III Vorerinnerung.

 

.... und das hat der Leser wohl schon auf dem ersten Blatte dieser Reisebeschreibung gemerkt, daß es mehr das Wie gesehen, als das Was gesehen ist, welches der Verfasser ihm bringt, mehr die Ideen und Gefühle, so die Gegenstände erzeugt haben, als eine gemeine Beschreibung der Gegenstände selbst, welche er gewiß weit besser und ausführlicher in andern Büchern finden kann, welche der Verfasser von dieser Reise nicht geschrieben und nicht gelesen hat.

Oelenschläger, Wallfahrt nach Rom.

 

Mehr wie die vorstehende Erklärung verspricht, darf der Leser auch in den nachfolgenden Blättern nicht suchen. Eine häusliche IV Mutter schrieb sie an ihre stille lebenden Kinder – andere solche Mütter, solche Kinder, werden sie mit Mitgefühl lesen. Um sich zu unterrichten, finden sie die Nachrichten von Reisenden, vor denen die einfältige Matrone, welche diese Briefe schrieb, sehr beschämt stehen würde, wollte man sie mit ihren weiblichen Gefühlen, ihren phantastischen Ansichten vergleichen. Sie will nur die Empfindung erwecken, jene wackern Männer mögen dann berichtigen und belehren.

G ...
im September 1810.

Th. H.

 

 

V Inhaltsanzeige.

 

Erster Abschnitt.

Karlsruhe. Erinnerungen. Gärten. Schaffauers Denkmal des Erbprinzen. Vergleich mit Herrnhausen. Meierei bei Karlsruhe. Heidelberg. Neue Anlage auf dem Schloßberge. Anekdote aus der Geschichte. Maskerade der studirenden Jugend. — Seite 1.

 

Zweiter Abschnitt.

Ankunft in Mainz. Mautbediente. Martinsburg. Dom. Frohnleichnamsfest. Todtenfeier Kaiser Josephs. Der Platz Guttenberg. Neues Schauspielhaus. Ehemalige Domprobstei. Regret der Mainzer. Lycäum. Bürgermädchen. Justitztribunal. Botany Bay und Zuchthäuser. St. Emmeranskirche. Rheinallee. Rheinfahrt nach Biberich. — S. 16.

 

Dritter Abschnitt.

Betrachtungen über das Reisen. Das Postschiff bleibt aus. Aussicht in Biberich. Feldbau. Schloß. Garten. Wasserkünste. Das Postschiff. Reisegesellschaft. Vergleich der Rheinfahrt und des Wegs von Solothurn nach Basel. Blicke in die Vorzeit. Alte und neue Ruinen. Nachtlager in Boppart. Aufbruch nach Koblenz. Die GroßVImutter. Schlechter Wind. Der Schutzgeist. Weselingen. Ankunft in Kölln. — S. 31.

 

Vierter Abschnitt.

Der Dom. Seelenmesse für ein Kind. Reliquien. Vorboten holländischer Reinlichkeit. Neuer Marktplatz in Kölln. Kleidung der Bäuerinnen. Weg nach Cleve. Backsteinbrennereien um Nuys. Neue Spaziergänge. Hochstraaten. König Ludwig. Bauergärten. Udingen. Backsteinöfen. Xanthen. Erstes holländisches Wirthshaus. Cleve. Erste holländische Bekanntschaft. Diligence von Cleve nach Nimwegen. Reisegesellschaft. Nimwegen. Spaziergänge. Sprache. Die Waal. Glockenspiele. Gasthof. Hohe Dämme. Ankunft in Utrecht. — S. 67.

 

Fünfter Abschnitt.

Utrecht. Sitten. Universität. Botanischer Garten. Naturalienkabinet. Dom. Heiliger Martin. — S. 116.

 

Sechster Abschnitt.

Reise zu Land nach Amsterdam. Erster Anblick bei einbrechender Nacht. Erste Beschäftigung in Amsterdam. Strassen. Kanäle. Kaufladen. Obstmarkt. Künstliche Obstzucht. Blumenmarkt. — S. 126.

 

Siebenter Abschnitt.

Admiralität. Verschiedene Gestalten der Schiffe. Königliche Jacht. Spazierfahrt auf dem Y. Königliches Museum. Portraits. Rembrand. Van der Elst. Jakoba von Bayern. Von der Eyk. Neue Kirche. Tromps Denkmal. Lutherische Kirche. Religiosität. Sonntagsstaat. Nordholländerinnen. Menagerie. Botanischer Garten. Wagen auf Schlittenkufen. Felix Meritus. — S. 148.

 

VII Achter Abschnitt.

Börse. Schauspiele. Sonntagsvergnügen des Volks. Bildung des Volks. Reinlichkeit. — S. 205.

 

Neunter Abschnitt.

Rückkehr von Amsterdam nach * * *. Landgüter und Landhäuser in dieser Gegend. Trekschuiten und Wasserfahrten. Bettler. Marsden. — S. 229.

 

Zehnter Abschnitt.

Sehr überflüssiges Raisonnement. Der Lithauische Leibeigne. Der holländische Landmann. Der Berner Bauer. — S. 254.

 

Eilfter Abschnitt.

Mordpredigt in Oudewater. Bürgerliche Wohnung. Gegend am Leck. Fischparthie. Deichbau. Almeiden. — S. 271.

 

Zwölfter Abschnitt.

Reise nach Leyden. Woerden. Ziegelbrennerei. Alphen. Seine Umgebungen. Kalköfen. Leyden. Pulverexplosion. Altes Schloß. — S. 288.

 

Dreizehnter Abschnitt.

Der Haag. Cadettenhaus. Soldatenschule. Haus im Busch. Schewelingen. Das Meer. Weg nach Delft. Grabmäler. Weg nach Rotterdam. Haven. Schiffswerft. Arsenal. Quai. Erasmus Bildsäule. — S. 318.

 

VIII Vierzehnter Abschnitt.

Gouda. Fabriken. Glasmalerei. Kirche. Orgel. Organist. Gemälde. — S. 371.

 

Funfzehnter Abschnitt.

Rückreise über Nimwegen und Cleve. Johanna Sebus. Ruinen am Rhein. Neuer Weg von Koblenz nach Mainz. Neues Posthaus in Ingelheim. Ankunft in Mainz. — S. 383.

 

 

1 Erster Abschnitt.

 

Im Juli 1809. Elfeld im Rheingau.

Hier brachte ich vor neunzehn Jahren diese Sommermonate zu, und von diesem Orte aus, unter lauter gewohnten Gegenständen, finde ich Muse, einen Theil meiner Reise wieder zu überdenken. In Carlsruhe betrat ich die erste Stätte der Erinnerung. Die Stadt war mir noch ziemlich bekannt, ich war überrascht, mich in demselben Wirthshause zu finden, welches ich vor achtzehn Jahren bewohnt hatte. Die mich damals begleiteten, schliefen, um die ich damals weinte, schliefen auch. Schlafen? nein! das ist eine schwere irdische Ruhe; sie umschwebten mich und lächelten meinem nassen Blick entgegen. Ich erkannte Schloßers Haus. Er starb auch. Froh in 2 diesem Augenblick allein zu seyn, ging ich in den Schloßgarten und dachte jener Zeit. Was ward seitdem zertrümmert! was für Menschen gingen unter! ihren Zeitgenossen, der Beförderung des Guten. Und gingen sie unter? fragte ich mich beschämt. Wie ich vor achtzehn Jahren hier wandelte, war alles niedriges Gebüsch, es war mir widrig das kleine Gestrüpp zu sehen, ich hing damals an dem Augenblick, ich glaubte zu wissen was mein Glück sei, und es war mir versagt, und die Welt schien mir blutarm, die mir nicht gab, was mein Sinn störrisch verlangte. Damals gaben diese schönen Bäume mir noch keinen Schatten, diese Weiden waren kleine Ruthen, aber ich bedurfte auch der äußern Welt nicht, ich nährte mich an unendlicher Sehnsucht und allgenügendem Schmerz. Dann kam eine andere Zeit – ich besaß, und verlohr. – Verlohr mehr als ich je zu ersehnen vermochte, und nun wandle ich wieder hier, statt Sehnsucht Ergebung im Busen, statt Streben ins Leben hinaus, Rückblick auf Gräber, jetzt umfasse ich die Natur, jetzt erkenne ich die Außenwelt, denn sie vermählt mich mit dem Andenken an alles was ich verlor. Und nun finde ich die kleinen Sträuche zu schattenreichen Bäumen 3 emporgewachsen – und diese herrlichen Weiden! – Ich saß im Schatten, und vor mir auf einem Teppich von schmaragdnen Grase, stand eine hohe Thränenweide, die Luft bewegte die langen Aeste, die Sonne mahlte sie blaßgrün durch helle Beleuchtung; die zarten Blätter lispeln nicht, der ganze Baum wogt wie ein Geistergewand, und der Schatten gleitet stumm über den grünen Boden. Reiche fielen, die Edeln gingen unter, alles Menschenwerk wandelte furchtbar seit diese junge Schöpfung empor wuchs, aber die Natur schritt fort von Leben zu Leben. Heiliges Pfand, daß nichts untergeht, was sich je des Daseins erfreute!

    Ich durchwanderte diesen schönen Garten mit Wehmuth und Freude. Er ist schön, und das Gefühl, mit dem man des ehrwürdigen alten Fürsten gedenkt, dem man oft hier begegnet, macht ihn noch schöner. Seine Freundlichkeit macht den Aufenthalt feierlich, statt zu verscheuchen, und das ist ein Lobspruch, der in dem Herzen seines Volkes als schönes Denkmahl seiner Güte fortleben wird. Ich besuchte auch den andern Garten wo Scheffauers Monument steht. Die gute Fürstin, die es errichten ließ, dachte wohl nicht, daß 4 sie es dem Andenken jedes geliebten Todten errichtete, dessen Hinterlaßner zu ihm hintritt. Der hoffende Blick dieser weiblichen Gestalt – o, wie manches nasse Auge folgt ihm zu den Höhen, die uns auf unsrer niedern Erde immer wie unsre Heimath erscheinen. Das Denkmahl galt auch meinen Todten. Ich rufte [sic] ihre Gestalten auf aus den weiten Fernen des Aufgangs und Untergangs, wo sie zu Staub wurden, und versammelte sie um diese hoffende Gestalt, und so oft ich der kleinen Capelle nun denke, ist sie meiner Todten Denkmahl.

    Könnte ich doch der hübschen Stadt zwanzig tausend Einwohner mehr schenken; sie hat etwas Freundlichhelles, was mich anspricht. Man sagte mir, daß die schönen Gärten wenig besucht werden – das ist nicht gut, und ist doch so häufig. Ich bin so gern allein in diesen Schattengängen, möchte sie aber doch lieber mit Menschen angefüllt sehen, und fand sie nirgends so. In Wien soll man diesen Genuß haben. Erhalte der Himmel den guten Wienern ihre Leichtigkeit, sich zu freuen! Herrenhausen bei Hannover sah ich ehemals recht voll, aber an Gallatagen wenn eine Prinzessin aufzog oder dergleichen. Ich erinnre 5 mich einen gewissen englischen General, der die deutschen Truppen damals für den amerikanischen Krieg einhandelte, an der großen Fontaine der verwittweten Herzog[in] von Braunschweig vorstellen gesehn zu haben. Meinem zwölfjährigen Kopf kams damals ganz wunderschön und prächtig vor, wie der Britte in seiner glänzenden Uniform, ein Knie am Boden der alten Dame die Hand küßte. Sie hatte eine hohe Fontango und großen Reifrock wie alle Damen um sie her, alles glänzte von Brillanten, in denen die Sonne blinkerte wie in den Millionen Wassertropfen des herrlichen Springbrunnen. Damals fand ich die Brillanten aber interessanter, jetzt schwebt der ganze Auftritt vor mir wie ein Guckkastenbild, und wüßte ich nicht sicher, daß ich ihn wirklich sah, hielt ich die Hecken, und die Menschen, und die Handlung für einen Guckkasten-Vorgang. Im Jahre fünf und neunzig hörte ich unter manchen Zügen, welche unsre satte Weichlichkeit so gern vergißt, wie in der Nacht des neunten Thermidor die Gefangnen auf die Sturmglocken horchten, und auf die Lärmtrommel, und endlich unterbrach einer diese bange Stille und sagte: mir däucht ich werde heute Nacht achtzig Jahre alt. Wenn ich jene Zeit 6 meines zwölften Jahres rechne und jetzt, so sollte ich denken, ich wär ein Jahrtausend alt. Solche Hofpräsentationsauftritte gehören aber nach Gärten wie Herrenhausen, wo die Natur unter der Hand des Gärtners eine willkührliche Umform angenommen hat, hierher wünsche ich ein lach- und eßlustiges Völkchen, auf die Bänke gelagert, in die Gänge zerstreut, und statt dem Hofstaat in Fischbeinröcken, Tanz und Gesang.

    Das Land war von hier aus herrlich schön bebaut; rechts geht der Schwarzwald fort, und macht mit seinen dunkel gekrönten Gipfeln einen reizenden Contrast gegen die Ebne, in der goldnes Saatkorn mit dem schönsten Hanf und Klee, den ich je sah, abwechselte. Nahe bei Carlsruhe besahe mein Reisegefährte, ein geschickter Oekonom, einen fürstlichen Meyerhof. Ich schlenderte mit, fand aber wenig Freude dabei, denn es sah öde aus. Mein Oekonom ging auch mit betrübten Gesichte herum und versicherte wie der Papagei in Göthes Vögeln: daß er unaussprechliche Seelenleiden litt, weil hier vierzig Kühe fräßen, wo zwei hundert gefüttert werden könnten. Das ist allerdings ärgerlich, denn da Fressen der Kühe Glück ist, so wünsche ich recht viele Glückliche die7ser Art. Diese Landbauenthusiasten sind ein eignes Geschlecht. Die ganze Natur ist für sie eine große Dunganstalt, und die Allmacht Gottes offenbart sich ihnen ausschließend in der Produktion. Dabei haben sie seit einiger Zeit eine wunderbare Melodie zu ihrem Texte erfunden, die ihnen aber rechter Ernst ist, sie nennen ihr Geschäft reine Bemühung zum Menschenwohl. Das ists nun in seinen unendlichen Folgen ganz unfehlbar, aber durch ihre Absicht doch nur sehr mittelbar. Mögen sie aber ihrem Beruf einen Namen geben wie sie wollen, hat man es ihrer Wissenschaft zu danken, daß diese Gegenden so herrlich blühen, ungeachtet so viele rüstige Arme ihrer Bewohner an der Donau die Sichel des Todes führen, statt hier die fetten Saaten zu fällen – so segne Gott ihre Wirksamkeit.

    Heidelberg war mir wie ein alter Jugendbekannter, mit dem ich ehemals Freude und Leid theilte. In den Morgenstunden meines Lebens saß ich unter seinen Ruinen und schwelgte in kindischem Schmerz, und die ehrwürdige Größe der Trümmern veredelte mein Gefühl. Mir däucht in der Jugend führt Schmerz uns zum Gebet, ist 8 Gebet; im Alter thut es die Freude. Denn das Bedürfniß inniger Gemüther Schmerz zu empfinden, ist doch nur Bedürfniß von der Erde aufwärts zu steigen; wenn die Sonne des Lebens dann sinkt, vergoldet sie die Höhen, die über den langen Erdenschatten noch herausragen, und wir erkennen sie, und danken und beten. Diese Trümmern waren nach so vielen Jahren das Bild meines Lebens geworden, eine neue blühende Schöpfung sproßte aus ihnen empor. Es haben gewiß viele Reisende von Heidelberg erzählt, ich glaube sogar, daß ich in meinen Wäldern eines ganzen Buches über Heidelberg habe erwähnen hören; hat man denn aber auch recht herzlich gesagt, wie schön die Anlage um das alte Schloß ist? Sie ist ganz das Werk des Oberforstraths Gatterer. Hat denn wohl ein Bemühen einen schönern Lohn, wie die Wirkung die aus ihm selbst entspringt, ohne Lob, ohne Dank? Der Genuß dieser herrlichen Natur muß wohlthätig seyn, denn gewiß, gewiß, unschuldige Freude macht gut, und das ist der Lohn des Mannes, der hier mit einem, jedem Schönen offenen Sinn das Lokal benutzte. Aber welches Lokal! das schönste Abendroth strahlte heute vom Himmel, und zeigte die Trümmern in 9 ihrer ganzen Größe. Zu jedem Fenster blickte die Auferstehungsfarbe herein, – denn die Abendröthe deutet mir immer auf Vollendung, so wie die Morgenröthe mir Wehmuth und Sorge erweckt, wie der Anblick einer jungen Braut. O was wartet deiner! seufz ich mit vollem Herzen. Sinkt aber die Sonne und der rothe Glanz steigt auf, und zieht die keinen Wolken in sich hinein, und Ruhe gießt sich aus über den Himmel, so schwingt sich die Seele auf in diese Farbenherrlichkeit, die sie immer nur als Schleier des Schönern empfindet, das sie verbirgt, als Bild des Erhabnern, das sie bedarf. Mitten in dem Lichtglanze stand der prächtige gesprengte Thurm im Schatten. Wie in ein ungeheures Grab blickte man in die tiefen Gewölbe, und oben über ihm und neben ihm aus allen Mauerspalten nickte grünes und blühendes Gesträuch und bekränzte die Zerstörung mit stets erneutem Leben. Noch dunkler lag in der Tiefe der abgerissene Theil des Thurms, wie ein mächtiger Granitblock auf andre Felsen gestützt. Wie schmerzlich muß dieser herrliche Ort dem Menschen seyn, die in der Zerstörung keine neue Schöpfung erblicken. Denn hier ist alles Zerstörung, alles neues Leben und Schöpfung. Ich 10 stand lange an der äußersten Spitze der Anlage gegen den Fluß, die erst neuerlich in Form einer Terrasse ist erbaut worden, wo sonst ein jäher steiniger Abhang war. Ich dachte an die Zeit, wo in lebendiger Wildheit das Wasser des Neckars diese Schluchten grub, wo es dort, wo jetzt einige Silberfaden von Süden nach Norden glänzen, mit den mächtigen Strömen zusammen floß, die von den Alpen herab himmelhohe Berge durchbrechen; dann dachte ich die Folgenreihe der Schöpfungen, wo stets die erste die folgende mütterlich in ihrem Schooße entwickelte, und dann unsterblich in ihr selbst unterging. Bis nun endlich diese Menschennester gebaut wurden von dem vergänglichen Geschlecht, und es sich Jahrhunderte lang mit seiner ewig regen Liebe im Herzen an der Sonne und dem Grün und dem silbernen Flusse erfreute, und wie nun diese Denkmahle abscheulicher Kriegswuth wieder wohlthun, indem sie durch erhabene Bilder das Gemüth kleinlichen Sorgen entheben. Eltern, Vormünder, wer ihr auch seid, wenn ihr eures Zöglings Herz gesund erhieltet, daß es sich über eine große schöne Schöpfung freuen kann – schickt ihn nach Heidelberg! Ich begreife nicht, wie ein junger Mann, der hier 11 mit offnem Gemüthe herkommt, roh, unsittlich werden kann.

    Das Schloß hat, wie es noch bestand, gewiß nicht den schönen Anblick gewährt, den seine Trümmern uns schenken. Das Gemisch von Bauarten aus verschiedenen Jahrhunderten, mußte damals unangenehm seyn, jetzt stehen sie beide da, im Denkmahl vergangner Zeiten. Der sehr verdiente Weinbrenner in Karlsruhe soll einige Spuren römischer Vollendung unter den Trümmern gefunden haben. Welchem Zeitalter gehörte wohl der ungeheure Thurm, den die Gewalt des Pulvers nur wie einen Felsen hat sprengen können, ohne ihn zu zerstückeln? Das herabgestürzte Mauerstück soll sieben und zwanzig Fuß dick seyn. Wozu er bestimmt war, ist sehr räthselhaft, da die Gewölbe, die er Stockwerkweis über einander enthält, gar keine Verbindung unter einander haben, noch gehabt haben können, als durch viereckigte Löcher, die in der Größe eines engen Schornsteins, von einem Gewölbe in das andere gehen. Mich dünkt sie befinden sich alle auf derselben Seite. An verschiedenen Orten finden sich große eiserne Ringe eingemauert, wahrscheinlich von der Zeit her, wo der Thurm noch eine Be12stimmung hatte. Von Treppen findet sich nirgends eine Spur, und von einem Eingange am Fuße des Thurms scheint niemand etwas zu wissen. Wie wunderlich, daß wir den Gebrauch eines so mühseeligen, für die Ewigkeit festen Gebäudes, aus doch nicht so gar fernen Zeiten, gar nicht bestimmen können. Mich weht aus diesen Gewölben immer Kerkerluft an, und die leisen Lüfte, die durch die Trümmern ziehen, rufen mir zu: Gedenke der Seufzer, die hier verhallten!

    Die schöne Fronte des neuen Schlosses erinnerte mich an einen Auftritt, der kurz nach der Bartholomäusnacht in Paris hier vorfiel. Der Herzog von Anjou besuchte auf seinem Wege nach Polen, zu dessen König er erwählt war, den Churfürsten von der Pfalz hier auf seinem Schlosse. Bei seinem Eintritt in die Höfe empfing ihn kein Mensch, er ging bestürzt bis an den Eingang des Schlosses, wo zwei deutsche Edle ihn erwarteten, und schweigend die Treppe hinauf führten. Im Vorsaal erblickte er zu beiden Seiten einen Haufen französischer Hugenotten, die, der Mordnacht entflohen, bei dem Churfürsten Schutz gefunden hatten, und jetzt ihn mit rache13fordernden Blicken begleiteten. Er tritt in das Audienzzimmer, und sein erster Blick fällt auf ein Gemälde dem Eingang gegenüber, das des Admiral Coligny grausame Ermordung darstellt, und zu beiden Seiten des Churfürsten stehen mehrere französische Große, die jener abscheulichen Verfolgung entgingen, und deren Auge der Prinz, wohin er tritt, begegnen muß. Margaretha von Valois ist es, wie mir däucht, welche diesen Auftritt erzählt. Er enthält einen unendlichen Umfang von Gefühlen. Und es ist ein Moment! Und wie viele Menschengeschichten sah dieses Menschengebäude vergehen bis zu dem schrecklichen Augenblick, wo es die französische Willkühr zerstörte. Nun schweigt in den öden Mauern Schmerz und Rache und Freude, sie blicken auf das blühende Land herab und scheinen uns zu sagen: seht wie viel schneller Gott wieder schafft, als die Menschen erbauen.

    Indem ich durch die Straßen ging, machte mich der Lohnbediente auf ein Schauspiel aufmerksam, das er sehr zu bewundern schien. Verschiedene Studirende hatten sich in Juden, Bauern und alte Bürger verkleidet, mit Perücken, Lumpen und altfränkischen Kamisölern, jagten und 14 fuhren so mehrmals durch die Stadt, worauf sie sich in ein nahgelegenes Dorf begaben, wo sie, wie der Lohnbediente innig froh versicherte, die Bauern recht plagen würden. Ich weiß nicht ob diese Jünglinge, wenn sie einst Männer werden sollten, wie unser blutendes Jahrhundert sie bedarf, dieses Spaßes mit Stolz gedenken werden? Die thörigste Lustigkeit ist unter Freunden erlaubt, allein wenn man das Publikum zu Zeugen macht, verändert sie die Gestalt. Ich achte ein Publikum nicht, dem ich mich so zeige, und ein Publikum, das Achtung verdient, achtet auch mich nicht, weil ich mich ihm so gezeigt habe.

    Dieses Jahr schien mir die Bergstraße nicht so reizend wie das vorige, wo ich, ungefähr in denselben Tagen die Nacht in Heidelberg zubrachte, und von seinen Schönheiten nichts sah, als die Zinnen seiner Berge, die, wie mein Wagen sich vom Neckar abwendete, der erste Morgenstrahl vergoldete. Ich suche die mindere Schönheit, welche der Weg mir dieses Jahr bot in der Verschiedenheit der Anpflanzungen nahe am Wege, unter denen wenig Taback und Mais war – 15 bei weiten die schönsten Felder für das Auge – und den gänzlichen Mangel an Obst. Voriges Jahr belebten die buntgefärbten Früchte das grüne Laub, und deuteten auf die Freuden der Erndte, dieses Jahr erblickten wir weit und breit kein Obst, ja wir fanden auf dem ganzen Weg den Rhein herab nirgends Kirschen, um unsern, durch Staub und Hitze unleidlichen, Durst zu löschen.

 

 

16 Zweiter Abschnitt.

 

Mainz im Jul. 1809.

Mainz nach siebzehn verfloßnen Jahren! – Ich hatte lange ernst mit mir gerechnet, ehe ich an die Rheinbrücke trat, vor der ich ausstieg. Ich ging an das Ufer hinab, und zog, den stillen Fluthen nachblickend, noch einmal die Bilanz zwischen den geweinten Thränen, und der gewonnenen Zuversicht – ohne daran zu denken, schöpfte ich Wasser mit der Hand, und benetzte meine brennenden Lippen:

Psyche trinkt – und nicht vergebens,
Plötzlich in der Fluthen Grab,
Sinkt das Nachtstück ihres Lebens
Wie ein Traumgesicht hinab.

So ungefähr war mir, und eine heitere kindliche Ruhe senkte sich in mein Gemüth, ich ging still wie ein Schatten über die Brücke und betrat das französische Gebiet. –

    17 Man hatte mir von der Strenge, der Insolenz der Mauthbedienten gesprochen. Sie baten mich höflich meinen Koffer zu öffnen; obenauf lagen ein Paar Portefeuilles mit Schriften und Landkarten, einige Bücher – darunter war der Koffer geschnallt. Ich war zur Seite getreten, um sie nicht zu stören. „Da siehts sehr regelmäßig aus,“ sagten sie unter einander. „Sie können fortan gehen,“ wendete sich der eine zu mir, indem er mit der Hand über einen großen mir gehörigen Nachtsack strich, ohne hinein zu fassen, und so langte ich ohne einen Sous zu zahlen in Mainz an.

    Von der alten Martinsburg ist der älteste Theil eingeschossen oder niedergerissen, und das Uebrige irgend einem Gewerbe – ich glaube der Kaufmannschaft, zur Niederlage überlassen. Wenn man über die Brücke kommt, erblickt man keine Veränderung; was vom alten Schloß abgetragen ist, kann man keinen Verlust nennen; es war ein widrig häßliches Gebäude. Die Insel zur rechten Hand, welche sonst die Churfürstenaue hieß, war sonst bewachsener. Die Trümmer eines kleinen Pavillon blicken durch die dünnen Gebüsche – die Häuser der ehemaligen Holländerei stehen 18 noch, und das schöne Gras der kleinen Insel nähret noch ihre Heerde. Sie gehört aber Privatleuten. Der Hafen kam mir jetzt lebhafter, das Ufer mit mehreren Schiffen bedeckt vor, als ich es ehemals bei einem vierjährigen Aufenthalte in Mainz sah. Meine Blicke suchten den zerstörten Dom – dessen Kuppel ich, auf falsche Berichte hin, für angeschossen hielt. Wie sehr ward ich überrascht, ihn wieder zu finden, dem Aeußern nach ganz unversehrt, die beiden kleinen Thürmchen an dem entgegengesetzten Ende der Kirche sind eingeschossen, aber mein großer majestätischer Thurm, von dem ich oft die Strahlen der Abendsonne zurückstrahlen sah, auf dem so oft mein Blick ruhte, wenn ich im Mondenglanze von meinen späten Wanderungen zurück kam – mein ernster Thurm stand noch! Wie ich diese Kirche zum ersten Male besuchte, war Frohnleichnamsfest – ist es nicht ein eignes Schicksal, daß von sechs Menschen, die wir damals, alle in der Jugendblüthe, dieses für uns fremde Fest besuchten, nach neunzehn Jahren niemand mehr lebt, als ich allein? – Es war Frohnleichnam, die Kirche duftete von den emporsteigenden Weihrauchwolken, die Sonne strahlte blendend auf die reiche Mon19stranz, die von Diamanten und Gold, selbst in Gestalt einer strahlenden Sonne, gearbeitet war. Frühlingswehen säuselte in den heiligen Fahnen wie das Allerheiligste aus der Kirche über dem Blumenpfad getragen ward, der über den, mit zahllosem Volk angefüllten Platz führte. Das schöne, schöne Fest! was könnte aus ihm nicht gemacht werden! gebt bei eurer Feste Feier euern Hausvätern, euren Matronen, euren Jungfrauen wieder einen Antheil, eignet ihnen die Feiertage eurer kirchlichen Helden zu, vereint den Staatsbürger mit der Staatsreligion, laßt vor dem Auge des Volkes den Mann das Weib erblicken, und trennt sie mehr im täglichen Leben, in welchem der Mann jetzt zum Weibe, und das Weib zum Manne wird, beide entartete Geschlechter. – Dann sah ich diese ehrwürdigen Gebäude wieder bei der Todtenfeier des Kaiser Joseph. Schwarz umhangen die hohen Säulen, der hohe Kataphalk, dieser und das Chor mit zahllosen gelben Kerzen erleuchtet, die Priester in Trauergewande gehüllt, leise über den schwarz belegten Boden gleitend – das dumpfe Summen der Menge, dann die gedämpften Schmerzentöne von der Orgel herab! – O wer einmal einem 20 Hochamt beiwohnte für einen geliebten Todten, der bedarf Feßlers sinnreiche Auslegung des katholischen Ritus nicht, um sich in seinen Ceremonien zu gefallen! Wenn die arme Erde dem beraubten Herzen nichts mehr giebt, und die Augen noch zu strömend weinen, um den ewigen Himmel klar und rein zu sehen, was ersetzt da die menschliche Vermittelung, die diese Kirche in ihrer erhabnen Symbolik ihnen bietet?

    Nun ging ich den Trümmern weiter nach in das Innere des Doms. Einige Denkmahle sind beschädigt, doch wenige, und im Ganzen unbeträchtlich. Daß der Natur der Sache nach die Nasen an den Churfürstenbildern am meisten litten, ist fatal, aber unvermeidlich. Der hohe Thurm ist inwendig ganz ausgebrannt, – wenn das Holzwerk, welches das Feuer verzehrte, zu seiner Erhaltung nothwendig ist, so wünsche ich sehr, daß man es wieder herstelle. Wahrscheinlich würden sehr einfache Anstalten zu diesem Zwecke hinreichen. Von dem Thiermarkte links ab, wo sonst ein Frauenkloster, ich glaube, der heiligen Agnes, stand, wird jetzt eine Straße gebrochen, bis zu einem schönen freien Platze, den man durch das Hinwegräumen einer Kirche ge21wann. Dieser Platz ist durch den Namen Guttenberg zu einem besondern Eigenthum der Stadt Mainz gestempelt. An der einen Seite wird das neue Schauspielhaus nach einem sehr großen Plane gebaut; die Trümmern der ehemaligen Domprobstei geben einen Theil der Materialien dazu her, besonders zieren die großen Säulen, welche am Eingang jenes Ordensgebäudes standen, diesen Tempel der Thalia. Die Domprobstei ward bald nach dem Anfang der Belagerung im Jahr 1793 ein Raub der Flammen, sie war neu erbaut, reich verziert, und die Wohnzimmer des geistlichen Herrn mit einer Zierlichkeit eingerichtet, welche sie weit eher zu dem Aufenthalt einer petite maitresse eignete. Wie ich einen allerliebsten achteckigen Salon mit himmelblauer Drapperie, ein elegantes Boudoir, ein sybaritisch verziertes Badzimmer daneben, durchstreifte, fiel mir des Tempelherrn stärriges: ein Schwert, ein Rock, ein Gott – sehr zur Unzeit ein, und ich dachte mir den langen Weg, auf welchem die Höhlen der thebaischen Schwärmer endlich solche Badezimmer geworden wären. Zwei Palais der Familie Dahlberg liegen im Schutt, das eine ist, wie man mir sagte, vor kurzem für einige zwanzig tausend Gul22den von der Stadt gekauft worden, um die Mairie dahin zu verlegen. Außer diesen großen Häusern, die ihres Umfangs wegen das natürliche Ziel der feindlichen Bomben sein mußten, fand ich keine Schutthaufen. An vielen Orten, in vieler Rücksicht wird die Stadt verschönert. Die Menschen, die vom Hof und Adel lebten, müssen sehr zurückkommen, alles was Dienerschaft war, und von ihr lebte, kann sich mit dem neuen Wesen nicht vertragen; allein wenn die Stimme der verschiedensten Menschen, von denen keiner ein Franzos war, etwas gilt, so nimmt der Wohlstand von Mainz vielmehr zu, als ab. Es ist immer sonderbar, Menschen sehnsüchtig sagen zu hören: „Sonst, da fuhren so viele Equipagen!“ – indeß sie demüthig neben diesen Equipagen zu Fuße gingen. Oder: „ja, wie bei Hofe noch die Conzerte und Feste waren!“ – die bescheiden von der Gallerie herab dem Glanz der Erdengötter zusehen durften. Der grausame Verlust, nicht mehr der Unterste im Volke zu sein! –

    Von dem Lyceum sagte man mir viel Gutes; die Knaben, welche ich auf den Spaziergang ausziehen sah, hatten einen muntern Gang und fröhliche gesunde Gesichter. Ich wünschte, das Lokal 23 dieses Instituts läge auf einem freiern Platze. Die Erziehung hat in der freien Natur tausend Hülfsmittel, welche die größte Sorgfalt innerhalb der hohen Mauern einer Stadt nicht gewähren kann. Unter den Lehrern kenne ich sehr würdige Männer, von deren Einfluß sich das Beste erwarten läßt. Bis jetzt brachten es die Zeitumstände mit sich, daß ihre besten Zöglinge dem Kriegsruf folgten. Eine Sache, die mir auffiel, und die ich von andern Fremden, die Mainz ehemals kannten, beurtheilen hören möchte, war die sehr geringe Zahl erträglich hübscher weiblicher Gesichter, die ich jetzt hier fand, im Vergleich mit der vergangnen Zeit. Damals waren die Bürgermädchen sehr schön, jetzt schien mir die ganze Classe vom sechzehnten bis ins vier und zwanzigste Jahr ausgestorben zu seyn, und die unjugendlichen Gesichter wurden von ihrem Kopfputz gar nicht verschönert.

    Zufällig hörte ich, daß eine Sitzung des Justiztribunals sei, und ich eilte einem Auftritt beizuwohnen, den man in Deutschland noch nicht kennt. Sonderbar rührte es mich, das Tribunal der Gerechtigkeit in dem ehemalig gräflich Stadionschen Palais zu finden. Die Gerechtigkeit konnte 24 nicht würdiger wohnen, als in dem Hause einer Familie, in der Geist und Güte so lange einwohnend war. Mit dem ganzen Gefühl des ungeheuern Ganges, den das Schicksal genommen hat, ging ich vor dem Zimmer vorüber, wo ich die alte Gräfin, von ihren Kindern froh umgeben, gesehn hatte. – – Die Sache, welche eben vor dem Tribunale verhandelt ward, hatte kein besonderes Interesse; ein Franzose, wie es dem Namen und der Sprache nach schien, ward beschuldigt, für die Befreiung eines Conscribirten dreißig Louisd’or genommen zu haben. Der Kläger war ein Deutscher, auch die Zeugen waren Deutsche. Vor den Richtern neben den Secretairen stand der Dollmetscher, – ein Deutscher – vor den Gradins, um welche diese erhöht sitzen, saßen an einem Tische die beiden gerichtlichen Vertheidiger, welche der Angeklagte selbst wählt. Das Verhör ward in beiden Sprachen geführt, und wenn in der Verdeutschung etwas dem Angeklagten Nachtheiliges gesagt ward, nahm der Vertheidiger das Wort, so wie der Dollmetscher Bemerkungen machte, wenn dem Deutschen nachtheilige Wendungen gebraucht wurden. Der Präsident, – bei dieser Sitzung Krankheits halber nicht Reb25mann, den man mit der lebhaftesten Achtung nennt, sondern ein Franzose, der kein Deutsch sprechen konnte – munterte zwei Mal den Deutschen auf, sich Zeit zu nehmen, sich alles deutlich übersetzen zu lassen. Der Angeklagte hatte ein loses Maul, und redete sehr geläufig, die Richter blieben sehr ruhig, sehr besonnen. Der Vortrag war ruhig, gar nicht rednerisch, und, sobald man die Sprache vertraut kennt, sehr deutlich. Ein feierlicher Moment war das Aufrufen der Zeugen, ehe ihr Verhör anging. Sie mußten vor die Richter treten, wo der Secretair ihnen sagte, sie müßten erst die Wichtigkeit ihrer Verantwortung hören, ehe sie zur Aussage schritten. – Man las sie ihnen vor, sie war deutlich und strenge. Dann fragte sie der Dollmetscher, ob sie alles verstanden hätten? sie bejahten es laut. Nun blieb eine Weile alles in tiefer Stille. Dann führte man sie, bis auf Einen, in ein entlegenes Zimmer, indem nur immer einer auf einmal verhört werden mußte. An eben diesem Platze war der bei uns so berüchtigte Schinderhannes verhört und verurtheilt. Vor den Schranken erscheint der Angeklagte ganz frei, sobald aber das Urtheil gesprochen ist, naht sich ihm der Nachrich26ter und legt ihm Fesseln an. Die Hinrichtungen sind leider nicht selten.

    Hat unter den vielen Schriftstellern, welche ihren Weltbürgersinn in Druckschriften beurkunden, noch keiner allen Nationen gerathen ihr Botany Bay zu haben? Dann wär’ es doch wenigstens mit dem einen schaudervollen Moment geschehen, in welchem der Mensch es wagt zu nehmen, was seine Willkühr nie schaffen kann – der durch das Richtschwert gefallne wär der einzige Unglückliche ohne Rückkehr. Baugefangene, Gefängnisse, Zuchthäuser zeigen sie uns jetzt zu Tausenden, – ja, so lange diese dauern, ist es das Gesetz, welches nicht nur den Leib tödtet, aber auch „die Seele tödtet bis zur Hölle,“ wie die Schrift sagt. Gilt denn dem Staate das paar von Schande gelähmte Arme so viel? und wenn der Gebrandmarkte jenseits der Mittagslinie zum nützlichen Menschen sich empor arbeitet, wird das dem Mutterlande nichts nützen? Würden die gebildeten Nationen nicht gerne alle ihre irre geleiteten Brüder, die kein Zuchthaus je bessern wird, und ruhte Howards Geist in jedem Erbauer, jedem Aufseher, in ein fernes Land schicken, wo die eiserne Nothwendigkeit sie mehr bändigte wie Schlösser 27 und Riegel, wo auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel der zerknickte Keim bürgerlicher Ehre für sie wieder Wurzel fassen könnte?

    Was mich am innigsten in Mainz anzog, kann ich nur flüchtig erwähnen. Die Emmeranskirche steht unversehrt, ihren Kirchhof fand ich nicht mehr, es war ein Blumengarten daraus gemacht. Ich bat den Eigenthümer hinein treten zu dürfen. – Kurz nachdem meine beiden Kinder vor vielen Jahren hier begraben wurden, stahl ich mich dahin, fragte in des Mestmers Hause, wo das kleine Kreuz stehe, und dachte, ich wollte es mit trocknen Blicken betrachten. Die Frau des Mestmers sah mitleidig, wie wenig ich das vermochte. „Es waren meine Kinder, sagte ich ihr leise, und gab ihr Geld, halte sie die Rasen rein!“ – Wenn ich das gewußt hätte, antwortete sie gerührt, so hätte ich sie nicht hergeführt. –

    Jetzt wars anders! das schwere steinerne Kreuz war hinweg, und Blume drängte sich an Blume auf der Stätte des Grabes. O meine Blumen! – jetzt ist Auferstehung um euch her, und was nicht in Blumen auferstand, verließ mich ja nie! – Meine süßen Blumen! ich küßte verstohlen eure irdische Schwestern um euch her, und 28 hätte sie alle an mein Herz drücken mögen, aber ich pflückte keine. Sie blickten alle hin zum ewigen Lichte, und ich blickte hinauf und wußte von keinem Tod mehr. – Da waren sonst Gräber, sagte der Eigenthümer, der höflich zu mir kam – da waren sonst Gräber! hätte ich gern laut jauchzend geantwortet, auf das Allleben deutend, das mich umgab.

    Ich ging einsam durch die Straßen, indem ich den Lohnbedienten einen Auftrag gab, vor Johannes von Müllers Hause vorüber, dann vor Blau seinem, dann noch einmal über den Auferstehungsgarten an der Emmeranskirche links herauf – da wohnte Huber, ein paar Gassen weiter war Georg Forsters Wohnung. Jetzt taugte ich nicht mehr unter Menschen. – Ich eilte, rechts vom Münsterthor einen alten Weg zu suchen, an einem kleinen Brunnen, den ich sonst kannte. Alles war anders, aber sein Wasser floß noch, und hier durften auch meine Thränen fließen. Diese Menschen, wie sah ich sie streben, hoffen, kämpfen, und endlich die Wogen des Schicksals über sie zusammen schlagen, und stolz fort sich wälzend, wird sie ihr Andenken vertilgen. Ihr Andenken, aber nicht die Spuren ihres Wirkens in 29 der ganzen wunderbaren Verschiedenheit ihres Willens und Vermögens. Ruhet sanft in euren weit zerstreuten Gräbern! auf den verschiedensten Wegen strebtet ihr nach einem Ziel – Licht, Liebe, Leben.

    Nach diesem Momente konnte in Mainz mich nichts mehr anziehen. Ich ging durch das viel erweiterte Gartenfeld, welches in wenig Jahren ein Lustwald sein wird von Obstbäumen, Blumen und Alleen, in die neu gepflanzte schon herrlich gediehene Rheinallee. Eine vierfach gepflanzte Reihe von Linden, Pappeln und Akazien, wird hier bald die ehemaligen Schatten ersetzen. Dort nahm ich einen Kahn, und fuhr hinüber nach Biberich. Die Abendröthe vergoldete den Rhein, die Wellen spielten um das kleine Fahrzeug, ich verlor mich in den Andenken an die Vergangenheit, und der ewigen Erneuung alles Vorhandnen. Wie die spielenden Wellen, stets eine der andern ähnlich, immer wieder eine andere ist, wie der hüpfende Lichtstrahl auf ihr, stets blendend auf unermeßlichem Pfade in jedem Moment ein andrer zu uns gelangt, so war auch des Menschen Geist immer sich gleich stets anders, alles Gute immer wandelnd stets gut, und jener Männer Leben, 30 die in Ost und West nun schlafen, nicht vergeblich gelebt. Eine sanfte Stimme machte mich hier aufmerksam. Um die nahe Petersinsel fuhr ein Nachen her, ein junges Weib sang darin. Ich hätte sie schon länger hören sollen, meine Betrachtungen hatten mich daran verhindert, jetzt waren es die letzten Worte von Theklas Gesang, die ich vernahm: „ich habe gelebt und geliebet.“ Sie schwieg, alles schwieg. Die Schiffer hielten eine Weile mit ihren Rudern inne, und meine Wehmuth ward zur himmlischen Ruhe. –

 

 

31 Dritter Abschnitt.

 

Ende Jul. 1809.

Ich folgte dem Rath meiner Freunde und ließ mir in Mainz für mich und meine lieben Reisegefährten ein paar Plätze in dem Postschiff nach Cölln zusichern. Es sollte angenehm, sicher, bequem sein, es war wundersam ökonomisch, und es war mir als gehöre es mit zu der völlige Entfremdung meiner jetzigen Umgebungen, auch einmal eine völlig fremde Art zu reisen zu versuchen. Frau von Stael sagt in der Corinna einige sehr tief gefühlte Worte über die Empfindung beim Reisen:

„Reisen ist, was man auch sagen mag, eines der traurigsten Vergnügen des Lebens. Wenn man sich in einer fremden Stadt wohl fühlt, so ist es immer, weil man schon anfängt da einheimisch zu werden. Aber unbekannte Länder durchstreifen, eine Sprache reden zu hören, die man nur nothdürftig versteht, mensch32liche Gestalten sehen, die sich weder an unsre Vergangenheit noch an unsre Zukunft knüpfen, das ist Einsamkeit und Absonderung ohne Ruhe, ohne Selbstgenuß. Denn dieses Streben, diese Eile, da anzukommen, wo uns niemand erwartet, diese Unruhe, wovon Neugier der einzige Grund ist, kann uns wenig Achtung für uns selbst einflößen, bis zu dem Augenblick, wo die neuen Gegenstände schon ein wenig alt werden, und um uns her einige sanfte Bande des Gefühls und der Gewohnheit stiften.“

Wie viel ließ sich noch hinzusetzen, besonders von der Wirkung der gänzlichen Vereinzelung, die ein Weib auf Reisen in ganz fremden Gegenden empfindet. Wir haben gleichsam gar keine Bürgen unsrer eignen Persönlichkeit, wenn wir von unsern gewohnten Umgebungen getrennt, sei es auch noch so sicher geschützt, in der Welt stehen. Zurückhaltend, schweigend, unser Innres vor dem fremden Auge verschließend, wie es Sitte und weibliches Gefühl uns auflegt, verlieren wir gegen die Außenwelt alle Individualität, wir erscheinen gleichsam im abstrakten Begriffe als Weib. Daher sich auch Männer nicht karakteristischer zei33gen, als gegen eine anständige einsame Fremde, bei zufälligen Zusammentreffen auf Reisen. Allein mich könnte eine solche Vereinzelung, wenn sie dauerte, um den Verstand bringen. Nach drei Tagen ist mirs, als wäre ich ein abgeschiedener Geist, und alles was ich bin und mich angeht, fremde Dinge, wie alles andre um mich her. Die stete Veränderung der äußern Gegenstände und das stete Schweigen über ihre Wirkung auf mein Gefühl, mein lebhaftes Eindringen in alles fremde Interesse, und starres verhüllen alles meinigen, lähmt alle schnellen Uebergänge meiner Phantasie, verhindert das sich Aneignen der Wahrnehmungen, sie stehen alle erstarrt vor meinem Verstande, und die Welt erscheint mir endlich wie ein chinesisches Gemälde ohne Perspektive, ohne Luft, schauderig, als stünde ich außerhalb des Lebens, und blickte in seine bunten Scenen hinein.

    Unsre Koffer waren gepackt, unsre Geräthschaft gerüstet. Den ... Juli nahmen wir Abschied von unsern gastfreien Freunden in Moosbach, und gingen nach dem einige hundert Schritt entlegenen Bibrich, wo, der Abrede gemäß, das Postschiff landen sollte. Die Bestellung war so 34 vorsichtig gemacht, war durch die Hände eines Mannes gegangen, dem sein Amt Einfluß auf die ganze Schiffergilde giebt, wir glaubten uns also ganz gesichert. Der Morgen war schön, und nach dem gestrigen Regen küßte die Sonne überall blitzende Juwelen von den Blumen und üppigen Weinranken hinweg. Man hatte uns gerathen, doch lieber um sechs Uhr schon an dem Ufer zu seyn, damit die andern Reisenden, die von oben herab kämen, nicht warten müßten. Durch unsre Pünktlichkeit getrieben, waren wir denn auch wirklich vor sechs Uhr schon schwimmfertig, und waren es noch um neun Uhr, ohne daß ein Postschiff sich blicken ließ. Von sechs bis neun Uhr warten! – und wär es auf den Auen Elisiums, und wär es in Abrahams Schooße, so hielt das keine menschliche Geduld aus. Daß die meinige schon längst erschöpft war, merkte kein Mensch, denn ich machte es den Leuten so anschaulich, daß es ein wahrer Genuß sei, hier mit Muse die schöne Natur zu bewundern, daß keiner sich unterstehen durfte auf die Schiffer zu fluchen, sondern, wenn auch mit Galle im Herzen, sich über die ausgedehnte Gelegenheit, sie zu genießen, freuen mußte. Das nun abgerechnet, daß wir in 35 diesem Augenblick gar nicht berufen waren, sie drei Stunden lang aus diesem Standpunkt zu beobachten, war sie wirklich unendlich schön. Mainz lag so ruhig an der stillen Fluth, die seine Mauern mit Lichtströmen umspielte, das Ufer, die Inseln blickten so jugendlich froh der steigenden Sonne ins Antlitz – man begriff nicht, daß dieser liebliche Schauplatz je von Kanonendonner, je von Kriegsgeschrei beunruhigt worden war. Die gute Mutter Erde hatte fleißig gearbeitet, und es war ihr wohl gelungen, die Spuren aller Wunden zu decken, welche die rauhe Hand ihrer Kinder ihr schlug. Aber diese Kinder hatten auch thätig geholfen. Wie viel besser sind beide Ufer angebauet, als vor zwanzig Jahren! Um Moosbach her hat der Ackerbau ausnehmend gewonnen. Hier sah ich auch eine Bauart angewandt, von der mir bisher nur in Obersachsen einige Versuche vorgekommen waren. Ein sehr verdienter Landwirth dieser Gegend hat nähmlich Mauern und Häuser von Erdmauern, was im Französischen pise heißt, aufgeführt, die nach mehrjähriger Dauer ihrem Endzweck vollkommen entsprechen. Die Mauer ist so scharf gezogen, und steht so fest, daß sie dem Aeußern nach musterhaft ist, eine Scheune 36 und ein Wohnhaus widerstehen eben so wie diese dem Wetter, und sind äußerst trocken und warm. Der Anwurf muß ohne Zweifel sehr sorgfältig, und das Material dazu sehr gut seyn; wenn dieses berücksichtigt wird, ist diese Bauart für viele Gegenden gewiß ein unschätzbarer Vortheil. Die Gebäude waren bis unter das Dach von Erdwällen aufgeführt, und das Dach hatte bei der Scheune anch noch eine ungewöhnliche Form, durch welche der sinnreiche Eigenthümer viel Raum zu gewinnen hofft. Der Giebel ist nicht im Winkel mit dem Gebäude, sondern steigt bogenförmig auf wie ein gothisches Fenster, so, daß die ganze Wölbung für den Raum gewonnen wird. Natürlich kann das Dach bei dieser Figur nicht von Balken gezimmert werden, sondern die Stützen werden von sechs- oder achtfachen Brettern zusammengesetzt, die mit Nägeln fest verbunden und durch ihren Bau den Quatern eines Gewölbes ähnelnd, eine äußerst feste Stütze für die Ziegel ausmachen. Bauverständige werden diese Bauart, ihre Vortheile und Nachtheile wohl kennen, da ich aber an Layen schreibe, und wir in unsern Gegenden keine Steine, und viel elende Hütten haben, so wird euch, ihr Lieben, dieser Bericht 37 nicht ohne Interesse seyn. Ein paar so fleißige und einsichtsvolle Landbauer, wie der Besitzer dieser Häuser, könnten unsrer Gegend unendlich wohlthätig werden. Dieser Mann geht einen so weisen Weg in der Anwendung neuer Methoden, und beibehalten, oder doch wenigstens berücksichtigen alter Gebräuche. Er ist einige Monate bei Fellenberg in Hofwyl gewesen, hat manches Ackergeräthe dort gebrauchen lernen, und angeschafft, und führt es behutsam, ohne Eile und besonders ohne Geräusch, in den Fällen, wo es nutzen kann, in seiner Feldwirthschaft ein. Bei ihm sah ich auch den ersten Branntweinkessel von Holz, wo die Masse durch einen in der Mitte des hölzernen Kessels geheizten Ofen, zum Kochen gebracht wird. Seine Branntweinbrennerei ist sehr ansehnlich, und er findet bei dem Gebrauch dieses Kessels alle Vortheile der ehemaligen metallenen, und eine Holzersparniß, die diese Erfindung sehr empfehlenswürdig macht.

    Bibrich hat ein sehr schönes Schloß. Gegen den Rhein zu ist in dessen Mitte eine Art Rotunda, welche im Innern auf porphirartigen Säulen mit goldner Verzierung ruhet, und beim Kerzenschein, mit glänzenden Leuten angefüllt, recht 38 schön aussehen muß, indem sie zugleich gegen den Rhein die bezauberndste Aussicht den Strom aufund abwärts, und auf das gegenüber liegende Ufer hat, dessen Anbau den disseitigen bei weitem noch übertrifft, und besonders durch die zahllosen jungen Obstbäume den angenehmsten Eindruck hervorbringt. Es ist ein lieber, sanfter Wohnort, dieses Schloß! Hinter ihm ein artiger Garten, mit alten hohen Bäumen und recht reichen, sprudelnden, plätschernden Wasserkünstchen, die ich nie verwerfe; das freie Element sieht immer aus, als wenn es nur so zum Spaße den Kinderhänden, die es leiten fröhnen wollte – so wie es aber mit seines Gleichen an Freiheit und Größe, mit Luft und Licht in Berührung kommt, da spricht es mit ihnen seine mystische Sprache, und blitzt und lispelt und rausch[t] in die Harmonien der ewigen Natur. – Da sah ich anderswo, bei einer meiner Wanderungen ein Spiel mit Wasser, das so kindisch war, so kindisch! – und mich doch in seiner Eigenheit fesselte, und ahndende Gefühle in mir erweckte. Ich sah einen kleinen Springbrunnen, wie er in allen Schweizergärten zu finden ist, der einen zolldicken Wasserstrahl aus einem blechernen runden Becken empor schoß. Auf diese Röhre 39 legte man eine sehr leichte, in der Größe eines kleinen Apfels, vergoldete Kugel; der Wasserstrahl hob sie Stoßweise bis zu seiner Höhe, und oben blieb sie, ihr Streben herab zu stürzen mit dem Strahl des Wassers kämpfend, in einer hüpfenden Bewegung lange, lange schweben, indeß der Sonnenstrahl sie und das schäumende Wasser wunderbar erleuchtete; nun legten wir eine zweite Kugel in den Wasserstrahl, sie stieg und stieg bis sie die erste erreicht hatte, und nun mit ihr den wunderlichsten Tanz begann. Das dauerte so lange, bis eine geringe Ursache das Gleichgewicht störte, und eine oder beide Kugeln aus dem Strudel herab in das Becken fiel, worauf wir unser kindisches Spiel erneuerten. Ich glaube ihr findet das sehr geringfügig, und dennoch hatte das Kämpfen der Kugel in den hüpfenden Wassertropfen ihr Streben nach Unten, und das aufgedrungene Gleichgewicht, in dem sie schwebte, und das glänzende Flimmern des goldnen Apfels in den crystallnen Tropfen, etwas sehr Anziehendes für meine spähende, ahnende Phantasie.

    Nun, mir däucht die drei Stunden, die wir warteten, sind mit diesem Geschwätz wohl ausge40füllt worden. Wir brachten sie mit keinen wichtigern Betrachtungen zu, und erhielten endlich die artige Nachricht, das Postschiff sei vor anderthalb Stunden hinter den Inseln am jenseitigen Ufer vorüber gefahren. Die ganze Gesellschaft sah jetzt etwas dumm aus. Unser gütiger Wirth sagte uns einige verbindliche Dinge über die Freude, uns wieder nach seinem Hause zurückzuführen, die nur bedingt wahr waren, die wir mit eben solchen nur bedingt wahren beantworteten, worauf wir mit anscheinender Seelengröße wieder nach Moosbach zurückzogen. Meine Papiere waren eingepackt, meine Bücher, unser ganzes Gepäck blieb in Bibrich, um den folgenden Morgen bei einem zweiten Versuch abzureisen, gleich bei der Hand zu sein, und nun hatte der Tag noch viele Stunden, die ich auszufüllen gar kein Mittel hatte, als mein Strickzeug. Das ist eine beschränkte Beschäftigung! Plötzlich lernte ich die Wege des Schicksals verstehen. Dieses mir aufgedrungene Geschenk von vier und zwanzig müßigen Stunden, war zu einem Besuch in Elfeld bei eurer alten Bonne bestimmt. Ich folgte dem Winke der waltenden Macht, und traf Anstalten, daß mich das morgende Postschiff nicht zu Bibrich, 41 sondern im Rheingau zu Elfeld abholen sollte. Nachmittags nahm ich mit meiner lieben * * in Bibrich einen Nachen, lud all unser Gepäck darauf, und so schwammen wir auf der bräunlichen Fluth fort. – Den Ruf der Schmaragdgrünheit hat der Rhein dieses Jahr völlig verloren, er war trübe, und blieb es je weiter wir herunter fuhren, besonders war der Einfluß der bei Bingen einströmenden Nahe so übermächtig, daß es mir schien, als erholte sich der große Fluß gar nicht mehr von dieser Mesallianz, bis ihm sein seichtes Bett gegen die Niederlande zu ohnehin alles Karakteristische benimmt. Unser kurzer Aufenthalt in Elfeld hätte sich zu einer rührenden Episode in einem moralischen Roman geeignet. Wiedersehen, Dankbarkeit, jugendliche Zuneigung, Erinnerung an Kinderjahre – es freute mich herzlich, diesen Weg genommen zu haben. Indeß * * mit der guten Alten ein paar Gärten besuchte, saß ich, und schrieb einen langen Brief an euch, meine Lieben, und am folgenden Morgen rufte [sic] uns das Postschiff zur Fortsetzung unsrer Reise ab.

    Also waren wir nun wirklich auf dem Postschiff. Dieses Mal, meine guten Lieben, macht die allgemeine Beobachtung zu schanden, daß anderer 42 Erfahrung niemand klug mache – geht nie auf das Mainzer Postschiff! – Man hatte mir das Ding eine Jagd genannt, und hatte mir von Cajüte und Verdeck gesprochen, und von promeniren auf dem einen, und seine Bequemlichkeit haben in der andern. – Hilf Himmel, wie ward mir! Nachdem wir bei rauhem Wind und Regenschauer vom Ufer, wo unsrer Alten ihre ganze Sippschaft versammelt war, um uns Heil und Segen zu wünschen, in einem kleinen Nachen an das Schiff gerudert waren, schob man uns in einen Verschlag, wo auf zahlreichen Bündeln einige verwundete französische Soldaten lagen. Dagegen hatte ich nichts, sie kamen von der Donau, und jedes Geschöpf, was daher kommt, hätte ich gern sanft gebettet. Nun drang ich durch eine enge Pforte in einen schmalen Raum, wo auf hölzernen Bänken gegen zehn Personen uns neugierig ohne höflich zu seyn, entgegen sahen. Drei schwangere Frauen, ein paar dem Handelsgotte gewidmete Jünglinge, und einige problematische Wesen, von denen allen ich jedoch einen Maire einer Stadt vom linken Ufer ausnehmen muß, der ein feiner Mann zu seyn schien, und sich sehr abgesondert und unabhängig hielt – daraus bestand 43 die Gesellschaft. Dennoch kann ich von allen wie Antonius bei Cäsars Leiche versichern, sie waren sehr ehrenwerthe Männer, und auch der eine von ihnen, der einen großen Ulmer Pfeifenkopf so unaufhörlich im Munde führte, daß ich auf den Verdacht kam, er sey mit ihm geboren worden, war auch gewiß ein sehr ehrenwerther Mann – allein demungeachtet blickten wir ängstlich nach den ziehenden Wolken, die bei unserm Eintritt milde über unser Schicksal geweint hatten – ihr Auge ward trocken – sie gaben uns wahrscheinlich den Unterirdischen dahin, und wir schlüpften auf wunderlichen Wegen zu dieser Höhle heraus auf das nasse Verdeck. Da nahm nun der Mast die Mitte eines sechs bis acht Schuh breiten Raumes ein, ein Brett, welches angelegt wurde um zu landen, lag queer über die wackeligen Balustraden des Verdecks, die, nur einen Schuh hoch, keinen Menschen, noch Dinge verhinderten ins Wasser zu rollen. Auf diesem nassen Brette schlugen wir unsre Residenz auf. Aus der Schlucht, welche in die Unterwelt führte, tauchte von Zeit zu Zeit einer ihrer Bewohner auf, und fragte – erinnerten sie mich doch an Dantes Hölle! – nicht: was ists an der Zeit? sondern: was ists für Wetter? 44 ich antwortete ihnen aber immer wie Dantes Teufel: schlechtes Wetter, schlechtes Wetter! Denn damit hoffte ich sie unten zu halten in ihrem Schwefelpfuhl. Nach und nach ward ich doch mit ihnen bekannt, ohne selbst aus meiner Stummheit herauszugehen. Die Mercuriussöhne machten sich besonders bemerklich, denn das ist ein gar zuversichtliches Geschlecht, das sich, so lange es Dütchen macht und Ballen bindet, sehr sorgenlos über die Welthändel und zufrieden mit seiner Miniatur-Individualität umher bewegt. Das leichte junge Blut erzählte sich von den Frankfurter schönen Damen, las sich endlich gar Verse von ihnen vor und schrieb sie sehr mühselig ab – ich denke ihre Handelsbriefe schreiben sie schneller, sonst hätten ihre Herrn Prinzipale klagen müssen. Wie die Sonne heraus kam, krochen die französischen Soldaten auf das Verdeck, sie waren alle verwundet, und gingen in ihr Depot, die Verstümmelten in ihre Heimath zurück. Der eine erregte wehmüthige Empfindungen in mir. Ich bezeigte ihm meine Theilnahme wegen seinen lahmen Fuß. „Das ist nichts, antwortete er bitter, Ermüdung zu tragen und Wunden, das ist leicht, aber Verachtung, das thut weh. Auf meine Antwort, die ihr 45 euch denken könnt, sagte er: Doch, man verachtet heut zu Tage den Krieger; wo wir hinkamen mißhandelte man uns und unser Blut und Leben erkauft uns Undank – warum schlagen sich diese Menschen nicht selbst, wenn sie unsre Hülfe nicht wollen?“ – Ein anderer trug den Arm in der Binde und sang fröhlich in die Lüfte; ein paar andere saßen und scherzten von ihren Schlachten, und erzählten sich wo sie gefochten hatten, denn hier führte sie der Zufall zusammen. Der Misanthrop ward in Regensburg verwundet und hatte dann zwei Monate in Ulm im Hospital gelegen, der andere ward bei Landshut verabschiedet. Der eine Handelsmann im Keime, setzte sich zu ihnen, und ließ sich erzählen. Nun gings an ein Schwatzen, von dem ich, beim Wellen- und Ruderschlag in der Entfernung nichts Zusammenhängendes verstand; es mußte von einer Anrede, oder irgend einer andern Persönlichkeit des Kaisers die Rede sein, denn sie riefen mehrere Male: vive l’ Empereur! und die beiden einarmigen schwangen dabei was sie noch an Armen übrig hatten. Das ist ein wunderliches Volk! Der Misanthrop erzählte eben so lebhaft wie die andern – er mochte den Punkt fühlen, der sein verletztes Gefühl heilte.

