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Louise. Sie gehen so gedankenvoll unter den Antiken auf und ab, Waller; dichten Sie etwa einen Hymnus auf die alten Götter?
Waller. Ich weiß nicht, wie es ist; so oft ich in diesen Saal trete, fühle ich mich zur Rückkehr in mein Innres eingeladen, und bin unter den jungen Künstlern,
die hier arbeiten, auch wohl unter dem Gewühl begaffender Fremden, wie in der tiefsten Einsamkeit.
Louise. Es ist der Nachahmungstrieb, lieber Freund; Sie wollen selbst zur Bildsäule werden.
Waller. Unandächtige! Ihr Spott trifft näher an die Wahrheit als Sie glauben. Müssen Sie nicht gestehn, daß sich viele Menschen nicht wenig dünken, die herzlich
schlechte Statuen abgeben würden?
Louise. Ganz gewiß; und ich habe mir oft das Unheil gedacht, wenn plötzlich ein Perseus mit dem 40 versteinernden Medusenhaupte in unsre
Schauspielhäuser oder Tanzsäle träte.
Waller. Das gäbe Gruppen von Bernini, oder noch schlimmere. Für so viele Geberden und Bewegungen ist die Dauer eines Augenblicks schon zu lang: für beständig
festgehalten, erscheinen sie in ihrer ganzen Blöße und Unwürdigkeit. Auch über das Unvollendete der Gestalt täuscht das Leben: aber die Bildnerey ist Wahrheit und über alle
Täuschung erhaben. Ihre Schöpfungen sind wie Geister, die ihre äußre Hülle überall durchdrungen, und die Umgränzung ihrem eignen Wesen gemäß geordnet haben; sie können nun in
dieser selbstgebildeten Welt mit ruhigem genügendem Daseyn beharren. Es ist eine sichtbare ewige Seligkeit.
Louise. Die ich Ihnen für jetzt noch gönne. Sie rufen beynah, wie jener Prophet in der Wüste: ich sage euch, Gott könnte dem Abraham aus diesen Steinen Kinder
erwecken. Aber was Sie sagten, gilt nur von den Olympiern, die schon ihren eignen Himmel haben; wo sollen in dem Ihrigen die Faunen Platz finden, die mit Nymphen scherzen,
die Fechter, die im Ausfalle begriffen sind, die Helden die sich in Todesnoth gegen umwindende Schlangen wehren?
Waller. Vergessen Sie nicht, daß von keiner sittlichen, sondern von natürlicher Vollendung die Rede ist, die in der Durchbildung von innen heraus, in der
Ausschließung des Zufälligen, in der durchgängigen Bedeutsamkeit der Gestalt, und in der Uebereinstimmung der beseelenden Kraft mit sich selbst, besteht. Was die
41 augenblicklichen, mitunter sehr gewaltsamen Handlungen betrifft, so sind sie immer den Formen untergeordnet, und nur als die angemessenste Entfaltung
derselben konnten sie verdienen gewählt zu werden.
Louise. Also geben Sie doch zu, daß die Bildnerey auch den Moment verewigen darf?
Waller. Sie unterwirft ihn ihren Gesetzen, damit er dessen würdig sey.
Louise. Und wodurch wird er das?
Waller. Durch Vollendung.
Louise. Wie sollte die in einem entfliehenden Theile der Zeit Statt finden können?
Waller. Eben so gut wie in einem beschränkten Theile des Raums. Die Bewegung muß, so zu sagen, eben so hoch und rein organisirt seyn, als das Körpergebilde, das sich in ihr darstellt. Maaß, Verhältniß und Gleichgewicht müssen ihr Streben immer wieder in sich zurückdrängen, so wie die strenge Richtigkeit des Umrisses seine Weichheit. Bemerken Sie, daß selbst die gewaltigste Kraftäußerung von einer völlig ruhigen Stellung nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden ist. Zur bloßen Haltung des Körpers beym Stehen oder Sitzen sind Muskeln in Wirksamkeit: der Gesunde fühlt es freylich nicht, aber er kann es an dem ermattenden Kranken beobachten; der Schlafende liegt anders als der Todte. Das Leben ist von der Bewegung nicht zu trennen: durchaus ruhende Formen würden todtseyn.
Louise. Und da die Bildhauerkunst in einer so schweren Masse arbeitet, so muß sie sich allerdings an 42 das Lebendige halten, sonst würden die Todten ihre Todten begraben.
Waller. Alle Plastik ist entweder organisch oder mathematisch, das heißt, sie läßt in den hervorgebrachten Formen eine beseelte Einheit erkennen, oder mißt sie nach regelmäßigen ergründlichen Verhältnissen ab. Die mathematische Plastik ist die Architektur.
Louise. Sie gerathen mir in die Metaphysik der Künste hinein, womit ich nichts zu thun habe. Ich muß nur mit einem Zweifel kommen, um Sie davon abzuhalten. Daß die leblosen Nebenwerke, welche bloß den Figuren dienen, als Sitze, Stämme zum Anlehnen und dergleichen, den Kreis der Bildnerey nicht erweitern können, begreife ich wohl. Allein wo wollen Sie bey Ihrer organischen Plastik mit den Gewändern hin, die uns ja die Formen zum Theil verbergen, und worin doch ein so großer Theil der Vortrefflichkeit liegt?
Waller. Die Griechen haben mehr als irgend ein Volk die Würde des Körpers vor seiner Bekleidung erkannt. Nichts verhüllen, sagt ein Römischer Schriftsteller, ist Griechische Sitte; und es wäre eine anziehende Untersuchung, in wie fern diese Denkart der Kunst aufgeholfen hat, oder wiederum von den Künstlern begünstigt worden ist. Diese mußten sich aber doch bey vielen Gegenständen der Schicklichkeit fügen, und man muß sie nur loben, daß sie aus der Noth eine Tugend zu machen gewußt und die Gewänder so meisterhaft behandelt haben.
Louise. Für einen Seher antworten Sie dies43mal nicht sonderlich, lieber Waller. Erinnern Sie sich des naiven Ausrufs jener morgenländischen Schönen, als eine Europäerin ihr im Reifrocke einen Besuch machte: Bist Du das alles selbst? Bey einer schön bekleideten griechischen Statue wäre die Frage nicht mehr lächerlich. Sie ist wirklich ganz sie selbst, und die Bekleidung kaum von der Person zu unterscheiden. Nicht nur zeichnet sich der Bau der Glieder durch das anschmiegende Gewand hindurch, sondern in seinem Wurs und Fall, seinen Flächen und Falten drückt sich der Charakter der Figur aus, und der beseelende Geist ist bis auf die Oberfläche der nächsten Umgebungen gedrungen. Sehen Sie nur die mehr als lebensgroße weibliche Gestalt dort, die man gewöhnlich Vestalin nennt. Wie das schlichtere Obergewand ihr vom Haupte auf die Schultern und auf das faltige Kleid herunterfällt! Unter dem rechten Ellbogen ist es etwas hinaufgezogen, er ruht in der Höhlung, und die Hand greift oben an den Saum des Tuches. Dann geht es umgeschlagen über die linke Brust herauf und fällt von der Schulter hinab, unten wickelt sich die Hand darein. Welch eine heilige Anmuth, welche sittsame Würde ist in dieser Stellung und Tracht! Konnte eins ohne das andre seyn? Konnte sich die innere Reinheit anders als in einer Umhüllung der Sitte und des Anstandes zurückhaltend zeigen?
Waller. Ich lasse mir Ihre Zurechtweisung gefallen, da sie die Schönheiten einer Lieblingsstatue so ins Licht stellt. So könnte die Göttin der Treue oder der Zucht in ihrem Schleier gleichsam ruhen. 44 Bemerken Sie auch die schöne Senkung des Hauptes. Man hat sie bey den Götterstatuen so erklären wollen, als neigten sie sich den Gebeten der Sterblichen entgegen. Sie sehen aber an dem Haarputze, den anliegenden Locken, die von der Stirn zurückgehn, so wie am Gesichte selbst, daß dieses das Bildniß einer Matrone und keine Göttin ist. Mir scheint vielmehr, die alten Künstler haben den obern Theil des Gesichtes auch durch die Stellung, vor dem Untertheil wollen vortreten lassen, so wie sie es schon durch die Bildung des Profiles herrschend gemacht hatten.
Louise. Es giebt den Statuen ein kontemplatives Ansehen: sie halten den Zuschauern durch ihr Beyspiel vor, wie sie genossen zu werden verlangen. Ich bin aber heute gar nicht kontemplativ gestimmt, sondern gesellig und zum Plaudern. Kommen Sie, lassen Sie uns unsern Reinhold begrüßen: er zeichnet dort unten nach dem herrlichen Rumps des Ringers. Eben ist er aufgestanden. – Wie gehts, lieber Reinhold? Sie scheinen verdrießlich.
Reinhold. Die Zeichnung will nicht nach meinem Sinne werden.
Louise. Es geht Ihnen, wie Wallern auch mitunter, wenn er sich an den Pindar oder Sophokles macht. Er hat zum Uebersetzen nur Deutsche Worte, Töne und Rhythmen, Sie nur schwarze Kreide.
Reinhold. Ach, wenn meine Zeichnung eine Uebersetzung wäre! Sie ist kaum ein dürftiger Auszug, deren man hundert verschiedne machen könnte. Will ich alles übertragen, was ich an den Umrissen 45 wahrnehme, so fällt es bey diesem Maaßstabe leicht ins kleinliche; und mit jeder Parthie, die ich in größere Massen zusammenschmelze, geht etwas von der Bedeutung verloren. Dann sind die Uebergänge so leise, die Ein- und Ausbiegungen, die Flächen, Wölbungen und Vertiefungen, alles das flieht und verfolgt einander, daß man niemals sicher ist, die rechte Richtung zu haben.
Louise. Sie haben Recht, das ist sehr mühselig. Wenn Sie ein Gemählde kopiren, da können sie recht herzhaft auf der Palette eintunken, und auf einmal einen großen Fleck überstreichen, wie wir es alle Tage auf der Gallerie geschehen sehn.
Reinhold. Sie wollen mich nur necken. Sie wissen zu gut, daß die Tinten sich eben so unmerklich und unendlich abstufen, als die Umrisse sich verlaufen.
Louise. Es mag seyn, daß die Schwierigkeiten der Hervorbringung für beyde Künste gleich groß sind; aber das geben Sie mir doch zu, daß die Bildnerey für den Betrachter die sprödere Schwester ist. Die Mahlerey macht es einem leichter, sie zu genießen, sie spricht so unmittelbarer in unsre Sinnenwelt hinein.
Reinhold. Ja, was nennen Sie so etwa genießen?
Louise. Mich der schönen Darstellungen erfreuen, mich daran sättigen, sie ganz in mich aufnehmen.
Reinhold. Das reicht lange nicht hin, um ein Bild gründlich zu beurtheilen, geschweige denn um ihm abzusehn, wie man selbst etwas machen soll.
46 Louise. Was Sie da nennen, sind ja Geschäfte, lieber Reinhold. Legt der Künstler sich selbst ein so schweres Geschäft auf, bloß um Andern wieder das Leben sauer zu machen? Man soll sich ohne Mühe ergötzen, das ist ja die Absicht.
Reinhold. Aber es muß Einen doch ärgern, wenn Leute, die nicht einen Strich zu machen im Stande sind, herumgehen, und die größten Meister keck durch einander tadeln. Hier vermissen sie dies; jenes sollte so seyn, und wenn es nach ihnen ginge, kämen arge Mißgeburten heraus.
Louise. Ich merke, Sie hätten nicht übel Lust, uns beym Eintritt in einen Kunstsaal immer einen kleinen Maulkorb vorhängen zu lassen. Ihnen sind also die Fremden am liebsten, die mit offnen Nasen und Ohren sich stumm durch die Gallerie hindurchstaunen?
Reinhold. Immer noch lieber als die, welche beständig darauf gespannt sind, etwas Sinnreiches und Originelles zu sagen, und um dies vorzubringen, sich gar nicht die Zeit gönnen, ordentlich zu sehn.
Louise. Allerdings die sind unleidlich. Sie werden mich doch nicht darunter rechnen, weil ich gern über Kunstwerke schwatze? Ich sehe, ich bemerke anhaltend und wiederholt; ich sammle die Eindrücke in aller Andacht und Stille: aber dann muß ich sie innerlich in Worte übersetzen. Dadurch bestimme ich sie mir erst recht, dadurch halte ich sie fest, und diese Worte suchen dann natürlich den Ausweg in die Luft.
47 Reinhold. Sie thun alles auf eine so artige Weise, daß man Ihnen nichts verbieten kann. Wenn Ihre Bemerkungen nur nicht als ein eigentliches Urtheil gelten sollen.
Waller. Das trockene Urtheilen wollen wir gern den Kunstverständigen überlassen. Allein wir werden doch das Recht haben, Eindrücke mitzutheilen, die unser eignes Werk sind?
Reinhold. Eignes Werk? wie so? Sie wären also willkührlich?
Waller. Selbstthätigkeit ist noch wesentlich von Willkühr unterschieden. Eine Wirksamkeit kann nach der gegebenen Anregung nothwendig, und doch unser eigen seyn. Daraus, daß die Eindrücke eines Kunstwerkes bey verschiednen Personen an Reichthum und Tiefe und Zartheit so erstaunlich weit von einander abstehen, leuchtet es ein, wie viel auf das ankommt, was der Betrachter mit hinzubringt.
Reinhold. Ihre philosophischen Sätze verstehe ich nicht zu prüfen. Aber das weiß ich gewiß: der Eindruck ist nur ein Schatte von dem Gemählde oder der Statue; und wie unvollkommen bezeichnen wieder Worte den Eindruck! Das Rechte kann man gar nicht nennen.
Waller. Die Sprache vermag, wie Sie es nehmen wollen, alles oder nichts.
Reinhold. Ja, die Sprache pfuschert an allen Dingen herum: sie ist wie ein Mensch, der sich dafür ausgiebt, von allem Bescheid zu wissen und darüber oberflächlich wird.
48 Waller. Lästern Sie nicht die große Schöpferin der Dinge, die einmal in der Seele des ersten Menschen rief: es werde Licht, und es ward Licht. Das einzelne Wort thut es freylich nicht, eben so wenig als der Zauber der Mahlerey in den abgesonderten Farben auf Ihrer Palette liegt. Aber aus der Verbindung und Zusammenstellung der Worte gehen nicht nur Gestalten hervor: die Rede giebt ihnen auch ein Kolorit und kann stärker oder sanfter beleuchten.
Louise. Brav! Diesmal reden Sie ganz nach meinem Herzen.
Waller. Freylich muß sie, um hierin die höchste Vollkommenheit zu erreichen, auch die Töne mit Wahl zusammenstellen, und die Bewegungen nach Gesetzen ordnen.
Louise. O weh! Es soll also förmlich gedichtet seyn. Mit den Sylbenmaßen habe ich mich niemals abgegegeben.
Reinhold. Nun, Waller, zeichnen Sie mir doch einmal den verwünschten Ringer da mit Worten ab, da ich schon mit meiner Kreide so sehr den Kürzeren gegen ihn ziehe.
Waller. Sie verstehn mich unrecht, bester Freund. Es fällt mir nicht ein, mit der Sprache eben das ausrichten zu wollen, was nur ein sinnlicher Abdruck leisten kann. Ich sage bloß, daß sie fähig ist, den Geist eines Werkes der bildenden Kunst lebendig zu fassen und darzustellen.
Reinhold. Dieser so genannte Geist ist immer nicht die Sache selbst.
49 Waller. Machen Sie es nicht wie ein berühmter Philosoph, der sich die Auslegung seiner Schriften nach dem Geiste gradezu verbittet, und nach dem Buchstaben verstanden seyn will. Für manche Künstler wäre die Vorkehrung freylich unnütz, denn sie haben bloß den Buchstaben der Kunst.
Louise. Lieber starrsinniger Reinhold, wie Sie sich dagegen setzen, daß man Statuen und Gemählde, die für ewig stumm sind, auch einmal reden lehren will! Wie soll man sich denn mit ihnen beschäftigen?
Reinhold. Sie unermüdlich studiren, und dann selbst etwas gutes hervorbringen.
Louise. So arbeitete ja der Künstler immer nur für den Künstler; eine Gemähldesammlung würde auf die andre gepfropft, und die Kunst fände, wie es leider oft der Fall ist, in ihrem eignen Gebiete den Ursprung und das Ziel ihres Daseyns. Nein, mein Freund, Gemeinschaft und gesellige Wechselberührung ist die Hauptsache.
Waller. Sehr wahr: es ist mit den geistigen Reichthümern wie mit dem Gelde. Was hilft es, viel zu haben und es in den Kasten zu verschließen? Für die wahre Wohlhabenheit kommt alles darauf an, daß es vielfach und rasch cirkulirt.
Louise. Und so sollte man die Künste einander nähern und Uebergänge aus einer in die andre suchen. Bildsäulen belebten sich vielleicht zu Gemählden, (verstehen Sie mich recht, es sollte eine Verwandlung von Grund auf seyn, nicht wie manche Schüler ihre stei50nernen Akademien in ein Bild bringen) Gemählde würden zu Gedichten, Gedichte zu Musiken; und wer weiß? so eine feyerliche Kirchenmusik stiege auf einmal wieder als ein Tempel in die Luft.
Waller. Es wäre nicht das erste Mal. Sie treffen ohne daran zu denken, auf die Fabel vom Amphion, die der wackre Z. so gern hat, weil er zugleich die Baukunst und die Musik übt.
Louise. Für alle Künste, wie sie heißen mögen, ist nun doch die Sprache das allgemeine Organ der Mittheilung; daß ich bey Wallers Gleichniß stehen bleibe, die gangbare Münze, worein alle geistigen Güter umgesetzt werden können, Also plaudern muß man, plaudern! – aber mich däucht, unser Gespräch fängt an im Kreise herumzugehen. Kommen Sie, Reinhold, Ihr Portefeuille zu! Sie werden heute doch nicht mehr an dem Ringer arbeiten. Lassen Sie uns ins Freye hinaus, in das Gebüsch; und weil Sie so sehr für das Ausüben, für das Hervorbringen sind, so wollen wir nicht länger vom Plaudern über Kunstwerke plaudern, sondern ich will Ihnen etwas schon fertig Geplaudertes zum Besten geben.
Reinhold. Ey, das wäre! Da bin ich gleich dabey. Sie wissen, ich bin kein großer Leser, aber wenn man mir vorlesen will, und mit so gefälliger Stimme –
Louise. Schade was für die Stimme! Es ist nur, weil Sie unterdessen bequem mit dem Bleystift oder der Feder etwas auf das Papier kritzeln können, was Ihnen zu lassen unmöglich ist.
51 Waller. Ich bin erstaunt, liebe Louise. Sie haben mir ja nichts von Ihrem Unternehmen merken lassen, außer daß Sie von der Gallerie immer so gedankenvoll nach Hause gingen, wie jemand, der eine Bestellung hat, und um sie nicht zu vergessen, sie sich in einem fort wiederholt.
Louise. Sie glauben also, man müßte Sie bey allem zu Rathe ziehn. Gehen wir, ich erzähle Ihnen den Anlaß unterwegs. – Sie wissen, meine Schwester Amalie hatte gehofft, diesmal nach Dresden mitreisen zu können; es traten Hindernisse ein, und sie band es mir beym Abschiede auf die Seele, ihr etwas von meinem hiesigen Genuße mitzubringen. Da bin ich nun recht treu zu Werke gegangen. Ich bin mißtrauisch gegen meine Flüchtigkeit gewesen, ich habe die Fantasie unter das Auge gefangen genommen, und mich so recht in die Bilder hineinzusehen bemüht. Sie können sich leicht vorstellen, daß ich nicht in Gefahr war, durch den Gebrauch der privilegirten Kunstwörter Amalien unverständlich zu werden. Es erschallt hier zwar genug um mich her von impasto, von Halbtinten, von Karnazion, von Pyramidalgruppen, von Kontrapost, von beaux accidens de lumiere und so weiter, daß ich wohl einige dieser Ausdrücke hätte erhaschen können: aber mir ist, als würde mir durch sie das wieder verdunkelt, was ich an sich klar genug erkenne.
Waller. Einige davon sagen nichts mehr, als die Ausdrücke des gemeinen Lebens; andere gehen dar52auf aus, den Geist der Kunst (mit Ihrer Erlaubniß, Reinhold!) auf mechanische Griffe herunterzusetzen.
Reinhold. Jedem Handwerke wird ja seine besondre Sprache vergönnt. Es sind doch nützliche Abbreviaturen, womit man sich am geschwindesten verständigen kann.
Waller. Nur werden sie gar zu oft gemißbraucht, um damit den Kenner zu spielen, da sie nichts weiter beweisen, als daß einer den Buchstaben des Buchstabens inne hat.
Louise. Die Beschreibungen von dem Höchsten und Göttlichsten, die solche zungenfertige, achselzuckende Kenner geben, sind in der That Skelette, todtgeschlagene Bilder, in der Vorrathskammer ihrer dürren Köpfe in den Rauch gehängt.
Waller. Genug von ihnen. Haben Sie bey ihren Darstellungen kein Vorbild vor Augen gehabt?
Louise. Nicht daß ich wüßte.
Waller. Kennen Sie Diderots Salon de peinture?
Louise. Ob ich das kenne? Ich habe mir aber seine durch und durch geistvollen Schilderungen jetzt mit Fleiß entfernt. Sehen Sie, fürs erste bin ich keine Französin, und dann bin ich eine Frau, und möchte nicht gern für koket gehalten werden. Diderot kokettirt offenbar mit seinem Feuer, seinem leichten Gesellschaftstone, selbst mit seiner brusquerie. Ferner ist es etwas ganz andres, einige der vorzüglichsten Gemählde in einer der ersten Sammlungen, oder eine Ausstellung beschreiben, wo reines und un53reines neben einander steht, und vielleicht unter dem ganzen Haufen kein einziges Kunstwerk vom ersten Range befindlich ist. Da ist der rittermäßige Ton schon eher erlaubt; Diderot hat doch die Lobsprüche wohl noch zu sehr verschwendet, und unter den vielen Wendungen, womit er das Schlechte abzuweisen weiß, muß man ihm einige witzige Ungezogenheiten schon zu Gute halten.
Waller. Ich glaube mit Ihnen, daß die Züge seiner Feder unsterblicher seyn werden, als die geschilderten Werke des Pinsels und des Meißels.
Louise. Daß ich Ihnen auch ein Urtheil abfordre: was halten Sie von Forsters Kunstbeschreibungen in seinen Ansichten?
Waller. Es sind eigentlich Ansichten, interessante aber sehr persönliche. Wäre der Kunstsinn des edlen Mannes eben so scharf gewesen, als sein sittliches Gefühl regsam und zart, so hätte er alle Forderungen befriedigt. So aber verwechselt er oft dieses mit jenem, ja es scheint bey ihm nie zu einer rechten Absonderung gekommen zu seyn. Er sucht die Würde des Gegenstandes und vergißt darüber das Verdienst der Behandlung. Deswegen wird er zuweilen unbillig gegen Niederländische Meister, wo das letzte vorwaltet. Manchmal hat er indessen einen liebevollen Enthusiasmus mit viel Seele ausgesprochen.
