Der Schlüssel zur ganzen Welt könnte am Ende nichts anders, als die gepriesene Captatio benevolentiae seyn.

399 Es muß aber doch Menschen geben, die auf dieselben Gedanken gefallen sind, und ich fürchte mein Vater und die mehresten alten Herren die ihn besuchen, gehören zu diesen. Gegen diese müßte man denn wie gegen einen ausgelernten Schachspieler sein Spiel maskiren, sich als unbefangen und dumm gutmüthig ankündigen, und so ihre Aufmerksamkeit einschläfern. Ich will wenigstens gegen meinen Vater sehr auf meiner Hut seyn, denn wenn man einmal die Spur eines Menschen entdeckt hat, so muß es leicht seyn, ihn zu seinem versteckten Lager zu folgen.

Wenn Herr Wilkins nur nicht wieder darauf fällt, daß ich Verse machen soll, eine andre Art Lügen zu bauen, die ich verabscheue, weil sie zu gar nichts führt. Man sage mir doch ja nicht vor, daß Empfindungen diese trostlosen abgezirkelten Zeilen hervorbringen; ich habe schon manchen weinen sehen, aber nie auf eine ähnliche Art sprechen gehört. Ich begreife auch nicht, wie ich oder irgend jemand durch ein fingirtes Trauerspiel gerührt werden kann. – Diejenigen die Trähnen vergießen können, sind am Ende wieder eine andere Art 400 von Lügnern vor sich selber, so wie jene, die die herzbrechende Verse niederschreiben konnten. – So leben wir am Ende auf einer unterhaltenden abwechselnden Masquerade, auf der sich der am besten gefällt, der am unkenntlichsten bleibt, und lustig ist es, wenn selbst die Maskenhändler, unsere Geistlichen und unsere Lehrer, von ihren eigenen Larven hintergangen werden.

————

Zwey Jahre nachher.

Gottlob! daß ich endlich von meinen lästigen Lehrern befreyet bin! Nichts als Worte und Phrasen! Ich habe bey diesem Unterricht nur die Menschen kennen gelernt, die ihn mir ertheilten, die so schwach und blöde waren, daß sie es gar nicht bemerkten, wie sie von mir und meinem Eigensinne abhingen.

Nichts kann mich so sehr aufbringen, als die Unbeholfenheit im Menschen, jene Blindheit in der sie nicht sehen, welche Talente zu ihrem Gebote stehen, und wie Fremde ihnen plötzlich Zügel und Gebiß anlegen, und aus einem freyen Thiere ein dienstbares machen. 401 Durch ein paar unbesonnene Streiche ist der Kammerdiener meines Vaters, der sonst ein gescheuter Mensch ist, so in mein Interesse verwickelt, daß er es jetzt gar nicht wagt, ehrlich oder gegen mich zu handeln. Der Verwalter ist der gutherzigste Narr von der Welt, aber er hält mich für einen noch größern, und dadurch habe ich sein unbedingtes Zutrauen gewonnen.

In der Sprache muß man sich gewisse Worte und Redensarten merken, die wie Zaubergesänge dazu dienen, eine gewisse Gattung von Leuten einzuschläfern. Auf jeden Menschen würken Worte, nur muß man ihn etwas kennen, damit man die rechten nimmt, um sein Ohr zu bezaubern. Der Verwalter hört nun gern von Ehrlichkeit der Menschen reden, er liebt es wenn man auf Niederträchtigkeit schimpft; wenn ich dies thue, und die Worte mit einer gewissen Hitze ausspreche, so weiß er sich vor Freuden nicht zu lassen, und drückt mir in seinem Entzücken die Hände. Auf diese Art muß man den Schatz unserer Sprache studiren, um die wahre Art zu sprechen zu finden. Es fällt mir immer ein, daß die Menschen offenbar 402 Narren sind, die so reden wollen, wie sie denken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und sich nur Schaden stiften. Ich denke für mich und spreche für die andern, folglich muß ich nur sagen, was diese gern hören. Es wird auch Niemand erwarten, daß ich die sogenannte Wahrheit rede, so wenig wie ich es von einem andern fordere, denn sonst müßte ich nie jemanden etwas Schmeichelhaftes sagen, so wenig wie ich von irgend einem ein Kompliment bekommen würde. Die Sprache ist nur dazu erfunden um etwas zu sagen, was man nicht denkt; und wie selten denkt man selbst ohne zu lügen!

Die sogenannten Wahrheitsfreunde sind daher Menschen, die ausgemachte Thoren sind, die selbst nicht wissen, was sie wollen, oder sie sind eine andere Art von Lügnern. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, daß in ihrer Wahrheitssagerey ihr Charakter bestehe, und sie sagen daher von sich und andern Leuten eine Menge Sachen die sie wirklich nicht denken, sie wollen sich auf diese Art etwas auszeichnen, und sich freywillig verhaßt machen. Sie sehen nicht ein, daß unsere ganze Sprache 403 schon für die Begriffe und Dinge, die sie bezeichnen soll, äusserst unpassend ist, daß schon diese die Unwahrheit sagt, und daß es daher unsere Pflicht ist, ihr nachzuhelfen.