    46 Das Wetter, obschon es nicht recht freundlich war, erlaubte uns, den ganzen Tag auf dem Verdecke zu sein; allein mein Plan, recht viel auf dem Schiffe zu schreiben, recht still in mich gekehrt der Gegend zu genießen, war ganz unausführbar. Oft gelang es mir zwar, mich von den widrigen Tönen und Gestalten um mich her, ganz abzuziehen, und dann schaute ich um mich, und war bei euch, und schweifte in der Vergangenheit umher, deren reiche Erinnerung sich vielfach an die Gegenwart anknüpfte. – Ja, ich hätte wahrscheinlich bei den günstigsten Umständen die Feder nicht angerührt, nur mit mehr Ruhe und Genuß hätte ich geschwärmt. Gewiß giebt es kein sichereres Mittel jeden Eindruck zu schwächen, als wenn wir jeden vorkommenden Gegenstand mit einem größern ähnlicher Gattung vergleichen. Mir hat mancher Reisebeschreiber damit böse Laune gemacht, wenn er den plauischen Grund eine Alpengegend, und die Elbe eine Silberfluth nannte. Eine Menge solcher Vergleiche und Exklamationen vom Ungeheuern, Majestätischen, Himmelhohen und Grausenvollen, drängten sich mir bei unserer Annäherung nach Bingen in das Gedächtniß, und ich mußte recht eigentlich über mich wachen, um 47 nicht aus heiliger Auflehnungssucht gegen die deklamatorischen Beschreibungen der Rheinfarth, diese Gegend nun wirklich mit der Schweiz zu vergleichen. Durch einen besondern Umstand veranlaßt, drang es sich mir aber doch, obschon ohne alle Partheilichkeit, auf. Der Weg von Solothurn nach Basel hat wirklich eine sonderbare Aehnlichkeit von der Rheinfarth von Bingen nach Coblenz, in so weit schroffe Felsen, und alte Schlösser ihn karakterisiren. So wie man hier auf dem Rhein, als der Tiefe eines Felsenthals fährt, fährt man dort auf der Chaussee. Am Rhein sind alle Fleckchen fruchtbarer Erde mühselig mit Reben bepflanzt, auf der Schweizerstraße wächst auf ihnen frei und fröhlich grünes Gras. Hier stehen hart am Felsenufer rauchige Steinklumpen, wo die Menschen aus schmutzigen Mauerlöchern herausgucken; dort freundliche Hütten auf den kleinen Auen am klaren Bach. Dort fahre ich auf staubigem, brennenden Felsweg, klimme herauf, und klettre herab; hier gleitet der Nachen auf der kräuselnden Fluth. Aber der Unterschied zwischen den hohen Ufern, zwischen denen ich hier durchfahre, und den untern Stufen majestätischer Bergreihen, zwischen denen ich dort hinschreite, 48 ward mir besonders merklich bei dem Anblick der alten Burgen. Dort am Solothurner Wege stehen die mächtigen Trümmern in der Nähe des Weges – der auch zur Zeit ihrer Erbauung einer der Durchzüge von Deutschland nach Italien seyn mochte, – auf hohen Hügeln wie die anscheinende Kleinheit der Thürme beweißt, an denen man, wenn man nahe dabei ist, dennoch den Kopf hoch aufhebt, um sie zu messen; aber diese Hügel mit ihren hohen Thürmen, reichen den hinter ihnen liegenden ganz nahen Bergen nicht bis an das Drittheil ihrer Höhe. Ernst und dunkel steigen diese hoch, hoch über das Menschenwerk hinaus, und wo ihre Tannen und Felswände aufhören, ragen die Schneefelder der noch höhern Gebirge glänzend im Aether über sie alle empor. Auf dem Rhein sind uns die Gegenstände, um wahrhaft malerisch zu seyn, schon in zu großer Nähe – die Ufer, die Mauern beängstigen mich, und so wie ich herauf und herab eine der Ruinen betrachte, gewahre ich, daß ich nicht in einem Gebirgsthale, sondern zwischen einem hohen Ufer fahre – die Trümmern haben überall den Himmel zum Grunde, sie sind der höchste Punkt.

    49 Höchst erquickend ist die Wirkung, wenn man sich ganz von der gegenwärtigen Zeit abziehend, in jene Zeiten versetzt, wo diese Burgen bewohnt waren. Wie in allen diesen Felsennestern die Gewaltsamkeit herrschte, die Selbstrache zum Richter gestempelt war; wie alle diese Hütten am Ufer mit ihren arbeitsamen Bewohnern der Willkühr jener ausgesetzt waren; wie die Betglocke der einzige Friedenston war, und Priesterkünste das einzige feindliche Regiment. Ich sah die alten Ritter in ihren verworrenen Begriffen von Freiheit und Vorrechten – zwei unvereinbaren Ansprüchen – aus ihren Schloßpforten ausreiten, sah die Hausfrau aus den kleinen schmalen Fensterchen, den Rosenkranz in der Hand, ihnen betend nachblicken; hörte den Pilger an dem Thore läuten und ihn gastfrei bewirthet den Wissenstrieb des Hofgesindes mit abentheuerlichen Erzahlungen nähren, die dazumal unter so vielem Falschen, dennoch den zarten Keim der Wissenschaften zu erhalten beitrugen. Mir wars als sähe ich Abends noch das kleine Lämpchen aus dem dunkeln Gemache herausblicken, und die wackre Edelfrau an der Wiege ihres kranken Herrleins wachend, in der stillen Nacht die Wellen des Flusses behorchen; – 50 dann bemerkte ich in einer Reihe etwas größerer Fenster die Halle, wo in roher Lust die Becher klangen, und erblickte im fernen Bethäuschen, dessen Kreuz hinter dem Felsen hervorsteht, den frommen Klausner, der die Hora läutend, durch die Kluft her den Becherklang hört, indeß der Ton seiner Glocke unten am Ufer einem Sterbenden, oder im Schloßkerker einem Unterdrückten Trost und Stärkung giebt. Mir ward ganz unheimlich bei der Lebhaftigkeit meiner Vorstellungen. Ich sah den Rhein herauf, wie der unglückliche Kaiser Heinrich in Speier den niedern Dienst eines Kirchenknechts, um seinen Unterhalt zu sichern, vergeblich flehte, ich sah hinab, und erblickte seinen Leichnam unbegraben in Lüttich stehen, sah jede einzelne Völkerschaft Deutschlands mit der andern in Krieg die Abgründe erweitern, die endlich das Volk einer Sprache zu den unversöhnlichsten Feinden gemacht hat, die insgesammt tief gesunken, sich noch mit ihren eignen Fesseln zerfleischen. – Unwillig wandte ich mein Gesicht ab – nicht von jenen Zeiten, die in der Kette der Dinge klar dastehen, aber über jene Menschen, die uns jene Zeiten als das Blüthealter der Nation vorstellen. Welche herrliche Blü51the! an ihren Früchten erkennen wir sie, und können stolz darauf seyn.

    Warum uns doch Ruinen der Vorzeit so poetisch aus uns selbst führen, indeß neue Ruinen uns so beengend an uns selbst mahnen? In jenen Mauern, aus welchen hohe Bäume zu wachsen schon Zeit hatten, freute man sich und weinte, wie in diesen Trümmern, wo die schwarzen Steine noch den Gang der Flamme bezeichnen. Alle die Schmerzentöne, die in jenen Gewölben verhallten, thun dir also gar nichts, weil ein paar Jahrhunderte über sie hinflogen? – Der Bewohner dieses Schlosses, dieses Hauses, das vor wenig Jahren der Krieg zerstörte, fand bei seinem nächsten Nachbar Schutz, sein Gewerbe, oder die Verhältnisse des Landes gaben ihm Mittel neuen Unterhalt zu finden, oder übrige Hülfsquellen zu benutzen. – Welche Rettung aber blieb den Geplünderten, Abgebrannten jener Jahrhunderte? die Rettung der Knechtschaft aufs höchste, – der Lehnsherr ließ sie nicht ganz untergehen, weil sie zu seinen Viehheerden gehörten, außerdem der Hungertod in den Wäldern, und die Erlösung durch die Pest, welche langen Kriegszügen auf dem Fuße nachfolgte. Das Schicksal jener 52 Ruinen, von einem Häuflein Reichstruppen berannt zu werden, wird unsrer Wohnung nicht nahen, doch so wie der Besitzer dieser Häuser, könnte auch deines eine Haubitze zerstören, deswegen hast du beim Anblick jener alten Ritterburg Zeit zu schönen Empfindungen, die Trümmern des verfloßnen Jahres mahnen dich aber an das Unglück, was dir selbst noch drohen kann. Dieser Unterschied zwischen alten und neuen Ruinen ist nirgends auffallender als in St. Goar. Auf dem Abhange des Berges liegt das alte Schloß, das vor dem Kriege eines der schönsten am Rheinufer war, in großen, schönen Massen zertrümmert, unten am Ufer stehen die Mauern der schönen Casernen, die etwas später, wie ich glaube, zerstört wurden. Als Gegenstand der Darstellung scheint es mir leicht wahrzunehmen, warum die Trümmern aus dem dreizehnten Jahrhundert vortheilhafter erscheinen, wie die aus unsrer Zeit. – Die Unregelmäßigkeit jener Bauart, die getrennten Massen, geben der Phantasie Spielraum, sich in jedem Einzelnen noch etwas Ganzes zu denken, und in der Trümmer ist noch Größe; dagegen eine Fronte, die in gerader Linie dreißig Fenster hatte, wenn sie theilweise eingestürzt ist, nur 53 schmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie der runde Thurm, das hohe Gewölbe des Mittelalters, noch die vollendete Säule der Vorzeit.

    Der widrige Wind und die Saumseligkeit der Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe gorge übernachteten, wie ich sie auf meinen weitläuftigen Kreuz- und Queerzügen nie widriger antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den Leuten ganz fremd, die Forderung von Waschwasser und dergleichen Toilettenbedürfnissen behandelten sie wie einen völlig ungereimten Einfall, und ein Frühstück, das wir um halb drei Uhr haben wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufahren im Sinne hatten, schlugen sie uns geradezu ab, weil so früh niemand Feuer mache. Da des Menschen einziger wahrer Besitz Erfahrung ist, stiegen wir, sehr bereichert an diesem Schatz, aber mit sehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf unser Verdeck. Der Mond sank gegen das westliche Ufer hinab, dunkle Wolken gingen vor ihm vorüber, durch die er zuweilen wehmüthig und glanzlos durchblickte, bis er endlich, selbst einer blassen Wolke gleich vor einer gelblichen strahlen54losen Morgensonne verblich. Der Morgen war trübe wie das Schicksal, und die Gegenstände folgten sich verworren und gestaltlos wie die Thaten der Menschen. Ein Umstand trug noch dazu bei, mich den Morgen mit wehem Herzen anfangen zu lassen. Die verkrüppelten Krieger, welche mit uns fuhren, und bei weitem die selbstständigsten, unlästigsten Mitglieder der Gesellschaft waren, hatten bei unsrer Ankunft am dem vorigen Abend um neun Uhr Einquartierungsbillets erhalten. Die weniger Kranken waren die ersten auf dem Platze, besonders ein handloser Geselle sang und schäckerte schon um zwei Uhr vor der Thüre des Gasthofes; allein zwei völlig Lahme, die mir bei unsrer Ankunft im Herzen weh thaten, wie sie mit ihren zwei Krücken, ohne daß einer der rüstigen jungen Mitreisenden ihnen half, das weiche steile Ufer hinauf klimmten, in dem ihre Stützen immer stecken blieben, diese zwei Armen waren in der zur Abfarth bestimmten Stunde noch nicht da. O das rohe Schimpfen, Spotten, Schmähen, mit dem diese Menschen erwartet wurden, das grimmige Schweigen ihrer Kameraden! Endlich nachdem Schiffer und Schiffgesellschaft, lauter Deutsche, ihren Witz erschöpft hatten, 55 ruderte das Schiff fort, die beiden Verstümmelten zurücklassend, ihre Bündel nahmen sie mit, die wollten sie in Koblenz ans Land werfen, es würde nichts darin seyn, das zum Stehlen verführte. Ich setze gar nichts hinzu. – Möchte doch aber von diesen Männern, einer oder der andere, wenn ihm vielleicht in wenig Wochen die Reihe trifft gegen den Feind zu ziehen, möchte er in eure Nähe kommen, meine Lieben, möchtet ihr eure Pflichten als Menschen und Bürger gegen ihn erfüllen können, wie ihr es gegen so viele, viele thatet. Vielleicht dächte er dann, gelabt, gepflegt, seine zerschmetterten Glieder von eurer Hand unterstützt – vielleicht dächte er dann an seine niedrige Härte gegen seine Mitbürger in Boppart. Besonders die beiden Ladendiener, die gestern empfindsame Verse abgeschrieben hatten, erregten meinen Unwillen, die waren jung und hatten den vergangnen Abend bei einigen Flaschen guten Rheinwein verlebt, aber bei dem Warten einer halben Stundüe fiel es keinem ein, hinzuspringen und die Säumenden zu rufen, und wie bei der Ankunft die Lahmen im tiefen Sande strauchelten, lachten sie läppisch über die komischen Geberden, und keiner bot ihnen den Arm.

    56 Bis nach Koblenz, welches wir nach einigen Stunden erreichten, war der Wind ziemlich ruhig. Das artige Städtchen gewährte uns in einem sehr saubern Gasthof ein gutes Frühstück, welches meine gute * * mit mir an einem Fenster am Rhein einnahm, das die Aussicht auf Ehrenbreitenstein hatte. Koblenz hat nach meinem Bedünken eine der schönsten Lagen die Deutschland gewählt. Die verfallnen Mauern des alten Churfürstlichen Schlosses werden einst von dem Hügel hinweggeräumt werden, der mit seinen zerstörten Festungswerken noch immer einen malerischen Anblick gewährt, vielleicht deckt ihn der Genius des Friedens so lange mit seinem Fittig, daß Bäume da emporwachsen, wo jetzt die öden Steinhaufen stehen. – O dazu schuf die Natur diese felsige, kühne Höhe, nicht zum Untergang der stillen Hütten an ihrem Fuße, der fröhlichen Menschen in der guten Stadt gegenüber.

    Ganz erquickt von dem Frühstück, dem Aufenthalt in einem schönen Zimmer, und einem heiteren Himmel, der zu glänzen begann, bestiegen wir nach einer kleinen Stunde von neuem unser Fahrzeug. Unsre Reisegefährten hatten sich nach und nach alle zerstreut – in Bingen, Boppart, 57 Koblenz zogen sie ihre Straßen landeinwärts, uns blieb noch eine ehrliche Bürgerin aus Neuwied, die Verwandte am Oberrhein besucht hatte, und dabei eines kleinen Handels mit Putzwaaren pflegte, wie sie uns, auf ein paar ungeheure Pappschachteln zeigend, anvertraute. Die gute Seele ist unschuldig an den Moden die sie verbreitet, sie weiß gewiß nicht was sie thut. Ihr eigner Anzug war der Beweis, daß ihr eignes Beispiel keinen Modeleichtsinn lehre. Sie war so sauber und altfränkisch gekleidet, daß ich sie, bis das Geheimniß der Pappschachteln ans Licht kam, für eine Herrenhuterin hielt. Wie Neuwied an der Wasserfläche erschien, ging ihr das Herz auf – sie bahnte und putzte an ihrer schwarztaftenen Schürze, und erzählte mir – die sie bis jetzt unsrer Verdecksresidenz wegen, noch gar nicht gesehen hatte, daß in Neuwied eine verheirathete Tochter und zwei Enkel ihrer warteten. Guter Gott! wie freute mich die Frau mit ihrer verschämten, vertraulichen Mittheilung; ich sagte ihr, daß ich von meinen Kindern und Enkeln abwärts reiste, auf dem Strom der sie zu ihnen führt, und prieß sie glücklich. Wie können die Menschen mich rühren, die da abblühen wo sie entsproßt sind, die Sonn58tags den Kirchhof besuchen können, wo ihre Eltern schlafen, und am Neujahrstag Enkel und Kinder zu einem Familienmale laden. Mir ist das so heilig, wie die Unschuld eines Kindes. –

    Nachdem diese gute Großmama bei Neuwied ans Land gerudert war, blieb uns nur noch ein Frauenzimmer übrig, die in jedem niedrigkomischen Roman eine Rolle hätte spielen können. Eine Berlinerin wie sie sagte, und ihre Sprache nicht widerlegte; sie war mit ihrem Manne in irgend einem Dienstverhältniß mit einem französischen General, von dem sie immer sprach als müßte er mir so bekannt wie mein leiblicher Vetter seyn, ihn aber nur „den General“ nannte, als habe Frankreich und die Welt keinen andern, was mir denn vieles Denken ersparte, weil ich mich bei ihrem widrigen, anmaßenden, und dennoch überall nach Armseligkeit schmeckenden Geschwätz, gläubig an den abstrakten Begriff eines Generals hielt. Sie wollte zu ihren Schwiegereltern nach Crefeld, und ängstigte sich sehr über die Mittel eine Anzahl Muselin und Basinreste, durch die Douane bei Cölln einzuschwärzen. Ich rieth ihr eine Art Unterrock daraus zusammen zu reihen, welches keinen Verdacht erregen werde, 59 welchen Rath sie zu meiner unendlichen Freude befolgte. Da sie hochschwanger war, ward sie davon so dick wie eine Tonne, wodurch sie bei ihrer ansehnlichen Länge zu einer wahren Karrikatur ward. Wie es bei der Douane aussehen würde wußte ich nicht, es kümmerte mich aber auch nicht, da ich alle Uebertretung des Gesetzes verabscheue, und besonders dieses so leicht zu befolgende, das nur aus Uebermuth oder der rohesten Unfeinheit von einem Frauenzimmer übertreten werden kann, da sie sich stets gegen die Douaniers aussetzt, aber diese mochten sich fürchten mit dieser Virago Händel zu bekommen, denn ich sah sie bald nach unserer Ankunft in Cölln über die Straße gehen – sie hatte ihren künstlichen Unterrock also glücklich eingeschwärzt.

    Von Neuwied aus begann der Wind an Stärke und Widrigkeit zuzunehmen. Glücklicherweise hatten wir nun Raum in der Kajüte. Indeß die Berlinerin * * von dem einzigen General erzählte, schrieb ich einige Stunden, und trank Nachmittags sogar Thee auf dem Schiff, wozu ich unsre Reisegefährtin einlud, und ich ihr dadurch wie es schien von meiner Liberalität einen sehr großen Begriff machte. Sie ging in dem Maße 60 in die Rolle einer Kammerfrau zurück, in welcher meine Art von Höflichkeit sie bei einem längern Beisammenseyn belehrte, daß nur der Zufall uns zusammen führe. Dieser sonderbare Akt in dem gemeinen Menschen jedes Standes sich an ihren Platz zu stellen, sobald man selbst an dem seinen steht, ist sehr sonderbar. Er kann sich nur in der conventionellen Welt bilden, und beruhet doch allein auf einer nicht zu übertäubenden Stimme in ihrer innern Natur.

    Sturm und Wellen nahmen von Minute zu Minute an Heftigkeit zu; der Regen schlug an das Schiff, der Wind riß das Seegel mehrere Mal in das Wasser; die Schiffer schrieen und und [sic] schienen mir sehr ungeschickt, denn ehe sie die Seegel auf- und niederließen, bedurfte es einer so geraumen Zeit, daß ein Schiff auf dem Ocean bei gleichem Zeitmaaß übel berathen wär. Wir lavirten sehr nachtheilig, und jedes Mal das wir bei dieser Bewegung an das rechte Ufer kamen, drehte sich das Fahrzeug ein paar Mal im Kreise herum, bis es der Wind im Rücken gefaßt hatte, worauf er es gewaltsam Strom auf an das rechte Ufer zurück jagte; dort angelangt, suchten die Schiffer den Wind ganz schräg mit den See61geln zu fangen, und schifften wieder nach dem rechten Ufer über. Bei dieser Ueberfahrt lag das Schiff ganz seitwärts und schwankte gewaltig. Da ließ sich unter Lienz ein Mann an Bord rudern, der ein guter Schutzgeist in einer sehr possierlichen Gestalt war – so eine alte Chodowiekische Karrikatur von einem Holländer, mit schwarzer Stutzperücke und altfränkischem Rock, breit und unerschütterlich wie ein Fels – der trieb wohl das Schifferwesen aus Liebhaberei, denn so wie er eintrat, stellte er sich an das Steuerruder, und arbeitete mit so ungeheurer Anstrengung, daß seine Emanationen zu der offenen Kajütenthür herein mich überzeugten, daß er in allem Ernst eine menschliche Gestalt angenommen hatte, wenn er gleich ein wirklicher Schutzgeist sey. Ich glaube, daß wir es diesem unbekannten Schweigenden zu verdanken haben, daß die Rheinnixe uns nicht in ihren nassen Schooß zog. Die herzliebe * * sah bei der ganzen Sache, wenn nicht bange, doch sehr fragend aus, und ich? – behauptete meine Gewalt über meine Angst recht meisterlich – das nennen die Zuschauer dann Muth. Unter diesen Umständen konnten wir freilich, wie wir Abends um neun Uhr in Weselingen anlangten, nicht sehr 62 sehnsüchtig seyn, noch drei oder vier Stunden auf dem Wasser zu verweilen. Weselingen scheint ein sehr kleiner Ort, am Rhein steht ein schönes Haus, das eine ehemalige Präbende, oder das Privateigenthum eines Domherrn ist; er bringt wenigstens seine Zeit daselbst zu. Zu meiner Verwunderung fanden wir beim Anlanden hier keine Zollbediente, wie das an jedem Landungsplatze der Fall gewesen war, wo sie sogleich Acht hatten, daß kein Gepäck ohne Untersuchung ausgeladen ward, denn ins Schiff kamen sie nie. Von einer Entfernung zur andern sind am Ufer kleine Hütten gebaut, oft nur wie ein Hundehäuschen von Stroh und Reißig, um sie bei heftigem Sturm zu schützen, und mit einem Säbel bewaffnet gehen sie stets am Ufer einher. Hier in Weselingen gingen wir ein wie in Freundes Land, und ich bemerkte, daß die Schiffer sehr geschäftig waren, und mancher Bekannte in der dunkeln Nacht auf sie wartete. Im Wirthshause saßen mehrere Franzosen beim Wein, die ich für Kriegsleute hielt; auf meine Frage antwortete mir die Wirthin, es sind Zollbediente. Neben der Wirthschaft hatten die Hausleute auch einen Laden, wo Zucker, Kaffee, Taback, Garn 63 verkauft wurde. Das sah denn freilich sehr verdächtig aus, ging mich aber weiter nichts an, nur kann ich hier nicht unbemerkt lassen, daß das Zollwesen vom Volke hier eben so behandelt wird, wie an den meisten Orten die Conscription und die Forstordnung, das heißt, es macht sich nicht das Gesetz zur Regel, sondern die Möglichkeit, das Gesetz zu umgehen. Welchen traurigen Einfluß es auf die Ansicht des Gesetzes im Ganzen hat, wenn sich der Mensch erlaubt, auch das Kleinste als ihn nicht bindend zu betrachten, liegt wohl klar vor Augen. Und leider geben in diesen Fällen die Classen, welche vorangehen sollten im Guten, das verderblichste Beispiel.

    Das Wirthshaus zu Weseling sah so klein aus, daß ich meinen Zweifel ob wir Platz genug finden würden ein Bischen vorlaut äußerte; der Wirth, den ich in dem Helldunkel noch gar nicht bemerkt hatte, sagte sehr heiter: doch wohl! das Haus hätte so viel Platz als wir brauchten, und wenn er erst reicher wär, wollte er es vergrößern lassen. Nun führte uns sein rundes nettes Weib die enge Treppe hinauf unter das Dach, welches 64 bei dem niederen Hause, das nur das Erdgeschoß hatte, gar nicht hoch hinauf war; hier stolperten wir über ein niederes Lager, auf dem, reinlich und stark wie die jungen Löwen, zwei prächtige Knaben von vier und sechs Jahren schliefen. Ihnen zur Seite öffnete man uns ein Zimmer, wohl nur sieben Fuß hoch, weiß wie Schnee, zwei Betten mit grünseidnen Decken, schönen Kissen, in glatt gebohneter Bettstell, und nun forderte man unsre Befehle. Ich forderte Chokolade, die ich oft statt Abendessen nehme, wenn ich zum Theetrinken – das stets mit Einsicht geschehen muß – zu schläfrig bin. In einem Huy war sie fertig, gut bereitet in artiger Fayence aufgetragen. Das nette Weibchen legte schneeweißes Leinenzeug auf die Betten, und erzählte uns, daß ihr Mann viele Jahre beim Marschall * * gedient habe, daß der Krieg sie von ihrem ersten Kindbett an, sieben Jahre von ihm getrennt habe, nun lebten sie wieder sieben Jahre zusammen, und suchten die schweren Zeiten aufs leichteste zu tragen. Dabei war alles so eng, so drollig, und die Mauern des Hauses so dünn, daß ich am Fenster gelehnt, und den Rhein im matten Sternenschimmer betrachtend, immer meinte ich sey noch 65 in der Kajüte, nur einer reinlichern, tröstlichern. Am folgenden Morgen erhielten wir guten Kaffee, sehr gute Milchbrote, und nahmen sehr fröhlich von der Diminutiv-Wirthschaft Abschied. Wer nicht größer und dicker ist wie ich, der gehe in dieses kleine Haus zu Weselingen, er wird sich recht gut befinden.

    Nachdem wir noch fünf lange Stunden zwischen den nun ganz flachen Ufern geschifft hatten, kamen wir gegen zehn Uhr in Cölln an. Die Douane legte mir nicht das geringste Hinderniß in den Weg, ich gab ihr meinen Kofferschlüssel, sie fühlte kaum in den Koffer hinein, ohne die Riemen aufzuschnallen, und sagte mir höflich: „mir würde bekannt seyn, daß ich jede Unannehmlichkeit vermied, indem ich die etwa verbotnen Effekten selbst angäb.“ – Hier am Schlusse meiner Wasserreise rathe ich euch nun nochmals, nie das Postschiff zu besteigen. Frauenzimmer gehören an und für sich nicht dahin, aber auch Männer verfehlen ihren Zweck dabei. Sechzehn Stunden des Tags ist es nicht wohl möglich in philosophischer Abziehung von allen äußern Gegenständen die Natur zu genießen, und sobald dieser 66 verzückte Zustand unterbrochen ist, verdirbt die gemischte Gesellschaft jeden Genuß. Ich bin überzeugt, die welche ich antraf, gehörte zu der bessern, keiner in der Kajüte gehörte zu der untern Volksklasse; in den wenigen Momenten, die ich unter ihnen war, hörte ich nichts, was mein Gefühl für Sittsamkeit beleidigt hätte – aber es giebt andre Schrecken der Natur, und der größte, gerade in einer schönen Natur, ist gemeine Plattheit.

 

 

67 Vierter Abschnitt.

 

Ich eilte in Cölln einen Eindruck zu erneuern, welchen mir längst vergangne Zeiten zurückgelassen hatten, – ich besuchte den Dom. Welch ein herrliches Gebäude wäre er in seiner Vollendung geworden; ich fragte ob ihn der Kaiser nicht gesehn habe, und wünschte, daß man ihn auffordern dürfte diesen Tempel zu vollenden. Ich ging lange in den leeren Säulengängen umher, und genoß die Größe der Kunst und Kraft des Menschen, und dachte der Nichtigkeit alles menschlichen Unternehmens, und den eigensinnigen Willen des Schicksals. – Wenn, dachte ich, wird die Zeit einmal zurückkehren, wo der Ueberfluß der Reichen, der Gemeinsinn aller. Mittel zu solchen großen Denkmählern herbeischaffen wird? Giebt es deren nothwendigere, so setze man sie zuerst, aber man halte doch nicht einen Vereinigungsplatz für unnothwendig, seine Würde und 68 Pracht für überflüssig bei unsern jetzigen Bedürfnissen, wo aller Herzen in manchen Momenten vereint, mag es in den verschiedensten Formen seyn, Gott danken, vor Gott weinen. Ich war in Träume vertieft in den Vorhallen gewandert, ohne in das Schiff der Kirche, welches allein ausgebaut ist, allein eine ansehnliche Kirche ausmacht, zu treten. Jetzt ging ich leise den einen Seitengang hinauf, dem Hauptaltare zu, und der erste Gegenstand den ich erblickte, war eine mit Blumenkränzen geschmückte, mit leichten Muselin umhangene Kinderbahre, neben der einige Weiber beteten. Die Tracht dieser Frauen erhöhte das Ueberraschende des Anblicks. Sie tragen ein großes schwarzseidnes viereckiges Tuch als Schleier und Mantel zugleich, welches, wenn sie knieen, den Gewändern der heiligen Weiber aus der deutschen alten Schule sehr gleich kommt. Ein Kindersarg! – Gott erhalte das blühende Leben meiner Molly! dachte ich erschüttert. Es ist als wenn auf dieser ganzen Reise wo ich verweile der Tod mir stets zuförderst die Hand bietet. In * * hielt mich das feierliche Leichenbegängniß eines Studirenden tief in die Nacht hinein am Fenster. Es ward mit der edlern Theilnahme began69gen, die uns gern bei dem Weh ergreift, das von persönlichen Rücksichten entfernt ist. Der fremde Jüngling wird uns zum Symbol des Vergänglichen – wir erkennen die Allgewalt des Todes ohne uneigennützigen Schmerz, und dieses reinere Gefühl erhebt die sich selbst nie bewußte Menge. Auch in Moosbach begegnete ich dem Gepränge der letzten Erdenscene. Ein feindseliges Nervenfieber riß in der umliegenden Gegend viele dahin; in den drei Tagen meines Aufenthalts sah ich drei Leichen vorüber führen. Und hier in Cölln war eine Bahre der erste Anblick, der sich mir darbot. Ein sanfter erhebender Anblick! dieser kleine Todtenkasten mit seinen fröhlichen Blumengehängen, und den zarten Schleier, der den kleinen Schläfer deckte. –

    Ich ließ mir den Schatz zeigen. Mir machen diese alten Dinge Vergnügen, und * * hatte dergleichen noch nie gesehen. Die heiligen drei Könige sind nach ihrer Flucht vor der französischen Armee unversehrt zurückgekommen. Wie man sie in Frankfurt ergriff, sollten sie, so sagte mir der Geistliche, welcher mir diese Schätze zeigte, eben nach Oesterreich abgeführt werden; sie blieben lange in Verwahrung des Siegers, wurden aber 70 ohne alle Verletzung ihren alten Verehrern zurückgeschickt. Es war mir eine rechte Freude die alten Herrn wieder zu sehen; sie schienen sich bei allen den unwillkührlichen Reisen sehr passiv verhalten zu haben, denn sie waren nicht im geringsten verändert. Der Geistliche erfreute mich durch die Milde mit der er uns das Schicksal seiner Heiligthümer erzählte, kein rauhes Wort, kein bitterer Rückblick über all das Verlorne, nur ein rechtlicher Stolz über die erhaltnen Herrlichkeiten, und je länger er mein Interesse an ihnen sah, je lebhafter ward sein Interesse sie mir zu zeigen. Die Kunst an den alten Arbeiten ist ein Gegenstand meiner Bewunderung – mag doch die Welt philosophischer seyn, oder evangelischer, oder wie sie es nennen mag, – ich möchte doch wissen wie die Kunst gemeinwirkender angewendet werden könnte, als zum Schmucke der Kirchen, zum Pompe der Religionsgebräuche? Hier gewinnt des Volkes Auge Freude an der Kunst, von der Kirche können dem Künstler Werke aufgetragen werden, die der Privatmann nicht bezahlen kann, und die beim Fürsten dem Genuß der Menge entzogen sind; – denn die großmüthige Erlaubniß zu gewissen Tagen, unter gewissen Umständen die 71 fürstlichen Zimmer besuchen zu dürfen, prägt dem Volk wohl das Gefühl der Entfernung zwischen dem Fürsten und sich selbst ein, erweckt aber nicht die Liebe zu den schönen Dingen in ihm, welche jede Ahndung von Eigenthum begleitet. Was in der Kirche und auf dem Rathhause steht, zu dem denkt es sich ein wirkliches Recht zu haben. Und die schönen Juwelen blitzender Monstranzen, die Leuchter und Becher! Da kann ein Künstler mehr Kunst anbringen, wie an einem ganzen Tafelservice, welches dem Volke nie vor Augen kommt, oder auf dem der Hungrige nur gierig eine leckere Schüssel vorbeitragen sieht. „Eure Tempel glänzten gleich Pallästen“ – diese Kirchen glänzen noch zuweilen, wenn die Sonne auf die Schmaragden des Allerheiligsten strahlt, und die Fahnen beim Schall der Posaune in die Luft flattern. – Da stand ein großer silber Kasten, der die Ueberreste – ich weiß nicht welches, ziemlich neuen Heiligen enthielt, denn so viel ich verstand, war er in den Bewegungen der holländischen Freiheitskriege ermordert. – Gott behüte mich doch vor den Heiligen, die eine christliche Kirche der andern verschafft hat! – Die getriebene Arbeit dieses Kunstwerks ist herrlich! der Zeit nach konnte 72 sie von einem Schüler Benvenutos seyn, und ich dachte mir die Lebhaftigkeit mit der jene Künstler arbeiteten; wie so ein Kunstwerk sich mit ihrem Glauben an die Ewigkeit ihrer Kirche verband. Ließe sich denn kein Mittel finden, die großen Momente und großen Menschen aus unsrer Zeit, sammt ihren Denkmählern, ohne sie zu kanonisiren, mit der Kirche zu verbinden? und würden sies denn nun auch? – Wehe dem Menschen der nicht Augenblicke hat, wo er sich das Liebste, Höchste, was er in der Menschheit hatte nahe bei Gott denkt! Religion kann nur Bedürfniß des Herzens seyn, und das Uebersinnliche ahnen wir nur durch die zarteste Empfänglichkeit der Sinne. – Unterrichtet uns, bildet unsre Vernunft, wenn wir aber Gott suchen, unsern Gott – denn wessen Gott sieht denn ganz so aus, wie des andern Gott? – dann laßt uns unser Gefühl allein leiten; das Gefühl führt nur dann zum Fanatismus, wenn Vernünftelei sich in das Suchen nach dem Göttlichen einmischt.

    In Cölln, im Gasthof zum heiligen Geist, ja schon weiter oben am rechten Reinufer in Lienz, wo wir zu Mittag speisten, hatten wir eine Vorempfindung holländischer Reinlichkeit. Auch auf 73 dem Wochenmarkt in Cölln erfreute mich die reinliche Ausstellung des reichen Vorraths von Lebensmitteln. Wo ich noch vor zwanzig Jahren ein altes Augustinerkloster kannte, ist jetzt ein schöner regelmäßiger Platz mit Bäumen bepflanzt, von dem ich mit wahrem Vergnügen die soliden Häuser mit ihren spiegelhellen Fensterscheiben rund umher betrachten konnte. Hier ist Korn- und Heumarkt, dann kommt man auf den Speisemarkt, wo ein Ueberfluß herrlichen Gemüses, niedlicher Holzwaaren und Korbwerk ausgestellt war. Die Bauerleute waren reinlich gekleidet, und rechtlich. Die Weiber haben alle ein weißes dreieckiges Tuch um den Kopf ganz in die eckige Form gelegt, wie die weiblichen Gestalten auf Dürers und noch älteren deutschen Gemählden. – Wie allmächtig mußte der schöpferische Trieb in diesen Künstlern seyn, wie rein ihre Ahndung des Schönen, das sie zu bilden versuchten bei den Gestalten, die einzig ihr Auge gewohnt war. Die hier noch erhaltene Volkstracht, und die Moden der höhern Stände jener Zeit, sind ganz dazu erdacht, die menschliche Gestalt zu verbergen, oder zu entstellen. Warum die Cöllnerinnen selbst so häßlich, gelb und schleppenden Ganges sind, begrei74fe ich nicht, denn die Stadt liegt lange nicht so feucht wie viele andere. Die Bauart ist nicht schlechter, die Lebensmittel gut. Ihr Anzug ist schon sehr häßlich, und wird häßlicher je weiter herab man am Rhein kommt. Widrige weiße Hauben die das Kinn umgeben, wie die weißen Strählenhaare eines gewissen Affen, der Mangabey aus Madagaskar nach Büffon, und lange Jacken, die eine höchst nachtheilige Abtheilung in die Gestalt bringen. Leer ist die Stadt heute wie vormals, allein die Heerden von unverschämten Bettlern, die ich vor zwanzig Jahren vor den Kirchthüren fand, sind verschwunden. Dennoch wird der Stillstand des Handels hier so schmerzlich gefühlt, daß die Menschen nicht wohlhabender können geworden seyn, sehr leicht aber thätiger. Die schönen Hauser der ehemaligen Domherrn sind verkauft, ihre ehemaligen Besitzer haben mit einer Pension, welche die jedes andern Ordensgeistlichen nicht überstieg, das Land verlassen, und durch diese Auswanderung muß der Erwerb sich auch vermindert haben.

    Von nun an war mir die Gegend am linken Rheinufer ganz unbekannt. Von den Thoren von Cölln an geht der Weg im Sande fort, der nur 75 hier und da mit schwarzem Boden vermischt ist. Wir waren von unserm Beschützer in Cölln so unendlich schlecht beschützt worden, daß wir für den doppelten Preis den es in Deutschland gekostet hätte, eine Chaise mit zwei Pferden erhalten hatten, die uns saumselig durch den Sand zog. Ueberhaupt würde ich keine solche Chaise mehr nehmen, wenn ich noch einmal des Wegs käm’, und diesen Rath hätte uns unser Beschützer geben sollen. Nach Landessitte führt man mit zwei Pferden zweiräderige Fuhrwerke, deren Kasten ganz chaisenartig ist. Auf dem ebnen Boden, in dem tiefen Sande, haben sie für die Pferde viel mehr Leichtigkeit. An einigen Stellen nähert sich der Weg wieder dem Rhein; meistens liegen die Dörfer am Flusse, und in ihrer Nähe sind die Felder etwas besser bebaut, auf den ferner gelegnen kann man sich nichts elenderes denken wie die dünnen Gerstenhalme, zwischen denen überall der graue Boden hervor blickte. Etwas besser sah das Haidekorn aus, das eben in voller Blüthe stand. Höchst ungleich wuchsen Kartoffeln und Klee und das so nahe bei einander, daß nothwendig die Behandlung daran Schuld seyn mußte, denn neben einem recht kräftigen in voller Blüthe stehen76den Kartoffel- oder Kleefeld lag ein anderes, das um drei Monate zurück war. Wir fanden in dieser Gegend viel Anstalten zu dem vorhabenden Wasserbau, denn die Gefahren der Ueberschwemmung erstrecken sich bis hieher. Wir fuhren an einer Niederlage von Faschinen vorbei, welche viele Morgen Landes bedeckte. Eine Betriebsamkeit der hiesigen Gegend war mir ganz neu, die ambulanten Backsteinbrennereien, die von den Bewohnern der Gegend von Nuys betrieben werden. Man läßt weit am Rhein herauf an beiden Ufern solche Nuyser Familien kommen, Vater, Mutter und Kinder; so ein Haushalt heißt ein Pflug. An Ort und Stelle zeigt ihm der Gutseigenthümer der ihn verschrieb den zu ihrer Arbeit angemessenen Boden, von Lehm und Sand gemischt an, aus diesem bilden sie die Steine, und setzen sie in Form eines Vierecks mit abgestumpften Winkeln auf, bis sie einen Ofen daraus gebildet haben, der die zweckmäßige Dicke und passenden Umfang hat; äußerlich wird er mit Erde und Rasen bekleidet, dann von innen mit Torf oder Steinkohlen geheitzt. So dienen die Steine sich selbst zum Ofen, und brennen in der Glut, welche zwischen dem geschickt gesetzten Steinen al77lenthalben Kanäle findet, vollkommen aus. Sie sind von verschiednem Roth, scheinen aber viel besser gebrannt und gemischt zu seyn, als die unsrigen. Spät am Abend kamen wir nach Nuys, einem gradstraßigen freundlichen Städtchen. Hier zu Lande muß man sich in alten Zeiten nach andern Grundsätzen nachgebauet haben, als in den deutschen Städten; von hier an fanden wir auf unserm Wege keine krummen Straßen mehr, gerade, ebne, wenn gleich in den kleinen Orten wie Nuys, nicht breite Straßen. Von Cölln an fand ich in allen Städtchen neu angelegte Spatziergänge, und vor den Thoren bepflanzte Wege, deren Bäume acht bis zehn Jahr alt schienen; auch auf dem Lande war der Weg, wo es der Sandboden irgend erlaubte, mit Bäumen besetzt. Von Nuys aus waren die Felder weniger schlecht, der Boden eben so sandig, aber die Dörfer mehr an einander gerückt. Man behält den Rhein sehr nahe; von Nuys ist er eine kleine Stunde, und gegenüber liegt Düsseldorf. Mir ward das Herz warm bei der Nähe dieses Ortes, bei dem ich einst so ausgezeichnete Menschen kannte, aber dahin verlangen that mir nicht, denn das Schicksal führte sie längst hinweg, und 78 viel schmerzlicher wird das Andenken an die Vergangenheit auf dem verödeten Schauplatz, den sie einst belebt hat.

    Wir sahen unsre elenden Rosse kläglich im tiefen Sande waden, und zu ihrer Erquickung alle zwei Stunden grobes, strohartiges Heu fressen. Das Land fängt hier an von Bäumen und Hecken durchschnitten zu werden, so daß jedes Gut durch einen Streifen von Weiden, Ellern, Ulmen abgetheilt zu seyn scheint. Eigentliche Dörfer sind selten, um so häufiger einzelne Höfe, und kleine Weiler. Diese Abtheilungen, die ich ehemals im Hannöverischen einen Kamp habe nennen hören, geben dem Lande ein lebendiges Ansehen, und die Besitzungen werden von Stunde zu Stunde schöner. Viele derselben hatten ein kleines Gehölz hinter dem Hause, meistens Eichen, unter denen Schweine und Federvieh weidete. Wir speisten in einem solchen Hofe der zugleich Gasthof war und zu Hochstraaten gehörte, zu Mittag. Auf dieser Poststation hatte vor wenig Tagen ein komischer Auftritt statt, der den liebenswürdigen Charakter des Königs von Holland schildert. Dieser reiste im ganzen Ernste incognito hier durch nach Spaa. Wie er sich beim Umkleiden zu bal79biren verlangte, hatte der Kammerdiener die Bartmesser vergessen, der Balbier des Ortes wurde herbeigerufen, und geboten dem Kammerdiener sein Handwerkszeug gebrauchen zu lassen; der Mann erklärte aber sehr entschlossen, wenn er nicht selbst operire, gäbe er auch seine Messer nicht her. Der König setzte sich also ruhig hin, ließ sich von dem Autobartbeherrscher balbiren, und fand sein Regiment so sanft, daß er ihn höchlich rühmte und seinen Werkzeugen einen Theil seines Verdienstes zugestehend, bat er, ihm seine Messer zu verkaufen. Der Mann ging den Vorschlag als ein großer Künstler ein, der jedes Werkzeug zu seinem Zwecke zu gebrauchen im Stande ist, und der König, nachdem er ihn freundlich um seine häuslichen Umstände befragt hatte, schenkte ihm zwei hundert Franken für seine Messer. Erst nach ein Paar Tagen erfuhr man, daß es der König war, der sich den Bart hatte abnehmen lassen. Noch eine Anekdote von diesem Manne, den seine blindesten Gegner selbst mit Achtung nennen, erzählte man mir auf diesem Wege, und ich erzähle sie auch wieder nach meinem alten Grundsatz den Voltaire einmal anwendete, ohne daß man ihn verstand. Ist so ein Geschichtchen auch nicht völlig 80 wahr, so bezeichnet es gewiß die Ansicht eines Theils des Publikums, zu dieser muß es eine Veranlassung geben, und diese ist dem Beobachter die Hauptsache. So sagte Voltaire: wenn die Türken nicht in der heiligen Sophienkirche zu Constantinopel getanzt haben, so hätten sie es doch thun können – das heißt: sie waren geneigt den Ort zu entweihen. Der Geschichtschreiber sollte aber nicht in diesem Sinne erzählen, wohl darf es aber die geschwätzige Mutter, wenn sie zu dem Kreis ihrer Kinder spricht. Wie der König an der holländischen Grenze von der Duane untersucht ward – man muß strenger gegen ihn verfahren seyn, als gegen mein armes Ich, das freilich auch gar nicht Contrebandenmäßig aussieht – fand man für zwei und achtzig tausend Livres Juwelen, die er nicht angezeigt hatte, und sie wurden dem Gesetz gemäß in Beschlag genommen. Ohne die geringste Widersetzlichkeit reiste der König weiter, und das Zollamt erfuhr erst nach ein Paar Stunden, daß es sein Recht an seines Kaisers Bruder geübt hatte. Sogleich schickte es einen Bothen nach Spaa, um dem Könige mit vielen Entschuldigungen seine Kostbarkeiten zurückgeben zu lassen, dieser wieß sie aber mit der sehr freund81lichen, aber ernsten Aeußerung zurück, daß er beschämt sei Gesetze übertreten zu haben, da es ihm zukäm, sie am strengsten zu ehren. – Wahrscheinlich wird die französische Regierung – denn die Confiscationen gehören der Regierung, die Zollbediente haben nur ihren Gehalt – dafür sorgen, daß er entschädigt wird, das vermindert aber nicht den Anstand und die Liebenswürdigkeit in des Königs Betragen. Warum kann ich mir doch, wenn ich in Fürsten menschlichschöne Eigenschaften erkenne, des Wunsches nicht enthalten, sie möchten nicht für den Thron bestimmt seyn. – Endlich bleibt mir für den Karakter des Herrschers ein so aus der Menschheit heraus gehobnes Wesen übrig, daß es mir die Empfindung eines Menschen erregt, der mit höhern Geistern im Bunde, allen Banden der Menschheit entsagt hat. Kann es denn auch anders seyn? Der an die Stelle des Gesetzes gestellt ward, versetzt sich der nicht auch bald an die Stelle des Schicksals? und der diesen furchtbaren Eingriff in die Rechte der Gottheit wagt – muß er nicht von ihr erleuchtet, oder von ihr der schrecklichen Nemesis geweiht seyn? – Nie erregt, was ich von Ludwigs Individualität hörte, diese furchtbare Bilder; sie spricht überall 82 sanfte Menschlichkeit aus, am liebenswürdigsten wo das Gefühl ihn überrascht. Vielleicht läßt er sich sogar von ihm hinreißen. Ein Mann, dessen Karakter ihm nicht die Achtung der Rechtschaffnen verschafft hätte, den aber sein Rang und sein Vermögen wohl einen Platz in der Gesellschaft zusichert, ließ sich in Gegenwart des Königs, der ihn kannte, auf eine Weise aus, die sein moralisches Gefühl mißbilligte. Der König der sich bemüht hat die holländische Sprache zu lernen, und so große Fortschritte darin machte, daß er sich gegen seine Unterthanen immer ihrer bedient, brauchte ein sehr strenges Wort, um die Denkart dieses Herrn im Fortgang des Gesprächs zu bezeichnen. Erschrocken über eine Gradheit, die aus den Sälen der Könige verbannt ist, meinte einer der Anwesenden, es läg an dem Ausdruck, und machte dem Fürsten bemerken, es gäbe einen verschönernden, umwundenen. „Nein, nein, rief der König, und wiederholte das Wort, ich verstehe das Holländische genug, um hier den rechten Ausdruck zu gebrauchen.“ Ich kann den Menschen um der Strenge willen mit der er bei dieser Gelegenheit verfuhr, nur ehren, aber der König that vielleicht mehr indirekten Schaden, 83 als direktes Gutes. Leider befinden sich unter den Menschen, welche die Könige umgeben, mehrere die Kraft haben den Guten zu hassen, als das Gute zu thun.

    Ein anderes Mal ward ihm ein Vorschlag vorgelesen, eine Entschädigung der Regierung gegen Privatleute betreffend; dabei waren die Worte gebraucht: die Sache verhielt sich so und so, so sei die Regierung dem * * vielleicht schuldig – – – der König der eifrig zuhörte verstand das Wort: vielleicht, nicht. Qu’est ce que c’est? – peut être, V. M. – – point de peut être, très décidement, et point de peut être, rief er lebhaft, ließ das schwankende Wort streichen, und dem Rechte seinen Lauf. Seine Gesundheit soll sich sehr gestärkt haben, er schont sie sehr, lebt sehr einfach und beobachtet strenge Ordnung. Ich sah mehrere Gemählde von ihm, auch eine sehr schöne Büste, und überall schien mir eine auffallende Familienähnlichkeit mit seinem erhabnen Bruder unverkennbar, nur mit dem Un[ter]schiede, daß der Künstler jenen Kopf leicht zu einem olympischen Gotte idealisiren wird, indeß Ludwigs Gebilde unter seinen Händen als Heros hervorgeht. In der Welt der Dichtung waren ja die Heroen das 84 Mittelglied zwischen den Menschen und den unerreichbaren Göttern – schließe sich doch die Wirklichkeit der Mythe wieder an! – –

    In Hochstraaten setzte man uns die ersten frischen Kartoffeln mit herrlicher frischer Butter und Pumpernickel vor. Dieser Pumpernickel ist ein wahrer Leckerbissen, so wie er hier verfertigt wird, mit der hiesigen fetten Butter, und einer Schnitte weißes Brod zusammen gespeist; er ist auch meines Bedünkens nach gar nicht schwer zu verdauen, denn man hätte einen ganz falschen Begriff von ihm, wenn man ihn für ein feuchtes übelausgebacknes Brod hielt. Vor Tische durchstreiften wir die Gegend. Die Bauerhäuser lagen zerstreut, waren in ganz gutem Stande, in niedersächsischer Bauart, mit großen, wohlangebauten Gartenfeldern umgeben, in denen eine Mannigfaltigkeit von Gemüsen angebaut war, die dem süddeutschen Bauer ganz ungewohnt ist. Stangenbohnen, Kopfsallat, Endivien in großer Menge, Pastinak, Kohlarten – der Gebrauch der Mehlspeisen muß hier also aufgehört haben, und die zunehmende Viehzucht den Bauern Mittel geben, Gemüse zu schmelzen, wie man in Süddeutschland sagt. Wenn Nahrung auf Sitten und Karakter Einfluß 85 hat, so muß die Mischung der Säfte, welche aus diesen frischen Pflanzen entsteht, von dem aus Knöteln und Nudeln gebrauten Blut der Schwaben, freilich verschieden sein. Welches Gegengewicht gab denn die Natur jenem Volke, um es zu so einem braven, empfänglichen, herzlichguten Menschenschlag zu machen?

    Auch viele Obstbäume gab es hier um die Hütten, und jedes Gütchen war wieder mit einem Streifchen Weiden und Ellern eingefaßt. Von hier an fanden wir das Heu nicht mehr in Scheuern aufbewahrt, sondern in großen Schobern in der Nähe des Wohuhauses angehäuft. Wo die Wirthschaft etwas wohlhabend war, fand ich den Grund des Schobers ein paar Fuß hoch gemauert, und oben deckte ihn ein viereckiges Dach, das auf vier starken Pfosten auf und nieder ging, also dem hohen wie dem niedern Schober zur nahen Bedeckung diente. Die äußere Kruste des Heues war gelb und verwittert, allein gleich hinter ihr, also mit sehr unbedeutendem Verlust, hatte das Heu seine schöne frische Farbe. Warum machen wir es nicht auch so? wie viel Mauerwerk erspart das? und wie sehr vermindert es die Feuersgefahr. Daß diese beweglichen Dächer und 86 thurmartigen Haufen sehr malerisch sind, wird dem Oekonomen gleichgültig seyn, ich muß es aber noch anmerken.

    Um Nuys fanden wir eine Menge der oben erwähnten Ziegelbrennereien. Sie sahen einem hottentottischen Kraal ähnlich mit ihrer stumpfen konischen Form. Nun ward das Land viel besser bebaut, obschon der Sand nie aufhört; gegen zehn Uhr kamen wir durch ein sehr nettes Städtchen: Udingen. Gerade Straßen, glänzende große Fenster, bunt gemahlte Thüren und Gebälke, und durch die ganze Stadt an der Sonnenseite eine Reihe in Fächer gezogene, schmal gehaltene Linden und Hainbuchen. Diese Sitte fand ich in vielen dieser Städtchen. Die glücklichen Menschen die die Sonne entbehren können! Wahrlich sie ist doch hier nicht sehr heiß! kann diese allgemeine Sonnenscheue wohl einen Grund in dem Lokal haben? nichts netteres wie die Städtchen durch die wir nun kamen! kleinlich? – ja! geschmacklos ohne Zweifel! aber rein, bunt, wöhnlich, ruhig. Das Bunte freut mich so! die Schöpfung ist hier arm, die gepflanzten Bäume bieten nicht die blühenden Büsche unserer Wälder dar, die hiesigen Wiesen, je fetter sie werden, bestehen aus reinem 87 Grase, sind kein Blumenteppich wie unsere – gewiß weniger gute Wiesen und Weiden – und da mahlt sich der gute kindliche Mensch die bunten Farben an seine Wände, denn das Herz will fröhlichen Anblick, und ich könnte beten für Dank, daß so viele Mittel zur Freude da sind.

    Abends kamen wir, statt nach des Kutschers Zusage Cleve zu erreichen, nur bis Xanthen, wo ehemals der berühmte Pav sein Canonikat besaß, und sein Leben zubrachte. In meiner Jugend las ich von ein paar gescheuten Leuten, und hörte von ein paar andern die wehmüthig verwundernde Klage, daß ein so gelehrter Mann sich in Xanthen bilden, in Xanthen leben müßte. Ich weiß nicht ob diese Verwunderung eine Analogie hat mit der Verwunderung jenes Liebhabers, wie ihn seine Braut benachrichtigte, daß sie aus Dippoldiswalde sei – aber etwas läppisch sind diese Erstaunen doch über die Plätze, wo kluge Menschen geboren und gediehen sind, sintemal

Der ganze Luftkreis ist des Adlers Bahn. –

    Und wenn ich nun dagegen aufstehe und sage, daß Xanthen recht dazu gemacht ist, einen forschenden, sinnenden Philosophen zu bilden, wel88che deutsche Stadt möchte denn wohl einladender seyn? Helmstedt, Marburg, Gießen, Rinteln, Tübingen, Göttingen mit seinem kahlen Berge, und Leipzig mit seiner Fläche? und weiter und weiter? die mit grünem Gebüsch umgebenen Felder, die guten Weiden die um Xanthen liegen, sind nicht zu verachten, dabei hat es hübsche Gassen, hohe, helle, glänzende Fenster, und einen so großen wohlgepflasterten Marktplatz, wie keine der genannten Städte, und viele andere dazu. Die ehemaligen Canonikats-Wohnungen liegen um die am Markte stehende schöne große Kirche, artige Häuser mit daran stoßenden hübschen Gärten. Gebt dem Canonikus eine Bibliothek, und einen Freund, und ich möchte doch wissen obs so verwunderlich war, daß er seine gelehrten Untersuchungen in Xanthen machte. Und wenn ein Canonikus in Xanthen, mitten inne zwischen Amsterdam, Paris und Frankfurt keine Bibliothek sammelt, ist es seine Schuld, und wenn er keinen Freund hat – von wem möchte ich das denken?

    Hier mußten wir zuerst mit einer reinholländischen Magd fertig werden – es ging so! so! späterhin kam ich auf den Einfall, plattdeutsch mit 89 den Leuten zu sprechen, und das ging vortrefflich. Wir fanden hier ja schon in Nuys die Theemaschine eingeführt, und die Leute gewohnt Thee zu geben. Daß man in den meisten Wirthshäusern von Süddeutschland, selbst in den größern Städten so mühselig ein Theeapparat zu Stande bringt, hat mich schon oft verdrossen, hier ists in einem Nu bereit, und der Thee sogar – denn ich kostete ihn aus Neugier, recht erträglich. Auf der Seite von Xanthen gegen Cleve fanden wir wieder einen artigen neu angelegten Spatziergang, und den Weg meistentheils mit Bäumen bepflanzt; von ihm aus hatten wir die Aussicht auf die schönsten Weid- und Ackerplätze, alle mit Weiden eingefaßt, auch ganze Wäldchen regelmäßig gepflanzter Bäume dieser Gattung, von einer Schönheit wie ich sie nie sah, so silberweiß und großblätterig. Die Umgebungen von Cleve sind sehr angenehm. Bis auf eine Stunde von der Stadt fuhren wir durch viele ausgehauene Waldstrecken, diese Gehölze werden alle fünf bis sechs Jahre abgetrieben, wachsen aber in dieser Zeit zu einer solchen Höhe, die mir unbegreiflich schien, so daß ich mir späterhin das Zeugniß eines Gutsherrn geben ließ, daß ein schattiger Wald, in dem ich 90 wandelte, wirklich erst fünf Jahr alt, und im nächsten für das Beil reif sei. Eine Stunde vor Cleve fängt ein schöner hochstämmiger Wald an, durch den eine gerade Allee geht, rechts sind zuweilen einige Weideplätze, auch ein großer Teich, zuletzt blickt Cleve mit seinen Stadtmauern, hohen Thürmen und vielen Windmühlen durch die gelichteten Baumgipfel, bis sich der Weg in die herrlichen Alleen verliert, von denen die Stadt umgeben ist. Solche Bäume und solchen Schatten kennen wir in Deutschland kaum – es ist eine Kraft in dem Wuchse, die uns auf eine Zeit zu deuten scheint, wo es den Leuten noch gar nicht in den Sinn kam, so gerade Alleen zu pflanzen. Wohin man blickt durchschneiden sie hier die Gegend um die Stadt her, vor deren Thoren ein großer Park der viel Wildprett hegt, die wohlhabenden Holländer, besonders aus Amsterdam, anzieht, hier einige Sommerwochen zuzubringen. Da uns die Umstände jeden Aufenthalt verboten, fuhren wir gar nicht in die Stadt, sondern links um dieselbe vor die Post, weil der elende Zustand unserer köllnischen Pferde uns nicht daran denken ließ, mit ihnen den Weg fortzusetzen. Da half nun weder Zorn noch Klage, unser köllnischer Pro91tektor war ein Windbeutel und wir Pinsels gewesen – statt zu Mittag in Nimwegen zu seyn, wie die Abrede lautete, fanden wir uns in Cleve, und die Pferde außer Stand weiter zu gehen. Was war zu thun? in eben dieser Stunde erwartete man die Diligence von Cölln, die vier und zwanzig Stunden später abgereist war, und mit ihr den Weg bis Nimwegen fortzusetzen, war wohl das klügste was uns zu thun übrig blieb. Zu unserm Glücke kamen mit ihr zwei Holländer an, die wir zuerst in Coblenz gefunden hatten, von wo sie in einem eignen Nachen nach Cölln fuhren, hier speisten wir mit ihnen zu Mittag, und ihr sehr anständiges Betragen machte mir den Vorschlag recht angenehm, den Weg bis Nimwegen gemeinschaftlich fortzusetzen, dazu hätten wir aber drei Pferde gebraucht, unser armseliger Kutscher war schon gemiethet, hatte aber, oder wollte kein drittes Pferd herbeischaffen, so, daß der Plan rückgängig ward. Diese beiden Holländer, die also mit ihrer Diligence vier und zwanzig Stunden später wie wir von Cölln abgereist waren, glaubten eine Erscheinung zu sehen, wie sie uns da in Cleve vor der Post auf einer steinernen Bank sitzen fanden, gerade wie die verzauberten Prin92zessinnen in tausend und einer Nacht, welche der Genius durch die Lüfte führt – durch die Luft waren wir nun eben nicht gekommen, aber unsre Verlegenheit auf der steinernen Bank war eben so groß, als wären wir Prinzessinnen. Der Genius Hollands hätte es gar nicht klüger anfangen können, uns einen günstigen Begriff von seinen Schutzbefohlnen zu geben, als indem er uns diese Männer entgegen schickte, so wahrhaft männlich und hülfreich nahmen sie sich unser an. Unsere Brüder hätten nicht thätiger für uns sorgen, uns nicht achtungsvoller behandeln können; sie besorgten unsere Plätze in der Diligence, entfernten jede Verlegenheit von uns, belehrten uns bei unserer Ankunft in Nimwegen von allem was uns Noth that, dem Werth des Geldes, dem Betrag der Trinkgelder, verschafften uns Wegweiser, Träger für unser Gepäck bis in den angezeigten Gasthof. – Ihr Gespräch, das bescheiden und ungezwungen war, bewies Kenntnisse und Bildung, und die Freude mit der sie noch an demselben Abend nach Arnheim eilten, um ihre Freunde und Verwandte nach einer Reise durch Paris nach Strasburg und Mainz, wiederzusehen, bürgte von ihrem weichen treuen Gemüthe. Sie haben 93 nicht gefragt wer wir waren, und ich that keinen Schritt, mich von ihren Namen zu unterrichten, ich fand es so schön, daß wir nur als Menschen, ohne alle Persönlichkeit mit einander handelten. Jetzt reut es mich, denn ich wünschte, daß keiner ihrer Freunde durch unsern Wohnort käm, ohne Gastrecht bei uns zu fordern. Der Männer Betragen freute mich um so mehr, weil es nichts vom Weltton, sondern etwas nationelles hatte, sie handelten rein weg als brave Männer gegen unbeschützte Weiber, und ich bin überzeugt, wir hätten uralt, und grundhäßlich seyn können, aber so gesittet wie sie uns fanden, so hätten sie uns dieselben Dienste erzeigt.