Louise. Ich will mich nicht rühmen, daß ich schon zu der Abstrakzion gediehen wäre, keine Vorliebe für den edleren Gegenstand zu hegen, und die Poesie der Darstellung am Gemeinen mit eben der Lust auf54zufinden. Ich hatte ja die Wahl. Sie werden nicht böse seyn, wenn ich Sie am meisten in den Italiänschen Saal führe.
Reinhold. Hier, dächte ich, ließen wir uns nieder: wir können keinen bequemeren und anmuthigeren Sitz finden. Vor uns der ruhige Fluß; jenseits erhebt sich hinter dem grünen Ufer die Ebne in leisen Wellen, dort unten spiegelt sich die Stadt mit der Kuppel der Frauenkirche im Wasser, oberhalb ziehn sich Rebenhügel dicht an der Krümmung hin, mit Landhäusern besäet und oben mit Nadelholz bedeckt.
Louise. Ich bin es gern zufrieden. Setzen wir uns, wir werden hier ungestört seyn. Im Angesicht dieser lachenden Gegend hören Sie vielleicht um so lieber ein paar Beschreibungen von Landschaften, die ich Ihnen gleich zu Anfange geben will.
Waller. Wenn die Mahlerey nur nicht gerade in diesem Fache gegen die Größe der Natur am meisten verlöre! Alle Landschaftmahlerey ist doch nur eine Art von Miniatur.
Reinhold. Weswegen sollte sie? Miniatur besteht darin, wenn ein Gegenstand klein und dabey mit einer Deutlichkeit in seinen Theilen abgebildet wird, die sie nicht haben könnten, wenn die Verkleinerung von der Entfernung herrührte. Dies braucht der Landschaftmahler so wenig zu thun, daß es vielmehr allen Zauber zerstört, wenn er es sich zu Schulden kommen läßt.
Waller. Aber wie muß er einen weiten Horizont, ein hohes Gebirge, den gränzenlosen Ocean auf seiner Leinwand zusammendrängen!
55 Reinhold. Es drängt sich von selbst zusammen. Blicken Sie nur durch eine kleine Fensterscheibe oder durch die hohle Hand ins Freye hinaus, und welche Menge von großen Gegenständen wird ihr Auge umfassen!
Waller. Dennoch giebt mir das Bild nie den Eindruck einer furchtbaren und unermeßlichen Größe, wie der Gegenstand in der Natur.
Reinhold. Weil sie uns da so umgeben, oder wir uns ihnen so nähern können, daß sie von allen Seiten über den Sehwinkel hinausgehen und das Auge erst allmählig ihre ganze Ausdehnung durchläuft. Dicht unter herabdrohenden Felsenmassen haben wir freylich den Maßstab unsrer eignen Kleinheit sehr bey der Hand.
Louise. Sie haben Recht: es ist ordentlich schauerlich, daß die Welt so groß ist. Wenn ich Abends den gestirnten Himmel sehe, und mir die erstaunlichen Entfernungen denke, so wird mir zu Muthe, wie jemanden, der auf einem kleinen Kahn mitten auf dem weitem Meere schwebt.
Reinhold. Sie denken die Entfernungen auch nur, Sie sehen sie nicht. Die Mahlerey unternimmt ja nicht die Gegenstände abzubilden wie sie sind, sondern wie sie erscheinen. Wie groß erscheint denn die Landschaft vor uns? Ihre Antwort würde hier noch ziemlich ruhig ausfallen, nicht weil Sie den Umfang wirklich sehen, sondern weil Sie ihn historisch wissen. Die Entfernung der Stadt haben wir ungefähr mit den Füßen ausgemeßen, und am äußersten Horizont 56 bemerken wir die viereckigen Felsen vom Königstein und Lilienstein. Aber wie groß erscheint der Himmel? wie groß das Meer? Das Auge an sich kennt nur die scheinbare Größe der Gegenstände in ihrem Verhältnisse unter einander: ein naher Raubvogel, der ein entferntes Wölkchen verdeckt, ist ihm eben so groß. Auf die Entfernungen schließen wir nur aus den gedämpfteren Farben und verlohrneren Umrissen; und so berechnen wir die wahre Größe, indem wir nahe bekannte Gegenstände, einen Baum, eine menschliche Figur, als Maßstab zu Hülfe nehmen. Dergleichen setzt der Landschafter in den Vorgrund hin.
Waller. Muß sie aber doch beträchtlich verkleinern.
Reinhold. So entfernt er sie auch zugleich; nur etwa einigen Kräutern und Blumen ganz am Rande des Bildes giebt er ihre volle Bestimmtheit. Da in diesem Zweige der Kunst die Luftperspektiv vorzüglich zu Hause ist, so hat sie das Mittel ganz in ihrer Gewalt, auf einem kleinen Raume das Große groß darzustellen. Es läßt sich sogar denken, daß sie in das Kolossalische überginge.
Louise. Lassen Sie ihn, Reinhold. Er hat es gegen die Landschaftmahlerey, weil die Alten wenig daraus gemacht haben, und weil er die beschreibende Poesie verabscheut. Vielleicht kommt in den folgenden Beschreibungen etwas vor, was dienen kann, ihn zu widerlegen.
„Ich sah drey Landschaften neben einander, von Salvator Rosa, Claude Lorrain und Ruis57dael. Die erste ist eine
beschränkte Gegend von Bäumen, Wasser und Gestein. Keine hohen Felsen: rechter Hand nur lehnt sich eine bewachsne Masse von Stein sanft hinauf; durch das mittlere Gesträuch hin
wird eine Andeutung in die Ferne sichtbar. Mehr rechts vertieft sich das Wasser in die Büsche hinein; ein großer Stein tritt von der linken Seite (nämlich des Zuschauers, nicht
des Bildes; so werde ich die Ausdrücke rechts und links im dem folgenden immer gebrauchen) hell hervor. Auf diesem stehn und sitzen in Gespräch begriffen drey Männer, wahrhaft
sprechende Figuren. Aber gleichsam wie die erste Gestalt auf dem Bilde zeichnet sich vor den Bäumen zur Linken ein starker unbelaubter Stamm aus. Er strebt wie ein herrschendes
Wesen in die Höhe und Breite: man glaubt beseelte Kraft in ihm wirken zu sehen, und die Männer unter seinen Aesten stehn wie seine Diener da. Die Farben ihrer Kleidung stimmen
mit denen des Stammes und den hellen Partien des Gesteins überein; sie gehn ins gelblichte und graue, so daß das Schönste und Charakteristische des Bildes wie erleuchtet
aussieht. Alles ist auch hier des Geistes voll, alles ist rege. Die Bäume haben kein ruhiges Laub: die Luft scheint es zu zerreißen, und in lang hinstrebende Parthien zu
theilen. Doch tobt kein Ungestüm an diesem einsamen Orte; das stille Blau des Himmels blickt hinter den grauen Wolken hervor, und die Bewegung, die ich erblicke, ist erhabnes
Leben, nicht wildes Gemüth. Auf andern Landschaften kann man sich vielleicht abgesonderter in die Oede verlieren: 58 hast Du Dich hier einheimisch gemacht, so
bist Du in der Gesellschaft einer begeisterten Seele. Es ist, als führten die wunderbaren menschlichen Gestalten zur näheren Gemeinschaft mit ihr: die romantische Stellung und
Tracht, wiewohl diese nur einfache Landleute oder Bewohner der Wildniß ankündigt, der Ort wo sie sich bereden, alles macht die bedeutendste Gegenwart. Nicht der Zufall hat sie
versammelt, sie sind eins mit dem Ganzen, und vollenden den bestimmten Ausdruck, den selbst der oberflächliche Beobachter nicht verkennen wird. Wen auch Landschaftstücke sonst
gleichgültig ließen, auf den würde dieses noch die Wirkung eines historischen Gemähldes machen können, wie die Musik wenigstens zu irgend einem großen Text.
Claude Lorrains Imagination ist gemäßigter und in der schönen Wahrheit daheim. Sein warmer lichter Himmel, seine feuchten bewachsenen Felsen, über denen der Duft der
Vegetazion schwebt, sind in ihrer Gattung wie die Farbengebung des Tizian. Das Stück, von welchem die Rede ist, stellt eine wirkliche Gegend bey Neapel vor. Man sieht Ischia
und Capri über den Horizont hervorragen. Zwey hohe Felsenparthien treten von der Rechten ins Meer hinein, und das Meer in Schatten zwischen sie. Dahinter ist die Stadt nebst
Hafen und Schiffen angedeutet. Dicht vor dem Bilde verliert sich die Ferne, man wird kaum die Spur des Pinsels gewahr: in der gehörigen Weite zeigt sie sich eben so treu und
zweifelhaft, wie das Auge sie in der Wirklichkeit abreicht. Auf der linken 59 Seite des schmalen Vorgrundes stehen ein Paar himmelhohe Bäume, die das Ganze
für den ersten Blick so schön einschließen. Hinter dem Vorgebirge erhebt sich wie eine Wolke der Gipfel des Vesuv, dessen unterirdische Flammen vor der Morgensonne erblassen.
Sie leuchtet mit sanftem Schein um die Felsen her. Keine Lichtgesäumten Gewölke; es ist reiner Glanz, nur vom Hauch der Frühe gemildert, und der Körper selbst eben sichtbar,
der ihn ansströmt. Unbeschreiblich harmonisch vermischt er sich mit dem grünlichen Meer, worauf auch der Nebel noch ruht, kaum gefärbt von dem Strahle, welchen die Sonnenscheibe
herübersendet. Die ganze Luft ist mitgemahlt: kein Gegenstand steht nackt da, ihr durchsichtiger Schleyer ist über ihn geworfen. Man sieht in die Vertiefung zwischen die
Felsen, oder auf die weite Meeresfläche hinaus: der Gesichtspunkt ist überall gleich vortheilhaft. Es ist aber in der Natur dieser Landschaft, daß man in sie hinausblickt, ohne
in und auf ihr zu wohnen. Sie bedürfte daher keine Figuren zu ihrer Belebung. Eine solche Ferne scheint doch niemals einsam, das Leben des Unbeseelten webet über ihr, das
wiederum Seele aus sich selber schafft. Da Claude keine Figuren mahlte, so hat Allegrini den Vorgrund mit einer Gruppe verziert, wo Acis und Galatea liebkosend zusammen ruhn;
auf dem Vorgebirge liegt der eifersüchtige Polyphem. Das Zelt von violetter Farbe, welches die Liebenden schirmt, und ihre hellen Gewänder ziehn doch das Auge zu sehr an sich,
und stören anfangs die süße Ruhe, die über die Landschaft ausgegossen ist. Denn 60 man muß sich keinesweges einen prahlenden Sonnenaufgang dabey denken. Das
Auge wird im Vorgrunde durch die Schatten, worin dieser und die Felsen ruhn, geschont, und in der Ferne durch die stille Behandlung des Glänzenden. Man entdeckt nicht einmal
die Sonnenscheibe sogleich, und der Tag scheint erst höher herauf, indem man vor dem Bilde steht.
Wie ganz anders ist Ruisdael, und doch wie vortrefflich, selbst in seiner Beschränktheit! Hier ist eins seiner größeren Stücke, eine durchsichtige Baumgegend auf
wasserreichem Moorgrunde. Jeder Stamm sondert sich von dem andern, und weicht bis zu der fernen Helle, unter dem Laubwerk hin, zurück. Eine glänzende Wolke, halb hinter den
Wipfeln der Bäume versteckt, wirft die herrlichsten Widerscheine zwischen sie auf den Boden hinunter, welche das breite Gewässer des Vorgrundes nochmals in einen dunkeln Spiegel
aufnimmt. Dieses ist mit Pflanzen und Gesträuch durchwachsen, die seine Schatten vertiefen und zugleich durch die Reflexion der kleinsten wie der großen Gegenstände ganz
durchsichtig machen. Die vorderen Stämme heben sich um so mehr hervor, weil es meistens Buchen mit weißer Rinde sind; der ansehnlichste darunter ist völlig nackt, und stellt
sich, besonders wo er oben herunter schräg abgespaltet ist, sehr täuschend dar. Die durch Verschiedenheit der Töne äußerst mannichfaltigen Baumpartien sind mit so viel
Freyheit als Fleiß gearbeitet. In einigen bräuneren Tinten zeigt sich der nahende Herbst. Das Laub selbst hat wenig Abwechselung. Ruisdael kannte nur 61 eine
einseitige Natur, allein in dieser hat er eine Wahrheit, die jedesmal innig aus ihm selbst hervorzugehen scheint. Was er darstellt ist oft schauerlich oder dürftig; die
Behandlung läßt uns aber bey ihm an Oertern verweilen, wo wir uns in der Wirklichkeit nicht wohl befänden. Er zieht dabey die Gegenstände so nahe an sich heran wie möglich, und
läßt nur selten eine Ausflucht in die Ferne zu, ihnen zu entkommen. Wo seine Schatten nicht nachgedunkelt haben, die auf manchen seiner Bilder undurchdringlich sind, ist sein
Grün von großer Wahrheit, und wie aus den frischesten Quellen getränkt. Hier ist es zugleich gefällig und dieser sanftere Ton erstreckt sich bis auf den Himmel, den er sonst
meistens aus dem neblichten Norden nimmt. Ueberhaupt schwimmt das Ganze in nasser Klarheit, und wenn von ungefähr ein Sonnenblick darauf fällt, wird es in Magie verwandelt.
Eine Hirschjagd belebt die Szene, oder vielmehr sie soll es thun. Adrian van der Velde hat die Figuren darauf gesetzt, und sie sind nicht ganz mit dem übrigen durch die
nächsten Wirkungen verbunden. Der Jäger, der am Ufer hinsprengt, macht sich gut. Der Hirsch aber, welcher durch das Wasser setzt, und die Hunde ihm nach, lassen hier keine
Bewegung zurück, die eine wahre Schönheit hinzugefügt hätte, und spiegeln sich ganz bestimmt in ruhiger Fläche. Freylich wird man diesen Mangel nur spät gewahr in dem
harmonischen Bilde, vor dem man mit Wohlgefallen und Bewunderung verweilt, ob Ruisdael gleich nicht so lieblich die Sinne bezaubert, wie Claude, noch so lebendig zum Geiste
redet, wie Salvator.“
62 Sind Sie ausgesöhnt, Waller?
Waller. Mir däucht, Sie erheben die Darstellung zu sehr gegen die Natur, da Sie doch durch Ihre Schilderung jene zum Theil wieder in diese verwandeln.
Louise. Das letzte ist wahr: seit ich mich mit diesen Dingen viel beschäftige, sehe ich eine wirkliche Gegend mehr als Gemählde, und ein Landschaftstück suche ich mir zu einer wahren Aussicht zu machen. Aber wie können Sie mir das erste vorwerfen, da Sie immer davon ausgehen, der menschliche Geist schreibe der umgebenden Welt sein Gesetz vor, und schaffe und modle sie nach sich?
Reinhold. Ich muß Louisen vertheidigen. Es versteht sich von selbst, lieber Freund, und wir geben es gleich zu, daß die Kunst als bloße Abschrift der Natur gegen das ewige Regen und Weben derselben unendlich zurückstehen müßte. Eben deswegen soll sie den Abgang durch etwas von wesentlich verschiedner Art ersetzen. Der Künstler kann die landschaftliche Natur nur durch Wahl und Zusammenstellung verbessern, nicht an sich erhöhen. Dagegen leiht er dem Anschauer seinen erhöhten Sinn für sie, oder vielmehr er stellt den allgemeinen Sinn her, wie er ursprünglich beschaffen ist. Er lehrt uns sehen. Drollig genug, daß man es in dem Grade verlernen kann. Aber wann sieht man auch einmal um des Sehens willen? Es geschieht immer in andern Geschäften. Man rühmt den Sinn des Auges als den edelsten, und den Verständigen mag er es deswegen seyn, weil er zur Erkenntniß so behülflich ist, dem großen Haufen gewiß nur wegen seiner Brauchbar63keit in der Haushaltung. Es ist uns gar nicht darum zu thun, wie die Dinge erscheinen, sondern wie sie sind: das heißt, wie sie sich greifen und handhaben lassen. Wir begnügen uns, ein Individuum immer wieder zu erkennen, und die wirklichen Veränderungen wahrzunehmen, die damit vorgehn, ohne auf die tausend verschiedenen Ansichten zu achten, unter denen es sich uns darbietet. Von der ersten Kindheit an verbinden wir mit dem Gebrauch des Auges Wahrnehmungen andrer Sinne und eine Menge Schlüsse, die uns so geläufig werden, daß wir alles unmittelbar zu sehen glauben. Im Grunde sind wir uns aber dessen was uns umgiebt, so lange es beym Gewöhnlichen stehen bleibt, mehr bewußt, in so fern wir es wissen, als in so fern wir es sehen.
Waller. Mit dem Gehör geht es im Ganzen eben so zu. Die Anlage zum Mahler und Musiker liegt also wohl darin, daß man von Jugend auf diese Sinne nicht bloß wie Hausthiere zähmen und abrichten läßt, sondern neben der nützlichen Anwendung ihre freye Thätigkeit und die Lust daran behauptet.
Louise. Ja ja, der Geruch ist am Ende der edelste und am meisten poetische Sinn, weil er weniger dem Bedürfnisse dient. Seine lieblichen dunkeln Anregungen scheinen mir am nächsten mit den Zaubereyen der Phantasie zusammenzuhängen: der Duft einer Orangenblüthe versetzt mich in die glückseligen Inseln.
Reinhold. Wenn meine Bemerkungen richtig sind, so wissen wir auch, was wir von dem Urtheile derer zu halten haben, welche die Färbung und Be64leuchtung, die Mittel, wodurch die Körper erst erscheinen, zu untergeordneten Theilen der Mahlerey, oder wohl gar zu unwesentlichen Reizen derselben herabsetzen. Sie ist ja eigentlich die Kunst des Scheines, wie die Bildnerey die Kunst der Formen; und wenn ich nicht fürchtete, in Ihre philosophischen unausführbaren Forderungen hineinzugerathen, Waller, so möchte ich sagen, sie soll den Schein idealisiren. In der Wirklichkeit gewöhnen wir uns, über ihn weg, oder durch ihn hindurch zu sehen: wir vernichten ihn gewissermaßen unaufhörlich. Der Mahler giebt ihm einen Körper, eine selbständige Eristenz außer unserm Organ: er macht uns das Medium alles Sichtbaren selbst zum Gegenstande. Wir sollen also bey dem Schein verweilen, und wie kann er das verdienen, wenn er nicht auf das bedeutendste und wohlgefälligste gewählt und dargestellt wird.
Waller. Die Mahlerey soll also täuschen?
Reinhold. Nicht doch: auch bey der kunstvollsten Nachahmung ist sie schon dadurch vor diesem Abwege gesichert, daß es ihr an einer wahren Lichttinte fehlt.
Louise. Haben Sie die durchsichtigen Mondscheinlandschaften schon vergessen, womit wir uns manchmal unterhielten? Die sind doch mit wahrem Lichte gemalt.
Reinhold. Dafür sind sie auch keine Kunstwerke, sondern nur eine artige Gaukeley.
65 Waller. Aber die Täuschungen, die, wie man bezeugt, wirklich durch Gemählde hervorgebracht worden sind?
Reinhold. Sie fanden vermuthlich nur bey besondern Veranstaltungen und auf einen Augenblick statt. Am empfänglichsten dafür werden entweder solche seyn, die ihre Sinne blindlings gebrauchen, ohne sich im mindesten Rechenschaft davon zu geben; oder im Gegentheil die Meister im Sehen, deren Einbildungskraft immer auf die Erscheinung gerichtet ist.
Louise. Auf die Art hätte die Fabel vom Zeuxis und Parrhasius, daß sie mit ihren gemalten Sachen die unvernünftigen Thiere betrogen haben, demnächst aber einer den andern, einen recht feinen Sinn.
Waller. Bey der Abstrakzion, worin Sie das Wesen der Mahlerey saßen, und der Ausdehnung, mit der Sie ihre Gränzen bestimmen, nehmen Sie auch wohl das Stillleben in Schutz?
Reinhold. Ganz gewiß.
Waller. Und machen die Landschaftmahlerey zur höchsten Gattung, weil in ihr das bloße Phänomen eine so wichtige Rolle spielt?
Reinhold. Vielleicht. Indessen halte ich überhaupt nichts von solchen Rangstreitigkeiten.
Waller. Man sieht aber doch, daß die Landschafter, wo sie können, über ihre Gattung hinaufstreben. Sie bevölkern die Szene nicht nur mit Figuren, sie bringen Geschichten darauf an; und wenn sie dazu selbst nicht genug zu zeichnen wissen, so lassen sie sie von andern hinsetzen. – Als ob ich Ihre Vorliebe 66 für den Salvator Rosa nicht gemerkt hätte, Louise, die Sie eben darum hegen, weil er die Natur bloß wie eine Schrift braucht, in deren großen Zügen er seine Gedanken hinwirft. Wenn ein Satyriker zum Landschaftmahler gemacht ist, so werden Idyllendichter sich wohl mit Glück im Schlachtenmahlen versuchen.
Louise. Ich gestehe, wenn man mir sagte, diese Landschaft rühre von einem Dichter her, so würde ich nicht auf einen Idyllendichter rathen, jedoch auch schwerlich auf einen Satyriker, vielmehr auf einen feurigen Lyriker, und das ist Salvator vielleicht in seinen Satyren. Wenn der Mahler, wie Reinhold sagt, dem Scheine einen Körper giebt, so muß er ihm ja auch eine Seele einhauchen, und dieß darf doch wohl seine eigne seyn.
Reinhold. Allerdings kann der Landschaftmahler zu willkührlich in die Natur hineindichten. Allein es ist ein wesentlicher Mangel, wenn man der Darstellung sogleich auf den Grund sieht, wenn sich der Schein in die bezeichneten Gegenstände gleichsam verliert.
Louise. Da Sie mir das eigentliche Kritisiren verboten haben, so freue ich mich, daß ich auf ein Beyspiel zu ihrer Kritik gestoßen bin. Hören sie nur.
„Eine große Landschaft von Hackert *), vier bis fünf Fuß hoch und etwa sechs Fuß breit, worauf eine Gegend von sehr weitem Umkreise bey Neapel ab-
*) Im Besitz des Herzogs Albert zu Sachsen-Teschen, jetzt mit andern Stücken zu Dresden im
Zwinger befindlich.
67gebildet ist. So wie du davor stehst, vergissest du bald die Mahlerey, und befindest dich in einem entzückenden Lande. Du stehst auf dem braunen Vorgrunde,
der von dem nächsten Boden durch einen weiten hinter ihm verborgenen Zwischenraum abgeschnitten ist. Ein weiter Kreis von Hügeln thut sich auf, die sich von einer Seite höher
hinan lehnen und ringsum anmuthig heben und senken; die Augen ruhn auf einem stillen See aus, den jene in ihrem blühenden reichen Schooß eingeschloßen halten, und der gleichsam
wieder das Auge der Landschaft ist. Jenseits der Hügel zeigt sich, da der Standpunkt ziemlich hoch angenommen worden, eine angebaute Ebne, mit leichten Erhöhungen und Dörfern.