Der Grund von allen unsern Künsten, von allen unsern Vergnügungen, von allem was wir denken und träumen, – was ist er anders als Unwahrheit? – Plane und Entwürfe, Tragödien und Lustspiele, Liebe und Haß, alles, alles ist nur eine Täuschung, die wir in uns selber erzeugen; unsere Sinne und unsere Phantasie hintergehen uns, unsere Vernunft muß daher falsche Schlüsse machen, alle Bücher die geschrieben sind, sind nur Lügen, wovon die Letzteren die Ersteren in ihrer Blöße darstellen sollen; und doch soll ich den kleinen Theil meines Körpers, die Zunge, der Wahrheit widmen? Und wenn ich es wollte wie kann ich es?

————

Ein Jahr nachher.

Mein Vater ist gestorben, und die ganze Welt wünscht mir Glück, mit Worten die wie Kondolenzen gestellt sind. Viele suchen sich mir zu empfehlen, und manche darunter meine schwa404che Seite ausfindig zu machen. Die Menschen die meinem Vater viel zu danken haben, ziehen sich ganz zurück, und thun als wenn er nie auf der Erde gewesen wäre. Alte Weiber, die mich als Kind manchmal auf ihren Schoos genommen haben, präsentiren mir ihre Töchter, die sich mit allen Reizen aussteuern. Die Bedienten haben Pensionen und sind froh, selbst der Verwalter dem etwas an seinem Gehalte zugelegt ist. – Wo sind denn nun die Menschen, die so viel fühlen wollten? Wer kann denn nun noch mit seinen Empfindungen prahlen? – Ein Bettler geht unten vorbey den ich weinen sehe, weil mein Vater ihm wöchentlich etwas gab. Er weint weil er fürchtet, daß er jetzt sein Einkommen einbüßen wird. – – Ich habe ihm etwas heruntergeschickt, und er geht mit einem frohen Gesichte fort; er weinte vielleicht blos um mein Mitleiden zu erregen.

Die Menschen sind gewiß nicht werth, daß man sie achtet, aber doch muß man sich die Mühe geben, mit ihnen zu leben. Ich will sie kennen lernen, um nicht von ihnen betrogen zu werden, denn wie kann ich dafür stehen, daß nicht irgend einmal meine Eitelkeit, oder ir405gend eine andre meiner Schwächen meine Vernunft verblendet?

Alles schmeichelt mir jetzt, selbst die Menschen von denen ich weiß, daß sie mich nicht leiden können und mich verachten. Alle denken, wenn sie mich erblicken, an mein Vermögen, und alle Bücklinge und Erniedrigungen gelten diesem Begriff, der nur auf eine zufällige Weise mit mir selber zusammengefallen ist. Diese Vorstellung von meinem Reichthum beherrscht alle die Menschen, die in meine Atmosphäre gerathen, und wohin ich trete, folgt mir diese Vortreflichkeit nach. Ich kann es also niemand verargen, wenn er sein Vermögen und seine Herrschaft über die Gemüther zu vergrößern sucht, denn dadurch wird er im eigentlichsten Verstande Regent der Welt. Ein goldner Zauberstab bewaffnet seine Hand, der allen gebeut. Dies ist das einzige, was noch mehr würkt, als alle möglichen Captationes benevolentiae.

So lange man bey recht vielen Leuten den Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen wohl nützlich seyn könnte, hat man recht viele Freunde. Alle sprechen von Aufopferung und hohen Tugenden, bloß um uns in eine solche 406 heroische Stimmung zu versetzen. Diese Situation aber giebt zugleich Gelegenheit, sie auf mancherley Art zu nutzen, und sie so zu verwickeln, daß sie am Ende schon froh sind, wenn sie nur aus den Netzen freygelassen werden.

Man lebt in der Gesellschaft wie ein Fremdling, der an eine wilde barbarische Küste verschlagen ist; er muß seine ganze Bedachtsamkeit, alle seine List zusammen nehmen, um nicht der Rotte zu erliegen, die ihn mit tausendfachen Künsten bestürmt. Wenn man es vermeiden kann, daß das Leben ein Hazardspiel wird, so hat man schon gewonnen. Seltsam daß alle zu gewinnen trachten, und manche doch die Karten nicht zu ihrem Vortheile mischen wollen! Für den Klügern muß es keinen Zufall geben.

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Im zwanzigsten Jahre.

Der junge Lovell ist ein Narr, recht so, wie man sie immer in den Büchern findet. Ich habe das wunderbare Glück gehabt, ihn zu meinem Freunde zu machen. Er spricht gerade so wie die Dichter die er sehr fleißig liest, und ich möchte wetten er macht selber Verse. Er 407 hat mir schon in den ersten Tagen alles vertraut, und es ist Schade daß seine Geheimnisse so unbedeutend und kindisch sind. Sein Vater ist ebenfalls ein einfältiger Mensch, aber er scheint mir doch nicht ganz zu trauen, es muß irgend etwas in meinen Mienen oder Gebehrden liegen, was ich noch wegzuschaffen suchen muß. Unser Körper muß in allen unsern Wendungen mit unserer Sprache korrespondiren, und das ist dann die eigentliche Lebensart.