    Außer diesen zween wackern Männern, die unsre Reisegefährten in der Diligence wurden, war ein Herr in Cleve aufgestiegen, der, wenn mich alle Anzeigen nicht trügen, auf Freiers Füßen nach Nimwegen reiste. Es war so ein gestandner Herr, wie man in Schwaben sagt, ganz unzweifelhaft, bis jetzt ein Hagestolz – von Kopf zu Fuß neu gekleidet, Stiefelchen mit goldnen Quästchen, zwei neue Uhrbänder, eine schöne neue Weste, von welcher die Streifen queer über den stattlichen Bauch liefen, steif gefältelte Wä94sche, und einen spannnagelneuen Hut, an welchen allen er fleißig zupfte und putzte, um unversehrt bei seiner Braut anzulangen. Ich kann mir das nimweger Meysje (junges Mädchen) von etlichen acht und zwanzig Jahren recht denken, wie sie in langer Juppe das Strahlenhäubchen unter dem Kinne gebunden, die silberne Bügeltasche mit Calender, Balsambüchschen, Fingerhut und dem ganzen Wirthschaftsapparat an der Seite, den wohlgeschniegelten Sponsen mit einem tiefen Knix empfängt. Weiter war ein Domino in dem Wagen – ach gewiß nur von einer Nebenkirche und Nebensekte, denn er sah gar nicht herrschend, gar nicht nahrhaft – man sagt ja eine nahrhafte Stadt, d. i. eine die sich gut nährt, man muß also auch ein nahrhafter Mensch sagen können – gar nicht nahrhaft aus. Er trug einen schäbigen schwarzen langen Rock, wie unsre Weltgeistlichen, hatte ein fettes schwarzes Haar, aber so etwas gutmüthiges! – so ein wehmüthiges Lächeln der Freude, als sei er gewohnt sich nie über eine große Freude zu freuen. Er erinnerte mich an Sebaldus Nothanker, den man – Gottlob! – bei uns jetzt vergessen darf, aber nie vergessen sollte, wie viel er dazu beitrug ver95gessen werden zu können. Das ist klar und schön gesagt! – nun, so versteht es auch hübsch! –

    Von Cleve aus, das sich im Rückblick sehr reizend ausnimmt, hatten wir einige starke Schlagregen auszuhalten, welche den tiefen Sand des Weges etwas fahrbarer machten. Wir sahen schöne Felder, doch nicht so wohlgebaut, wie jenseits von Nimwegen, und fuhren durch große Strecken abgetriebenen Gehölzes. Viele Sandhügel erschweren den Weg, die Einwohner halten sie für Berge, und nennen diese Gegend „die bucklige Welt“, wobei denn unser einer die Achseln zuckt. Die Dörfer sind stets klein, allein die einzelnen Höfe um so zahlreicher. Das Wohnhaus liegt vorn am Wege, weiter zurück Scheune und Ställe, und hinter ihnen Gemüse und Obstgärten. Der Obstbäume giebt es hier eine große Menge, sie sind zweckmäßig nach der Schnur gepflanzt, und gut unterhalten. Die geringe Zahl von Kirchen, die wir auch in der Entfernung entdecken konnten, fiel uns auf. Die Menschen müssen sehr weit gehen, um eine Predigt zu hören, das bemerkten wir auch schon zwischen Nuys und Xanthen, wo wir eben Sonntags reisten, und bei den Woh96nungen am Wege die Leute mit Staub bedeckt und in Schweiß gebadet aus der Kirche zurückkommen sahen. Endlich erschien die breite Waal zu unsrer Rechten, und wir fuhren neben Windmühlen und hübschen freundlichen Häusern nach Nimwegen hinein.

    Der Wirth des sehr angenehmen Gasthofs war ein Deutscher, der sich sehr bereitwillig und thätig zeigte, uns zur Fortsetzung unserer Reise behülflich zu seyn. Er bestellte uns ein leichtes Fuhrwerk in einem kleinen Orte der jenseits der Waal liegt, weil wir, indem wir die fliegende Brücke über die Waal zu Fuße passirten, einiger Weitläuftigkeiten entgingen, auch jenseits wohlfeilere Pferde fanden. Die Landsmannschaft erwärmte des alten Mannes Herz so sehr, daß er uns anbot, uns die Stadt zu zeigen. Es war eine kolossalisch große knochige Gestalt, mit einer gemessenen Sanftheit im Wesen, gerade wie unser vortrefflicher * * in Bern; das machte mir ihn ganz lieb, mir wars wie eine gute Vorbedeutung in dem ganz fremden Lande, daß der erste Mensch, mit dem ich verkehrte, einem der Menschen ähnlich war, denen ich am mehrsten vertraue. Seine Frau war eine Haagerinnen, die kein andres Wort 97 als hölländisch sprach. Wie ich ihren Mann aufsuchte, fand ich sie schneeweiß angekleidet am Theetisch, in einer recht behaglichen Umgebung. Große Spiegel, recht schönes Porzellain, Fußteppiche in allen Zimmern, giebt den Wohnungen hier ein besonders angenehmes Ansehen. Was das Porzellain anbetrifft, so hätte man selbst in den kleinen Gasthöfen am Niederrhein eine niedliche Sammlung von alten chinesischen Täßchen, Schälchen und kleinen Krügen machen können, die vereinzelt unter elender delfter oder englischer Fayence als Zimmeraufputz aufgestellt waren. Nachdem wir ein artiges Zimmer mit hellglänzenden Geräthe, saubern Fußteppich und großen Spiegeln in Besitz genommen und uns an sehr gutem Obst erquickt hatten, machten wir uns mit unserm höflichen Wirth auf den Weg. Nimwegen ist, nach Maaßstab aller deutschen Städte, eine schöne Stadt, in einer vortrefflichen Lage. Die Waal ist hier meines Bedünkens nach so breit wie der Rhein bei Mainz, und mit vielen Alleen bepflanzt. Wo das ehemalige alte Schloß, der Falkenhof stand, ist seit der Revolution ein schattigter Spatziergang entstanden, und nachdem man durch herrliche Alleen bis an die obere Spitze der ehema98ligen Festung gelangt ist, findet man ein übrigens sehr unbedeutendes thurmartiges Gebäude, das Belvedere genannt, von dessen Höhe man eine umfassende, herrliche Aussicht auf eine zahllose Menge Canäle, Gebüsche, Alleen und Windmühlen hat, alles von der stillwogenden breiten Waal durchschnitten. In diesem Gebäude versammelten sich Gesellschaften, und gab man Gastmahle wie unser Führer uns sagte, jetzt weniger als vor wenig Jahren – ob aus Wankelmuth, ob aus Oekonomie? konnte ich nicht erfahren. Möge es keine der beiden Ursachen seyn, und die Nimweger stets an diesem schönen Standort Friede und Fülle über ihrer sanften Landschaft schweben sehen.

    Es giebt mehrere geräumige lange Straßen in Nimwegen, die Häuser haben ein Ansehen von Tüchtigkeit, Wohlhabenheit, Gemächlichkeit und Reinlichkeit, das kein Haus in Niedersachsen nach der neuen Bauart, und keines an der Donau im alten Style, darbietet. Von Bern hätten die Häuser eher eine Aehnlichkeit, die widrigen Arkaden abgerechnet, die man hier nicht findet. Statt dieser sieht man hier im Erdgeschoß eine Menge unverhältnißmäßig hoher Fenster, hinter deren 99 großen Spiegelscheiben die Waaren aufs zierlichste ausgestellt sind. Größere Häuser haben eiserne Balustraden vor der Thür, hinter denen saubere Bänke stehen. Außer dieser Aehnlichkeit mit Bern, der soliden Bauart der Häuser, bei ihrer Kleinheit – denn viele haben nur drei Fenster in der Breite – habe ich manche Schweizersitte in Holland wieder gefunden, und manche nationelle Aehnlichkeit, die wohl unerklärlich ist, wenn wir, gescheuten Leuten zu Folge, dem Klima so viel Einfluß auf die Bildung der Menschen einräumen. Die Schweizer standen immer in holländischen Kriegsdiensten, aber eben so in französischen, in spanischen – warum nahmen sie von den Holländern so viel, von den andern Nationen so wenig an? machte die Aehnlichkeit der Regierungsform die Amalgamation mit ihren Sitten leichter, oder war eine Grundähnlichkeit in ihrem Karakter vorhanden? ich finde ihre Ansichtsweise, ihre Art zu genießen, ihre Art sich fremdes anzueignen, oder zu verwerfen, sehr übereinstimmend. Nur einen großen Vortheil haben die Holländer voraus, eine eigne Sprache, die sie mit Recht lieben, die sie kultiviren, in der Volk und Gebildete sprechen, der sie sich gegen den deutschen Sprachverwandten 100 nicht schämen, die also einen ununterbrochenen Umlauf der Begriffe durch alle Stände des Volkes gestattet. Die Schweizer haben keine Bücher in ihrer Sprache, und die von ihnen angenommene bleibt ihnen ewig fremd, denn eine Sprache, in der ich nicht im Traume spreche, und wachend denke, in der ich nicht mein Kind liebkose und mit meinem Freund streite, bleibt mir eine fremde Sprache. An einigen Orten wissen sie gar nicht mehr, welches ihre Sprache ist, denn da mischt sich ein Französisch hinein, das eben so viel zur Ideenverwirrung und Stockung beitragen muß, wie ihre brave Schweizersprache, und ihr Hochdeutsch. Warum mögen die Schweizer ihre Sprache nicht eben so gut zur Büchersprache gemacht haben wie die Holländer das Holländische? Schweizerdeutsch ist dem reinen Hochdeutsch nicht viel näher als dieses dem Holländischen scheint; ja mir däucht es sei durch die Abstammung der fremden Worte, noch verschiedner vom Deutschen wie das Holländische. Und die Holländer thun recht gut, ihre Sprache zu behaupten, denn sobald der Deutsche sich frei gemacht hat durch die Aehnlichkeit der Töne häufigen oft höchst lächerlichen Reminiscenzen ausgesetzt zu seyn, so muß 101 er diese Sprache liebgewinnen. Ich wünschte mir zu erklären, wie der Holländer auf seiner Wasserfläche eben so viele Kehlentöne haben kann, wie der Schweizer auf seinen Gebirgshöhen – wenn sie gleich etwas anders modulirt sind. – – – –

    Unser dienstfertige Wirth hatte uns der Abrede gemäß jenseits der Waal eine leichte, sehr artige Kalesche mit zwei Rädern bestellt, die uns früh um fünf Uhr erwartete. Noch vor dieser Stunde begaben wir uns also zur Ueberfahrt an die Waal, die im heitersten Morgenlicht glänzte. Die Wimpel der wenigen hier liegenden Schiffe wehten in der blauen Luft, in ihrem schönglänzenden Hintertheil spiegelte sich die Sonne und die Wellen, von einem gut Wetter versprechenden Ostwinde bewegt, plätscherten um den Kiel. Die Uhr schlug auf dem nahen Kirchthurm, und ein Glockenspiel tönte durch die Luft. – Die liebe Unschuld vom Lande sperrt beim Glockenspiel, wenn sie am Jahrmarkt zur Stadt zieht, Maul und Augen auf, ich weiß es wohl; der feinen Welt ekelt eine so gemeine Musik, ein so nichtsbedeutendes Geklimper – ich sollte gar nicht davon sprechen, und doch muß ich meinen Genuß bei dieser Geistersprache in hoher Luft aus102drücken. Der Ton scheint mir immer das erste Leben, wie die ganze Natur noch schlief brausten die Winde, und wenn das todte Metall sich berührt, verkündet die Luft die erste Vereinigung zwischen verschiedenen Wesen. Und da tönt es nun oben im blauen Aether, und so wie das schwere Metall es erzeugt, entflieht es zum Himmel empor. Und das Vielbedeutende des Tons, das Unbestimmte, daß ihm unsern Gefühl so leicht anpaßt! – Glockenton die Sprache des Schreckens und des Triumphs, des Jammers und der Freude. Wer gern Glocken hört, stelle sich doch eines Sonntagmorgens bei heiterer Sonnenluft auf die obere Brücke in Zürich, wenn es aus der Morgenkirche läutet, oder er hätte sollen bei Kaiser Josephs Todtenfeier, die in einem November statt fand, Abends zwischen sechs und sieben in den Bastionen vor Mainz stehen, wenn die zahllosen Glocken dieser damals Kirchenreichen Stadt die Luft erschüterten, indeß neben mir der feuchte Herbstwind wie Todesschauder die welken Blätter von einzelnen Pappeln schüttelte; oder er horche, wenn er in der Mitte der Nacht erwacht, auf das kleine Glöckchen, das zum Gebet für Kranke aufruft, die in diesem Augenblick an die 103 dunkle Pforte der Ewigkeit treten. – – – Das Nimweger Glockenspiel tönte mir wie luftige Geisterstimme, die auf den Lichtstrahlen, die von den goldnen Thurmknöpfen ausgingen, in die blauen Lüfte entflatterten.

    Auf das gegebene Zeichen mit der Schelle kam die Fähre langsam herüber geschwommen, und führte uns eben so jenseits hin, wo dicht unter Bäumen versteckt, wie von hier aus alle Wohnungen gegen Süden es sind, der Gasthof lag, wo wir unsre Chaise finden sollten. Wir hatten aber ein Mißverständniß begangen, für welches uns der Herr Wagenverleiher büßen ließ; unsre Freunde in * * * hatten uns gerathen sogleich hierher zu gehen, und nicht in Nimwegen zu übernachten, ich hatte das aber ganz vergessen, und mußte es nun büßen, denn da der Gastwirth erfuhr, daß wir schon gestern nach Nimwegen gekommen, ward er sehr mürrisch und erhöhte den Preiß seines Fuhrwerks um ein Ansehnliches, unter dem Vorwand, daß unser Koffer größer sey, als es sich für eine Kalesche gebühre. Nun ward unser Koffer durch diese paar Gulden gewiß nicht kleiner, aber unser Beutel sicher leichter. – Auf einer Reise von der Länge sind alle solche Vorfälle 104 in Rücksicht der Oekonomie wahre Kleinigkeiten, der wesentliche Nachtheil fällt auf das Gefühl, das leidet wenn man wahrnimmt, wie so ein Mensch unsre Lage mißbraucht. Dieser sagte sehr trocken: wenn sie nicht so viel geben, fahre ich sie nicht. Wie ich den vorhergehenden Abend zu ihm geschickt hatte, forderte er für die vierzehn Stunden bis Utrecht vierzehn Gulden, wie wir bei ihm ankamen verlangte er sechszehn, und wie er den Koffer aufladen sollte, achtzehn. Und bei jeder Erhöhung rief er seinem Knecht zu: spann wieder ab – wenn sie das nicht geben, fahr ich nicht. Wir nahmen die Sache sehr philosophisch als eine Lehrstunde in der Geduld und Vorsicht bei dem Verkehr mit holländischen Wirthen und Pferdeverleihern, also als einen reinen Gewinn, und betrachteten die zierliche Wohnung unseres unzierlichen Wirthes. Es war jetzt sechs Uhr, die Magd wusch eben die nett mit Steinen belegte Küche, deren Wände ganz mit Fliesen bekleidet waren; der Heerd ganz niedrig wie in der Schweiz, das messingene Küchengeschirr hellglänzend in einem Glasschrank aufgestellt, um den Heerdmantel ein Falbala von weißen Musselin, in der Mitte der Küche einen gebohnten Nußbaumnen Tisch – 105 kurz die Küche schien ein nettes Zimmer, in welchem der Heerd die Stelle des Kamins einnahm. In der Gaststube stand unter einem großen Spiegel, auf einer Mahagony-Pfeilerkomode ein Zuber von eben solchem Holze, mit hellgescheuerten gelbmetallenen Reifen, um die Gläser zu schwenken. Eben so sorgfältig aufgeputzt und reinlich gehalten war der Hausflur und der Platz vor dem Hause, der so wie fortan die Gassen in allen Dörfern durch die wir kamen, so wohlgepflastert und sauber waren, daß unsre gute * * hier nicht den häufigen Hausfraugram haben würde, von den Eintretenden ihre Treppen und Fußböden beschmutzt zu sehen.

    Nachdem die unangenehme Verhandlung wegen des Fuhrpreises beendigt war, stiegen wir in die sehr bequeme, saubre Kalesche. Ich hatte dabei Gelegenheit eine sehr vernünftige Vorkehrung zu beobachten, durch die man beim Einsteigen verhütete, daß die Räder uns nicht beschmutzten. Der Kutscher breitete einen wollenen Teppich über das Rad, den er dann zusammen schlug, und auf seinen Sitz legte. Diese Sorgfalt beobachtete er so oft wir aus- und einstiegen. Da bei diesen Fuhrwerken, man nennt sie hier Fourgen, die 106 Räder nahe beim Fußtritt sind, ist der Einfall ganz herrlich.

    Nun gings auf einem Damm in starkem Trotte vorwärts. Die ersten Stunden hatten wir die Waal stets zur Linken, oder Kanäle die mit ihr eine gleiche Richtung hatten, oft war der Weg auch zur Rechten so begrenzt, aber immer funfzehn bis zwanzig Fuß über Wasser und Land erhoben, und so schmal, daß das Rad beim Ausweichen nur eine Hand breit Boden behielt. Mit einer großen Berline kann man hier nicht ausweichen, der leichtere Wagen wird alsdann abgeladen, und auf den Schultern vorbei gehoben, wie es unsern Freunden * * bei ihrer Reise nach dem Haag auf diesem Wege wiederfuhr, und mir späterhin auf dem Wege von Marsden nach L. auch begegnete. Man muß das Ding so gewohnt seyn wie eine Holländerin, oder so gleichgültig das Unvermeidliche abwarten wie ich, um nicht etwas ängstlich in die allseitigen Gewässer hinab zu sehen. Die Folgen der schrecklichen Wasserfluth des verfloßnen Frühjahrs nöthigten uns, mehrmals von dem durchbrochenen Damm herab in die Niederung zu fahren. Man arbeitete noch an der Wiederherstellung dieser Dämme, und Austrocknung des 107 längs der Waal liegenden Landes. Hier soll aber der Schaden am geringsten seyn, tiefer herab an der Waal steht noch ein großer Theil des Landes unter Wasser. Diese Dämme gehen alle schnurgerade, aber in ganz verschiedenen Richtungen, so daß der Weg auf ihnen oft in einer Art Zick zack geht, so wie diese Wälle der Senkung des Landes und der Richtung der Gewässer folgen mögen. Links hatten wir ein paar Stunden lang verschwemmte Wiesen, neu ausgestochene Teiche, neu aufgeworfene Dämme, nichts das uns weder Fruchtbarkeit noch Anbau versprach. Bald änderte sich aber die Scene, die schönsten Baumgruppen begannen – nein, nicht Gruppen, die sind unregelmäßig, es sind lange, oft doppelte Alleen, an deren Ende schöne Häuser liegen, um sie her sind regelmäßige Gebüsche und das alles ist mit Silberfäden, die, wenn man sie näher zu Gesicht bringt, Kanäle sind, durchschnitten und umgeben. Solcher Gebüsche und Häuser sahen wir rechts und links in einiger Entfernung vom Wege stehen, und die Zwischenräume nahm schönes Saatfeld und Wiesen ein. Auch diese sind alle ins Gevierte von Gärten umgeben, und reichlich mit einzelnen Bauerhöfen, oder wollt ihrs Landhäuser 108 nennen, besetzt. Alle diese Wohnungen sind gegen die Sonnenseite so von Bäumen versteckt, daß man nur nahe dabei durch die Stämme die hohen hellen Fenster, das nette Pflaster vor den Thüren, die grünangemahlten Bänke neben ihnen erblicken konnte. Und neben den kleinen und großen Häusern die Wälder von Obstbäumen! diese beiden Dinge, die Liebe zum Schatten und der Reichthum an Obstbäumen, waren mir hier zu Lande am überraschendsten. Und welche herrliche kräftige Obstbäume! alle im verschobnen Würfel nach der Schnur gepflanzt, der Grasboden unter ihnen rein gehalten, und bei der vernünftigen Entfernung, in welcher die Bäume von einander entfernt sind, mit dichtem, fettem Grase bedeckt. Längs dem Wege her gehn ununterbrochene Reihen von Eichen, die hier sehr kleine Blätter zu haben scheinen, von Hainbuchen und Weiden. Diesen letzten läßt man aber ihren freien Wuchs, wodurch sie herrliche Bäume werden, die neben den dunkeln Eichen wie Silberpappeln stehen. Warum brauchen wir die Weide nicht als Baum? wir könnten so wie hier das Holz zu vielerlei Hausgeräthe benutzen, es käme auf unsern immer überschwemmten Ufergegenden fort, und diente noch 109 als Damm gegen die landfressenden Fluthen der Donau. Aber die Bäume haben hier ein Wachsthum, das den unsern versagt ist. Ich möchte nur wissen, ob sie bei der schnellen Entwickelung, bei dem üppichen Wuchse, so lange dauern, wie bei uns. Längs den Wegen, längs den Auffahrten (avenues) sind sie sehr hochstämmig gehalten, damit die Luft unten stets freien Lauf hat, auch werden sie stets gelichtet, niemals gestumpft. Solchergestalt sind die Zweige gegen die Höhe des Baumes schwach; mir däucht aber, daß das Laub dabei an Schönheit gewönne. Wir konnten den Anblick dieser in Schatten versteckten Wohnungen, dieser jugendlich belaubten Alleen, dieser sich kreuzenden Kanäle, gar nicht müde werden. Nach einer Strecke Wegs kam wieder ein Stück Landes, wo die Verwüstungen der Wasserfluth noch deutlich vor Augen lagen. Der Sand hatte große Obstgärten bedeckt, an einigen Orten waren alle Bäume ausgewühlt, so, daß sie dürr und zerschlagen, alle in der Richtung der Fluth, auf dem Boden lagen.

    Nachdem wir zwei Stunden gefahren waren, ward ich durch einen rein polnischen Gebrauch ganz sonderbar überrascht. Der Kutscher bog vom Wege 110 ab in eine offne Scheune, wo er seinen Pferden Brodt gab, und dann am andern Ende heraus wieder auf die Straße einlenkte. Während er futterte machte er die Thüren vor den Pferden zu, welches ich sehr gescheidt finde, weil dadurch die Thiere sowohl, als der Reisende indeß vor Sonne, Regen und Luft geschützt sind. Diese Scheunen sind immer neben den Ställen und Remisen; in Polen machten sie einen Theil des Stalles selbst aus. Um zehn Uhr kamen wir nach Thiel, einem niedlichen, von Kanälen und Alleen umgebenen Städtchen, das von Reinlichkeit glänzte. Hinter dem Wirthshäuschen war ein Gärtchen – funfzehn Fuß ins Gevierte – voll bunter Blumen in schnörkliche Beetchen gepflanzt, bunte Schmetterlinge buhlten um sie, ein großes Vogelhaus mit bunten Vögelchen zwitscherten darin, ein Bauer voll Hähnchen mit ungeheuer großen rothen Kämmen krähte dazwischen, die Sonne in vollem Glanze strahlte es an, es fehlte nichts wie der Karfunkel, um es zu einem Guidoschen Garten zu machen – doch den hatte ich im Busen, denn mir wars, als sey ich in einem Zauberlande. Nun setzten wir uns in eine Stube, wo alles glänzte, ein hohes Fenster ging auf den artigen Marktplatz, 111 die nette Wirthin brachte uns Thee, Butterbrodt u. dgl. stellte es auf eine schneeweiße Serviette, der Theekessel kochte, ich nahm mein Strickzeug zur Hand und dachte ihr wäret alle ausgegangen und frühstückte einmal allein auf meinem Zimmer. Noch vor dem Thor gegen Cuilenburg zu, lag rechts über das Feld hin ein freundlicher Garten mit schwarzen Gattern umgeben, mit lauter Alleen von Weiden und andern grünen Bäumen durchschnitten, voll Blumen – Stockrosen und Sonnenblumen erkannte ich vom Wege aus. Das sey der Kirchhof, sagte mir mein Kutscher, mit dem ich durch Hülfe des Plattdeutschen recht gut fortkam. So möchte ich dann lebelang in Thiel Thee trinken, und dann in Thiel begraben seyn. Wie gut wissen die Leute zu leben und todt zu seyn. O du wunderliches Volk! Hier ist der Mensch allenthalben Werkmeister, und alles, alles Menschenwerk. Mir ists, als sollten diese Leute Gott vergessen müssen, weil sie alles selbst machen, bis auf den Boden auf dem sie ihre Bäume pflanzen, und darum ist es ja gut, wenn der Erhabene einmal seine Wasserfluthen über sie schüttet, sie könnten sonst endlich fragen: „Wo ist er? das haben wir ja alles selbst gemacht.“ Dagegen unsre Ber112ge, unsre Wälder! wie verschwindet aller Menschenwitz, alle Menschenkraft vor der Schöpfung, die der Hauch des Frühlings auf unsern Höhen hervorruft! Was sind seine Werke, wenn er seinen Blick auf die Scheitel unsrer Alpen richtet? Wie ruft ihm da alles, alles, das mächtige Wesen zu, vor dem seine Kraft schwindet, und von dem sie ausgeht. – Von dem sie auch ausgeht! – Ist nicht alsdann die hier überall geäußerte Kraft auch Offenbarung der Gottheit? – nicht Er in dieser Kunst, in dieser besiegten Natur, die hier zu ruhen gedachte unter der stehenden Fluth, vielleicht ausruhen wollte unter ihr von vollendetem Tagwerk, denn wer beweist mir, daß sie hier nicht einst Gebirge verschlang?

    Von Thiel aus nahten wir uns dem Rhein, über den wir bei Rehnen auf einer Fähre übersetzten. An der linken Seite des Weges fanden wir noch manche zerstörte Hütte, die der Strom vorigen Frühling einriß. Ihre Besitzer hatten sich einen Winkel darin bewohnbar gemacht, und arbeiteten, um sie wieder herzustellen. Durch die offnen Wände sah man den geretteten Hausrath stehen, lose Bretter verwehrten hie und da Sturm und Regen den Eingang. Der Gang der Ver113wüstung war deutlich zu sehen, allenthalben war die, gegen die Straße gekehrte, Seite der Häuser stehen geblieben, oder am wenigsten versehrt, der Rücktheil ganz hinweggespült, indeß rechts von den Dämmen die Wohnungen in besserm Wohlstande waren, denn zu ihnen gelangte die Fluth nicht. In der Nähe von Utrecht ist das Land weniger von Gebüschen und Landhäusern geziert, der Feldbau verdrängt die Triften, und fällt nicht durch seine Sorgfalt auf. Schöne bunte Blumen erfreuten das Auge in Roggen- Hafer- und Gerstenfeldern – dennoch habe ich nie schönre Gerstenähren gesehen, noch schwereren Hafer, es fehlt also nur an Reinigung der Saat. Dabei waren viele Felder sehr sandig, und viele so feucht, daß Schilf unter der Frucht empor wuchs. Die Dörfer wurden seit Thiel viel größer, wir fuhren vor verschiedenen Kirchen vorbei, die, obschon ihre Bauart oft sehr alt war – ganz die alte, halb pyramidalische Form möchte ichs nennen, wo die Breite vom niedern Dache an zunimmt, und durch die mächtigen Strebepfeiler, von der Seite gesehen, wie eine abgestumpfte Pyramide erscheint – dennoch sehr schmuck aussahen, wegen der wohl unterhaltnen Mauern, der hellglänzenden reinge114waschnen Fenster, und sorgfältig erhaltnen Dächer. Einige der Kirchen waren aber auch wie unsre neuen Bethäuser gebaut. Ich stellte mir immer vor, die ganz nahgelegnen besonders netten Häuser mit zierlichen Blumengärten, dicht gezognen Weingeländern an den Mauern, mit hohen Fenstern und weiß angestrichnen Kreuzstöcken, gehörten dem Domino, und dachte dabei, daß sichs hier müßte herrlich Domino seyn lassen. Um halb vier Uhr fuhren wir zwischen Windmühlen und Kanälen, an denen die schönsten Alleen prangten, nach Utrecht hinein. Was ich bis jetzt von der Stadt sah, berechtigt mich nicht von ihr zu urtheilen. Der erste Eindruck ist höchst angenehm. Alles verspricht Nettigkeit, Wohlhabenheit. Die Hauptstraßen haben große mit Bäumen bepflanzte Kanäle, neben denen breite, wohlgepflasterte Strassen hergehen. Die Häuser sind solide, ganz von Backsteinen gebaut, und nirgend sah ich so vollendetes Mauerwerk. Man muß hier noch nie an eine Fenstertaxe gedacht haben – oder recht betrachtet, ist es nicht sowohl die Zahl, als die Größe und Höhe der Fenster, welche auffällt. Und dabei die Helle und Reinheit des Glases! Dieser machte * * bei unserm ersten Mittagsessen in Utrecht 115 sehr unwillkührlich ein großes Kompliment. Sie stand am geschloßnen Fenster, als ein kleiner Schmetterling ihr über das Halstuch lief, sie wollte ihn zum Fenster hinauswerfen, und fuhr mit der Hand an die Fensterscheibe, die sie, ihrer vollkommnen Reinheit wegen, vor die blaue Luft gehalten hatte.

    Ich habe euch nun die Eindrücke geschildert, welche der erste Anblick dieses Landes auf mich machte. In meinen nächsten Briefen werdet ihr beobachten können, wie sie sich durch nähere Ansicht der Gegenstände und gewohnten Umgang modificiren. Alles weicht hier von unsern Sitten ab. – Das stört mich nie, denn ich lebte unter so verschiednen Menschen, in so verschiednen Ländern, daß ich mich ohne alle Mühe an neue Sitten gewöhne – allein die leblosen Gegenstände tragen hier überall das Gepräge des Menschenwerks. Gestern Abend drang sich mir das so drückend auf, daß ich aus dem Sallon unter den freien Himmel lief, um, zum Sternenheer aufstaunend, eines Anblicks zu genießen, der Gott allein aussprach. – –

 

 

116 Fünfter Abschnitt.

 

Der erste Eindruck, den mir Utrecht machte, ist durch eine nähere Bekanntschaft mit dieser Stadt nicht geschwächt worden. Ich bin gar nicht bös darüber, daß der Hof nur so kurze Zeit hier blieb, für die Größe dieser Stadt ists viel besser, daß hier kein Hof ist, eine Stadt, die bis jetzt ausschliessend den Wissenschaften und dem Handel oblag, konnte bei einem Hoflager nur – ausarten, sey der König den Wissenschaften auch noch so hold, und wünsche noch so ernstlich Fleiß und Sitten zu erhalten. Mir scheint bei der ehemaligen Wohlhabenheit und dem jetzigen Druck der Zeiten, dennoch viel Rechtlichkeit unter dem Bürgerstande, viel Häuslichkeit unter den höhern Ständen übrig geblieben zu seyn. Ausländer müßten die Sitten nur nie nach dem Vorbilde ihres Vaterlandes, Stadt oder Städtchens beurtheilen; müssen nicht denken, weil man hier nicht haushält, wie bei 117 ihnen, halte man gar nicht haus; nicht weil die Frauenzimmer hier nicht die Geschäfte treiben, wie bei ihnen, seyn sie ganz unthätig; weil sie nicht die Stundeneintheilung beobachten, wie bei ihnen, leben sie blos in den Tag hinein. Die Familienbande scheinen mir hier noch fest geknüpft, die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern der guten alten Zeit treuer wie in vielen andern Gegenden; man hat sich bei den zunehmend harten Zeiten weislich beschränkt, der Luxus scheint hier nicht mit der Verarmung zugenommen zu haben, wie ich es in manchen Gegenden, wo der Krieg seit Jahren seine Schrecken verbreitete, beobachtet habe. Die hiesige Universität hat von dem, was wir unter diesem Namen kennen, wenig Aehnlichkeit, aber viele Hülfsmittel an belehrenden Sammlungen, und zahlreichen Stipendien, besonders für Ausländer, sogar für Ungarn. Dieses alte Denkmal von Geistesverkehr zwischen dem West- und Ostende von Europa erfreute mich innig – für den überall Licht suchenden Menschengeist, für das schöne Band der Wissenschaft, das die fernsten Nationen verschlingt, und für die Ehre dieser wackern Stadt, die im Stillen so weit verbreitet wohl thut.

    118 Die Professoren scheinen mir nicht so scharf von den übrigen Ständen getrenut, wie auf deutschen Universitäten, besonders in kleinen Städten. Das mag zum Theil daher kommen, daß der Professor im Freistaat auch aktiver Bürger bleibt, noch mehr, daß die Gelehrsamkeit nicht blos den Professoren überlassen, sondern durch alle Stände verbreitet ist. Der Adel, der Handelstand, die Kirchenlehrer zählen Männer von seltnen Kenntnissen unter ihren Mitgliedern, viele der größten holländischen Gelehrten bekleideten keinen Lehrstuhl, und ohne gelehrt zu seyn sind einige Zweige von Kenntnissen unter alle Stände verbreitet. Ein Volk, dessen historische Laufbahn der Holländer ihrer glich, kennt seine Geschichte; und ein handelndes Volk nimmt unwillkührlich eine Menge Nationen auf, die den [sic] dämischen Lebensgange des gewöhnlichen Binnenländers fehlen.

    Die Lehrstunden geben den hiesigen Professoren nicht so viel Arbeit, wie einem Leipziger oder Göttingschen Lehrer. Der Cursus ist jährig – das heißt, er dauert 8 Monate, und die großen Ferien drei, außerdem finden noch einige kürzere statt, so daß gewiß vier Monat Freiheit herauskommt. Dabei lesen die Herrn lange nicht so viel 119 Kollegia, und bei der sehr geringen Anzahl von Studierenden gleichen sie mehr einer Privatstunde. Die Zuhörer zahlen das Honorar am Ende ihrer Studienzeit, also nach drei Jahren – und der Preiß scheint mir, im Vergleich der allgemeinen Theure der Bedürfnisse, sehr gering. Diese Verschiedenheiten würden von einem Lehrer, der von einer norddeutschen Universität hieher zog, reiflich überlegt werden müssen. Ich fürchte, es würde unserm Gelehrten-Stande schwer werden, sich hier zu finden. Er hat noch weniger Biegsamkeit der Sitten, wie ein anderer Stand, hängt zu der freien Regsamkeit seines Geistes, zu seinem gemüthlichen Leben, noch mehr wie ein anderer von seinen Umgebungen ab, und um sich diese ökonomisch, angenehm, und für den Holländer, dessen Mitbürger zu werden er doch streben soll, unstörend, unmißfällig zu machen, müßten sie doch ganz holländisch seyn. Wie hinderlich also für verpflanzte Menschen die größten Kleinigkeiten – besonders wenn sie Weiber aus dem Vaterlande mitbringen – auf ihren ganzen Zustand einfließen können, beachtete ich sehr oft mit wahrem Schmerz. Nach einem Aufenthalt von mehreren Jahren hörte ich in Süd-Deutschland noch norddeutsche Hausfrauen über 120 Dinge klagen, die mir die Anekdote der Französin ins Gedächtniß rief, die in London bitterlich über die Unmöglichkeit daselbst froh zu leben klagte, und zum Beweise im geläufigen Pariser Ton ausrief: es ist nicht erhört, wie weit der Engländer Barbarei geht! die gemeinsten Dinge wissen sie nicht zu bezeichnen – pour demander du pain ils Vous disent: donnez moi du bréad! du bréad! grand dieu quel peuple! – Der ehemalige Ruhm ihrer hohen Schule ist den Utrechtern noch frisch im Gedächtniß, sie halten die hiesigen Anstalten zur vollen Ausbildung eines Jünglings für vollkommen hinlänglich, so daß ich junge Leute, die hier geboren waren, von ihrer Bestimmung hier ihren Vätern in ihrer gelehrten Laufbahn zu folgen, mit der heitersten Zuversicht sprechen hörte, und auf meine Frage: ob sie denn nicht eine auswärtige Universität besuchen, nicht fremde Länder sehen wollten? versicherten sie mir, daß Utrecht alles in sich schlösse, was die Bildung eines Gelehrten anfange und vollende.

    Ich hatte einen Moment von komischer Demüthigung für meinen deutschen Nationalstolz – wie ich mit einem Utrechter über die Straße ging, begegnete ich drei jungen Männern, deren ganzes 121 Aeußeres meinen, seit einigen Wochen schon an sorgfältige, nette, geringelte Formen gewöhnten Blick, wunderbar verletzte. Große Stulpstiefel, hängende Ueberröcke, Sturmhüte, und ein Ensemble, das man in Norddeutschland seit vielen Jahren gewohnt ist, mit dem Ausdruck * * sche Studenten zu bezeichnen, fiel mir bei diesen drei jungen Männern, die uns auf der Straße begegneten, auf. Unbedacht zeigte ich sie meinem Begleiter und gab ihnen den Nahmen, den ihr Anblick in mir zurückrief, wie sie Arm in Arm sich führend, den breiten Weg einnehmend, neben uns vorüber zogen. Zu meiner großen Verwunderung antwortete dieser sehr unbefangen: ja, es sind Deutsche, für die wir hier viele Stipendien haben. Also Charakter haben unsre lieben Landsleute in Utrecht – welchen Charakter wir Deutsche überhaupt haben, scheint ja ohnehin noch nicht ganz bestimmt zu seyn.

    Der botanische Garten ist wohl unterhalten, von ansehnlichem Pflanzenreichthum, aber seine Lokalität scheint nicht allen Geschlechtern günstig zu seyn; für die Wasser- und Sumpfpflanzen schien es an Mitteln zu fehlen, er ist meist mit Gebäuden umgeben, und ganz ebnen Bodens. Da ich 122 ihn als Weib besah, nicht als Pflanzenkenner, gedenke ich nur mit Freude und Dank der vielfachen zarten Lieblingskinder der Natur. Ich ließ meine Phantasie, von ihnen geleitet, von Norden nach Süden schweifen, vom Japanischen Meer zu den Hebriden, und las in den zarten Blumenkelchen, in den tausendfachen Blätterformen die Größe der Schöpfung.

    Das Naturalienkabinet ist klein, aber wohl gehalten, an See- und Schalenthieren reich, besonders in der Schönheit der letzten, unter denen ich wahre Putzschränkchens Exemplare fand. Unter den in Weingeist aufbewahrten Mißgeburten bemerkte ich einen Umstand, der dem liberalen, wackern Aufseher dieser Anstalt gewiß als nichtsbedeutend nur entgangen ist, allein bei der Würde und Zweckmäßigkeit dieser Sammlung fällt er als ganz heterogen auf. Ein Paar mißgeborne Kinder haben Hals- und Armbänder von Perlen und Korallen um, mit denen verziert sie in ihrer übrigen nothwendigen Blöße sehr sittsam in ihrem nassen Häuschen sitzen. Da das das einzige Spielwerk war, welches ich bemerkte – und da mehrere Damen bei mir waren, hätte man gewiß nicht ermangelt, uns die vorhandnen aufzutischen, 123 so ist diese Bemerkung gewiß mehr ein Lob, als ein Tadel.

    Die physikalischen Instrumente sind neu, zahlreich, und einige sehr kostbar. Die Einrichtung der Anstalt erlaubt deren freie Benutzung unter Bedingung, die den wahrhaft Wißbegierigen nicht stört, und die Ordnung der Sammlungen dennoch sichert.

    Außer der Universität sind noch höhere und niedere Schulen hier, die mir nach den Lehrern und Schülern, die ich daraus gesehen habe, viele Achtung einflößen. Die Schüler sind öffentlichen Prüfungen unterworfen, nach welchen Prämien ausgetheilt werden, und die mit öffentlichen Reden von Seiten der Lehrer und Schüler in lateinischer Sprache verbunden sind. Die Feierlichkeit findet in der Kirche statt, der Redner spricht von der Kanzel. Die Preise bestehen in Büchern, meist schönen Ausgaben der Classiker, in schönen weißen und goldnen Bänden.

    Der hiesige Dom ist ein schönes Gebäude gewesen, eh ein ungeheurer Sturm gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, wie mir däucht, das ganze Schiff der Kirche einriß. Wie es zuging, daß er nicht die beiden Thürme über dem 124 Chor und der Porkirche früher umwarf, wie das Schiff, kann ich nicht begreifen, ihre Proportion und Schönheit lassen aber die Wiederherstellung des Ganzen sehr wünschen. Zu der Kirche gehören eine Zahl Canonikate oder Domherrnstellen, die viel Ansehen genießen, und einige Einkünfte gewähren. Das Stift wie die Kirche ist dem heiligen Martin gewidmet; er prangt in einem Gemählde des Saales, wo die Domherrn sich versammeln, und wurde uns noch in Stein gehauen gezeigt, wie er in dem umgewehten Theil der Kirche gestanden hat, jetzt aber einen Winkel des Kreuzgangs bewohnt. Im Gange von der Kirche in den Stiftssaal zeigte man uns ein in Holz geschnitztes, neu mit Oehlfarbe angemahltes Bildniß oder Bildsäule eines berühmten Bettlers, die Abzeichen seines Berufs, Fetzen und Schwären, auf das natürlichste geschnitzt und gefärbt; er hält einen Geldbeutel in der ausgestreckten Hand, so, daß ich ihn vielmehr für einen Strauchdieb, als einen Bittenden gehalten hätte. Dieser Mann hatte sich in diesem elenden Zustande ein so ansehnliches Vermögen erworben, daß er bei seinem Tode eine Stiftung machte, Kraft welcher – ich glaube wöchentlich? funfzig Armen ein Laib Brod 125 ausgetheilt wird. Diese Gestalt und diese Geschichte in diesem Tempel des reinen Protestantismus zu finden, war mir etwas unerwartet. Das Bild sah ich, die Geschichte erzählte mir der Küster weniger freundlich, aber mit viel mehr Glauben fordernder Wichtigkeit wie mein ehrlicher Priester in Cölln die Wunder der heiligen Ursula. – – –

 

 

126 Sechster Abschnitt.

 

In der Gegend von Gauda auf dem Lande, im August, 1809.

Meine Freunde hatten beschlossen, mir bei meiner Reise nach Amsterdam den doppelten Genuß einer Land- und Wasserfahrt zu machen. Ich bestieg also zu meiner Hinreise bis nach Lunersloot einen Wagen, den sie hier Kirebu – Gott weiß, wie sie es schreiben! – benennen. Er ist ganz wie ein Bremer Wägle gebaut, nur viel größer, im armen Norden findet er sich, nur viel kleiner, unter dem Namen Kibitka wieder ein, wo ihn die Polen und Russen durch ein Futter und Decke von Filz viel mehr zur Wärme, also gegen die Kälte einrichten. Hier ists ein ziemlich hochräderiges luftiges Gerüst, oben mit Wachstuch bedeckt, zu dem man zwischen den beiden Hinterrädern einsteigt. Es giebt deren mit drei Sitzen, die wegen der Menge Menschen, die sie fassen, zu Land127parthieen vorzüglich geeignet sind. Von Lunersloot weiter nach Amsterdam nahmen wir eine Chaise, und die Rückreise nach * * * sollte zu Wasser gemacht werden.

    Der Weg führte durch das artige Städtchen Weerden, das mit Graben und Wällen umgeben, wie eine recht friedliche Festung aussieht. Man kann die saubern niedern, mit fettem Gras bewachsenen Wälle gar nicht für Ernst halten, so wie die meist sehr kleinen, aber allerliebsten Häuserchen, oft nur von einem Stock, gar nicht aussehen, als könnten sie je einem Feind widerstehen wollen. Von der Stadt aus fährt man bei manchem artigen Bauergute vorbei, immer hat man zu beiden Seiten Gräben, die man hier so gewohnt wird, daß ich bei deren Ermangelung bald sehr verwundert frage: wo das Wasser hin sei? So wie man sich der Neuen-Schleuse nähert, hören die Dorfwohnungen auf, und eine zusammenhängende Reihe von Landsitzen fängt an. Da der Anblick dieser allerliebsten, oft sehr prächtigen Wohnungen, von den Kanälen aus sehr viel besser gesehen wird, die schönsten auch gegen das Wasser zu stehen, so will ich euch bei meiner Rückreise mehr davon sagen, und jetzt plötzlich 128 Abends um neun Uhr vor die Thore von Amsterdam bringen. Die Amstel scheint mir hier breiter wie der Rhein bei Mainz, der Himmel war umwölkt, aber der Mond spiegelte sich in der stillen kräuselnden Fluth. Näher gegen die Stadt zu ward das Schauspiel bezaubernd. Jenseits des Wassers sah man allenthalben unter den Bäumen hervor die Lichter der Wohnungen schimmern – denn das ganze Ufer der Amstel ist mit Häusern besäet, und diese Lichter zitterten im Wasser, und spiegelten sich auf der großen Fläche, und wurden jetzt von dem zarten Spiel der sie beschattenden Zweige in tausend Funken getheilt, und zerflossen dann von den kleinen Wellen fortgetragen, in tausend feurige Strahlen. Fern und nahe glühten die Wellen, und fern und nahe glühte das Ufer; um uns hohe Bäume, neben uns die freundlichen Häuser die sie versteckten, und von denen wir wieder nichts wie die Lichter wahrnahmen, und zuweilen einen Ton ruhiger Menschenstimmen, die der Zauberwelt den Stempel der Wirklichkeit aufdrückten, ohne ihr Anmuth zu rauben; denn es waren gemüthliche Töne, die an keinen Schmerz erinnerten. Hätte sich doch zu diesem Schauspiel von Ruhe und Größe, von Unbegrenztheit durch 129 halbes Dunkel und blendenden Glanz erzeugt, hätte sich doch der Zauber des Gesanges hinzugefügt! – nur eine Menschenstimme! bei dem leisen Ruderschlag der hie und da vom Wasser her tönte dachte ich immer das: O Santissima, das Vater Herder mit aus Italien brachte, hören zu müssen. Aber das ist kein singendes, ist kein tanzendes Volk – denn das seltene Stampfen an Kirmesfesten heißt nicht tanzen. Ein tanzendes Volk wartet nicht auf die Kirmes. Wenn am Fuße des Jura die Abendsonne auf die weißen Thürme von Estavayer scheint, und der See im Schatten des Gebirges ruht, warten die Mädchen, welche die Feierstunde von den Spitzenkissen aufruft, auf keine Geige zum Tanze; mit sanfter Stimme lösen sie sich einander im Gesange ihrer Rondeaus ab, und Jugendleben macht die Glieder gelenkig, die den ganzen Tag bei dem mühseligen Spitzenklöppeln erstarrten. Die heilige Therese sagte vom gefallnen Engel: Der Unglückliche! er kann nicht lieben! – wenn ich die angenehmen Mädchen vor ihren allerliebsten Häuserchen sehe, und die Familien so wohlgemuth vor ihren reinlichen Thüren, immer sitzend und immer klanglos, so möchte 130 ich sagen: die Unglücklichen, sie können nicht singen! – – –

    Das weite Wasserbecken wird enger, und die Stadt nimmt den Kanal auf. Es ist eine wunderliche Empfindung, im Finstern in eine ganz fremde Stadt zu kommen, und besonders in diese. Wohin ich blickte schimmerte Wasser, und spiegelten sich Bäume und Brücken, Bäume, Wasser und wieder Brücken. An dem Ton des rollenden Wagens hörte ich wohl, daß die Häuser um mich her hoch waren, besonders bemerkte ichs an den Orten, wo ich kein Wasser schimmern sah, da sah ich auch, daß ich in einer großen Stadt war, denn die hell erleuchteten, ausgeschmückten Kaufläden schimmerten von allen Seiten. In den Gassen wo Kanäle waren, sah ich nicht so viele Kramladen, hier schien aber überall das Licht aus dem Kellergeschoß heraus, wo in den großen Häusern das Gesinde wohnt, vielleicht auch noch, so wie es ehemals allgemein war, mancher Hauseigenthümer, der durch diese Beschränkung den Vortheil hat, sein übriges Haus sauber zu halten. Nach der langen Zeit die wir fuhren zu urtheilen, mußte die Stadt recht groß seyn. Endlich kam ich auf einen der schönsten Kanäle, wel131cher der Kaiserkraagt heißt, bei unsern gütigen * * an. – – –

    Mein erstes Bedürfniß war deutsche Zeitungen, und eine bestimmte deutsche Zeitung zu lesen. Seit fünf Wochen wartete ich auf einen deutlichern Bericht von der Schlacht von Wagram. Wie ich den funfzehnten Juli Bern verließ, war die Nachricht dieser Begebenheit da, aber sie wurde nicht publicirt. – In Deutschland fand ich nur die ersten eiligen Ansichten, den holländischen Currant – die einzige Zeitung die ich erblickte seit ich in * * * war, sagte wenig Details, nach denen ich doch sehr sehnsüchtig seyn mußte. – Dieser furchtbare Kampf, der unser politisches Daseyn entschied! Ich las bis tief in die Nacht, und schlief endlich – alle Wunden der blutenden Menschheit tiefer fühlend, zum ersten Mal in Amsterdam sehr ernsthaft gestimmt, ein. Das Donauufer verließ ich, wie zahllose Kriegsheere nach Osten zu strömten, die Schweiz verließ ich drei Monate später, wie der letzte furchtbare Schlag gefallen war, und zwei hundert Stunden weit von dem Schauplatz dieses Kampfes, werde ich wieder vom Kriegsgeschrei empfangen. Ihr werdet die Landung der Engländer mit einiger 132 Sorge um mich erfahren haben. Wenn ihr die Einnahme von Vließingen hört, und die Bewegungen die man hier zur Landesvertheidigung macht, vernehmet, werdet ihr sagen: aber was T ... macht sie denn in der Galere? sie hört schießen – wenn wir in * * * im Gehölz spatzieren gingen, tönte jede Salve wieder, bald schien der Ton über die Baumgipfel getragen, bald unter dem Boden dröhnend zu uns zu kommen. Das störte uns keineswegs in unserm Lebensgange. – – Lieben Kinder, heut zu Tage geht man dem Kriege nicht aus dem Wege! Darum traget den Frieden im Herzen wo ihr gehet. Uebrigens gehen die Dinge hier eben wie bei uns unter gleichen Umständen, das heißt, man schreit, schwatzt, lügt, verwirrt die Begriffe, und vermeidet nachzudenken, um nur nicht klüger werden zu müssen. Bei meiner Anwesenheit in Amsterdam war man so eben durch die Nachricht von dem Befehl einer allgemeinen Bewaffnung erschreckt. Alle streitbare Männer sollten sich, so sagte das Gerücht, bereit halten, dem Feind entgegen zu gehen. „Streitbare Männer?“ Man sollte denken, da setzte sich eine furchtbare Mehrzahl „in seines Nichts durchbohrenden Gefühle“ hin, und sönne nach, 133 wie sie ihre Söhne zu andern Dingen bilden möge, als sie selbst ist. Ich weiß nicht was an dem Aufruf wahr ist, noch wie die Sache sich geendigt hat; aber wenn ich auf den Straßen ging, sah ich die mir begegnenden Männer immer an, ob sie wohl unter die Streitbaren gehörten, und das Häuflein schien mir hier, wie überall, in einem gewissen Sinn nicht groß werden zu wollen.

    Ein junger Mensch aus dem Handelsstande, den ich sehr fleißig jagen, fischen und essen sah, da ich mit ihm auf dem Lande lebte, lernte eiligst die Becken schlagen, um unter der Feldmusik gebraucht werden zu können. Als Gemeiner zu dienen fühlte er nicht die physische, als Officier nicht die intellektuelle Kraft – denn nur so kann ich mir das schnelle Ergreifen seiner musikalischen Laufbahn erklären. Also ists hier, wie überall. In * * * hörte ich eine Mutter ihren Sohn bitterlich beklagen, weil er in seinem Standquartier nicht seinen gewohnten Wein fand, in * * bangte es einer andern, deren Sohn so eben das Conscriptionsloos getroffen hatte, vor der Wirkung des Frühaufstehens, des Wachens und der harten Lager, zu den allen er gar nicht gewöhnt sey – ists nun in Westen anders, wie in Osten? Kann es 134 anders seyn? Wird es anders werden? Ich hatte in meinem Zimmer in Amsterdam eine herrliche Tuschmahlerei, die Niederfahrt des Odin, eine von Hetsch, seinem großen Gemälde sehr verschiedne Composition, zu deren Wirkung das farbenlose Grau und Schwarz noch sehr beitrug – vor diesem Bilde stand ich oft, und hätte die Zauberin aus ihrer Felsengruft reißen und fragen mögen, ob unsrer Söhne Söhne Männer seyn würden? –

    In mancher Beschreibung von Amsterdam, welche der lernbegierigen Jugend gegeben wird, lernt man, daß daselbst die Kutschen auf Schlitten ruhen um durch die Erschütterung den auf lauter Pfählen gebauten Häusern nicht zu schaden. Das kam mir immer recht ängstlich vor, ich sah die Häuser beben wie ein Blancmange. – Wie es ehmals war, weiß ich nicht, vielleicht ging man behutsamer mit den Häusern um, jetzt rollen die Wagen ohne alle Rücksicht, und es wird hier mehr gefahren, wie an irgend einem Orte, den ich kenne, welches schon der häufige Landaufenthalt für die Handelsleute nothwendig macht, indem sie täglich in die Stadt kommen, oder, ist der Hausvater nicht mit auf dem Lande, dieser täglich zu seiner Familie hinausfährt. Auch giebt es Fahr135zeuge aller Art, unter denen man aber am wenigsten große Berlinen findet. Viersitzige Schaisen, zweisitzige auf zwei Rädern, ganz kleine schmale Schaischen ohne Verdeck, so leicht, daß ein Kind sie ziehen kann, oft sehr zierlich in Muschelform, mit Vergoldung, zu einem Pferde – das luftigste Fuhrwerk das sich denken läßt – die weiter oben beschriebnen Kirebu nicht zu vergessen, diese Fuhrwerke stehen Reihenweise bei den Vermiethern und warten auf Bestellung, indeß andre auf dem schönen Pflaster der Stadt, und auf den Sandwegen umher rollen. Innerhalb der Stadt werden die Kanäle zum gesellschaftlichen Verkehr gar nicht gebraucht, leichte Gondeln giebt es auch gar nicht, die zahllosen Fahrzeuge, die auf den Kanälen liegen, gehören alle dem Handel. Warum die holländischen Städte Venedig in einem Gebrauch nicht nachahmen, zu dem ihre Kanäle eben so geschickt sind, wie die Venetianischen, weiß ich nicht, bin aber in voraus so billig, einen vernünftigen Grund zu vermuthen. Der Anblick der Straßen längs den Kanälen, ist höchst angenehm; das Wasser ist trübe, es riecht auch an mehreren Orten, doch bei weitem nicht so lästig, wie ich es in der Mitte Augusts, bei starker Wärme erwartet hätte. 136 Schlammigt sind die Kanäle nirgends, und das Pflaster überall rein, und sehr gut unterhalten. An beiden Seiten des Kanals steht eine Reihe grosser Bäume, an vielen Orten ist sie doppelt, und zwischen dem Wasser und den Häusern eine breite gepflasterte Straße. Die Häuser, selbst die schönsten, reichsten, größten, haben noch das Ansehen von Privatwohnungen, weil sie keine Höfe vor den Häusern haben, wie in Warschau, Paris u. s. f. auch nur in wenig Häusern Einfahrten sind, sondern nur sehr mäßig große Hausthüren, zu denen schmale mit Geländer versehne Treppen führen. Unter der Treppe der Hausthür geht man einige Stufen in das Erdgeschoß herab, dessen Fenster tiefer wie die Straße liegen. Was diese Häuser auf das angenehmste auszeichnet, ist die Vollendung, die Ganzheit, das Ansehn von Neuheit, die vielen hellen Fenster, das schöne Fensterglas, die ungemein schön gemauerten Wände, das sauber angestrichne Holzwerk – nichts Geflicktes, Verblichnes, Verwittertes. Der Anblick der Häuser nimmt mit Achtung gegen das rechtliche Hauswesen der Bewohner ein. Sehr viele dieser Häuser sind sehr schmal, und belehren den Vorübergehenden, daß ihre Bewohner noch immer in einer 137 glücklichen Beschränkung leben. Vereinigt man dann aber ein und den andern Umstand der Zeiten und Sitten mit diesen engen Häusern, so fällt einen [sic] der fatale Brief aus Meisters Lehrjahren ein, wo Werner seinen läppischen Schwager nach des alten Meisters Tode die listig gewählte Beschränkung seines Hauses, seines Tisches so herausstreicht, und sich freut, daß ihm die erste verhindert Gäste aufzunehmen, und der letzte durch Wirthshausparthien ersetzt wird. Die Kaufläden sind in den Nebengassen – denn so muß ich sie in Vergleich der Grabengassen doch nennen? sie sind sauber, sehr reinlich, bei Tage die Waaren in großen ganz geschloßnen Glasschränken zur Schau ausgestellt, Abends mit Lampen und Spiegeln sehr glänzend erleuchtet. An Silberzeug, Uhren, Porzellan und Glas sah ich sehr reiche Läden, doch glaube ich, daß man aus Paris oder London kommend, hier wenig zu bewundern finden mag. Besonders schöne Porzellanladen bemerkte ich, doch von Pariser und Berliner Fabriken, nicht, wie ihr euch vielleicht vorstellt, von asiatischer Fabrik. Das bekannte japanische Porzellan, welches, wie man uns jetzt versichert, alles aus China kommen soll, wird immer seltener. Ich erinnere mich in meiner 138 früheren Jugend dergleichen Tassen und Schalen noch in vielen Familien des nördlichen Deutschlands im Gebrauch gesehen zu haben; in der Schweiz findet man hie und da dergleichen Tassen im Gebrauch, die durch den holländischen Kriegsdienst dahin kamen, aber sie werden nicht mehr ersetzt; die eleganteren Formen der vielen neuen Fabriken, vor allen das englische Steingut, verdrängte jene schönen, leichten, phantastisch gemahlten Gefäße. Hier sieht man deren noch in den meisten Häusern, oft von ausnehmender Schönheit, und einige Kaufleute sollen auch noch alte, unausgepackte Kisten voll großer Vasen und Schalen stehen haben. Mit diesen sind besonders die großen Kamine in den Landhäusern geschmückt, wo man die alte Pracht noch in Ehren hält. Dort finden sich mehrere Gesimse über einander, wo Gefäße jeder Größe in gehöriger Abstufung von drei Fuß bis zu vier Zoll Höhe, aufgestellt sind. Oft gehören zwanzig, dreißig Vasen zu so einem Aufsatz. Drei und fünf Gefäße werden gewöhnlich zusammen verkauft, und ich gestehe, daß ich dieses Porzellan allem, was deutsche, französische und englische Kunst in dieser Gattung hervor bringt, vorziehe. Wer Zeit hätte, die Gelegenheit abzu139warten, würde einzelne sehr schöne Stücke bei den Verkäufern finden können, die sie, obgleich nicht wohlfeil, wenn der Aufsatz nicht mehr vollständig ist, doch nicht theurer als die modigen Urnen der deutschen Fabriken verkaufen. In den alten Familien sind noch Schätze von diesem Geschirr aufbewahrt an Tisch- und Theeservicen, und wenn sie einen gewissen Grad der Pracht erreicht haben, sind sie der Mode nicht mehr unterworfen.

    In den Artickeln schnell wechselnden, schimmernden Luxus, des Hausgeräthes, des Anzugs, scheinen mir die Amsterdammer noch etwas zurück zu seyn. Das wird schon kommen! der Kreislauf muß vollendet werden; die ehrwürdige Größe muß dem zierlichen Glanze Platz machen; die mühsam erworbnen, sorgsam gehegten Reichthümer, müssen in tausend Kanäle wieder vertheilt werden. Ist das gut? ich weiß nicht! in so fern es unvermeidlich ist, gewiß. Allein weh thut es mir, vielleicht mir weher als den Vätern, die wunderbare neue Artikel am Ende des Jahrs in ihren Haushaltsrechnungen finden werden, mehr wie den Müttern, die ihren Jugendstaat verachten hören, und sich selbst in der sechzehnjährigen Tochter nicht mehr erkennen. Daß lang zusammen gehaltener Reichthum 140 zertheilt wird, ists nicht, was mich betrübt, daß statt alten Sitten neue eintreten, ists auch nicht, aber ich vermisse einen gleichen Fortschritt der allgemeinen Bildung mit der allgemeinen Verfeinerung – denn Verfeinerung nennt man es ja! – Ist das überall so, wo man die Fortschritte der Verfeinerung so deutlich verfolgen kann? Mir däucht, die Deutschen wären so glücklich gewesen bei der überhandnehmenden Verfeinerung, auch eine allgemeinere Verbreitung von Kenntnissen zu genießen – ich erinnere mich noch sehr wohl, wie meine Großmutter sich kleidete, ihres Geräthes, ihrer Gesellschaft, ihres Tons – aber wenn das alles jetzt anders ist, so erinnere ich mich auch was sie für Vorurtheile hatte, was man damals nicht wußte, nicht lernte, nicht dachte, was damals ganz zu denken verboten war, was nur der Spekulation erlaubt war. – Ob wir darum jetzt besser daran sind? das muß das nächste Geschlecht ausweisen. Daß der Luxus des Jahrs 1809 mit den Ansichten und Begriffen von 1770 verbunden, ein sehr unerfreuliches Gemälde darstellt, habe ich wahrgenommen.

    Unter den zahllosen Kramläden, die hier oft ganze Straßen lang fortlaufen, befindet sich in der 141 Nachbarschaft der Börse auch eine ganze Reihe Obstläden, die mich an Kotzebues lebhafte Beschreibung des neapolitanischen Obstmarktes erinnerten. Solche Früchte sehen wir weder an der Elbe, noch an der Donau, noch am Rheine, weder so schön, noch in dieser Menge und Mannichfaltigkeit. Bis tief in die Häuser hinein stehen sie amphitheatralisch aufgeschichtet in dem buntesten Farbengemisch. Die Ananas mit ihrer stolzen Krone zu oberst, um den Blick der Vorübergehenden zu blenden, dann folgt das ganze Geschlecht der Melonen, gelbe, grüne, graue, in länglicher und runder Gestalt, unter ihnen die goldne Frucht von Portugals und Spaniens Küsten, Orangen, wie sie der Garten der Hesperiden nur darbot; nun reihen sich die köstlichsten Weintrauben an – man ist versucht zu glauben, die Sage von Josua und Kaleb gründe sich auf sie; Pfirschen von der schönsten Gattung, Pflaumen jeder Art sind ihre Nachfolger, und zuletzt stehen artige irdne Geschirre mit Maulbeeren, Erd- und Himbeeren. Bei diesem Anblick glaubt man unter einem südlichen Himmel zu wandeln, und doch sind diese Früchte zum größten Theil in Treibhäusern, alle wenigstens in Wärmekasten gezogen. In dieser 142 Kunst scheinen unsre Gärtner, auch die, welchen man die Kosten dazu nicht verweigern würde, noch weit zurück – vielleicht ist auch die Luft, das Wasser, hier dieser künstlichen Vegetation günstiger. Ihre Behandlungsweise scheint mir übrigens sehr leicht nachzuahmen, sie gewährte manchem müßigen Landjunker eine angenehme Beschäftigung, sobald er sie durch den Nahmen von Liebhaberei, Kaprize, oder Naturbeobachtung veredelt hätte. Die Gärtner biegen den Weinstock um, und bringen ihn, vielleicht zwei Fuß von der Wurzel, seitwärts in einen gemauerten Glaskasten. Hier zieht man ihn auf ein schräges Geländer, unter dessen höchsten Seite ein Mensch aufrecht stehen kann. Dieses ist, wie jedes andre Mistbeet, mit Fenstern bedeckt, welche mit der größten Aufmerksamkeit bald geöfnet, bald verschlossen, bald bedeckt, bald dem Sonnenstrahl ausgesetzt werden. Der Stamm über der Wurzel, und diese selbst genießt indeß der freien Luft, und wird im Winter gegen die Kälte geschützt, indeß es die Zweige durch die Glasfenster und ihre Hüllen sind. So ein Weinstock hat acht und mehrere Zoll im Durchschnitt. Während der Sommerzeit geht der Gärtner jeden Morgen durch eine Thür in den Kasten, sucht Fliegen, 143 Ameisen, jedes Gewürm ab, schneidet mit einer Scheere jede angefressene Beere an der Traube aus, damit die übrigen weder angesteckt noch in ihrem Wuchse gehindert werden, so, daß die reife Traube endlich ohne Makel und ein Muster von Vollkommenheit ist. Eben so behandelt man die Pfirsichbäume, Kirschen und andre Sommerfrüchte. Die Pfirschen sind von einer Vollkommenheit, von einem Dufte, einer Farbenglut, wie ich sie nirgends fand, in den günstigsten Lagen am Rhein nicht, in den künstlichsten Treibhäusern von Potsdam nicht, und die kostbaren Pfirschen, welche täglich ein Courier von den königlichen Treibhäusern in Warschau der Kaiserin Katharine nach Cherson bringen mußte *), schienen Holzäpfel dagegen zu seyn. Bei dieser Fülle von Früchten, bei einer großen Verschiedenheit von Confitüren, die man hier von den Inseln erhält, könnte ich leicht in Gefahr kommen, mich recht an diesen Zweig des Irrdischen zu hängen. Sorgt aber nicht.