Ein Streif des Meeres scheidet das Land vom Horizont, über den der Gipfel einer vulkanischen Insel hervorragt und Schiffe sichtbar sind. Der heiterste Himmel mit wenigem
Gewölk füllt den weiten obern Raum aus. Zu beyden Seiten des Vorgrundes erheben sich hohe Bäume; die zur Linken auf Felsenstücken, zwischen denen sich ein mit Fuhrwerk und
Menschen besetzter Weg hineinzieht. Die Hügel sind mit Gebüsch und Reben, lieblichen Anpflanzungen und Wohnungen jeder Gattung überdeckt; zur Linken zeichnet sich eine größere
Burg aus. Dieses reiche Detail können keine Worte aufzählen, da kaum die Augen dessen mächtig werden. Alles ist mit großer Leichtigkeit und einem zugleich flüchtigen und
genauen Pinsel dargestellt: nicht die Thüre in der Ecke eines Weinbergs, die offen steht und auf die Mauer daneben Schatten wirft, ist weggelassen, und alles durch
den 68 Duft einer glänzenden Helle in einander gewebt. Der Wiederschein der Gegenstände im klaren See wird zum Theil noch von der Sonne erleuchtet: der
Himmel geht in einem etwas tieferen Azur aus diesem Bade hervor. Die großen Bäume sind voll und kräftig hingeworfen; der linker Hand erscheint nur zu röthlich, samt den Felsen
darunter, die in Dietrichschem Geschmack behandelt sind. Die weite Ferne ist täuschend. Der Ton der Hauptparthie weicht beträchtlich vom Vorgrunde ab, und geht schon ins
Graue über. Nach mehren Landschaften von Hackert könnte dies, so wie der hohe Standpunkt, Gewohnheit bey ihm seyn: hier unterbricht es indessen die Harmonie nicht. Alle
Farben des Bildes sind wie sein Himmel, sanft und freundlich, nicht stark aufgetragen, aber auch nicht durchsichtig, so daß man sie eher für gouache, als für Oel
ansehen möchte. Kein Lüftchen regt die Blätter oder kräuselt die Wellen; die südliche Heiterkeit ist überall ausgedrückt.
Woher kommt es aber, daß dieß blendende Gemählde in seiner weiten Ausdehnung dennoch keinen Eindruck von Größe und erhabnem Reiz macht, und nur wie ein leichter
Syrenengesang in die Wirklichkeit lockt, die es wiederzugeben versucht? Ich glaube, weil es sie nach Art einer camera obscura wiedergiebt: das Große in einer netten
Verkleinerung. Es wirkt weniger, als die Natur vermag und doch nicht genug als Kunst. Vielleicht giebt es Flecke auf der Erde, die zu üppig für die Darstellung sind, welche
sich gern Beschränkungen gefallen läßt, um dann erst, wie 69 über ihren Umfang hinaus, unendlich zu werden. Auch ließe sich denken, daß ein Künstler diesen
Reichthum in einfachere Massen auffaßte, und durch das, was er anzudeuten unterließe, das Schönste in der Wirklichkeit erst in das Große für die Kunst verwandelte. So viel ist
gewiß, Claude Lorrain, der in der nämlichen Natur lebte und mahlte, ist in einem edleren Stil mit ihr umgegangen. Und dann hat Hackerts Landschaft noch einen wesentlichen
Mangel: der Schatten im Ganzen fehlt. Alles steht in schimmerndem Licht und reinen Farben da.“
Reinhold. Das Kritisiren lassen Sie sich denn doch nicht gänzlich untersagen, Louise.
Waller. Wie billig. Wir können nicht charakterisiren, ohne daß darin auf gewisse Weise ein Urtheil enthalten wäre. – Ich gestehe, die Beschreibung hat mir
größere Sehnsucht nach dem Lago Salernitano erregt, (denn dieser ist, wie ich höre, der Mittelpunkt der Aussicht) als nach dem Gemählde, das ich noch nicht Gelegenheit
hatte zu sehen.
Louise. Jetzt müssen sie mir nach Deutschland zurück folgen, und zwar zu unsern ehrenfesten Vorfahren. Ich habe ein altes Porträtstück beschrieben.
Waller. Das Porträt sollte vorzüglich ein deutsches Talent seyn, da wir eine so treue Nation sind.
Louise. Keinen Spott! Es giebt eine knechtische und eine freygesinnte, edle Treue, wovon Sie ein Beyspiel sehen sollen.
„Die gute alte Zeit, wo ein Familiengemählde noch ein Denkmal der Frömmigkeit, nicht der Eitelkeit 70 seyn durfte! Sie war des weisen Künstlers
werth, der seine Personen nicht mit fremden Zierlichkeiten verkleidete, sondern ihre eigne Sitte uud Art ausdrückte, und sie wahrhaft auf die Nachwelt brachte. So
hat Holbein einen Bürgermeister von Basel, Jakob Meyer, mit den Seinigen gemahlt, wie alle sich der Mutter Gottes und dem Jesuskinde weihen. Diese steht in der Mitte
unter einer Blende, zu ihrer Rechten kniet der Vater mit zwey Söhnen, zur Linken die Schwiegermutter, Frau und Tochter. Der Vater, zunächst an der Jungfrau, nach ihr hin, doch
etwas mehr vorwärts gewandt; wie es scheint, (denn er wird großentheils verdeckt) auf beyden Knien liegend. Seine Kleidung ist schwarz mit Pelz gefüttert. Der Kopf mit dem kurz
abgeschnittnen dunklen Haar drückt sich in den Nacken, das Kinn tritt vor, die gehobnen Hände greifen fest in einander. In seinen Geberden ist eine kräftige Inbrunst, ohne alle
Frömmeley und Abgeschiedenheit von der Welt. Man sieht wohl, er faßt diese heilige Pflicht so herzhaft an wie jede irdische, und der biedre, wackre Bürger trägt die rüstige
Thätigkeit seines Lebens in seine Andacht über, zugleich mit aller Würde, die ihn begleitet, wann er zu Rathe sitzt. Es ist ein herrliches unbekümmertes Zutrauen in dem Kopfe;
das Gebet scheint die gesunde natürliche Farbe noch ein wenig erhöht zu haben. Kein Zug ist schlaff; sie drücken alle das wohl und recht gemeynte der Handlung aus, ohne daß
doch einer überflüssig angestrengt würde. Dieß giebt ihm ein schönes Gleichgewicht, und eben das wahre Ansehen von schlichter bür71gerlicher Kraft, welches
dadurch noch verstärkt und selbst veredelt wird, daß der Kopf nicht durch die Kleidung vom Körper getrennt, sondern der ganze Hals sichtbar ist. Er hat ganz denselben Charakter
wie das Gesicht, und ist mit seinen wenigen leisen Falten, die der Völligkeit mehr wie dem Alter zu gehören scheinen, auch so kernhaft gemahlt. Wäre er verdeckt, so könnte es
aussehn, als ob der Nachdruck des Kopfes gleichsam aus der Kleidung hervorgepreßt wäre, nun gewinnt er ein weit freyeres und männlicheres Ansehen. Vor dem Vater kniet ein
artiger Knabe, von zehn bis zwöls Jahren vielleicht, in einem hellbräunlichen weiten Rock, mit purpurnen Sammtstreifen, die mit goldnen Knöpfen geschmückt und befestigt sind.
Er lauscht seitwärts weg, auf den kleineren Bruder hin, den er, die eine Hand lose auf seiner Schulter, die andre an seiner Brust, stehend vor sich hält. Sein Auge ist beynahe
trübe gegen des Vaters glänzend schwarzes, aber der Mund ist schön und bedeutend; der Kopf sehr länglicht; das helle starke Haar, im Nacken abgeschnitten, umschließt das
Gesicht in ziemlich graden Linien und Ecken. Das blonde krausköpfige Bübchen steht dagegen, ganz seiner holden kindlichen Natur überlassen, nackt vorn auf dem Bilde, es hält
den linken Arm mit der offnen Hand niederwärts ausgestreckt, und blickt ebenfalls nach der Seite hinunter. Sein Körper ist äußerst lieblich, zart und rund gehalten bey der
großen Bestimmtheit der Zeichnung, das Gesichtchen recht schalkhaft, und so macht es den artigsten Kontrast gegen die Uebrigen, wie eine reizende 72 Blume in
einem nützlichen Garten. Es ist eben so sehr außer der Familiengruppe, wie das Jesuskind, dem es an Schönheit aber überlegen ist. – Die weibliche Seite ist dieses Mal
nicht die annehmlichste: hier offenbart es sich, daß die mit so viel Selbständigkeit und Liebe dargestellte Einfalt der Sitten nicht schön und natürlich, sondern eine gothische
Eingeschränktheit ist, die für diesen Theil der Familie nothwendig in das Klösterliche übergehen muß. Hier sehen wir keine Hausmutter mit blühenden Töchtern, sondern zwey
Nonnen von gesetzten Jahren. Die ältere kniet nächst der Blende, aber etwas weiter zurück als der Vater gegenüber. Von ihrem Gesicht ist nur ein kleines Dreyeck sichtbar: die
weißen leinenen Tücher, die sie um den Kopf gebunden hat, schneiden sich auf der Wange, schräg vom Kinne herauf und vom Auge herunter. Unter dem Auge feine Fältchen. Die
nämliche Tracht läßt bey ihrer Tochter doch mehr von dem Gesicht sehen: das Tuch geht nur unter dem Kinne durch, und auf der Stirn liegt ein durchsichtiger Streif. Beyder
Kleidung ist schwarz, am Kragen mit Pelzwerk gefüttert: alles ist dicht und schwer eingehüllt, bis auf die Fingerspitzen, die den Rosenkranz zählen. Auch im Gesicht der letzten
ist keine gegenwärtige Regung zu bemerken, doch schaut sie verständig aus großen braunen Augen. Man sieht wohl, daß diese das Hauswesen angelegentlicher betreibt, als selbst
den Dienst der Heiligen. Die Tochter sieht man ganz im Profil, nach damaliger Weise kostbar geschmückt, weiß mit Gold, die Aermel sorgfältig bis auf die Knöchel der Hand
73 gefaltet und gepufft, um den Hals ein gestickter steifer Kragen, der Kopfputz sehr künstlich in Perlen und Filagran gearbeitet, an der Seite ist eine
Flechte von braunem Haar darum her gebogen. Sie hat eine helle zarte Gesichtsfarbe, und macht darin, wie in der Pracht des Putzes, dem sehr länglichten Kopf und matteren Augen
das Gegenstück des Bruders. Nur ihre Stellung ist ungeschickter: auf beyden Knien liegend, den Leib vorgebogen, den Kopf geneigt, die Schultern zurück. Sie betet am Rosenkranz,
und sieht, die Wahrheit zu sagen, dabey etwas langweilig und etwas albern vor sich hin: man weiß nicht, ob es die Albernheit der Langenweile, oder die Langeweile der Albernheit
ist. Sie gleicht einer Blüthe, die in harter Schale verschlossen gehalten wird, bis die Jahreszeit vergeht, in der sie sich entfalten könnte. Aber wie wahr und treu so recht
das Eigenste dieser Beschränkungen ergriffen ist, und wie die Mutter Gottes nun mit höherem freyerem Wesen dagegen erscheint, in holdseliger Pracht eine demüthige geistliche
Königin! Ihre Ergebung ist liebevoll, ihre Züchtigkeit milde, sie senkt den Blick anmuthig, und die volle Wölbung der Augenlieder läßt seelenvolle Augen unter ihnen vermuthen.
Der Mund ist von großer Lieblichkeit, unter den Augen aber fehlt diese: es ist da wie eine leere Stelle, wo sie verflogen wäre. Sie trägt auf dem Haupt eine reiche Krone, deren
schmale Bogen wie Blenden jeder ein Heiligenbild, künstlich in Gold gearbeitet, enthalten; die aber etwas zurückgeschoben, die hohe reine Stirn ganz erkennen läßt. Ihr blondes
Haar fließt 74 anfangs beynahe schlicht, nachher in dünnen Wellen über die Schultern herab. Ihre Kleidung ist ein dunkelgrüner Mantel, wovon wenig zu sehen,
über einem noch dunkleren grünen Gewand, das fast wie schwarz aussieht, und von einem vorn geknüpften rothen Bande umgürtet wird. An den Armen, vom Ellbogen an, kommt ein
Unterkleid von Goldstoff zum Vorschein. Sie hält das Kind hinter den still über einander gelegten wunderschönen Händen, an denen die Finger unbeschreiblich zart auslaufen, und
die Grübchen die feinste ja seelenvollste Bewegung ausdrücken. Die rechte sieht man ganz ausgestreckt bis aus den Daumen, von der linken unterwärts einige Finger, und dahinter
die Beine des Kindes; das dreyfache Fleisch ist durch die Abstufung der Schatten vortrefflich gesondert. Ich halte diese Maria nicht für ein Porträt, sondern aus der Idee
gemahlt. Sie ist aber keine Italiänisehe Madonna, sondern eine deutsche liebe Frau, zu der solche Frauen wie die neben ihr knieenden, mit Zuversicht beten können. In dem Jesus
ist nichts hohes, auch nichts fröhliches, aber eine rührende Kindlichkeit. Er lehnt sein Köpfchen auf der einen Hand an den Hals der Mutter, als suchte er, fast überdrüssig,
seine liebste Zuflucht auf; die andre ist wie zum Segnen ausgestreckt, und erscheint daher verkürzt, der ganze Körper aber nach Verhältniß der übrigen Figuren, die alle unter
Lebensgröße sind, sehr klein.
Der bewundernswürdige Fleiß in den Beywerken ist nicht zerstreuend: die viereckigen Zierrathen des 75 unten liegenden orientalischen Teppichs sind
durch eine große Falte gebrochen, und eben weil alle Verzierungen, auch der Kleidung, so sehr ins kleine gehen, zeichnen sich die Züge und Umrisse des menschlichen Antlitzes
viel bestimmter und reiner daneben ab, als etwa bey überflüssigem Prunk fliegender Gewänder und hingeworfner Falten. Der Ton des Ganzen nähert sich schon ziemlich dem
Harmonischen. Die Gesichtsfarben sind durchaus wahr, und besonders am männlichen Theil der Familie schön nach dem Alter unterschieden. Die Köpfe der älteren Frauen stechen
gegen die bläulich weißen Tücher nur ein wenig zu braun ab. Immer wird der erste Blick weniger anziehen, als die nahe Untersuchung, die mit zunehmender Liebe an dieses Bild
fesselt. Holbein bewährt sich darin ganz als den besonnenen Meister von eben so einsichtsvollem, klarem und ruhigem Geiste als kunstgeübter Hand, der das Schöne erkannte und
ausdrückte, jedoch auch dem minder Schönen treu oblag, um es durch die innige Wahrheit zu adeln; und das Alles ohne Anmaßung und Geräusch.“
Reinhold. Die Erinnerung an die Zeit, wo wir auf dem Wege waren, eine ächte einheimische Kunst zu bekommen, wenn ungünstige Umstände und die Sucht des Fremden
es nicht verhindert hätten, macht mich immer recht wehmüthig. Haben Sie Dank, daß Sie mit so ehrerbietiger Bewunderung bey dem alten Holbein verweilten. Sie haben in der That
ein Bild von ihm gewählt, woraus man ihn ganz kennen lernen kann.
76 Louise. Nicht wahr, Sie hätten mir so viel Ruhe und Gründlichkeit gar nicht zugetraut?
Waller. Ich weiß nicht, warum uns Holbein so sehr alt vorkommt, da er doch gerade in der blühendsten Periode der Italiänischen Kunst lebte. Bey seinem Vorgänger
Albrecht Dürer, der auch Zeitgenosse Raphaels war, ist dieß in noch weit höherem Grade der Fall. Ist es den deutschen Mahlern etwa ergangen, wie dem Weibe und den Töchtern des
Baseler Bürgermeisters?
Reinhold. Sogar [sc. So gar] alterthümlich finde ich das Ansehen von Holbeins Werken nicht: sie stehen darin ungefähr auf derselben Stufe mit denen des Leonardo
da Vinci, der freylich erst als Greis das neue Künstlergeschlecht aufblühen sah. Auch in der Art des Fleißes sind sie zu vergleichen. Stellen Sie nur das Bildniß eines
Mailändischen Herzogs von Leonardo, und Holbeins Heinrich den achten von England neben einander.
Louise. Still von Leonardo! Sie möchten mir vorweg nehmen was ich von ihm sagen will. Vorher noch einige andre Beschreibungen.
Waller. Sie sparen das Liebste bis zuletzt.
Louise. Ich bin Kind genug dazu.
„Es giebt unter den christlichen Sagen manche Gegenstände für den Mahler, die eben durch ihre Einfachheit reich sind, weil er sie sich denken kann, wie er will. So ist bey der Flucht nach Egypten, und der Ruhe während derselben nichts vorgeschrieben, als die holde Mutter und das Kind, ihren alten väterli77chen Freund, und allenfalls den dienstbaren Gefährten, den Esel, unter freyem Himmel zu versammeln. Keine Handlung, die künstlich gruppirt werden müßte, und doch eine Situation, die so schön gruppirt werden kann. Ferdinand Boll und Trevisani haben sie in einem ganz verschiednen Sinne genommen. Der erste stellt eine Landschaft vor, wo alles erstorben scheint, und das Grün der wenigen breitblättrigen Pflanzen und des Buschwerks sich in ein trocknes Braun verwandelt hat. Grau oder braun ist der Ton überhaupt; keine einzige frische Farbe erquickt das durstige Auge. Am Fuß eines Felsen sitzt die erschöpfte Familie. Die Züge der Mutter haben der Angst und dem Hunger schon nachgegeben, ihre bleichen Wangen sind eingefallen, der Mund schließt sich nicht mehr, die Augenlieder sinken herab. Sie stützt den Arm auf eine Stufe des Felsen, und den müden seitwärts gebogenen Kopf in die kraftlose Hand. Er ist mit einem weißen Tuche so umwunden, als ob dieses eher Schmerzen lindern, als schmücken sollte. In der Lage ihres Körpers ist nicht die mindeste Anstrengung zu bemerken: von allen Bedürfnissen scheint das der Ruhe allein schmerzlich befriedigt. Sie blickt zum Kinde herab, das ganz eingewindelt auf einem länglichten Küssen in ihrem Schooße eingeschlummert ist, eine welkende Blüthe, abgefallen von der mütterlichen Brust, deren Quellen versiegt sind, und die auch durch ihre Form nicht an die frohe Schönheit glücklicher Tage erinnert. Von der ziemlich schweren Kleidung umschlossen, ist sie nur zur Hälfte durchsichtig bedeckt. 78 Sie sollte es ganz seyn. Das kahle Köpfchen des Kindes ruht in zu ähnlicher Rundung daneben. Ihr andrer Arm ist über das Kind hingestreckt, um es zu halten. Die rothen sammtnen Aermel, die bis zur Hand reichen, sind verblichen, wie die Farben der übrigen Gewänder von Sonne und Staub angegriffen, was mit der äußersten Wahrheit ausgedrückt ist. Joseph sitzt höher am Felsen hin, so daß seine Gestalt über der Mutter hervorragt, und er so das traurige Schauspiel mit grade vor sich hin gesenktem Haupte übersieht. Es ist ein jüdisches braves Gesicht, eine hohe bleiche Stirn, deren Ecken sehr weit hinaufgehn. Die äußre Kraft scheint ihn, so krank er ist, weniger verlassen zu haben, als die innre: in den Zügen des Gesichts ist die Unthätigkeit der Verzweiflung; die Hände haben noch Regsamkeit, wenn nur etwas da wäre, was sie ergreifen könnten, um die Mutter damit zu laben. Den Korb zur Seite füllt kein Vorrath weiter, als Tücher, und der Krug hat kein Wasser mehr. In der Ferne erscheint eine Brücke, aber vielleicht ist der Bach ausgetrocknet. Von der Felsenseite des Vorgrundes dehnt der Esel seinen geduldigen Hals hervor, und nagt an dem hölzernen Sattel, der ihm als Krippe hingestellt ist, woraus einzelne Halme Stroh ragen. Alles ist das treue Bild menschlicher Noth, kein göttlicher Funke darin, der sie erhebt, kein Leuchten der Hoffnung, das sie mildert. Der mitleidige Blick wendet sich weg, bis er durch Ueberlegung besänftigt wiederkehrt, um die vollkommne Wahrheit in dieser Darstellung der leidenden irdischen Natur zu bewundern.
79 Trevisani hat sie mit fröhlichem Muth über das Bedürfniß weggehoben. Seine Landschaft schon ist gefällig erfunden: zur Rechten vorn ein hohes Fußgestell mit dem Untertheil einer zerbrochnen Statue, die freylich nicht in Egypten, sondern in Griechenland zu Hause ist; dahinter ein Palmbaum, links in der Ferne eine Brücke. In der Mitte erhebt sich ein prächtiger Baum, und nimmt Marien in seinen Schatten auf: sie sitzt mit übereinander geschlagenen ausgestreckten Füßen, als dem symbolischen Zeichen ihres Ausruhens; sonst bey weitem nicht so natürlich und bequem als die erste arme Mutter, was sie auch gar nicht nöthig zu haben scheint. Sorglos und bescheiden mit niedergesenktem Blick ergötzt sie sich an dem Kinde, das seitwärts von ihrem Schooße mit Händen und Füßen begierig vorstrebend herunter will zu den beyden Engeln, die auf einem Stein vor ihm knieen. Sie hat ein hübsches liebliches Gesicht; der Schleyer wirft einen Schatten über das eine Auge hin, womit der Mahler in ihre Seele etwas kockett gewesen ist. Sie hält mit der einen Hand das nackte Kind in der Mitte des Leibchens fest, mit der andern zieht sie viel zu zierlich mit spitzen Fingern ein weißes Tuch neben ihrem Gewande in die Höhe. Nimmt man diese Hand weg, so macht die Mutter mit den drey Genien ein sehr anmuthiges Bild. Das Roth und Blau ihrer Kleidung ist sanft verschmolzen. Die süße Begierde des Kindes lächelt einen an. Joseph steht im Profil, in einfärbigem braunem Gewande, und sieht mit aufgehobnen Händen und Gesicht an den Baum hinauf, der eine Fülle von Engeln wie himmlische Früchte trägt. Durch 80 eine lichte Stelle des Baumes fällt ein Schein auf den Umriß seines Kopfes und Bartes, der sich dadurch in der blauen Luft gleich einem halben Monde zeichnet. Auch dieß ist ein Spiel, aber man ist geneigt, es der freundlichen Laune des Mahlers nachzusehen. Die Engel zeigen sich in den mannichfaltigsten Wendungen, einige kommen noch durch die Lüfte und bringen Aehren und dergleichen herbey: sie bevölkern den Baum wie paradiesische Vögel; denkt man sie sich singend, wie man es bey ihrer Lebendigkeit wohl könnte, so wird aus dem Gemählde ein rauschendes Allegro; die Ruhe verschwindet ganz, die Flucht wird nur durch das Reisebündel angedeutet, und der Esel erscheint bloß in der Ferne, wo ihn ein schalkhaftes geflügeltes Bübchen auf die Weide führt. Die gemeine Wahrheit, die sterbliche Sorge ist davon, aber gewiß ist das Ganze weit poetischer gedacht, wenn es gleich keinen großen Charakter hat. Maria ist nicht die göttliche Mutter, sie ist eine reizende Nymphe, dort ein Mühebeladenes Weib. Wie schön und edel ließe sich diese Lücke ausfüllen!