Freundschaft ist eines von den Worten, die im Leben am häufigsten genannt werden, und man muß eben sowohl Freunde als Kleider haben, und von eben so verschiedener Art. Freunde die mit uns spatzieren gehn, und uns Neuigkeiten erzählen; Freunde die uns mit Leuten bekannt machen, mit denen wir gern in Connexion kommen möchten. Freunde die uns gegen andere loben, und uns Zutrauen erwerben; andere Freunde, von denen wir im gesellschaftlichen Gespräche manches lernen, was zu wissen doch nicht unnöthig ist; Freunde die für uns schwören; Freunde die, wenn wir es so weit bringen können, und die Gelegenheit es erfordert, sich für uns todt schlagen lassen. Aus 408 dem Lovell könnte vielleicht einer von den letzten gemacht werden, denn er giebt mir selbst freywillig alle die Fäden in die Hand, an denen er gelenkt werden kann. Ich halte es für eine Nothwendigkeit, daß ich mich hüte, mich irgend einem Menschen zu vertrauen, weil er in demselben Augenblicke über mir steht.

Lovell ist etwas jünger als ich, und er macht vielleicht noch dieselben Erfahrungen, die ich schon jetzt gesammelt habe. Das Alter ist bey gleichjungen Menschen oft sehr verschieden, und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht selbst um viele Jahre vorausgeeilt; ich fühle wenigstens von dem Jugendlichen und Kindischen nichts in mir, daß ich an den meisten Jünglingen und an Lovell so vorzüglich bemerke. Mich verleitet die Hitze nie, mich selbst zu vergessen; ich werde durch keine Erzählung in einen Enthusiasmus versetzt, der mir schaden könnte. Mein Blick richtet sich immer auf das große Gemählde des verworrenen menschlichen Lebens, und ich fühle, daß ich mich selbst zum Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder auf mich selbst zurück wenden muß, um nicht zu schwindeln.

409 Jeder redet im Grunde eine Sprache, die von der des andern völlig verschieden ist. Ich kann also mich, meine Lage, und meinen Vortheil nur zur Regel meiner Denk- und Handelsweise machen, und alle Menschen treffen zusammen, und gehen einen Weg, weil alle von demselben Grundsatze ausgehn. Ein buntes Gewebe ist ausgespannt, an dem ein jeder nach seinen Kräften und Einsichten arbeitet, ein jeder hält das was er darin thut, für das Nothwendigste; und doch wäre der eine ohne den andern unnütz. In wiefern mein Nachbar würkt, kann ich nur errathen, und ich muß daher auf meine eigene Beschäftigungen acht geben.

Viele Menschen wissen gar nicht, was sie von den übrigen fordern sollen, und zu diesen gehört Lovell. In Gedanken macht er sehr große Prätensionen an meine Freundschaft. Ich fordre von den Menschen nicht mehr, als was sie mir leisten; und dies vorher zu wissen, ist der Kalkül meines Umgangs; je gewisser ich diesen rechne, jemehr kenne ich die Menschen, und das ganze übrige Leben von Zuneigung und Wohlwollen uneigennütziger Freundschaft, 410 und reiner Liebe, ist nichts als poetische Fiktion, die mir gerade so vorkömmt, wie die Gedichte an die Diana und den Apollo in unsern Dichtern. – Wer sich daran erlustigen kann, dem gönne ich es recht gern, aber allen diesen Menschen die im Ernste davon sprechen können, ist die Binde der Kindheit noch nicht von den Augen genommen. Diese sind nützliche Mobilien für den ältern und klügern Menschen der sie auf eine gute Art anzustellen weiß.

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Bald nachher geschrieben.

Immer ist es mir zuwider gewesen, wenn ich den Nahmen Cromwell nennen höre, oder ihn lese, um das Muster eines schlechten und ausgearteten Menschen aufzustellen, denn es wird mir fast bey keinem Charakter so leicht und natürlich, mich in ihn hineinzugedenken, und so für mich alle seine seltsamen Widersprüche aufzulösen. Alle die Laster die man ihm gewöhnlich vorwirft, sind es nur deswegen, weil die Menschen nicht die Fähigkeit besitzen, ihre Seele in Gedanken mit einem andern Cha411rakter zu bekleiden; sie sind zu sehr in sich selbst eingesperrt, und dies macht ihren Blick beschränkt. Vielleicht daß die Unterschiede überhaupt aufhörten, wenn sich die Menschen die Mühe gäben, den Erscheinungen näher zu treten, die ihnen in der Ferne ganz anders geformt zu seyn scheinen.

Cromwell war vielleicht der reinste und eifrigste Schwärmer, als er sich im Anfange zur Parthey der Puritaner schlug. Wider sein Erwarten fand er, daß es leichter sey, die Menschen unter seinen Geist zu beugen, als er im Anfange gedacht hatte. Er durchdrang mit seinem scharfen Blicke die Gemüther aller derer die ihn umgaben, er bemerkte es, auf welchen Armseligkeiten meistentheils das Ansehen beruhte, das er unter seinen Freunden hatte, und er schämte sich vor sich selber, und verachtete die Menschen. Seine Schwärmerey und sein Enthusiasmus waren es vorzüglich, die die Menge an ihn band, denn der Schwärmer zieht einen weiten Feuerkreis um sich herum, und selbst in die kälteren Menschen gehen Funken über, die sie unwillkührlich mit Liebe und Wohlwollen zu ihrem Anführer drängen.