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    *) Im Jahr 1787 zeigte man der Briefstellerin auf des Königs Landsitz bei Warschau Pfirsichen, welche der damals in Cherson anwesenden Kaiserin durch Courriere zugesandt wurden.

 

144 Meine Freunde tadeln mich noch immer wegen meiner spartanischen Lebensweise, und ich mache ihnen dagegen die Bemerkung, wie sich die Beschränktheit des Menschen bis zur Naschhaftigkeit erstrecke, und ich oft weinen möchte über meine Unfähigkeit des Guten mehr zu genießen. Ach es ist nicht die Sättigung, nicht die Näscherei, warum so eine Fülle köstlicher Früchte erfreut – es ist die Täuschung, die sie hervorbringt, als scheine hier eine wärmere Sonne, und als werde bei ihrem holden Strahl jeder Lebensdruck erleichtert. Aber das ist dann freilich eine Täuschung, wie die Wärmekasten beweisen. Hesperiens Sonne mahlte diese Früchte nicht, und dieser ehrliche Gärtner bedarf außer eines Obdachs noch der Dämme, damit sein Garten nicht weggeschwemmt werde, und des Torfes zu einem erwärmenden Winterfeuer, und siebenfacher Kleidung gegen den schneidenden Nord – nein! wo der Weinstock Schutz gegen die Sonne sucht, am schattigten Oehlbaum, da ist der Lebensdruck für den natürlichen Menschen erleichtert.

    Meiner spartanischen Lebensweise, wie man meine Mäßigkeit hier nennt, unbeschadet, finde ich, daß die hiesige Luft eine große Veränderung 145 in der Diät gebietet, gegen die sich eigensinnig zu wehren, vielleicht dem Fremden oft schädlich werden mag. Man rieth mir hier Wein, und einen ziemlich starken rothen Wein zu trinken; ihr würdet erschrecken, mich bei jeder Mahlzeit einige Gläser Medoc trinken zu sehen, aber es bekommt mir gut, ich empfinde keinen übeln Einfluß von diesem Clima, das man für mich so besonders nachtheilig hielt. Warum nun hier einige Gläser Wein auf einen Kopf, der sonst von einem Glase gespannt werden kann, nichts wirken, mag ein Gelehrter entscheiden. Mehrere Männer machten an sich, freilich nur in einem verschiedenen Maaßstab, dieselbe Erfahrung.

    Alle Montag ist Blumenmarkt in Amsterdam. Dort findet man in langen, langen Reihen alle Pracht dieser sinnvollen, leichtgestalteten, schnellvorübereilenden, herrlichen Schöpfung vereinigt. Mir ward wie einem Kinde zu Muthe vor Erstaunen und Freude und Wehmuth bei diesem Anblicke! Auf hohen Gerüsten stand die stolze, reiche Hortensia, über ihr das zahlreiche Geschlecht der Geranien mit ihren glühenden Farben, dann die schönsten Nelken und Levkoyen mit Stengeln, an denen zwanzig und dreißig Blumen so groß wie 146 kleine Rosen prangten, blühende Rosenstöcke jeder Gattung, Mirthen, Granaten, kleine Orangenbäume, hoher Rosenlorbeer, und unter diesen in Töpfen gepflanzten Gewächsen standen zahllose Körbe voll großer Sträußer von allen Blumen der verschiedensten Jahrszeiten. Dieser ganze Handel wird von Juden getrieben. Sie kaufen dieses holdeste Geschlecht aller gestalteten Wesen meistens in Harlem – das Reich der Blumenzucht, – auf und da fallen denn schon wieder die Flügel der Phantasie matt nieder, wenn ihr der Vermittler vorschwebt zwischen der schaffenden Natur und dem blühenden Mädchen, das jetzt so einen Strauß an den Busen steckt – sie erblickt einen schmutzigen zerlumpten Juden! – Und doch ist mirs, als müste dieses arme Volk heitrer und freier hier herum gehen, weil es mit Blumen handelt. Den Amsterdammern weiß ich es recht Dank, daß sie die Blumen so lieb haben. Warum soll es mir nicht gegen die ganze Stadt die Empfindung geben, die mir jeder ei[n]zelne Mensch giebt? wenn ich einen Unbekannten sehe, der Blumen gern hat, faß ich Zutrauen zu ihm. Blumen sind die Liebe des Kindes, das nur Glück ahndend in das Leben tritt – sie sind oft die 147 letzte Liebe dessen, der kein Glück mehr hofft – sie blüht ihm ja noch auf Gräbern.

    Ich begreife nebenbei hier aber nicht, warum die Blumen hier viel mehr Schatten vertragen können wie bei uns? Bei uns in * * * stehen Geranien und Hortensien in dem großen auf vier marmornen Säulen ruhenden Kamin, der jetzt, und ich glaube nie gefeuert wird, kein Sonnenstrahl dringt je dahin, er ist am weitesten von den Fenstern des großen Gemachs entfernt, und seit vier Wochen blühen diese Pflanzen auf das lustigste fort.

 

 

148 Siebenter Abschnitt.

 

Mit welcher Neugier, nicht Erwartung, ich endlich an den Hafen kam! In der Begleitung unsers gütigen * * war es mir erlaubt, das Innere des Admiralitätsgebäudes zu sehen. Es ist von einem ungeheuern Umfange, und besteht aus mehreren Theilen, indeß eine große Fronte gegen die Stadt zu die eine Seite einer Straße ausmacht, die gar nicht breit, und gegenüber mit Häusern besetzt ist, die von einer Menge beim Schiffbau angestellten Leute bewohnt sind. Bei dem unermeßlichen Werth dieser Anstalt war es mir ängstlich, so nahe dabei die tägliche Gefahr von Feuersbrunst zu sehen, man fand aber meine Furcht überflüssig, die Gefahr muß also berechnet seyn. Auf der Wasserseite ist ein breiter unabsehlich langer Steindamm, mit den mancherlei Bedürfnissen und Handwerkszeugen bedeckt, welche der Schiffsbau auf dem, hinter dem Arsenal befindlichen Werfte 149 erfordert, oder mit Gegenständen zur Ausrüstung, welche die Nässe und Luft nicht angreift. Der Moment endlich in der Wirklichkeit zu sehen, was das Auge so oft in mannigfaltiger Darstellung beschäftigte, ist äußerst wunderbar. Mein Kopf ward schwindlich, in der Bemühung die Unterschiede des Vorhandenen und Vorgestellten zu entdecken, er ward schwindlich, die Erinnerungen von der Gegenwart zu trennen, und die Gegenstände der Beobachtung von den Ideenverbindungen, in denen sie ihnen immer interessant geworden waren. Der Anblick eines Kriegsschiffs von vier und achtzig Kanonen, das vor kurzem vom Stapel gelaufen war, machte mich bestürzt – nicht wegen seiner Größe, nein, die Größe ergriff mich gar nicht, sie wird durch den Raum in dem es steht, durch die unabsehliche Wasserfläche hinter ihm, durch die große Steinmasse des nahen Admiralitätsgebäudes, sehr herabgesetzt. – Meine Bestürzung rührte daher, in einem Gebäude jetzt herum zu gehen, das ich eben so, in jedem Detail, bisher vor mir auf einem Tisch hatte stehen sehen. Das schöne Modell des Schiffes Aurora, das ich in * * * so oft, so aufmerksam betrachtet hatte, war mir in allen seinen Theilen so 150 gegenwärtig, daß ich jeden Winkel des Admiral Ruyter, so war dieses Schiff genannt worden, erkannte, und seine Bestimmung errieth. Es war in seiner innern Einrichtung noch längst nicht vollendet; ohne Masten und Tauwerk, denn nur in diesem Zustand wird es vom Stapel gelassen, und liegt nun zu seiner weitern Vollendung ganz nahe am Damme, der in den Hafen hinausgeht. Ich hatte mir die Sache anders vorgestellt, dachte mir das Schiff ganz vollendet, wie Modelle und Gemählde es uns darstellen, um vom Stapel gelassen gleich fertig nach dem fernsten Weltende zu seegeln, das war dumm gedacht; ich hätte mir denken können, daß diese ungeheure Maschine, um in die Wogen zu gleiten, nicht das ganze Gewicht haben darf, welches ihr Ausbau ihr giebt. Mir war übrigens bei dem Umhergehen neben den Kanonen, dem Anblick des Takelwerks der benachbarten Schiffe, der Näthe in den Seegeln, der Fensterscheiben in den Kajüten, wie es mir oft im Fieber war, wenn Gegenstände von gewöhnlicher Größe plötzlich sich zum Ungeheuern ausdehnen, – wie Faust da der Pudel zum Elefanten wird. – So wenig mir nun die Größe des Admiral Nuyter von außen aufgefallen war, so sehr über151raschte sie mich, wie ich auf dem Verdeck umher ging, und nun vom Schnabel zum Steuer hinab sehen konnte. Da ergriff mich der Gedanke des Menschenwerks! nun mahlte ich mir die Auftritte, zu denen dieses Schiff bestimmt war, nun dachte ich mir die Jahrhunderte, die verflossen, ehe dieses ungeheure Gebäude bis auf jedem Zoll seines Raumes berechnet, auf dem pfadlosen Ocean segeln lernte – ich dachte mir Agamemnons schön geschnäbelte Schiffe neben dieser stolzen Wellenkönigin, dachte mir die Schlacht von Salamin, und den Kampf zu dem dieser Riesenbau bestimmt ist. – O ich hätte vieles, vieles darum gegeben, eine halbe Stunde hier allein bleiben zu dürfen! ich sah den Mastenwald hinauf nach Osten, und den Mastenwald hinab, wo die Sonne sank – und über die trüben Wellen hin, die ihre salzige Fluth mit dem nahen Ocean verbinden, und vermählte die neuen Bilder meiner Seele mit euerm Andenken, und dem des theuern Todten, der vor achtzehn Jahren an eben diesem Platze stand. Das Kriegsschiff, das er damals in die Wellen gleiten sah – welche fremde Meere durchschnitt es seitdem? wie viel Blut trank es? verschlangen es die Fluthen des Oceans, wie ihn die Fluthen 152 des Schicksals? – Wenn die Gewässer so flüstern und rollen, und der Wirbel geheimnißvoll sich dreht, möchte ich mein Ohr zu ihnen neigen und horchen auf die Jahrhunderte, die sie vorüberfliehen sahen, auf das Verderben, das sie einschließen. – In ihrer beweglichen Gestalt sich ewig ähnlich, scheinen sie mir die nie alternden Zeugen der Weltgeschichte zu seyn. – – –

    Die verschiedenen Gestalten der Schiffe sind sehr bemerklich. Die feste, breite Philistergestalt der Kauffahrer, die leichte pfeilschlanke Form der Fregatte, – es lag eine, die Morgenstunde genannt, dicht an der Brücke, so nett angemahlt, die Fenster der Kajüte so glänzend, die Rahmen schneeweiß, die Wimpel flatterten lustig, und sie schien mir der Aal unter den Schiffen zu seyn. Ein aufgetakeltes seegelfertiges Kriegsschiff erscheint dagegen wie ein stolzer Schwan. Nichts edleres wie dieser Bau! Inniger muß Größe und Leichtigkeit nicht gepaart werden können. Die Wellen wiegen es sanft, die bunten Ankerkörbe plätschern um sein hohes Steuer und Schnabel. Diese Ankerkörbe sind Maschinen von groben Weiden in Gestalt einer vollen Spule gebildet, und farbig angestrichen. Sie bezeichnen 153 den Ort wo der Anker liegt, da sie gerade über ihm schweben, vermöge des Seils, das sie an ihn knüpft. Die hohen Masten, das regelmäßige Tauwerk, die zierlich gefalteten Segel geben der Gestalt etwas Geputztes, etwas Vollendetes; der feste Kern geht so allmählig in die farbiger fallenden Wimpel aus, das lange Bogsprint ragt über die Welle, und scheint das ganze Gebäude beinahe schwebend zu erhalten über dem gefährlichen Elemente, auf dem es ruht. Dann sitzen die Matrosen so heimlich und häuslich auf dem Verdeck, auf dem Raan rutscht eine Menschengestalt so wohlgemuth und nachläßig, wie euer kleiner Bruder, wenn er in dem Gipfel der hohen Ulmen sich ein Plätzchen sucht. Alles Angestrengte fällt hinweg, es ist eine andre Welt, das ist Alles. –

    Wir bestiegen eine königliche Jacht. Den Seemann, ja nur den Küstenbewohner, mag an so einer Jacht nichts ärgern und stören, er betrachtet jedes Fahrzeug nach seinem Gebrauch. Ich, ungewohnter diese Maschinen in der Wirklichkeit zu sehen, gewohnt sie nur im Gefolge wichtiger Begebenheiten, ernster Beziehung, zu denken, empfand Befremdung bei dem Anblick eines Schiffs, das dem Putzzimmerchen einer petite Maitresse 154 ähnlich sieht. Von der unter die Sterne erhobenen Argo zu den Galeeren des Hannibal, weiter zu dem Fahrzeug auf dem Columbus der sinkenden Sonne nachsegelte, oder den im Untergang singenden Vengeur, den Lebrüns erhabne Muse besang, und mir einen Genuß damit schenkte, den jede Erinnerung daran erneut *), endlich bis zu dem schicksalsvollen Schiffe, auf dem Napoleon von des Nils Gewässern an Frankreichs Küsten segelte – wie kann man sich neben diesen Bildern, an die sich zahllose andere, eben so ernste bei mehrerem Nachdenken anschließen, wie kann man da eine andre Gestalt denken, als ein Stürmen trotzendes, seinen Bewohnern nur die ersten Bedürfnisse gewährendes Obdach? – Welche Zierlichkeit, welche Gemächlichkeit bietet dagegen eine solche Jacht an? von dem glänzenden Verdeck steigt man auf einigen mit Teppichen belegten Stufen in die Kajüte. Eine Reihe heller Fenster mit eleganten Vor-

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    *) Der Vengeur kämpfte im ersten Kriege mit England seit der Revolution in den Gewässern zwischen England und Frankreich mit englischen Schiffen, nach langem Widerstand erliegend verwarf er die Rettung, welche der Feind ihm anbot, und sank unter dem Siegesruf: Es lebe die Freiheit! in den Abgrund hinunter.

 

155hängen versehen, erleuchten ein kleines Zimmer, das mit Spiegeln, Sopha, Camin, so bequem und zierlich, wie möglich, aufgeputzt ist. Der blumige Fußteppich harmonirt mit den Farben der Vorhänge, mit dem Ueberhang der Sophas. In der Mitte steht ein großer Mahagoni Tisch, dessen Platte eingehangen ist, nicht fest ruht auf ihren Füßen, so daß sie bei der Bewegung des Schiffs stets die waagrechte Stellung behält. Da hier gespeist wird, ist dieser Umstand für Sauçen und Suppen sehr wichtig. Neben diesem Sallon, wenn ihrs so nennen wollt, war das Schlafkabinet, alles mit feinem Musselin und blauen seidnem Zeuge dekorirt. Das Bett ist in der Wand angebracht; ein kleiner Bücherschrank, einige andere Bequemlichkeiten für die Toilette sind in dem sehr kleinen Raum auf eine so geschickte Art angebracht, daß für alles Platz ist. Eine kleine Küche, ein Zimmer für die nothwendigste Bedienung nimmt den übrigeün Raum ein. In diesem sind die Betten wieder in der Wand befindlich, so daß sie Nachts wie ein Tisch herab geschlagen werden, bei Tage aber nur die Dicke der Matratze innerhalb der Wand einnehmen. Zu Seereisen werden solche Fahrzeuge sehr natürlicherweise nicht gebraucht, 156 nur um auf dem Y, höchstens den Texel zu befahren. Aus besonderer Begünstigung erlaubt der König davon Gebrauch zu machen. So segelte die Familie * * * von Ostfriesland auf einer solchen Jacht nach Amsterdam, und der * * Gesandte besuchte uns darin in * * *. Dieses Frühjahr gab der König auf der eben beschriebenen Jacht ein Frühstück, bei dem die von allen umliegenden Schiffen schallende Musik, der Donner des salutirenden Geschützes, der dumpf über die Wasserfläche hinrollt, die flatternden Wimpel von allen Masten der zahlreichen Schiffe umher, ein herrliches Schauspiel gewährt haben soll.

    Einen andern Tag bestiegen wir eine Schaluppe und segelten hinaus in das Y. Amsterdam dehnt sich in einem vollkommnen halben Mond um den Hafen her. Schöne Häuser, schöne Bäume, schöne Thürme, doch keiner, der sich durch seine Höhe auszeichnete, umgaben den ungeheuern Halbkreis, weiter hin liegen schöne Dörfer und Städtchen, deren rothe Dächer über den Wasserspiegel hervorsahn – denn eine Aussicht auf das Land hat man nirgends, das niedrige, der Wasserfläche gleiche Ufer, zeigt nirgends eine Perspektive, nirgends Fernen. So ist auch die Aussicht auf 157 das Meer gar keine ausgedehnte Aussicht – ach sie ist wie die Aussicht ins Leben, wenn nichts Irdisches es begrenzt – der Himmel vermählt sich sogleich mit der Erde! Man führte mich in Amsterdam auf einen hohen Punkt, wo ich gegen den Pampus hin die Zuidersee sich öffnen sah. Dort war nun keine Grenze, aber auch keine Ferne. Der blaue strahlende Himmel senkte sich herab, und wo er den grauen, schimmernden Wasserspiegel berührte, lag ein leichter Nebel. Ob es auf dem Ocean anders ist? Vielleicht ists anders von einem hohen Felsenufer herab, vielleicht von dem Gipfel des Vesuvs. Aber je niederer du stehst, je beschränkter ist diese Unendlichkeit. Auf dem Y richtete ich meine Blicke so, daß ich der Wasserfläche so nahe wie möglich war, und suchte jene Richtung nach dem Zuidersee wieder auf. Die rothen Dächer der Nordholländischen Dörfer blickten wie Johanneswürmerchen über den grünen Faden des niedern Ufers her, und jetzt hörte der grüne Faden auf, und der leichte Nebel vereinte Himmel und Erde. Aber der Anblick des großen ungeheuern Gewässers so nahe an seiner Oberfläche, der ist ergreifend. Es scheint sich zu heben, zu wölben, zu steigen, du siehst nichts wie das furchtbare, lü158gende, formlose, lebendige Element, es scheint dich zu locken, zu rufen, der leichte Wellenwechsel wird eine Geistersprache, und ich glaube, die Einbildungskraft könnte die Sinne verwirren daß man sich hinabstürzte in den lockenden Schlund.

    Das Wetter war herrlich an dem Tage da ich auf dem Y fuhr. Die Stadt lag im hellen Sonnenglanze, und wie die Sonne sank, schimmerten die Thurmknöpfe und Fenster, und Wimpel der zahllosen Schiffe, die Masten standen so stolz und fest, verschlungen mit dem symetrischen Tauwerk. Längs dem Hafen waren viele Kanonier-Schaluppen postirt, jede mit zwei Kanonen bewaffnet, und dem feindlichen Angriff abzuwehren bereit. Hinter ihnen lagen Kriegsschiffe mit hochaufgerafften Segeln, und schienen durch ihren schlanken mächtigen Bau, wie die Wettrenner auf dem Isthmus von Korinth, nur das Zeichen zu erwarten, um dahin zu gleiten auf der unermeßlichen Bahn. Das Herz hebt sich bei dem Anblick! die Brust wird erweitert und das Leben drängt sich Muthathmend in den Kampf mit Schicksal und Wellen. Mehrere amerikanische Schiffe hatten so eben gelöscht und lagen vor Anker. Ihre blau und rothen Fahnen mit weißen Streifen verbun159den flossen in der Luft, die Männer der andern Halbkugel saßen gemüthlich ihre Pfeife rauchend auf den Verdecken, und fühlten sich fern von der Heimat auf diesen schwimmenden Brettern zu Hause. Mehrere große Fahrzeuge mit drei Segeln, ein großes in langem Viereck, ein dreieckiges, und eines in Würfelform (daraus möchte wohl ein Seemann nicht klug werden?) durchkreuzten, nur um die Kunst des Steuerns zu üben, die weiten Gewässer. Muthwillig zwangen sie den Luftstrom ihrer Geschicklichkeit zu dienen, fuhren mit demselben Winde herauf und herab, spielten auf der falschen Fläche wie muntre Knaben auf dem grünen Rasen. Mehrere Fahrzeuge segelten mit günstigem Winde nach Nordholland, sie werden nur zu den Fahrten im Y und im Harlemmer Meer gebraucht, ihr großes Segel ist oben schmaler wie unten, und ihr Lauf schnell und lustig. Andre Schiffe segelten gegen den Pampus zu – je weiter sie sich entfernten, je weißer schimmerten ihre Segel, bis sie dem Auge wie Schwäne erschienen, die mit der Fluth buhlend, ihr Gefieder aufblähten. Hier und da erhuben sich, bei der Annäherung unsers Fahrzeugs, kleine Haufen von Vögeln, die man mir Meerschwalben nennte, der 160 Bauch und die innern Flügel waren weiß, an Größe glichen sie den Tauben, oder waren noch größer, sie plätscherten auf dem Wasser, ließen sich vom Winde treiben, oder ruderten ihm entgegen, leicht und kräftig, als solltens von ihnen die großen Menschengebäude lernen, die ihr angeerbtes nasses Reich durchziehen. Mit unglaublicher Leichtigkeit hoben sie sich dann aus der Fluth, wiegten sich über der Wasserfläche, schwangen sich empor, die weißen Federn ihrer Brust blendeten von der Sonne bestrahlt das Auge, und der Vogel schwamm dahin in dem reinen Elemente, ward zum Punkte im Aether, und verschwand. O wie das Anschauen der Welt von der Welt erhebt! so wie der höchste Moment des Glückes von dem Leben abläßt. Nur im schweren Nebel der Alltäglichkeit, nur im groben Bedürfniß der Sinnen kann das Leben uns fesseln. – Wie leicht vergessen wir uns selbst, wenn alles um uns größer ist, wie wir. – Das ist auch der Grund, warum wir so vieles überleben; nur der erliegt dem Schicksal, der nicht den Muth hat, selbst zu verschwinden vor seiner Macht. – –

    Ich dachte, ich hätte viel gesehen – habe aber nur viel empfunden und also wenig zu erzählen. Wenn aber das Schicksal Eure Freunde, 161 Eure Söhne auf das Meer führt, so glaubt mir, waren sie fähig zu empfinden, so erhebt sie das Auffassen dieses Anblicks über sich selbst. – Und das thut der Anblick der Welt immer, wenn unsers Geistes Auge zu sehen geschickt ist, und hat es dann die Welt erblickt, und kehrt dann zurück in sein Inneres, so findet es auch da wieder Wunder und Größe, und die Seele wird frei, welche Fessel auch dem Busen drückt, den sie belebt.

    Einige schöne Stunden brachte ich im königlichen Museum zu, so nennt man etwas, das noch nicht ist; eine sehr unvollständige Sammlung von Gemälden, der einige Antiken ohne allen Zusammenhang beigefügt sind. Sie befindet sich im königlichen Palais, dem ehemaligen Rathhause. Dieses sehr schöne Gebäude steht auf einem freien Platze, wo es sehr gut in die Augen fällt. Ob es den Forderungen der Kunst entspricht, weiß ich und verstehe es nicht, denen meines Gefühls genügt es nicht. Es hat etwas Isolirtes, ohne die Gedanken an Größe zu erregen, weil so viele Fenster und Fensterchen drinnen sind; es steht so viereckigt, und ist durch nichts mit der äußern Welt verbunden. – Bald denke ich, es sey noch nicht fertig, bald scheint es mir schon seiner Vollendung 162 wieder beraubt; doch über Architektur müssen Layen gewiß am wenigsten urtheilen. Auf mich haben die Trümmern Griechenlands und Roms, und alle große Trümmern immer mehr gewirkt, wie das schönste Vorhandne – welches beweist, daß ich keinen künstlerischen Sinn für Baukunst habe, denn bei den Trümmern wirkte die Weltgeschichte auf mich durch den Anblick, also nicht die Kunst. Sey nun das erwähnte Palais schön oder tadelnswürdig, so glaube ich gern, daß die Zimmer des Königs sehr schön verziert seyn mögen. Dem Haupt und Führer einer Nation, die den Reichthum so zu schätzen weiß, wie diese, gebührt eine gewisse Pracht. – Da man mir keine Kunstwerke daselbst versprach, sondern nur schönes Geräth, Tapeten und Spiegel, so lehnte ich es ab, sie zu sehen, wozu die Erlaubniß wohl erhalten wird. Den schönen großen Platz vor dem Palais sah ich immer mit gaffenden Menschen bedeckt, die nach den Fenstern schauten, und oft erscheint der König an den Fenstern oder auf dem Balkon. Wenn man sein edles, sanftes Gesicht sieht, wenn man die vielen Züge hört, die es bewiesen, wie von ganzem Herzen er Holländer ist, erfreut die badauderie, mit der die Leute da gaffen, denn sie kann 163 der öffentlichen Meinung nur zuträglich seyn. Der junge Monarch strebt nach einem hohen Ziele – er will die Liebe seines Volks gewinnen, und darum liebt er es zuerst. Man sagt, Liebe müßte Liebe gewinnen, möge es auch hier eintreffen! Schön ist das Unternehmen! und wehe den Verblendeten, die mit dem erstarrenden Reif des Mißtrauens jeden Keim von Anhänglichkeit wieder zu zerstören suchen, weil sie Zeiten kannten, die ihnen lieber waren, als die das furchtbare Schicksal herbeiführte. Ich glaube es fällt uns sehr selten ein, zu bedenken, wie oft sich Fürsten mit Undankbarkeit belohnt finden. Uebrigens glaube ich, wir Weiber haben eine gewisse günstige Disposition die Könige zu lieben, welche die Staatskünstler besser benutzen sollten. Besonders recht junge, oder recht alte Könige, unsre Weiblichkeit, und unsre Kindlichkeit, zwei herrliche Triebe, die kein andrer als ein Deutscher zu schäzzen weiß, weil kein Ausländer einen Ausdruck für sie hat, finden dabei einer um den andern seine Rolle zu spielen. –

    Aber wie weit schweife ich vom Museum ab! eine Reihe Portraits von Männern aus der Geschichte dieses Landes, beschäftigte mich zuerst mit 164 sehr lebendigen Gedanken. Egmont, Wilhelm von Oranien, de Witt, Oulden Barneweld, Moritz, Alba, Erasmus, Grotius – wer nennt sie alle die ehrwürdigen oder furchtbaren Namen? – Der Geschichtsgeist jener Tage ging vor meiner Seele vorüber, und ich verlor mich im Nachdenken über die Wirkung, die es auf ein Volk haben muß, wenn es eine Geschichte hat, wenn die Männer der vergangenen Jahrhunderte ihm angehören, seine Ahnen sind, ihre Namen in den lebenden Geschlechtern fortdauern. Giebt es kein Mittel, dieses Andenken fruchtbringend zu machen? muß denn endlich jeder Ton, auch der belebendste verhallen? ja, endigt das Nationaldaseyn eines Volkes das eine Geschichte hatte nicht endlich am widrigsten? Das Andenken vergangenen Werthes trotzt wie eine Mumie der Verwüstung der Zeit, aber die Nachwelt, das Verdienst ihrer Voreltern sich zurechnend, ist fühllos gegen ihr thatenloses Daseyn, und die Größe der Väter wirkt wie die Vorbitte der Heiligen, die Frömmigkeit artet in Gepränge aus, und die Liebe erkaltet in der Brust. Das Andenken der Völkergeschichten wirkt auf uns wie der Erbadel; weil der Anherr sein Wappen vor vielen Jahrhunderten mit 165 den schönsten Thaten zierte, gestehen wir dem Enkel unbegreifliche Vorrechte zu, er gebraucht sie, glaubt sie mit Recht zu besitzen; entblößten wir ihn in unsrer Vorstellung von dem Andenken seiner Vorfahren, so erstaunten wir vor unsrer Nachsicht; entblößte er sich in der seinen von ihm, so erröthetete er vor seiner Armseligkeit. O wie sollte, wie könnte der Anblick dieser Männer ihr Verdienst ewig fortwirkend erhalten, unter dem Volke, dem sie gehörten. Könnte ich meinen Sohn vor so eine Reihe deutscher Männer hinführen, wie sollte in ihm die Sehnsucht entglühen – nicht ihnen nachzuahmen, das suche keiner, dazu ruft allein das Schicksal auf – aber heilig zu bewahren, uneigennützig zu verwalten, muthig zu vertheidigen, was ihr Verdienst erwarb; und um das zu vermögen, muß er alle die Eigenschaften erwerben, die ihn zum Mannne machen, mit dem Schwerd, der Feder oder dem Pflugschaar in der Hand.

    Es ist ein ganz eigner Schlag Gesichter diese Menschen bis zum westphälischen Frieden. Ich kann mir nicht helfen, ich muß diesen Zeitpunkt zum Abschnitt machen, es ist mir immer, als wenn seitdem, nicht sowohl das ehrne, als das 166 papierne Zeitalter eingetreten wäre. Die kräftigen einfachen Züge sind seltner geworden, und haben dem, was man Phisiognomie nennt, Platz gemacht. An den Gesichtern jener Zeit muß ich so vieles verändern, bis ich sie mir bei einer trivialen Beschäftigung denke. So ein Moritz von Oranien, ein de Witt – geht auch zu andern Völkern über – Algernon, von der Flühe, de Thou nehmt irgend eine Schilderei aus alten Geschichtsbüchern, und denkt euch die klaren, großen, offnen Züge mit einem Musenalmanach in der Hand, oder das Seidekästchen an dem Stickrahmen einer schönen Dame durchstöbernd – es geht nicht! der Mensch guckt euch mit festem Blick an und rührt sich nicht vom Fleck. Nehmt dagegen unsre Männer seit jener Zeit, und es wird euch keiner wunderlich vorkommen, wenn er ein Riechfläschchen hält, oder einer Donna den Ridikül nachträgt. So recht links, recht tölpisch, recht plump kann ich mir jene vorstellen, lächerlich und puppisch nie.

    Keines dieser Gesichter überraschte mich mehr, wie Egmonts. – Ach das ist nicht der glühendmuthige, leichtherzig genießende, Kummer abschüttelnde Mann, der in der Blüthe der Kraft 167 den Tod wie den Sieg an die Brust drückt, wie Göthe ihn uns schildert. Das ist der Vater vieler Kinder, in dem häusliche Rücksicht, Weisheit und Edelmuth streitet. Diese Stirn furchte die Sorge, diese Lippen zitterten vor Schmerz, und der schlichte lange Bart deutet auf ein Alter, das schon jenseits leichtsinniger Hoffnungen steht. Da waren einige andre Gesichter, in denen ich viel mehr von Göthes Egmont fand, Gesichter, von denen ich noch jetzt unter den Holländern viel Aehnlichkeit erblickte, denn ich sah in der Kirche, in dem Theater viele schöngebildete Männer. Schöne offne Stirnen, die Augen À fleur de tite, edle Nasen, nur der Mund droht dem ganzen Gesicht grobsinnlich auszusehen. O der Mund ist, welche Gewalt ein Mensch über seine Züge hat, immer der Verräther seiner Seele. Alba sieht sich überall ähnlich, wo ich ihn sah, und nach seinem Gesichte zu urtheilen, beruhte die Abscheulichkeit, die Unmenschlichkeit seines Karakters auf einem Mißverstand zwischen der Natur und dem Schicksal. Die so wohl geordneten Züge hatten menschliche Tugenden ausdrücken sollen; es giebt solche Gesichter, in denen die Anlage schon einen Mangel an Gleichgewicht der Seelenkräfte andeutet, 168 dazu gehört Albas Gesicht nicht, so lebhaft der Schauder ist den, es erregt. Und wer sah ihm denn ins Herz und erforschte ob sein furchtbarer Gang Ziel oder Mittel war? Wenn er nun seine größte Kraft angewendet hätte, um seiner Menschlichkeit zum Trotze durch Blut und Thränen einen Weg zu gehen, der seiner Ansicht der rechte schien? wer entscheidet über den Irrthum der Menschen? Aus den schönen Zügen von Neros Büste blickt eine Verschobenheit hervor, in der ich thierische Ausgeartetheit errathen könnte. Albas starre, kalte, feste Züge könnten mich überreden, dieser schreckliche Mensch hielt sich für ein Werkzeug der Gottheit.

    Ein großes Gemählde von Rembrand, ein Geschenk, das die Stadt Amsterdam dem König gemacht hat, würde ich gern zehnmal besehen, und mit meinem Strickzeug beschäftigt, ihm gegenüber sitzend, bald glauben, ich säh aus dem Fenster in einen wandelnden Volkshaufen. Hier geht ein Mann vorüber einen Staab und eine Laterne in der Hand – es mag vielleicht eine Art Wächter seyn? Dort blickt ein Mädchen hell erleuchtet zwischen den vor ihm Wandelnden heraus – du siehst sie sprechen, und lehnst dich weiter 169 aus dem Fenster, um die niedliche Figur, die schnell vorüberstreichen wird, noch länger zu sehen. Mit dem wunderbaren Leben, an das doch kein bestimmtes Interesse, ein dramatisches Interesse möcht ich es nennen, wenn ich nicht fürchtete einen Kunstausdruck falsch zu gebrauchen, – geknüpft ist, kann ich die Zeit, welche ein solches Kunstwerk dem Künstler kostet, gar nicht verbinden; ich fasse nicht, wie sein Pinsel diese wandelnden Scenen so allmählig dahin arbeiten konnte; sie scheinen nur die Schöpfungen eines Augenblicks seyn zu können, so wie in diesen Gestalten allen nur der Augenblick geschildert ist. Der Kenner muß an diesem herrlichen Gemählde einen unerschöpflichen Schatz von Kunst bewundern können, ich muß wie Padridge erstaunen, daß die Menschen da so natürlich wie die wirklichen Menschen auf dem Markt herum gehen. Fortan gehe ich gewiß Abends vor keinem Volkshaufen mehr vorbei, ohne Figuren aus diesem unvergleichlichen Rembrand zu suchen, und wenn mir ein blondes Köpfchen mit neugierigen Augen vorkommt, so mag sie ja so hübsch seyn, wie das Mädchen im gelben Leibkleide, das aus Rembrands Bilde heraus guckt, sonst zerstört sie meine Täuschung. Diesem Ge170mählde gegenüber steht ein eben so großes von van der Elst, ein Gastmahl, das zur Feier des westphälischen Friedens gegeben ward. Die Namen aller dargestellten Männer sind unter dem Gemählde angezeigt, und der Mahler war ihr Zeitgenosse. So ein Gastmahl ist eben kein sehr erhabener Gegenstand, und wenn er einem unsrer berühmten Zeichner wäre aufgegeben worden, so würde man die holländische Natur wunderbar karakterisirt haben. Mein würdiger Künstler faßte sie mit Geist und Leben auf. Die Figuren schienen zu athmen, zu handeln, die Gruppirung der es an Einheit fehlt, weil keine eigentliche Handlung die einzelnen Figuren verbindet, ist dennoch bedeutend, und ohne die scharfe Grenzlinie des Anständigen zu verletzen, ist wirklich die Freude des Mahlers ein schöner Kranz, der die derben, biedern, karaktervollen Gesichter zu einem Ganzen vereint. Das Herz lacht den Zuschauer aus diesen herrlichen Köpfen an. Der reiche, komeliche Anzug – wenn mancher Deutsche der Engländer ihr comfortable mit keinem deutschen Ausdruck zu ersetzen weiß, so erlaubt mir dagegen unsrer Bergvettern komelich zu gebrauchen – so weit und vollkommen, und doch nicht hängend und einhül171lend, läßt gar gut. Da sitzen zwei liebe Herrn die zusammen schwatzen ... wollen, denn der eine sieht so seelenvergnügt in sein Glas und hält es ein Bischen schief, als wenn die Hand mit seinem Willen nicht mehr im klarsten Einverständniß wär, so, daß ich ihr Gespräch nicht eben für ausnehmend zusammenhängend halte. Vorn rechter Hand ein paar andere Ehrenmänner, die mir fast die Hauptpersonen schienen; sie mögen eben über die Grundsätze übereingekommen seyn, und geben sich den Handschlag. Ein paar herrliche Gestalten! sie sehen so klar aus, der eine so wohlgemuth, der andere so überzeugt, daß man hoffen kann, sie haben einander verstanden. Sie sind ein Bischen vom Tische abgewendet, und der nächste Nachbar zur Rechten hat gewiß zugehört, denn er sieht mit einer zufriednen Unthätigkeit auf sie hin. Eine bayersche Prinzessin, die einen Herrn von Borseln geheirathet haben soll, oder wirklich geheirathet hat – denn im Heirathen liegt ein etwas Unwahrscheinliches, hängt auch da oben. *) Das Kostüm ist sehr alt und die

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    *) Ich erfuhr seitdem durch die Güte eines Freundes mehr von dieser Jakoba, oder Jakobine, deren Schicksale sehr

 

172 Manier – Gott verzeih mir das gelehrte Wort! – deutet so recht auf das Zeitalter, wo Novalis

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romantisch sind. Mich wundert, daß sie unsre romantische Historiker, oder historische Romantiker noch nicht benutzten? Jakoba, Tochter Wilhelm II. Herzogs von Baiern und Grafen von Holland und Hennegau erhielt 1411 vom Papste Johann XXIII. Dispensation, um sich mit Johann von Frankreich, Herzog von Touraine, Sohn K. Karl VI. von Frankreich zu verheirathen. Dieser starb in dem ersten Jahre ihrer Ehe, und noch in demselben Jahre, ertheilte ihr Martin V. Dispensation, um sich mit Herzog Johann von Brabant zu verehligen, widerruft sie aber im April des nächsten Jahres, weil ihm der Kaiser Sigismund und die Kirchenversammlung zu Kostanz gesagt habe, daß die Ehe mit Johann, der ihr Vetter war, Skandal und Blutvergießen erregen werde. Im Mai widerruft er aber den Widerruf, weil sich das liebe Paar schon verehligt hatte, und er nun höre, daß diese Heirath kein Skandal erregt, und kein Blutvergießen verursacht habe, vielmehr ihre Unterthanen aus dieser Verbindung Hoffnung für die Ruhe und das Glück ihres Landes schöpften. Der Erfolg lehrte aber, daß Kaiser Siegismunds Misbilligung dieser Ehe sehr gegründet war. Johann von Baiern, der Jakoba Oheim, der mit einer Nichte des Kaisers vermählt war, gerieth mit ihr um die Erbschaft ihres verstorbenen Vaters in Streit. Das Land gerieth in Unruhe, es entstand zwischen den beiden Johanns Krieg, um das Erbe von Jakobinens Vater. Dieser wurde indeß über ihre Heirath, als sei sie eine Blutschande, so bange gemacht, so, daß sie heimlich nach England ent-

 

173 seine Helden nach Nürnberg reisen ließ. Ich sagte euch von der braven Dame nichts, wenn ich

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floh. Man sagte ihr, der Papst habe dispensirt, aber nicht Gott. In England heurathete sie Humfried, Bruder König Heinrich des VI. von England, kehrt mit ihm zurück, und läßt die Hennegauer ihrem neuen Gatten schwören; den Herrschaftsnebenbuhler Johann von Baiern läßt sie im Jahr 1424 vergiften, Humfried aber, von Johann von Brabant und Philipp von Burgund vertrieben, geht nach England zurück. Johann von Brabant erhält den Besitz von Hennegau, worauf Jakoba wieder Ansprüche macht seine Gattin zu werden, er verweigert diese Ehre aber mit vieler Beharrlichkeit, und die beleidigte Dame entflieht in Mannskleider verhüllt nach Holland. Die Holländer, ihres Vaters und Großvaters Güte eingedenk, nehmen sie freudig auf und schwören ihr Treue. Nun ruft sie ihren Gemahl Humfried aus England zurück, statt aber selbst zu kommen, schickt er ihr Truppen; Philipp von Burgund greift sie an, wird aber wiederholt geschlagen, jedoch macht sie Friede mit ihm, da der eine ihrer Männer Johann von Brabant starb, und der andere, Humfried, indeß eine andre Frau genommen hatte. Sie erhielt nun ihres Vaters ganze Erbländer wieder, und regierte sie sechs Jahre lang ruhig und friedlich, nur brach sie die Zusage, nicht ohne Philipps Einwilligung zu heirathen, welche sie bei dem Friedensschlusse mit ihm gegeben hatte, und vermählte sich unter ihrem Stande, mit Franz von Bursele. Philipp führt diesen listig gefangen weg, und Jakoba, um ihn wieder zu erhalten, tritt alle ihre väterliche Güter an Philipp ab,

 

174 nicht eine andere Spur ihres Daseyns gefunden hätte, nähmlich eine Art drolliger konischer Krüge, beinahe wie die Bierkrüge in Schwaben, die sie selbst zu ihrem Zeitvertreib gemacht haben soll. Man findet diese Töpfe in dem Schlosse von Hemskerker, wo sie gelebt hat, und nennt sie Jakobaskrüge. Die Masse ähnelt den Steinkrügen und Töpfen, die wir alle aus den Niederlanden erhalten. Die Sache ist ein langweiliger Spaß, wenn sie erfunden, und höchst gleichgültig wenn sie wahr ist; aber angenommen, stellte ich mir das Gesicht mit seiner steifen Beguine, und unbeweglichen Zügen, das heißt von keiner Abwechse-

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worauf dieser Franz freiläßt, das Ehepaar ausstattet, und ihm einige Güter abtritt, auf denen Jakoba im Jahre 1456 starb. – Ist das nicht Stoff zu einem Roman? Wie unerlöschlich war der Durst nach dem Bessern in diesem wahrhaft deutschen Weibe, um mit so viel Aufopferung das Glück der Ehe bei vier Männern zu suchen? und wie edel ist die treue Neigung, mit der sie endlich Land und Leute für den spät gefundnen eigentlichen Gatten hingiebt. Welch ein reicher Gegenstand! in welcher Epoche mag sie wohl die Töpfe gemacht haben? Wenn wir sie symbolisch betrachten, so paßte sich im Grunde jeder Zeitpunkt ihres Lebens zu dieser zerbrechlichen Schöpfung. – – –

 

175lung der Gefühle beweglich gemacht, noch an keiner Leidenschaft kenntlich, stellte sie mir im gewölbten Schloßzimmer vor, auf ihrem hohen hölzernen Stuhle sitzend, – denn der ist auch hier aufbewahrt, viel ungezierter und eben so hoch und hart, und mit einer hohen vorn übergebogenen Lehne versehen, wie seine Zeitgenossen in Constanz, auf denen Johann XXIII. und der Kaiser Sigismund saßen, die ich in meiner Jugend sahe, wo man mir den Platz zeigte wo Huß verurtheilt, und den andern wo er verbrannt ward – nun denkt sie euch bei einer roth schimmernden Ampel, die von der dunkeln Decke herab hängt, den Thon kneten, unbewußt des Nachruhms, der ihr und ihren Töpfen einige Jahrhunderte von Unsterblichkeit verlieh. Mancher Menschen Leben erweckt die Empfindung in mir, mit der ich immer Raupen sich einspinnen sahe, Wehmuth, Demuth und Freude; denn das ephemerische Daseyn wird Symbol der ewigen Dauer, sobald ich es mit dem All zu verbinden weiß. Ich könnte euch nun noch eine Reihe berühmter Namen nennen, Wouvermann, und van der Werft, und Hondhorst, die ich hier wieder fand, aber dann wagte ichs darauf, wie der Blinde von der Farbe zu sprechen. Ein sehr 176 lebhaftes Gefühl verbindet die Eindrücke zu schnell, um ihre Zusammensetzung genau zu unterscheiden, und darum könnte ich Euch immer nur sagen, was ich empfand, wenig beschreiben, was ich sah. Tritt gütig ein Wissender zu mir, um mich über den Werth des Einzelnen zu belehren, so vervielfältigt sich mein Genuß, ja, wenn ich Zeit habe, entdecke ich selbst die einzelnen Theile, aber mir selbst überlassen, weiß ich nicht, ob dieser Farbenton diesem oder jenem Maler, dieses Fleisch diesem oder jenem Künstler gehört. Wir Art Leute müssen nicht urtheilen, wir müssen uns begnügen wahrzunehmen, aufzufassen – freilich macht uns das Gesehene dann nicht ansehnlicher und bedeutender für die äußre Welt, aber unsre innre Welt wird reicher und größer. Wenn du die Blumen der Flur frägst: welcher Sonnenstrahl gab euch euern Duft, welcher Thautropfen eure freundlichen Farben? wissen sie es ja auch nicht, aber ihre blühenden Köpfchen richten sich gen Himmel und deuten: dorther, dorther! Es ist ja recht lächerlich, aber es ist doch so, daß das lebendigste Gefühl, wenn ich eine Zeitlang mit Kunst oder Wissenschaft lebte, immer das ist, besser geworden zu seyn. – –

    177 Ein kleines Gemälde von Hackert hätte ich euch gern mitgebracht, als Typus von hiesiger Landschaft oder Aussicht. Es stellt einen Kanal mit schönen, hohen, lichten Bäumen vor, und ein Landhaus daneben, gerade als sähet ihr in einem Spiegel sich die Landschaft vor der Amstel abzeichnen, so natürlich! ob denn Hackert in Holland war? denn seinen Namen nannte mir der Aufseher der Sammlung. Zwei alte Gemälde, biblische Gegenstände darstellend, von van der Eyck, einem Vorgänger Dürers, sah ich mit viel Theilnahme; da kommt mir die Kunst vor, wie der eben ausgekrochne Schmetterling, sie hebt die Flügel, sie ahndet das Reich der Farben, des Lichts, der Geister erhabenste Gedanken; aber noch hält sie Ungewohnheit zurück, noch getraut sie sich nicht der Schöpfung ins Auge zu sehen, die sich vor ihr öffnet. Mir ists wie vor der Wiege eines Kindes in Windeln und Banden so weich und so betend über die Kraft, die sich soll in ihm zum Menschen bilden. – Von den viereckten Schleiern und flachen Gesichtern, und behangnen Schulterknochen zu Raphaels Himmelskönigin! – – Die Idealisirung abgerechnet, ist der Mangel an Perspektive in diesen alten Gemälden neben Rem178brands Erleuchtung sehr merkwürdig zu beobachten; die beiden Männer wollten ihr Bestes thun. Das ist wie ein frommer Stoßseufzer gegen eine Opferhymne – beide loben Gott.

    Allerlei Kirchen habe ich auch besucht; die hübscheste war die neue Kirche nahe am Palais, ein schönes helles Gotteshaus, leer und öde, wie alle protestantische Kirchen. Daß hier vielmehr Stühle als Bänke stehen, in allen Kirchen, giebt ihnen noch mehr Alltägliches; hier fand ich an der Kanzel hinauf, und in einigen andern Kirchen an den Wänden ganze Heere von Stovchen aufgeschichtet, die nebst dem Stuhle bei jedem Gottesdienste gemiethet werden. Stovchen ist nämlich ein Feuerkästchen, Fußwärmer, ohne den eine Holländerin sich nie niedersetzt. Eigends dazu bestellte Leute füllen in den Kirchen die kleinen Feuerbecken an, welche in ein hölzernes, mit drei Zuglöchern versehenes Kästchen gestellt werden; neben den Kirchthüren sind in einem Winkel Heerde, um den dazu nöthigen Torf abzuglühen, und wohl angefüllt geben sie die Stovchenswächterinnen den frommen Seelen unter den Fuß. Auch im Zimmer siehst du vor jedem Anwesenden ein Stovchen hingesetzt; ein Stovchen zu bringen ist die erste Höflichkeit, 179 die du einem Gaste erzeigst, es ist das Fußwasser der alten Araber, der Betul der Türken, der Calumet der Amerikaner – ich würde mich gar nicht wundern, wenn ein holländischer Maler Abraham darstellte, wie er seinen Hausfreunden, den ihn besuchenden Engeln, ein Stovchen zutrüge. Im holländischen Schauspiel hatte ich mich kaum hingesetzt, so öffnete sich die Logenthüre, und eine wohlthätige Hand versorgte mich mit diesem heillosen Geräthe, über das ich jedesmal stolpere, wenn ich es aus Menschenfurcht annehme, oder es unversehens im Aufstehen weit vor mir her über den Teppich fahren mache. Geschäh das im Winter, so gäbs Feuersgefahr, jetzt ist kein Feuer darin. Außer der Schädlichkeit dieser Gewohnheit, welche die Aerzte sehr klar darthun können, giebt sie den Weibern eine widrige, aller Grazie entgegen strebende Stellung. Die Schenkel machen mit dem Oberleib, und dann wieder mit den Beinen zwei rechte Winkel – sie sitzen da, wie die alten Isisbilder. Nehmen sie nun noch eines ihrer viereckigen Nähkißchen auf den Schoos, so lief ich, wär ich ein Mann, ganz gewiß davon. Auch diese Sitte haben die Schweizerinnen mit den Holländerinnen gemein, die Feuerkästchen, Nähkißchen, 180 und regelmäßiger Winkel sind in einigen Theilen der westlichen Schweiz einheimisch. Wie unausrottbar ist doch weibliche Grazie, daß an den Alpen und an den Dünen dieses Geschlecht dieser Abscheulichkeit zum Trotz, doch liebenswürdig ist. In der Kirche, die Nase gegen die Kanzel gerichtet, der Domine mit der Wollperücke auf die Heerde herab sprechend, ist die Grazie ohnehin kein einwohnender Theil, und alles was das Erstarren abwendet, sehr wünschenswerth, dort mögen sie also die Stovchen behalten.

    In der neuen Kirche war eine schöne geschnitzte Kanzel, an der die vier Evangelisten geziementlich mit ihren Thieren prangten. Die Küstersfrau, welche uns umher führte, hielt Matthäus sein Thier für einen Esel, und schien die Sache nie von einer andern Seite angesehen zu haben. Wahr ist es, daß er sich die Hörner ein bischen abgelaufen hatte, so daß die Verwechselung verzeihlig war. Ich wunderte mich nur, daß der Anblick mehr auf sie gewirkt hatte, wie die Tradition. Der Orgel gegenüber, wo bei den Katholiken der Altar steht, stand in dieser Kirche auch ein Altar, der von mancher Seite auch als ein Heiligthum angesehen werden kann – das Denkmal 181 eines großen Mannes, des Admiral Ruyters, das die Stadt ihm setzte. Es ist von der Kirche mit einem prächtigen Gitter abgesondert, das ganz von Messing ein schönes Kunstwerk in seiner Art ist. Innerhalb diesem ist der Platz, wo man die Trauungen verrichtet, und im Hintergrunde das Denkmal von weißem Marmor; die Ausführung kann ich nicht beurtheilen, die Erfindung kostete kein Kopfbrechen. Ruyter liegt in voller Rüstung ziemlich hart auf Trophäen gebettet, auf einem Sarkophag; hinter ihm stellt ein Basrelief eine Seeschlacht vor, wahrscheinlich die von Augusta, wo er blieb, und zur Seite stehen ein Paar allegorische Figuren, die wahrscheinlich den Muth und die Wachsamkeit vorstellten. Die Größe des Ganzen, die Isolirung in dem großen Tempel, machen es zu einem angenehmen Anblick, und die Meinung des Denkmals macht es mir heilig und lieb. Wohl dem Volke, das solche Denkmale hat! – In eben dieser Kirche ist das Monument des Admiral Gaal, der, wenn ich mich nicht irre, Ruyters Zeitgenosse war. Er focht gegen die Engländer, wie er, und seine Landsleute glaubten ihm dafür ein Denkmal stiften zu müssen, denn damals war der Begriff von Nationalehre noch von dem Begriffe 182 Geldgewinnst getrennt. Wir wünschten sehr Tromps Grabmal zu sehen, und fragten einen Kirchendiener, wo es sey? er erwiederte uns mit wegwerfender Gleichgültigkeit: es stehe in der alten Kirche, wäre aber gar nicht der Mühe werth, gesehen zu werden, es ging kein Fremder dahin. Diese Verachtung jedes andern Denkmals, und jedes andern Ruhms, als dessen seines Helden, belustigte mich sehr. Wir suchten nun die alte Kirche auf, aber es war zu spät, sie war nach dem Morgengottesdienst geschlossen, und der Abenddienst war noch nicht angegangen. Meine Gesellschaft schien es nicht für gut zu halten, einen Küster oder andere Kirchenaufwärter suchen zu lassen, und da ich nicht wußte, ob es dieser frommen Stadt nicht wie eine Profanation erscheinen würde, eine Kirche blos um des Begaffens willen aufzuschließen, versagte ich mir die Freude, das Denkmal von dem Ahnherrn meines Freundes F. zu sehen. Auch gut! er focht nicht minder gegen Olbemarl, und entzündete nicht minder Muth in manches Jünglings Brust, weil der Küster der neuen Kirche neidisch gegen seinen Marmor war, und weil der junge Holländer, der mich herumführte, nicht Stolz genug hatte, den Küster der 183 alten Kirche zu rufen, damit ich Fremde das Grabmal seines tapfern Landsmanns verehrte. Seinen Harnisch sah ich doch – wenigstens gab man mir einen, der in einem Durchgang des Museums am Boden lag, dafür aus. Neben ihm standen ein Paar ungeheure Musketen – ich weiß nicht, ob diese sechs Fuß langen Feuerröhren ehemals nicht einen andern Namen hatten? meine armseligen Hände konnten keine aufheben, aber ich legte sie an das kalte Eisen wie Bruder Martin die seinen an Götzens eisernen Arm. Wär ich an der Amstel geboren, so führte ich meinen Knaben hierher – und an wie viele schöne Stellen könnte ich ihn führen, wo er lernen könnte, was der Mensch für das Gemeinwesen vermöchte, wenn er sich nur als Theil des Ganzen betrachtet.

    Da es nun mit Tromps Denkmal nichts war, gingen wir in eine lutherische Kirche. Welch ein kleinlicher, finsterer, dumpfer Aufenthalt ist doch eine solche Kirche! die Gallerien verbauten hier die Fenster, die Stühle den Boden, und die Stovchen die Pfeiler. Da der Gottesdienst noch nicht angefangen und die Kirche ganz leer war, setzten wir uns nieder, um auszuruhen. Bald hörten wir aus dem andern Ende des finstern, großen Ge184bäudes eine Weiberstimme deklamiren, und entdeckten bei näherer Untersuchung drei alte Frauen, welche sich die Predigt des Vormittags wiederholten. Die Wohlredenheit und das Gedächtniß der einen war bewundernswürdig! sie wiederholte lange Perioden mit einem Feuer und einer Salbung, die mich in Erstaunen setzte. O das goldne Land für Kanzelredner! dennoch klagt man auch hier, daß die Kirchen nicht mehr so häufig besucht werden, wie ehemals. Mir ists jemehr und mehr, als sey der Eifer mit dem die Holländer die Reformation annahmen, sehr natürlich auf ihrem Boden, Klima, und also auf ihrem Charakter gegründet gewesen. Weder das Mystische, noch das Phantastische, noch das Lebensfrohe des Katholicismus konnte für sie gemacht seyn, und vor allen nicht das Symbolisirende, welches so viel Beweglichkeit des Geistes erfordert. Nimmt man dann noch die Verumständungen hinzu, wo der Handelsgeist mit dem Reformationsgeist Hand in Hand ging, da konnte eine so sinnliche, leidenschaftliche, das Gemüth aufreizende Glaubenslehre nicht angenehm seyn für das Volk, und nicht zweckmäßig für die Volksführer. Es mußte den wackern Leuten ordentlich seyn, als räumten sie 185 ihr Haus auf, wie sie die Heiligen und ihre Siegesfahnen verjagten. Für das Gepränge, die Blumenkränze, die Kerzen, gehört eine Natur, die der Mensch nicht immer mit eisernem Zepter beherrschen muß, gehört eine lebhaft genießende Nation, in deren Leben die Berechnung des morgenden Tages nicht durchaus nothwendig ist. – Der Katholicismus gehört unter einen warmen Himmel, nicht in diese feucht kühle Luft. Aber die Geistlichen der andern Confessionen – welcher Segen könnte von ihnen nicht hier ausgehen! denn ich gestehe, daß mich die äußere Form der hiesigen Frömmigkeit durchaus nicht so abschreckt, daß ich nicht überzeugt wäre, hier zu Lande sey wirklich noch mehr Religion, wie an vielen andern Orten. Ich meine hier unter Religion das Bedürfniß des Menschen nach dem Göttlichen. Die Form ist hier befremdend, ja ich weiß wohl, daß der Weg, auf dem diese Menschen suchen, ein Abweg ist; aber ich ehre ihr Suchen. Der das thut, der kann noch finden, der übermüthig schon gefunden zu haben glaubt, oder gar nicht spürt, daß ihm noch fehle – der ist arm. Allgemein hält man hier noch die äußre Religions-Uebung heilig, und die Geistlichen haben viel Einfluß in den 186 Familien, genießen einer Achtung, die sie auffordern sollte, ihren geehrten Beruf in seinem ganzen Umfang zu erfüllen, das heißt, von sich aus ein schönes mildes Licht über den Glauben, und das Leben und das Denken ihrer Heerden zu verbreiten. Mit wahrer Theilnahme hörte ich, welchen Werth man hier auf eine Predigt legt, wie viel Einfluß man vom Besuche des Gottesdienstes erwartet. Und nicht der niedere Stand, der bessere, der reichere schämt sich der äußern Frömmigkeit nicht. Der Hausvater, oder eine ältere Person der Gesellschaft, betete vor der Mahlzeit laut, und ich hörte zuweilen diese Gebete in der braven vertraulichen Sprache mit Rührung aussprechen. Warum nehmen wir, denen doch heilige Gefühle im Herzen glühen, diese Sitte nicht alle wieder an? Was ist uns denn die Mahlzeit? ist sie ein bloßes Abfuttern, ein bloßes Stillen des gröbsten Bedürfnisses, so krieche ein jeder mit seiner Schüssel in einen Winkel. – Ist denn nicht die Mahlzeit für uns ein Augenblick von Familienverein, ein Augenblick, wo wir gleichsam von einem kleinen Hügel herab den Tag übersehen, schon viel gethan, schon viel getragen haben müssen; wo wir genießen wollen, wo die Eltern sich besinnen, mit ih187ren Kindern leben wollen, die Kinder vertraulich mit den Eltern verkehren – ist es das nicht? und wenn es das ist, beten wir dann nicht schon? wir sprechen also dann nur den Eingang ins Gebet aus, wenn wir vereint in einem Gedanken das Wesen nennen, durch das dieser Augenblick uns geschenkt ward.

    Oft zeigt sich dieses religiöse Bedürfniß in einer freilich uns sehr befremdeten Gestalt, die wir nur aus den Jahrbüchern Ludwigs des Vierzehnten kennen. Frauen, welche bis dahin dem Ton der Zeit gefolgt waren, ziehen sich plötzlich aus der Welt zurück, verändern ihren modernen Anzug in die einfache Bürgertracht, und widmen den größten Theil ihrer Zeit öffentlichen und Privatandachten. Diese letzten versammeln Menschen aus allen Ständen und finden in Bürgerhäusern statt, wo denn die Anzahl der Frommen oft so groß ist, daß die Treppen, der Vorsaal gedrängt voll ist, und man zufällige Botschaften durch die Fenster vernimmt, weil die Thüren zu sehr mit Menschen umringt sind. Die Redner in diesen Versammlungen sind oft Geistliche, zuweilen folgen aber auch Laien dem Bedürfniß, ihr volles Herz oder ihre lebhafte Ueberzeugung ihren Brü188dern mitzutheilen, und Männer von sehr großen Familien nehmen an diesen Uebungen Theil. So viel ich bemerken konnte, hatte diese Theilnahme auf den bürgerlichen Wandel keinen Einfluß; sie macht weder nachlässig in den Pflichten für den Staat, noch exaltirt sie die Begriffe, welche die öffentliche Sache angehen, wenn man diese Menschen, um ihrer Ueberzeugung zu folgen, nicht im Schauspiel, nicht an Spieltischen sieht, erfüllen sie dagegen die Pflicht des Gutsherrn, Hausvaters, Hausherrn – theilen möchte ich ihre Uebungen nicht, aber ich gestehe, daß ich den Weg, auf dem diese Köpfe zu klaren, einfachen Ansichten kommen könnten, für viel leichter halte, als jenen, den zu eben diesem Ziel die Zuhörer unsrer berühmtesten Philosophen zu gehen haben. Daß ich hier nicht von der gelehrten Welt und von Systemen spreche, versteht ihr von selbst, von denen ist zwischen euch und mir nie die Rede.

    Da der Tag, an welchem ich also in den Kirchen umherzog, ein Sonntag war, sah ich auch eine große Menge Menschen im sonntäglichen Staate umherwandeln. Da würde manche unsrer Damen den glänzendsten Putz eines Gallatages 189 um den Kirchenschmuck einer Amsterdammerin geben, die ich, da sie mir zu Fuß begegneten, nicht zu der vornehmsten Klasse rechnen konnte. Nie sah ich so schöne und viele Brillanten um mich blitzen. Einige Frauen hatten Ohrringe von außerordentlicher Größe a jour gefaßt, die mich im Schein der Sonne entzückten – denn ihr wißt ja die mystische Freude, die mir der siebenfach gebrochne Strahl in den erstarrten Thautropfen macht. Auf der Brust hatten diese Frauen große Schleifen oder Nuster, wie man in Schwaben sagt, die wie Arons Schild blitzten. So standen sie auch in ihren Hausthüren in Seide von glänzenden Farben gekleidet: Grün, Blau, schillerndes Gelb; aber alle tragen bei der Landeskleidung ein fatales Häubchen, das alle Haare verbirgt und unter dem Kinne gebunden ist. Diese unleidliche Sucht die Kinnladen zu umwickeln sollte kein junges Weib theilen; heut zu Tage scheint man gar nicht mehr zu wissen, welcher Liebreiz in der Linie vom Ohr bis zum Kinn eines jungen Weibes liegt. Die Jugend spricht sich dort am lebendigsten aus, dort und in den Schläfen der Jungfrau, und aus diesen Zügen flieht sie auch am schnellsten. – Das haben die hiesigen Frauen 190 nie beobachten können, sie umhüllen ihr Kinn im sechzehnten wie im sechzigsten Jahre. Die Nordholländerinnen haben dabei noch eine saubre Erfindung gemacht, um auch die Ahndung von einem schönen Nacken zu vernichten. An dem Hintertheil ihrer Hauben ist ein faltiges Stück Zeug von der Länge einer halben Elle gesetzt, das über den Rücken fällt und einen artigen künstlichen Buckel macht. Vorn über die Stirn haben sie ein Band von Perlen oder Edelsteinen gebunden, über welchem die Stirn wieder sichtbar ist, und oben endlich mit steif geklebten Locken umgeben ist. Der Ursprung dieses Kopfschmuckes geht gewiß in das höchste Alterthum hinauf, die Binde kann meinetwegen mit dem priesterlichen Schmuck des Herthadienstes zusammenhängen, und die Haubenverlängerung ehemals ein rückwärts wogender Schleier gewesen seyn. – Möchte man doch wieder einigermaßen zum Alten zurückkehren! die reinen Züge dieser Nordholländerinnen, ihre schöne Gesichtsfarbe, ihr offnes blaues Auge verdienten einen weniger entstellenden Aufputz.