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Hier ist eine gar zierliche Anbetung der Könige, auch dem Maaßstabe nach, denn die vordersten Figuren sind nur etwa fünf Zoll hoch. Welche ausdrucksvolle nette Köpfchen und artige Anordnung! Maria sitzt linker Hand auf den Stufen ihrer gleich einem Tempel verzierten Wohnung; Joseph kniet tiefer neben ihr. Er lehnt sich auf seinen Stab nach ihr hin und beschaut das Püppchen auf ihrem Schooß, als 81 überließe er sich zum ersten Male seinem Ergötzen an ihm, und finge an Zutrauen zu gewinnen. Zwey Könige sind in etwas steifen Mänteln vor den Stufen nieder gekniet; der schwarze steht noch, und wartet mit vollen Händen, bis die Reihe an ihn kömmt. Es ist oft der Fall dieser Könige, daß sie kindischer aussehn, wie das Kindlein selbst: aber hier schickt sich ihre unmündige Weisheit recht zu dem kleinen embryonischen Jesus, der aber doch Ausdruck hat, und die Hände mit Verwunderung und Freude erhebt. Im Gesicht des Schwarzen ist die Andacht am gutherzigsten und verwundrungsvollsten. Weiter rechts hinter ihnen stehn zwey wackre Figuren von Männern, wovon der eine dem andern die Sache bedeutet: man könnte sie für ein paar Armenische Kaufleute halten, deren Gespräch nicht sowohl heilige, als kostbare Dinge beträfe. Sie haben Hüte auf mit platten Köpfen, vorn weit hinaus in die Höhe gehendem Rand und einzelner Feder, (chapeaux à l’audace) eine kurz geschürzte Kleidung wie eine weitläuftige Weste mit Aermeln, und stellen sich mahlerisch dar. Ihnen folgt ein schöner andächtiger Jüngling mit gesenktem und entblößtem Haupte, die gefalteteten Hände bis vor die Brust erhoben, ebenfalls in rother Weste, die Beine nackt. Er gehört nicht bloß zum Gefolge, sein eignes Herz hat ihn gehen heißen. Nach ihm vermehrt und verengt sich das Getümmel der Dienerschaft und des Gepäckes, Menschen und Pferde romantisch durch einander. Kein Kopf ist ohne Ausdruck; entweder der Neugier nach dem was da kommen soll, oder mit gegenwärtiger 82 Handlung und Gespräch beschäftigt. Der schöne Jüngling allein geht still vor sich hin. – Der Zug überhaupt zeigt sich im Profile, doch mit abwechselnden Wendungen. Vier oder fünf Pferde werden in der gedrängten Gruppe sichtbar, vorn ein weißes in der Verkürzung, auf dem ein Mann mit einem Turban sich halb vom Rücken her zeigt; andre stehen ihm entgegen. Drey Pferdeköpfe treffen so zusammen, als hielten sie eine verständige Unterredung mit einander, die man auch ihren Physiognomien ansieht. Alle Umrisse sind scharf und streng, keine Luft auf dem Bilde, keine Hauptlichter und Schatten, die das Ganze rundeten, und die Farben in einander webten; aber eine feine herrliche Ausmahlung, besonders der Köpfe. Mariens regelmäßiges Antlitz sagt am wenigsten und bekümmert sich nicht. Die beyden Hirten hinter ihr sind dafür voll bedeutender Bewunderung und Liebe, und die schlanke Gestalt des jüngeren höchst anmuthig gewendet. Am linken Rande sehen einige Thiere hervor, um die Herberge zu bezeichnen. Das Gebäude ist dunkelgrau, daneben steht ein harter hellbrauner Fels, der sich in die Landschaft hineinzieht. Der Vorgrund wird durch blaues Wasser von der Ferne getrennt, in dieser erscheint der vordere Streif braun, und Stadt und Berge dahinter ohne weiteren Uebergang in starrem Blau. Man erblickt rechts das Ende der Karavane, die erst um das Wasser herumziehen soll: hier ist ein Kameel mit angebracht, von so dürftiger furchtsamer Gestalt, daß sich einsehen läßt, warum der Mahler sich nicht in den Vorgrund damit 83 wagte. Von Bäumen sind nur einzelne Zweige da, selbst die Blätter daran einzeln gemalt, und jedem von diesen ein Licht mit wirklichem Golde aufgesetzt, dergleichen auch über das Ganze ausgestreut sind, vom Stern über der Hütte an. Ein goldnes Lichtlein aus der Kindheit der Kunst möchte man dieses wunderbare Bild nennen. Es ist von Pietro Perugino, dem Meister Raphaels.
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Unter vielen vortrefflichen Gemählden erscheint mir keines so pittoresk, und das auf eine so edle Weise, als der Abraham des Andrea del Sarto. Abraham steht hinter dem niedrigen, schräg in das Bild hinein gestellten Opfersteine oder Altar. Sein Kopf ist zurück nach oben gewendet, woher der Engel kommt. Den rechten Arm streckt er mit dem Messer aus, um das Opfer zu vollbringen; der linke reicht über die Brust hin, hinter dem Kopfe des Sohnes weg, und hält diesem die gebundnen Hände auf dem Rücken zusammen, im Begriff nachzulassen. Das linke Bein hat mit einem Schritt zur Seite fest auf der Erde Wurzel gefaßt, und berührt in dieser Richtung unter dem Knie die Spitze des Steines. Das andre ist zum Theil hinter diesem und dem Knaben verborgen. Er trägt ein violetgraues Unterkleid mit weitläuftigen hinaufgeschobnen Aermeln, die nur die Hände unbedeckt lassen. Darüber ein Gewand von schönem gelblichtem Roth, auch in einer mehr regelmäßigen Form; es umgiebt den Rücken, und hat weite Oeffnungen, 84 woraus die Aerme hervorgehen, am Halse schlägt es sich um wie zu einem Kragen, fügt sich auf der Brust zusammen, und ist nach hinten zu hinaufgeschürzt. Die Beine zeichnen sich durch die graue Kleidung hindurch, vom Knie an sind sie bloß, und die Füße in Sandalen. Der Knabe ist nackt. Er kniet mit dem linken Beine auf den Altar, mit dem rechten steht er auf der Erde. Das Gesicht dreht sich nach vorn, mit dem angstvollen Auge schaut er gerade aus. Da die ganze Handlung hinter seinem Rücken vorgeht, ahndet er mehr, als daß er es wüßte. Zwar ist der Mund vom Schrecken weit geöffnet, und die Augenbrauen spannen sich in der Ecke nach der Nase zu stark hinauf: aber das Edle der Züge bleibt völlig erkennbar. Der Unterleib ist von der Furcht eingezogen, ohne krampfhafte Zuckung: da er die Hände auf dem Rücken hat, wird der schöne Körper in weichen Schatten völlig sichtbar. Die vorgedrängten Schultern sind von einem unbeschreiblich lieblichen und wehmüthigen Ausdruck; der Rücken steht in dieser Lage ein wenig über den vordern Arm hervor, und dieß vollendet gleichsam die Todesangst. Keine kalte vollkommne Zeichnung nur: sie ist in das warme Leben übergegangen. Schmerz und Schönheit halten sich rührend die Wage, und der himmlische Knabe zerreißt das Herz nicht, da der Bote von oben her schon als ein rettender jüngerer Bruder in der Luft schwebt, und das Ohr und Auge des Vaters nun erreicht. Noch hat Abraham die Worte nicht verstanden. Er blickt in die Höhe, wie von dem Werk aufgeschreckt, das er mit Kraft und Verzweif85lung unternommen hat; eine Spur von Unwillen veredelt sein Antlitz. Er hat graue Haare (am Barte sind sie fast weiß) ohne ein Greis zu seyn. Die herrlichste Gewalt des Mannes zeichnet sich in seiner Gestalt, in den Sehnen des Halses und der Hand die das Messer faßt. Der linke Arm, der dunkel über das rothe Gewand hinreicht, und der andre, der in einiger Verkürzung daraus hervorgeht, machen eine bewundernswürdige Wirkung, da beyde schöne Farben sich abschneiden, ohne grell gegen einander abzustehen. Das einzige vielleicht, was an der kräftigen Figur weniger würdig erscheint, ist das mit zu sichtbarem Nachdruck von ihr ab gestellte linke Bein. Der Körper des Knaben ist bescheiden gefärbt, ein wenig blaß gehalten, als wenn das unschuldige Blut, das vergossen werden soll, zurückgetreten wäre; doch keine steinerne Behandlung. Der Engel füllt den kleinen Raum zwischen dem Kopfe des Abraham und der obern Ecke des Bildes aus, und ist ein geflügeltes Kind, das gute Botschaft bringt. Man könnte ihn sich größer und ernster denken: der mahlerische Kontrast gewinnt aber durch die Verschiedenheit der drey Figuren. Die Landschaft im Hintergrunde kann nur für einen bunten Holzschnitt gelten.
Andrea del Sarto hat Abraham als den Laokoon des Christenthums vorgestellt. Nicht daß ihm bloß bey der Zeichnung des Isaak die Söhne Laokoons gegenwärtig gewesen seyn möchten: nein, dem Gedanken und dem Geiste nach. Dieser ist nicht der fromme Abraham im langen Gewande, welcher dem Gott 86 der Liebe mit schmerzenvoller Ergebung das Liebste zum Opfer bringt. Der Glaube ist mächtig in ihm, weil er selber mächtig ist. Die Kraft hat den Gehorsam in ihm geschaffen.“
Reinhold. Wissen Sie, daß Sie da ein sehr berühmtes Bild beschrieben haben, dessen Geschichte auch ungemein merkwürdig ist? *)
Louise. Das kümmert mich nicht, wenn ich nur darin nicht irrte, es für ein hohes Meisterwerk zu halten.
Reinhold. Andrea malte es, um Franz den ersten von Frankreich auszusöhnen, der aufgebracht gegen ihn war, weil er, unter dem Vorwande, Gemählde für ihn
einzukaufen, Summen von ihm mitgenommen hatte, in Florenz aber aus Liebe zu seiner Gattin alles vergaß, das Geld ausgab, und nun gar
*) Nachdem es durch die Hände verschiedner Besitzer gegangen war, kam es aus der Gallerie von Modena nach Dresden. In den
Verzeichnissen der von der französischen Republik eroberten Kunstwerke wird auch die Opferung Isaaks von Andrea del Sarto mit aufgeführt. Man sehe das, welches der
General Pommereul als Anhang zu seiner Uebersetzung der Schrift des Milizia, De l’art de voir dans les beaux arts, geliefert hat. Dieses Stück ist
eine Kopie, welche der König August III. in Italien erstand, um sich von der Aechtheit des modenesischen zu versichern, aber sogleich bey der Vergleichung verwarf. Beym
siebenjährigen Kriege kam es in preußische Hände, und so in das Kabinet des Erbstatthalters, aus welchem der Irrthum in die französischen Angaben übergegangen ist.
Vielleicht wünschen die Kunstfreunde, daß diese noch mehr dergleichen enthalten möchten.
87 nicht nach Frankreich zurückkam, da ihn der König doch auf die liebreichste Weise an sich zu fesseln gesucht hatte. Ich bin überzeugt, Franz, dessen
großen Sinn für die Kunst kein Französischer König nach ihm gehabt hat, hätte dem Anblick des rührenden Isaaks nicht widerstehen können. Allein es kam nicht dazu, und Andrea
starb darüber. Vasari beschreibt das Gemählde umständlich mit den stärksten Lobsprüchen, und hat auch den Charakter des Abraham eben so gefaßt, wie Sie: der lebendige Glaube
und die Sündhaftigkeit, die ihn bereitwillig gemacht, ohne Zagen seinen eignen Sohn umzubringen, sey in dem Greise göttlich ausgedrückt. Aber wie haben Sie es wagen können,
die Landschaft so gering zu behandeln, von der Vasari sagt, sie sey so vortrefflich gemacht, daß die wirkliche, wo die Geschichte vorgieng, weder schöner noch anders seyn
konnte.
Louise. Wenn unser eins auf die Art urtheilte, so würden wir es, mit Erlaubniß, ein wenig albern finden.
Reinhold. Ey nun, Vasari war freylich eben so wenig ein philosophischer Kunstrichter, als ein kritischer Historiker: er meynt es jedoch ehrlich und eifrig; da
begegnet es ihm dann mitunter, der Queere zu loben. Daß er nicht wußte, was zu einer guten Landschaft gehört, kann ihn übrigens in seinem Zeitalter eben so wenig herabsetzen,
als seinen Meister Andrea, daß er die Luftperspektive nicht in höherem Grade besaß. Diese Gattung wurde später ausgebildet: Tizian hatte erst den Grund zur Landschaftmahlerey
gelegt.
88 Louise. Es ist mir lieb, wenn ich bey Gelegenheit ein Stückchen Kunstgeschichte erfahre. Sie sollen zum Dank eine angenehme Ermahnung zur Buße in
drey Kapiteln hören.
„Welch ein anmuthsvolles Bild ist die Magdalena der katholischen Sage, zu der die Schrift nur wenige Züge angiebt! So jugendliche Sünde, so liebliche Reue, und die sich in vielfachen Schattirungen ausdrücken läßt. Ich sehe da drey Magdalenen, und in jeder eine besondre Geschichte. Diese von Franceschini hat das leidenschaftlichste Gemüth, und wohl manches Vergehen gegen sich selber zu büßen, aber man sieht es doch dem holden Gesicht an, daß sie nichts damit gewollt hat als Leben und Glück. Sie ist ermattet von der ersten Bewegung über die Predigt des Heilandes, die sie endlich einmal in der fröhlichen Welt zum Nachdenken gebracht hat. So mag sie nach Hause gekommen seyn, ihre Dienerinnen ihr entgegen, vielleicht mit neuem Schmuck und Bothschaften, die sie alle von sich weist, und sich in heißen Thränen auf einen Sessel wirft. Die Frauen haben sich um sie hergestellt, und sind ganz mit ihr beschäftigt. Sie hat das reiche Gewand schon gelöset und ablegen wollen: es bedeckt nur noch die untere Hälfte des Körpers. Perlen und Kleinodien, die sie abgerissen hat, liegen zu ihren Füßen. Sie wendet sich mit dem Kopf hinauf, nach der älteren Freundinn, die neben ihrem Seßel steht und ihr zuredet. Ihre Augen blicken diese flehend an, ihr Mund spricht: Kannst du mir nicht helfen aus diesem Labyrinth? weißt du nicht, was ich 89 thun soll, um die Noth in meiner Brust zu stillen? Auf die obere Hälfte des Gesichts fällt der Schatten von dem hinter ihr stehenden Mädchen: er verdunkelt es freylich ein wenig, aber man freut sich, daß das Licht die getrübten schönen Augen nicht blendet. Die hellen Haare rollen lang hinab und schmiegen sich um und hinter die Arme; sie lassen daher Hals und Brust frey, und geben ihr kein zerrüttetes Ansehen. Der linke Arm ruht nachläßig im Schooß; auf der rechten Seite, von der sich die ganze Figur zeigt, hängt der Arm wie bey völliger Ohnmacht herunter, und sie wird von einem jungen Mädchen unterstützt, das sich zu ihr herumbeugt. Eine allerliebste Figur, die nur zu sehr im Schatten steht; aber das artige Köpfchen tritt hervor, und fragt mit gefühlvoller Neugierde: Was soll dies bedeuten? was fehlt meiner schönen Gebieterin? wie kann man sich so kränken? – Bey dem mittleren Mädchen, die sich von oben herunter über den Stuhl neigt, ist ein ähnlicher Ausdruck, nur ist sie neugieriger und gleichgültiger zugleich, sie verwundert sich mehr bey weniger Theilnahme. Beyde sind in nymphenhaftem Kostum hübsch gekleidet, die Alte aber in einem braunen Mantel, der über den Kopf herunterhängt. Sie mag die Amme oder Pflegerin gewesen seyn, und sieht anständig und recht achtungswürdig aus. Jetzt ermahnt sie mit sanften Worten ohne zu schmeicheln; ihre linke Hand deutet abwärts, vielleicht auf die Huld des himmlischen Lehrers; sie scheint dem bisherigen Wandel eher mit Strenge zugesehn zu haben, und zu denken: es ist gut, 90 daß du diese Schmerzen leidest. – So bindet sich die Gruppe durch eine vortreffliche Harmonie der Stellungen und des Ausdrucks, wobey das Kolorit nicht in Betrachtung kommt, da es in ein todtes Grau fällt, und der Grund so sehr nachgeschwärzt hat, daß man nur mit Mühe die Umrisse darin unterscheidet. Dies ist besonders ein Verlust bey dem niedlichen Mädchen. Der Mohr, welcher in der andern Ecke halb auf der Erde liegt, und in der Verwirrung den weggeworfenen Schmuck zu erbeuten sucht, möchte sich immerhin mit den schwarzen Tinten vermischen: der Einfall ist doch mehr drollig als schicklich. Auch über die Geißel sehe ich gern hinweg, die der Magdalena ein wenig zu frühzeitig in die Hand gegeben worden. Man muß sie symbolisch nehmen. Die Buße ist so lebhaft in ihr, wie die Freude an der Welt.
Batoni’s Büßende lockt durch die süßesten Farben von weitem schon an: sie ist ganz Gemählde und wenig Geschichte. Ein blühendes Mädchen, die sich in eine sanfte Zerknirschung des Herzens hineinfantasirt und im Stillen artig dazu bereitet hat. Sie liegt am Eingange einer Grotte, im vollen Licht, das von der linken Seite auf sie fällt. Der dunkle Hintergrund bleibt doch ganz in Harmonie mit der hellen Gestalt; eine kleine Oeffnung oder perspektivische Durchsicht ins Freye unterbricht die braune Felsmasse, die sie einfaßt. Ihre Lage ist schräg nach der Linken hervor, auf der Hüfte und dem Arm ruhend, mit welchem sie sich auf einen Stein legt. Sie neigt den Kopf zu ihrer Linken auf den Busen hinab, der andre 91 Arm geht etwas unter der Brust her, die Hände treffen zusammen und falten die rosigen Finger leicht in einander. Ihre Augen sind auf ein Buch gerichtet, das nach der Mitte des Bildes zu an einen Todtenkopf gelehnt ist. Ob der innere Sinn aber nicht ein wenig dabey umherflattert? Wie auserlesen sie noch in der Einsamkeit ihre Kleidung geordnet hat! Das klare Hemde bedeckt nur die linke Schulter, von der rechten ist es bis unter den Arm und die eine Brust herabgezogen, und am linken Arm hoch hinaufgestreift. Ein himmelblaues Gewand liegt oben lose um sie her gebreitet, daß ihre Arme noch weißer und weicher hervortreten, und den harten Stein nicht berühren mögen, dann schließt es sich fest um die Hüften und bis zu den Füßen hinab an den Körper, dessen Lage so freylich mehr gewählt als natürlich erscheint. Man zweifelt, ob sie es darin lange wird aushalten können, besonders mit dem aufgestützten Arme, der eben schon durch den Druck der Last, und weil das blaue Gewand hie und da die reinen Umrisse versteckt, ganz in Schlangenlinien zum Vorschein kommt. Sehr gefällig ist aber die Neigung des Kopfes und die zurücktretende Schulter, hinter welche das blonde Haar hinabgeht, und sie dem hellsten Licht aussetzt. Ja es läßt sich nichts reizenderes und durchsichtigeres denken als diese Theile überhaupt, von da, wo die Röthe der Wange in Weiß gleichsam verfliegt und das zarte Ohr sich anschließt, wie auch der Uebergang zum Halse, bis zu der leisen Vertiefung, welche die Schulter von der Brust scheidet. Das Haar geht aus der Stirn zu92rück, fällt aber in schweren seidenen Ringeln zur Linken zwischen Arm und Brust herunter; ein Theil davon wirft einen Schatten auf den Arm: alles in sorgfältiger Nachlässigkeit. Das Gesicht ist lieblich in seinem verkürzten Profil, nur ein wenig leer; eine tiefe Regung hat es niemals getrübt. Die Sündlichkeil scheint oberflächlich, und die Bekehrung vielleicht vergeblich. Wovon sollte sie sich auch bekehren? Von dem unschuldigen Wohlgefallen an sich selber? Sie fährt fort zu sündigen: der Todtenkopf ist zwar da, aber es sprießen Blumen an ihm auf, und die Grotte wird bald ihr Putzgemach werden. Ihre ganze Stellung ist die einer Narcissa, welche sich im Bache spiegelt.
Diese beyden Bilder sind in Lebensgröße. Correggio’s Magdalena hat nur einen Fuß in der Höhe und gegen anderthalb in der Breite, allein er hat wohl nie etwas in einem größeren Style gemahlt, schon was das bloße Machwerk betrifft. Und außerdem hat er ihr nicht Anmuth allein gegeben: nein, sie ist die eigentlich schöne Seele, die der zufällige Irrthum früher Jugendzeit nicht hat entstellen können. Unbekümmert liegt sie im tiefen Gebüsch, wahrhaft einsam, keine andre Gegenwart ahndend, als den Gegenstand ihrer ernstlichen Betrachtungen. Die Richtung ihres Körpers ist die nämliche, wie auf dem vorhergehenden Bilde, nur daß sie geradezu auf dem Leibe ruht; das Licht fällt ebenfalls von der Linken auf ihr blondes Haupt, jedoch nicht blendend: sie ist ganz wie in der Obhut sanfter Schatten. Mit dem rechten Arme stützt sie den Kopf, die Hand greift in das wei93che Haar, das um sie herausquillt, der kleine Finger ist ein wenig darin umgebogen, die andern sieht man nicht; jener thut die zarteste Wirkung. Sie weiß nichts davon, sie gedenkt ihrer Reize nicht mehr. Wie sie sich zum Buche herabneigt, das sie ganz natürlich im andern Arm hält, und es mit der Hand oben umfaßt, werden ihre niedergeschlagenen vollen Augenlieder und langen Wimpern beschattet; man glaubt die Spur von Thränen in dem dunklen Rande zu erblicken. Sie hat geweint, heiß wie ein Kind, das von bitterm Schmerz überwältigt wurde, und nun anfängt sich eben so kindlich zu beruhigen. Darauf deutet auch der holdselige Mund; es ist eine Bewegung darin, die in Frieden übergeht. Wie rein und verschmolzen sind die übrigen Züge und das edle Oval des Antlitzes! Rechts wallen die schönen Haare in ihrer Fülle herunter. Schultern und Arme sind bis zum Busen unbedeckt, aber wie sittsam! Das dunkelblaue Gewand geht über den Kopf, daß eben ein schmaler Streif davon sichtbar wird, und ist so von hinten herum, unter den Armen hin, leicht bis zu den Füßen zusammengeschlagen. Ein bescheidner Umriß den Rücken hinab zeichnet sich in den dunklen Hintergrund, die weißen Füße erhellen die grüne Finsterniß ein wenig. Wie sanft der Boden sie zu tragen scheint! Sie kann nicht anders liegen, es ist nichts zurecht gemachtes an der ganzen Gestalt, nicht der leiseste Anspruch.“
Reinhold. Kennen Sie Mengs Beschreibung dieser letzten Magdalena?