412 Er sah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn ihm jener glückliche Enthusiasmus verließ, diesen auf eine erzwungene, und halb gewaltsame Art ersetzen müsse, und er erstaunte, da er fand, daß die Begeisterung sich auf die Art, sogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen lasse. Denn im Menschen liegt ein seltsamer und fast unbegreiflicher Vorrath von Gefühlen, dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung und die Idee die wir ahndeten; der Lügner kann auf seine eigene Erfindungen schwören, ohne einen Meineid zu thun, denn er kann in diesem Augenblicke völlig davon überzeugt seyn. Die wunderbarste Geistererscheinung kann vor mir stehen, und doch nur von meiner Phantasie hervorgebracht seyn. – Auf die Art mußte der große Mann bald zweifelhaft werden, was in ihm wahr, was falsch, was Erdichtung, was Ueberzeugung sey, er mußte sich in manchen Stunden für nichts als einen gemeinen Betrüger, in andern wieder für ein auserwähltes Rüstzeug des Himmels halten. Wie durcheinander mußte sich bey ihm alles das verwirren, was die gewöhnlichen Menschen ihre Moralität nennen! kann man nun wohl diesel413ben Forderungen an ihn machen, die man an jene thut? –

Des Glück folgte ihm auf seinen Fußstapfen, und welcher Sterbliche kann sich wohl von der Schwachheit losreißen, den glücklichsten Erfolg seiner kühnsten Plane nicht für den wahren Orakelspruch der Natur und der Gottheit zu halten? Fast jeder Unglückliche zweifelt an seinem Werthe, er hält nur gar zu oft sein Unglück für seine Strafe. So glaubt der Sieger im Glück seinen Lohn zu finden, seine Bestätigung von oben her. Vom Erfolge begünstiget, schrieb er neue Zirkel in seine Plane, und alles erfüllte sich immer auf die wunderbarste Weise. Durch ein unruhiges thatenreiches, und glückgekröntes Leben, sah er sich plötzlich wie durch einen muntern Traum an die Spitze des Staats gestellt, und sein ganzes voriges Leben war nur Zubereitung und Gerüst zu diesem großen Momente.

An ihm war die Wohlfahrt seiner Parthei gekettet; und was war natürlicher und einem Menschen verzeihlicher, als daß er jetzt seine Persönlichkeit mit seiner Sache verwechselte? Er glaubte für seine Parthey zu kämpfen, wenn 414 er nur noch für seine eigene Sicherheit stritt, und aus dem Wege räumte was ihn in seinem Gange hindern könnte. Er mußte sich gleich groß und gleich wunderbar vorkommen, er mochte sich nun als einen Liebling des Himmels betrachten, oder als einen Helden, der alles durch seine eigene Kraft gewonnen, und in Besitz genommen hatte, ja, diese beyden Gedanken mußten sich in seinem Kopfe beynahe begegnen. Er vertraute sich jetzt mehr als jemals, und trauete den Menschen die ihn umgaben noch weniger als vordem. Fortuna hatte ihre volle Urne gleichsam in seinen Schoos geschüttet, und er glaubte nun selbst an ihrer Stelle zu stehen; sein Stolz und seine Eigenliebe, die Bewundrung seiner selbst ist daher eben so denkbar als verzeihlich.

Er konnte gegen seine Freunde nicht dankbar seyn, denn er glaubte durch eigene Kraft alles errungen zu haben, er konnte sie nicht achten, da er sie nicht kannte. Ihre Verehrung seiner aber, so wenig Autorität sie auch für ihn hätte haben sollen, trug er doch gern und ganz zu seinen Verdiensten über, denn denen Menschen die uns loben, übertragen wir 415 gern die Beurtheilung unsers Werths; ja wir glauben oft, daß diejenigen ihn am besten zu schätzen wissen, die selbst am meisten ohne Verdienste sind. Die größte Inkonsequenz der Menschen, die Gegend, in der vielleicht in jeder Seele die meisten Verächtlichkeiten liegen, ist, wie ich glaube, das Gebiet der Eitelkeit. Jede andre Schwäche ist unzugänglich, oder man muß wenigstens fein und behutsam die Brücke hinüber schlagen, um das Ufer nicht selbst einzureißen; aber die Eitelkeit verträgt selbst die Behandlung der rauhesten Hände.

Ich will mir heute ernsthaft vornehmen, nie daran zu glauben, wenn man meinen Gang, meine Häuser, meinen Scharfsinn, oder meine Gesichtsbildung lobt, und wer weiß ob ich nicht darauf falle, mir einzubilden, daß in meinem Garten die besten Blumen stehen, und daß hier dann ein elender Schmeichler seine volle Erndte findet! Der Himmel ist vielleicht so grausam mir in den Kopf zu setzen, ich hätte mehr Geschmack als andere Menschen. – O! statt memento mori sollte man in seine Taschenuhr setzen lassen: Hüte dich vor der Eitelkeit!