    Meiner bekannten Liebhaberei gemäß, suchte ich an einem andern Tage die wilden Thiere auf, welche hier auf königliche Kosten, jetzt in der Nähe 191 des botanischen Gartens, gehalten werden. Trotz unserer Einlaßkarte ließ man uns nicht ein, wir sahen aber die Beester demungeachtet auf die unschuldigste Weise. Daß man uns aber nicht herein ließ, war auch sehr unschuldig, denn der Wälschmann, der uns den Eingang versagte, that es auf die höflichste Weise, indem er erst eben ein besonderes Verbot für diesen Tag erhalten hatte. Da aber die Thüre des botanischen Gartens neben der Menagerie ist, und ihre niedern Fenster in den Garten gehen, so konnte ich sie von diesen Fenstern aus sehr bequem beobachten. Da sie eine hohe helle Gallerie bewohnten, und aus vielen hohen, großen sonnigen Fenstern die Aussicht auf den botanischen Garten hatten, flößten sie mir etwas weniger Wehmuth ein, wie ihre Jammergenossen, die man uns in dunkeln Käfigen vorzeigt. Uebrigens ist nicht viel Mannigfaltiges da. Eine schöne Frau Löwin, die erst vor einem Jahre Wittwe ward, und sehr friedlich mit einem Hunde mittlerer Größe in einem Bauer lebt – den rührenden Roman wie das feindselige Thier zu diesem umgänglichen Humor kam, erfuhr ich nicht. Denkt es euch so interessant als ihr könnt. Daß Sklaverei nicht milde macht, erfuhren wir in unsern Tagen hinlänglich an gan192zen Nationen, warum diese Löwennatur eine so auffallende Ausnahme macht, bleibt mir ein Räthsel. Vielleicht macht sich der Uebergang von Freiheit in Fesseln so sanft, wenn nicht Verderbniß mitten inne steht. – Dann war ein schöner Leoparde da – denn so heißt doch das grinsende Thier mit geflecktem Felle? er ließ sich die Sonne auf seinen schönen Pelz scheinen, und blinzelte, und leckte seinen Bart, und schwenkte seinen Schweif, und sah so avantageus aus, daß man wohl merkte, er habe sich eigne Grundsätze über das Morden gemacht, so, daß es seine Behaglichkeit gar nicht mehr störte. Das Tiegergeschlecht kommt mir vor wie die Menschen, die ohne heftige Leidenschaft schlecht sind. Da lob ich mir so einen redlichen Löwen, der in den Wald hinein brüllt, daß die Echo zittert, wenn er Blut zu vergießen umher irrt. – Ich glaube das fatale grinsende Tiegergesicht hat gar keinen Ton in seiner dicken Kehle. Ich war mit meinen Gedanken bald weit in Afrika, wozu der Anblick der ausländischen Pflanzen im botanischen Garten hinter meinem Rücken noch viel beitrug. Eine Gesellschaft Affen machte mich verdrießlich, weil sie schläfriger und träumiger dasaß, wie ich je Affen gesehen 193 habe. Haben die Thiere etwa einen größern Raum nöthig, um lustig zu seyn? denn sonst geht es ihnen hier doch gewiß gut. Mir däucht das widrige nachahmende Geschlecht bedürfe der Freiheit am wenigsten. Je mehr Kraft ein Thier hat, je weher thut mir seine Sklaverei. – Endlich erblickte ich zwei Zebras – die machten mich lustig! so ein Zebra sieht immer aus, als wärs ihm kein Ernst mit seinem bunten Fell. Aber hier in Holland sollten sie recht häufig seyn; in einem solchen nordholländischen Dorfe, wo das Pflaster gemahlt und die Baumstämme angestrichen sind, da sollte man mit lauter Zebras fahren. So ein Zebra sieht doch nur wie ein geputzter Esel aus und hat nicht seiner guten Vettern vernünftiges Wesen. Diese königlichen Zebras waren ganz rund von Wohlleben, und schienen zu der Unbändigkeit, die man ihrem Geschlechte sonst Schuld giebt, viel zu fett.

    Nun ging ich die Pflanzen aufzusuchen, die ihren Hunger in ihrem Vaterlande stillen, die Bäume, die sie in Afrikas Einöden beschatten. Groß ist der botanische Garten nicht, aber mit einer herrlichen Sauberkeit unterhalten, und an Mannigfaltigkeit und Zahl der fremden Pflanzen 194 sehr reich. Wärmehäuser jeder Art sind da, zahlreich und in dem besten Zustande. Einen Theil der südlichen Pflanzen, Pisang, Kaffeebaum, Theestaude, Zuckerrohr u. dgl., sah ich an andern Orten viel größer, das ist aber wohl sehr gleichgültig, wenn sie nur in gesunden Individuen da sind, und diese hier grünten auf das Reichste und Schönste. Die Wärmebeeter sind hier alle viel höher, das heißt, das Glas höher vom Boden entfernt wie ich es sonst sah; dasselbe bemerkte ich auch in allen Gärten bei den Frühbeeten. Die Vollendung, die Ganzheit, welche auch hier überall herrscht, thut so erstaunlich wohl. Die sehr große Anzahl von Sträuchen und Pflanzen, welche in Kübeln und Töpfen aufbewahrt werden, stand zu meiner Verwunderung in so dichten Reihen, alle auf ebnem Boden, nicht terassenweise, daß ich gefürchtet hätte, es fehle ihnen an Licht und Sonne, da sie nur im Scheitelpunkt ganz von den letztern Strahlen getroffen werden. Dieses Clima muß aber eine ganz eigne Behandlung erlauben, das sagte ich euch schon bei Gelegenheit des Gartenbaues; meine Bemerkung beabsichtigt also auch gar keinen Tadel, sondern macht euch nur aufmerksam, wie wenig im praktischen Leben 195 ein Grundsatz allgemein angewendet werden kann. Ich entbehrte einen unterrichteten Führer, der mir hier den wissenschaftlichen Werth der Gegenstände gezeigt hätte; um so ungestörter konnte ich mich aber meiner phantastischen Freude an der bunten Schöpfung überlassen, und da war mir’s bald wie den Juden, da sie die Apostel am Pfingstfeste hörten, alle diese hundert Blümchen und Kräutchen sangen aus ihren bunten Kehlchen jede in einer fremden Zunge Gottes Lob. Ich ging zu einer und zu der andern und blickte ihr ins Auge, und fragte einen freundlichen holländischen Gartenburschen zuweilen, wo ihr vaterländischer Boden sey? und war sie denn aus einem recht erhabnen wilden Lande, so war mirs, als sähe ich ein verirrtes Kind unter fremden Menschen vertraulich lächeln, und dachte: du kleines, kurzes Leben blickst nur nach der goldnen Sonne da über dir, deine Berge und deine schäumenden Gewässer hast du vergessen, denn du sahst sie nur den kleinen Augenblick, da du lebtest. – Aber bei den fremden Bäumen war mirs nicht so heiter, die sehen verkrüppelt aus, man mag sie pflegen wie man will. Die Korkeiche sah recht arm und struppig aus, und die italiänische Eiche recht klein und schwächlich. 196 Die Pinie trauerte um ihren wolkenleeren Himmel, und die Ceder lechzte nach den Bergströmen, die sie in ihrem Vaterland rauschen hörte. Den Kindern eines Frühlings kann man wohl so ein künstliches Vaterland machen, aber dieses ausdauernde Geschlecht läßt sich nicht durch schnöde Kunst betrügen. – Eine Menge Wasserpflanzen wuchsen in Kisten mit Wasser gefüllt. Warum, da rund herum Kanäle sind? Werden auch sie im Winter durch künstliche Wärme erhalten? so mühsam ich dem Gärtner meine Frage vortrug, verstand er mich nicht, sondern dunkte nur die Finger in den Kasten und den Graben, um mir zu beweisen, daß in diesem das Wasser viel weniger warm sey, als in jenem. Das wollte ich nicht wissen.

    Die Ordnung, welche allenthalben herrscht, ist ganz vortrefflich, zwischen jeden zwei und zwei Reihen von Pflanzen steht immer ein Faß mit Wasser, das wahrscheinlich dem Einfluß der Sonne soll ausgesetzt werden, ehe man es Abends zum Begießen gebraucht.

    Ich widerlegte in einem meiner Briefe den Begriff, als leide die Bauart von Amsterdam nicht das Rollen der Wagen. Das hindert nun aber nicht, daß nicht wirklich der meiste Handelsver197kehr innerhalb der Stadt auf Schlitten getrieben wird, und daß nicht der Gebrauch der Kutschkasten auf Schlitten sehr üblich sey. Um das Dahingleiten der Kuffen über das Pflaster zu erleichtern, und so Pflaster und Schlitten zu schonen, hat man sehr einfache Vorkehrungen getroffen. Vorn auf dem Lastschlitten liegt ein kleines Faß mit Wasser angefüllt, und mit kleinen Löchern versehen, wodurch im Fahren die Spur der beiden Kuffen beständig benetzt wird. Für die Kutschen welche auf Schlitten gefahren werden, ist das Mittel schon zusammengesetzter – so ein mißgebohrnes Fuhrwerk ist nämlich nur mit einem Pferde bespannt, und der Fuhrmann geht Schritt vor Schritt neben ihm her. An der Ecke des Kutschkastens hängt nun ein lederner Beutel, wie ein ehemaliger Puderbeutel, mit Schmalz oder andern halbflüssigem Fette gefüllt, er mag auch zarte Löcher haben, genug der Fuhrmann faßt ihn von Zeit zu Zeit und schlägt damit unter die Kuffe, wodurch ihr Vordertheil etwas gefettet wird, und somit im Fortrücken ihre ganze Länge einsalbt. Dieses elegante Fuhrwerk scheint mir ganz für das alte Amsterdam gemacht. Es ist sicher, bedächtig, compendiös; auch noch heut zu Tage bedienen sich sehr angese198hene Leute desselben, und schwangern Frauen, neugebohrnen Kindern, und vernünftigen Leuten nach einer wohlbedächtig abgewarteten Mittagstafel, muß ich es sehr empfehlen. Bei unsrer Heimkehr vom botanischen Garten, wo die Sonne und das Umherlaufen uns sehr ermüdet hatten, wollten wirs auch versuchen, und meine Freundinnen und ich, wir befanden uns in den saubern rothplüschnen Wänden recht wohl. Unsre zwei Begleiter gingen zu Fuß nebenher, und nichts hinderte uns, unsrer Erdennähe wegen, das Gespräch fortzusezzen. Nur die eine Seite des Wagens mußten unsre Cavaliere dem langsam herschreitenden Fuhrmann überlassen, der seine braune Faust auf dem Schlag gelegt im innern Seelenfrieden dahin rutschen ließ, und wohl bei sich denken mochte: solche leichte Waare führe er in Amsterdam nicht oft. Die eine meiner Freundinnen empfand beim Vorbeifahren bei mehreren Obst-, Brod- und Käseladen einen heftigen Heißhunger, den sie mit vieler Lustigkeit unsern Begleitern äußerte, und um Lebensmittel schrie. Bald schob ihr der hülfreiche Mensch ein saubres Papier mit Käse und Semmel in den Wagen, und nun hätt ichs euch doch allen zu errathen aufgegeben, was ich denselben Augen199blick – das heißt Mittags zwölf Uhr Ende Augusts machte? – Der berühmte Spiegel Zemirens hätte eine saubre Gruppe gezeigt! bis zum Käseessen konnte es meine Verzogenheit freilich nicht bringen, aber in dem verzweifelten Kasten auf Kuffen, mit den beiden essenden Weibern, lachend wie die Kobolde, und dem unerschütterlichen Fuhrmann mit seinem Fettbeutel zur Hand – das hättet ihr in dem magischen Glase erblickt und hättet diese Zusammensetzung nicht verstanden.

    So unter Geschwätz und Gelächter kamen wir zu Felix merites – – – was Felix merites ist? – ich war auch recht neugierig, denn ein jeder Holländer, der mich sah, und der meine qualité d’etrangère merkte, rieth mir wohlmeinend, Felix merites zu sehen. Ich bat meine Freunde, mir doch endlich zu dieser lateinischen Merkwürdigkeit, von der ich mir wunderbare Vorstellungen machte, zu verhelfen. Mein, jedem [sic] freiwilligen Verein zu einem nützlichen Zweck liebendes Gemüthe – – – ach die herrliche Phrase! – wollte der Sache im Voraus wohl, und dabei ist es denn auch geblieben, denn Felix merites ist eine Anstalt, welche eine Gesellschaft reicher Amsterdammer stiftete, um nützliche, besonders wissenschaftliche 200 Zwecke jeder Art zu befördern. Diese Gesellschaft hat ein ansehnliches Gebäude aufgeführt, und Kunstwerke mancher Art gesammelt, die Sammlung phisikalischer Instrumente ward von einigen Männern meiner Bekanntschaft, denen ich Kenntnisse zutrauen darf, sehr geschätzt. Eben so sollen die astronomischen Instrumente von vielem Werth seyn. Eine Anzahl Abgüsse der bekanntesten Antiken-Bildsäulen findet sich zum Behelf einer Zeichenanstalt vor, von der ich jedoch keine Spur sah; in einem Musiksaale werden von Liebhabern, die aber oft die berühmtesten ausländischen Künstler einladen und reichlich beschenken, Konzerte gegeben. Dieser Saal war ganz gegen alle meine Erwartung, nicht einmal nur unverziert, sondern fast unsauber, obgleich die Gestalt und Höhe sehr zweckmäßig war. Ein anderer ist zu wissenschaftlichen Vorlesungen bestimmt, zu denen die Gesellschaft auch einen Theil des gebildeten Publikums einladet. Wenn die Zuhörer zahlreich sind, müssen sie, so wie der Redner, sehr leiden. Der Saal bildet eine Rotunde, die Bänke steigen amphitheatralisch viel zu hoch unter die Decke, und gehen viel zu nahe an die Rednerbühne. Mit vielem Genuß und Nutzen würde ich – sobald mir die 201 täglich lieber werdende Sprache hinlänglich geläufig wär, diese Versammlungen besuchen. Hier findet man gewiß die Wissenschaften aus sehr originellen Gesichtspunkten betrachtet, weil sie meistens von Menschen behandelt werden, die Wahl des Geschmacks oder des Gefühls, nicht Handwerksberuf und Nothwendigkeit zu ihnen hinzieht. Trotz dem wunderbaren Hang, sich nach ihren südlichen Nachbaren zu bilden, entdeckte man hier gewiß noch viel sehr anziehenden Nationalkarakter. Hier in diesem Saale war es, wenn ich nicht irre, wo der holländische Dichter Bilderdyk den Ausspruch that, welcher Schillers Gedichte zu einem Haufen widrigen Unraths erklärte. Ich bin jetzt eifrig bemüht, dieses Mannes Trauerspiele zu studieren, um darin die Ursache oder Rechtfertigung eines solchen furchtbaren Urtheils zu entdecken. In welcher beseligenden Höhe muß Bilderdyk schweben, um es aussprechen zu dürfen! mir schwindelt ordentlich dafür.

    Felix merites hat also einen sehr rühmlichen Endzweck, und wendet sehr ansehnliche Mittel an, ihn zu erlangen. Allein das Lokal, und ein Theil der Sammlungen kann bei einem Fremden nicht die Bewunderung erregen, welche der eingeborne 202 Amsterdammer erwartet. Das Gebäude hat einen sehr mittelmäßigen Werth, die Säulen an der Fronte sind gegen die geringe Breite von einer riesenmäßigen Höhe, die Treppe ist sehr kleinlich, wie in einem gemeinen Bürgerhause, und außer der Sammlung physikalischer und astronomischer Instrumente scheint mir noch vieles sehr unvollkommen. Die Abgüsse der Antiken sind in verkleinerndem Maßstab, und meistens sehr mittelmäßig. – Nichts thut mir weher, wie diese Gestalten verunehrt zu sehen. Diese Götter, mit denen ich meine Kindheit verlebte, die meiner Jugend Erhabenheit lehrten, und die meinem Alter Jugendfreude wieder geben, wo ich sie finde – Apoll mit seiner Götterklarheit, Venus mit dem Geiste der Keuschheit umflossen und Laokoon in seinem ungeheuern Schmerz – hier stehen sie in einem länglichen engen Zimmer in gedrängten Reihen an die Wände gedrückt, nur von wenigen Fenstern an der schmalen Seite beleuchtet. Die Zucht hat die Aufseher zu der ehrbaren Nothhülfe die Zuflucht nehmen lassen, die unsre Voreltern nach dem Sündenfall erfanden. Wenn man die Jugend zur Kunst bilden will, sollte man da nicht voraussetzen, daß diese heilige Göttin eben so wenig fähig ist, Unan203ständigkeiten zu ahnden, als die Unschuld des Paradieses.

    Ich stieg auf den flachen runden Thurm dieses Gebäudes, der zugleich als Sternwarte dient, um Amsterdam von oben herab zu sehen. Es liegt hier wie ein Panorama um dich her. Dein Auge sieht von einem Punkt unbegrenzten Meeres über den Pampus fort die ganze Küste von Nordholland, dann nach Südwest das Harlemmer Meer und Harlem selbst, das Y, den Hafen, und das weite ebne Land mit Häusern besäet, mit Kanälen durchschnitten, mit Alleen bepflanzt – Ameisenhaufen – wie sie da unten lächeln und weinen, und alle Stimmen an dem blauen Himmelszelte verhallen, und alle Halme verdorren und wieder grünen, und alle Gewässer verdunsten und wieder in Regen herabfallen, und nur der ewige Himmel bleibt und des Menschen Gemüthe weich und liebend und anbetend da oben steht und herab schaut auf die armen, guten kindischen Brüder.

    Diese Landkarten-Aussichten haben keinen Reiz für mich, als durch Nachdenken. Mein schlechtes Gesicht kann daran schuld seyn, da die Gläser immer mehr oder weniger Guckkastenlicht über die Landschaft verbreiten. Ich kannte aber Menschen 204 mit sehr guten Augen, die eben so empfanden. Die weite Ferne kann kein Tableau machen, das entsteht nur durch das Verschmelzen der Gegenstände. Es ist nur so ein unersättliches Bewußtseyn, auf zehn Meilen den Münster gesehen zu haben, oder den Kirchthurm von Rotterdam. Der Zukunft gehe ich gern gläubig entgegen, und ohne Forschen blick ich in die Ferne. Nicht, um im Tagesglanze eine unabsehliche Landschaft recht verkleinert zu sehen, würde ich Thürme und Berge besteigen, aber um die Sterne und das ewige Himmelsgezelt zu betrachten. Ach dazu wäre mir kein Thurm zu hoch! auch meine blöden Augen thun mir nicht weh, wenn man mir sagt: da auf zehn Meilen weit erkennt man Napoleons Höhe, oder sonst so ein berühmtes Menschenwerk, aber wenn meinen Gefährten alle Sterne aufgegangen sind, und ich sehe noch lauter Wolkenschleier, dann sehne ich mich nach Licht! – –

 

 

205 Achter Abschnitt.

 

Von der Börse muß ich euch doch auch ein Wort sagen, denn davon macht man sich in unsern Landstädtchen, bei unserm Dütchenhandel, gar keinen Begriff. Den meinen hatte ich noch immer aus Basedows Elementarbuch, das ein Gebäude darstellt, wo Juden, Christen und Armenier mit lauter Spitzbubengesichtern unter einander umher gehen. Ich habe manchen gereisten Menschen wohl gefragt: nun, was macht man denn da? aber ihre Antwort machte mich um nichts klüger. Ein ungeheures Licht ist mir auch jetzt nicht aufgegangen; aber ich will euch sagen, was mir klar vor Augen lag. Die Amsterdammer Börse – denn andre mögen anders seyn – ist ein großer viereckter Hof, um welchen rings umher ein offner auf Säulen ruhender Gang läuft, über dem eine Reihe niedriger, schlechter Fenster, eine Reihe sehr mittelmässiger Gemächer verspricht. Der Säulengang kann 206 zwischen zwanzig und dreißig Fuß breit seyn, mehr nicht; eben so weit mögen die Säulen von einander entfernt seyn, die wahrscheinlich von Stein sind, mir aber den Eindruck von ärmlichen hölzernen Pfosten machten. Diese Pfosten und die weiße Mauer ist überall mehr oder weniger mit farbigen und unfarbigen Affischen beklebt. An jedem Pfosten ist das Geschäft angeheftet, über welches an diesem Platze verhandelt wird, z. B. Wiener Papiere, Amerikanische Papiere, Ostindische Baumwolle, Französische Weine, u. s. w. Die Menschen, die über die angezeigten Gegenstände Nachrichten haben oder suchen, treffen sich unter dieser Säule und thun ihr Geschäfft ab. Oberhalb wohnen Schreiber oder schreiben wenigstens droben, haben Mäkler ihre Geschäftszimmer, und sind solche gleichgültige Winkel, die meiner Wißbegierde weder Geheimnisse noch Kenntnisse mittheilten. Seht, das ist nun die Börse, und nichts Drolligeres wie die Wichtigkeit dieses Lokals, gegen den Anblick, den es darbietet, wenn es leer ist. Voll? nun, da würde es Micromeges für einen aufgerührten Ameisenhaufen halten, Diogenes für ein großes Narrenhaus, und Pater Kochem für einen Viehstall des Satanas. Ich stand dabei und 207 dachte Kinder und Enkel und schüttelte das Haupt. Eine Pandoras Büchse mags denn doch wohl seyn. Das Wirren, Sausen, Rechnen, Streben, wie unentbehrlich im Gebäude des Ganzen und wie nichtig! Erkauften die Millionen die, seit diese Säulen stehen, hier verhandelt wurden, erkauften sie einen Blick aus Mollys Kinderaugen? Eine Thräne bei meines Sohnes Wiedersehn? einen der Ruhegedanken, die mich einst umgeben werden, wenn ich in langen Schlaf sinkend mein Andenken segenvoll in eurer Brust leben weiß? – Wenn das die Amsterdammer Millionairs wüßten, daß mir der Anblick ihrer Geldfabrik nichts Besseres eingab, wie solche christliche Gedanken, sie würden mit mir überzeugt seyn, daß aus mir lebelang kein Millionair wird. Sie haben Recht! und ich habe, seit ich sie sah, weniger Lust dazu, als je. Nehm ich nun aber das Ding von einer andern Seite und sehe es als Exertion des menschlichen Geistes an, und denke mir die wunderbare Uebereinkunft mit gewissen Zeichen vom Indus bis an die Themse zu sprechen, und wie nun der Magnet, der die Menschen hier unter diese hölzernen Hallen zieht, zu gleicher Zeit Mittel wird, die Schätze der Natur dem Geiste zu offenbaren, wie 208 mit jedem Handelsschiffe eine kleine Ladung Kenntnisse als Ballast mit herüber kommt – O da will ich gern mit dem edeln Condorcet die Verbesserung des Ganzen durch Kenntnisse erwarten, und diesen widrigen Handelsgeist, der im Einzelnen so schnell in Geldgeist ausartet, als wunderbares Mittel zu einem großen Endzwecke dulden. So vereine sich denn Geistesfunken zu Geistesfunken, und bilde endlich die Lichtgarbe, bei deren Strahlen auf jedem Pfeiler der Amsterdammer Börse stehen wird: Menschenglück.

    In dieser Waare hat noch keines unsrer guten Häuser Geschäfte gemacht, würde jetzt in der Börse wiederhallen, und in der Welt? – man kennt sie nur unter den Bankerutirern, höre ich mir von manchem Tyrann mit kaltem Gesichte zuspötteln – aber Jenseits findet sie den Hafen, der sie in seinem sichern Schoose empfängt, und wo die frohen Spekulanten sich freudestrahlend die Hände reichen, und sich zurufen – so war sie doch gültig! – –

    Kommt indessen mit mir ins Schauspiel. Der König zieht das holländische Schauspiel vor, und hat Recht. – Ja, das behaupte ich. Ihn mögen Gründe dazu bestimmen, die aus seinem edeln 209 Herzen stammen, das, seines Volkes Nationalität ehrend, und sich dieselbe anzueignen strebend, den Schauplatz, wo sie sich am lebhaftesten manifestirt und bildet – und das ist doch gewiß die Bühne? – mit Vorliebe ansieht. Dieser Umstand hat aber auf mich keinen Einfluß, sondern abgemessen, abgewogen und wohlüberlegt, halte ich das Amsterdammer Theater für eines der bessern, die ich sah. Von dem Punkte müssen wir nämlich ausgehen, daß sich die Holländer – lustig genug – nach dem französischen Theater bilden. Wer nun unter uns seine Nationalität, aus Pflichtgefühl, oder Unfähigkeit aus sich selbst heraus zu gehen, nicht gefangen nehmen kann, um das französische Trauer- und Lustspiel aus sich selbst zu beurtheilen, der muß in dem holländischen alle die unangenehmen Empfindungen haben, die ein, nur an unsre Gattung gewöhntes Ohr, bei jenen hat. Aber einmal angenommen, daß die ganze Darstellung auf der Bühne, nicht das Leben, wie wir es leben, bedeutet, sondern gesteigerte, gleichsam in ihrer jedesmaligen Gattung concentrirte Empfindung und Leidenschaften darstellt, so kann ich beurtheilen, ob der Schauspieler den ihm gegebenen Bedingungen Genüge lei210stet oder nicht. Ihr Trauerspiel ist ganz nach dem Muster des französischen in Alexandrinern gedichtet, welches ihnen bei ihrer reichen Sprache, und der wunderbaren Freiheit, Worte zusammen zu ziehen und abzukürzen, sehr leicht wird – auch noch durch den Umstand, daß sie viel weniger wie wir an edeln und unedeln Ausdrücken mäkeln, wodurch der Geschmack endlich eine so kränkliche Zartheit erhalten kann, daß er das Gemüth wahrhaft quält, indem er die Empfindung durch das Geringfügigste stört. Ich spreche hier nicht von den heillosen Reminiscenzen, die den Deutschen bei der holländischen Sprache aufschrecken, sondern von der Berechtigung oder Gewohnheit der holländischen Dichter gleiche Worte, wie der Ausrufer, oder die Kindermuhme zu brauchen. In den meisten Fällen glaube ich, daß dieser Gebrauch heilsam ist, indem er die Energie der Sprache erhält, und ich möchte sogar meinen, daß diese Störung – wäre der Dichter übrigens im Stande Begeisterung zu erregen – gar nicht eintreten würde. Das Süjet des Original-Trauerspiels ist oft aus der vaterländischen Geschichte genommen – und welchen Reichthum schöner Züge, würdig den Enkeln zum Beispiel aufgestellt zu werden, enthält 211 Hollands Geschichte! – Ich las mit dem wärmsten Antheil an dem Gegenstande verschiedne vaterländische Stücke, ich ließ mir, wo nur eine Gelegenheit sich darbot, von ihnen erzählen, aber ich gestehe, daß ihre Ausführung meine Forderungen an die Kunst nie befriedigte. Die Sprache störte mich nicht, aber die Leere der Gedanken und der Handlung drückte mich. Mühselig fand ich hier und da eine Stelle, nirgends poetischen Schwung, der uns in Frankreichs Dichtern der tragischen Bühne fesselt, wenn das Dialog uns auch kalt läßt. Da ich nur das Vorzüglichste, was man mir empfahl, lesen konnte, und gar nicht Zeit hatte, noch Gelegenheit diesen Zweig der Dichtkunst zu erschöpfen, ist das eben Gesagte nur meine Ansicht, nach der Ihr kein Urtheil bilden sollt. Von der einen Seite sollten die Dichter dieses Landes sich über die Mittelmäßigkeit aufschwingen können. Das Studium und die Sprache der Alten bildete sie, und ihres Landes Geschichte kann sie begeistern, aber die Fesseln, die sie freiwillig von ihren Nachbarn borgen, von einem Volke, dessen Bildungsgeschichte, Sitten, Charakter, Geschichte, ihnen so fremd, so widerstrebend ist, können ihre glücklichen Anlagen viel212leicht ganz ersticken. Nach dem Urtheil, welches einer der größten holländischen Dichter über Schiller gefällt, und der Abneigung, die im Ganzen gegen die Deutschen und ihre Litteratur da herrschen muß, wo man den Franzosen nachahmt, erwartete ich auch keine Anerkennung, nicht einmal Bekanntschaft mit Göthe. Werther war zu seiner Zeit übersetzt und gelesen, er gehört auch nicht hieher, aber daß sein Egmont den Menschen bekannt sey, daß er sie interessiren würde, erwartete ich um so mehr, da ich bei meiner Bekanntschaft mit der holländischen Individualität, in Egmont selbst, in Oranien, in den Volksscenen eine nationelle Wahrheit gefunden hatte, die mich entzückte. In den Gesprächen der Pächter mit ihrem Pachtherrn, der Handwerker, der Gerichtsleute unter einander, und mit ihren Vorgesetzten, traten kleine Züge in Wort, Ton, Haltung hervor, die in Jetter-Soest, dem Seifensieder und den andern, aufgefaßt sind. Selbst Egmonts Charakter – es ist das Ideal eines Niederländers! was ich an liebenswürdigen kleinen Zügen unter den Vornehmen auffaßte ist in Göthes Egmont vereinigt. Von Egmont mit einigen Holländern zu sprechen, versuchte ich also doch. Sie kannten 213 ihn nicht. Ich suchte ihnen einen Begriff von diesem Schauspiel zu geben – sie gestanden mir aber das Wagstück einen willkührlichen Egmont zu bilden, ihm statt seiner ehr- und tugendsamen Gemalin Sabina von Bayern, eine zweideutige Geliebte, und statt seines zweideutigen Glaubensbekenntnisses in der Stunde des Todes, die Siegeshymne der ewigen Freiheit in den Mund zu legen, würde bei ihren Landsleuten neuen unfehlbaren Skandal erregen. Da war nun weiter nichts zu thun. – Ob ihre Dichter der Geschichte immer gewissenhaft treu blieben, weiß ich nicht, in manchen Fällen sollte es mir für die tragische Muse sehr leid thun. Daß ihre Vorbilder, die französischen Tragiker, die Vorrechte der Dichtkunst weiter ausdehnen, beweisen uns wohl ihre liebeskranken Oreste, und galanten Agamemnons, mögen sie sich also zwischen der Kunst und ihrem Gewissen abfinden – Göthes fingirter Egmont hauche indessen dem blutvollen, geistlosen Chaos der holländischen Freiheitsgeschichte Lebensgeist ein.

    Die Deklamation der holländischen Schauspieler ist so wie ihr Vers nach der französischen gebildet. Da trifft das Pathos freilich manchmal auf unselige Töne für ein deutsches Ohr. So zum 214 Beispiel wenn wir eine hochherzige Prinzessin im höchsten Unwillen sagen hören: Sleurt by t’hair te onnoozle, hoe zy kermt, vort haatlijk Echtaltaar, an trapt har’t hikkend Ja haars Ondanks uit den gorgel. – – Da reicht freilich keine Philosophie aus! wir können in dem Augenblick nicht lebendig fühlen, daß die Lächerlichkeit in uns, nicht in der Sprache liegt, und sie stellt die unweibliche Härte des Sinnes in das grellste Licht, Einige der Schauspieler des Amsterdammer Theaters deklamirten sehr gut. Im Durchschnitt war das Organ bei allen rein und natürlich. Der eine hatte einen so männlichen Schmerzenston, daß er als Vater einer gewissen, aus dem Englischen übersetzten, höchst jämmerlichen Fräulein Emilie, die gegen ihres Vaters Willen mit ihrem Herzgeliebten sehr nahe Bekanntschaft gemacht hatte, den heillos tönenden Ausruf: rampzaligt Vader! – so herzzerreissend rief, daß ich sehr ernsthaft blieb. Die besagte Emilie selbst, deren ganze Rolle doch ein permanenter Jammer war, hatte im hohen tragischen gar nichts Kreischendes, sondern einen richtigen immer weiblich bleibenden Tonleiter. In der ganzen Darstellung war nirgends etwas Anstößiges, noch Vernachlässigtes. 215 Die Leute wissen ihre Rolle; sie berechnen in ihren Gruppirungen das Publikum und die Einwirkung derselben in das Spiel, ihr Anzug ist consequent, wenn gleich nicht sehr geschmackvoll, denn der rampzaligt Vader hatte einen himmelblauen Tuchrock, und weiße Strümpfe bei schwarzen Madame Reofroys Unterkleidern, worin er, bei gepudertem Haar, gar nicht aussah, als hätten ihm seine rampzaale an einer recht koketten Toilette gehindert. Dabei erinnerte ich mich aber Dem. Withöft als Mariane in Göthes Geschwister im weißen taftenen Unterkleide und feinen musselinen Ueberzug, ein künstliches Rosenbouquet an der Brust aus der Küche kommen gesehn zu haben, wie sie mit weißen Handschuhen an den Händen klagte, daß ihre gebratnen Tauben verbrannten. Ich sage euch nur was ich wahrnahm, ohne im mindesten zu richten, und dem zu Folge gestehe ich euch, daß ich Theater gegen Theater genommen, das holländische Amsterdammer Schauspiel lieber wie die meisten deutschen besuchen würde. – Das Haus ist sehr bequem zum Hören und Sehen, wohlerleuchtet, und mit breiten Gängen versehen. Für die Größe der Stadt scheint es mir klein, obschon man mir eine große Zahl Zuschauer nannte, 216 die es fassen kann. Wenn ich es sah, war es nicht angefüllt. Der König hat seine Loge, die mit einem Thronhimmel verziert ist, dem Proscenium gegenüber. Seine Gegenwart legt dem Publikum nicht den mindesten Zwang auf. Das Volk benutzt seine Güte, und vor dem Anfang des Schauspiels und in den Zwischenakten, oder zwischen dem Haupt- und Nachspiel wird es oft sehr laut mit Singen, Umhersteigen und Wortwechsel, so wie mit Applaudiren und Klopfen am Schluß der Aufzüge. Da dieses Schauspiel im Schauspiel mit dem Aufziehen des Vorhangs sogleich ein Ende nimmt, und ich die größte Stille während der Vorstellung wahrnahm, kann ich diese Lizens zwar hier eben so wenig wie an dem englischen Pöbel bewundern, aber den König muß ich dafür lieben, daß er in sich die Würde fühlt, welche den lauten Ausbruch der Freude und Theilnahme nicht scheut.

    Mit dem Nationaltheater ist ein Ballet verbunden, und da tritt in der Vorliebe der Holländer zum Theatertanz, und ihre Anlage zu dieser Kunst, eine befremdliche Erscheinung auf. Anlage zum Ballettanz ist kein Zug, den wir in der holländischen Nationalität gesucht hätten. Das 217 Amsterdammer Ballet, das mit lauter Holländern besetzt ist, soll nach dem Ausspruch von Menschen, die Pariser Tänzer gewohnt sind, gar nicht unter die schlechten gehören. Wie mir bei den Holländern in weißen Pantöffelchen, die in der Luft wirbelten, Ruyters beharrnischte Gestalt einfiel, wie sie auf dem marmornen Sarkophage lag, und Barnvelds fester Schritt wie er zum Hochgericht ging – wollte ich ein krauses Gesicht machen – da fielen mir aber die Helden ein, die Vestris Zeitgenossen und Landsleute sind, und ich besänftigte mich, obschon ich die barbarische Ketzerei nicht ganz leugnen kann, die mir manchmal den Wahn erregt, als seyen die Nationen edler gewesen, die ihre Tänzer – – nicht unter ihre Mitbürger zählten. Mir ist jeder Balletpas, der nicht natürlich ist, schmerzhaft. – Ein paar Kinder von sechs bis sieben Jahren standen zur unaussprechlichen Freude der Zuschauer in ihrem leichten Sprunge still, und streckten viele Sekunden lang Arm und Bein so scheuslich in die Luft, daß ich hätte weinen mögen. Von diesen Künsten kann ich nicht eher urtheilen, bis ich mir ein Ideal gebildet habe, und das fehlt mir, so lange mir der frohe Reihen einiger jungen Mädchen den Leibreiz des 218 Tanzes zu erschöpfen scheint. Männer mag ich ohnehin nicht tanzen sehen – unsre Tänze nämlich. Wenns einmal wieder Zeit ist, so mögen sie Krieges- und Siegestänze anführen – bis jetzt ist mir der Jüngling, der sein Mädchen auf dem grünen Rasen herum dreht, oder nach dem Ton einer Theorbe die Tarantula tanzt, das reizendste Ballet. Sehe ich Seiltänzerkünste, so abstrahire ich von ihrer Brodlosigkeit, und der Anblick wird mir eine sehr interessante Berechnung des Gleichgewichts beim Muskelspiel. Aber im Tanze verletzt mich die leicht überschrittene Linie zwischen Kunst und Verzerrung. Ich liebe den Tanz so ernstlich, er soll alles ausdrücken, er soll jede Sprache reden, aber nicht die der Andreaskreuze und Brummkrüsel. Diese Kunststückchen abgerechnet, tanzten verschiedne der Leutchen recht gut. Die Prima Donna wird sehr bewundert, mir gefiel die zweite Tänzerin besser, weil sie eine vorzüglich sanfte Linie vom Kopf zur Schulter hatte. Und endlich war ein Moment in dem einen Ballet, da hätte ichs beinahe wie Springlove in der Bettles Oper gemacht, da er den Guckguck rufen hört – ich wär fast fortgelaufen bis * *. Das Theater stellte plötzlich ein Feld mit Garben 219 vor, und Schnitter im Bauernkittel, und einen Abendsonnenhimmel, der links die Büsche vergoldete; die Sicheln schlugen an einander, und die Mädchen, wie Luise mit großen runden Hüten geschmückt, hüpften über die Bühne – – – das war mir mehr Natur wie alle Kanäle, Polder und Landhäuser! Ich habe ja noch kein Kornfeld schneiden sehn dieses Jahr! –

    Das französische Schauspielhaus ist viel kleiner, ist sehr klein, war aber sehr voll, und ist recht nett. Ich sah ein paar kleine Stücke, deren ich mich aus Journalen erinnerte, l’aveugle clairvoyant, und un jour à Paris. Ueber diese Dinge läßt sich weiter nichts sagen. Die kleinen Komödien habe ich sehr gern, sie sind wie ein amüsanter Besuch – man will mit dem Menschen nie vertraut werden, er hat vieles was wir gar nicht gutheißen, aber so oft er kömmt, ist es ein kleines Fest. Das erste Stück ist gar wenig, ward ganz erträglich gespielt, und machte zu lachen. Dem zweiten liegt eine moralische Idee zum Grunde; ein Vater will seinen ausschweifenden Sohn dadurch bessern, daß er ihm selbst einen Tag lang das Gemälde der unsinnigsten Ausschweifung darstellt. Es ist ein Süjet, das durchaus nur in ro220hen Umrissen gegeben werden kann. In der Wirklichkeit möchte man doch wohl einen ehrlichen Papa für toll halten, der in einem Tage mit Pferden, Hunden, Maitressen und Handwerbern bis Mitternacht sechzig tausend Livres durchbringt, und dreimal hundert tausende verspielt. Nun! – auf dem Vaudevills-Theater geht das an. Die Darstellung war aber höchst übertrieben, wozu das kleine Theater beitrug, indem die Stimmen dieser Schreihälse nervenerschütternd zurücktönten. Ihr Tutti bei der Scene, wo die Tugend des jungen Herrn zum Durchbruch kommt, machte mich fast krank. – Solche Lungen sind mir ein Räthsel! Aber bei dieser Uebertreibung konnte man ihnen Leichtigkeit in den ruhigen Momenten, und einen hohen Grad Uebereinstimmung im Spiel, nicht absprechen – und das bringt immer eine angenehme Täuschung hervor. Ein gewisser Bauerjunge, der unter die impertinente Pariser Bedientenschaft fällt, war rein komisch, und seine Linkheit mit einer so unauslöschlichen Gutmüthigkeit gepaart, daß es offenbar war, wie er immer Höflichkeit mit Wohlwollen verwechselte, und seine Schüchternheit mit einem trotzigen Gefühl seiner Rechtschaffenheit gepaart blieb. Das Ende 221 ist so erdrosselt, daß man denken sollte, der Autor habe es nicht niedergeschrieben, sondern so, wie die Schauspieler, gleich abgekreischt – geblökt ist der derb plattdeutsche Ausdruck – da ihm dann bei der letzten Scene der Odem gefehlt habe. Im Winter ist auch italiänische Oper hier, ich habe aber nichts von ihr erfahren, denn über diesen Gegenstand wird man selten durch Fragen klug. Die Antworten enthalten selten eine Darstellung, sondern ein, durch die Laune des Augenblicks bestimmtes Urtheil.

    Ein Spatziergang, für den man mich sehr auslachte, weil er gar nicht glänzend war, für den ich aber meinem Führer vielen Dank wußte, machte ich einen Sonntag Abend vor dem Leidner Thore, links in die Gärten hinein. Es war ein sanfter, ein Bischen umwölkter Himmel, eine Luft, eine Erleuchtung, die ich für die Sonntagabende recht gerne habe, es drückt alles den Sabbat, den Ruhetag aus. Ich ging neben Kanälen und Windmühlen und bürgerlich bescheidenen Gärtchen, wo man in der Beschränktheit der Mittel zum Genuß, noch Wahrheit im Genusse erwarten konnte. Ueberall ist ein Ueberfluß an Bäumen und Büschen, und dazwischen immer Plätz222chen in geschnörkelten Beeten vor den kleinen Gartenhäuschen angebracht, mit mannigfaltigen Blumen besetzt, und oft mit bunten Porzellanscherben zur Zierde belegt. Diese Verzierung findet man noch mehr auf dem Lande; sie ist ungeheuer lächerlich, und macht mir doch so viel Freude, kommt mir doch so rührend vor, daß ich um alles in der Welt kein solches Scherbchen verrücken möchte. Ich sehe immer die gefesselte Psyche den Flügel heben, in diesem Bestreben zu gestalten und Schönheit zu schaffen, und wende ich mich von der Kunstansicht zum Gefühl, so ist in diesen glänzenden Steinchen Freude gesucht und Freude gefunden, und Yungs tieftrübseliges little Babylon of Straw fällt mir in einem erfreulichen Sinn wieder ein. O wie viel mehr Freude und Gutseyn in der Freude, wie die schönste Statüe von pariser Marmor dem satten Reichen, geben diese Steinchen. Wenn der brave Handwerksmann mit seiner Frau an einem Sonntag Abend auf der Bank sitzt, und die bunten Steinchen in der Sonne glänzen, und sie zusammen rechnen, wie diese Woche alle Bedürfnisse bestritten worden, und für Natjes Aussteuer so viele Gulden zurückgelegt, für Karls Lehrgeld so viele erspart sind, und alles um sie 223 her glänzet und blinket – – – dagegen seht nun die Tischgesellschaft meines Reichen satt und übersatt im Park umherschlendern, und hört ihre Ausrufungen beim Anblick des belebten Marmors – denket euch funfzehn und zwanzig Menschen aus jener Welt der Reichen, und analisirt euch ihr Inneres bei diesen Exklamationen – ich habe solche Auftritte so oft erlebt, und mir wars immer als müste ich einen Schleier über das Kunstwerk werfen, der es vor dem Auge dieser satten Leute verbürge. Doch zurück an einen Platz des Walles mit Bäumen besetzt, wo an vielen kleinen Tischen kleine Familiengruppen bei einem Krug Bier den Abend genossen. Das waren lebendige Tennier – die Tanzenden ausgenommen, denn Tanz und Musik ward ich nirgends gewahr. Allein die Kleidungen, die Stellungen, die Geräthschaften – alles stimmt in den Gemälden dieses Meisters mit der Wirklichkeit überein. Die Kinder die im Grase sich wälzten, hie und da eine wohlmeinend keifende Mutter, die das Jüngste am Gängelband führend, hinter die kleinen Lärmer her eilte, der Ausdruck gefühlten Ausruhens in den gefaltet vor sich hingelegten Händen der reinlichen Weiber, und der von Seelenruhe in den 224 regelmäßigen Zügen und klaren Hautfarbe – so ein teint réposé wie ihn die hübschen Dérobs nach Marmontels Bemerkung haben. –

    Von dem Leydner Thor an bis an den Kaiserkraagt war an diesem Abend das Gedränge so lebhaft, wie ich es in einer so großen Stadt gern immer haben möchte. Diese Volksklasse gefällt mir gar wohl mit ihrem rechtlichen breiten Wesen, das beiden Geschlechtern gemein ist. Die zunächst darüber stehende Klasse, ist der in jeder deutschen Stadt mehr ähnlich – ich weiß für die blassen Angesichter der jungen Männer, ihre leeren Physiognomien, ihren geckenhaften Anzug, keinen bessern Rath, als einen braven Feldzug unter den französischen Fahnen *). Ausnahmen giebt es genug, da ich aber von ihnen nicht rede, könnt ihr mich nicht beschuldigen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Auf dem Lande fand ich im Durchschnitt genommen, von Nimwegen aus, schön gewachsene große Männer. Sehr viel weit über

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    *) Die gute alte Frau sah damals nicht vorher, daß nicht zwölf Monate nach diesem guten Rathe, die Verbindung Hollands mit dem französischen Reich, diese blasse physiognomielose Herren nun wirklich zu der angegebnen Cur verhilft.

 

225 gewöhnliche Größe, mehr schlank als breitschulterig, aber von festem Bau und blühender Gesichtsfarbe. Eben so fand ich die Weiber. Bei den Bäuerinnen in Holland selbst fallt die weiße Gesichtsfarbe und die rothen Wangen sehr auf, mehr als unter den Städtern, wo sie auch allgemein ist, und sich bis im späten Alter erhält. Nie sah ich so angenehme alte Frauen, wie in dieser Gegend. Größtentheils ist das wohl Folge der bequemen Lebensart, und guten Nahrung. Die Bäuerin hat außer dem Hause gar kein Geschäft – das liegt dem Manne ob, und im Hause fand ich sie beim Käsemachen immer ganz gemächlich vor dem Fasse sitzen. Auch die Klassen der Handwerksfrauen scheinen mir nicht so hart zu arbeiten, wie in den meisten Gegenden Deutschlands. In den Städten ist mehr Fabrik- und Handelswesen, der Ackerbau fordert nicht die getheilte Mühe, welche unsre Kleinstädter von ihrem Handwerk abruft, ohne ihre Felder zu verbessern. In Amsterdam fielen mir unter der Volksklasse hingegen viele mißgestaltete Menschen, besonders aber viel Hinkende auf. Der Zufall wollte, daß ich eben auch hinkte, denn ich hatte mir durch einen Sprung aus dem Wagen auf dem Wege nach Amsterdam das Knie ver226staucht – den ersten Tag machte mich das Gefühl meiner Hinkigkeit und der Anblick so vieler fremden Hinkigkeiten ganz verwirrt, so daß ich durchaus einen mystischen Zusammenhang darinnen ahndete. Die Rhachitis, englische Krankheit, oder doppelten Glieder, wie man an einigen Orten in Deutschland sagt, soll hier unter den Volksklassen sehr gemein seyn, welches mich in einer so feucht gelegenen Stadt nicht wundert, besonders wenn noch einige alte Vorurtheile bei der Nahrung und ersten Behandlung der Kinder hinzukommen. Die vielen Hinkenden mögen also wohl aus dieser Kindheitsepoche herrühren. Die Frauenzimmer, die ich auf der Straße sah, und die nicht in der Volkstracht gingen, waren alle ohne Geschmack gekleidet, Gang und Haltung ohne allen Liebreiz, die Ellenbogen hinten hinaus, und den Hals vorwärts; – aber viel regelmäßige Gesichter, und lauter Lilien und Rosen. Zur Erquickung aller Schminke hassenden Seelen, steht hier der Gebrauch, Roth aufzulegen, in der größten Verabscheuung. Es ist drollich, mit welcher Sträflichkeit Leute diese Täuschung verwerfen, die Schnürleib, Haarpuder und aufgepuffte Halstücher ohne alles Bedenken annehmen. Lügen diese Behelfsel 227 denn weniger wie ein bischen Carmin? und sind die Ansprüche an rothe Backen, welche ein lebhaftes Gespräch, ein schneller Gang, einem Jeden auf Augenblicke giebt, betrügerischer als der Puder, der ein fettes, rothes oder graues Haar verbirgt, oder die Schnürbrust, und das Halstuch, welches viel sinnlichere Annehmlichkeiten vorfabelt? Also zur Erquickung der Schminkhasser bemerke ich, daß sich die Holländerinnen gar nicht schminken, und alle geschminkte Gesichter vor Jezabols Larven halten. In diesem Augenblick stimmt die Mode mit ihrem heiligen Abscheu zusammen, denn man soll in den Thuillerien auch ohne Roth erscheinen, das heißt à la Psyche – wahrscheinlich wie der Funke der bösen Lampe auf Amors Schulter fiel, ward sie so blaß? – ich fürchte nur que le diable ni perdra rien – wenn man nicht mehr roth seyn darf, wird man weiß werden. Sonderbar ist es, daß die Holländerinnen den Theil der Reinlichkeit, welcher das Waschen bei der Toilette entzweckt, nicht sehr beachten. Sie halten es für ungesund, und der Haut nachtheilig. – Diese Gründe aus dem Klima genommen, und durch die Lilien und Rosen ihrer Haut bewiesen, gaben sie mir wenigstens an. Diese Wasser228scheu theilen alle Stände, wie ich bemerkte, und mir Inländerinnen selbst bestätigten. Selbst das Gesinde, welches die lästigsten Arbeiten thut, vermeidet das Wasser. Die Hausmägde, nachdem sie die Fußböden im ganzen Hause aufgewaschen haben, benetzen ein leinenes Tuch mit Wachholderbranntewein, reiben sich damit das Gesicht ab, und scheinen dadurch reinlicher zu werden, als wären sie in die Fluthen getaucht.

 

 

229 Neunter Abschnitt.

 

Da ich meine Rückkehr nach Amsterdam nun antrete, wo ich einen langen Weg neben lauter Landhäusern vorbei machte, will ich euch eine Beschreibung eines solchen Landhauses geben, die, mit geringen Abänderungen auf alle paßt. Hier in der Nähe von Amsterdam, der Amstel entlang auf fünf, sechs Stunden, muß man nicht sowohl Landgüter, als Landhäuser suchen, diese sind dicht an einander gelegen, haben mehr oder weniger Gebüsch um sich her, Wiesenboden aber gar nicht, und selten Gemüsegärten. Sie sind nur ein Sommeraufenthalt, viele werden nur von der Familie des Eigenthümers bewohnt, indeß der Hausvater selbst die Woche über seinen Geschäften in der Stadt nachgeht, und sich nur Sonnabends hinaus begiebt. Das Wohnhaus steht nie dicht am Wege, noch am Kanal, sondern immer am Ende einer, mit hohen Bäumen besetzten Avenue, die vorn 230 durch ein sauberes Gitterthor und eine grüne Hecke, nie durch eine widrige Mauer, von den Vorbeigehenden getrennt ist. Stößt die Besitzung unmittelbar an die Kanäle, so ist sie ganz offen; oft steht das Haus hinter einem schönen Rasenplatz mit Blumenbeeten durchschnitten, oder mit Blumenkörben geziert. Rund umher zieht sich ein Gebüsch von hohen Bäumen eingefaßt, und die Besitzung ist, wenn sie klein ist, von Gräben umgeben, die größeren noch von Gräben durchschnitten. Oft ist zur Seite des Wohnhauses ein Treibhaus, oder doch ein Wintergarten. Die Wirthschafts-Gebäude, wenn deren da sind, liegen immer abwärts, oder bilden ein harmonisches Ganzes, bei dem jedoch der Kuhstall und der Dünghaufen nie eine Rolle spielt; diese sind zu den Pachthöfen verlegt, die immer neben den dazu gehörigen Weideplätzen angelegt werden. Auch hier macht das Vollendete, Ganze, den angenehmsten Eindruck, denn die meisten dieser Gebäude zeichnen sich weder durch Pracht, noch besondere Schönheit aus, ja an vielen kann ein geschmackvoller Baumeister vieles tadeln. Noch mehr wohl an den kleinen Pavillons, die man häufig hart an den Kanälen findet, an denen oft recht viele Müh231seligkeit verschwendet ist, um bald Griechenlands Tempeln, bald einem Kiosk, bald einem chinesischen Thurm zu gleichen, und nie die Täuschung zu bewirken, die erreicht, einen sehr lächerlichen Kontrast mit der lebendigen Holländigkeit des ganzen Schauplatzes machen würde. Manches Wohnhaus ist rund umher dicht an der Mauer mit einem Graben umgeben, über den eine artige Brücke auf Stufen, nicht ins Erdgeschoß, sondern in den ersten Stock führt, indeß das Erdgeschoß einen eignen Ausgang an der Wasserfläche hat. Dieser Graben hat wohl mit der Befestigung gar nichts zu thun, sondern dient nur zur Trockenlegung des Bodens. Man erreicht sie auch mehr, wie ich es begreifen kann, denn in diesem Erdgeschoß, das nun fast wagerecht mit der Wasserfläche steht, spürte ich keine Feuchtigkeit; die Wäsche blieb daselbst trocken, und das hölzerne Geräthe, dessen Formen sein Alterthum bewiesen, war spiegelglatt und wohl erhalten. Viel trägt gewiß die Reinlichkeit zur Trockenheit bei, die Winkel werden unaufhörlich geluftet, die glatten Oberflächen ziehen weniger Feuchtigkeit ein, aber diese Ursache reicht nicht hin die anscheinende Trockenheit dieser Gemächer zu erklären. Rechnet nun noch hinzu, daß 232 sie nicht geheizt werden, sondern nur mit Kaminen versehen sind, und daß man in diesen wenig Feuer macht, des Morgens, des Abends, und nur bei wahrer Winterkälte, sonst begnügen sich die weiblichen Bewohner mit ihren ewigen Stovchen. Jetzt wird dieses Erdgeschoß meistens der Wirthschaft (die Küche ist ohnehin darin) und dem Gesinde eingeräumt; allein die Eltern des jetzigen Geschlechtes fanden sie noch zur Wohnung sehr bequem. Die Mutter meines Freundes * *, eine Frau, die durch Stand und Vermögen zu jedem Anspruch berechtigt war, hat diese Zimmer im Schlosse L. erst vor wenigen Jahren verlassen, wie sie es ihrem Sohne und seiner Familie einräumte. Wenn man bei uns einer Frau von Stande so einen Vorschlag thät! – In einem Hause, wo diese Zimmer von der Dienerschaft bewohnt wurden, fand ich einige schwäbische Dienstboten, die seit wenig Jahren aus sehr guten Herrschaftshäusern hieher gekommen waren. Diese Weiber saßen den ganzen Tag, mit feiner Arbeit beschäftigt, in diesen Gemächern, und obschon sie mir eingestanden, daß sie im Winter von der Kälte litten, drückten sie doch gar nicht den Widerwillen gegen ihre Wohnung aus, den ich von Leuten erwartet hätte, 233 die an die glühenden schwäbischen eisernen Oefen gewöhnt waren.

    Das, was wir in unsern Häusern Keller nennen, ist in diesen Wasser umfloßnen Kastellen auf ebnem Boden mit den eben beschriebenen Zimmern, kann also keine sehr kalte Temperatur haben. Leider fand ich auch den Wein selten nur erträglich frisch, und das Wasser nie. Ach keinen Tropfen frisch perlendes Quellwasser! „für meinen unaussprechlichen Durst, gebt ihr mir glühendes Gold!“ hätte ich oft rufen mögen, wenn man mir jeden leckern Trank anbot und darreichte, den fremde Reben und fremde Früchte bieten, und ein Trunk aus einem unsrer strömenden Brunnen um * * mich zu neuem Leben gestärkt hätte. Derselbe Grund der ihnen verbietet ihre Keller tief zu graben, macht es auch sehr schwer, Eisgruben zu bauen, und so ist das, in Deutschland in großen Häusern so gewöhnliche Mittel das Getränk zu erfrischen, hier sehr ungebräuchlich. An vielen Orten ist das Wasser gar nicht zu trinken. In Amsterdam läßt man es von Utrecht kommen, auf dem Gute, wo ich lebte, hatten wir Utrecht näher, zogen aber einen Brunnen in einem nahen Pachthof vor, wo es besser wie unser Grabenwas234ser, aber doch sehr schlecht war. Es ist ein mattes, geistloses Getränk. Ja geistlos! mögen doch die Weintrinker lachen! Wer unter einem Kranz hoher Kastanien im heiligen Dunkel ihres Laubes, aus sechs starken Röhren das perlende Wasser in das große Steinbecken stürzen zu sehen gewohnt war, wie dann die Sonne hie und da einen Spalt fand, um auf den hellen Kristall die Farben des Regenbogens zu mahlen, und alles rund umher Leben athmete in dem feuchten Duft – der genoß mit langen Zügen das Geistige eines lebendigen Quells.

    Daß die Winterkälte in diesen Gegenden einen ganz andern Karakter als bei uns haben muß, bemerkte ich schon bei andern Gelegenheiten. Die Kanäle frieren hier zwar alle Winter zu, so, daß der Wassertransport gewisse Monate im Jahr ganz aufgehoben ist, und dennoch erfrieren die so häufig an den Landhäusern gepflanzten Weinreben nicht, deren Holz vier bis sechs Zoll im Durchmesser hat. An den Bauerhütten, denen es selten an dieser lieblichen Zierde fehlt, trägt der Weinstock keine Früchte, er wird aber auch gar nicht vor dem Froste geschützt. In B. ward er im Winter eingebunden, soll auch in andern Jahren recht eßbare 235 Früchte tragen, in diesem unfreundlichen Sommer waren sie gegen Ende Oktobers noch hart und sauer, und man verzweifelte sie reifen zu sehen. Außer den noch um die Wohnhäuser gepflanzten Gebüschen und schattigten Alleen, umgiebt sie auf den größern Landgütern in der Nähe der Gemüßgärten, der jedoch sehr weißlich nicht als Gesichtspunkt dem Auge dargelegt wird, indem er nie einen malerischen Anblick gewährt, und Grasplätze mit Obstbäumen bepflanzt, zu denen man die günstigsten Lagen in Rücksicht des Windes und der Sonne wählt. Außerdem ist Gebüsch – unsre Landjunker würden den zehnten Theil des Umfangs immer sehr pompös einen Park nennen, die Hauptzierde der Umgebungen, es wechselt mit Wiesenplätzen ab, es umgiebt stille Teiche, es verbirgt Lauben und ländliche Sitze, es ist überall mit Gräben durchschnitten, deren Ufer mit Rasen belegt, und von beiden Seiten mit hohen Bäumen bepflanzt sind, und zugleich durch ihre verschiedene Breite zu verschiednen sinnreichen Arten von Brücken Anlaß geben. Oft ist es auch, um die geringern Besitzungen des Bauers mit dem Wege zu verbinden, ein breites Brett, das an den beiden Ufern mit Angeln an Pfosten befestigt, auf236geklappt werden kann, und jenseits der Besitzung befestigt wird, wodurch dann der Eingang von der Wasserseite völlig gesperrt ist, bis es dem Eigenthümer gefällt, von der Landseite her, die an seine Wohnung stößt, den Steg herabzulassen. Andere, breitere, längere Brücken drehen sich auf einem mitten im Kanal stehenden Pfahl, und werden, durch einen sehr leichten Stoß von der Seite der Besitzung her, der Länge lang ins Wasser gerichtet, wodurch der Eingang gesperrt ist. Zum innern Verkehr sind sie schön verziert, doch nie in der lächerlich halsbrechenden Bogenform, die in vielen deutschen Gärten die Zierden des englischen Gartens ausmachen soll. Ueber die Kanäle, deren unmittelbarer Zusammenhang mit den großen Wasserwegen sie dem Steigen und Fallen des Wassers unmittelbar aussetzt, gehen Brücken die in Ketten hangen und so über dem Wasser ruhen, oder von ihm gehoben werden, nachdem sein Stand ist. Während den Kriegsvorgängen in der Schelde, waren die Hauptkanäle um L. her oft bis zum Ueberlaufen voll, hie und da traten sie auf einige Stunden auf das Ufer, bis die Mühlen das Gleichgewicht wieder hergestellt hatten. Der Aufseher des Gutes sagte 237 mir, das sei die letzte Rückwirkung der sehr hochgehaltnen Wasser gegen die Schelde zu, wo man unter gewissen Umständen das Durchstechen der Dämme befohlen habe. Das Durchbrechen eines solchen Dammes ist mir ein Blick, dessen Furchtbarkeit ich gar nicht ausdrücken kann. Oft sind Wohnungen unmittelbar hinter dem Damm, so, daß ein Erdwall, wie wir ihn noch um unsre kleinen alten Festungen sehen, der ungeheuren Wassermasse zum Bette dient. Du siehst ihn hier aus dem Fenster, wenige Schritte von dir auf zwanzig Fuß hoch steigen, und jenseits ist die Höhe des Dammes und die Wasserhöhe fast eins. Hat das Wasser einmal eine geringe Oeffnung gefunden, so muß es furchtbar fortwühlend bald jeden Widerstand aus dem Wege räumen, und unaufhaltsam die Fläche in Besitz nehmen.