94 Louise. O ja! Sie enthält alles, was den Mahler angeht, und was ich übergehen mußte, weil ich es nicht verstehe, und weil gerade dabey Worte ohne den Anblick nicht helfen. Ich habe Ihnen also nicht genug gesagt?
Reinhold. Ich wollte Ihnen nur bemerklich machen, daß das nicht artistische Schildern von Gemählden doch in so fern einseitig wird, als es immer hauptsächlich vom Ausdrucke ausgeht, und ausgehen muß.
Louise. Freylich muß ich mich an den innern Menschen wenden, wenn ich seine Einbildungskraft interessiren will, ein noch nicht gesehenes Kunstwerk in sich zu erschaffen. Was schadet es auch? Ich kann das Mittel doch nicht wieder zum Zweck machen wollen. Bey einem ächten Kunstwerke kann ich es mir nicht anders denken, als daß die ganze Darstellung nach ihrem Hauptgegenstande bestimmt wird, daß also Farbengebung und Helldunkel durch innige Beziehungen mit der Handlung, dem Charakter der Zeichnung und dem Ausdrucke zusammenhängt. Und vielleicht war nie ein Künstler harmonischer als Correggio.
Reinhold. Sie glauben also, was er nur durch die mühsamste Behandlung erreichte, indem er die Kupfertafel immer von Neuem überdeckte, und dann die Unebenheiten wieder abschliff, daß die Farben so kunstlos hingegoßen scheinen, wie die Magdalena selbst: dies habe Correggio als Mittel des wahrsten Ausdrucks gesucht?
95 Louise. Der Absicht war er sich vielleicht nicht bewußt. Ich finde aber auch in seinen andern Gemählden eben diese innre Uebereinstimmung. Der sogenannte heilige Georg, wo um die Madonna auf dem Thron, die ziemlich leichtfertig drein blickt, Petrus der Märtyrer, Johannes der Täufer, der heilige Geminianus, Sankt Georg und Kinder versammelt sind, die mit seinen Waffen spielen, ist ein wahres Konzert der Freundlichkeit, und wird von eben so schmeichelnden Harmonien des Helldunkels begleitet. Durch seinen Zauber ründen sich die Körper, treten vor und zurück, ohne die Hülfe tiefer Schatten und hebender Hintergründe. Ein freundliches Licht durchspielt frey und ungehindert die Räume zwischen ihnen, bis ganz nach hinten. In dem Bilde, welches als Gelübde für die Errettung von einer Pest aufgestellt seyn soll, wo der heilige Rochus krank und ermattet schläft, und der schöne Jüngling Sebastian von dem Baume, wo er angebunden ist, um von Pfeilen durchbohrt zu werden, zur Madonna hinauf fleht, taucht sich die brennende Glorie um sie her, und mit ihr die herabschwebenden Engel in schwärzere Wolken und dichter geworfne Schatten hinunter. Eben so scheint mir in seiner Nacht das Licht ganz einzig gemacht, um die Armuth und Einfalt der umgebenden Gegenstände wunderbar zu erleuchten.
Waller. Seine Magdalena ist gewiß nicht bloß ein Wunder der Mahlerey, sondern auch von Seiten des zarten und innigen Ausdrucks die schönste und die wahre Grazie der Reue. Warum sagten Sie nicht ein Wort von der des Mengs?
96 Louise. Von diesem unbedeutenden Jugendwerke? Lassen wir die auf ihrem Sopha sitzen und ihre ewig lange Rolle durchlesen, oder wenigstens mit zierlichen Fingern halten. Sie ist eben so wenig hingerissen, aber nicht so naiv als ein Italiänisches Mädchen, von dem man mir erzählt hat, die in einer geistlichen Komödie, welche geringe Leute unter sich aufführten, die Rolle der Magdalena spielte. Sie kommt gerührt aus der Predigt des Heilandes, legt ihren Schmuck ab, nimmt ihren Spiegel zur Hand, und stößt tausend Verwünschungen gegen ihn aus. Als diese zu Ende sind, legt sie ihn wieder sorgfältig auf einen Stuhl. Es entsteht ein allgemeines Gelächter, sie läßt sich nicht aus der Fassung bringen und sagt gegen das Parterre: „Ich weiß wohl, meine Herren, daß es in der Geschichte anders ist; sie muß den Spiegel an die Erde werfen, aber wir haben ihn von der Marchesa da drüben in dem großen Hause geliehen, ich durfte ihn also nicht zerbrechen.“
Waller. Ich erwähnte die Magdalena von Mengs wirklich nur zum Scherze, und ihrer vielen blonden Haare wegen. Weswegen müssen nur alle Magdalenen blond seyn? Ist es wahr, was ein englischer Dichter sagt:
Bereuen ist die Tugend schwacher Seelen,
so ist das ja recht schmählig für die Blondinen.
Louise. Eine schöne unchristliche Sentenz! Als ob nicht Fallen und Vergebung erlangen der ganze Sinn des liebevollsten Glaubens wäre, der je der menschlichen
Schwäche entgegen kam. Magdalena 97 muß daher unter den Heiligen einen sehr hohen Rang einnehmen: sie ist die Bajadere der christlichen Sage. Doch genug von
ihr! Man verfällt so leicht in einen frivolen Ton, wenn man von diesen fair penitents spricht. Hier ist etwas für den Ernst und das Nachdenken.
„Hat es jemals ein Portrat auf die ewige Dauer gegeben, so ist es dieß eines Herzogs von Mailand, von Leonardo da Vinci. Ein alter und herrlicher Herzog. Er steht in seiner vollen Breite da, ohne Wendung und Künsteley. Das Bildniß geht bis unter die Hände. Der Grund ist ein dunkelgrüner Vorhang, die Kleidung schwarz mit Stickereyen in eben der Farbe, um den Hals und vorn herunter mit Pelz besetzt, auf der Weste und längs den Aermeln goldne Knöpfe. An einer goldnen Kette hängt unter der Brust ein Medaillon. Die Aermel weit, vom Ellbogen an aufgeschlitzt, wodurch das weiße Hemde bauschig zum Vorschein kömmt. Auf dem Kopf hat er ein schwarzes flaches Hütchen oder Barett, mit Edelsteinen geschmückt. Von den Haaren ist nichts zu sehn, außer wo sie sich am Ohr in den Bart verlieren. Dieser spielt in sonderbar regelmäßigen Streifen vom Hellbraunen, fast Röthlichen ins Weiße. Ueber der Lippe ist er braun. Da durch den Hut ein wenig von der Stirn abgenommen wird, macht sich das Gesicht mit dem Bart wie ein länglichtes Viereck, das unbeweglich auf den stattlichen Schultern ruht. So unbeweglich muß man auch dieses Gesicht und das ganze Werk anschauen. Es ist die Frage, ob der 98 Kopf je in der Jugend schön zu nennen gewesen wäre, allein die Jahre, die würdig behaupteten Würden, und lange Erfahrungen haben ihm eine schöne Bedeutung gegeben. Der Hauptausdruck ist Klugheit und bewährte Kraft. Die Augen sind von scharfem Blick und Schnitt, nicht groß, die Augenlieder haben sich über die äußern Winkel hingedrückt. Die feinen Falten um das Auge, zwischen den flach gewölbten Augenbrauen und auf der Stirn, wie kommen sie in ihrer weltklugen Schrift mit dem fein gezeichneten Munde überein! Die Unterlippe tritt etwas stärker wie die obere hervor, und ist voll schlauer Bedächtigkeit. Mit einem unmerklichen Uebergange fängt der Bart an, und versteckt keinen Zug; er verschönert nur die von der Zeit durchgearbeiteten bräunlichen Wangen. Alles Einzelne ist so treu, und der Charakter steht doch im Großen da. So bedeutend wie der Mund geschlossen ist, sind es auch die Hände, und die schickliche Biegung und Festigkeit der Arme zeichnet sich durch den weitläuftigen Aermel nachdrücklich aus, wie überall der starke Körperbau, der von keinem überflüssigen Fleisch beschwert ist. Er faßt mit der linken Hand, die der lederne Handschuh bedeckt, den prächtigen Dolch, den er im Gürtel trägt, und drückt ihn ein wenig hinunter. Dieß ist eine zarte, vornehme, und doch alte väterliche Hand, die man um ihrer selbst und der trefflichen Mahlerey willen küssen möchte. Denn alles ist mit unermüdlichem Pinsel ausgeführt, keinem solchen, der nach den Kleinigkeiten der Oberfläche hascht; dem des Leonardo sieht 99 man es an, daß er rastlos nach der Wahrheit gräbt, und sie von innen heraus an das Licht bringt, so daß sein tiefsinniger Fleiß das Gemüth mit Ehrfurcht erfüllt.
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Es befindet sich noch eine Herodias hier, welche ihm zugeschrieben wird. Verglichen mit dem Bildnisse des Herzogs ist sie vielleicht nicht für eine Arbeit desselben
Meisters zu halten. Die Mahlerey ist weniger ausführlich und doch kälter; auch in der Zeichnung fehlt es, und besonders sind die Hände gegen jene des Herzogs wie von Holz
anzusehn. Dennoch bleibt sie eine merkwürdige Schöpfung, und wie sie mir erscheint, mischt sich darin auf eine sonderbare Weise das Beschränkte des Portraits mit einer
originellen Idee. Sie hat die ruhige Stellung, die dem bloßen Bildniß gegeben zu werden pflegt und eine prachtvolle Kleidung aus Leonardo’s Zeiten. Mit beyden Händen
hält sie die Schüssel mit dem Haupte des Johannes in den Schatten zum Rande des Bildes hinunter. Ihr Kopf ist ein wenig zur Rechten nach dem Lichte gewendet, und zur nämlichen
Seite hinab gesenkt, so daß sich nur der Schatten, der von der linken Schläfe ab die Wange umgiebt, stärker auszeichnet, und die stille Verachtung im Antlitz dadurch
unterstützt wird. Ein odaler hoher Kopf und streng regelmäßige Züge, gewölbte Augenbrauen und volle Augen, eine gerade Nase mit breitem Rücken, ein unergründlicher schön
gezeichneter Mund, dessen Lippen es nicht der Mühe werth achten, sich zu öffnen. Der Blick geht 100 links nach der Seite hin, von der sie sich abwendet.
Die Winkel des Mundes senken sich unmerklich hinab. Das Kinn scheint von großer Festigkeit, und zugleich, wie alle übrige Umrisse und Rundungen, auch die Breite des Halses,
in voller Reife, jedoch ohne schmeichelnde Ausbildung. Wie an einer Bildsäule zeigt sich in den reinen Hauptzügen der Charakter; eine fast grausame Gefühllosigkeit, von
Schwermuth gemildert. Dazu kommt der schwere Stoff der Kleidung, die sie so einhüllt, daß nur der Hals bis auf die Hälfte der Brust sichtbar ist, und sich keine weiche Form
abzeichnet, die auch mit den unerbittlichen Zügen in Widerspruch stehen würde. Der Farbenton ist dunkel, selbst am rothen Vorhang des Hintergrundes. Das Grün der Kleidung mit den halben rothen Aermeln sticht wenig hervor. Das Haar scheitelt sich, und hängt in einzelnen künstlich gekräuselten Ringen am Hals und den Schultern hinab. Eine Schnur mit einem Schlößchen von Rubin geht gerade um den Kopf, und durchschneidet oben die Stirn. Die Wangen sind ohne Farbe, es sei, daß sie verflogen ist, oder ursprünglich durch diesen Marmor kein Blut geschimmert hat. Fast ist die Behandlung des Fleisches lebendiger in dem leblosen sehr schönen Haupte des Johannes, über welches Tod und tiefe Schatten ausgegossen sind, ohne weiter blutige Merkmale.
So ernst wie die Herodias hier abgebildet steht, ist sie nicht die leichtherzige Tochter, die vor dem Vater tanzte, sie ist die Mutter selbst, die der heilige Seher durch seine Erinnerungen gegen ihre Verbin101dung mit dem Bruder ihres Mannes beleidigt hat; kein Weib von kleinen rachsüchtigen Leidenschaften zwar, sondern eine Königin, die traurend und verachtend das nothwendige Opfer empfangen hat.[“]
Waller. Fur eine Kopie ist dieß Gemählde wenigstens nicht zu halten, wenn es auch nur von einem Schüler des Leonardo herrühren sollte. In einer andern Herodias im
Palast Barberini, hat er ganz die leichtsinnigste Gefühllosigkeit abgebildet. Vielleicht ist diese hier dieselbe, welche nach der Angabe seines Biographen Dufresne der Kardinal
Richelieu besaß. Ich bin mit Ihnen über den ungewöhnlichen Sinn einverstanden, in welchem sie dargestellt ist. Den Charakter des Mannes, welchen das Bildniß vorstellt, haben
Sie vermuthlich zu günstig gefaßt. Ist es ein Herzog von Mailand, wie die Angaben lauten *), so kann Leonar-
*) In den gangbaren Verzeichnissen nämlich. In dem Recueil d'Estampes des principaux
tableaux de la Galerie de Dresde wird gesagt: in dem Inventarium der Gallerie von Modena habe sich über die Person weiter keine Nachricht gefunden, es werde bloß als das
Bildniß eines alten Mannes angegeben; nach einer leichten Aehnlichkeit hätten einige Franz den ersten darin zu erkennen geglaubt, eine Meynung, der schon die Chronologie
widerspreche, weil Leonardo den König nur jung gekannt; da das Gemählde aus seiner besten Zeit sey, wo er in Mailand gearbeitet habe, so möchte es Francesco Sforza, oder ein
andrer Fürst aus seinem Hause seyn. Doch wird dieß für eine bloße Vermuthung ausgegeben. Francesko Sforza, der erste Herzog aus dieser Familie, starb schon im Jahr 1466, wo
Leonardo noch ein ganz junger Mann war; und in so fern widerspricht also die Geschichte. Der
102do keinen andern in dem Alter gemalt haben, als den Ludovico Maria Sforza, mit dem Beynamen il moro. Dieser berief ihn nach
Mailand, wo er lange für ihn arbeitete. Es wird keiner früheren Reise dahin erwähnt; und die Söhne des Ludovico Maria, die Leonardo, dem Vasari zufolge, zugleich mit ihm und
ihrer Mutter Beatrix in einem Familiengemählde abbildete, waren damals viel zu jung. Jener war ein ehrgeiziger, staatskluger Usurpator, der seinen Neffen und Mündel, den
jungen Johann Galeazzo, von der Regierung verdrängt, und wie man ihm allgemein Schuld gab, vergiftet hatte. Er spielte eine bedeutende Rolle in den damaligen Händeln großer
Mächte, und brachte durch seine verfängliche Politik vielerley Unglück über Italien, bis sie ihn endlich selbst verstrickte, so daß er Mailand an Ludwig den zwölften verlor,
und in Französische Gefangenschaft gerieth.
Louise. Er mußte doch also nach Ihrer Beschreibung ein Mann von nicht gemeinen Eigenschaften sein. Auch hat die ungerechte Herrschsucht in der Wirklichkeit kein
so furchtbares Gesicht wie die Tyrannen in
Sohn des Ludovico Maria, Francesco, wuchs in Leonardo’s letzten Lebensjahren erst
heran. In der Historia delle vite de Duchi e Duchesse di Milano, con i loro veri Ritratti, compendiosamente descritte da Antonio Campo finde ich ein Porträt des
Ludovico Maria, aber viel jünger, ohne Bart und im Profil, so daß sich nicht sicher über die Abweichung oder Uebereinstimmung der Züge entscheiden läßt. Auf jeden Fall stellt
das obige Porträt nach der kostbaren Kleidung und selbst nach der Haltung zu urtheilen, einen Mann von großer Bedeutung vor.
103 schlechten Tragödien, und Leonardo durfte seinem Beschützer wohl ohne Schmeicheley den ritterlichen edlen Anstand geben, der mit
zur Politik des Zeitalters gehörte.
Waller. Uebrigens ist man beym Leonardo nicht in Gefahr, einen zu tiefen Sinn in seine Werke zu legen. Er dachte sich gewiß immer noch viel mehr als er
auszuführen im Stande war. Diese Ueberlegenheit des Urtheils über das ausübende Vermögen giebt er selbst als Kennzeichen des ächten Künstlers an.
Reinhold. Man kann sagen, daß ihn die Liebe zur Kunst in der Wissenschaft zum Entdecker gemacht hat; und daß er die Kunst so liebte, weil er in ihr das tief
Erforschte an den Tag legen konnte. Was er nicht alles schon gewußt hat, und bey dem damaligen Zustande der Naturwissenschaften!
Waller. Der alte sinnende Einsiedler mit seinem langgewachsenen Haar und Bart! Wenn ich in seiner Schrift lese, kommt er mir vor, wie der Wahrsager Tiresias, der
unter den Schatten der Unterwelt allein verständig umherwandelte.
Reinhold. In der That hat er vieles gleichsam prophezeyt, was erst viel später möglich gemacht worden ist. Er verliert sich so ganz in seinem Gegenstande, und
niemand warnt kräftiger vor einem ungültigen Einflusse der Person des Künstlers auf seine Darstellung. Sein großes Streben war, so allgemein und so ursprünglich zu seyn wie die
Natur. Bey Tage suchte er sie auf der That zu ertappen, sowohl 104 in den Geberden leidenschaftlicher Menschen, die er unbeobachtet beobachtete, als in den
unmerklichsten optischen Täuschungen und den Phänomenen der Luftperspektive; und in der Stille und Dunkelheit der Nacht gieng er mit seiner Fantasie zu Rathe.
Waller. Das wunderbare ist, daß diese, bey allen excentrischen Flügen die er ihr erlaubte, wie man an seinen Erfindungen von ungeheuren Bestien und menschlichen
Mißgestalten sieht, sich doch unter der Leitung seines grübelnden Kopfes gewöhnt hatte, gründlich und systematisch zu Werke zu gehen. So findet sich in seinem Buche eine
Anzeichnung, wie eine Schlacht gemacht werden könnte, wo er diese große Erscheinung auf eine höchst merkwürdige Art, wenn ich so sagen darf, konstruirt. Er fängt an mit dem
erregten Dampf und Staube, und der verschiedenen Behandlung beyder nach ihrer physischen Beschaffenheit; dann von der Beleuchtung durch das Feuer des Geschützes, und so steigt
er von dem Allgemeinsten bis in die Tiefen des Getümmels, zu den Geberden und Lagen einzelner Streitenden hinab. Auch hier spürt er überall der Verkettung von Ursachen und
Wirkungen nach, und nicht der kleinste Umstand, bis auf die tiefer eingedrückten Fußstapfen in dem Boden, der durch Vermischung des Staubes und Blutes schlüpfrig geworden ist,
entgeht ihm, wenn er beytragen kann, in der Darstellung die ergreifendste Gegenwart und Ueberzeugung hervorzubringen. Und man glaube nicht etwa, weil er wie eine bloß
überschauende Intelligenz zuvörderst nach den Gesetzen der Erschei105nung forscht, er würde in der Gruppirung, den Bewegungen und dem Ausdrucke der Figuren
kalt gewesen seyn. Daß er hier das Leidenschaftlichste eben so ergründete, wie in ruhigen Abbildungen das Charakteristische, zeigen seine Angaben der einzelnen furchtbaren
Vorfälle.
Reinhold. Noch mehr die Gruppe von vier Reitern, die um eine Fahne kämpfen: das einzige Stück was von seinem Carton für den großen Rathssaal zu Florenz auf die Nachwelt gekommen ist, wiewohl in einer entstellenden Abschrift. Der Gedanke, die Wirkungen des Geschützes und den Pulverdampf, welcher das Schauspiel einer Schlacht zum Theil verhüllt, zu der wilden Verworrenheit der Darstellung zu benutzen, ist viel später von Cerquozzi, dem Bourguignon, Wouwermann und andern in hohem Grade ausgebildet worden, aber auch wieder in Manier und Willkühr ausgeartet. Und dann Schlachten als Kabinetsstücke! Leonardo dachte sich gewiß die Wände eines großen Saales damit bedeckt, die Figuren in Lebensgröße. Man darf sichs kaum vorstellen, mit welcher niederwerfenden Gewalt ein solches Stück, in seiner Idee ausgeführt, wirken würde.
Waller. Hinweg von diesem Riesenbilde! Seine großartige Mikrologie ließ ihn nicht zur vollständigen Ausführung von so etwas kommen, und es ist vielleicht gut, damit man nicht in der Bewunderung eines allumfassenden Menschen ausschweife. Er hätte einer immer erneuten Jugend bedurft. Sein vieljähriges Leben war zu kurz für seine Gedanken; der Tod 106 riß ihren labyrinthischen Faden ab. Bey ihm hielt das Streben nach der Wahrheit mit dem Kunsttriebe nicht nur gleichen Schritt: beydes hatte sich gegenseitig durchdrungen und war eins geworden. Sein Forschungsgeist war durchaus romantisch, bizarr und mit Poesie tingirt; und er verfolgte hinwieder die Foderungen der Kunst mit der Strenge der Wissenschaft oder der Pflicht. In seinen Werken sowohl als in seinem Leben lesen wir den Wahlspruch:
Vogli sempre poter quel, che tu debbi.
Louise. Schön, lieber Waller! Meine Vorlesung konnte nicht besser beschlossen werden als mit Ihrer begeisterten Lobrede auf den ehrwürdigen Patriarchen.
Reinhold. Sie sind also am Ende Ihrer geschriebenen Gallerie?
Louise. Für jetzt, ja.
Reinhold. Da muß Ihre Schwester sich gegen die Schätze, die wir täglich vor Augen haben, mit wenigem genügen lassen, ungeachtet Ihres Fleißes und Ihrer Liebe.
Louise. Ich konnte gar nicht unternehmen, ihr mehr zu geben, als einige Proben des Ausgezeichnetsten.
Reinhold. Auch so bleiben große Lücken. Sie haben nichts von Paul Veronese, von Carracci, von Rubens. –
Louise. Es ist wahr, manche Dinge sind wie nicht vorhanden für mich. Vor den Bildern von Rubens gehe ich immer vorbey.