416 Cromwell war so glücklich viele wirkliche Freunde zu finden, ob er gleich keinen liebte; er konnte sie zu Aufopferungen auffordern, und keiner wagte es, ihn um ähnliche Opfer zu mahnen, da ihn keiner in seiner Gewalt hatte. Alle fürchteten ihn, und er wußte wie weit er jene nicht zu fürchten hatte; er war daher nicht tollkühn. Er hatte es empfunden, wie fein die Gränzen im Menschen zwischen Empfindungen sind, die wir Extreme nennen, weil wir sie uns wie den Nordund Südpol gegen über denken: aber zwischen gut und böse, zwischen Freund und Feind, dem Pietisten und Gotteslästerer, dem Patrioten und dem Landesverräther liegt nur eine Sekunde. Cromwell wußte dies, und setzte seine Freunde daher in keine Spannung gegen sich.

Je mehr ich seinen Charakter überdenke, je menschlicher finde ich ihn; nur daß er ein großer Mensch, ein leuchtendes Meteor war. Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie über ihn, oder über sich selber nachgedacht.

Er hatte das Unglück einen einfältigen Sohn zu haben.

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417 Drey Jahre nachher.

Die Menschen sind Narren, denn obgleich einer den andern betrügt, so nehmen sie doch nichts so sehr übel, als daß sie betrogen werden, besonders wenn man sie auf eine andre Art hintergeht, als sie die übrigen Menschen täuschen. Lovell ist mein unversöhnlicher Feind, wenn er erfährt, daß ich mit daran arbeiten half, ihm seine zärtliche Braut zu entführen, und er würde es nie zur Entschuldigung dienen lassen, daß Waterlov auch mein Freund und sogar mein Oheim sey. – Aber da der ganze Plan doch verunglückt ist, so denke ich mich auf jeden Fall wieder mit ihm zu versöhnen.

Aber Waterloo, ob er gleich mein Oheim ist, ob er gleich älter ist, wie ich glaube, als vierzig Jahre, ob er gleich schon große Reisen gemacht hat, ist dennoch ein weit größerer und in die Augen fallenderer Narr, als der jugendliche Lovell. Er glaubt alles zu haben, indem er Witz hat, er meint die Menschen genug zu kennen, wenn er nur weiß, wodurch er sie zum Lachen bewegen kann, er wäre vielleicht ein guter Komödiendichter geworden, aber zum Umgange mit Menschen ist er verdorben. – Er 418 beklagt sich über mich, daß ich ihn hintergangen habe, ob ich gleich mit ihm einerley Plan verfolgt hätte. Aber die besten und amüsantesten Koups müßten offenbar ganz unterbleiben, wenn es nicht erlaubt seyn sollte, daß ein Schelm den andern hinterginge. Er macht mir Vorwürfe, daß ich nun der Einzige bin, der bey dem ganzen Handel etwas gewonnen hat; aber das war ja eben der Bewegungsgrund, warum ich mich einmengte, weil ich die Gewißheit hatte, daß ich auf jeden Fall gewinnen müsse. – Wenn ich hintergangen wäre, ich würde mich nie beklagen, sondern mich nur zu rächen suchen.

Waterlo[o] ist abgereist, und wie ich eben höre, gestorben. Er ist vielleicht närrisch genug gewesen, sich selbst umzubringen.

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In meinem vier und zwanzigsten Jahre.

Ich hoffe, es soll mir gelingen, die Tochter der reichen Lady Sackville zur Frau zu bekommen. Die Mutter spielt die Aufgeklärte und die Tochter ist ziemlich empfindsam und 419 pietistisch. Die Mutter spottet über die Tochter, die Tochter zuckt die Achseln über ihre irreligiöse Mutter. Beyden muß ich beytreten, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Wie platt sind doch alle die Komödien, in denen eine ähnliche Situation dargestellt wird! Eine Karrikatur treibt sich immer zwischen allen mit schlecht erfundenen Lügen herum, um am Ende an allen seinen Spöttern zu scheitern. Ich finde es eben so leicht, als sicher, sich als Mittelsperson zwischen wiedersprechende Charaktere einzuschieben, denn man muß sich jedem nur unter gewissen Bedingungen nähern, die aber so gestellt seyn müssen, daß jener glaubt, es komme nur auf eine nähere Bekanntschaft, auf ein vertraulicheres Gespräch an, um auch diese Bedingungen wegzuschaffen. Die Mutter glaubt, ich spiele nur aus Liebe zu ihrer Tochter den Religiösen und um diese nachher von ihren Irrthümern zurückzubringen; die Tochter ist überzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr finde ich die Mutter erträglich. Man darf nur ernsthaft vor sich selber heucheln, so ist die Heucheley das leichteste Handwerk auf der Erde. Alle unsere Gespräche in der Welt, unser 420 Umgang, unsre Freundschaftsbezeugungen, unsre Vergnügungen, alles ist nur Heucheley, folglich kommt es mir als gar nichts Schwieriges, ja nicht einmal als etwas Neues vor, hier eine Art von Rolle zu spielen, um eine reiche Frau zu bekommen.