    Der große Umfang von Gebüsch, Alleen und Pflanzungen ist aber auf einem holländischen Landgut bei weitem nicht der Gegenstand leerer Pracht, noch bloßen Vergnügens. Der ganze Platz ist in Schläge eingetheilt, und wird regelmäßig als Holzertrag benutzt. Nur die zunächst an das Haus stoßenden Gebüsche und Alleen sind davon ausgenommen, so lange eine besondre Spekulation nicht 238 anders gebietet; alle längs den Kanälen gepflanzten herrlichen Bäume werden Jahr vor Jahr dezimirt, aber der gefällte Baum unmittelbar durch einen neugepflanzten ersetzt. Von der Ueppigkeit des Wuchses dieser Gebüsche habe ich keinen Begriff gehabt. Alle fünf oder sechs Jahr wird ein Schlag abgetrieben, und die hohen Stämme an den Kanälen, oder an den mit gelblichem Sande bestreuten Wegen, an den Meistbietenden verkauft. O brave Crillon ou etoit tu? armer * *, wenn du einen Buchenstamm für hundert und dreißig Gulden verkaufen könntest! So verkauft man hier manche Stämme – sie sind prächtig, ja! – aber o Ursperg, wie würdest du zum Eldorado werden, wenn man die Riesenstämme deiner heiligen Haine an den Lech senden könnte! Die Eichen bleiben hier nicht so gesund wie die Buchen, und auch unter diesen trügen oft die schönsten Stämme durch anscheinende Gesundheit, indeß sie von der Erde auf im Innern verfault sind. Ein gesunder Weidenstamm – hier freilich himmelan strebend wie unsre schönsten Pappeln, wird mit zwanzig, dreißig Gulden bezahlt. Was man damit macht? – Goldklumpen vielleicht? – Ja Klumpen wohl, aber an die Füße, das heißt: hölzerne 239 Schuhe, die allgemeine Tracht der Landleute, Tröge, Fässer, Teichgewerkzeuge u. s. w. Jedes Stückchen wird benutzt, der Abfall kostbar gesammelt, die ganz krummen Zweige regelmäßig zersägt, in regelmäßige Bündel geordnet, und zum Gebrauch der Reichen, oder einiger Handwerker, die Flammenfeuer nicht entbehren können, nach Amsterdam, Rotterdam und andre große Städte geschickt. Auch im reichsten Hause wird der Kamin und die sparsamen kleinen eisernen Oefchen mit Torf, hier und da mit Steinkohlen geheitzt, die letzten sind aber theurer wie Torf, besonders seit die Zufuhr von der See aus sehr erschwert ist. Auch in der Küche bereitet man alles mit Torffeuer, nur der Bratspieß fordert Holz und daher steht es immer in einem ungeheuern Preise. Der hiesige Torf hat aber keine Spur von widrigem Geruche, die ausgeglühte Kohle verursacht unter dem Theekessel, im Stovchen nicht die mindeste Unbequemlichkeit, und die Wärme erhält sich unglaublich lange in der weißlichen Asche.

    Die Eintheilung der Zimmer hat auf den hiesigen Landhäusern und Landgütern wieder viel Aehnlichkeit von der in der Schweiz gebräuchlichen, so wie die der Mahlzeiten. Auch hier ver240einigt das Frühstück die Familien im Speisezimmer; auch hier nimmt man, en famille, Abends den Thee, nur bei gebetnen Gästen wird er im Sallon aufgetragen; auch hier ist das Eßzimmer eine Art von Ansprach- und Beschäftigungsplatz für häusliche Besorgungen. – Diese große Annehmlichkeit, das Wohnzimmer vom Geruch der Speisen rein zu erhalten, kennen und verlangen – besonders in Süddeutschland, die mittlern Stände gar nicht. Fast allgemein opfert man Reinlichkeit und Bequemlichkeit dem Triumph der Eitelkeit auf, ein paar wohlausstaffirte Besuchzimmer zu haben, setzt aber zwei und drei Betten in ein Schlafzimmer, und athmet den Geruch der Speisen vom Mittagsessen bis zum Nachttisch im Wohnzimmer ein, wo denn das Abendessen am folgenden Morgen wieder sanft nachduftet, bis mit Besen gekehrt ist. So weit es nur der Raum erlaubt, giebt der gute Mittelstand in der Schweiz jedem Familienglied sein eignes Schlafzimmer – eben so hier zu Lande. Dieses dient zugleich als Kabinet, wo der Bewohner schreibt, liest, allein seyn kann – das Eßzimmer versammelt die Familie, und im Sallon, oder nur in dem Wohnzimmer der Hausfrau, wo der Sallon fehlt, ar241beiten die Frauenzimmer, indeß die Männer ihren Geschäften nachgehen. Natürlich ist es dabei, daß man von einem solchen Schlafkabinet wenig Raum fordert, aber unleugbar auch, daß Anstand, Ordnung, Nettigkeit, ein gewisses Gefühl anderer Unabhängigkeit zu ehren, durch diese Absonderung sehr befördert wird. Nur die Stunden der Mahlzeiten sind hier und in der ehrlichen alten Schweiz sehr verschieden. Die Stände, welche nicht zum Volke gehören, essen alle spät, die höhern erst in den Abendstunden zu Mittag. Diese Sitte wird in Amsterdam, vielleicht in allen großen Handelsstädten, von der Börsenzeit bestimmt, welche erst um vier Uhr zu Ende geht. Ehemals mochten die guten Herrn vorher, das heißt, um eilf oder zwölf speisen, um Glockenschlag zwei, wo die Börse geöffnet wird, ihre fünf Sinne gestärkt zu haben, das wäre anjetzt ein Hinderniß in der ganzen Tagesordnung, also verschiebt man es bis nach der Börse, welches dann vermittelst eines lang fortlaufenden, mit Käse, geräuchertem Fleisch, Schinken und zufälligen Leckerbissen bereicherten Frühstück endlich wohl angeht.

    Die Zimmerverzierungen, so wie das Geräth, soll in vielen Handelshäusern sehr prächtig, und 242 bei manchen sehr modern seyn. Fremde, welche sie besuchten, meinten es fehle darin an Geschmack, und beweise mehr die Absicht Reichthum zu zeigen, als die Gewohnheit, rafinirte Bequemlichkeit zu genießen. Diese Eigenheit, welche nach dem Parvenü riecht, bemerkte ich sehr oft bei bereicherten Leuten im Handelsstande. Weltleuten kann sie zum Spott Anlaß geben, ihre Quelle ist aber ehrwürdig. Sie vergaßen noch nicht wie mühselig man erwirbt, der Sohn des Bereicherten wird sich unbefangen in den seidnen Betten dehnen, wird ohne Vorsicht mit seinen staubigen Stiefeln die Teppiche betreten – aber auch nie das ehrwürdige Gefühl haben, Schmid seines eignen Glückes zu seyn. Die Landhäuser mancher angesehnen und vornehmen Familien, die ich sah, bewiesen mir, daß ihr Stolz noch weise genug ist, um die Mode nicht zu bedürfen. Ich fand hier, wie bei den vornehmsten Schweizerfamilien, bei der größten Fülle und Bequemlichkeit keinen Widerwillen Geräthschaften zu gebrauchen, die den Eltern und Voreltern schon gedient hatten. Möge diese Beharrlichkeit dauern! Mir ist wohl in den hohen Zimmern, mit den glattgebohnten hohen Schränken, mit derben Stühlen, die ihren 243 Mann tragen – ein moderner Theetisch mit Pariser Porzellain sieht daneben recht freundlich aus, und die fünf Fuß hohen chinesischen Vasen, und bunten phantastischen Porzellaingefäße verzieren ein Kamin vortrefflich neben dem schöne englische Kupferstiche hängen.

    Die reichen Leute halten viel Pferde, und wie mir däucht, sah ich deren sehr schöne. Eben so die elegantesten Fahrzeuge, von dem hohen Kabriolet (das vernünftige Leute der hohen, schmalen Dämme wegen doch nicht brauchen) bis zu einem winzig kleinen Kariolchen herab, wie unsre Felleisen-Chaischen, wo eben ein breiter Mann drinn Platz hat, zwei Räder darunter, aber aufs sauberste gebaut, gemalt und vergoldet. Auf diesem leichten Fuhrwerk kommen die einzelnen Männer gewöhnlich heran gefahren. Nennten die Franzosen eine gewisse Art Chaise, in der nur zwei Menschen Platz hatten, Desobligeante, so würde ich diese Solitaire nennen. Die meisten Fuhrwerke haben nur zwei Räder, und nie führt man Gepäck bei sich, um im Innern des Landes zu reisen. Die Wege erlauben keine beladne Wagen, und die zahlreichen Wasserposten geben täglich mehrere Male Gelegenheit Packete fortzusenden. Um 244 schnell fortzukommen, ist der Landweg immer vorzuziehen, und die Schuits behalten in vielen Rücksichten manche Unbequemlichkeit. Eigne Gondeln, welche etwa den Eigenthümern großer Landhäuser angehörig geschienen, und neben den Häusern angebunden gewesen wären, sah ich gar nicht, begegnete auch keiner Wasserparthie, wie man auf den Schweizerseen macht, wo man um des Schiffens willen fährt. Das ist auch in einem Lande, wo das Schiffen tägliches Bedürfniß ist, sehr natürlich. Die Kanäle sind auch an den mehrsten Stellen, um zum Vergnügen darauf zu fahren, nicht breit genug. Die Trekschuits, die unablässig zwischen den Städten den regelmäßigen Verkehr unterhalten, sind denn ohne Zweifel von dem Mainzer Postschiff sehr günstig unterschieden. Sie haben drei Abtheilungen, oder Ruefen, wie man es hier nennt. Die erste wird abgesondert vermiethet, hat artige Polster auf den Bänken, ein Theeservice, Gläser, einen Tisch – vier Personen können recht bequem drinnen wohnen, und vorn geht eine Thür auf das Steuer, wo es von Menschen leer bleibt. In der Mitte ist der zweite Ruef, wo die ordentlichen Leute hingehen – das ist wie eine Dilligence – noch mehr wie der 245 deutsche Postwagen; für Männer eine sehr bequeme, höchst wohlfeile Art zu reisen. Man steigt in die Fenster ein, hat Bänke, Tische und Raum genug, wenn es leer ist. Im dritten Ruef, der auf dem Schiffsschnabel sich öffnet, treiben die Schiffer ihr Wesen, und die namenlosen Weltbürger, eine mehr wie gemischte Gesellschaft. Diese Schuits segeln und rudern, und werden von Pferden gezogen, je nachdem Strom, Wind und Fluth es nöthig macht. Die Kosten der Passagiere, selbst für den ersten Ruef, sind sehr gering. Bei einer einzelnen Tagereise nehmen die Reisenden kalte Küche mit sich, Kaffee und Thee macht der Schiffer – ja ich wüßte nicht warum sie nicht mehrere Tage, ohne ein Wirthshaus zu betreten, fortreisen könnten, wenn der Brodkorb auslangt? Des Nachts geht man ans Land, oder besteigt die Nachtschuit, denn auf den Hauptstraßen gehen Tag und Nacht Postschuiten, und die Gasthöfe sind vortrefflich! Wenige Menschen, die sich lieb hätten, könnten nun mit Büchern, Schreibzeug und Handarbeit in so einem Ruef eine höchst angenehme Reise machen, so lange sie das Wetter begünstigte, aber in diesem Falle wird die bewegungsloje Enge sehr lästig, – und diese Bewe246gungslosigkeit drückt mich auf die Länge doch sehr. – Ich will lieber geschüttelt seyn, als mich ganz widerstandslos herumziehen lassen. So weit ich die Kanäle sah, sind sie immer so schmal, daß die Straße, welche meist zu beiden Seiten hinläuft, was darauf wandert, und was an ihr wohnt, mit in den Schauplatz des Ruefs hineingezogen ist. Das Fahrzeug selbst bietet immer ein verändertes Personal des Theaters dar, denn es wird beständig gelandet, neue Gefährten aufzunehmen, und alte ans Land zu setzen; das geht aber so schnell, daß es niemand einfallen kann über den Verzug zu klagen. Hier steht eine Nätherin mit dem Nähkistchen unter dem Arm, ein kleines Bündelchen an der Hand, die soll in jenem Schlosse arbeiten, sie nimmt sorgfältig die geglättete Schürze in Fallen, faßt den glänzenden Zitzrock auf, und schlüpft in das Fenster hinein. Dort wartet ein breitschultriger Ehrenmann mit einer schwarzen runden Perücke, schwarzplüschnen Unterkleidern und Stiefelmanschetten, wohlig bei einem Glas Bier, bis die Schuit landet, bläßt den Tabacksrauch vor sich her, steigt langsam in die Luke hinein, setzt sich, ordnet die Rockschößen, und fordert vom Jager – so heißt der Schiffer, Feuer, seine bei 247 der Comotion ausgelöschte Pfeife anzuzünden. Weiterhin schaut ein Domino – so von einer kleinen Landpfarre, dem Schiff entgegen – er hat einen hinten hoch aufgerollten Haarputz, den das hellere darunter vorblickende Nackenhaar für eine Perücke erklärt, einen Japun von großblumigten Kattun mit einem Gurt unter dem Bauche gebunden, große runde silberne Schnallen, und eine drei Fuß lange Köllner Pfeife im Munde. Die Ruefsgesellschaft rückt höflich, der Gottesmann nickt salbungsvoll, eine Magd reicht ihm ein Bündelchen nach, wo gewiß der Ornat drin ist, denn er will den Herrn Kollegen in dem nächsten Dorfe besuchen – und so geht es fort. Fechtmeister, Tanzmeister, Kinder, Kriegsleute – aber nie hörte ich rauhe Reden, ein gellendes Gelächter, nie das Gequike der weiblichen Reisenden, das die Postwägen in Deutschland immer hindern wird, von Frauenzimmern aus dem Mittelstande benutzt zu werden. Die Contenance der holländischen Ruefsgesellschaft schien mir immer sehr anständig.

    Ich hatte mit meiner Freundin und ihrer Kammerfrau den ersten Ruef, der Abend wo wir Amsterdam verließen war schön – die Sonne färbte 248 den Himmel mit dem Goldgelb, was eine Ahndung des Herbstes hervorbringt, eine Ahndung der Verwandlung durch Tod zum Leben. Dieses Licht scheint zu einer Heiterkeit zu stimmen, welche das Persönliche aus unsern Ansichten entfernt, ich sehe dann alles um mich wie zum letzten Male, also mit unendlicher Liebe und theilnehmender Freude. – Wenn man durch die Hauptstraßen von Amsterdam fährt, wenn man zwischen den zierlichen Häusern und Anlagen auf diesen Kanälen gleitet, sollte man wohl denken, es gäb keine Armuth in Holland. Aber wenn man eine Weile bei den Landungsplätzen still hält, besonders vor den größern Städten, wird diese Täuschung gräßlich gestört. Nie sah ich so abgehungerte, zerlumpte Menschen, hörte nie keinen so vor Jammer und Ungeduld zusammengesetzten Bettelton, wie bei dem Zollhause vor Amsterdam. Der Ton war der nächste Ausdruck neben Straßenraub oder Selbstmord. Weiber, deren Blöße das Mitleid mehr wie die Sittsamkeit empörten, Männer, aus deren struppigen Bart gelbe Zähne hervorragten, unter denen sich die blauen Lippen grinsend zurückzogen. Ich litt peinlich bei dem Anblick – man möchte auf sein Angesicht fallen 249 und beten, daß ein Wetterstrahl dieses vernichtete Gottesebenbild reinige und verzehre! – Was ist da Almosen? was ist es sie der Armuth entreißen? Dieses verzerrte Gesicht wird nie mehr sich aufrichten zum ewigen Lichte – das Grab allein läutert solche Verderbniß.

    An Armenanstalten mangelt es nicht, wohl an wenig Orten wird für die Armuth so reichlich gesorgt, wie in Amsterdam. Die Reichen geben den Armen unglaublich viel Geld, aber das ist alles, was der Reiche in großen Städten thun kann; das schützt vor Verhungern, Erfrieren – aber es hebt die Armuth nicht, es rettet nicht vor Erniedrigung.

    Bis Abcou ist die Amstel sehr breit, – ich athmete freier auf der schönen Wasserfläche, und blickte sehnsuchtsvoller nach allen denen von den ich getrennt war – denn mir ist euer Bild und das geistige Umfassen der ganzen Gotteswelt immer Eins! Von Abcou fährt man bei beständiger Abwechselung von Dörfern und Landhäusern bis Marsden fort. Der Verkehr ist in dieser Gegend unglaublich groß! – ist er es jetzt, wo aller Handel niederliegt, was muß er in glücklichern Zeiten seyn? In Dörfern und außerdem an vielen 250 Stellen gehen Brücken über den Kanal, die bei Annäherung der Schuits aufgezogen werden. Der Handgriff ist sehr leicht, die Durchfahrt ist in ein Paar Minuten geschehen; dennoch sah ich von beiden Seiten in den Dörfern einen ganzen Haufen Menschen sich versammeln, welche, von der Schuit aufgehalten, noch ehe die Brücke wieder ganz ruhte, sie betraten, um ihrem Gewerbe nachzugehen. Die Gasthöfe auf diesem Wege sind äußerst einladend mit ihrem hellen Erdgeschoß mit hohen Fenstern, hinter deren großen Spiegelscheiben schneeweisse Umhänge mit langen reichen Franzen durchschimmern, und vor den Wohnhäusern sitzen überall in den Abendstunden wohlgekleidete ruhige Menschen auf den zierlichen Bänken vor dem Hause, und trinken ihren Thee. Da wir um zwei Uhr von Amsterdam abgefahren waren, fanden wir bis sieben Uhr, wo wir in Marsden ankamen, die Bürgerklasse und bescheidene Menschen bei ihrem Vesperbrode im Freien, oder in den kleinen Pavillons versammelt, die Reichen saßen Anfangs noch am zweiten Frühstück, dann an der Mittagstafel, die ich nirgends im Freien aufgedeckt sah.

    Marsden ist dem Namen nach nur ein Dorf, ich kenne aber keine deutsche Stadt, die ihm an 251 zierlicher Wohlhabenheit gleich käme. Die Pracht einiger Hauptstraßen, in einigen unsrer Hauptstädte sind hier vom Vergleich ansgeschlossen. Die Straßen sind breit, neben den Kanälen mit Bäumen besetzt, diese Kanäle sind sehr breit und das Wasser klar – besonders war ein Theil des Dorfes ganz allerliebst, wo die Kanäle eine Halbinsel bildeten, die einen schattigten Garten umgab, der mit den hohen Wipfeln seiner Pappeln sich in dem Wasser spiegelte. Dieser Garten war vor wenig Tagen von seinem Eigenthümer bei Gelegenheit der Hochzeit seiner Tochter erleuchtet gewesen. Das Lokal muß diesem Schauspiel einen besondern Zauber verliehen haben. Es giebt hier reiche Leute, die Ausgänge des Dorfs verlängern sich durch niedliche Landhäuserchen, die von den Bewohnern der nächsten Städte für den Sommer gemiethet werden. Die sie umgebenden Gärten duften alle von Blumen, in den kleinen Gebüschen blüht manches fremde Gesträuch, das die ausgebreitete Schifffahrt dieser Gegend zuführt; die Wege sind alle mit Sand geebnet, fest, ohne einen Grashalm, die Grasplätze sind alle dicht bewachsen und scharf abgeschnitten. In Vergleich unsrer deutschen Dörfer – auch der schönsten in der Rheinpfalz, ja 252 in der Schweiz selbst, sehen diese Dörfer doch noch aus, als wenns immer Sonntag da wär.

    In Marsden fanden wir unsern Wagen, liessen Utrecht links liegen, und fuhren zu Lande über Montfort nach L. zurück. Das Land ist überall nur in Weide, Wiesen und Gartenfeldern angelegt. Im Ganzen ist es wasserleerer wie die Gegend von Montfort über Oudewater der Ysel entlang zum Lech. Das Gras ist auf den Wiesen so dicht mit Halmen bedeckt, wie wirs an der Donau, und in ganz Schwaben nicht haben, und so fein, von allen fremden Pflanzen so gereinigt, wie auch keine Berner Maht ist. Mir däucht, es muß beim Mähen zu einem Haufen anschwellen, wie wenn man eine Hand voll Federn aus der Brust eines Wasservogels rupft. Der Idylle und dem Maler sind die blumenlosen Wiesen nicht so günstig, aber der Hirt muß sie ohne Zweifel dem Stengelwerk, das von unserer Blumenflur im Heu stecken bleibt, vorziehen.

    Man baut hier sehr vieles Gemüse, besonders viele Pastinaks – große Felder voll wie im Hannöverschen die gelben Rüben oder Möhren, und an andern Orten die Runkelrübe. Das Heidekorn stand in voller Blüthe und schimmerte im letzten 253 Sonnenstrahl. Vor Montfort begegneten wir im Halbdunkel, eh der Mond noch hochstand, einem Wagen, der auf dem engen Kanal uns nicht ausweichen konnte; es gab kein anderes Mittel, als ihn auf den Schultern der Fuhrleute neben unsrer Chaise vorbei zu heben. Die lieben Menschen, welche darauf saßen, stiegen also herab, ihre Pferde wurden ausgespannt und der Wagen – so eine Art Kirebu – ward, die Räder der einen Seite auf dem Wege ruhend, die andere Seite von den Armen der Männer gehoben, indeß sie hart am Kanal sich hinter den Bäumen drängten und an sie hielten, vorbei geschaft. Unsre Chaise hielt indeß an der andern Seite des Kanals eine Hand breit vom Wasser. Dabei haben die Kutscher hier nie eine Peitsche, und schimpfen nie – sie geben den Pferden vernünftige Gründe an, und regieren sie mit einem leisen Schnalzen der Zunge. Da muß Pferd und Kutscher sich veredeln, wo’s so zugeht.

 

 

254 Zehnter Abschnitt.

 

Im September.

Es kömmt mir immer nothwendiger vor, einen kleinen Abstecher an das Vorgebürge der guten Hofnung zu machen. Ihr seht das Ding selbst wohl ein. Vollständigkeit ist die lebendige Kraft jedes Dinges, mir fehlt noch ein Hottentotten Kraal um die Typen – das ist ja ein Modewort – von Menschenwohnungen durchgegangen zu seyn. Ich lebte unter den Hütten der polnischen Leibeignen, ich bewohnte die Dörfer des Weserufers, der Elbe, der Donau, ich sah den Wechsel der Jahrszeiten in den Wohnungen des Berner Landmanns, ich sah die herbstlichen Feste des französischen Bauers jenseits des Jura-Gebirgs, nun besuche ich täglich die Häuser des holländischen Landmanns – gewiß mir fehlt der Kraal, dann hätte ich den Zirkel beschlossen. Meint Ihr, ich bedürfe auch noch die jüngst gebornen der jetzigen Erde, noch die Bewohner der Inseln des 255 Aufgangs zu sehen? so habt ihr sehr recht, denn das Ideal fehlt mir noch. – Wahrlich ohne den Krieg könnte das weniger Ueberredung bedürfen, so machte ich einen Abstecher nach den Pelew-Inseln – wohin ich wahrscheinlich auch zu spät käm, um eine Unschuldswelt da zu finden, denn fänd’ ich sie nicht

Alle an Schwachheit sich gleich,
Alle dem Tode geweiht? –

    Doch in welche Ordnung reihe ich diese verschiednen Grade der Kultur, die ich sah? Vielleicht wüßte das ein Klügerer besser zu entscheiden, wie ich. Mir haben die verschiedenen Ziele, die man der Menschheit gesetzt hat, das Urtheilen benommen. Heißt das Zeit-Beschränktheit, oder Entwickelung? Hat Rousseau oder Condorcet recht? – Auf alle Fälle sind wir von der Herrlichkeit der Waldmenschen so weit entfernt, daß wir fördersamst wohl lieber nach dem Andern streben müssen. Also ists Entwickelung? aber freilich wohl eine Entwickelung, die uns wieder zu dem Waldmenschen zurückführte – nämlich zu seinem Ideal, das ins goldne Zeitalter gehört. Großer Gott! dürfen wir hoffen den Kreis zu beschließen? Vor 256 diesem erhabenen Ziele verhülle ich mein Antlitz. Doch es sey so! schon das Streben ist beglückend. Welcher der verschiedenen Zustände vom Hottentotten-Kraal bis zur holländischen geputzten Bauernwohnung bietet aber wohl den Punkt dar, von wo aus der Mensch am leichtesten zu diesem Streben geschickt würde? – Aus Leibeigenschaft, oder bürgerlicher Freiheit? Ich sehe Euch recht wahrhaft erschrocken, indem ich Euch die Meinung äußere, daß der Mensch unter einem reinen Despotismus mehr Fähigkeit zur Freiheit behält – also zur höchsten Entwickelung erzogen zu werden, als unter irgend einer andern, jetzt vorhandnen Form der Gesellschaft, dem zufolge müßte ich also aus den polnischen Bauern den vollkommenern Menschen ziehen wollen? Hm! der polnische Despotismus reicht mir noch nicht hin. Das ist kein reiner Despotismus – seit hundert Jahren gar nicht mehr. Der orientalische, der gefällt mir. Der Despot muß, wie man die Hand umkehrt, Patriarch werden können, und dann wird er Erzieher und endlich Befreier, und die Nachwelt versetzt ihn neben Numa unter die Himmlischen. Wir sind zum Vergöttern zu klug geworden – darin liegt unser ganzes Elend. Gebt uns die Fähigkeit 257 an Größe zu glauben, der Menschen unsers Zeitalters, und der göttliche Funken ist wieder in uns erweckt. – Doch zurück zu meinen Menschenwohnungen.

    Auf breiten Landwegen, über Sandstrecken, auf denen bei trocknem Wetter die Räder knarren, fahr ich zwischen Heidekornfeldern hin – große moosige Flächen unterbrechen ihre röthliche Blüthe, die wenig Wochen nach der Aussaat aus dem kahlen Boden einen sanften Teppich gebildet hat. Von beiden Seiten beschränken endlose Wälder den Gesichtskreis. Jetzt sehe ich Reste von hölzernen Umzäunungen, einige magere Kühe kriechen matt auf der dürren Weide, einige eben so kleine Pferde mit dicken Köpfen und starken Beinen kommen bei dem Pfeifen des Postillions lebhaft aus dem Walde gesprungen und laufen vor dem Wagen her, um an dem Posthause sich einspannen zu lassen. Nun komme ich an ein Strohdach, das gerade hoch genug vom Boden erhöht ist, um meinen Arm darauf stützen zu können. Es ist aus Balken zusammen gelegt, die Ritzen mit Moos verstopft, und ein Paar Löcher, die hinein gesägt sind, dienen zu Fenstern. Aus einem größern, das bis zum Boden geht, qualmet mir ein dicker 258 Rauch, ein stinkender Dampf entgegen, dennoch steig ich hinab. – Erst nach einer Weile, und nur wenn ich den Boden erreicht habe, kann ich durch die bläulichen Dünste, welche die Hütte anfüllen, die Gegenstände erkennen. Die eine Seite ist von ein Paar Schweinen, von dem Stand von ein Paar Kühen eingenommen, gegenüber ist eine Art Heerd von einem Fuß Höhe, worauf kaum gespaltne grüne Bäume brennen – im nächsten Walde fand ich überall die nicht gefällten, sondern niedergebrannten Stämme, deren Krone und Aeste man am Boden verfaulen läßt, und nur den Stamm fortfährt. Dauert nun der nächste Winter länger wie der Vorrath herbei geschleppter Bäume, so brennt man die hölzernen Umzäunungen, nachher die Sparren vom Dach, und das Stroh, das sie stützten, wird, da das Futter für die elenden Kühe auch mangelt, in die Krippe geworfen. Vielleicht, kommt dann im Frühjahr einmal der Verwalter diesen Weg, dann muß der Bewohner dieser Hütte den Zaun herstellen, und das Dach decken, sonst bekommt er Prügel, und einen Theil Prügel bekommt er auf alle Fälle, weil er den Zaun verfallen ließ; aber diese sind im Laufe des Jahres schon berechnet. Um den niedern, rau259chenden Heerd sitzen ein Paar alte Weiber, die Köpfe in farbige Lumpen gewickelt, die Füße in Schuhe von Birkenrinde gesteckt, die braunen, magern Arme, den schlaffen Busen von einem groben grauen Hemde spärlich bedeckt – doch die eine säugt ihr Kind – diese Mutterpflicht beweist mir, daß sie nicht so alt ist, wie die Runzeln ihres Gesichts es mir glauben ließen. Das Kind ist in ein Stück Schaffell gewickelt, und statt Windeln hat man ihm Moos untergelegt. Das ältere Weib, oder das nicht säugende – denn vielleicht hat auch sie nicht die Zeit, sondern die Mühseligkeit gealtert – rührt in einem Kessel grobgehackte, gegohrne Kräuter, ein schwarzer Teig wird hinein gebrockt, ein Paar Löffel Leinöl darüber gegossen, und nun ist das leckere Gericht fertig. Jetzt ruft das säugende Weib mit sanfter, melancholischer Stimme in einer wohltönenden Sprache einige Worte, und ein hagerer Mann, mit langsamen, schleppenden Schritt steigt in die Hütte hinab. Ein Schafspelz bedeckt den bloßen Leib, ein Paar grobe leinene Beinkleider – er geht in den Winkel der Hütte, wo ich auf einem grünen Bogen Papier ein kleines Sträuschen von Goldflitter erblicke, das der Rauch nicht ganz schwärzte, und 260 unter ihm auf dem grünen Papier ist ein Heiligen-Bild befestigt. Der matte finstre Mann kniet und betet, dann setzt er sich im Rauch auf den niedern Heerd, das gegohrne Gemengsel ist in eine hölzerne Schaale geleert, und die drei Menschen befriedigen stillschweigend ihren Hunger. Das Gemälde sah ich an den Ufern der Willia.

    Auf einem geraden ebenen Sandweg, zwischen zween Kanälen fahre ich unter hohen Weiden, die mit unsrer italiänischen Pappel an Schönheit wetteifern. – Auf der einen Seite stößt ein großes eingedeichtes Stücke Landes an den Weg, dessen ganzer Umfang mit eben solchen Alleen und Kanälen eingefaßt ist. An jeder Ecke des großen Vierecks sehe ich Windmühlen ihre ungeschickten Arme ausstrecken, und hinter den Bäumen steigen artige Kirchthürme auf, die mir die Nähe von Städtchen und Dörfern verkünden. Auf der linken Seite grenzen mehrere Alleen an den Kanal, dann ein Gehölz, das schlängelnde Wege durchschneidet, nun fahre ich vor einer Gitterthüre vorüber und erblicke am Ende einer vierfachen Reihe der größten, prächtigsten Buchen, die ich jemals sah, ein schönes großes Haus, wie alle Häuser dieser Gegend von Backsteinen gebaut, mit zierli261chen Nebengebäuden umgeben. Da muß man gastfreundlich aufgenommen werden, sagt mir der Anblick, hier blickt so viel Wohlstand hervor, daß der Gast nicht lästig seyn kann, und nichts ist hier so prächtig, daß es den Fremdling verschüchtern könnte. Jetzt fahre ich auf einer mit Backsteinen gepflasterten Straße durch ein Dorf – und da mag der Wagen seinen Weg fahren, ich beschreibe euch ein Bauerhaus, wie ich es täglich in der Gegend von Woerden und Oudewater besuche.

    Die ganze Wohnung ist von einem mit Backsteinen gepflasterten Platze umgeben, der so eben, so rein ist, daß er meiner Leidenschaft für dünne seidne Schuhe nie im Wege stünde. Aus eben der Ursache kann aber der hiesige Landmann auch hölzerne Schuhe tragen, denen die holperichen Steinwege abgeneigt sind, weil sie bald darauf zerspringen würden. Beiher gesagt hat man von einem Dorf zum andern, von einer Stadt zur andern immer einen Sommer, und einen Winterweg. Der erste ist ein bloßer geebenter Feldweg, der andere ist mit Sand beschüttet, und festgestampft. In den bloßen Feldwegen bleibt man nach einigen Regentagen ohne Umstände stecken, da aber die 262 letzteren mehr Mühe kosten, sind sie nicht so zahlreich, so daß der Verkehr außer der Landstraße, zwischen den Besitzungen, oft sehr lästig werden mag. Allein auch da helfen die Kanäle, so schmal sie seyn mögen. Der Bauer ladet einen kleinen Nachen voll, und schiebt ihn, am Ufer gehend, mit einem großen Stock vor sich her. Ein Bauerhaus hat nicht mehr wie das Erdgeschoß, die rothen Backsteine sind mit einem weißen Kitt zusammen gefügt, das Holzwerk alles grün, weiß oder grau angestrichen, das Schilfdach – denn selten sieht man ein anderes, nach dem Winkelmaße geschnitten. Bei dem Eintritt in die Thür, die immer wie in Niedersachsen halb getheilt ist, und durch die obere Hälfte immer Luft und Licht einläßt, finde ich einen großen mit großen gebrannten Steinen, oft mit einer Art Mosaik, gepflasterten Raum. Auf der einen Seite stehen die hölzernen Milchgeschirre, große Fässer nämlich, denn die Milch wird hier alle frisch von der Kuh zu Butter und Käse verarbeitet, und die Butter wird nicht aus Rahm, sondern aus der Milch gebuttert. Alles das hölzerne Geräthe ist mit der ausgesuchtesten Reinlichkeit geputzt, und aufgestellt. Hinter der Thür ist ein kleiner Kamin, wo das 263 zum Käsemachen nöthige Wasser gesotten, und die Mahlzeit der Familie im Sommer gekocht wird; daneben steht ein glänzend gebohnter Tisch und gepolsterte Stühle. Im Hintergrunde des Raums befindet sich ein etwas erhöhter Platz, rings um alle Wände mit freundlichen Fließen ausgelegt, gelb und braune im Schachbrett, oder blaue mit abentheuerlichen Gestalten, wie bei uns. In dessen Mitte ist ein ganz niedriger Heerd, der zugleich als Kamin dient, um im Winter die Wohnung zu heizen. Rund um den Heerdmantel ist ein Falbala von weißem Musselin, oder gestreiftem Zeuge, ein glänzend gescheuerter messingener Theekessel und symmetrisch geordnete Feuerzange und Schaufel mit messingenen Griffen, verzieren den Heerd. Auf beiden Seiten sind Gerüste mit Delfter Fayencenen Schüsseln reich besetzt, ein Paar artige Tische, wo auf dem einen eine große Folio-Bibel steht, und auf ihr liegt eine Kleiderbürste, auf dem andern steht ein Theezeug mit allem Zubehör. Die sauberen Rohrstühle sind mit roßhaarnen Polstern versehen, und vollenden das nothdürftige Hausgeräth. Das Licht fällt durch ein sehr grosses, über der Thür angebrachtes Fenster. Von der einen Seite gehet eine Thüre in ein großes Zim264mer, das im harten Winter der Familie zum Aufenthalte dient, es hat auch einen Heerd; im Sommer aber bewahrt man die Käse darin auf, die im Herbst alle verkauft seyn müssen. Außerdem ist noch ein Behältniß da, das als Keller dient, wo die Käse anfangs hinein kommen, um in Gährung zu gerathen, und sich mit Salz zu durchziehen. Alle diese Gemächer haben helle, große Fenster, und reinliche weiße Vorhänge. Ja, die Käse- und Kellerkammer hat schneeweiße Vorhänge, die Käse liegen auf reinen Gerüsten, ein weiß gescheuertes Salzfaß, einige Fäßchen voll Butter zum Verkauf bereitet, oder zum Wintervorrathe der Familie bestimmt, einige neue schön gefirnißte Töpfe, zeigen die wohlbesorgte Wirthschaft an. Du kannst deinen Shawl, dein Schnupftuch überall hinlegen, ohne Furcht sie zu beschmutzen, alles glänzt von Sauberkeit. Die Schlafstellen sind in dem vordern Raum, und in dem Winterzimmer, alle in der Wand angebracht, so daß du vor jedem Bett nur einen Vorhang von farbigem wollenen Zeug siehst, wie bei einem Alkoven. – Das ist die Beschreibung des schlechtesten Bauerhauses, was ich hier sah. Die bessern sind schon in mehrere Gemächer abgetheilt, ein oder zwei sehr sau265bere Glasschränke enthalten glänzendes Messing-Geschirr und einen Vorrath Tassen, Teller und Töpfe von mehr oder weniger artigem Porcellain. Die Wände sind gemahlt oder mit bunten Kupferstichen geziert, die ganze Küche mit Fließen belegt, und zu dem Theetisch gesellen sich noch einige hübsche Komoden mit glänzenden Schildern, die ich in mehr wie einem Hause von Mahagoni-Holz antraf.

    In der Gegend von * * * wohnte ein Klumpenmacher – ich sagte euch, daß die hölzernen Schuhe so heißen. Der Mann wanderte vor neunzehn Jahren aus Westphalen ein, arbeitete bei seinem Vorgänger als Gesell, heirathete dann seine Wittwe, gewann durch Fleiß und Ordnung so viel, daß er einen kleinen Holzhandel anfing, und jetzt ein Vermögen von vielen Tausenden aufweisen kann. Dieses Haus besuchte ich gern, es war schon ein Handwerksmann, aber im Dorfe, kein Städter. Die Werkstätte lag dem Hause gegenüber, die Klumpen wurden davor Mauer hoch aufgethürmt. Neben dem Wohnhaus stand die Sommerküche – ein kleines Gebäude, wo den Sommer über alle Wirthschaftsgeschäfte abgethan wurden, um das Wohnhaus zu schonen. Ein hefti266ger Regenguß, der uns einmal auf dem Wege von Woerden überfiel, zog einem Kinde, das wir bei uns hatten, eine Unpäßlichkeit zu, so daß wir bei der Frau Klumpenmachern ausstiegen. In wenig Minuten war der Thee gemacht, eben so schnell setzte sie uns Kaffee vor, überzog ein Paar Kissen ihres Bettes mit schneeweißem Linnen, bettete die Kleine darauf, und wie wir wieder fortfuhren gab sie uns die reinliche weiße wollene Decke ihres Bettes die kleine Kranke einzuhüllen. In dem Empfang der Frau war keine Verlegenheit, die Zubereitung des Thees machte ihr keine Umstände, aber er macht auch freilich eines ihrer täglichen Bedürfnisse aus, auch des Bauers. Diese Menschen nähren sich nach ganz anderm Masstab wie ein deutscher Bauer. Der holländische Bauer fängt den Tag mit einem Kaffeefrühstück an, zu dem Butter und Brodt gegessen wird – denn trockenes Brodt ist für hiesiges Gesinde und die Landleute ein wahres Unding. – Das geschieht so lange das Vieh auf die Weide geht früh um 4 Uhr. Um 10 Uhr trinkt man Thee und ißt wieder Butter und Brodt, um 12 Uhr erfolgt das Mittagsmahl, Speck, geräuchertes Fleisch, Gemüse – keine Suppe, die wird für den Sonntag aufgeho267ben, um 6 Uhr trinkt man wieder Thee mit Butterbrodt, und Abends nach 8 Uhr beschließen Kartoffeln, Käse und Milchmus den Tag. Aber dagegen geht auch ein rechtlicher Bauer sehr wenig ins Wirthshaus, er trinkt auch weder Bier noch Wein als gewöhnliches Getränk, der Wachholderbranntewein bleibt ihm ein Leckerbissen, den er mässig genießt. Daß der Landmann bei so einer Lebensweise wohlgenährt aussieht, daß die Weiber sich dabei gut erhalten, das begreift ihr leicht. Das Weib thut wenig Arbeit außer dem Hause, ihr ist das Käsemachen und Buttern überlassen, das geschieht zweimal den Tag, so wie der Mann, welcher die Kühe auf der Weide melkt, die Milch ins Haus bringt. Auch sehen die Weiber bis in ein spätes Alter blühend aus, wenn sie gleich früh ihre schlanke Gestalt verlieren, und schwerfällig und dick werden. Diese Menschen scheinen bei allem, was sie umgiebt, Bequemlichkeit, Reinlichkeit, Symmetrie und frohe Farben zu bezwecken. Sollte man denn da nicht auf eine allgemeine Anlage zum Schönheitssinn schließen? Warum bestätigt die Vermuthung sich nicht? wenn ich mich umsehe so erstaune ich, daß alle Gegenstände das Gegentheil des Unangenehmen, und doch nie268mals Schönheit aussprechen. Die Menschen, die Dinge und der Boden haben nichts, was die Fantasie erhebt. Die litthauische Jammerhöle ruft jedes Gefühl von Mitleid und Haß hervor, ein Berner Bauerhaus entzückt mich zur Idylle – eine holländische Wirthschaft macht mich leer und schläfrig. – Ja, zur Idylle entzückt eine Berner Hütte! was fehlt denn sie zu idealisiren? Denkt euch das neue Bauerhaus in Deiswyl, wo wir mit unsern Knaben diesen Sommer Milch assen – die Schneeberge rechts, der veilchenbraune Jura links, die reiche, weiche, lachende Aussicht von Hofwyl, Seedorf, dem Wasserspiegel, der Buchenwald – du gehst durch schlängelnde Pfade über einige gehegte Wiesen, wo überall die freundliche Hand des Gesetzes spricht; unter einem Dache von Obstblüthen hörst du beim Eintritt in den Hof den lebendigen Brunnen reich, kristallhell in das große Becken fallen, die großen fetten Kühe laben sich an dem klaren Strom, sie sehen sich langsam nach dem Fremdling um, und gehen zufrieden unter dem sanften Schall ihrer Glocken auf den Stall zu. Du steigst die Stufen hinan – – wenn nun * * dort wohnte? wenn er mir von der Feldarbeit zurückkehrend die Hand böt, wenn ich in 269 jenem holzbekleideten, von großen Fenstern erhellten Zimmerchen meine Bibliothek fände? wenn meiner Kinder freundliche Gesichter mich beim Abendbrodt empfingen, ein Blumenstraus zum Geschenk an meinen Platz gelegt, einen Theil von Göthe neben der Milchschüssel aufgeschlagen, zur Feier des Tagesschlusses einlud – was wär denn da idealisirt? Könnten wir nicht so leben in so einer Hütte? – ist denn der Blumenstrauß und Göthe ausgenommen, das Leben eines wohlhabenden Schweizerbauern so verschieden von diesem Bilde? – Idealisirt mir nun aber einmal so ein allerliebstes holländisches Haus. Diese prächtigen Buchen, die zwölf bis dreizehn Fuß im Umfang haben, sind in gerade Reihen gepflanzt; diese vollendet gearbeiteten Mauern von Backstein, dieser Hausähren, wo der Hans und die Grethe neben einander am Theetopf sitzen; die Gardinchen mit Franzen, die langen Jacken der Weiber, die Schnipfelhauben, die kein Haar sehen lassen; die geraden Kanäle, die der Einbildungskraft gar nichts zu thun geben, sondern der Wirklichkeit auf tausend Schritt weit entgegen sehen lassen – das alles tödtet die Fantasie. – Und dann das Andenken vergangner Thaten, das den Schweizer 270 Bauern an seine Natur knüpft, die Erhabenheit des Schöpfers, die auf seinen Schneegipfeln thront – das ist seelenerhebender, wie eben so große Thaten auf diesem flachen Lande, wie die knechtische Natur, die diese gepflanzten Bäume schaft, diese geleiteten Wasser fortrollt. Ich lebte ja in dem Alpenlande ohne den lebhaften Enthusiasmus, der, weil er zu viel behauptet, wenig beweist. Für mich war Tell nie ein Brutus und Morgarten kein Termopylä, aber jene schneebedeckten Gipfel, jene Felsenzacken waren mir dennoch heilige Zeugen, nicht sowohl jener schwer zu beweisenden, vielleicht sehr zweideutigen Thaten, als des göttlichen Funkens in der Menschenbrust, der bei allem Erhabenen entglüht.

 

 

271 Eilfter Abschnitt.

 

Ich wohnte hier auch der Feier eines vaterländischen Andenkens bei, wie wir sie bei uns nicht gewohnt sind. Den 15ten August wurde in Oudewater der Jahrstag der Einnahme dieser Stadt begangen, die im Jahre 1675 von den Spaniern erobert und ihre protestantischen Einwohner grausam geopfert wurden. Die ganze Begebenheit ward in einer Predigt historisch vorgetragen, dann mit Anwendungen, Bemerkungen und Gebeten versehen, und endlich der neun und siebenzigste Psalm gesungen. Der Vortrag des Mannes schien mir nicht ohne Interesse, seine Stimme war angenehm, und seine Deklamation einfach, eindringend, ohne theatralisch zu seyn. Wie viel thun doch die Menschen ohne die Bedeutung ihrer Thaten zu bedenken! – leset nur diesen selbstsüchtigen, blutdürstigen Psalm nach! dieses Abrechnen mit dem Herrgott, und dieses Hadern, wo er seine 272 Schuldigkeit nicht gethan, und sein Volk nicht beschützt hat – wie können die Menschen an dem Tage, wo sie das Andenken einer feindlichen Eroberung feiern, diesen Psalm singen, ohne Anwendungen zu machen, die zu einem schrecklichen Resultat führen könnten? – und wie manchmal hörte ich in Deutschland von österreichischen Soldaten, von Bundestruppen Schillers Reuterslied mit allen seinen Strophen singen, und – Gott sey Dank! – es wirkte auch nicht. Mir ward in der Oudewatner Kirche ganz wunderlich, wie der Mensch die Belagerung beschrieb, die Orte nannte, wo ihre Voreltern auf den Mauern gefallen waren, die Verzweiflung der Mütter beschrieb, die auf dem nahen Platze ihre Kinder vertheidigt hatten, die Verdammniß der Abtrünnigen, die in der Kirche, wo jetzt die reine Lehre erschalle, zur Abgötterei gezwungen worden – und dann den schauderlichen Psalm intonirte! – Aber die Menge um mich her nahm wenig Antheil daran, promenirte, schwatzte und schlief – wirklich auf eine recht unanständige Weise. Ihr könnt diese Gleichgültigkeit durch die Gewohnheit entschuldigen, seit ein Paar hundert Jahren denselben Gegenstand behandeln zu hören; aber das erklärt es nicht. Es 273 sind nicht dieselben Menschen, jedes Jahr führt der Vater seinen Sohn dahin, jedes Jahr hört es der Jüngling in einem andern Verhältniß gegen den Staat und die Mitbürger. – Nein, es ist nicht Gewohnheit, es ist Unempfänglichkeit. Der Funke schläft, den dieses Andenken entzünden könnte – wessen Weisheit wagt aber den Moment zu bestimmen, wo diese Predigt ihn erwecken kann? und welche Wichtigkeit hat alsdann diese Predigt! Wir kannten in unsern Tagen einen Gesang, der Tausende mit dem schönsten Enthusiasmus entzündete, und sollte ich die Flucht der erhabenen Täuschung, die eine kurze Zeit die Seelen hinriß, mit wenigen Worten schildern, so würde ich sagen: die Marseiller Hymne ward vergessen. Dieser Gesang! – ja seinen Tönen war es mancher Mann aus dem letzten Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts schuldig, daß er mit den höchsten Gefühlen, deren der Mensch fähig ist, das Leben verließ.

    Nachdem nun die Mordpredigt, wie dieser Gottesdienst hier genannt wird, beendigt war, ging ich auf das Stadthaus, um ein historisches Gemählde zu sehen, welches die Einnahme der Stadt von den Spaniern darstellte. Ich fand eine 274 Art in öhlgemahlten Festungsplan – ein großes Wandgemählde von mehr wie zehn Fuß Breite, in dem die Personen mit hinein gemahlt waren. Also nichts für die Kunst. Allein vor diesem Gemählde fand ich ein viel aufmerksameres Publikum wie in der Kirche. Ein zahlreicher Volkshaufen drängte sich in der geräumigen Halle, und horchte auf die Erklärung, die ein rechtlicher Bürgersmann von der Darstellung machte. Dieser stand mit einem Stabe in der Hand auf einem Tische, deutete auf die verschiedenen Gegenstände des Gemähldes, wobei er den historischen Theil der Predigt gleichsam zum Text unterlegte. Aller Augen suchten den spanischen General, der, den breiten Theil seiner selbst und seines Pferdes den Zuschauern zugekehrt, im Vordergrunde der Tafel stand, dann zeigte sich einer dem andern die andrängenden Haufen gegen das Stadtthor zu, und oben auf der Mauer den patriotischen Befehlshaber, dessen Namen ich leider vergaß, wie er mit lebhafter Gebehrde seine Streiter ermahnt. – O ihr Menschen, die ihr eine Geschichte habt, die ihr Menschen hattet, welche der Geschichte gehören, solche Erzählungen gebt euerm Volke, und dabei verachtet die äußern Zeichen nicht, zeigt den Sä­275bel des Kriegers, der zuerst die Mauer erstieg, zeigt den Helm des Anführers, den der feindliche Hieb spaltete, nennt den Namen vor dem Volke, und ist sein Enkel und der letzte seines Namens in der Versammlung, so mögen aller Augen ihn suchen, und er mag um sich blicken und ahnden: das thät ich auch. Auch die Weiber unsers Jahrzehends sind noch die Mütter von Helden. Kämpften, bluteten denn nicht die Einzelnen alle, geweiht der Pflicht und dem Tode, wie die Männer der Vergangenheit es thaten? Lehret ihnen den großen Namen wieder, der ihr Blut fordert – sie werden ihn verstehen – so wie ihre Väter ihn verstanden.

    Oudewater wird hier für ein ärmliches Städtchen gehalten, wirklich hat es auch nicht das wohlhabende Ansehen von einigen andern gleicher Größe, aber dennoch eine große Kirche, einen Markt mit hohen unverstümmelten Buchen bepflanzt, und ein paar Straßen von niedlichen freundlichen Häusern gebildet. Ich besuchte hier zufällig einen Advokaten, mit dem mein Freund * * in Geschäftsverhältnissen steht, ein Mensch, der auch ein kleines Stadtamt bekleidete, und sein Haus, so wie das eines Arztes in dem benachbar276ten Dorfe, und einiger Krämer, die ich aufsuchte, gab mir einen Begriff von dem häuslichen Wesen der untern Klasse des Mittelstandes. Myn Herr Damm bewohnte ein eignes Haus, das von der Hausthür an mit artigen Strohmatten belegt war. Im Erdgeschoß befand sich ein Ansprachzimmer mit gemahlten Tapeten, auf Leinwand mit Oehlfarbe. Solche Tapeten hat man von verschiednem Werth, sie müssen an Ort und Stelle gemahlt seyn, ja ich fand in einigen guten Häusern sehr schöne Gemählde dieser Art, besonders Landschaften. Hier waren es lauter Seestürme, dieses Wogen umbraußte Asyl war ganz mit Mahagonygeräth versehen, hatte einen schönen flanderschen Fußteppich, artiges Theezeug auf einem zierlichen Theetisch ausgestellt, und die elegantesten Franzen an den Vorhängen, die der Witz unsrer modigen Hausfrauen nur ersinnen könnte. Weniger schön, aber vollkommen zierlich fand ich in dem langen schmalen Hause von einem Stockwerk, eine Reihe, dem Gebrauch der Familie angehöriger Zimmer. Das Schlafzimmer der Eheleute war mit goldenem Leder beschlagen, wie man in Deutschland noch in einigen alten Schlössern findet. Die Betten sind auch hier überall in der 277 Wand verborgen. In der Küche sah ich zu meiner Verwunderung kein Fünkchen Feuer, obschon die Mittagszeit heranrückte. Sie war ganz mit blauen Fliesen belegt, der Boden mit glasirten Backsteinen im blau und weißen Schachbrett, alles Holzgeräth himmelblau angestrichen und um den Heerd, so wie vor den Fenstern, weiße gestickte muselinene Umhänge. Das Messing- und Porzellaingeräth war alles in Glasschränken verwahrt. Man führte uns durch ein kleines Gartenzimmer, in dem ich wieder unter dem Spiegel die Foliobibel stehen fand, in den Gemüsegarten. Die Beete mit Backsteinen eingefaßt, die Wege mit Backsteinen verschiedener Farbe in einer Art Mosaik gepflastert – nichts regelmäßigeres, reingehaltneres auf der Welt! – nach meiner tadelhaften Gewohnheit suchte ich meinen Weg allein weiter fort, wo ich denn bald auf ein paar alte hölzerne Schirme stieß, aus denen man, mit Hülfe einiger oben darüber gelegten Bretter eine Art kleinen Schuppens gebildet hatte. Unter diesem brannte ein Torffeuerchen, und hing ein eiserner Topf mit einem Stück Rindfleisch, daneben standen in irdnen Gefäßen rein gewaschne Kartoffeln, und die Schwänzchen von ein paar frische Heeringen guck278ten zwischen einem darüber gelegten hölzernen Deckel heraus. Der Fund war mir Geldeswerth! nun konnte ich mir doch die himmelblaue Marzipanküche erklären. Meine Freundin bedeutete mich, daß ich in wenig bürgerlichen Häusern ein reichlicheres Mahl finden würde, und noch dazu nicht alle Tage ein frisch gekochtes Stück Fleisch – das brächte nur der Sonntag wegen der alsdann gestatteten Suppe, und diese kompendiöse Küche werde von der Reinlichkeitsliebe dieser Leute durchaus gefordert.

    Weil ihr noch immer in Oudewater seid, so kommt mit mir zu einer Fischerparthie, zu der ich auf diesem Wege fuhr, und die als ächt holländisch viel Interesse für mich hatte. Mein Gastfreund war mit mehreren Männern schon den vergangnen Abend nach Jagersfeld gefahren, um von dort aus jenseits des Lecks zu fischen. Das heißt: mit der Angel. Diese Art zu fischen steht jedermann in allen Wässern frei, verabreden sich Gesellschaften dazu, so begrüßen sie die Eigenthümer großer Besitzungen, die an den von ihnen besuchten Kanälen liegen, wohl bei ihrer Ankunft, aber sie haben von ihnen keine Erlaubniß zu erbitten. Wir richteten uns ein, um vier Uhr zum Mittagsessen 279 in Jagersdorf zu seyn. Jenseits Oudewater gegen die Yßel zu liegt das Land viel tiefer als gegen Woerden. Die Polder sind sehr klein und die Zahl der Abzugsgräben oder Schlote um so größer. Alle Gräben sind mit Bäumen bepflanzt, und in dieser Jahrszeit sind alle Kanäle mit Wasserlinsen dergestalt bewachsen, daß ich dieser Tage aus meinem Fenster eine Katze sah, die ein Jagdhund verfolgte, und die mitten in einen Kanal sprang, den sie, der ihn bedeckenden Wasserlinsen wegen, für eine grüne Matte gehalten hatte. Seitdem nahm ich mich selbst vor dergleichen Versehen in Acht. Weit entfernt, daß dieses Gewächs dem Wasser einen widrigen Geruch gäb, bin ich geneigt zu glauben, daß es seine Verderbniß verhindere, indem es die Wirkung der Sonne auf seine Oberfläche unterbricht. Ein frischer Wind fegt diese grüne Decke vor sich her, und entblößt auf den Ponds oder Teichen, so wie auf den Kanälen, ein klares Wasser. Oft häuft sich dann dieses Gewächs an einigen Orten so stark, daß es sich vor den Schuits die darüber fahren hoch anhäuft, indem sie eine Fahrstraße durchhin ziehen. Sollte denn nicht die große Anzahl von Bäumen durch ihr Nahrungsbedürfniß auch einen großen Theil 280 der aufsteigenden Dünste verzehren? ich begreife sonst nicht, wie die Menschen hier unter Umstanden leben können, die nach den Ansichten unsrer Aerzte ganz zerstörend seyn müsten. Das Grün auf diesen Polders ist ganz zauberisch! von einer Entfernung zur andern ragen Windmühlen hervor, oft in einer so abentheuerlichen Höhe, daß sie wie Wachthürme aussehen. In der Nähe hoher Dämme müssen die Windmühlen eine Höhe haben, die ihnen trotz jener Einwirkung, den Wind zukommen läßt. Die Yßel fließt an einigen Orten zwischen hohen Dämmen, hinter denen die Häuser verborgen liegen. Sie hat ein garstiges bräunliches Wasser, wie ich in den andern Kanälen nicht sah, wie der viel breitere Leck bei Jagersdorf auch nicht hat. Der Geruch des vielen Flachses, der hier im gedämmten Wasser lag, machte einen Theil des Weges recht unangenehm, auch vieles zum trocknen aufgestelltes Schilf verpestete die Luft mit Sumpfgeruch. Das Schilf ist hier ein so nöthiges Material, daß es im Lande selbst nicht hinlänglich erzeugt, sondern von Ostfriesland und Nordholland noch eingeführt wird. Außer der Bedeckung der Dächer, dient es auch zu Einzäunungen, und zu Schutzdächern 281 bei einer Menge Arbeiten. Zum trocknen des Torfes sind in den Torfgründen lange Schuppen aufgeführt, die allein aus Pfählen bestehen, über die Decken von Schilf nach Bedürfniß zugedeckt oder aufgedeckt werden. Warum benutzen wir das Schilf nicht an der Donau eben so?

    In Jagersdorf, das dicht an dem Leck, hinter dem hohen Damme liegt, innerhalb welchem er fließt, ist ein sehr hübsches großes Dorf. Der Wirth unsers Gasthofs war zugleich Aufseher über die Teiche des Distrikts. Die Ordnung und Strenge, der Gemeingeist und die Thätigkeit, mit der dieses Geschäft betrieben wird, flößte mir das höchste Interesse ein. Die Regierung hat gar nichts damit zu thun, es ist ganz die Sache der Landeigenthümer – der Vortheil ist allgemein, so sind auch die Kosten. Der Aufseher hat einen bis in das genaueste Detail verzeichneten Plan seines Distriktes, den er außerdem aufs fleißigste begeht, und den Zustand der Teiche unaufhörlich beobachtet. Sobald irgendwo ein Schaden wahrgenommen wird, muß es dem Aufseher gemeldet werden, in dessen Hause ein großer Vorrath aller nöthigen Handwerkszeuge zu dem Teichbau aufbewahrt ist, sogar eine große Anzahl Laternen, 282 um des Nachts ohne Verzug zu Hülfe eilen zu können. Ich fand eine große Scheune mit Schubkarren, Pfählen, Weidengerten, Hacken, Schaufeln, und andern mir nicht bekannten Instrumenten angefüllt, und in strenger Ordnung so aufgespeichert, daß keines verhinderte das andere zuerst herbei zu holen. Zu gewissen bestimmten Zeiten versammeln sich alle Grundeigenthümer des Distrikts bei dem Teichmeister, berathschlagen die nöthigen Arbeiten, und berechnen die Kosten, die alsdann nach der strengsten Ausmessung an jedem Einzelnen vertheilt werden. Mir däucht es ist nicht zu berechnen, wie zuträglich die Beschaffenheit des Bodens und die daraus hervorgehenden Bedürfnisse dem Gemeingeist seyn müssen. Jeder Eigenthümer ist hier dem andern gleich, denn die Nothwendigkeit, das kleinste Eigenthum zu sichern, ist eben so dringend, als von dem größten die Gefahr abzuwenden. Das Bewußtseyn also, ohne höhere Einmischung, ein sehr wesentliches Theil zum Wohl des Ganzen übeizutragen, muß daneben jedem der einzelnen Männer eine gewisse Würde in seinen eignen Augen geben, und ihm den Fleck Erde so lieb machen, durch den er sie erhält. Sollten aber politische Veränderun283gen einst so heftig auf den allgemeinen Wohlstand wirken, daß die Bewohner – nur eines Distrikts, aus Armuth, aus Ueberdruß, oder weil ein höheres, wenn auch nur momentanes Interesse sie fortriß, ihr Deichgeschäft nicht zu betreiben, so würde sich bald eine Verwüstung über dieses Land verbreiten, deren Fortschritt nicht zu berechnen wäre. Ich glaube nicht, daß der Wille und die Macht der Regierung den Gemeingeist, der jetzt dieses künstlich erschaffne Land künstlich erhält, ersetzen könnte. Ihre besoldeten Werkzeuge hätten nicht den Eifer den allgemeiner Vortheil dem Privatbesitzer einflößt, und das lange Recht sich selbst zu berathen, würde statt Eifer für das allgemeine Beste, Uebelwollen gegen den aufgedrungenen Berather einflößen; Leidenschaft träte an die Stelle der ruhigen Sorgfalt, welche die feindlichen Elemente bis jetzt in Zaum hielt, und wir könntens vielleicht noch erleben, daß sich da ein faules Meer verbreitete, wo jetzt frohe Menschen leben, und lachende Triften sich ausbreiten.

    Wir kamen so früh in Jagersdorf an, daß uns Zeit blieb, die Gegend zu besehen. Wir ließen uns den Leck hinunter fahren bis Almeiden, einem netten Dorfe von lauter Weiden umgeben. In 284 der dasigen Kirche besahen wir mehrere sehr gleichgültige Grabmahle angesehener Familien, bei denen der Künstler immer bedacht gewesen war, die Sinnbilder des Todes mit so nachdrucksvollen Kennzeichen der irdischen Würde seiner verstorbenen Gönner zu verbrämen, daß der Auferstehungsengel gewiß den Grabstein nicht ohne einen Bückling berühren wird. Solche Grabmahle und Inschriften belustigen mich immer ungemein. Wir besuchten auch ein nahgelegenes ziemlich schlecht unterhaltenes Landgut, um das es schade war – es war eine hübsche Anlage, schöne Weihmuthskiefern, so stark und grünend wie ich sie iemals [sic] sah, Pappeln und Ahorn, große Platanen und jugendliche Fichten, in üppigem Gemisch – das Haus stand sehr vortheilhaft, man blickte aus allen Fenstern über die grüne Welt, den breiten, schönen Leck, und nahe umher in Blumenplätze, kleiner Teiche und geschlungene Wege. Vor den beiden Eingängen des Hauses sprach sich der Geschmack des Besitzes in vier gigantischen Göttergestalten, bunt auf Bretter gemahlt und ausgeschnitten, aus, die in ihrer platten Oberfläche vier derbe Jahrszeiten vorstellten. Ich hielt sie von weitem für Schilderhäuschen, bis ich, sie von der Seite 285 fassend, meinen Irthum wahrnahm. Wir dürfen darüber nicht spotten, ich erinnere mich der Zeit sehr wohl, wo ich in einem fürstlichen Garten in Norddeutschland eben so gezimmerte und angemahlte Löwen und Tieger springen sah. Ich weiß gar nicht, ob die Kunst bei unserm gereinigten Geschmack gewonnen hat? das Leben gewiß nicht – das war lebendiger, wie jeder Gartenliebhaber sein Fleckchen Erbeigenthum noch mit irgend einer schönen Gestaltung zierte, so zwölf thönerne Himmelszeichen, wo ein dickbäckiger Bube unter andern den Skorpion an den Bauch gedrückt hielt, oder Delphine und Vogel Greifs. Und lebendiges Leben geräth leicht wieder auf Kunst – es ist die Frage, ob unsre satte Weisheit oder aufgeschraubter Enthusiasmus uns je dahin bringt.