Waller. Sie rufen doch von weit genug her. Ich kann Ihnen mit ein paar Beschreibungen aushel107fen, die ich in diesen Tagen zu meiner eigenen Erinnerung aufsetzte, eben von solchen Stücken, zu denen Sie sich vielleicht nicht entschließen würden.
Louise. Desto besser, der Mannichfaltigkeit wegen. Lassen Sie doch hören.
Waller. Wenn Sie sich wollen gefallen lassen, ein wenig herabzusteigen, recht gern. Ich habe sie hier in der Schreibtafel.
„Eine Satyrn- und eine Tigerfamilie, die zusammen Weinlese halten, von Rubens. Jene besteht aus dem Vater und zwey Buben, diese aus der Tigerin und drey ganz kleinen saugenden Jungen; sie bilden eine leicht übersehbare Gruppe. Der Vater ist zu alt: über vierzig Jahre hinaus ziemt es niemanden ein Satyr zu seyn, und dieser bekommt, glaube ich, schon graue Haare. Doch ist in seinen grinsenden Mienen, in den Muskeln des braunen Körpers, und in der Bewegung der ins blaue fallenden Beine, die bis auf den gespaltenen Fuß mehr denen eines Pferdes als eines Bockes gleichen, große Kraft. Er hat ein rauhes Fell um den Rücken und über den linken Arm geworfen, wovon nur die innre glatte Seite, die sich aufschlägt, der Fleischfarbe daneben zu ähnlich ist, und dadurch eine widrige Wirkung macht. Links auf einem Felsenstücke sitzend, vor einem von Reben üppig umrankten Baume, der den größten Theil des Grundes einnimmt, drückt er mit beyden Händen abgerissene Trauben aus; die gewöhnliche Satyrngeberde, die Beine an die Schenkel in die Höhe zu ziehen, bezeichnet hier nicht die thierische Begierde: es ist die Unge108schicklichkeit eines rohen Körpers, der das zu einer Verrichtung nöthige Glied nicht allein wirken lassen kann. Die Hufe helfen auf ihre Weise mit keltern. Der eine tritt auf den Rücken der vorn liegenden Tigerin. Hinter dieser kauzt der älteste Bube, den man nur bis an die Schenkel sieht; er hält dem Vater eine Schale unter, aber sein Kopf ist noch mehr als sein Leib vorwärts gedrängt, um den herunterspritzenden Traubensaft unterwegs aufzufangen. Man sieht wohl, daß es reichlich zugeht: der Vater wehrt es ihm nicht, er scheint sich nicht einmal über die Ungezogenheit seines Söhnchens zu verwundern. Da der feiste Bursch so blond ist, und so weißes Fleisch hat, sollte er sich billig keiner so ungestümen Gierigkeit überlassen; man sieht den bräunlicheren Bruder weiter rechts hinter ihm lieber, weil er nicht so bloß thierisch seine Traube verzehrt, sondern aus den grellen Augen schalkhaft dazu lacht. Wiewohl hier nichts vom Taumel eines Bacchanals ist, wo die süße Gewalt des trunkenen Gottes selbst Leoparden bändigt, so findet man doch die nackten Knaben so sorglos neben dem furchtbaren Thiere nicht unwahrscheinlich. Jene Naturen sind wild genug, um die wildesten zu zähmen und gesellig mit ihnen zu leben. Die Tigerin liegt auf ihrer rechten Seite, den Kopf nach dem alten Satyr, den Rücken nach den jungen Faunen zu gekehrt. Der Bauch zeigt die feineren weißen Haare; die Hinterbeine sind auseinander gesperrt, damit die unförmlichen Kleinen an die Zitzen kommen können, und der Schweif darzwischen gekrümmt; das linke tritt auf, 109 am rechten sieht man die weichgefütterte Tatze, womit sie unhörbar und desto schrecklicher auf den Raub schleicht. Die Vorderpfoten sind über einander geschlagen, mit der unteren quetscht sie einen Zweig mit einigen Trauben: auch sie ist bey der schwelgerischen Ernte nicht leer ausgegangen. Der Kopf lauscht über die Vorderbeine hin mit behaglich zugedrückten Augen, worin man doch die Wuth entdeckt, die daraus hervorblitzen würde, wenn sie plötzlich gereizt aufspränge. An der ganzen Art der Ruhe verräth sich, wie wohl ihr das Säugen thut; sie liegt so bequem in ihrem weiten gleißenden Felle. Rubens regellose Zeichnung ist für diese unbestimmteren Formen wie geschaffen. Ein strengerer Umriß würde den Charakter der behendesten Geschmeidigkeit verdunkeln, der eben darin liegt, daß das Fell über die gewaltigen Muskeln nicht straff gespannt ist. Auch ließen die Streifen und Flecke des farbigen Pelzes der Willkühr seines Meisterpinsels freyen Spielraum, und er war dabey nicht in Gefahr, das Kolorit zu überladen. Vielleicht ist ihm daher nichts so gelungen, als die Darstellung der großen Raubthiere. Ueberhaupt verräth er viel Sinn und Liebhaberey für das Wilde: er bringt es auch da an, wo es nicht hingehört, oder nur als dichterische Lizenz entschuldigt werden kann. Seine prächtigen Pferde scheinen oft Löwenseelen zu haben, und es wäre nur zu wünschen, daß man eben das von seinen Göttern rühmen dürfte. Andre Male läßt er uns Schauspiele des Römischen Circus sehen; hier hat er sich gemäßigt und die Wildheit in der friedlichsten Lage leise 110 durchschimmern lassen: beydes wie aus der Natur gestohlen.
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Die obige Bemerkung finde ich gleich an dem daneben hängenden Bilde desselben Meisters bestätigt, das unter dem Namen Quos ego berühmt ist. Eine Anspielung auf die Virgilische Scene, worin diese gebietenden Worte vorkommen, verherrlicht mit mythologischem Aufwande die Seefahrt des Cardinals Ferdinand von Oesterreich von Spanien nach Italien. Aber wie hat die keusche Dichtung in diesem üppigen Boden gewuchert! Virgil würde sich schwerlich in einer solchen Nachbildung wieder erkennen, die halb eine überspannende Parodie, halb (wie Mengs sich bey einer andern Gelegenheit über Rubens ausdrückt) Uebersetzung ins Flamändische ist. Auf einem großen Muschelwagen, von Seerossen gezogen, fährt Neptun von der Linken herein. Die Kraft seiner Muskeln ist nicht durch Göttlichkeit gemäßigt, vielmehr schweift sie in Umrissen aus, die der Natur oder der Phantasie zu voreilig, nur noch alsEntwurf, entschlüpft zu seyn scheinen. In dem Kopfe ist dagegen der ohnmächtige Zorn eines ganz gemeinen Menschen – was sage ich? – eines alten Weibes. Die zerwehten greisen Haare werden auch der Sache nicht den Ausschlag geben. Man wundert sich, daß er durch das Alter nicht mehr zur Vernunft gekommen ist. Warum schreitet er nur in einer solchen Fechterstellung weit aus, und hält den Dreyzack in der Rechten, als wollte er damit so recht ins Meer hineingabeln? Lenkte er statt dessen doch seine Rosse, die verwirrt über einander 111 poltern, aber dafür auch mit den aufgerißnen Augen und Nasenlöchern, deren Odem die See erhitzen müßte, eine herrliche Theatererscheinung machen. Man weiß wirklich nicht, ob er Getümmel erregen oder besänftigen will; und sieht man auf den blasenden Triton vor ihm her, auf die wilden Rosse, die empörten Wellen rings herum, den Sturm im Gemüth des Gottes wie in seinem fliegenden Gewand und Haar, so muß man jenes glauben. Die entfliehenden Winde oben betragen sich gesitteter mit ihren in Flügelgestalt ausgestreckten Armen und Beinen, und die Schiffe in der Ferne segeln ganz ruhig, nicht etwa schräg gelehnt, und im aufspritzenden Schaume halb vergraben. Kurz, Neptun stillt einen Sturm, der noch gar nicht vorhanden war, so wie Rubens einen unnützen erregt. Das Auge kann am meisten auf drey Nereiden ausruhen, die vorn vor dem Muschelwagen die linke Ecke ausfüllen; eigentlich ausfüllen, denn sie sind nach der Erfahrung gemacht, daß wohlbeleibte Personen am besten schwimmen können. Sie umfassen sich und tauchen vorwärts unter: sie sind zu blond und phlegmatisch, um an dem Unheile Theil zu nehmen. Auch ist ihr Fleisch nicht so mit Röthe gesättigt, wie gewöhnlich bey Rubens, es fällt vielmehr ins weißliche, als wäre das Element, das sie bewohnen, eingedrungen. Ein Uebel, das der Phantasie des Mahlers ebenfalls begegnet seyn möchte.
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Eine artige und schön geputzte Prinzessin ist auf einer Spazierfahrt begriffen gewesen. Eine geflochtene 112 Kiste, im Schilf des Ufers schwimmend, hat ihre Aufmerksamkeit erregt; sie ist abgestiegen, und steht, von ihrem Gefolge umringt, unter Bäumen auf einer Erhöhung am Ufer. Das Kästchen ist schon heraufgeholt, man hat es geöffnet, und o Wunder! ein schönes gesundes Kind streckt aus dem Tuche, worin es gewickelt war, den Begleiterinnen der Prinzessin die Arme entgegen. Sie überreichen es ihr: sie steht in Ueberlegung, ob sie den Fündling in ihren Schutz an- und aufnehmen soll; während die vertrauteste von ihren Gespielinnen ihr zuredet, erwarten die andern neugierig den Ausgang. Dieß ist ungefähr die Geschichte, welche Paul Veronese aber nicht so schlicht vorträgt, sondern nach seiner Weise bizarr, modig und doch romantisch zu verzieren, und in einer üppigen Anordnung auszubreiten gewußt hat. Auf der linken Seite machen die dicht stehenden Bäume den Hintergrund aus, der näher vortritt; rechts eine hellere Ferne; eine Brücke mit großen Schwibbogen, unter welchen die längs dem Flusse hingebauten Häuser sichtbar sind. Der Fluß zieht sich schräg nach der rechten Seite hin, und fließt vermuthlich mit einer Krümmung, tiefer als das Bild sich erstreckt, vor der Szene der Handlung vorbey. Aus einer großen Entfernung läuft die Schwester des Kindes athemlos und baarfuß herzu. In der rechten Ecke werden zwey Figuren halb durch den untern Rand abgeschnitten: eine Magd, die den leeren Korb hält, und ein Trabant in alter Schweizertracht, der vom Rücken her gesehen wird, aber durch die Wendung nach der Prinzessin hinauf den Kopf im Profil zeigt. Ein zweyter 113 Trabant steht über ihnen an einem Baum und guckt nach dem Korbe hinunter. Sein rothes Wamms mit schrägen Einschnitten nach Art eines Panzers, unter welchem grüne aufgeschlagne Schöße des Rocks hervorkommen, seine wunderliche Mütze, und eine große Hellebarde geben ihm ein stattliches Ansehen, das zu seinem biedern und kräftigen Gesichte wohl steht. Mit dem Kinde sind zwey Frauen beschäftigt: eine erfahrne Alte, vielleicht die Amme der Prinzessin, faßt die Zipfel des Tuchs, worin das Kind noch liegt, und sieht fragend nach jener hin; ein junges Fräulein hält es auf den Armen, und hat sich der Prinzessin gegenüber auf ein Knie niedergelassen. Diese steht mit dem Kopfe und Körper nach vorn gewandt; die linke Hand an der Hüfte gestützt, mit der rechten auf die Schulter ihrer Freundin sich lehnend. Sie ist die Hauptfigur des Bildes, aber diese die anziehendste. Die Prinzessin ist nur vornehm, zierlich und gesittet; das Fräulein verwendet gefällig und liebreich eine sittsame Beredsamkeit für den kleinen Schützling. Zwischen jener und der Alten neigen sich ein Paar weibliche Köpfe im Schatten nach dem allerliebsten Knaben, einem Gegenstande, der für jetzt eigentlich noch über ihre Sphäre ist, mit mädchenhafter Theilnahme hin. In den Kleidungen ist elegante Pracht nnd Mannichfaltigkeit der schönen Stoffe angebracht, und die Mode mahlerisch benutzt. Das Mädchen mit dem Kinde hat weite und lange vorn anschließende Aermel von schmalgestreifter weiß und grauer Leinwand; das Obergewand von fleischfarbnem Atlas ist in bauschigen Falten zurückgesteckt, und läßt an dem knieenden 114 Beine ein Unterkleid von eben jenem Zeuge sehen. Die Prinzessin trägt ein Kleid von weißem Stoff mit goldnen Blumen oder Schnörkeln gestickt, das sie mit der linken Hand an der Hüfte hinaufzieht, und dadurch das Unterkleid von grünlichem Moor sichtbar werden läßt. Die Form des Schnürleibes ist etwas steif, und sein Ausschnitt an der Brust viereckig, was durch zwey Festons von Perlen unter demselben wenig gemildert wird. Desto vortheilhafter für die Freundin neben ihr in einem Kleide von röthlichem Taft, mit braunen weit von einander entfernten Streifen. Ihr linker Arm ist vor der Prinzessin her mit einer redenden Geberde ausgestreckt, die rechte Hand nimmt einen weißen atlasnen Rock über jenem Kleide auf, und bringt darin eine üppige Unordnung von Falten hervor. Sie erscheint von der Seite: die Biegung des Leibes vorwärts und ein breiter Kragen von weißem Atlas, der in Festons ausgeschnitten von Brust und Schultern herunterfällt, verbergen das Mißfällige der Schnürbrust; ein zarter und blühender Busen, worauf ein Medaillon ruht, hebt sich so reizend daraus hervor, daß er allen Zwang unnatürlicher Trachten vergessen macht. Keine regelmäßige Schönheit: das Profil mit etwas auswärts gebogener Nase und einem kleinen Unterkinn ist niedlich und aufgeweckt. Das blonde Haar beynahe in griechischem Geschmack eng zusammengefaßt, und seine Flechten auf dem Wirbel gedreht und befestigt. So auch bey den übrigen, nur daß die Prinzessin eine Krone trägt. Die Köpfchen werden durch den einfachen Putz um so kleiner, und dies giebt den 115 Gestalten überhaupt ein schlankeres Ansehen. Die Gesichtsfarbe der Frauen ist zart und gesund, ohne im mindesten geschminkt zu seyn; eher ist die Röthe zu sehr gespart. Der verkürzte Körper des Kindes hat die wärmste Fleischfarbe. Paul’s gewohnte Freygebigkeit in Gewändern erstreckt sich bis auf das Tuch, worin das Kind liegt: es ist mit breiten Frangen besetzt. Die kostbaren metallnen Zierraten des Phaetons, der aus dem Schatten der Bäume hervorschimmert, vermehren die Pracht; vor ihm kommen die braunen Pferdeköpfe mit weißen Bläßen zum Vorschein, der eine zwischen der Prinzessin und dem Fräulein, der zweyte dieser zur Rechten. Die Entfernung und den Plan, worauf man sich die Pferde denken muß, um sie an der Stelle in solcher Größe und Entfernung von einander zu sehn, mag der Mahler selbst rechtfertigen. Seine grillenhafte Fantasie hat sich ganz vorn linker Hand noch eine eigne Ergötzlichkeit gestattet: ein verwünschter Mohrenzwerg in einer samtnen purpurnen Pagenkleiduug thut sehr geschäftig mit zwey Jagdhunden, die er an der Koppel hält. Seine seltsame Physiognomie und Mütze zeichnet sich so grell wie möglich auf dem weißen Atlasrocke des Fräuleins. Dieß kann für einen verschlungenen Namenszug gelten, wodurch sich der Urheber des Gemähldes selbst angiebt.
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Auch Poussin hat sich eben so unverkennbar angegeben, aber auf eine ganz andre Art, als er die Aussetzung desselben Kindes darstellte, das dort gefun116den wird. Die Personen, welche den kleinen Moses dem Nil anvertrauen, nehmen näheren Antheil an seinem Schicksal, als die, welche ihn zufällig entdecken: diesen Augenblick umgiebt eine glänzende geräuschvolle Gegenwart, jenen erfüllt eine stille, aber innige Handlung. Ein höchst verletzbares Geschöpf wird von der, die es am zärtlichsten liebt, einem unsichern Element übergeben, um es menschlichen Verfolgungen zu entziehen. Diese Lage der Mutter, ihre hoffende Besorgniß, ihre zweifelnde Vorahndung, und den Muth, zu dem sie geängstigt worden ist, läßt Poussin uns in ihrer Stellung und Geberde fühlen. Doch bleibt ihr schönes Profil unentstellt von diesen Regungen. Das Auge ist aus den Säugling gerichtet, der zu ihren Füßen in die Kiste gelegt wird, der Mund unmerklich geöffnet; sie wagt nicht einmal laut zu seufzen. Die Arme nicht ganz ausgestreckt, nur von dem Ellbogen an emporgehoben, und die wenig gekrümmten Finger beyder Hände von einander entfernt: sie begleitet damit so natürlich die Bewegungen des Gegenstandes, den sie nun schon nicht mehr erreicht, damit er nirgends anstoßen soll. Vor ihr ist ein Knecht, bis auf ein rothes Tuch um die Hüften unbekleidet, damit beschäftigt, das Kind in der Kiste zu verwahren. Er kniet vortrefflich, er streckt die Hände nach der Kiste wacker aus, die Handlung seines ausgearbeiteten und edlen Körpers ist mehr als akademisch: solche Figuren sieht man auf alten Basreliefs Dienste bey Opfern verrichten. Hinter der Mutter eine weibliche Gestalt, wie die beyden eben geschilderten im Profil 117 und von ihrer rechten Seite zu sehen. Sie hält, die umgewandte Hand vor der Stirn, und schaut umher. Ihre Gewänder werden so unordentlich nach vorn und auseinander geweht, daß man zuerst nicht begreift, weswegen sie sich auf einer so windigen Anhöhe aufhält, bis man sich erinnert, daß es die Schwester des Kindes ist, welche in der Entfernung wachen muß, damit seine Aussetzung nicht bemerkt werde. Diese Entfernung schließt man aus der Verkleinerung, weniger aus den gedämpfteren Farben, denn die der vorderen Gegenstände sind schon matt und dumpf. Sie tritt daher zu nahe an die Mutter heran, und macht für eine Nebenperson zu viel Lärm. Die Zweydeutigkeit dieser Figur wird auf den ersten Anblick dadurch noch mehr vermehrt, daß ihr Haarputz und ihr kurzes unter der Brust gegürtetes Obergewand und das untere, das sich seitwärts an den Knieen öffnet, etwas von der leichtgeschürzten Diana hat, so daß man sie für eine allegorische Gottheit halten könnte, wie den alten nackten Flußgott, der, auf der vordersten Fläche liegend, beynah die ganze Breite des Bildes einnimmt. Er lehnt sich mit der Linken auf ein Felsstück, hinter welchem der Strom sich verliert; die Rechte greift an das nachläßig angezogene linke Knie, der rechte Schenkel ist ausgestreckt, und wie der Rücken in seiner ganzen Länge sichtbar. Ein Füllhorn auf dem Boden neben ihm bezeichnet den befruchtenden Nil. Er sieht der Handlung, die an seinem Ufer vorgeht, in majestätischer Ruhe zu. Seine Formen sind groß, aber für lebendiges Fleisch 118 zu hart und trocken, der Körper erscheint daher mit seiner braunrothen Farbe eher hölzern, als steinern; und doch wäre das letzte noch am ersten zu ertragen gewesen. Als Bildsäule möchte der Alte immer da liegen, als wirklicher Flußgott verdirbt er eigentlich die ganze Geschichte: das Kind wird nun nicht mehr den fühllosen Wellen, sondern einem göttlichen Pflegevater anvertraut, der schlimmer seyn müßte, als er aussieht, wenn er nicht gehörige Sorge dafür tragen wollte. Auf einem Basrelief, wo das Wasser nicht, wie auf einem Gemählde ausgedrückt werden kann, läßt man sich einen solchen Flußgott zur Bezeichnung der Szene als eine nothwendige Lizenz gefallen: hier hat Poussin dadurch vollends sein Bild zu einem gemahlten Basrelief gemacht, dem es sich schon durch die geringe Rundung der Körper und den Mangel an Degradation der Farben nähert. In diesen ist die größte Einförmigkeit: die Kleidung der Mutter ist blau und roth, die Kleidung der Tochter roth und blau, und das Fleisch scheint fast aus derselben Mischung erschaffen zu seyn, welche zu dem rothen Zeuge gedient hat. Rechts sind Gebäude ohne alle Verzierungen der griechischen Baukunst mit schlichten Mauern und Gewölben; links kömmt die Prinzessin mit ihrem Gefolge ganz von weitem herzu, am Horizont sieht man ein Paar grell erleuchtete Pyramiden: alles kleinlich und ohne Wirkung.
Daß die Sache in Egypten vorgeht, ist also hinlänglich außer Zweifel gesetzt: aber bey allem dem kann man der gerühmten Gelehrsamkeit Poussins im 119 Kostum hier nichts weiter zugestehen, als daß er es beynahe so gut wie Paul Veronese, beobachtet hat. Bey diesem ist alles modern, aber alles aus Einem Stücke; bey jenem ist alles antiquarisch, allein es paßt nicht zu einander. Mutter und Tochter sind der Kleidung nach ziemlich Griechisch, der Knecht ist ganz Griechisch, der Flußgott ist wahrlich weder Egyptisch noch Hebräisch, sondern Griechisch, und bey einer Geschichte, wo Jehovah’s unmittelbare Vorsehung eintritt, noch obendrein erzheidnisch. Das Füllhorn ist auch Griechisch. Eigentlich ist es doch ein Glück, daß der Mahler auf halbem Wege stehen blieb, und zufrieden war, wenn eine alte Geschichte antik aussah. Ein andrer, der das Studium des Kostums (auf welches die Französischen Kunstrichter, die darin mit Poussin sympathisiren, eine so lächerliche Wichtigkeit legen) noch strenger verfolgte, könnte der Tochter Pharao’s die Physiognomie einer Mumie geben. Soll aber einmal etwas fremdes sich eindrängen dürfen, so ist es wohl eben so erlaubt, eine biblische Geschichte im Venetianischen Dialekt zu erzählen, als die ganze Welt durch eine griechische Brille zu sehen. Das Einheimische und Neue ist uns näher, lebendiger, lustiger; Paul malte frisch was er sah und erlebte, Poussin schöpfte mühsam aus alten Denkmälern und Büchern. Jener hätte vielleicht seine fantastische Jovialität eingebüßt, wenn er die Kunst so ernst hätte treiben wollen; dieser konnte sich schwerlich über seine klassische Kälte erheben, wenn er sich auch geselliger ins Leben hineinwagte, und nicht mehr 120 nach fesselnden Vorbildern, sondern nach eigner Lust und Liebe darzustellen suchte. Er verstand sich besser darauf, was zur Würde des Menschen, Paul was zum Glanz und der Herrlichkeit der Mahlerey gehört. Der letzte blieb zu sehr bey der Oberfläche stehen: es war ihm weniger um den Ausdruck, als um die Gestalt, und weniger um die Gestalt, als um die Kleidung zu thun. Aber wie er auch kleidete! Er ist doch noch mehr, als ein Mahler für putzliebende Damen, die von seinen Trachten, ob sie schon drittehalb hundert Jahr alt sind, manches benutzen könnten. Wenn man den steifen Anzug von Tizians Frauen mit seinen Kleidungen vergleicht, so muß man entweder annehmen, daß die Mode, die damals noch nicht so veränderlich herrschte, in einem kurzen Zeitraume um ein beträchtliches geschmackvoller geworden war, oder daß Paul Veronese ihre Reize mit einem andern mahlerischen Geist auffaßte.“
Reinhold. Ey, ey! wie stehts mit dem Versprechen, nicht eigentlich Urtheile zu fällen? Gegen Waller waren Sie darin noch bescheiden, Louise.