Ich bin schon so glücklich gewesen, einige Liebhaber zu verdrängen, und wenn ich an den Tod oder an andere betrübte Gegenstände in der Gesellschaft meiner Geliebten denke, so wird es mir ganz leicht, eine melancholische Mine zu machen, und empfindsame Sachen zu sagen. – Oft verschiebe ich viele ernsthafte Betrachtungen, die sich mir aufdrängen, bis ich dorthin komme, und Tochter und Mutter sind immer mit mir zufrieden, und ich kann auf die Art noch Zeit in meinen Geschäften sparen. Diese Sparsamkeit kömmt mir jetzt selber lächerlich vor, aber genug, daß es mir bequem ist.

Ich will dieses Buch aufbewahren, um mir im Alter das Vergnügen zu machen, es wieder durchzulesen. Man kann dann nur eine richtige Vorstellung von sich selber haben, wenn man solche Proben von den ehemaligen Kleidern aufbewahrt. Aus diesem Grunde würde ich fast 421 in jeder Woche etwas niederschreiben, wenn ich nicht zu träge wäre.

Warum sollt' ich nicht auf eine recht gute Art den empfindsamen Verliebten spielen können, da es viele Dichter giebt, die sich poetisch irgend eine Liebschaft ersinnen, um poetische und herzrührende Verse darüber zu machen? Meine Rolle ist bey weitem leichter, da ich doch einen wirklichen Gegenstand, und noch überdies mit einem reichen Vermögen ausgestattet, vor mir habe.

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In meinem fünf und vierzigsten Jahre geschrieben.

Eine sonderbare Empfindung befällt mich, da ich dies alte, staubige Buch wieder in die Hände nehme und durchblättere. Ich kehre aus der Welt und zur Ruhe zurück, und finde hier nun die skizzirte Geschichte meiner Jugendideen. Manches finde ich noch wahr, und ohne daß ich es wußte, habe ich mir während meines geschäftigen Lebens den hier beschriebenen Charakter Cromwell's zum Muster gewählt. Gefiel mir dieser Character, weil verwandte Züge in 422 mir lagen; oder entwickelten sich diese, weil ich das Bildniß dieses Menschen immer mit Wohlgefallen betrachtet hatte? – Doch diese Spizfindigkeit zerfällt in sich selber.

In der Welt hat mir der Zufall den verhaßten Lovell stets gegen über gestellt, er kreuzte durch alle meine Plane und unaufhörlich mußt' ich mit ihm kämpfen. Er war gleichsam das aufgestellte Ziel, an dem ich meinen Verstand und Scharfsinn üben mußte.

Meine Gemahlinn ist todt und nur in den letzten Jahren war ich so glücklich einen Sohn und eine Tochter von ihr zu bekommen. Ihr ist jetzt wohl, denn sie fühlte sich immer unglücklich. Sie gehörte zu den Menschen, die sich durch abgeschmackte Erwartungen den Genuß ihres Lebens selber verbittern. Man sollte es schon in den Schulen lernen, was man von der Welt und den Menschen fordern kann, um sich und andre nachher nicht zu peinigen. Ich war keiner von den Menschen, wie sie ihr einige Dichter geschildert hatten, diese luftigen, bestandlosen Wesen hatte sie ihrer Phantasie fest imprimirt, und an diese Schimären maß sie alle wirkliche Menschen, die ihr aufstießen. 423 Daß sich die Menschen aus diesem wirklichen prosaischen Leben so gern einen bunten, schönilluminirten Traum machen wollen, und sich dann wundern, wenn es unter den Rosen Dornen giebt, wenn die Gebilde umher ihnen nicht so antworten, wie sie es mit ihrem träumenden Sinne vermuthet hatten! – Wer kann es mit diesen Narren aushalten?

Man gebe mir den abgefeimtesten Schurken, den Menschen, der in einem Athem zehn Lügen sagt, den Eiteln, der hoch von seinem eigenen Werthe aufgeblasen ist, den rohen, ungebildeten Menschen, dem die gemeinste Lebensart fehlt, und ich will mit allen fertig werden, nur nicht mit dem, der allenthalben die reine Bruderliebe erwartet, der mit den Menschen, wie mit Blumen oder Nachtigallen, umgehen will.

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Nach einem Jahre.

Mein Sohn Eduard fängt an, mir in einem hohen Grade zu mißfallen. Er wird altklug, ehe er noch Verstand genug hat, um listig zu seyn. Solche frühreife Tugend ist gewöhnlich nichts, als ein Gefühl 424 des Unvermögens, eine Empfindsamkeit, die späterhin zur völligen Schwachheit wird.

Emilie ist halb das Bild ihrer Mutter, und halb eine Kopie nach ihrem Bruder. Ich hoffe beide werden noch richtigere Ideen über das Leben gewinnen. Stolz darf man nicht auf sich seyn, denn das erzeugt eine Menge empfindsamer Thorheiten, aber man muß sich schätzen, um sich nicht unter die übrigen Menschen zu erniedrigen, um ihnen nicht dadurch unmittelbar Gelegenheit zu geben, daß sie Vortheile über uns gewinnen.