    Nach vier Uhr stellten sich unsre Fischer mit vollen Fischertaschen ein, und bald war ein recht nationelles Mahl bereitet. In dem Wirthszimmer, dessen einfache Reinlichkeit recht einladend war, und wo auf jedem Tisch eine Anzahl neue Köllner Pfeifen, und ein paar zierliche fayancene Spucknäpfchen standen, ward die Tafel mit blendend weißer Wäsche belegt, und ohne vorangehende Suppe eine Schüssel voll blau gesottener Bar286schen nach der andern aufgetragen – denn die Leckerhaftigkeit besteht darin, sie immer warm zu genießen. Bei jeder frischen Schüssel erhält man reine Teller – ein sehr wohlausgesonnenes Mittel die Eßlust zu erhalten, welche der Anblick der Ueberreste sehr stört – neben den Fischen machte frische Butter und frisch gesottene Kartoffeln die ganze Mahlzeit aus. Zu den Fischen trinkt man immer weiße süße französische Weine. Zum Nachtisch erschien eine große Verschiedenheit von Lebkuchen, deren sich mehrere Städte rühmen, die besten zu verfertigen, und guter Käse. Nach meinem Bedünken kann der Genuß nicht weiser eingerichtet seyn, als er es bei diesem Mahle ist. Das beste in seiner Gattung ganz ungemischt zu genießen – das scheint mir die wahre Eßweisheit. Daß die anwesenden Fischer jeder ihre Beute auf der Schüssel wieder erkannten, und die Geschichte ihres Fanges erzählten – das versteht sich. Macht man an den Orten, wo die Vogeljagd reichliche Ausbeute giebt, an Schnepfen, Wachteln, Lerchen, nicht eben solche Parthien in Deutschland? Ich sah dort bei allen Landfahrten immer so viele Schüsseln zusammentragen, daß 287 die Haussorgen der Damen, und ihr eifersüchtiger Wetteifer, das leckerste mitzubringen, alle Lustigkeit erschwerte. Ich werde von der Fischparthie in Jagersdorf ein sehr angenehmes Andenken behalten.

 

 

288 Zwölfter Abschnitt.

 

September. Reise nach Leyden u. s. w.

Bis Woerden geht der Weg nach Alphen immer neben Kanälen her, meistens neben dem, welcher die Kommunikation zwischen Leyden und Amsterdam erhält. Oft sind sie von beiden Seiten mit Bäumen bepflanzt, immer bietet die Aussicht weite Flächen, und hie und da, bald einzeln, bald zahlreicher die lächerlichen Windmühlen, die mit ihren tölpischen Bewegungen durchaus behext scheinen. Sind diese Mühlen an befahrnen aber nicht Hauptkanälen gelegen – denn über diese gehen Zugbrücken – so haben sie eine Art Brückchen, die, wahrscheinlich sehr unschuldig, in manchen unsern deutschen englischen Gärten nachgeahmt sind. Es führen mehrere Stufen hinauf und herunter, dabei sind sie so schmal, daß sie nur mit Ausschluß korpulenter Passagiere beschritten werden können, und so leicht, daß ein Kind sie schütteln kann. Im Holländischen heißen sie – ich weiß nicht, ob al289lusorisch, „het Gewakel.“ Man könnte die poetische Beschreibung mancher Reisenden von dem gepflanzten Paradies mancher gefühlvollen, kunstliebenden deutschen Herrschaft, drollig verunstalten, wenn man die leichte Brücke, die sich kühn über die Silberfluth erhebt, schlichtweg „das Gewakle überm Graben“ nennte. Diese Gegend ist so bebaut und so bewohnt, daß man selten bemerken kann, welches das letzte Haus des einen, oder das erste des andern Dorfes ist. Zwischen innen werden die zerstreuten Ortschaften wieder von irgend einem Landgute mit schöngepflanzten Alleen und Gebüschen verbunden. Geht man mit der Nachtschuit, so blinken fortwährend hie und da, nah und fern, die Lichter aus den grün umpflanzten Fenstern in die stille Fluth. Oft findet man Gebäude, welche jetzt nur Bauerhöfe sind, aber ehemals Herrschaftliche waren, die noch in den Titeln der Herrschaften prangen. So ist nicht weit von Montfort eine ehemalige Herrschaft, Helenstein, woselbst noch ein Ueberrest einer alten Mauer, des in ehemaligen Kriegen zerstörten Schlosses zu sehen ist, und eines der letzten Häuser, wenn man von * * * nach Woerden fährt, heißt Polanen. Beide sind jetzt Pachthöfe, allein 290 der Baron * * führt noch den Titel eines Herrn von Polanen und Helenstein, besitzt auch noch einige herrschaftliche Vorrechte.

    Woerden ist befestigt, das heißt, es hat ein friedliches grünberastes Wällchen, und klare Wassergräben. Ein Theil davon ist mit schönen Bäumen besetzt. Die Schuit von Haag nach Utrecht geht täglich hier durch, und weiter nach Amsterdam. Es ist ein freundliches Städtchen, dessen inneres Wesen in Ehingen, Enzwahingen, Naumburg, Nordheim oder Friedberg sehr fabelhaft klingen würde. Die Straßen sind alle mit Backsteinen gepflastert, die Häuser alle ohne Treppen vor der Thür, geben den Bewohnern das Ansehen ohne allen Rückhalt mit den Vorbeigehenden zu verkehren. Die meisten haben nur das Erdgeschoß, mehr wie einen Stock in keinem Fall. Appetitliche Bäckerlädchen, buntfarbige Zitz- und Wolle-Butiken, glänzende Silberschmidtsschränkchen, laden den Käufer ein. Vor dem Hause ist das Pflaster immer musivisch gearbeitet und mit einem schwarzen, dem Eisen nachahmenden Geländer versehen, hinter dem, auf zierlichen Bänken, die Leute Abends ihren Thee trinken. Alle Fenster blitzen von Reinlichkeit, und lassen schön befranzte Vorhänge durch291schimmern – denn nie darf ein Sonnenstrahl in ein Zimmer fallen, die Luft selbst läßt man nur durch wenig aufgeschobene Fenster ein – denn hier werden die Fenster alle hinaufwärts geschoben, nicht in Flügeln geöffnet. Das Pflaster, das Geländer, alles Holzwerk vor den Häusern, wird alle Woche mit Lauge abgewaschen, und die Steine mit schwarzer und rother Erde gerieben. Selbst bei starkem Regenwetter fand ich hier nur Nässe, keinen Koth. Wenn man bedenkt, daß das Gewerb nur an den Ufern des Kanals getrieben wird, hier also nur leichte Wagen durchrollen, daß aller Unrath der Häuser auf der Wasserseite fortgeschaft wird, so ist die ausgesuchte Reinlichkeit so eines Städtchens wohl begreiflich.

    Von Woerden nach Bodegraven zu sind ansehnliche Ziegelbrennereien. Eine Ziegelbrennerei ist bei uns meistens, selbst an den Thoren von Residenzstädten, wie Stuttgardt, ein widrig räucheriges Bauwerk, oft nur ein Zusammenhang ärmlicher Schoppen und Scherbenhaufen. Hier ist alles nett und zweckmäßig. Eine halbe Stunde lang fährt man zwischen lauter zu diesen Fabriken gehörigen Wohnungen und Gebäuden. Die gebrannten Steine, die hier von verschiedener Farbe, 292 zu verschiedenem Gebrauch verfertigt werden, sind zierlich in langen Mauern aufgeschichtet, um die Ofen her liegt der Torf unter wohlerhaltenen Schuppen, die reinlichen Trockenhäuser ruhen auf Pfählen, werden aber gegen die Wetterseite von Schilfwänden geschützt, die willkührlich von einem Platz zum andern gesetzt werden, so, daß die zu trocknenden Backsteine immer vor dem Regen geschützt werden können. Das Material, so wie die verfertigte Waare, wird auf den Kanälen transportirt, die Landwege mit festgestampften Sand beschüttet, sind also in der Nähe dieser thätigen Fabriken so wohlerhalten, als sonst wo.

    Bodegraven ist nur ein Dorf, aber groß und zierlich. Landleute und Hirten wohnen hier auch nicht, sondern nur Handwerker, Schiffer und Krämer. Kurz hinter Bodegraven sieht man die Wierker Schanze, an dem Einfluß der Wierke in den Kanal, linker Hand. Es ist ein viereckiger Wall, durch welchen eine wohlverwahrte Zugbrücke über volle Wassergräben in einen Raum führt, der nichts als einige Kasernen hat, um eine kleine Garnison nebst dem ihr nöthigen Geschütz und Kriegsvorrath zu beherbergen. Solche kleine Festungen haben in diesem friedlichen grü293nenden Lande etwas recht schauderliches für mich, etwas recht kontrastirendes. Die Natur hat es gar nicht zum Kampfplatz bestimmt. Sie erinnern mich immer an die Schanzen, welche die Spanier anfangs in Hispaniola anlegten. Eine feste Stadt vereint – freilich auf eine Unglück bringende Art – den Kriegszwang mit den Banden des Bürgerlebens, allein eine solche Schanze, wo nur eine öde Kaserne zwischen den hohen Wällen steht, nur der stumme Todesmund der Kanonen aus den Schießscharten vorblickt, nur die schwarzen Kugelpyramiden das leere, spärlich begraste Pflaster des Hofes verzieren – das ist das eisernste Bild der Gewalt, es paßt sich nicht in dieses Land. Auch das unter Wasser setzen sollte nicht seyn, das hat etwas Feiges, Zerstörendes, es fordert keine persönliche Kraftanstrengung, und diejenigen, welche es verfügen, sind nie die, welche davon leiden.

    Vor Alphen wird der Kanal breiter, und ist vor und hinter diesem allerliebsten Städtchen sehr schön. Der Zufall hielt mich hier ein paar Tage auf; die Freundin, mit der ich hier eine Zusammenkunft auf einige Stunden verabredet hatte, ward gleich nach ihrer Ankunft unbaß, und konn294te erst am dritten Tage ihre Rückkehr nach * * antreten. Da meine Gastfreunde auf keine so lange Abwesenheit von mir gerechnet hatten, schickte ich meine Begleiterin mit ihrem Wagen nach * * zurück, und wir beiden Weiber, die kranke * * und ich blieben ganz allein. Wir geben wohl zu wenig auf die Vortheile Achtung, die uns in zahllosen Fällen aus der jetzigen Kultur erwachsen, und deklamiren nur stets über das Verderbniß das sie erzeugt. Wir beiden Weiber befanden uns jetzt ganz allein, von allen Menschen, die durch persönliche Verhältnisse zu unserm Schutze aufgernfen waren, auf mehrere Meilen entfernt, ohne Kenntniß der Landessprache vollkommen sicher und behaglich an diesem Ort, den wir beide zum ersten Mal sahen. Man könnte wohl noch hinzu setzen, daß ein Dutzend Meilen von uns der Feind stand, und demnach im ganzen Lande kriegerische Bewegungen gemacht wurden. Welche Gewohnheit von Gesetzmäßigkeit und Sittlichkeit gehört nicht dazu, um einen so ruhigen Zustand der Gesellschaft hervor zu bringen! – muß nicht, wo er besteht, einem Haufen Bösen Gelegenheit und Beispiel genommen seyn? Denke man sich so vereinzelt zwei Frauen im funfzehnten Jahrhundert, 295 – welche Reihe von Gewaltthätigkeiten verflicht da nicht unsre Phantasie, von der Geschichte bereichert, in ihre Lage. Nicht allein die Wohlthaten der Ruhe und Sicherheit beschäftigten meine Betrachtungen, sondern auch alle die sanften Tugenden und forschenden Wissenschaften die aus ihnen entstehen. Ich stand in einer stürmischen Mondnacht an dem Fenster, und vertiefte mich in diese Betrachtungen, indeß mein Blick auf der Aussicht, die vor mir lag, ruhete. Den Tag über hatte mich das lebendige Treiben auf dem Kanal, und an dem gegenseitigen Ufer ungemein ergötzt. Von halb drei bis drei Uhr hatte ich meine Aufmerksamkeit darauf gewendet, die Fahrzeuge zu zählen, die vor dem Fenster vorbei schifften, – ich hatte in der halben Stunde dreizehn Schiffe gezählt. Alles waren große Barken mit drei Seegeln, meistens mit Torf, Brettern und Säcken beladen – die kleinen Kähne rechnete ich nicht mit. Jetzt nach Mitternacht herrschte eine allgemeine Stille; auf und ab dem Kanal lagen viele Fahrzeuge am Ufer, deren kleine Wimpel an der Spitze des Mastbaums bei den einzelnen Windstößen flatterten. Ihr sanftes Schwanken bewegte zuweilen das ruhige Wasser, daß es leise 296 gegen den Steindamm anschlug. Der Mond wandelte durch schweres Gewölk, durch dessen Ritzen er wie ein mächtiger Stern hervor blickte, bald trieb er die verdunkelnden Dünste siegreich aus einander, so daß sie um das dunkle Blau in dessen Mitte er prangte, einen finstern Wall aufthürmten, dessen Zinnen versilbert, von seiner Herrlichkeit zeugten. Vor mir, an der andern Seite des Kanals, stand eine sehr hohe Windmühle, deren Flügelschatten die wunderbarsten Gestalten auf die angrenzende Wiese und das nahe Gebüsch bildeten. Wie der Schatten eines ungeheuren Schwerdtes, das der schwerfällige Arm eines handfesten Riesen geschwungen hätte, glitt die dunkle Gestalt, über die Baumgipfel, über die Wiese hin, tauchte in den Kanal, und fuhr mir dann pfeilschnell über das Gesicht den finstern Wolken zu. Anfangs fuhr ich zurück, wie der große Schatten mir das Auge deckte, mir wars als sähe ich ein grausend Gesicht aus den wehklagend gehobenen Armen der Windmühle heraus gucken.

    Diese abentheuerliche Windmühle setzte eine Brettmühle in Bewegung, von der eben das gilt, was ich von der Ziegelbrennerei bei Woerden ge297sagt habe. Brettmühlen gewähren meistens sehr mahlerische Gesichtspunkte – wie manches Thal sah ich von ihnen verschönert, besonders in den Umgebungen des thüringer Waldes, wo derselbe kleine Bach, der still und fröhlich durch sein Felsenthal hüpft, mit seinem sanften Murmeln schon längst einen reichen Teppich von Blumen und Rasen um sich bildete – wie sah ich es durch die rohen Hütten der Sägemühlen verschönert, die oft viere, sechse nach einander das klare Wasser einzwangen, daß es unwillig sprudelnd und rauschend zu seinem Bette zurückkehrt, und den blanken Kieseln in schnellem Laufe erzählt, welchem Despotismus es entgangen sey. Dort bestehen aber diese Mühlen aus leicht zusammen geschlagnen Schuppen, an deren schwarzen Schindeldächern Moos wächst, oft ist die schöne Wiese in ihrer Nähe von gestauchtem Wasser verschlemmt, und ist der Fluß zum Flößen breit genug, so bietet die Landung ein widriges Gemisch von Balken und Schutt und Morast dar. Der Farbenreichthum der schönen Jahrszeit, eine vortheilhafte Erleuchtung, macht eine solche Gegend zu einem mahlerischen Gegenstande, aber für den unbefangenen Blick ist sie das Bild eines ärmlichen Erwerbs. 298 Die Alphnermühle steht auf einer hohen gemauerten Warte, an deren Grund ein langes Gebäude auf gemauerten Pfosten ruht, und zugleich freundlich und fest ist. Die Baumstämme, die Bretter, das Sägemehl, alles hat seinen bestimmten Raum, keines versperrt den Weg. Gegen die Wiese zu steht des Müllers Wohnhaus, ein niederes reinliches Häuschen mit glänzenden Fenstern, Vorhängen, und unter ein paar schönen Weiden eine grüne Bank vor der Hausthür.

    Der Garten des Wirthshauses erfreute mich durch seine weit getriebene Obst- und Gemüsekultur. Es befand sich eine Reihe Wärmekasten daselbst, die hundert und funfzig meiner Schritte lang war, in denen man Trauben, Pfirsichen, Aprikosen, Melonen und seltnes Gemüse zog. Außer dem sehr vortheilhaften Verkauf von Haag bis nach Amsterdam in allen ansehnlichen Städten, hatte der Eigenthümer den Vortheil, seinen Gästen den auserlesensten Nachtisch vorsetzen zu können. Ueberhaupt befand ich mich in diesem Gasthof sehr gut. Die Leute kannten die Bedürfnisse alle, die halbwegsverzärtelte Frauen haben können, wenn also meine Sprache gleich sehr unverständlich war, erriethen sie schnell was ich verlangte, 299 und machtens nicht wie die Aufwärterin eines Gasthofs auf dem Wege von Ulm nach Schafhausen, von der ich laues Wasser und kaltes Wasser und noch ein Waschbecken forderte, und die mich sehr bestürzt fragte: ob ich noch denselben Abend eine Wäsche halten wollte? Das könne nicht mehr trocknen, der Kutscher wolle um fünf Uhr anspannen.

    Sobald meine arme Freundin das Zimmer verlassen konnte, besahen wir die nächsten Umgebungen der Stadt. Ich habe in der Gegend von Amsterdam nicht so schöne Landhäuser gefunden, wie hier. Die zierlichen Gebäude, die herrlichen Baumgruppen, die schönen Wasserbecken! – gebe doch der Himmel ihren Besitzern Fähigkeit zu geistigem Genuß bei so viel irrdischen Gütern. Einer dieser Landsitze zeichnete sich durch die zierliche Unregelmäßigkeit seiner Kanäle aus. Er schien neuerdings angelegt mit Schlangengängen, einzelnen Rasenplätzen, auf denen das Gebüsch in absichtlicher Unordnung stand, dunkel belaubtes und hellgefärbtes neben einander im vortheilhaftesten Gemisch. Ich weiß nicht, ob bei dem fast unmerklichen Abfluß des Wassers die krummen Kanäle dem Boden angemessen sind? Vielleicht erfordern 300 sie nur eine sorgfältigere Reinigung. – Denn gereinigt werden sie alle, wenigstens einmal im Jahre, im Herbste. Das geschieht vermittelst sehr langer Sensen, mit denen man die Gewächse am Boden des Kanals abschneidet, worauf sie mit Rechen herausgezogen werden. In den Tagen, wo diese Arbeit statt hat, ist der Sumpfgeruch sehr lästig. Man häuft die Pflanzen an den Ufern der Kanäle wo sie abtrocknen, und dann zur Düngung benutzt werden. Auf breiten Kanälen und auf Teichen geschieht das Abschneiden der Pflanzen auf Kähnen.

    Gleich neben dem Landgute mit geschlungenen Gängen, fand ich ein anderes im ächt französischen Geschmack, mit hohen Hecken, Taxuspyramiden, steinernen Delphinen und solcherlei Mondkälbern an den eckigen Wasserbecken, und im Hintergrunde ein ernst aussehendes Wohnhaus mit einigen grobgearbeiteten Statüen auf der Gallerie des niedern Dachstuhls. Das sah auch gut aus. Möchte doch jeder können seiner Phantasie so freien Lauf lassen. Neben allen diesen Plätzen sind etwas abwärts, meist mit Bäumen maskirt, die Wirthschaftsgebäude angelegt. – Nicht weit von Alphen hatte ein sinnreicher Mann vor seine 301 Wirthschaftsgebäude her eine hohe Bretterwand ziehen lassen, die als gothische Ruine ausgeschnitten und angemahlt war. – Unter diesen Wirthschaftsgebäuden nimmt der Hühnerhof, oder die Menagerie, wie es hier meistens heißt, immer einen sehr wichtigen Platz ein. Und das mit einigem Rechte, denn man findet auf den meisten dieser Landhäuser, sehr schönes fremdes Geflügel. Pfauen sind sehr gewöhnlich. In * * * belustigen sie mich oft, wenn ich einsam mit meinem Buche im Gebüsche sitze und sie in ihrer zierlichen Dummheit, oder dummen Zierlichkeit daher stolzirt kommen – dann möchten sie gern vor mir erschrecken, ihr Hochmuth läßt das aber nicht zu, sondern sie wenden den Hals mit einem verächtlich verdrießlichen Blick um, als hätten sie mich nicht gesehen, ziehen die plumpen Füße an den Leib hinauf, und thun als wenn sie ein Würmchen gefunden hätten. So viel Willkühr haben sie aber nur in * * *, wo die ganze Welt, so weit der Graben sie gehen läßt, ihnen offen stand, außerdem befinden sie sich in wohlumzäunten Höfen, mitten unter ihren geistreichen Gefährten, den malabarischen Enten, den leidenschaftlichen Truthühnern, und dem mannigfaltigen Geschlecht der Gänse. 302 In diesen Höfen haben sie reinliche Wasserbecken zum Trinken und Baden, meistens auch einen eigends für sie abgeschlagenen Theil des Buschwerkes oder Parks. Ihr seht, daß auf das gefiederte Geschlecht hier so viel Rücksicht genommen ist, daß Treufreund und Hoffegut sie schwerlich zum Aufruhr würde bewegen können. Es gedeiht ihnen aber auch vortrefflich; ich habe kaum irgendwo so gutes Geflügel gegessen – die Gänse ausgenommen, von denen mir die hiesigen Gourmands selbst versichern, daß sie in Deutschland weit besser sind. Enten jeder Art scheint dieser Boden um so günstiger, auch wilden, und das ist eine große Hülfsquelle für die jungen Herrn, welche der streng beobachtete Müßiggang zu großen Jägern macht. Wenn sie nach einem ganzen Morgen fruchtlosen Jagens in Gefahr stehen, den Ruf ihrer Geschicklichkeit zu verlieren, so schießen sie schnell ein paar ehrliche Entchen, die dem Hühnerhofe entkommen, und des sie begleitenden Jägers Zeugniß, das sie keck aufforderten, hätte mich wahr gemacht, hätte mich nicht sein spöttischer Blick noch besser belehrt, wie die bekannten Kennzeichen der Gattung.

    303 Da ich bei meiner Reise nach dem Haag wieder über Alphen kam, will ich euch gleich von hier an weiter führen, wenn gleich zwischen meinem ersten und zweiten Besuch dieser Stadt, einige Wochen verstrichen. Der Weg geht nach Leyden zu, durch ein eben so bebautes Land, als ich jenseits erblickte, der Kanal, an dem der Weg hergeht, ist immer sehr breit, und hie und da von andern Kanälen durchschnitten, die nach Südost in das Land, und nach Nordwest – wahrscheinlich gegen das Harlemmer Meer zu gehen. Nicht weit von Koudekerk sah ich einen nach dieser Gegend zu, der besonders breit war. Der Anblick der großen Kalköfen, die hier an den Kanälen gebaut sind, war mir eben so befremdend, wie ihr Geruch mir unleidlich war. Die Luft ist ganz mit Schwefeldünsten angefüllt. Diese Oefen, in denen Seemuscheln zu Kalk gebrannt werden, haben ganz die Form des Ofens, in dem die dienstbaren Kinder Israels den tyrannischen Egyptern Steine zu dem Bau der gottlosen Pyramiden brennen mußten. Sie sehen wie Bienenkörbe aus. So sieht man sie in allen Bilderbibeln von den rohesten Holkenbüchern, wie in Schwaben alle Bilderchen und Kupferstichbücher heißen, bis zu Hüb304ners Bibel, die doch wohl in ihrer Einfalt ein grösseres und dankbareres Publikum hatte, als die neusten und vernünftigsten. Haben denn die Holländer ihre Kalköfen den Egyptern nachgeahmt, und die damaligen Zeichner sie alle von den Holländern copirt? Mir kams recht biblisch vor, und die aus der Kindheit stammende Fantasie suchte neben den weißen, kahlen Oefen die krummen Palmenbäume, und die braunen Egypter, welche in unsern frommen Kunstwerken um die bösen Oefen gefälligst herum zu wachsen, und grimmigst herum zu schnauben belieben. Es ist ein öder Anblick. Die blendend weißen Massen mahlten sich hart auf dem satten Wiesengrün, brauner Rauch umflorte den dunkelblauen Herbsthimmel, längs dem Kanale lagen Muschelhaufen aufgeschichtet, von denen die Sonne peinlich blendend zurückstrahlte. Man führt sie von den nördlichen Seeufern in zahllosen Lasten hierher. Welche zerstörte Schöpfung! – Doch, lebten mehr Wesen um jenen Muschelhaufen zu bilden, als die Erde, welche diesen Rosenstrauch trägt? Ists nicht minder Sinnentäuschung, daß uns jene Muscheln deutlicher aus Leben erinnern, als die Hand voll Erde, in deren Staub jede Gestaltung schon vernichtet ist? 305 Diese Betrachtungen beschäftigten mich sehr sanft, bis unsere Ankunft in Leyden sehr interessante Erinnerungen in mir hervor rief. Leyden war mir durch viele frühe Eindrücke ehrwürdig. Mancher der besten Köpfe unsrer Nation aus dem vorigen Jahrhundert, bildete sich hier, Aerzte, Rechtsgelehrte, Staatsmänner, brachten hier ein paar Jahre ihrer Jugend zu. Eine lange Reihe von Jahren durch pflegte man hier die ernsten Wissenschaften mit einer ehrwürdigen Strenge, gegen die der bunte Wechsel der Systeme auf den heutigen hohen Schulen sonderbar absticht. Die ernsten alten Lehrer dieser und einiger andern holländischen Schulen mögen manche verjährte Eigenschaft haben, mögen aus dem Lehrstuhl ein Priesterthum machen, aber sie bewachen auch dafür ihr Heiligstes mit lobenswürdiger Treue, und bedienen ihren Altar mit reinen Händen. Das Neue mag wohl überall das Bessere seyn – möchte es doch aber von dem Alten manches Gute lernen. Meiner weiblichen Fantasie gabs einmal eine große Nahrung auf eben dem Pflaster herum zu schreiten, das Leibnitz und Zinzendorf und mancher andere wirksame Mann im jugendlichen Streben nach Wissenschaft betrat. Ihre Schritte sind verhallt, 306 diese willigen Steine tragen stumm neue Geschlechter, aber der Geist jener Männer wirkte fort und fort. Die öde Stille der schönen Stadt betrübte mich. Das Gras wächst in machen der breiten, geraden Straßen, und die regelmäßig gebauten Häuser scheinen sehr spärlich bewohnt. Mein Begleiter und ich stiegen in einer der ersten Straßen aus, und übergaben unsre Chaise den Bedienten, um sogleich den Schauplatz der schrecklichen Verwüstung aufzusuchen, die im Jenner des Jahres 1808 diese arme Stadt traf. Der ganze Vorgang behält viel Unbegreifliches. Unbegreiflich ist es, daß ein Schiff mit Schießpulver geladen, bis mitten in die Stadt konnte geführt werden; unbegreiflich, daß es hier drei Tage lang der Aufmerksamkeit der Polizei entging, ja daß der Fahrmann selbst so wenig Arg daraus hatte, daß von den Schiffsleuten keiner daran dachte, die Gefahr zu vermeiden, wenn sie Mittag und Abend, von den Fässern nur durch einen Bretterboden getrennt, ihre Speisen kochten. Der Umfang der Verwüstung macht schaudern, und sie war das Werk eines Moments. Ich kann euch von diesem schrecklichen Auftritt nichts interessanters sagen, als was der Bericht eines Augenzeugen in der Beschreibung 307 einer einzelnen Episode aus dieser Trauergeschichte enthält. Ich finde sie in dem Brief, den ein sehr würdiger Leydner an seine Freunde nach Amsterdam schrieb.

    „Ich befand mich in meinem Zimmer, als dieser schreckliche Ausbruch statt hatte. Augenblicklich verließ ich das Haus und eilte durch die Straßen. Jeder Schritt vermehrte meinen Schrecken beim Anblick der scheuslichen Verwüstung, die ein Augenblick angerichtet hatte. Ich flog meinen Freunden * * zu Hülfe. Denken sie sich den Jammer, der mich ergrif, als ich den Platz nicht einmal mehr erkannte, wo ihr Haus gestanden hatte. Die Gattin und das jüngste Kind meines Freundes, sein Schwager, der eben bei ihm zum Besuch war mit seiner jungen liebenswürdigen Gattin, und alles Hausgesinde war unter dem Schutte begraben. Ich fand ** auf den Trümmern seiner Wohnung besinnungslos umherirrend *); Verzweiflung und Schrek-

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    *) Dieser würdige Mann war in einem Laden, um einen kleinen Einkauf zu machen, als das Unglück geschah; er stürzt heraus, eilt nach seiner etwas entfernten Wohnung – aber lange suchte er vergebens die Stätte sei-

 

308ken standen auf seinem Gesichte geschrieben. Ich beruhigte ihn über das Schicksal seiner übrigen Kinder, die ich unterwegs begegnet und bei einem Freunde in Sicherheit gebracht hatte. Jetzt rufte [sic] ich Madame * * und sie antwortete mir unter den Trümmern herauf. Gott sey gedankt, sie lebt! – Allein, wie sollten wir helfen? wir waren allein, ohne Beistand, ohne Werkzeug, vor uns ein Haufen Schutt von einem ganzen Flügel einer herabgestürzten Mauer bedeckt. Doch Hofnung und Nothwendigkeit gab uns Betriebsamkeit und Kräfte. Es gelang uns einen Platz abzuräumen, von dem aus ich mich unsern armen Freunden vernehmlich machen konnte, und da arbeitete ich so lange fort, bis sie das Licht unsrer Laterne erblickten *), und bald bewerkstelligte ich ein Loch, aus dem mir Madame * * die Hand reichen konnte. Wer drückt das Ent-

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nes friedlichen Heerdes, keine Mauer stand noch auf der ehemaligen Stelle. Endlich weißt ihn ein Birnbaum, der auf seinem Hofe stand, zurecht. Fest in die treue Erde gewurzelt, war er dem Schicksal der steinernen Menschenwerke entgangen.

    *)Das Unglück fand Abends nach vier Uhr statt, wo sich in dieser Jahrszeit die Schrecken der Nacht zugesellten.

 

309zücken aus, das ich empfand, indem ich diese Hand faßte! alles andere war leicht. Man vergrößerte die Oeffnung, und bald zog ich, zuerst das Kind, dann seine Mutter, und endlich Madame * *, meines Freundes Schwägerin, hervor. Doch diese letzte, stieg sie gleich lebend aus dieser Gruft, ließ ihr Theuerstes auf Erden in ihr zurück. Welch schreckliches Schauspiel war diese ganze Nacht durch der Schmerz dieses unglücklichen Weibes! Sie wissen, daß wir Herrn von * * erst sehr spät in der Nacht, und todt heraus gruben *). Sein Bedienter, und drei Mägde des Hauses wurden gerettet, und leben.

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    *) Dieser allgemein geschätzte Mann, der mit seiner Gattin und der ganzen Familie seines Schwagers in demselben Zimmer war, ward wahrscheinlich von dem Kamin an den ihn seine Frau bei der Explosion gelehnt sah, zerschmettert. Diese Unglückliche, die über die Hälfte ihrer ersten Schwangerschaft war, verließ die ganze Nacht die Trümmer nicht, ließ vor ihren Augen wühlen und wühlen, und horchte unter dem Geräusch der Grabenden nach dem Röcheln ihres sterbenden Geliebten. O die Gottheit muß einen Balsam haben für jede Wunde, da sie einem zarten weiblichen Herzen die Kraft gab, so eine Nacht zu überleben. Diese edeln Gatten liebten sich viele Jahre lang, ihre Treue überwand alle Hindernisse, nur erst seit Kurzem waren sie vereint. Der König hat

 

310 Was diesen grausamen Auftritt noch schrecklicher machte, war das Feuer, das sich, wahrend der Zeit wir die lebendig Begrabenen aus den Trümmern aufzuwühlen trachteten, um uns her verbreitete. Es wüthete in der Bibliothek des Herrn * *, und zwang uns, so bald die Menschen gerettet waren, die Stelle zu räumen. Herr * * stand auf dem Schutt und sah seine schönen Sammlungen, seine Papiere, die Frucht zwanzigjähriger Arbeit, einen Raub der Flamme werme werden. Dennoch verlohr er in diesem fürchterlichen Augenblick nicht den Muth, er dankte nur Gott, ihm seine Gattin und seine Kinder erhalten zu haben, und am folgenden Sonntag predigte er mit wahrer Seelenstärke über die Ergebung in die Rathschlüsse der Gottheit.“ –

    Diese Predigt hätte ich hören mögen. Bei solchen Gelegenheiten ists, als wenn auch in das selbstsüchtigste Gemüth ein Strahl der göttlichen Liebe fiel, das ganze Menschengeschlecht wird wieder zu einer Familie. Wie dauernd könnte ein sol-

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Fr. v. * * die achtungsvollste Theilnahme bewiesen, indem er sie als Pallastdame zur Gesellschafterin seiner Gemahlin berief.

 

311cher Moment wirken, wenn ihn der Geistliche ganz im liebenden Sinne des Evangeliums auslegte. Freilich muß er sich nicht dabei, wie ein gewisser Schweitzer Prediger bei dem Bergfall in Geldau benehmen. Dieser gab jenem großen Auftritt den Rachegeistern Gottes schuld, die jetzt aufträten, die Sünder der Gemeine zu züchtigen. Durch diese Mittel muß die Religion und der Charakter der Menschheit noch tiefer sinken.

    Fällt euch aber nicht bei dem Schicksal des wackern Herrn ** die Stelle aus Schillers Glocke ein, welche die Feuersbrunst so ergreifend beschreibt, und dann mit den Worten endet:

Einen Blick
nach dem Grabe
seiner Habe
sendet noch der Mensch zurück –
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe,
was Feuerswuth ihm auch geraubt,
ein süßer Trost ist ihm geblieben,
er zählt die Häupter seiner Lieben
und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.

    Ich habe schon mehrmals über den ganz verschiedenen Grad von Theilnahme nachgedacht, die der oben erwähnte Bergfall in Geldau, und dieser 312 Vorgang in Leyden erregte. Mir hat die wenige Theilnahme, das schnelle Vergessen an diesem, mißfallen. Im Auslande meine ich, denn die braven Holländer haben geholfen, wie sie auf ihrem Wege dem Gemeinwesen immer zu helfen suchen, mit freigebiger Großmuth, und der gute König that was er konnte, also unendlich viel. Er gab nicht blos, sondern eilte bei der ersten Nachricht auf den Schauplatz des Unglücks, und tröstete die geängstete Stadt durch seine Gegenwart und seine persönliche Sorgfalt für die Heimlosen und Beraubten. Außer den ersten Zeitungsnachrichten haben wir Ausländer Leyden lassen auffliegen so hoch es wollte, indeß wir Geldau von allen schönen Künsten darstellen und entstellen ließen, in Versen, Pappdeckel und Farben. Das ist sehr schön, aber Gefühl und Vernunft möchte doch wohl bei dem Leydener Unglück eben so ernst ergriffen seyn. Schon daß Geldau durch eine Wirkung der Naturkräfte zerstört ward, macht alle die Darstellungen kleinlich. Gott wirkte – und ich möchte nur auf den Trümmern knieen und schweigen. Bey dem Unglück in Leyden sind eine solche Menge Mittelglieder zwischen dem hohen Schicksalswillen und seiner furchtbaren Vollzie313hung, es ist so viel Menschenwerk in Bewegung gesetzt, dem der Menschenverstand allenthalben hätte begegnen können, wozu jeder gemeine Verstand gerathen hätte – und dennoch geschah es. Die gemeinste Vorsicht steht neben dem fürchterlichen Unglück, wie Tiresias neben dem verblendeten Sohn des Lajus – händeringend möchte man rufen: und das ahndetest du nicht! Und wie viel mehr verlor in Leyden die Masse von Menschenfleiß und menschlichen Geist! Viele nützliche, der Nation und den Wissenschaften werthe Dinge und Menschen wurden zerstört, und können nicht mehr ersetzt werden. Auf Geldaus kleine Flur wird Gottes Sonne scheinen und sein Thau fallen, und bald keimt aus der Erde liebendem Schoos neuer Seegen empor. Aber was ersetzt die wackern Bürger, die an jenem Tage zerschmettert sanken? wer denkt die Gedanken wieder, die das Resultat ihres lebenslangen Forschens waren, und die ein Moment in Flammen verzehrte? So malerisch ist der Schutthaufen einer Stadt freilich nicht, wie Geldau’s Berge, vielleicht läßt er sich auch nicht so gut besingen. Nun herzlich gern! alle, die ihre Empfindsamkeit und Muse durch die Schweiz promeniren, finden’s ohne Zweifel sehr rührend, daß 314 ein Plätzchen, wo ihr Fuß wandelte, durch so einen furchtbaren Vorgang berühmt ward – wäre ich mir nicht bewußt, jetzt in meine mürrische Laune zu gerathen, so nennte ich ihre vielfältige Theilnahme einen weichlichen Egoismus – und damit träte ich doch mancher guten Seele zu nahe. Rückwärts also zu meiner Erzählung.

    Der Schutt ist von dem Schauplatz des Unglücks nicht allein weggeräumt, sondern er ist zu einem sehr schönen freien Platz umgewandelt worden, der schon mit Gras bedeckt und mit Bäumen bepflanzt ist. Die Häuser, welche diesen Platz umgaben, sind alle wieder ausgebessert, einige kleinere an der nördlichen Seite ausgenommen, deren Eigenthümer vielleicht auf neue Unterstützung von ihren wohlthätigen Mitbürgern warten müssen. An ihnen sahe ich große Risse, die durch die ganze Wand gingen, und mir auf eine schaudervolle Art die Folgen eines Erdbebens darzustellen schienen. Im ersten Moment war das auch die Meinung der armen Einwohner, daß ein Erdbeben sie zerstöre, und lange nach der Explosion deuchte es ihnen, daß die Erde schwanke. Da die ganze Wirkung des Pulvers von der Oberfläche des Wassers ausging, kann diese Wahrnehmung 315 doch wohl nicht gegründet gewesen seyn. Der Kanal, auf dem das unselige Fahrzeug lag, geht jetzt fast durch die Mitte des neu angelegten Spazierganges.

    Die alte Burg gewährte mir eine angenehme halbe Stunde, in der ich, von den Umgebungen veranlaßt, Vorwelt und Gegenwart vor meinem Geiste vorbeiführte. Es ist nichts mehr von ihr übrig, als die Ringmauer, deren Gestalt fast einen zu regelmäßigen Zirkel beschreibt, um die ehemalige Form zu bezeichnen. – Wie dem aber sey, so beweist die erhöhte Lage und die sehr massive Grundmauer, daß hier die alte Burg lag. Jakoba von Bayern, die Vielliebende, von der ich euch in einem meiner Briefe allerlei erzählte, bewohnte sie oft. Ich blickte aus dem Mauerzimmer, wo man gegen Nordwest bis aufs Harlemmer Meer sieht, auf dem ich auf dem dunkeln Hintergrunde eines wolkigen Herbsthimmels weiße Seegel gleiten sah. Dorthin mochte auch wohl Jakoba oft ihren Blick richten, wenn die Stürme der Zeit ihre Zukunft trübten. Wenn die Gegenstände um uns beunruhigend und fremd sind, blicken wir am forschendsten in die Ferne, so wie wir, wenn die Erde uns nicht mehr genügt, am sehnsüchtigsten gen Himmel 316 blicken. Es kann mich wunderbar anziehen, wenn ich von einem Orte, wo irgend eine historische Person vor Jahrhunderten stand, auf Gegenstände hinblicke, auf denen ihr Auge geruht muß haben, und dann ihre und meine Stimmung und Begriffe bei dem Anblicke vergleiche. Es ist wohl eine kindische Weichheit, warum ich endlich immer über ihrer Asche sanft weinen möchte, wie über eines Kindes Wiege. Daß nun so vieler Schmerz und so vieles Sehnen schweigt, und ich da stehe und dahin sehe mit ganz anderm Schmerz im Herzen, und anderm Sehnen, und bald nach mir wieder ein anderer dastehen wird, wenn meine Asche mit Jakobas Asche verfliegt. Es wird dann in meinem Gemüthe und um mich her, wie nach einem Gewittersturme im Frühlinge, wo der ganze Aufruhr der Natur sich in die tiefe Stille auflöst, in der die einzelnen Wassertropfen, die vom Laub fallen, das einzige Geräusch sind. – Die gute Jakoba! vielleicht entfiel meinem Auge die erste Thräne um sie auf die alte Mauer. Außer dieser Mauer, auf deren innern Seite ein wenig Fuß breiter Weg herumgeht, ist der ganze innere Raum von einem Irrgarten eingenommen, zierlich von lauter hohen Hecken in schneckenförmigen Kreisen gepflanzt und 317 in der Mitte mit einem nun versiegenden Springbrunnen versehen. Ein stürmischer Wind schüttelte die gelben Blätter in das halb trockne Wasserbecken. Ich blickte in das sinnreiche Gewirre der Gänge durch die entlaubten Zweige hin – wie viele Jahre mußten verfließen, bis diese starken Buchen auf den Trümmern der Gemächer wurzeln konnten, wo Jakoba ihr häusliches Wesen trieb; nun sterben auch die starken Buchen ab, deren künstliche Verschlingung schon längst den Spott der geschmackvollen Nachkommenschaft erregte.

 

 

318 Dreizehnter Abschnitt.

 

Es war schon tiefe Nacht, wie wir in der Nähe vom Haag an dem Hause im Busch anlangten, wo sonst eine Durchfahrt über den Schloßhof gestattet war, um auf einem nähern Weg in die Stadt zu gelangen. Jetzt war das äußere Thor verschlossen, und die Schildwache erklärte sehr höflich, daß niemand mehr durchfahren könnte. Ich hörte nachmalen dieses Verbot als einen Eingrif in die Nationalrechte verurtheilen. Da das Haus im Busch ein ganz isolirtes, nur zu dem Privatgebrauch der Königlichen Familie eingerichtetes Gebäude ist, und der Weg dicht vor den Wohnzimmern vorbei über das Pflaster führt, konnte ich keinen Despotismus darin finden, daß der Fürst diese Durchfahrt als ein Privatrecht behandelt und den Reisenden die wohlunterhaltene große Straße angewiesen hatte. Ich dachte an einen einzigen kleinen Spruch des Evangeliums, der alle Ansprü319che so leicht schlichtet, und alle Rechte so klar auseinander setzt, den wir aber auf die armen gekrönten Häupter am wenigsten anwenden, und langte im Haag an. Die Stadt war recht artig erleuchtet, und schien mir bei Laternenlichte recht hübsch; aber so einen überraschenden Anblick hatte ich nicht erwartet, wie mir der nächste Morgen darbot. Es war schöner Sonnenschein – ich erblickte vor mir ein klares, großes, viereckigtes Wasserbecken, dessen Flut ein belebender Herbstwind kräuselte; in seiner Mitte lag eine kleine mit Pappeln bepflanzte Insel, die einer Menge Schwänen zum Aufenthalt diente. Still und wohlgefällig gleiteten [sic] diese schönen Thiere über die silberne Wasserfläche; die Sonne warf den Schatten der schönen Gebäude am östlichen Ufer in scharfen Umrissen auf die stille Flut und färbte die herbstlichen Blätter der prächtigen Bäume, die westlich des Pfeifenbergs – so heißt der Spaziergang am Ufer des Wassers – beschatteten, mit goldenem Schimmer. Die Glockenspiele der Thürme ertönten dabei, und die Häuser, die ich links die Straße hinab und rechts durch die Bäume schimmern sah, trugen alle das Gepräge der Festigkeit und des Wohlstandes. Ich war recht begierig, in dieser einladenden Stadt 320 umher zu gehen, und fand bei der Befriedigung meines Wunsches meine Erwartung keinesweges getäuscht. Fürs Erste ist der Haag mein Ideal einer schönen, angenehmen Stadt. Die schönen Häuser, die freien Plätze, die herrlichen Bäume, die reinere Luft, als in den bisher gesehenen holländischen Städten, vereinen hier alle Vorzüge dieses kunstvollen Landes mit vielen Vortheilen der Natur. Die Hauptstraßen sind längs den Kanälen mit großen Bäumen besetzt, das Pflaster ist vortreflich und äußerst reinlich, die Umgebungen haben den Vorzug, durch die Aussicht auf die Dünen, deren nächste Reihe schon mit Buschwerk bewachsen ist, mehr Abwechselung darzubieten, als man in dieser flachen Gegend zu sehen gewohnt ist.

    Mit viel Vergnügen nahm ich einer günstigen Gelegenheit wahr, um das von dem edeln Ludwig erst vor kurzem gestiftete Cadettenhaus zu besuchen. Es ist ein schönes luftiges hohes Gebäude, wo bis jetzt einige achtzig junge Leute, theils auf eigne Kosten, theils als königliche Zöglinge vom vierzehnten Jahre an, ausgebildet werden. Anfangs war die Pension auf dreihundert Gulden gesetzt, nebst einer sehr mäßigen Summe zur Aussteuer beim Eintritt. Für dieses nichtsbedeutende Jahr321geld wurden die Knaben ganz frei gehalten, und traten nach vollendeter Erziehung als Officiere in die Landarmee. Diese Leichtigkeit, seinen Sohn erzogen und Officier zu sehen, war zu lockend, sie veranlaßte die Eltern zu viele Kinder eben so nothwendigen Bestimmungen, wie der Kriegsstand ist, zu entziehen, und um diesem Uebel vorzubeugen, ist die Pension auf fünfhundert Gulden erhöht, welches für Holland, und im Vergleich einiger unsrer deutschen Pensionen immer noch sehr wenig ist, da die jungen Leute auch Uniform und Wäsche in dem Institute erhalten. – Ich fand das fröhliche Geschlecht bei dem Mittagsessen. Es mogte noch kein Frauenzimmer bei ihnen erschienen seyn, denn die muntern Gesichter, alle zwischen vierzehn und siebzehn Jahren, wendeten sich höchst verwundert zu mir hin, und einige von ihnen schienen mich recht von Grund des Herzens komisch zu finden. Ich betrachtete diesen schönen Garten mit mütterlicher Freude, – denn wie der Garten einer frohen Zukunft kamen mir diese lieben jungen Menschengesichter vor. Ich habe euch schon gesagt, daß ich in Holland reinere Züge, einfachere Umrisse, eine durchgängigere Nationalphisionomie gefunden habe, als unter irgend einem 322 Volke, das ich an seinem Heerde besuchte; unter diesen mehr als achtzig Jünglingen herrschte nun auch ausschließend derselbe Karakter, dieselben Umrisse. Schöne offne Stirnen, die Augen à fleur de tite, wie man’s zu nennen pflegt, einen regelmäßigen Mund, ein männliches Kinn, eine scharf gezeichnete Nase – aber die Wangen stets zu lang – ich kann es nicht anders ausdrücken. Allein diese Störung ausgeschlossen, die erst in spätern Jahren durch die Erschlaffung der Muskeln schädlich wird, sprachen diese Gesichter alle bildsame, von der Natur mildbegabte Menschen aus. Ihr schöner Wuchs, ihre ansehnliche Größe, ihre blühende Gesichtsfarbe, bewies die Zweckmäßigkeit ihrer phisischen Pflege. Sie fielen lustig über die rauchenden Schüsseln her, welche mir von dem schneeweißen Tischtuch recht angenehm entgegen dufteten. Der Nahrung mußte vollauf seyn, denn wie die Gesellschaft den Tisch verließ, sah ich noch mehrere Schüsseln ungeleert stehen. Nach anständig abgewartetem Gebet, das einer der Lehrer laut und freundlich vortrug, stürmte ein Theil in den Garten, ein anderer Theil brachte die Erholungsstunde in den Schlafsälen, oder in andern Zimmern des Hauses zu. An bestimmten Stunden gehen sie 323 auch spatzieren. Ich unterhielt mich mit mehreren der Lehrer, auch mit dem Gouverneur der Anstalt, einem Holländer, der bei seinem angesehenen Range im Staat und in der Gesellschaft einen sehr gewinnenden gütigen Ausdruck hatte, seine Sprache war gebildet, und er drückte sich mit Eifer und Theilnahme über seinen Wirkungskreis aus. Ein paar der Lehrer waren Deutsche, der Lehrer der Geschichte ist ein auch in der Litteratur rühmlich bekannter Mann, der Bruder des beliebten schwäbischen Epigrammen-Dichters Haug. Die Holländer selbst gestehen ihm eine vollkommene Kenntniß ihrer Sprache zu, und seine Briefe über Holland beweisen, daß er das Land vielseitig beobachtet hat. Die Geschichte scheint in diesem Institut mit Ernst und Liebe betrieben zu werden, so wie auch bei der Auswahl der Bücher in der Schulbibliothek auf dieses wichtigste Bildungsmittel des Gemüths hauptsächlich Rücksicht genommen ist. Ich besuchte auch noch die Schlafsäle, Eßzimmer der Lehrer – die ich lieber mit ihren Zöglingen hätte in Gemeinschaft speisen sehen – und die Lehrzimmer. Alle sind sehr schön und anständig. Die Schlafsäle sind hoch, hell, reinlich, es stehen mehr und weniger Betten in denselben, in keinem 324 mehr wie funfzehn. Für die Kranken sind eigne Zimmer bereitet, es sey dann nur eine gleichgültige äußere Verletzung, wie ein verstauchter Fuß, von welchem ein blühender Knabe in dem einen Saal im Bett gehalten, und von seinen Gespielen fröhlich unterhalten ward. In den Sälen, auf den Treppen, überall begegnete ich dem jungen Geschlecht, das munter und schäkernd umherrannte, sich hie und da balgte, lachte und schwatzte, und vor dem mich begleitenden Lehrer munter sein Wesen trieb. Die Achtsamkeit und anständige Höflichkeit ohne Scheu und Geckerei, mit der die jungen Leute die neugierige fremde Frau überall begrüßten, war sehr angenehm, sie war von dem Gemisch von Selbstvertrauen und Bescheidenheit zusammen gesetzt, aus dem in spätern Jahren Männerkraft und Männermilde hervorgeht. Bei meinen Wünschen und Glauben an eine bessere Zukunft, konnte ich mir von dem zu bearbeitenden Stoff, der so glücklich von der Natur vorbereitet ist, günstige Resultate versprechen.

    Von hier ging ich in das Erziehungshaus der Soldatenkinder. Ihnen ist ein Theil des Gebäudes eingeräumt, das der König zur Zeit, wie er hier residirte, für sich zurichten ließ; daher man 325 die vergebliche Dekoration der prächtigen Zimmer, in welchen nun die wilden Knaben hausen, gar sehr beklagt. Ich glaube, das Gebäude ist das ehemalige alte Haus, schon in den frühsten Zeiten der Stadt, zum Gouvernementshause gebaut, nachmals aber vom Erbstatthalter bewohnt; es ist ziemlich regelmäßig, sieht aber antik aus, ein Theil davon ist noch dem Gebrauche der Regierung eingeräumt, und daher verschlossen. Das Corps de Logis, der große viereckte Hof, und die anstoßenden Hofräume gehören der Soldatenschule. Nach der Absicht des Königs soll die Anzahl der Kinder bis zu drei tausend steigen, noch ist sie nicht ganz zur Hälfte vollzählig. Es werden alle Soldatenwaisen darin aufgenommen und auch andere hülflose Kinder, sobald sie gesund sind, und nicht über das sechste Jahr zurückgelegt haben; der Staat übernimmt ihre ganze Erziehung, wogegen sie aber alle zum Kriegsdienst bestimmt sind. Daß eine fehlerhafte physische Entwickelung, die bei einer so großen Zahl Kinder, unerachtet der zweckmässigsten Pflege, dennoch vorfallen muß, Ausnahmen machen wird, liegt wohl in der Natur der Sache. Die Knaben lernen nichts, wie die zum Kriegsdienst, und zunächst für die gemeinen Sol326daten, nöthigen Kenntnisse, wo von früher Kindheit der wirkliche Dienst mit inbegriffen ist. Sie haben viele Freistunden, und in diesen treiben sie alle Spiele und Balgereien, die ihnen Thätigkeitstrieb und Muthwillen eingeben kann. Einer gewissen Anzahl ist immer ein Unterofficier zum Aufseher zugegeben, er verhütet aber nur Unglück, legt ihnen keinen Zwang an. Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, Anfangsgründe der Mathematik werden jetzt gelehrt. Da das Institut nur ein Jahr erst besteht, konnten die Kleinen noch nicht weit fortgeschritten seyn, und der Erziehungsplan kann sich nur nach und nach entwickeln. Daß so erzogene Knaben, die von Kindheit an den Staat für ihren Vater, und den Krieg für ihren Beruf halten, bei ihrem Eintritt in die bürgerliche Laufbahn andere Anlagen mitbringen, wie die Handwerker, Hirten- und Pflügerkinder, die sonst im sechszehnten Jahr aus einer schon ergriffenen Bestimmung herausgerissen, für den Kriegsstand verloost oder geworben werden – läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß in Holland, wo die bürgerliche Lebensweise wenigstens so erschlafft ist, wie bei uns, der Landdienst gehaßt und weniger geachtet, als der Seedienst, und der Krieg um so mehr 327 gefürchtet ist, wie ihn das Land nur in einem sehr beschränkten Umkreis erfuhr, leidet auch keinen Einwurf – mir däucht daher, daß diese Anstalt sehr zweckmäßig und wohlthätig ist. Jünglinge als Kinder des Staats zum Kriege erzogen, werden, ein jedes in seinem Haufen, Beispiel und Richtschnur seyn – nur wenn diese Kinder eigne Haufen bilden sollten, bedrohten sie mit den Gefahren der orientalischen Leibwachten; allein unter die übrigen Truppen vertheilt, verschafften sie ihrem Volke und ihrem Staate nur Vortheile.

    Ich vergnügte mich an den runden, fröhlichen, muthwilligen Gesichtern der umherschlendernden Knaben, und mußte über die Beschreibung lachen, die man mir von dem Toben und gräulichen Lärm machte, den die Haufen von zwei, dreihundert dieser übermüthigen Gesellen in den Spielstunden zuwege bringen sollten. Wenn wir um uns blicken, in die Hütten der Armuth, und sehen, wie die Kinder dort verkrüppelt an Leib und Seele untergehen, oder ärmlich zu einem ärmlichen Leben aufwachsen, wenn wir die herzzerreißende, die ganze Natur empörende Freude sehen, mit der unsere Arme so oft ihre jungen Kinder zu Grabe bringen, weil sie ihnen das Leben zu fristen, nicht 328 die Mittel oder den Muth hatten – o wer wünschte nicht seinem Lande so eine Soldatenerziehung! – Und wer unsere meisten Waisenhäuser kennt, den Druck des Kummers und der Barmherzigkeit, der auf den armen Knaben haftet, und sie durchs Leben begleitet – denn hier sind die vielen Ausnahmen mehr rührend als beglückend – wer säh nicht lieber die übermüthig frohen Gesichter, die in einen Stand treten, den das Weib nie, und der Bürger nur aus sehr complicirten verkehrten Begriffen verachten kann. *)

    Der Busch ist ein ungekünstelter schöner grosser Wald, den einige herrliche Grasplätze mit schönen Alleen eingefaßt, mit der Stadt verbinden.

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*) Zur Entschuldigung der sehr friedliebenden Schreiberin dieser Zeilen mag es dienen, daß sie den Kriegsstand hier ganz getrennt, und ohne Beziehung auf die jetzigen Kriege dachte. Nach ihren Begriffen ist der Mann vom Krieger unter Umständen unzertrennlich, und die Waffenübung zur Entwickelung des Mannes unerlaßlich – sie drückt sich über diesen Punkt als letztes Resultat ihrer Ansichten gegen ihre Freunde mit Stollberg’s Worten aus:

„Die Weiber waren stets,
Wenn Männer Männer waren, ihrer werth –
Nur weiblicher, sonst ihnen gleich.“

 

329 Hirsche und Rehe weiden vertraulich, ungeachtet der nahen Stadt und des dicht neben den Wiesen hinführenden Wegs, an dem Saume des Gehölzes. Die Häuser, welche ihm zunächst liegen, gleichsam Fronte mit den Alleen und Grasplätzen machen, mußten, so lange der Haag noch durch den Aufenthalt des Hofs, und den blühenden Zustand des Handels in dem umliegenden Lande, volkreich und lebhaft war, unvergleichlich angenehme Wohnungen darbieten. Diese Gebäude haben alle den Karakter von Vollendung und Gemächlichkeit, ohne je durch Größe und Pracht zu befremden. In den verschlungenen Schattengängen des Busches sind in der guten Jahrszeit Restaurateurs-Buden aufgeschlagen, und noch jetzt sollen die Haager diesen allerliebsten Ort fleißig besuchen. Die Aussichten zeigen, so wie überall, Kirchthürme, Wiesen, Büsche, Windmühlen und freundliche Häuser, denn obschon nur eine Meile vom Meere entfernt, sieht man es aus keinem Punkte, die Höhe der Dünen beraubt die Gegend seines Anblicks, und schützt sie gegen seine Wuth. Das Haus im Busch ist ein sehr kleines Wohnhaus, mit wenigen Wirthschaftsgebäuden, dem Umfang nach ein bloßes Jagdschloß, und in der 330 Zimmereinrichtung, ein paar Säle ausgenommen, um nichts prächtiger, wie das Haus eines wohlhabenden Privatmanns. Ich besah das moderne Geräth mit weiblicher Neugier, und verglich es mit den deutschen Schlössern, die ich ehrenhalber hie und da sehen muß, denn es wird einem fast übel ausgelegt, wenn man seine Langeweile bei bloßen Sopha’s, Brumeaux und Lustres nicht bergen kann. Im Hause, im Busch könnte ich mit euch Lieben, groß und klein, ohne alle Umstände leben, Molly könnte in dem kleinen Prinzenzimmer all ihr Wesen treiben, ohne daß groß Unglück geschähe, und wir setzen unsern Theetisch sehr unbefangen an das Fenster, wo man schöne Grasplätze rings mit Blumen und blühenden Stauden eingefaßt erblickt, herrliche hohe Bäume nehmen die reinlich gehaltenen Wege auf, und unter den Pappel- und Ahornstämmen schimmert hie und da ein ruhiger Teich hervor.

    Es ist ein eigenes Gefühl für eine Mutter des Mittelstandes, sich die Kindheit eines Prinzen vorzustellen. Wohlbemerkt: des Mittelstandes, und ich möchte wohl dazu setzen – unsrer Zeit. Wir stehen ganz natürlich auf dem höchsten Standpunkt zur Ansicht des Lebens, indem wir als Hausfrauen 331 viel Gelegenheit haben, das Volk zu beobachten, und den höhern Ständen nahe genug stehen, oft so in sie hinüber gehen, durch Vermögen oder Amtswürde des Mannes, daß wir sie nicht nur beobachten, sondern auch auswendig lernen können. Solchergestalt in Stand gesetzt, alle Mittel zur Ausbildung eines jungen Menschen, das heißt, eines Werdenden, zu beurtheilen und zu schätzen, wird uns das Herz immer schwerer, je günstiger das Glück – nach der gemeinen Ansicht – die Kindheit des jungen Geschöpfes bedachte. Der Erbe eines Reichsbarons erloschenen Andenkens – wie wehmüthig sah ich oft die Knaben zu dem dämischen Capellan wandern, der sie durch einen pöbelhaften Fluch zum Beten, und mit dem Stock zum Lernen zwang, bis die Mutter sie mit Zuckerbrodt und Küssen nach der Lexion empfing, der Vater sie zu seiner Erholung nach der Schnepfenjagd mit den Jagdhunden Späßchen machen ließ, indeß der geistliche Mentor vor ihm kroch, und der Mutter Haushaltsrechnungen kopirte. Oder denkt euch anstatt des Capellans einen hungrigen Candidaten, dem im Hintergrunde die lang ersehnte Pfarre, und die Hand der lang verblühten Gouvernante der Fräuleins erwartet. – Modificirt 332 euch das, wie ihr wollt, viel Glorreiches wird nicht herauskommen, so lange der Junker zu Hause ist. Heil und Segen daher dem adlichen Knaben, der früh in eine Pension kommt, in vieler Rücksicht, gleichviel in welche – die Hauptsache ist immer, daß er fern sey von der Kriecherei der Untergebenen, und der Leerheit oder Rohheit seiner Pair’s. Da macht die zärtlichste Sorgfalt der Eltern kein Uebles gut. Ich sah schon Beispiele der herzlichsten Wohlmeinenheit für das Beste der Kinder, besonders der Knaben – da wird nichts gewonnen, wie eine flache, weichliche Künstlichkeit, die den armen Wicht außer die wirkliche Welt versetzt, und ihn glauben machen muß, daß da für ihn so viele außerordentliche Bewegungen gemacht werden, er auch ein ganz außerordentlich merkwürdiges Geschöpfe ist. Befinde ich mich aber nun gar in den kindischen Umgebungen eines Königssohns! – Mein Gott! diese Menschen, die Aller Herzen erforschen sollten können, die alle Schmerzen ihrer Mitmenschen sollten im Busen getragen, alle ihre Freuden getheilt haben, um Gott ähnlich das furchtbare Recht zu üben, ohne menschliches Mitgefühl, und dennoch mit unermüdlicher Schonung stets den Einzelnen dem Gan333zen unter zu ordnen – die Menschen werden unter Umständen erzogen, wo alles, was Menschheit heißt, nur historisch ihnen bekannt wird.

    Steht dann das gekrönte Kind dem hohen Gange des Schicksals noch dazu so sichtlich nahe, wie der Thronerbe Hollands! – Klares Augenpaar, sorglose Stirne, gelocktes Kinderhaupt! blicke zurück, blicke vorwärts – ach, und blicke mit diesem vertrauensvollen Auge zu Gott auf – der bleibt fest, wie es um dich auch wechselt.