Louise. Er hat sich das bey seiner kritischen Profession so angewöhnt. Indessen geht er doch in so fern nicht über seine Befugniß hinaus, daß seine Bemerkungen und sein Tadel des Rubens und des Poussin meistens das betreffen, was in den Kunstbüchern selbst der poetische Theil genannt wird.
Waller. Hier sind noch ein Paar kleinere Stücke, wo möglich ganz Beschreibung.
121 „Joseph und Potiphars Frau von Cignani. Beyde Figuren nur bis zu den Knieen: der enge Raum des achteckigen Bildes ist schicklich gewählt, um die Bedrängniß des keuschen Jünglings in einer solchen Nähe fühlbar zu machen. Potiphars Frau sitzt links auf Polstern eines Ruhbettes, ihr Oberleib unbekleidet; über den Hüften umgiebt sie lose ein bläulichtes mit goldnen Blumen gesticktes Gewand, und zieht sich um das rechte sichtbare Knie anschließender zusammen. Ihr vorgebeugter Leib nähert sich diesem; beyde Arme sind ganz ausgestreckt: der linke hinter Joseph kommt an seiner linken Schulter nur mit den Fingern, welche sie halten, zum Vorschein; der rechte greift in seinen rothen Mantel über dem dunkelblauen Gewande, der aber schon heruntergefallen nur noch über einem Arme hängt. Das Nackte an ihr ist üppig, aber nicht von schönen Formen, die Brüste zeigen sich in einer ungünstigen Lage, durch die heftigen Bewegungen der Arme zusammengedrängt. Im Taumel der Begierde vergißt sie sogar der Sorge für ihren Reiz, auf die sie sich sonst, nach dem buhlerischen Gesichte zu urtheilen, wohl versteht. Eine entschiedne kecke Brünette, keine Spur von weiblicher Scheu, die sie zurückhalten könnte; sie ist ganz auf ihren entfliehenden Raub gerichtet. Ihr schwarzes, nicht lockiges Haar ist vorn gescheitelt, und hinten zusammengebunden, eine breite goldne Schnur durchschlingt es ein paarmal. Die aufgeworfne Nase, das runde vortretende Kinn, die starken Lippen des geöffneten Mundes, alles deutet auf 122 jugendliche kühne Sinnlichkeit, und in dieser Rücksicht konnte Ioseph nicht schlimmer versucht werden. Wie schön stechen seine edlen seelenvollen Züge gegen die ihrigen ab! Er lehnt sich zurück um ihrem Arm zu entgehen; sein Gesicht ist nach seiner linken Schulter in den Schatten gewandt, in welchen auch seine braunen Locken wie von ihr wegfliegen. Die heiligen keuschen Augen sind über sich gen Himmel gekehrt, der Stern tritt unter das obere Augenlied. Der Mund öffnet sich, aber nur zu einem sanften ächzenden Ruf, und ladet um so beredter zu Liebkosungen ein, gegen die er um Hülfe fleht. Die Arme, bis zum Ellbogen bloß, hält er vor, die Hände mit den geöffneten Fingern sieht man beyde von der innern Seite über dem Kopfe der Frau. Auch das ist zart gedacht, daß er die Verführerin nicht mit körperlicher Gewalt zurückstößt. Die Hände wollen sie nicht berühren, und ihre Bewegung ist nur das bildliche Entfernen einer verabscheuten Vorstellung. So ringt eine schöne Seele, die in Gefahr kommt, ihr theuerstes zu verlieren. Ein Schlagschatten, welchen der eine Arm auf den untern Theil des zurückgebognen Gesichtes wirft, vollendet den rührenden Ausdruck, und überredet uns, daß bloße Wirkungen und Spiele des Lichtes Gedanken eines theilnehmenden Wesens sind, welches die Gegenstände umschwebt.
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Ein jugendlich männlicher Kopf voll Ruhe und Würde: das Haar vom schönsten Braun, oben geschei123telt, aber nicht gleich von ebner Länge, tritt hier und da unregelmäßig in die ebene, wenig gewölbte Stirn herein, und fließt an beyden Seiten des länglichten, doch geräumigen Gesichtes auf die Schultern herab; große braune Augen von offnem, festem, lichtem Blick, über die sich die vom aufgeschlagnen Augenliede gebildete Linie in ungewöhnlicher Entfernung schön gebogen herumzieht; über ihnen Schatten durch die Vertiefung unter den Augenbrauen; diese nicht stark, welches die Majestät vermindert, aber auch nicht schlicht anliegend, sondern von etwas strebendem und ungleichem Haar, und also auch nicht von einem leidenden Charakter; die Nase mit einer kleinen Einbiegung an die Stirn gefügt, der Nasenrücken breit, doch rundet er sich an beyden Seiten; der Zwischenraum von da bis zur Oberlippe klein und nicht sehr nach innen ausgeschweift; die Lippen voll, der Mund in einer ziemlich ebnen Linie geschlossen, die beschattete Vertiefung über dem Kinn sehr kräftig, der Bart mit hellerem und krauserem Haar angeflogen; alle Züge groß und in ihrer Großheit still und geordnet; ein hoher einfältiger Beruf, keine schwermüthige Vorahndung von Leiden, sondern die weiseste, heiterste, überschauendste Fassung; viel von einem Sohne Jupiters, und doch auch etwas von einem Juden: das ist der Christuskopf des Hannibal Carracci.“
Louise. Der Schluß ihrer Beschreibung blieb mir kein Räthsel, ich erkannte darnach das Bild viel früher. Das ist wirklich der Christus des Hannibal 124 Carracci, aber ich kann nicht sagen: es ist ganz der meinige.
Waller. Und warum nicht?
Louise. Es ist der schönste, den ich jemals gesehn habe, aber doch fehlt ihm der Brennpunkt, wo die höchste Kraft und Duldsamkeit zusammentreffen; und bis ich den finde, werde ich vielleicht die Darstellung dieses Ideals für unmöglich halten.
Waller. Sie sind der Meynung Forsters?
Louise. Aus weniger subtilen Gründen vielleicht. Die Aufgabe ist aber wirklich subtil, der mancherley Lokalbedingungen wegen, unter denen der Gott Mensch war,
oder unter denen wir ihn so denken. Die Ruhe in Carracci’s Kopf ist herrlich, aber doch mit zu viel Weichheit verbunden. Er hat mehr von dem Jünger als von dem Meister.
Ein hoher einfältiger Beruf liegt in ihm, wie Sie mit Recht sagen, aber es ist der: die weise Lehre zu fassen und wiederum auszustreuen, und an der Brust des Meisters zu ruhn.
– Doch wir wollen diesen unendlichen Streit nicht weiter führen. Geben Sie mir Ihre Papiere; ich nehme alles mit, und kann nun um so eher Feyerabend machen.
Waller. Und von dem Raphael wollen Sie schweigen, vor dem ich Sie doch Stunden lang stehen sah?
Louise. Eben deswegen, Lieber, denn der Mund fließt bey mir nicht allemal von dem über, deß das Herz voll ist. Ich habe mir nicht getraut, etwas darüber aufzuschreiben, und doch ist mir nicht bange darum, daß ich nicht einen treffenden Abdruck davon mit 125 mir hinwegnehmen sollte. Aber wie soll man der Sprache mächtig werden, um das Höchste des Ausdruckes wiederzugeben? Das wirkt so unmittelbar und geht gleich vom Auge in die Seele, man kommt nicht auf Worte dabey, man hat keine nöthig, um zu erkennen was in unzweifelhafter Klarheit dasteht und gar nicht anders als es ist, genommen werden kann.
Reinhold. Endlich wird doch einmal die Unzulänglichkeit der Sprache eingestanden.
Waller. Wirkt nicht hier ein wenig die Scheu vor dem heiligen Namen bey Ihnen, daß Sie einige Umstände machen, und sich nicht so getrost mittheilen, wie ein Mensch doch über alles thun darf, wovon er verdient, daß es ihm lieb ist?
Louise. Es kann seyn, und ich habe schon gewünscht, überall nicht zu wissen, dieses Bild sey von Raphael, obwohl ich es doch bald hätte errathen müssen. In der Reihe der andern Gemählde habe ich es niemals gesehn, weil es immer unten für die Schüler auf der Staffeley stand: aber wie es sich schon durch die einfache Zusammensetzung der drey großen Figuren unterscheiden müßte für den ersten Blick! In beyden Sälen ist nichts ähnliches und unter dem Vortrefflichen nichts verständlicheres, selbst für das ganz unkünstlerische Gemüth. Vieles will doch mit einem geübten Sinne gefaßt seyn, der sich in den Sinn des Mahlers oder der Mahlerey überhaupt zu versetzen weiß; aber hier trifft eben das erste und letzte zusammen.
126 Reinhold. Das gebe ich Ihnen, wo nicht für Raphael, doch für dieses Bild von ihm zu.
Louise. Liegt es nicht darin: daß die Gestalten so einzeln dastehen, jede für sich geltend? Das Auge ruht dazwischen aus, und hat nichts zu sondern, nichts konvenzionelles sich klar zu machen. Und doch sind sie innig verbunden, selbst für den ersten augenblicklichen Eindruck: denn sagt, wer würde sich nicht gern neben diesen Knieenden vor der hohen Jungfrau niederwerfen?
Reinhold. Fahren Sie nur fort, Louise; in der Andacht vereinigen wir uns gern mit Ihnen, es kann sie doch ein jeder nach seiner Weise haben.
Louise. Eine Göttin kann ich die Maria nicht nennen. Das Kind, was sie trägt, ist ein Gott: denn so hat noch niemals ein Kind ausgesehn. Sie hingegen ist nur das Höchste von menschlicher Bildung, und nimmt ihre Verklärung daher, daß sie den Sohn so still, so ohne sichtbare Regung von Entzücken oder Selbstgefühl auf ihren Armen hält, ohne Stolz und ohne Demuth. Es ist auch nichts ätherisches an ihr, alles gediegne feste Theile. Sie wandelt nicht unter uns, doch tritt sie schreitend auf die Wolken, und schwebt nicht in der Glorie, in die sich ihre große Gestalt hinzeichnet. Der Kopf ganz grade aus, und so die Blicke. Das Oval des Gesichtes ist oben ziemlich breit, die braunen Augen weit aus einander, die Stirn klein, das Haar schlicht gescheitelt – aber nein, ich kann das nicht einzeln und physiognomisch deuten.
127 Waller. Sie sollen auch nicht, sagen Sie, was Ihnen einfällt.
Louise. Das scheint mir vortrefflich, daß man sie oben nicht ganz im Freyen sieht: der Schleyer, der über ihren Kopf geht, und einen Bogen zu ihrer Linken macht, wo er an der Hüfte aufgenommen ist, dient ihr gleichsam zur Blende.
Reinhold. Der äußere Umriß wird dadurch an dieser Seite sehr einfach; an der andern tritt zwar der Kopf der Jungfrau und daneben des Kindes unmittelbar aus dem weißen Grund hervor, weiter hinunter aber geht das Gewand längs der ganzen Gestalt mit einem einzigen Schwunge bis auf die Knöchel der Füße.
Louise. Der umgebende Schleyer stimmt auch mit der Bescheidenheit der Jungfrau überein. Die Kleidung verbirgt alles an ihr außer das Haupt, den Hals, die Hände und Füße; aber sie läßt sich von dem herrlichen Körper nicht trennen, der, obgleich bedeckt, sichtbar bleibt, besonders von den Schultern bis zur Mitte des Leibes, wo das rothe Kleid fest anschließt. Dann fängt der blaue Rock oder Mantel unter dem bräunlichen Schleyer an bis, wo er sich an den Füßen aus einander schlägt und eine fliegende Falte nach der linken Seite wirft, das rothe Gewand wieder zum Vorschein kommt.
Waller. Ich zeichne Ihnen in Gedanken nach, aber wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde es mir doch schwer werden.
128 Louise. Lassen Sie nur! Genug, wenn es Sie erinnert. Ich finde es oft erst in der Erinnerung, was denn eigentlich die Wirkung hervorbringt. Sehen Sie, selbst daß die bloßen Füße auf die Wolken treten, und kein Gewand sie versteckt, ist nicht umsonst: man sieht die Gestalt bestimmter und sie erscheint menschlicher.
Waller. Nach meiner Ansicht auch majestätischer.
Louise. Ja, eben weil es eine so reine Erscheinung ist, die nicht Menschen mit dem, was nach ihrer Meinung Ehrfurcht auferlegt, ausgeschmückt haben, sondern die in ihrer eigenen Natur dasteht. Denken Sie nun, wie groß sie das Kind auf dem Schleyer trägt, so daß es oberhalb frey bleibt und nur die Enden unter ihm zusammen genommen sind. Sie faßt mit der Rechten unter seinen rechten Arm, die Linke unterstützt das rechte Bein, das über das andre hinüber geschlagen ist und an welches die Linke des Kindes greift, nicht spielend wie Kinder thun, sondern in der Ruhe, welche vollbracht hat. Es sitzt nach vorn gewendet und scheint nichts zu wollen, aber was es einst wird wollen können, ist unermeßlich, oder vielmehr was es gewollt hat: denn alles ist bereits geschehn, und es zeigt sich nur auf dem Arm der Mutter der Erde wieder, wie es sie zuerst betrat. Die Formen sind die eines Kindes, der Kopf von breiter Rundung, die Glieder stark und voll, nicht von zarter Gattung, aber Auge und Mund beherrschen die Welt. Der Mund ist besonders ernst, sehr geschweift, beyde Enden der Lippen ziehen sich herunter. Dieser fremde Zug an einem Kinde giebt 129 ihm den unbegreiflich hohen Ausdruck, glaube ich. So auch das kurze Haar, das emporstrebend den Kopf umgiebt. Die Augen scheinen zwey unbewegliche Sterne; sie liegen tief, die Stirn ist voll Nachdenken. Und doch kann man nicht sagen, dieser Knabe ist schon ein Mann. Es ist keine Ueberreife, aber Uebermenschlichkeit. Denn so weit sich das Göttliche in kindischer Hülle offenbaren kann, ist es hier geschehn, und ich kann mir den Mann zu diesem Kinde nicht einmal denken.
Waller. Ist das auch einer von Ihren Gründen, warum Sie einen Christuskopf für unmöglich halten?
Louise. Ja ich gestehe Ihnen, ich sehe den Erlöser der Welt am liebsten als Kind. Das Geheimniß der Vermischung beyder Naturen scheint mir in dem wunderbaren Geheimniß der Kindheit überhaupt am besten gelöset, die so gränzenlos in ihrem Wesen wie begränzt ist.
Waller. Fast möchte ich Ihrer Meynung werden.
Louise. Nun nehmt einmal die Mutter und das Kind zusammen. Welch ein erhabnes Daseyn, und ganz allein durch das bloße Daseyn, ohne Prunk und Nebenwerk! Man möchte sagen, auch ohne Beleuchtung: ein geschloßnes Helldunkel ist wenigstens nicht da, keine Magie der Erscheinung.
Reinhold. Es ist aber doch in den kräftigsten Farben, und ganz in Raphaels herrlichster Weise gemahlt.
Louise. Dagegen ging meine Bemerkung eigentlich nicht. Müßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit 130 bestehen können? Wirklich ist dieses so, daß ich es nicht anders wünschen mag. Ich liebe das bräunliche desselben und den Rost der Zeit. –
Reinhold. Oder den Weihrauchdampf der Mönche zu Piacenza.
Louise. Seys was es wolle, ich lasse mir selbst die violetten Tinten an dem Kinde gefallen, und möchte an der Jungfrau nichts zarter haben als es ist. Denn worin bey ihr die wahre Zartheit liegt, das ist die Reinheit und Keuschheit ihrer Züge und ihrer Haltung des Körpers; die blühende Jugend, die gleichsam nur dadurch gereift scheint, daß sie für ewig festgehalten wurde, und dieses dringt eben in der ganz irdischen Hülle noch näher an das Herz.
Reinhold. Sie wollen einmal nichts anders haben, als es Raphael gemacht hat, selbst wenn es noch vollkommner seyn könnte.
Louise. Ist es nicht genug, wenn etwas so vollkommen ist, daß man es bis zu diesem Grade lieben muß? Wenigstens können Sie mir diese Schwachheit gestatten. Aber stören Sie mich nicht. Ich wollte sagen, daß eine solche Gegenwart doch gar nichts als sich selber bedarf, daß die bloße Gestalt hinreicht, um die ganze Seele zu erfüllen. Die mütterliche Liebe ist nicht einmal ausgedrückt, um uns zu gewinnen. Maria hält das Kind nicht liebkosend, das Kind weiß nichts von seiner Mutter. Die Mutter ist da um es zu tragen, Gott hat es ihr in die Arme gegeben, in diesem heiligen Dienste erscheint sie vor der anbetenden Welt, so groß wie sie ihn im Himmel verwaltet, von 131 wannen sie wieder herabgekommen ist. Sie ist ohne Leidenschaft, und ihr klares Auge heißt auch die Leidenschaft schweigen. Wie ich hinaufgestiegen bin, um ihr nahe ins Anlitz zu schauen, kann ich nicht läugnen, es ist ein sanfter Schauer über mich gekommen, und meine Augen sind naß geworden.
Waller. Sie sind in Gefahr katholisch zu werden.
Louise. Wie dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabey, wenn Raphael der Priester ist. Sagen Sie, Reinhold, ist nicht das ganze Bild wie ein Tempel gebaut? Die beyden Figuren, welche rechts und links knieen, machen mit dem Schwunge der mittleren eine recht architektonische Symmetrie.
Reinhold. Sie nehmen sich wirklich in einiger Entfernung wie zwey Dreyecke aus, die ein schmales Oval zwischen sich tragen. Sie sind vor der Jungfrau einander so nahe gegenüber, daß ihr Gewand sie eben zu berühren scheint. Die Köpfe stehen ungefähr der Mitte der Hauptgestalt gleich. Die drey Figuren zusammen bilden wieder ein größeres Dreyeck, welchem oben ein von beyden Seiten schräg weggezogener grüner Vorhang parallel läuft. Alle diese Verhältnisse werden durch die hart gegen einander abgeschnittnen Farben noch auffallender gemacht. Am härtesten steht das dunkelblaue Gewand der Madonna auf dem ganz weißen Grunde, der nur gegen seine äußere Gränze zu, wo die Engelsköpfe der Glorie kaum sichtbar angedeutet sind, bläulicht wird; der schwere goldgewirkte Mantel des heiligen Sixtus und der graue Rock der Barbara, mit ihrer übrigen ziemlich bunten Tracht, 132 zeichnen sich doch weniger stark aus. Die beyden Heiligen sinken tiefer in die Wolken, und heben dadurch die Jungfrau; auch der Schatten unter ihren Füßen trägt zu ihrer hohen Leichtigkeit bey.
Louise. Wissen Sie, wie mir überhaupt die zwey knieenden Figuren vorkommen? Wie die männliche und weibliche Andacht, und wieder wie die ältere und die jugendliche. Der gute alte Mann zur Rechten der Jungfrau hebt sein Haupt voll Zutrauen zu ihr in die Höhe, während er seine Linke betheuernd auf die Brust legt, und die Rechte zum Bilde herausstreckt, wie um auf etwas zu deuten.
Reinhold. Und diese Hände sind vortrefflich gezeichnet.
Louise. Die junge Heilige, die so innig und anmuthig die Hände aus der Brust zusammenfaltet, wendet ihr Gesicht mit gesenktem Blick von der Madonna weg, nach ihrer vorderen Schulter herum. Sie ist zu schüchtern, um hinaufzuschauen, zu demüthig und auch mehr mit sich selbst beschäftigt. Der Alte ist kühner als Mann und als Greis: wohin sein Sinn steht, dahin blickt sein Auge; auch scheint er für andre und nicht für sich selbst zu bitten. Das Mädchen flieht in ihr Innres zurück und betet um das eigne Seelenheil. Sie hat ein sehr liebliches Köpfchen, recht dazu gemacht, fromme Wünsche und liebende Ergebenheit auszudrücken.
Reinhold. Doch ist sie nicht das Vorzüglichste auf dem Bilde.
Louise. Eins muß ja wohl zurückstehn, obwohl 133 ich es nicht gewahr werde und nicht wissen will. Lieber lassen Sie mich von den himmlischen Kindern sprechen, die halb über den unteren Rand des Bildes hervorragen. Seht, das ist nun die kindliche und die englische Andacht. Sie beten nicht, weil Kinder und Engel um nichts zu bitten haben: sie betrachten nur in ihrem wonnevollen unschuldigen Sinn. Der älteste wieder anders, als der jüngere. Er schaut über sich zu der Jungfrau und ihrem Sohne, den einen Finger über den Mund gelegt; ein Strahl von oben fällt in sein süßes trunknes Auge, man sieht ihn darin funkeln, er empfindet die Herrlichkeit schon, welche der Kleine kindlich anstaunet, der mit seinen runden Wangen auf beyden Aermchen aufliegt.
Waller. Ja, Liebe, es giebt viele Engel, geistiger noch und geistlicher, und, wenn Sie wollen, weit mehr Engel sind: aber so irdisch und himmlisch zugleich sind
mir noch keine vorgekommen.
Louise. Es ist wahr, sie sind Kinder der Erde in bunten Flügelchen. Sie haben einen eigentlichen Charakter, worüber die Söhne des Himmels hinweg sind. Der Größere ist
sanfter und männlicher, die Locken liegen ihm auch weicher und ordentlicher an; dem Kleinen sträubt sich das Haar so trotzig um das volle Gesichtchen. Man kann sie nicht ohne
Verlangen ansehen, aber dann leitet der älteste mit seinem sinnigen Blick den meinigen doch wieder in die Höhe; heitrer nur, denn alles, was Kind ist, erheitert doch die
Seele.
Waller. Und so wäre der Kreislauf Ihrer Be134trachtungen vollbracht, und wenn ich Sie nicht mit einem Vorschlage unterbreche, fangen Sie ihn von neuem an. Sie sind unvermerkt in einen solchen Strom der Schilderung hineingerathen, daß sie nichts weiter zu thun haben, als das Gesagte zu Hause niederzuschreiben, damit ihre Schwester den Raphael nicht vermisse.