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Nach mehrern Jahren.

Mein Sohn wird mit jedem Tage ein größerer Thor und er läßt es mir sogar merken, daß er mich und meine Grundsätze nicht achtet. Er schließt sich mit Innigkeit an jedes übertriebene und unnatürliche Gefühl. Es schmerzt ihn nicht, daß er sich dadurch von meinem Herzen entfernt, denn er ist unter Luftgestalten einheimisch.

Die Erfahrungen, die mir aus dem Gewühle der Welt hieher gefolgt sind, haben mich nun 425 völlig beruhigt. Ich habe es deutlich erfahren, in wie hohem Grade die Menschen verächtlich sind. Alle meine jugendlichen Vermuthungen haben sich erfüllt, und es war heilsam, daß ich so ausgerüstet unter die boshafte Schaar trat. Argwohn ist die Wünschelruthe, die allenthalben richtig zeigt, man irrt sich in keinem Menschen, wenn man gegen jeden mißtrauisch ist, denn selbst die Einfältigsten haben Minuten der Erleuchtung, in denen sie uns Schaden zufügen.

Wenn man mit Leuten umgeht, die aus Unwissenheit, oder weil sie selbst keinen Grund davon anzugeben wissen, rechtschaffen sind, so muß man ihre Tugend nie auf die Probe stellen, wenn sie uns dadurch nützlich bleiben sollen; denn in dem Augenblicke, in welchem sie darüber nachdenken, werden sie verwandelt, und wenn sie auch ihre Ehrlichkeit noch aus dem gegenwärtigen Gedränge bringen, so kann man sich im nächstfolgenden zweifelhaften Falle niemals auf sie verlassen. – Wie viel ist aber die Ehrlichkeit werth, wenn sie nur darin besteht, daß der Mensch gar nicht weiß, daß man ihm diesen Vorzug beylegt? Selbst der Pöbel 426 hat diese Armseligkeit der Tugend bemerkt und ein Sprichwort darüber gemacht, daß der ein Dieb bleibt, der nur einmal gestohlen hat. – Scheint es nicht, als wenn es völlig etwas Physisches wäre, was wir im Menschen immer zum Geistigen erheben wollen, daß sich die Erscheinung durch eine einzige Umwälzung in einem einzigen Momente verlieren kann?

Ich bin darum nur wenig hintergangen, weil ich den Betrug immer als möglich voraussetzte.

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Ich fühle mich sehr matt, und meine Ideen werden schwach und unstät. Dies unnütze Buch ist mit mir alt geworden, es läuft zu Ende, so wie vielleicht mein Leben. Alles hat für mich heut dunkle und melancholische Umrisse; Lovell ist vor einem Monathe gestorben und ich bin nicht viel älter, als er.

Ich habe nur schlecht geschlafen, und ihn bleich und abgefallen beständig in meinen abgerissenen Träumen gesehn. Sein Andenken verfolgt mich noch nach seinem Tode und mattet meine Kräfte ab.

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427 Ich bin wieder gesund gewesen und dachte es würde nun Jahre lang so bleiben, und doch bin ich nun von neuem krank geworden. Eine seltsame Wehmüthigkeit hat mich ergriffen. Der Mensch hängt mit allen seinen Ideen bloß von seinem Körper ab.

Sollte ich Dir doch vielleicht unrecht gethan haben, alter Lovell? – Warum richtet sich mein Gedanke so unaufhörlich nach Dir hin, wie die Magnetnadel nach Norden? – Ich habe Dir vergeben, vergieb Du mir auch, unsre Spiele und Kämpfe sind jetzt geendigt.

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Ich fühle mich freundlicher nach meinem Sohne und nach allen Menschen hingezogen. – Wer weiß, in welchem gesundern Theile meines Körpers meine vorige Empfindung lag, wer weiß, aus welchem ungeänderten meine jetzige entspringt!

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Das Leben und alles darin ist nichts, alles ist verächtlich und selbst, daß man die Verächtlichkeit bemerkt. – – –

428 11.
William Lovell an Rosa.

Paris.

Ich bin nun wieder in Paris, das zuerst die Bühne meiner Irrthümer war. Ich weiß nicht wie ich das Gefühl nennen soll, mit welchem ich hier herumstreife. Ich kenne noch die Häuser bey denen ich es damals vorzüglich bereuete bey denen mich eine besonders schmerzhafte Empfindung darüber anfiel, daß ich Amalien während einiger Tage vergessen hatte.

Ob sie noch lebt und wie sie leben mag! – Mir kömmt alles frisch und neu in die Erinnerung, was ich ehemals für sie empfand.

Die Blainville ist mit einem Chevalier de Valois von hier fortgegangen, der sich nach einigen Erzählungen in England erschossen hat. Was aus ihr geworden ist, weiß man nicht.

In wenigen Tagen reise ich von hier ab. – Alle Straßen und alle Gesellschaften sind mir zuwider.

429 Ich wünsche und fürchte das Englische Ufer. – Doch kalt und pflegmatisch dehnt sich die Zeit weiter und kümmert sich nicht um unser geängstigtes, pochendes Herz, – es muß doch endlich alles und selbst das Leben vorüber seyn.