Louise. Wenn es mir nur unter der Feder nicht wieder erkaltet.
Waller. Ich habe für mein Theil darauf gesonnen, ihm auf eine andere Weise beyzukommen.
Louise. So? Da ist gewiß etwas von Poesie dabey: mir däucht, Sie spielten vorhin darauf an.
Waller. Das Verhältniß der bildenden Künste zur Poesie hat mich oft beschäftigt. Sie entlehnen Ideen von ihr, um sich über die nähere Wirklichkeit wegzuschwingen, und legen dagegen der umherschweifenden Einbildungskraft bestimmte Erscheinungen unter. Ohne gegenseitigen Einfluß würden sie alltäglich und knechtisch, und die Poesie zu einem unkörperlichen Fantom werden.
Louise. Was sie bey manchen Dichtern und manchen Lesern schon allzusehr ist.
Waller. Gut, sie soll immer Führerin der bildenden Künste seyn, die ihr wieder als Dollmetscherinnen dienen müssen. Nun sind uns aber die Gegenstände, welche der modernen Mahlerey in ihrem großen Zeitalter und auch nachher angewiesen wurden, so fremd geworden, daß sie selbst der Poesie zu ihrer Dollmetscherin bedarf.
Louise. Allerdings haben die Protestanten im 135 allgemeinen für den katholischen Glauben einen etwas prosaischen Gesichtspunkt.
Waller. Der Katholik hat ihn auch, wenn er seine Religion nicht liberal und menschlich behandelt. Wir müssen uns erst bewußt seyn, daß wir etwas selbst in uns erschaffen, ehe wir uns erlauben, es durch ein dichterisches Spiel zu veredeln. Ein schöner Gottesdienst kann nie Aberglaube seyn: aber die priesterliche Zaubermacht wird dadurch am stärksten bewährt, daß sie den Menschen das Häßliche, Lächerliche, Armselige in Heiliges verwandelt.
Louise. Es wäre also schon Liberalität von den Päbsten und andern Geistlichen gewesen, wenn sie die Talente großer Künstler zum Dienste der Religion aufboten?
Waller. Unstreitig; sie war aber durch den allgemeinen religiösen Luxus viel früher vorbereitet. Auf jeden Fall verdanken wir ihr einige von den eigenthümlichsten Schöpfungen der modernen Kunst. Ich habe es oft beklagen hören, daß die großen Mahler immerfort Madonnen, heilige Familien, Apostel, Heilige, Himmelfahrten und so weiter gemalt. Nach meinem Bedünken ist es vielmehr ein unschätzbarer Vortheil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstände schon bekannt und von lange her mahlerisch organisirt sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um so ungetheilter auf die Behandlung richten kann.
Reinhold. Indessen sehen wir, daß die heutigen Künstler Himmel und Erde bewegen, um aus dieser Beschränkung herauszukommen. Sie versteigen sich 136 in die klassische Mythologie und Geschichte, oder plagen sich mit Allegorie, oder, wenn sie recht nordische Naturen sind, lassen sie gar die Geister Ossians im Nebel erscheinen.
Waller. Das erste thaten die Meister der schönsten Periode auch zuweilen zur Abwechselung; doch blieb die Religion mit ihren Geschichten immer ihre Hauptbeschäftigung, so wie sie ihnen fast ausschließend Beschäftigung gab. Man hat es noch nicht erlebt, daß die große Geschichtsmahlerey in einem protestantischen Lande recht geblüht hätte.
Reinhold. Der politische Enthusiasmus müßte ihr dann irgendwo ein neues weites Feld und eine ruhmvolle öffentliche Bestimmung öffnen.
Waller. Sie würden freylich dadurch aus der Verlegenheit gezogen, meistens für ein gelehrteres Privatinteresse zu arbeiten, welches niemals popular werden kann. Allein der Republikanismus wird nie etwas übermenschliches ersinnen. Wenn der Künstler auf dieses also nicht ganz Verzicht thun will, so ist er auf die Alternative reduzirt, die Ideale einer ausgestorbnen Götterwelt zu wiederholen, oder den göttlichen und heiligen Personen eines noch bestehenden und wirkenden Glaubens fortbildend zu huldigen.
Reinhold. Eines noch bestehenden! Aber wie lange?
Waller. Als schöne freye Dichtung verdient er eine unvergängliche Dauer. Ich habe ihn als solchen zu nehmen versucht, und mir nicht grade einzelne Gemählde, aber hergebrachte Gegenstände dazu gewählt. 137 Die Poesie beweiset auf diesem Wege der Mahlerey ihre Dankbarkeit, und es würde sie selbst vielleicht nicht gereuen, wenn sie darauf fortginge.
Louise. Sehen Sie, Reinhold? Die Verwandlung von Gemählden in Gedichte, wovon ich sagte. Lassen Sie uns doch hören, Waller.
Waller.
Ave Maria.
Die Jungfrau ruht, nur Demuth ihr Geschmeide,
Im Abendschatten an der Hütte Thor.
Sie weiß nicht, daß sie Gott zur Braut erkohr.
Doch stilles Sehnen ist ihr Seelenweide.
Da sieh! ein Jüngling tritt im lichten Kleide,
Den Palmenzweig in seiner Hand, hervor.
Voll süßen Schauers bebet sie empor;
Denn seine Stirn ist Morgenroth der Freude.
Gegrüßt, Maria! tönt sein holder Mund,
Und thut das wundervolle Heil ihr kund
Wie Kraft von oben her sie soll umwallen.
Und sie, die Arm’ auf ihre Brust gelegt.
Wo sichs geheim und innig liebend regt,
Spricht: Mir geschehe nach des Herrn Gefallen!
——————
138 Christi Geburt.
Mein süßes Kindlein, wüßt’ ich Dein zu pflegen!
Ich bin noch matt, doch ruh am Busen warm;
Die Nacht ist dunkel, klein die Hütt’ und arm:
Sie mußten dich in diese Krippe legen.
So sprach Maria; draußen rief’s dagegen:
Laßt uns hinein, wir wollen keinen Harm!
Uns wies hieher der Engel froher Schwarm,
Verkündigend den neugebohrnen Segen.
Das Dach empfängt sie, und ein göttlich Licht,
Wie um ihn her die frommen Hirten treten,
Entstrahlt des kleinen Heilands Angesicht,
Sie stehn, sie schaun, sie jubeln, preisen, beten;
Der Jungfrau mütterliche Seel’ erfüllt
Sich mit dem Gotte, den ihr Schooß enthüllt.
Die heiligen drey Könige.
Aus fernen Landen kommen wir gezogen;
Nach Weisheit strebten wir seit langen Jahren,
Doch wandern wir in unsern Silberhaaren;
Ein schöner Stern ist vor uns her geflogen.
Nun steht er winkend still am Himmelsbogen:
Den Fürsten Juda’s muß dieß Haus bewahren.
Was hast du, kleines Bethlehem, erfahren?
Dir ist der Herr vor allen hoch gewogen.
139 Holdselig Kind, laß auf den Knie’n dich grüßen!
Womit die Sonne unsre Heimat segnet,
Das bringen wir, obschon geringe Gaben.
Gold, Weihrauch, Myrrhen liegen Dir zu Füßen;
Die Weisheit ist uns sichtbarlich begegnet,
Willst Du uns nur mit einem Blicke laben.
Die heilige Familie.
Den Schöpfer, der die Erde neu gestaltet,
Gebenedeite! hast du ihr gegeben.
Du darfst Dein Aug’ als Anvermählte heben
Zum Vater aller, der im Himmel waltet.
Ein guter Greis, deß Treue nie veraltet.
Steht euer Pfleger väterlich daneben.
In deinem Sohne glüht ein heilig Leben,
Das spielend sich auf deinem Schooß entfaltet.
Mehr Lieb’, als Kinder zu einander tragen,
Spricht des Genossen feurige Geberde,
Dem Jesus zarte Händ’ entgegen breitet.
Der braungelockte Knabe scheint zu fragen:
Was thu’ ich, daß ich deiner würdig werde?
Gern sterb' ich, wenn ich dir den Weg bereitet.
——————
140 Johannes in der Wüste.
Ein starker Jüngling, kühn zur That und schnell,
Entreißt Johannes sich bewohnten Stätten.
Er liebt, in öde Klüfte sich zu betten.
Die Hüften gürtet ihm ein rauhes Fell.
Einfältig wird seyn Sinn, sein Auge hell;
Nichts niedres kann ihn an die Erde ketten;
Und sein Geschlecht vom Untergang zu retten,
Sucht er in sich der Gottheit Lebensquell.
Er sitzt am Felsen, dessen Born ihn tränket.
Da steigt vor seiner Seel’ empor ein Bild,
Das er mit sel’gem Staunen überdenket.
Es ist des Menschen Sohn, so groß als mild.
Der ernste Seher hält sein Haupt gesenket:
Ach, gegen Dich, wie bin ich streng’ und wild!
Mater dolorosa
Der Blutaltar, für Gottes Lamm bereitet,
Hat sein geweihtes Opfer schon empfangen;
Und reuevolle Brüder zu umfangen,
Hält Christ am Kreuz die Arme ausgebreitet.
Er sieht voll Huld, die ihn hinaus begleitet.
Der Treuen Schaar in namenlosem Bangen:
Sie schaun auf ihn mit schmerzlichem Verlangen,
Was noch sein Wink für Tröstung ihnen deutet.
141 Der Mutter Antlitz blaßt in Todesschauer,
Die thränenlosen Augen sind verglommen,
Ihr stummer Mund vermag nicht mehr zu flehen.
Kein sterblich Weib erfuhr so tiefe Trauer,
Das prophezeyt’ ihr einst das Wort des Frommen:
Es wird ein Schwert durch Deine Seele gehen.
Die Himmelfahrt der Jungfrau.
Wie ist mir? Wonne blitzt von Gottes Throne,
Und hat mit süßen Banden mich umschlungen.
Mein Sehnen ist die Himmel durchgedrungen:
Ich seh’ den Vater bey dem theuern Sohne.
Hinan! hinan! auf daß ich bey euch wohne,
Vom Zug der Liebe leicht emporgeschwungen!
Ihr Heil’gen, die ihr treu mit mir gerungen,
Glaubt, liebet, hofft und einst empfaht die Krone! –
Und wie sie so auf Wolk’ und Duft entschwindet,
Umlächeln sie des Himmels jüngste Söhne;
Schon weichen unter ihrem Fuß die Sonnen.
Im Lichte wird ein neues Licht entzündet,
So strahlt die Braut, verklärt in reiner Schöne,
Und ruht nun liebend an der Liebe Bronnen.
——————
142 Die Mutter Gottes in der Herrlichkeit.
Dir neigen Engel sich in tiefer Feyer,
Und Heil’ge beten, wo Dein Fußtritt wallt:
Glorreiche Himmelskönigin! Dir hallt,
Die Gott besaitet hat, der Sphären Leyer.
Dein Geist blickt sichtbar göttlich durch den Schleyer
Der unverwelklich blühenden Gestalt;
Du trägst ein Kind voll hehrer Allgewalt,
Des Todes Sieger und der Welt Befreyer.
O Jungfrau! Tochter deß, den Du gehegt!
Dein Schooß ward zu dem Heiligthum erwählet,
Wo selbst ihr Bild die Gottheit ausgeprägt.
Dein Leben hat das Leben neu beseelet.
Die ew’ge Liebe, die das Weltall trägt,
Ist unauflöslich uns durch dich vermählet.
Louise. Ach, da haben wir endlich unsern Raphael!
Reinhold. Und ich müßte mich sehr irren, wenn Sie nicht bey dem vorletzten Sonett an die Himmelfahrt der Jungfrau von Guido Reni zu Düsseldorf, und bey Johannes
dem Täufer an den ebenfalls dort befindlichen gedacht hätten, der bald dem Andrea del Sarto, bald dem Raphael zugeschrieben wird.
Louise. Und bey der Geburt Christi hatten Sie gewiß Correggio’s Nacht vor Augen. Aber wie 143 konnten Sie in dieser poetischen Gallerie
die holde Magdalena auslassen?
Waller. Ich habe sie nicht vergessen, allein ich wollte sie nicht gradezu in jene heilige Reihe stellen. Bemerkten Sie doch selbst vorher, daß man über diesen
Gegenstand so leicht frivol wird.
In unbewahrter Jugend frischer Blüthe
Riß Magdalenen ihre Schönheit hin;
Den edlen Geist berückt ein weicher Sinn,
Daß sie in ungeweihten Flammen glühte.
Sie hört den Heiland, und die ernste Güte,
Die aus ihm spricht, wird ihres Heils Beginn.
Zu seinen Füßen sinkt die Sünderin,
Mit tief zerrißnem schmachtendem Gemüthe.
Entblößt vom Schmucke liebt sie nun, allein,
Den Arm gelehnt an blaß geweinte Wangen.
Betrachtungen der Buße nachzuhangen.
Ja, fromme Huldin! flieh in Wüsteneyn
Verbirg der Welt den Anblick deiner Schmerzen:
Denn sonst bethört noch Deine Reu die Herzen.
Louise. Bis zur letzten Zeile haben Sie sich streng’ gehalten, und wer weiß, wenn das Sonett nicht einen Schluß hätte haben müssen, Sie wären ohne alle
Weltlichkeit durchgeschlüpft. Was aber die übrigen Stücke betrifft, warnen Sie nur wieder vor 144 dem Katholisch werden! Sie sind nicht nur ein Katholik,
sondern ein Proselytenmacher.
Waller. Gut, das bewiese ja, daß ich jenes recht wäre.
Louise. Müßte sich nicht viel dergleichen und von größerem Umfange zur Verherrlichung der heiligen Geschichte und der Legenden dichten lassen?
Waller. Wer soll es thun? In Deutschland wohnt der Katholizismus, und die Poesie eben nicht unter Einem Dache beysammen. Protestantische Dichter haben sich zwar
in England und Deutschland zum Theil mit ausgezeichnetem Geiste an Gegenstände ihres Glaubens gewagt; allein nach der Natur der Sache kann es damit nicht recht gelingen. Durch
die Reformation wurde das erneute Christenthum von seiner ehrwürdigen Vorzeit abgeschieden, und eine mythische Welt hinter ihm vernichtet. Auf gewisse Weise wiederhohlte
sich, was bey der Verdrängung des Heidenthums durch das ursprüngliche Christentum geschehen war.
Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert,
Unsichtbar wird einer nur im Himmel,
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt.
Erst nach einem langen Zeitraume konnten protestantische Dichter aufstehen; nun fanden sie sich von aller volksmäßigen Sage verlassen, und griffen nach wunderbaren
Dichtungen in die nüchterne Luft. Bey 145 der Verschmähung der Sinnlichkeit, welche im Geiste ihres Systems liegt, mußten sie dabey fast unvermeidlich ins
transzendente verfallen, und die wahre kindliche Mystik überfliegen.
Louise. Was machen Sie da, Reinhold? Sie haben gewiß einmal wieder eine von ihren Abwesenheiten.
Reinhold. Ich habe nur ein paar Ideen flüchtig skizzirt, die mir bey den Gedichten einfielen. Hier ist eine Verkündigung Mariä für Sie, und da ein heiliger
Johannes für Waller. Sie werden sich das schon zueignen.
Louise. Wie so?
Waller. Nun, das begreift sich, symbolisch. Wenn Sie einmal Mutter werden sollten – das Vorgefühl eines so schönen Geheimnisses ist gewiß für jedes zarte
weibliche Herz ein verkündigender Engel.
Louise. Und ein junger Dichter und Schwärmer, der sich weder in den Wissenschaften noch bürgerlichen Verhältnissen einzunften lassen will, bleibt immer die
Stimme eines Predigers in der Wüste.
Waller. Daß Sie sich nur nicht zu eifrig dem Dienst der Antike widmen, Reinhold, und mir ja den katholischen Glauben recht in Ehren halten. Als Mahler haben Sie mehr
Ursache damit zufrieden zu seyn, wie mit der griechischen Mythologie.
Reinhold. Das wäre!
Waller. In dieser hat Ihre Kunst durchaus keinen Schutzgott.
146 Louise. Das ist wahr: keine einzige Muse mahlt und so viele musiziren.
Waller. Sie müssen wohl, wenn die Musik von ihnen den Namen führen soll. Apollo ist für die Dichter, Vulkan für die mechanischen Künste, Minerva für die weiblichen Arbeiten; die bildenden Künste gehn immer leer aus.
Reinhold. Dieß kommt wohl daher, daß sie viel später aufblühten als Poesie und Musik, da schon alle Götter vertheilt waren.
Waller. Auch solche Heroen haben sie nicht, wie Orpheus, Linus, Amphion und andre. Der einzige, den man nennen kann, ist Dädalus, und dieser gilt nur für die Bildner, nicht für die Mahler. Welch’ einen würdigen Schutzheiligen haben sie dagegen an dem Evangelisten Lukas!
Reinhold. Und auch das ist nicht wenig werth, daß wir wissen, er hat die Bildnisse der Jungfrau, Christi und der Apostel nach dem Leben genommen, und der Nachwelt überliefert.
Waller. Es deutet die Richtung der neueren Kunst auf individuellen menschlichen Charakter so schön an. Niemanden konnte es einfallen, daß der Olympische Jupiter dem Phidias gesessen habe.
Louise. Aber Homer sah ihn doch gewiß von der Ionischen Küste herüber auf dem wolkigen Gipfel des Olymp sitzen.
Waller. Damit ich das Geschenk Ihrer Skizze mit etwas erwiedre, lieber Freund, hören Sie meine Legende von Ihrem Schutzpatron.
147 Sankt Lukas sah ein Traumgesicht
Geh! mach dich auf und zögre nicht,
Das schönste Bild zu mahlen.
Von deinen Händen aufgestellt,
Soll einst der ganzen Christenwelt
Die Mutter Gottes strahlen.
Er fuhr vom Morgenschlaf empor,
Noch tönt die Stimm’ in seinem Ohr;
Er rafft sich aus dem Bette,
Nimmt seinen Mantel um und geht,
Mit Farbenkasten und Geräth
Und Pinsel und Palette.
So wandert er mit stillem Tritt,
Nun sieht er schon Mariens Hütt’
Und klopfet an die Pforte.
Er grüßt im Namen unsers Herrn,
Sie öffnet und empfängt ihn gern
Mit manchem holden Worte.
„O Jungfrau, wende deine Gunst
Auf mein bescheidnes Theil der Kunst.
Die Gott mich üben lassen!
Wie hoch gesegnet wär sie nicht
,
Wenn ich dein heil’ges Angesicht
Im Bildniß dürfte fassen!“ –
Sie sprach darauf demüthiglich:
Ja, deine Hand erquickte mich
Mit meines Sohnes Bilde.
Er lächelt mir noch immer zu,
Obschon erhöht zur Wonn’ und Ruh
Der himmlischen Gefilde.
148 Ich aber bin in Magdgestalt,
Die Erdenhülle sinkt nun bald,
Die ich auch jung verachtet.
Das Auge, welches alles sieht,
Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemüht,
Im Spiegel mich betrachtet. –
„Die Blüthe, die dem Herrn gefiel,
Ward nicht der flücht’gen Jahre Spiel,
Holdseligste der Frauen!
Du siehst allein der Schönheit Licht
Auf deinem reinen Antlitz nicht,
Doch laß es Andre schauen.“
„Bedenke nur der Gläub’gen Trost,
Wann Du der Erde lang’ entflohst,
Vor Deinem Bild zu beten.
Einst tönt Dir aller Zungen Preis,
Dir lallt das Kind, dir fleht der Greis,
Sie droben zu vertreten.“ –
Wie ziemte mir so hoher Lohn?
Vermocht’ ich doch den theuren Sohn
Vom Kreuz nicht zu entladen.
Ich beuge selber spät und früh
In brünstigem Gebet die Knie
Dem Vater aller Gnaden. –
„O Jungfrau! weigre länger nicht,
Er sandte mir ein Traumgesicht,
Und hieß mir, Dich zu mahlen.
Von diesen Händen aufgestellt,
Soll vor der weiten Christenwelt
Die Mutter Gottes strahlen.“ –
149 Wohlan denn! sieh bereit mich hier.
Doch kannst Du, so erneue mir
Die Freuden, die ich fühlte,
So rufe jene Zeit zurück,
Als einst das Kind, mein süßes Glück,
Im Schooß der Mutter spielte. –
Sankt Lukas legt ans Werk die Hand;
Vor seiner Tafel unverwandt,
Lauscht er nach allen Zügen.
Die Kammer füllt ein klarer Schein,
Da gaukeln Engel aus und ein,
In wunderbaren Flügen.
Ihm dient die junge Himmelsschaar,
Der reicht’ ihm sorgsam Pinsel dar,
Der rieb die zarten Farben.
Marien lieh zum zweyten Mal
Ein Jesuskind des Mahlers Wahl,
Um die sie alle warben.
Er hatte den Entwurf vollbracht,
Nun hemmte seinen Fleiß die Nacht;
Er legt den Pinsel nieder.
Zu der Vollendung brauch’ ich Frist,
Bis alles wohl getrocknet ist,
Dann, spricht er, kehr’ ich wieder.
Nur wenig Tage sind entflohn;
Da klopft von neuem Lukas schon
An ihre Hüttenpforte;
Doch statt der Stimme, die so süß
Ihn jüngst noch dort willkommen hieß,
Vernimmt er fremde Worte.
150 Entschlummert war die Gottesbraut
Wie Blumen, wann der Abend thaut;
Sie wollten sie begraben,
Da ward sie in verklärtem Licht
Vor der Apostel Angesicht
Gen Himmel aufgehaben.
Erstaunt und froh schaut er umher
Die Blick’ erreichen sie nicht mehr,
Die er nach droben sendet.
Obschon im Geist von ihr erfüllt,
Wagt er die Hand nicht an ihr Bild:
So blieb es unvollendet.
Und war auch so der Frommen Lust,
Und regt’ auch so in jeder Brust
Ein heiliges Beginnen.
Es kamen Pilger fern und nah,
Und wer die Demuthsvolle sah,
Ward hoher Segnung innen.
Vieltausendfältig konterfeyt
Erschien sie aller Christenheit
Mit eben diesen Zügen.
Es mußte manch Jahrhundert lang
Der Andacht und dem Liebesdrang
Ein schwacher Umriß gnügen.
Doch endlich kam Sankt Raphael,
In seinen Augen glänzten hell
Die himmlischen Gestalten.
Herabgesandt von sel’gen Höh’n,
Hatt’ er die Hehre selbst gesehn
An Gottes Throne walten.
151 Der stellt ihr Bildniß, groß und klar,
Mit seinem keuschen Pinsel dar,
Vollendet, ohne Mängel.
Zufrieden, als er das gethan,
Schwang er sich wieder Himmel an,
Ein jugendlicher Engel.
Rienhold [sic]. Tausend Dank! Und die erste Madonna, die mir gelingt, soll dem heiligen Lukas und dem heiligen Raphael gemeinschaftlich geweihet seyn.
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