430 12.

Willy an seinen Bruder Thomas.

Kensea.

Lieber Bruder, ich schreibe Dir heute einen Brief und in wenigen Tagen mache ich mich auf, um zu Dir zu kommen; denn ich habe keine Ruhe, ich habe keine Rast, es treibt mich weg und ruft mir in die Ohren, daß ich Dich vor meinem Tode noch einmal sehen soll, daß ich unter Deinen Augen sterben soll.

Schon seit einigen Tagen ist mir so gar heimlich und einsam zu Muthe, die Fahne des Kirchthurms knarrt so betrübt, und wenn ich am Abend am Fenster stehe, ist es, als wenn ich auf dem Kirchhofe schwarze Männer stehen sehe, die mit den Fingern nach mir hinweisen. Ich habe im Stillen geweint und gebetet und bin mir dabey hier so verlassen vorgekommen, und so auch alle Menschen um mich her, sie waren mir alle fremd. – Der Tod treibt sich hier im Hause herum, das ist nicht anders, lieber Bruder, und nach mir sucht er, 431 das ist gewiß, und darum will ich fort von von hier und zu Dir hin.

Sieh, ich habe so an Dein altes freundliches Gesicht gedacht und an Deine Art zu reden, und an alles, was Du an Dir hast und was mir immer so gefällt und das Dein Nahme Thomas so recht ausdrückt und beschreibt. Und da hab' ich geweint und mir die weite Reise von neuem vorgenommen. Diese Nacht ist es aber erst recht gewiß geworden.

Sieh, mir träumte, als stünde ich in einer wüsten, schwarzen Gegend, rund mit Bergen eingefaßt. Und oben von den Bergen kuckte ein Kopf herüber, und das war mein Herr Lovell, ich kannte gleich das alte, blasse Gesicht. Da fing ich vor Freude laut an zu schreyen, und ich glaubte, mir hätte nur immer geträumt daß er gestorben sey, und jetzt käme es nun heraus, daß es nur eine Einbildung von mir wäre. Er sagte ganz freundlich: Guten Tag, lieber Willy! – Ich wollte gleich munter die Berge hinaufklettern und ich nahm mir vor, mich nicht zu schämen, sondern ihm dreist um den Hals zu fallen. Er mußte es merken, denn er sagte: Bleib nur Willy, wir sehn uns 432 bald. Und in demselben Augenblicke wurde sein Gesicht ganz jämmerlich, noch eingefallener und beynahe wie ein Todtenkopf. Ich fing an zu weinen, als ich das sah, und streckte die Arme nach ihm aus, aber er schüttelte stillschweigend mit dem Kopfe, und es war nun, als würd' er ordentlich recht mit Gewalt heruntergezogen. Da konnt' ichs nicht lassen, sondern ich wollte nachsehn, was aus ihm geworden wäre, ich fing an zu laufen, um die Berge hinaufzuklettern, aber sieh, da liefen sie vor mir weg, und ich wurde ungeduldig und rannte immer schneller, und die Berge fuhren weg vor mir, geschwinder wie das beste Pferd im Wettrennen. Jetzt standen sie ganz weit weg, so daß sie nur noch so groß aussahen, wie Kinderköpfe, das war mir bedenklich; ich kehrte mich um, und hinter mir waren die übrigen Berge eben so weit weggelaufen. Es war alles um mich her so weit, eben und schwarz, wie die See. – Da kam mir ein großer Schwindel in den Kopf, und ein schreckliches Grausen auf den ganzen Körper, denn ich merkte nun, daß ich den Herrn Lovell als einen Geist gesehen hatte. Es war mir immer, als wollte ein 433 schwarzes Ungeheuer aus dem Himmel herunterschießen, um mich zu verschlingen, oder als wenn der Himmel selber brechen wollte. Ich vergaß alles Vorhergehende beynahe und fürchtete mich doch noch immer fort; meine ganze unsterbliche Seele krümmte sich in mir zusammen und ich rief den allmächtigen Gott um Hülfe an.

Da wacht' ich mitten in der dunkeln Nacht müde und ermattet auf, und es war mir noch immer, als stünde ich noch in der schwarzen Wüste. –

Siehst Du, Bruder, der verstorbene Herr hat mich gerufen, ich muß kommen und nun will ich nur noch von Dir Abschied nehmen. Es ist ja so nur noch so wenige Zeit übrig, in der wir uns lieben und gut seyn können, wir wollen also das wenige noch mitnehmen.

Gott seegne meinen Herrn William, ich wünschte, ich könnte auch von dem noch Abschied nehmen, und daß er mir noch zur völligen Versöhnung die Hand drückte, daß ich doch ganz als ein guter Freund von ihm zu seinem 434 Herrn Vater in den Himmel ankommen könnte und einen Gruß von ihm bestellen.

Wie gesagt, in etlichen Tagen bin ich bey Dir und wenn Du mich auch wieder für etwas närrisch hältst, lieber Bruder, so mache mir doch ein freundliches Gesicht, wenn ich komme.

Ende des zweyten Theils.

 

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