    In des kleinen Mannes Zimmerchen stand sein kleines schlichtes weißes Umhangsbettchen, neben dem seiner Pflegerin. Ich hätte mich über das Hauptkissen des Knaben mit Gebet beugen mögen. – Es ist wohl das Einzige, auf dem er sorglos ruhen wird. Der Erbprinz soll ein sehr munterer, unruhiger Knabe seyn, der seiner Hofmeisterin und selbst seinem Vater, der ihn innig liebt und verzieht, zu schaffen macht. Mütterchen C. wird doch gerne hören, ob denn ein Erbprinz auf eine andere Art unartig ist, wie ihr Walo, und sich damit trösten wollen, daß dieser nicht unartiger sey, wie jener. Nun sieh einmal, da ward ihm, wie man ihn vom Haag nach Utrecht führte, die Zeit im Wagen lang, wie es ihm nicht gelang 334 spatzierengehen zu dürfen, forderte er, um einer Ursache willen heraus, die keine Widerrede gestattete; kaum hatte er aber den Fuß auf den Boden gesetzt, so war ihm der Zweck aus den Augen, und er spielte, sprang und lief durch die Wiese. Auf die Erinnerung seiner ehrenfesten Hofmeisterin erwiederte er sehr unbefangen: „O, ich bedurfte gar nichts – ich hatte nur Langeweile.“ Sieh, mein gutes Mütterchen, welche Königsnatur sich in deinem Knaben regt! denn wär nicht Walo fähig eben so geistreich zu handeln? Freilich, seinen Vater zwingen aus dem Staatsrath zu laufen, wie der kleine Prinz that, das könnte er nicht, aus der einfachen Ursache, weil sein Vater nicht in den Staatsrath hinein geht. Mein königlicher Bambino kam einmal darauf, seine Gesellen, die Pagen, vor der Thür des Staatsraths zu versammeln, wo sie nach allen Kräften mit Peitschen knallen mußten, bis der gute König selbst herauskam, und dem Unwesen steuerte. Daß so ein Pürschchen einer königlichen Gouvernante angst und bange machen kann, begreift man wohl. Auch beklagte sie sich eines Tages, wie sie ihn zum Nachtisch brachte, bitterlich über ihn, und sagte zum H. v. **: „Es gibt einen jungen Menschen, mit dem man nicht mehr 335 fertig werden kann; er will nichts lernen, und hat den ganzen Morgen gestürmt und gewüthet.“ Der Knabe hatte bisher ruhig am Fenster gestanden, nun wandte er sich um, und sagte sehr gefaßt: „der junge Mensch, von dem die Rede ist, bin ich, Herr Präsident.“ Das ist eine hoffnungsvolle Unbefangenheit! – Wie glücklich könnte diese Beweglichkeit benutzt werden, wenn er, statt von den Händen einer gewiß wohlmeinenden Hofmeisterin gemeißelt, geknetet und geschniegelt zu werden, in ländliche Umgebungen, unter eine Zahl rüstiger Jungen, in die väterliche Aufsicht eines männlichen Lehrers käme. Nun – das Schicksal walte! –

    Ein Saal, auf eine würdige Weise das Haupt einer Nation ankündend, ist der große Audienzsaal. Das Licht fällt von oben und der einen Seite auf die Gemählde, welche die Mauerbekleidung bilden. Die Hauptfelder nehmen große historische Darstellungen ein, die kleinern und Deckenwölbung allegorische Figuren und Gruppen; auf den Pfeilern stehen einzelne Bildnisse berühmter Staatsmänner und Krieger aus der holländischen Geschichte. Das Ganze ist sehr erhalten, unter den einzelnen Gestalten sehr viele vorzügliche, 336 mit dem Ausdruck von Kraft, der jenen Jahrhunderten des Freiheitskriegs eigen gewesen seyn muß, denn ich fand ihn an so vielen Gemählden in Familien-Bildnissen und historischen Darstellungen. Allein die Erfindung ist überladen und verworren; das Auge arbeitet sich mühsam durch die Hündlein und Rosse über den Triumphzug der Helden zu den Wolken hinauf, wo die schwebenden Göttergestalten ihm wieder keine Ruhe lassen. Mir verursacht so ein Haufe von Gestalten in aktiven Stellungen eine solche Spannung, daß ich endlich kein klares Bild davon trage. Wenn ich jetzt noch die Augen schließe, blicken mich die einzelnen herrlichen Köpfe mit ihren lebendigen Augen an, ich könnte sie mahlen, wenn die Kreide meine Phantasie dolmetschen wollte; aber das Ganze ist mir nicht deutlich geworden. Bei einer einfachen Anordnung ist das nie der Fall, und bei der höchsten Stufe darstellender Kunst, bei der Gestaltung in Stein, faßt die Erinnerung das Bild mit einer Klarheit auf, die jeder Biegung jedes Gliedes eine Bedeutung giebt, und allein den Begriff eines Ideals in der Seele hervorruft.

    Bei glänzender Erleuchtung und der Pracht der Hof- und Ordens-Uniformen, muß dieser 337 schöne Saal sehr imposant seyn. Ich wünsche, er würde ganz so erhalten, und in einer bessern Zeit das Andenken schönerer Zeiten zurückrufen.

    In einem andern Saale wünschte ich alle meine kunstfleißigen Freundinnen zu versammeln, um den Kunstfleiß einer wunderlichen Nation zu bewundern, die, wie mir nebenbei einfällt, wahrscheinlich in ihrer Kultur einige Aehnlichkeit mit den Holländern hat. Dieser Saal ist ganz chinesisch verziert, und das ganze Geräth desselben ein Geschenk des Kaisers von China an die letzte Prinzessin von Oranien. Die Wandbekleidung besteht in einem weißen Atlas mit lauter ganz und halb erhabnen Figuren, die Vögel und Blumen aus einer fremden Welt, vielleicht aus Eldorado, vorstellen. Sie stehen mit aufgesperrten Schnäbeln neben glänzendem Schilfe in so natürlicher und doch theatralischer Stellung, daß man glaubt, jetzt werden einem die Ohren von ihrem Schreien gellen. Andere picken an herrlichen wunderbaren Beeren, andere erheben sich über prächtige fremde Blumen, und Paradisvögelein mit den schimmerndsten Farben schweben in der Luft. Alle Schilfhalme, Federn, Schnäbel und Pfoten sind von Pergamentstreifen und Drath, mit Seide und Gold umsponnen, so, daß 338 sie locker, halb hervorgelehnt, nur theilweise an dem Atlas haftend, dastehen. Unter die Schweife der Pfauen konnte ich meine Hand legen, indeß die Leiber halb erhaben an dem Grunde festhingen; ein Pfötchen war Basrelief, indeß ein anderes hervorstand mit der trügendsten Aehnlichkeit mit Seide umsponnen, die jedes Gelenk und Kralle abzeichnete. Die Felsen sind von bunten Stoffen mit Baumwolle gepolstert, ganz in den abentheuerlichen Formen, die uns unsere ächtchinesischen Fächer darbieten, und mit schönen Sträuchen bewachsen, an denen glänzende Früchte hangen. Die Vögel sind vielleicht nach der Natur, der Pfau gewiß, nur nicht ganz so groß, wie die, welche wir auf unsern Höfen haben. Die Pracht der Farben ist nicht zu beschreiben, das Gemisch von Gold und Grün an den Federn, das Roth, das Blau – ich denke, die Säle, welche Tausend und eine Nacht uns schildert, müsten so ausgesehen haben. Die Thüren dieses Gemachs sind von schwarzem Lak mit goldenen Gestalten – ich hätte gewünscht, man hätte dem Geräthe auch eine orientalische Form gegeben, und den weißen Atlas mit der abentheuerlichen Stickerei von Männerchen, Felsen, Bäumen und Häuserchen, der die Stühle 339 und Sopha’s deckt, zu großen Polstern, oder sonst das chinesische Geräth nachahmende Sitze verwendet. Auch den englischen Fußteppich hätte ich fortgewünscht – er störte die Illusion. Zu eurem Troste kann ich euch sagen, daß dieses Kunstwerk sorgsam in Ehren gehalten wird, denn die Wände sind überall mit atlassenen, gestickten Rouleaux, die eine zweite Tapete bilden, vor dem Staube geschützt, und nur bei besonderer Veranlassung setzt man die fremde Welt hinter ihnen dem Schaulustigen aus. –

    Das Wetter war stürmisch und versprach keine günstige Aenderung, ich stand also nicht an, bei abwechselndem Regen und Sonnenschein und einem schon hinter den Dünen sehr heftigen Nordwestwind, nach Schewelingen zu gehen. Wir armen Weiber, daß wir nie allein gehen können! Wie gern ich diesen Weg allein gemacht hätte! – Es sind eine Menge ziemlich baufälliger Chaisen stets bereit, von dem Haag nach Schewelingen zu fahren, und wir gelangten in einer solchen – denn unsere Pferde waren den Morgen schon müde geworden, musten also auf die morgende Reise Kräfte sammeln – durch eine lange mit Backsteinen gepflasterte Allee, die einen großen Theil 340 des Weges links und rechts an Gebüsch grenzt, nach dem nicht besonders hübschen Dorfe. Es ist nur von Fischern bewohnt. Der Sage nach soll die Kirche, welche jetzt am äußersten Ende des Dorfes gegen das Meer zu liegt, ehemals in der Mitte desselben gelegen haben. Der alte Ocean spült also hier mit mächtigem Beharren das kleine Menschenwerk fort. Diese Zerstörung muß aber bei einer nun veränderten Gestalt des Ufers statt gefunden haben, denn jetzt steht die Kirche schon auf den Dünen, die das Meer umgürten. Der fortgespülte Theil der Dorfes muß also auf einer Niederung gestanden haben, die ihn den Wellen preis gab. Könnten die Wellen noch jetzt über das Ufer schlagen, auch nur bis an die Kirche, so wäre das ganze Land dem Untergange ausgesetzt. –

    Der Sturm wüthete ungeheuer; er hatte den Morgen Leichen von einem bei Cadwyk verunglückten Fahrzeuge auf den Sand getrieben; ich blickte über die Wellen hin, ich sehnte mich fort von dem gleichgültigen Gasthofsgewühl, um in das mächtige Element vor mir zu sehen, und stahl mich endlich hinweg an das Gestade.

    Es ist nicht unbedingt wahr, daß der Anblick der offenen See überraschend, hinreissend ist; er 341 ist befremdend, Fehlschlagung erregend, wenn man nach langer, langer Erwartung an das Gestade tritt. Und an dieses Gestade! das ödeste, von jeder schaffenden Kraft entblösseste! An einem Felsenufer, unter herabneigenden Tannen, in Camoens Höhle, am Gestade, wo Ossian sang, mag die erhabene Erde im Gegensatz des mächtigen Gewässers ein überraschendes Bild darstellen. Aber trau’ der Fehlschlagung dieses holländischen Ufers nicht, wenn du mit empfänglichem Herzen und beweglichem Geiste diesen Strand betrittst. – Oft, wenn ich unter euch saß, und durch den Zufall veranlaßt, wie Ulysses, meine vielfachen Wanderungen erzählte, sagte ich lachend: Das Weltmeer müste ich noch sehen, dann wollte ich meinen Wanderstab im Tempel der heitern Ergebung aufhängen, und, nur von euren Armen gestützt, den freundlichen Genius mit der gesenkten Fackel erwarten.

    Nun stand ich an dem Gestade des Weltmeers. Rechts und links dehnt sich ein unabsehbares Ufer aus, das bald in den Wellen untergeht – alles ein nackter, todter Sand! die mässigen Hügel, die er bildet, entziehen allenthalben den Anblick des bebauten Landes, den Anblick schaffender 342 Kraft. Hier stand ich allein, dem Verderben im Angesicht, denn das furchtbare Element, dessen Treiben ich zu unterscheiden anfing, deutete auf eine zerstörte, nicht eine zu erwartende Schöpfung.

    Der Wind heulte in meinem Gewande, daß ich meine eigne Stimme nicht hörte; er drohte mir zweimal, mich niederzuwerfen, wie ich unvorsichtig auf der Fußspitze auf dem nassen Sand einherlaufen wollte. Ferner und näher, rechts und links und vor mir, hörte ich das Fallen einzelner Wasserströme, die das fortwährende Rauschen der Wogen unterbrachen, ich faßte Fuß an einer großen Fischerbarke, die durch die Ebbe aufs Trockne gesetzt war, und suchte mich mit den Gegenständen um mich her zu befreunden.

    Jetzt sah ich graue Mauern vor mir aufsteigen in parallelen Streifen vor dem Sturme her aus Nordwest; der Ursprung jeder von der andern an Zeit und Länge verschieden. Die graue Mauer wuchs und erhob sich, ward immer dunkler, je höher sie stieg, den wolkenschweren Himmel über sich, unsichere Sonnenhelle durch ihn hervorbrechend, schon tief in Westen. Nun kräuselte weisser Schaum auf der Zinne der grauen Mauer, und der Schaum wuchs, und stieg höher und höher, 343 und sträubte sich gegen den Rand der Mauer, als peitschte ihn der Sturm rückwärts, bis er plötzlich noch höher stieg, und mit furchtbarem Guß über die Mauer stürzend gegen den Himmel sprützte, und in der Tiefe brüllte. – Indeß wuchs neben der überstürzenden schon eine neue Mauer auf, noch höher und dunkler, je weiter sie in das hohe Meer hinaus stand, sie schritt fort und stürzte ein, wie die vorige, indeß noch eine, und noch eine, und tausende, in dem weiten Gesichtskreis das Spiel furchtbaren Grimmes und schnellen Unterganges trieben. Je näher dem sanft abgedachten Ufer, je kleiner wand die Welle, bis die letzte den Sandboden festschlagend bis über mein Haupt den lockern Duft herauf schlug, indeß ich noch sicher an dem Fahrzeuge lehnte.

    Ich tauchte meinen staunenden Geist in die Fluthen der Zeit hinein, und fragte die Sandkörner um mich, diese Zeugen zerstörter Schöpfung, und die Wogen vor mir, das Bild ewigen Wechsels: – sagt mir, wo sind die Welten, die ihr bildetet, wo sind die Welten, die ihr verschlangt? und das hohle, furchtbare Getobe rief mir nur immer zu: in die Ewigkeit trugen wir sie hin! – Ich dachte mir diesen Meeresstrand in den vergange344nen Jahrhunderten, und die Sandhügel in meinem Rücken beschämten mich, und die rauschende Fluth rief: Geschöpfe von gestern her! damals wälzten wir unser Wasser da, wo jetzt der todte Damm uns ohnmächtig trotzt. – Ich dachte hinüber an das Gestade, wo vom Abend her der Sturm heulte, und wie manches Menschenalter der Mensch hier stand, nicht ahndend, daß dort Brüder lebten, und wie manches Menschenalter hindurch diese Wellen Brüder zum Brudermord hinüber trugen, und wie das Antlitz der Welt sich wandelte mit ihren Bewohnern und ihren Schmerzen – nur diese Wogen brüllten fort in ewiger Freiheit, und diese Winde rauschten dahin in ewiger Nacht. Ich ward so klein und einsam! – hinter mir der todte Sandhügel, vor mir das unendliche Meer, und ging meine Fantasie vorwärts, so reichte mir der Einwohner von Neufundland zuerst die Bruderhand.

    Der Sturm nahm zu, und ich wollte zurückkehren, ehe meine Gefährten mich vermißten, und so sah ich den Strand erst nach einer Stunde wieder, wie das Toben des Windes sich etwas gelegt hatte, um die rückkehrende Fluth zu beobachten.

    345 Längs dem Dörfchen lag eine lange Reihe Fischerbarken auf dem Strande, so lange die Ebbe am niedrigsten stand, von keiner Welle berührt. Nun fingen die Wellen an ihre Wände zu bespülen, bald wankten sie unter ihren Schlägen, und nach einer Stunde wiegten sie sich auf dem elastischen Elemente. Wir gingen den Strand hinab, und forderten die höher steigende Fluth heraus – fünf und zehn, und zwölf Schritt schlich ich der Welle entgegen, und sah sie heran kommen, anfangs ganz fern breitete sich nur ein kleiner Schleier von klarem Wasser um meinen Fuß, nun eilte ich und die Welle hinter mir drein, daß ich kaum der Schnellen entrann.

    Immer beschränkter und schmäler ward nach jeder Anfluth der Raum, den die Welle verließ – man sah sie von Weiten nahen, kleine Wellen spielten wie weiße Lämmer um die Mutter her, noch schienen die kleinen fern, bis sie plötzlich den Vorwitzigen erreichten, der nicht immer schnell genug fliehen konnte, denn einmal ereilten sie * *, daß er bis an das halbe Bein in der Fluth stand, und indem er den Strand herauf lief, lief die Welle mit, so daß er anscheinend nicht entrann, sondern auf demselben Fleck gefesselt schien. Je tiefer am 346 Boden man hinaus in die Wellen blickt, je furchtbarer bemeistert sich das Bild der Phantasie. Das Meer steigt immer höher und höher, und die schwere Brust fühlt es, sich um sie lagern, denn die hohe Woge verbirgt den Himmel, und die Nähe der Wasserberge entzieht den letzten Anblick des mütterlichen Bodens – den kahlen Strand um uns her.

    Wir schäkerten lange an dem nassen Gestade, lachten über die verworrenen Gestalten, die der noch immer dauernde Sturm unsern Kleidungen gab, suchten Muscheln im Sande, und zählten die Zeiträume, in denen die Wogen am Strand rollten. Ich hätte den Abend, trotz dem Sturme, hier zubringen mögen, hätte sich nicht bald ein Haufen Fischer um uns versammelt, die durch ihren elenden Aufzug, durch ihr ungestümes Betteln, durch die Zudringlichkeit, mit der sie uns Meermuscheln zum Verkauf anboten, uns unerträglich belästigten. – Wäre ich nun auch kein Weib gewesen, sondern hätte hier in der Unabhängigkeit des Mannes gestanden, so wäre ich doch nicht einsam geblieben. Lebte ich eine Zeitlang in dieser Gegend, so brächte ich ein paar Nächte hier zu, und schlich mich im Mondschein an das Ge347stade. So saß ich einst manche Stunde an dem stillen Neufchateller See, und sah den Mond über den Schneebergen einherwandeln. –

    Von den Bettlern wirklich verjagt, gingen wir den Strand immer weiter nach Norden hinab, bis sie zurückblieben, einen zerlumpten Knaben ausgenommen, der sich beharrlich vorgesetzt hatte, unser Cicerone zu seyn. So verhaßt mir diese Störung war, konnte ich doch endlich dem Lachen nicht widerstehen, wie der Bursche unermüdlich war, mir alle die Gegenstände, welche meine Aufmerksamkeit beschäftigten, zu erklären. Ich sprach lebhaft mit meinem Gefährten in seiner Sprache, und zeigte auf das Meer hin, das wir jetzt, indem wir die Dünen hinan kletterten, weiter übersahen. Die Gegenstände auffassend, auf die ich deutete, machten seine Auslegungen mit unserm Gespräch einen so barocken Contrast, daß mein Unwille über die Störung nur von meiner Lachlust aufgewogen werden konnte. Es war fast sechs Uhr, die Sonne, bereit in die Fluthen zu tauchen, durchbrach noch einmal die Wolken, färbte ihren Weg golden, und die Höhe über sich mit dunkelm tiefen Blau. – Nach Norden und Süden thürmten sich schwarze Dunstgebirge. Nun 348 scholl das Gebrüll des Meers zu uns her, und die Ferne sah aus wie ein Eismeer – ich kann keinen lebendigern Vergleich finden, als die Eismeere der Alpengebürge. Die Bewegung der Wogen entgeht von Weitem dem Auge, es erblickt nur den weißen Schaum, der jetzt in der Sonne glänzte, und die schwarzen Gewässer, die wie tiefe Spalten dazwischen gelagert sind. Dort begrenzen aber himmelansteigende Gebirge den Horizont, hier ruht der Himmel allein auf dem starren Erdball. Nichts trostloser unfruchtbarers kann sich die Einbildungskraft erdenken, wie die Seeseite der Dünen! der niedrigere Theil besteht aus ganz dürren grauem Sande, der aus sehr harten, groben Körnern, ohne Beimischung von Kieseln, aufgeschwemmt ist. Höher hinauf ist ein dürres grobes Gras in kleinen Büscheln angesäet, das diesem todten Sande die ersten Pflanzentheile beimischen soll. Es scheint gar nicht abgeschnitten zu werden, denn seine langen, steifen, ärmlichen Halme waren von keiner Sichel berührt, vom Sturme auf den dürren Boden niedergeworfen worden. Auf dem Rücken der Dünen wird das Gras etwas häufiger, hie und da bedeckt es beinahe den Boden. Mitten in dieser Einöde steht ein Telegraph 349 – er gehört zu der Dekoration des Bildes. Das hölzerne Gerüst streckt seine kahlen Balken über den Sand, und man blickt, Geheimnisse ahndend, an ihm hinauf. Das unbelebte Holz, das die lebendige Sprache vertritt, scheint auf einem Augenblick lebendiger, als das todte Papier, daß

wasts a sigh from Indus to the Pose.

    Wohl wehen Seufzer von diesen Gerüsten! Grosser Gott! welche Masse von Jammer verkündigten sie von der Donau bis an die Nordsee!

    Zwischen Schewelingen und dem Haag sind die Dünen schon zu bewachsenen Hügeln gediehen, und geben der nahen Landschaft einen, für diese Gegend, befremdlichen Charakter; ja, es finden sich hie und da laufende Quellen, und in Zorgfliet, einem Landgute an der Südseite des Weges, hatte ich, seit ich in Holland war, zum erstenmale den Genuß, ein Glas Quellwasser zu trinken.

    Der Weg von dem Haag nach Delft führt durch einen klassischen Boden, für eine Epoche der holländischen Geschichte, die von den neuen und alten Dichtern dieses Landes benutzt worden ist. Rechts vom Wege ab, ist die Ebene bei Nusdorp, die Barnwelds Söhne ihren Mitverschwornen zum 350 Sammelplatz bestimmten, als sie, ihren Vater zu rächen, die Ermordung Morizens von Nassau beschlossen hatten. Hart am Wege liegt ein Landgut, das ehedem Olden Barnweld bewohnte. – Es ist immer eine eigene Empfindung, Orte, die man nur mit großen tragischen Begebenheiten zugleich nennen hörte, so still vom Lichte der Sonne umflossen, mit allen Ausmahlungen eines behaglichen Alltaglebens ausstaffirt zu sehen. Im Haag stand ich mit eben diesen Betrachtungen beschäftigt, auf der Stelle, wo van der Witte, ein Opfer der Volkswuth fiel, die nicht einmal die Form des Gesetzes zu bedürfen glaubte. Es gingen Mägde mit Gemüskörben darüber, es spielten Knaben da – freilich wusch des Himmels Regen das vergossene Blut von den Steinen, freilich würde ja das Ohr keine Freudentöne aufnehmen können, wenn die des Jammers nicht so bald verhallten – aber doch lächelt man schmerzlich, wenn die Menschen sogar vieles vergessen. –

    Delft ist ein sehr netter, lebendiger Ort. Ich hielt mich einige Augenblicke bei dem Prinzenhause auf, wo Wilhelm von Oranien ermordet ward. Hätte jene Geschichte doch nicht die viele Beimischung von Religionseifer! Das ist eine Zuthat, 351 die jede Farbe des Gemähldes unrein macht! Ich fühle nie ein rechtes Zutrauen zu den Leuten, die um das Ueberirdische mit Feuer und Schwerd sich herum schlagen, denn es kann keiner den andern verstehen, weil ein jeder das Ueberirdische ganz aus seinem Gesichtspunkte ansieht. Gilts dann aber den Kirchenglauben, so kann der Tausch, den damals die guten Leute eingingen, der menschlichen Vernunft nicht so gar glänzend vorkommen. Galt es aber rein weg politische Unabhängigkeit, auch vom Pabste, und zuerst vom Pabste – dann versteht man sich und weiß, wofür sie stritten. Des Olden Barnwelds Proceß hat etwas wahrhaft niederschlagendes durch die Beschuldigung des Arminianismus.

    Monumente haben mich von jeher sehr angezogen – und noch keines hat mich befriedigt. Sie erinnerten mich entweder nicht an den Gegenstand, den sie bedeuteten, oder genügten meiner Vorstellung des Gegenstandes gar nicht, oder verletzten meine Empfindung für Kunst – denn Kunstgeschmack fordert Kenntnisse und Uebungen, die mir fehlen. – Es ist meines Bedünkens noch recht schwer, den Plan eines Monuments zu entwerfen. Privatpersonen verwechseln meistens die 352 Absicht, und wollen vielmehr ihrem Schmerz ein Denkmal setzen, als dem Todten. Mehr als einmal sah ich Denkmale, deren Erfindung edel und einfach zur Seele sprach, aber die Inschrift zog mich sogleich von den Höhen der Poesie wieder in das schwüle Erdenleben, und statt der Seele ins Empiräum zu folgen, bannte sie mich unter die Vettern und Baasen des Todten. – Noch vor wenig Tagen sah ich den Entwurf eines Grabsteins für zween, in der Blüthe des Lebens gestorbene Schwestern. Es war ein einfacher stehender Stein, ganz antik geformt, oben eine Verzierung von Mohnhäuptern, darunter zwei Sterne – das Bild der Dioskuren, und dann Raum zur Inschrift. Wie besänftigend, wie erhebend! der Mohn, als wahrstes Bild des Todes, diese Sterne, das edelste Bild von den Todten, und für die Lebenden! – Setzte man nun die Namen der Entschlafenen darunter, und deutete an, wer diesen Stein ihnen weihte – wie rührend für jedes Auge, das auf diesem Denkmal ruhte! Aber da soll nun mit vielen Worten stehen, wie, wer, und warum ein jeder Antheil an diesem Denkmal hat mit Namen und Karakter. Und ists nicht natürlich? – was bedarf denn eines Denkmahls, als 353 unser Schmerz? Bedarfs der Gegenstand desselben für uns? O, was wäre der Schmerz, der nicht in Nacht und Licht und Blüte und Schnee überall seinen Todten wiederfindet? – Der kalte Stein ist uns nur ein dauernder Schrei des Jammers, er soll andere herbeirufen, daß sie wissen, wie elend wir sind. Also ists Eigennutz, ist Bedürfniß der Schwäche, ist der Wohlthaten eine, welche uns das gute Schicksal schenkte für den Erdentraum.

    Ganz anders ist es mit Denkmalen, die wir dem Todten, abgesehen von uns, setzen. Wir errichten durch sie ein Bündniß zwischen ihm und der Nachwelt, und die Denkmale müssen ihr sagen, was der Todte der Mitwelt war. Hier darf der Stein reden durch Wort und Bild, ja, es scheint mir ein schöner Gedanke, Unternehmungen, Städten, Sternen, Blumengeschlechtern, die Namen ihrer Beschützer, Erbauer, Entdecker, zu geben. Da spricht das Denkmal sich selbst aus. – Es fordert zur Nacheiferung auf, es zeigt den Lohn des Verdienstes. Mit Neugier und Theilnahme suchte ich in der großen Kirche von Delft das Grabmal Wilhelms von Oranien auf. Die Nation setzte es ihrem Helden, und so lange 354 Zeit nach seinem Tode, daß die Geschichte schon Zeit hatte, über ihn zu richten. Mir däucht, dieser Zeitraum spricht wenigstens so wahr, wie die hundert Jahre, die zwischen dem Tod und der Heiligsprechung nach päpstlichem Ausspruch verflossen seyn müssen. Die Kirche ist ein schönes, großes Gebäude. Kahl, wie alle protestantische Kirchen, und eben so mit gemeinen Stühlen zum gemeinen Sitzort verstellt. Das große Chor ist durch ein Gitter abgesondert, der Boden deckt lauter Grabgewölbe, an den Mauern sind verschiedene Denkmäler und in der Mitte befindet sich Wilhelms von Oranien Grabmal. Auf dem ersten Blick scheint es ein Tempel in dem Tempel. Es ruht in Gestalt eines länglichen Vierecks auf porphirnen Säulen, die auf einen grau marmornen Grundstein gesetzt sind, und hat ein grau und weiß marmornes Gesims. An den vier abgestumpften Ecken stehen, zwischen zweien Säulen ziemlich unbequem eingeengt, vier bronzene Statüen von gleicher Höhe, wie die Säulen, vier christliche Tugenden vorstellend; an den vier Seiten des Gesimses, so wie auf dem Dom, befinden sich viel Genien und Basreliefs, recht angenehm angebracht, aber sehr entbehrlich für den Eindruck des Ganzen, oder ihn 355 vielmehr verkleinernd. Unter diesem Tempel erblickst du einen grauen, marmornen Sarkophag, auf dem Wilhelm in der gewöhnlichen Stellung ähnlicher Gestalten des Mittelalters ausgestreckt liegt, nur nicht die Hände gefaltet, sondern an der Seite ausgestreckt, gerüstet, und zu seinen Füßen sein treuer Hund. Ich wollte, der Vertheidiger der holländischen Freiheit faltete lieber die Hände. Wollte man diese kunstwidrige, aber rührende Stellung der frommen alten Kunst beibehalten, so hätte man auch diese gläubigen Hände nicht verachten sollen, die den Zuschauer immer so rührend mit der scheidenden Seele zu Gott hin geleiten. Ohne sie liegt die runde, durch die Höhe des Sarkophags dem Betrachtenden verkürzte Gestalt, wie im Verdauungsstündchen begriffen, vor ihm, und erweckt weder fromme noch poetische Gedanken. Das Gesicht gegen ihn, zu seinen Füßen, steht, zu allgemeiner Bewunderung nur auf dem einen großen Zehen ruhend, in fliegender Stellung, Fama, der Ruhm, mit der Posaune in der Hand, wie sie eben wieder zu Odem zu kommen sucht. Der Künstler dachte wohl nicht daran, welche ernste Moral darin lag, daß seines Helden Schlaf nun so tief ist, daß ihn der laute Ton der Ruhms356trompete selbst, die seinen Schlaf, so lange er auf Erden handelte, so oft störte, nun nicht mehr unterbricht. – Nun, sollte man denken, wär das Denkmal fertig? Nein, die Hauptsache kommt noch. Zum Haupte des weißen Marmorbildes, auf dem schwarzgrauen Sarkophag, sitzt, der Fama den Rücken zugekehrt – diese Allegorie entging wohl wieder dem Künstler? – in voller Rüstung, den Kommandostab auf das Knie gestützt, abermal Wilhelm – eine schöne kräftige Gestalt in Lebensgröße von Bronze gegossen. Er ragt halb aus dem Tempel heraus und blickt in die Kirche. Jetzt stellt euch das Ganze vor; den unverhältnißmäßig kleinen Tempel, den Sarkophag mit der Todtengestalt, die ihn ganz ausfüllt, und diesen Wilhelm am Eingang, der dem Ganzen den Rücken zukehrt, so kann es euch nicht entgehen, daß der bronzene Wilhelm wie ein Kutscher dasitzt, der den marmornen Wilhelm in die Ewigkeit hinein fährt, indeß Fama, hinten aufstehend, die Abschiedsvisitenkarten abgiebt. Ich bin mir selbst gram, so einen widrigen Vergleich gefunden zu haben – aber er dringt sich auf, er überraschte meinen Gesellschafter als unentfliehbar, und ich beschreibe euch dieses Denkmal so genau, damit ihr euern Ge357schmack reinigt, indem ihr streng dem Einfachen, Wahren nachstrebt. Die Arbeit an diesem Kunstwerk scheint vortreflich, das wackere Volk, das nie knikerte, wenn es auf Nationalehre ankam, hat keine Kosten gescheut, und der Held, den es der Nachwelt einführen sollte, hat dieses Denkmal so reichlich verdient, daß er keines steinernen Denkmals bedarf. Und nun steht die schöne Arbeit da, und muß mir solche fatale Gedanken erregen.

    In eben dieser Kirche ist ein einfaches, altes Denkmal – ich denke, von Jan Hill, eines Admiral; es ist alt und einfältig, aber erfreute mich in seinem alten, frommen Sinne, denn der Todte liegt ruhig da in seiner betenden Stellung, und in dem kleinen Dome, der sich über ihn wölbt, hängt eine brennende Lampe. Ich denke, sie mag ehemals wirklich da gehangen und gebrannt haben, und das Ganze eine sehr alte Stiftung seyn. Jetzt ist sie auf dem Grund gemalt, machte mir aber noch eine angenehme Täuschung.

    Erasmus Denkmal, rechts von Wilhelm von Oranien seinem, ist ganz neu, aber sehr gewöhnlich – ein Aschenkrug, sein Brustbild en basrelief auf einem runden Schild an die Urne gelehnt, wie auf Briefsiegeln häufig zu sehen ist; mir däucht, 358 auch ein weinender Genius; das alles von weissem Marmor auf einem dunkelgrauen Grunde und mit einer weißen Draperie umgeben – nichts mehr und nichts weniger! – Oben auf der Höhe der abgestumpften Pyramide, welche das Ganze zusammenhält, waren die Todtenköpfe mit kreuzweis gelegten Beinen nirgend vergessen – diese kunstwidrigen Schreckbilder! – wie ist doch des Menschen Sinn zu dieser barbarischen Vorstellung gekommen? Warum ist das Knochenbild mehr Bild des nicht mehr Lebens, als die schlafende Gestalt der Leiche durch alle Veränderungen durch, bis Blumen aus der Asche keimen? – Wer hat je die Wirkung des legalisirten und autorisirten Todesschreckens in den letzten Jahrtausenden berechnet?

    In der zweiten Kirche sah ich ein Denkmal des Admirals Tranp, das seine Gebeine deckt. Es stellte, so wie Hill und Wilhelm seines, nichts Historisches dar, sondern einige Allegorien, Basreliefs, Trophäen und Todtenköpfe, und an der Vorderseite des Sarkophags die Schlacht, wo er gegen Albemarl sein Leben verlor. Daß Schiffe und Kanonenschüsse und Meereswogen kein Gegenstand des Meissels sind, bedarf wohl keiner Be359merkung – und mehr kann ich euch von keinem der andern Denkmale sagen – sie erregen mir nur unangenehme Empfindungen; mein Gefühl für Verdienst, Ruhm und Kunst ist gleich wenig befriedigt.

    Von Delft näher gegen Rotterdam wird das Land linker Hand sehr widrig. Man übersieht ungeheure Torfstechereien, die nun unter Wasser stehen – hie und da tritt ein schwarzer, keimloser Boden heraus, zuweilen kleine Strecken überschwemmter Wiesen, deren Halme durch das Wasser schimmern. – Der Himmel hatte sich umwölkt, die Landschaft hat etwas unendlich trübes! Auf Erden der vom trügerischen Elemente verschlungene Boden, und über ihm die schwankenden Wolkengestalten, die sich chaotisch mit dem trüben Gewässer vermischen.

    Ich eilte von dieser phantastischen Ansicht zu der ... technischen, und ließ mir eine neu angelegte Schleuse zeigen, die in den Leck, der uns stets zur linken Hand floß, die Gewässer des nächsten Torfmoors ausleert, denn hier waren schon ein paar Mühlen gebaut, und in vollem Gange, und in den nächsten zwei Jahren versprach man mir Weideland, wo jetzt das öde Wasser seine stinkenden Dünste 360 aushauchte. Hier sollten nun Gräben gezogen und Polder eingedeicht werden, und mit dieser erheiternden Aussicht beschäftigt, nahte ich mich Rotterdam.

    Ich wollte, ihr sähet Rotterdam. Wenn die Menschenwerke so konsequent groß sind, daß ihr Anblick an den Götterfunken mahnt, der sie erschuf, so machen sie einen sehr schönen Eindruck. Diese Stadt ist für den Handel geschaffen – das sagt der erste Blick, und alle nähere Betrachtungen bestätigen es. Die breiten Kanäle, allenthalben mit Quadersteinen eingefaßt, sind in vielen Straßen mit hohen Bäumen bepflanzt, neben denen breite Wege hergehen, und feste, schön gemauerte Häuser umgeben sie. Auf den Kanälen, die des nahen Stromes wegen ein viel bewegteres Wasser haben, als in Amsterdam, liegen unzählige Schiffe aller Nationen, und vor den schönen Häusern erblickt man durch die freundlichen Zweige der Buchen und Linden Dreimaster und Ostindienfahrer, und hört die verschiedensten Zungen reden, auf den wandelnden Wohnungen, die hier auf eine Zeitlang Ansassen geworden scheinen. Die Gewohnheit macht, daß man die Schiffe der verschiedenen Nationen sogleich an der Bauart er361kennt, und so sieht man heut einen Nachbar fortsegeln, der sein Haus nach Tornea führt, und morgen früh steht vielleicht ein Nachbar, der vor sechs Wochen im Tajo wohnte, und einem andern die Hand bietet, der so eben von dem Völker scheidenden Rheinstrom anlangte. Was ist dieses Menschenvereinen für eine schöne Seite des Handels! – Daß dieser Trieb beides so grausam in sich verbinden muß, dieses Aufsuchen der fernsten Nationen, weil die Natur ihre Güter weise über den Erdball vertheilte, und das starre Vereinzeln, weil der Eigennutz allein am mehrsten zu besitzen wähnt.

    Wenn dieser Anblick in dem jetzigen unglücklichen Augenblick, wo aller Handel gelähmt ist, so reich und mannichfaltig ist, was muß er erst in ruhigen Zeiten seyn? besonders der des Hafens. Die Maas ist hier ein breites majestätisches Gewässer, das die schwersten Schiffe in die Kanäle einführt – der Hafen von Amsterdam erlaubt das bekanntlich nicht, sie müssen an dem Pampus erleichtert werden, weil er zu seicht ist, geladene Schiffe zu tragen. – Die gegenüber liegenden Ufer haben nichts ausgezeichnetes, sie sind meist mit Buschwerk geziert, aber so niedrig, daß sie 362 nur die Thurmspitzen der nahgelegenen Orte zeigen; doch das Leben nah um mich her machte das Ferne verschwinden. Es wehte ein bitter kalter Nordost, bei dem dennoch viele Fahrzeuge den Strom herab, meistens in den Hafen einsegelten. Die Schnelligkeit der Bewegung, die Gewalt, mit welcher das Wasser an den Kiel hinauf gepeitscht ward, die Kunst, mit der das Steuerruder die Strömung zu gewinnen weiß, und das mächtige Element überlistend, schnell ihm zum Trotz unter den Schutz des Steindammes einläuft – das ist ein herrlicher Anblick! – und wie neugierig der müßige Zuschauer nun die Ankömmlinge mustert, wie erwartend der Geschäfts- und Handelsmann an den Quai tritt, und in seiner Kunstsprache Nachrichten einsammelt – natürlich sah ich jetzt nur Fahrzeuge, welche den Fluß herab kamen, wie muß das Schauspiel nicht an Interesse gewinnen, wenn das Meer offen ist. Ich sah ein Schiff anlanden, das Reisende nebst ihren Reisewagen führte, und beobachtete mit Vergnügen, mit welcher Leichtigkeit der Wagen aus dem Schiff heraus gewunden ward, auf die Anfahrt. Dieses Geschäft kostete nicht die mindeste Anstrengung, er hob sich, und stand auf dem Quai, der doch wohl an die 363 7 oder 8 Fuß höher, wie das Verdeck des Schiffes war, so sanft, daß ich ganz sorglos darin sitzen bleiben würde, wenn ich auf diese Weise in Rotterdam ankäm. Zwischen den vielen Fahrzeugen mit zwei und drei Segeln, die den Strom herab fuhren, lavirten auch einige gegen den Wind, um an das entgegengesetzte Ufer zu gelangen – der Anblick ist drückend; es scheint bei jeder Wendung als würf die Welle das Schiff weiter zurück, wie es vorgedrungen ist – es ward mir Bild des Lebens, ich sah mit banger Seele dahin. Einen Augenblick fangen die Segel den Wind auf, die Barke rückt in einer ängstlich gesenkten Richtung schnell fort – dann wendet sie sich, die Segel fallen muthlos zusammen, sie flattern zitternd in dem Winde, der Strom treibt das Fahrzeug im Kreise – und mit mühseliger Arbeit gibt ihm der Steuermann die Richtung wieder, mit der es fortkämpfen kann, gegen die Stürme des Himmels.

    Zwischen den schwankenden Schiffen und den schwellenden hohen Segeln kreuzten dann wieder mit unglaublicher Schnelligkeit kleine Kähne, auf denen nur ein Mann mit zwei Rudern arbeitend, Wasser und Wind zu spotten schien. Der Mensch scheint mit dem Kahne eins zu seyn, und machte 364 mirs recht lebhaft, wie die Mährchen von den Seejungfern und Seemännern entstanden seyn müssen – denn denken wir uns noch kleinere Fahrzeug, so müssen sie von Menschen, die den Anblick dieser schnellen Bewegungen nicht gewohnt sind, wie Fischschwänze, und das Ganze wie Meerungeheuer, beschrieben worden seyn.

    Links von dem Hafen ist das Schiffswerft und das Arsenal – ein schönes etwas hochliegendes Gebäude, daneben die Stückgießerei. – Es war ein Schiff von vier und neunzig Kanonen auf dem Stapel, das hier viel ungeheurer aussah, wie die, welche ich in Amsterdam in der Arbeit begriffen sah. Dort öffnet sich das Ufer gegen das weite unabsehlige Y. Dort war das Schiff schon in See gelassen, und obschon am Ufer befestigt, hatte es doch hinter und vor sich einen so weiten Raum, daß kein Vergleichspunkt seine Größe beurtheilen ließ. Hier ist das Wasserbecken, woran die Docke liegt, beschränkt, das nahe Arsenal mit seinem ernsten hohen Gemäuer, die umliegenden Gebäude alle, deren Höhe und Größe zu messen auch des Binnenländers Auge gewohnt ist, geben uns einen Begriff von der Größe des Schiffes, wenn es in seiner ganzen Höhe auf dem Ufer liegt. Das 365 Werk kam mir jetzt riesenmäßig vor. Es war bis auf das obere Verdeck vollendet, hatte also seine ganze Höhe – ein Schlagregen, den wir diesen Morgen schon gehabt hatten, hatte dieses ungeheure Holzgebäude dunkel gefärbt, und in seiner schrägen Stellung gegen das Bassin, sah es von der nächsten Kanalsbrücke wie ein Theil des Arsenals aus, der durch ein Erdbeben abgerissen, und gegen die Tiefe gesenkt wäre. Die Anzahl neugegossener Kanonen, die hier in langen Reihen bis auf eine weite Strecke neben einander lagen, schien mir unzählbar. Lavetten, Tauwerk, Anker waren aufgehäuft auf beiden Seiten, daß ich mich wie in ein Labyrinth in den Zwischenräumen verlohr, und wohl begriff, daß das Kriegsschiff, was vorige Woche neugebaut die Maas herabsegelte, und das, was jetzt seiner Vollendung nahe war, so wie ein drittes, das so eben auf die Docke gebracht wurde, diese Vorräthe kaum anbräche, vielweniger verminderte. Wenn wir Binnenländer von unsern sparsamen schläfrigen Flußfahrten hieher kommen, fangen wir an, die jetzige Niedergeschlagenheit der seehandelnden Nationen zu begreifen. – Die vielen hundert Fahrzeuge, die jetzt hier vor Anker liegen, sind gezwungen, da sie hät366ten in Friedenszeiten schon vielmals mit andern Hunderten abgewechselt – welche Stockung muß dieses durch alle Gewerbe verbreiten! Diese schmerzliche Betrachtung führt dann wieder zur erfreulichen von den Hülfsquellen, die einem kultivirten, durch Gesetze geregelten Volke zu Gebote stehen. Ohne Zweifel verarmen die Menschen, allein sie warten doch, und im Warten entstehen wieder Mittel zum warten. Denken wir uns einen Hafen oder Handelsort der Levante unter ähnlichem Drucke – was würde aus so einer Stadt und ihren Bewohnern? Wohl mag die Verarmung manchen hier demoralisiren, aber die Beschränkung belebt auch aufs neue manches sittliche Gute, und der Charakter dieses braven Volks, so wie die Züge, die ich aufsammelte, müsten mich trügen, oder dem größern Theil der Holländer entstehen aus ihrer unglücklichen Lage noch die sittlichen Vortheile der Beschränkung. Diese gebiert dann ein Zusammenhalten von Kraft, die in bessern Zeiten den Wohlstand schnell wieder herstellen kann.

    Der lange Quai vom Hafen längs der Maas, würde der von mir vorgezogene Theil der Stadt seyn. – Er ist in einer Länge von einer halben Stunde mit lauter schönen Häusern besetzt, von 367 denen einige Palläste genannt werden können, so wie das Haus der ostindischen Compagnie, einige englische Handelshäuser, und eine Synagoge. Die Aussicht auf die Maas ist von nichts beschränkt, denn der Quai ist so breit, daß man aus den Häusern über die Bäume, womit er bepflanzt ist, hinwegsieht, und diese den Fußgänger doch vor dem Winde schützen. Diese Gegend leidet nicht von dem Geräusch, welches die Schifffahrt auf den Kanälen mit sich bringt, sie hat eine herrliche reine Luft, und den Anblick der segelnden Schiffe, die unaufhörlich Strom auf Strom ab gehen. Die Börse ist ebenfalls ein schönes Gebäude von gehauenen Steinen, inwendig mit einer hohen offenen Gallerie, die auf viereckigen Säulen von schönem Ebenmaße ruht. Die Form des Gebäudes ist eben so wie in Amsterdam, aber an Schönheit und Größe der Bauart läßt es die Börse von Amsterdam weit zurück.

    Ich wanderte kreuz und quer durch die Stadt, und fand mehr Leben und Bewegung hier als in irgend einem Orte, den ich in diesem Lande sah. Die Kaufladen der Obst- und Blumenhändler waren hier nicht so reichlich versehen, noch so schön ausgeschmückt, wie in der Hauptstadt – dennoch 368 gab mir, in der weit fortgerückten Jahreszeit der Anblick eines großen Platzes voll blühender Stauden eine große Freude. Das Volk ist hier, wie in ganz Holland sehr gut gekleidet, aber die Bettler sind auch hier, so wie in ganz Holland, die zerlumptesten, die ich je sah. Der Anblick ihres Schmutzes und ihrer Blöße hat etwas Schaudervolles, das sie von der übrigen Menschheit auszuschließen scheint. Wenn man bei dem Anblick eines solchen graubleichen Angesichts mit stieren Augen und rauher Stimme denkt, daß dieser Mensch vom Unglück der Zeiten in diese Lage gebracht ward, so blickt man angstvoll zu den Bewohnern der nahen Palläste auf, und sehnt sich in die niedern Hütten des Landmanns, wo die Armuth nie ihre Pfeile in das Gift peinigender Erinnerung an Ueppigkeit taucht.

    Auf meinen Wanderungen kam ich auch auf den Platz, wo Erasmus Bildsäule errichtet ist. Dieser Mann in seiner Mönchskutte und den eckigen Hut oder Barett auf dem Haupte, ist kein Gegenstand der plastischen Kunst. Es freut mich, daß sein Andenken geehrt ist, aber an der Erhaltung dieser Gestalt liegt mir wenig.

    369 Man hat bei manchen Kalender-Verbesserungen und Veränderungen, die den Heiligen geweihten Tage auf verschiedene Weise benutzen wollen. Manche Monumente von Menschen, die der Geschichte angehören, sey es der allgemeinen oder eines Volkes, einer Stadt oder Dorfes, haben mich auf den Wunsch gebracht, daß man die alten Namen doch ungestört lassen möchte, aber an ihren Tagen dem Volke etwas von ihren Namensvettern erzählen möchte, die auf die Welt gewirkt haben. – Die Mordpredigt in Oudewater, die ich im August hörte, könnte zu dieser Meinung führen, wenn ich gleich nicht wünschte, daß sie zum Beispiel diente. Die Moral würde allenthalben leicht zu finden seyn, und der Unterricht, welcher dem Volke dadurch zu Theil würde, könnte sie als Menschen und als Bürger vielleicht inniger verbinden, wie manche der Vorträge, die sie jetzt in den Kirchen vorlesen hören. – Wie aufmerksam das Volk eine solche aus geschichtlichen Darstellungen gezogne Sitten- und Tugendlehre auffaßt, lehret uns die genaue Bekanntschaft, welche das katholische Volk mit seinen Legenden hat. Wie diese frommen Geschichten zuerst erzählt worden, mußten sie den größten Enthusiasmus bewirken, 370 noch jetzt beruht auf ihnen viel Gutes und Frommes unter unserm Volke – ließe sich denn dieses Mittel, die Herzen zu bilden, nicht benutzen?

    Erasmus würde sich am wenigsten wundern, daß gerade der Anblick seiner Bildsäule diese Ideen in mir erregte. Er wünschte ja auch die sanften Uebergänge, und wollte lieber verbessern, als abschaffen.

 

 

371 Vierzehnter Abschnitt.

 

In Gouda sah ich die Pfeifenfabriken, die mir Freude machten, von denen ich euch aber nichts sage, weil ihr Beschreibungen davon lesen könnt in allen technischen Büchern; leset sie aber auch, denn die mechanischen Kunstgriffe bei dieser Arbeit sind sehr hübsch. Mit so einer irdenen, langen, wohlverzierten Pfeife zu rauchen, scheint mir die wahre Ode des Rauchens zu seyn, die persische Pfeife ist die Epopee. – Man könnte die Gattungen sehr vervielfältigen, denn die kurze, kleine Pfeife der Soldaten und Tagelöhner verdient gewiß den Rang der Knittelverse und Inprovisatoren, unter denen oft einzelne Körnlein des Schönsten aus allen Gattungen mit unter vorkommen, den Ulmer Pfeifenkopf weiß ich in keine Dichtart zu ordnen, seine unpoetische Form eignet ihn nur zum Sinnbild der plattesten Prosa.

    Man hatte mich sehr ermahnt, die Kirche zu besuchen, die ihrer schönen gemahlten Fenster we372gen berühmt ist. Diese Mahlerei ist nicht meine Sache als Kunst, und mir verhaßt, weil sie das klare Himmelslicht färbt, das mir nie unmittelbar genug zukommen kann. – Ich trat also mit einem Bischen Laune in die Kirche, sie machte aber bald der Billigkeit Platz. Ich weiß nicht, ob man etwas schöneres von Glasmahlerei sehen kann? Mir schien dieses das schönste, was ich in mancher alten Kirche aufgesucht hatte. Die Scheiben sind alle vollständig, und jedes Fenster enthält noch obendrein das Wappen des Schenkers; denn diese Gemählde sind alle fromme Stiftungen einzelner Bürger der Republik. Die Darstellungen sind meistens biblisch, oder doch aus der Kirchengeschichte, es laufen sogar einige Wunder mitunter, welche in die katholische Kirche gehören, aber hier unschuldigerweise das Bürgerrecht erworben haben. Die Anordnung der Figuren ist ganz so steif und erdrückend, wie es die Art der Darstellung und ihr Zeitalter mit sich bringt; die Köpfe stehen schaarenweise auf einem Plan, und des Königs Salomon Thron ruht felsenfest auf seiner Minister Glazen. Die Gewande sind ganz im Style des Mittelalters, und an keiner Figur ausser dem Gesicht und den Fingerspitzen ein nackter 373 Theil zu sehen, es sey denn ein unentbehrlicher krebsrother Kriegsknecht, wo es um des Glaubens willen irgend einen Acte de rigeur bedarf. Als Kunststudium müssen diese Darstellungen einen merkwürdigen Werth haben, mir Layen konnten sie gar kein Vergnügen gewähren, als das der Farben – dieses genoß ich aber auch wie ein Kind. Kein fröhlicheres Lichtspiel muß es geben, wie das Blau, das Violett, das lachende Grün! Es ist ein Zauber mit dem man im mystischen Verkehr steht, denn die Vernunft sieht ganz dumm aus, daß das Herz so leicht sich bewegt bei den bunten Strahlen des innig reinen farbenlosen Lichtes. Das Blau ist über alles schön, und bei architektonischen Verzierungen müßten sich diese Gläser auch zu modernem Gebrauche eignen. Verschiedene der Fenster stellen Säulen dar, auch Portale, zwischen denen der Himmel hervorblickt – so herrlich, so strahlend, daß es war, als müßte man die wirbelnden Lerchen darin hören. Und es war draussen eben ein wolkiger Himmel, aus dem nur selten die Sonne hervorbrach – dann war aber der Glanz der Farben dem Auge so schmerzhaft, daß ich die meinigen abwärts wandte, und mich an ihrem Widerschein auf dem Kirchenboden freute – 374 da mahlten sie in mattem Schimmer sanfte Tinten auf die grauen Grabsteine. Das thut ja der Widerschein des Himmelslichtes auf allen Gräbern. –

    Ich hatte einen holländischen Katalog, oder Beschreibung jedes der Fenster mitgenommen, konnte also des Führers entbehren, welcher sonst Fremde begleitet. Da mir die Geschichten jedes Fensters wenig Interesse einflößten, hatte ich mich gar nicht um sie bekümmert, bis ich eine wunderbare Stimme erschallen hörte, die von diesem, von mir vernachläßigten Führer, herrührte, der ein halbes Dutzend wißbegierige Fremde umherleitete. Der Mensch, eine lange, knochigte, breite Gestalt mit rabenschwarzer Stutzperücke, hielt in der einen Hand das Büchlein, in der andern ein langes Rohr mit silbernem Knopf, mit dem er auf die jedesmalige Darstellung deutete, und dessen Bewegung die Augen der Fremden erstaunt und hinstarrend folgten. Es sollten Juden seyn, wie man mir sagte, und das mischte eine wunderliche Empfindung von wehmüthigem Staunen in meine Lustigkeit über die Macht, mit der die gesellschaftlichen Verhältnisse, die lebhaftesten Gefühle bannen, so daß diese Juden das Sanhedrin, und den 375 Herodes, Gethsemane und die Hirten an der Krippe sich vordemonstriren ließen, wobei es die Beschreibung an derben Abzeichnungen ihres Volks nicht fehlen ließ. Mein holländischer Cicerone sprach seine Erklärung in einem harten Leierton, der auf meine Ohren bald die Wirkung von dem Geklapper einer Mühle hatte; allein sein Geist konnte sich innerhalb des engen Raums seiner gedruckten Beschreibung nicht beschränken lassen, sondern durchbrach die Schranken sehr oft in einem, um ein paar Oktav höhern, Ton und viel schnellern Takt, indem er eigne Bemerkungen und Nutzanwendungen hinzufügte. Hatte er diesem Drange genügt, so klapperte die Mühle seiner historischen Beschreibung wieder fort, bis ein neuer Zusatz die Schütte vorzuschieben gebot. Die Stimme dieses Menschen in der weiten widerhallenden Kirche machte den possirlichsten Eindruck von der Welt! Ich hätte mich nicht von ihr trennen können, bis er am Ende seines Buchs war, sondern folgte ihn mit sehr gläubig ernstem Gesicht. Anfangs schien er mich mit unwilliger Geringschätzung zu betrachten, weil er es wohl mochte wahrgenommen haben, wie ich mit frechem Vorwitz meiner eigenen Einsicht trauend, dieses sein Reich und 376 Erbtheil habe durchwandeln wollen. Meine Aufmerksamkeit versöhnte aber nach und nach seinen Zorn, und er forderte durch eine ausdrucksvolle Schwenkung seines Stabes meine Blicke auf, seinem Winke zu folgen.

    Die Posse wurde durch die Ankunft des Organisten unterbrochen, den wir hatten bitten lassen, die Orgel zu spielen. Dieses Instrument ist erst vor einer Reihe Jahre gebaut, und seiner Schönheit wegen berühmt. Vor der mystischen Harmonie seiner Töne sanken die Gaukeleien, die mich so eben zerstreuet hatten, in Staub, und mein Gemüth füllte sich mit dem Vergangenen, das so schnell zum Unendlichen übergeht. Die Legende schreibt die Erfindung der Orgel einer Heiligen zu, und einer der schönsten Heiligen, der auch Raphael die jungfräulichste Stirne gab, welche ich je sah. Ich finde es billig, diesen himmelverwandten Tönen einen solchen Ursprung zu geben. Lange hörte ich ihnen zu am andern Ende der Kirche, wo ich meiner Rührung freien Lauf lassen konnte.

    Eine lebhafte Fantasie bezeichnet, wie mir meine Erfahrung beweist, jeden Gegenstand nach dem Moment, wo er den lebhaftesten Eindruck auf sie machte, und jedes Mal, das er ihr nach377her erscheint, ruft er, so gleichgültig er an und vor sich seyn möchte, jenen Moment und mit ihm fern oder näher zusammenhängende Umstände zurück. Oft sind solche Gegenstände so geringfügig, daß die Anregung der Ideen und ihr Uebergang unserm Bewußtseyn entwischt, und daber entsteht wohl die Erscheinung in unsrer Seele, daß zuweilen ohne alle scheinbare Veranlassung Bilder der Vergangenheit mit den lebendigsten Farben vor unsere Seele treten, ohne daß wir entdecken können, was sie herbei führte. Gewohnte Aufmerksamkeit auf uns selbst, oft auch Zufall, lehrt sie uns zuweilen entdecken, noch öfter mag das Räthsel, in unserm Innern verborgen, sich an dem geheimnißvollen Gang unserer nächtlichen Träume anreihen. So war ich letzthin in einem kleinen Dorfkramladen und suchte Band, meine Schuhe zu binden – plötzlich trat das Sterbezimmer und die Leichengestalt einer lieben Freundin, die vor 25 Jahren in meinen Armen starb, die ich ankleiden und zum letzten Ruhebett bereiten half, so lebhaft vor meine Augen, daß ich zerstreut den kleinen Kram betrachtete, meine Freundinnen schwatzen ließ, und nach einer guten Weile von ihnen aufgefordert ward, einen Handel abzuschließen. Ich trat also wieder an den 378 Tisch und schob die Bänder zurück, die ich, weil sie von Wolle waren, nicht brauchen konnte. Indem erblickte ich unter ihnen ein blaues Band, das ich seiner lebhaften Farbe wegen vorher aufgewickelt hatte, und plötzlich fiel mir ein, daß ich mit eben solchem Gustels Todtenkleid zusammengeheftet hatte. – In * * war ein Polizeigesetz, den Todten nur wollene Bänder ins Grab zu geben; mochte es den Luxus mindern, oder die Wollenfabriken begünstigen sollen. – Nun entdeckte ich die Entstehung meiner lebhaften Erinnerung an Gustchens Sterbezimmer durch den Anblick und das Berühren jenes wollenen Bandes. Wie oft kann ein Lichtstrahl, ein Geräusch oder Geruch eben so wirken – – der je die Bahre seines Geliebtesten mit Rosen schmückte, ist für den die Rose je wieder etwas anderes, als ein Auferstehungsbild? – und der je die Orgeltöne beim Requiem seines liebsten Todten hörte – kann der sie hören, ohne sich ganz in jenen Augenblick zu versetzen? So saß ich jetzt im fernen Westen allein in der kahlen protestantischen Kirche von Gouda, und sahe die Flammen der gelben Kerzen vor mir stehen, und die Priester das schwarze Kreuz aufheben, und die Weihrauchwolken über den schwarz behangenen 379 Sarg emporsteigen, und empfand noch einmal die Vernichtung in Schmerz, die wie die höchste Entzückung der Freude hoch über die Erde empor hebt. –

    Die Harmonie schwieg und ich folgte meinen Begleitern auf die Orgel, um das Kunstwerk näher zu betrachten. Ich fand im Organisten einen Greis von acht und siebenzig Jahren, ein Gesicht voll himmlischer Ruhe und Heiterkeit, mit blauen klaren Augen, die noch von Freundlichkeit strahlten, obgleich ihnen das Licht des Tages fast erloschen war, und sie die Noten nicht mehr erkannten. Seit sechzig Jahren, erzählte er, spiele er in dieser Kirche die Orgel; er bedürfe der Noten nicht, denn alle die Gesänge seyen in seinem Herzen, und er lerne noch jetzt neue nach dem Gehör. – Sechzig Jahre lang mit diesen rührenden Weisen die Herzen erweckt, die Herzen beruhigt zu haben! sechzig Jahre mit dem besten, in dem Gemüthe so vieler, vieler Tausende, mit Schmerz und Andacht in unsichtbarem Verkehr gestanden seyn! – Meine Theilnahme und Freude und meine nicht zu verbergende Rührung machten den heitern Greis ganz vertraut – ich bat ihn um Chorale, und er spielte mir meine liebsten: Befiehl du deine We380ge etc. und Was Gott thut etc. und Herzliebster Jesu etcc. – und seine klaren Augen, die keine Note mehr suchten, blickten dabei gen Himmel, als erkennten sie das Land deutlicher, an dessen unbekanntem Ufer nun sein kleines Lebensschiff so nahe hingleitete. Könnte ich euch doch an die ganze herrliche Stelle aus Gray verweisen, die also endigt:

Still war ihr Lebensweg und dem Geräusch entlegen,
Zufrieden wallten sie auf ihren stillen Wegen.

    Ich dachte mir, wie bald dieser liebe Greis wenige Schritte von diesem Platz, für den er sein langes Leben lebte, in der stillen Gruft ruhen würde, und diese Melodien über ihn forttönen würden, wenn sein Staub schon lange mit den belebenden Elementen wieder vereint wäre. Er sprach so heiter von diesem nahen Zeitpunkt, daß ich mit inniger Liebe wie von einem frohen Sterbenden von ihm Abschied nahm. – Wunderbare Menschenseele! – in diesem einen Moment fanden sich nun dieses Greises Seele und die meine beisammen, empfanden in einem Gebet, dachten siegjauchzend vereint den befreienden Tod – er, der nie die stillen Wasser des Lecks verließ, ich, die ein wunderbares Schicksal von Land zu Land führte – und vor und nach 381 diesem einen Moment berührten sich nie unsre Wesen.

    Vor der Thür zur Orgel entdeckten wir ein Gemälde, das einen bessern Platz verdiente, das einen Platz verdiente, wo es die Augen erfreuen und die Kunstliebenden unterrichten könnte. Die Kirchendiener wußten nicht recht, woher es sey; es habe irgendwo im Rathhause gehangen, und weil es dort an Platz fehle, sey es hierher gebracht. Das Kostüm war aus den Zeiten des Münsterschen Friedens; es stellte fünf Männer vor, von denen drei Ritter und zween Geistliche an einem Tisch mit Gespräch beschäftigt schienen. Eine Gruppe der lebendigsten Gestalten in Lebensgröße, von welchen die vorderste, wie es schien, die Hauptgestalt, nie wieder aus meiner Fantasie schwinden wird.

    Es war die einzige sitzende, ein blühender Mann, der, vom Gemälde absehend, mit übereinandergeschlagenen Beinen, einen Arm über die Stullehne gelegt, mit einer feinen Sicherheit im Blick aussieht, als sey er seiner Sache mit den andern gewiß. Er ist aber dennoch sinnend mit ihnen beschäftigt, indeß der Ritter zur Rechten mit ihm zu sprechen scheint, der zur Linken aber jenem 382 auf die Rede sieht. Die beiden hintern geistlichen Figuren scheinen aufmerksam zuzuhören, zugleich aber mit etwas beschäftigt, das ich für eine Rolle Papiere hielt – das ungünstige Licht verhinderte mich, diesen Theil des Gemäldes genau zu sehen. Aber mein vorderer Ritter genügte mir mit seinem edeln Kopf und lichtbraun lockigem Haar, schönen scharfgezeichneten Augenbraunen, und einem Blick, dessen Blitzen sein Wille hinderte, wie ein gewisser Zug am Munde bezeichnete, der Selbstbewachung ausdrückte. Ein schönes Gesicht! Eine blaue seidne Bandouliere zieht das Auge auf die elegante Gestalt. – Ob das Bild meisterhaft gemalt ist, weiß ich nicht zu beurtheilen, aber daß es die lebhafteste Theilnahme erweckt, empfand ich, und bezeugt mir das Erstaunen meiner Begleiter, so ein Bild in diesem unbesuchten Winkel zu finden. Meines Ritters Kopf und Gestalt wäre das Ideal zu Göthe’s Egmont – nicht zu dem, dessen Vater- und Gattensorge uns einen drückenden Schmerz zurückläßt, nachdem Alba’s Beil seinem Geiste eine reinere Freiheit gab, als die er für sein Volk zu erringen vermeinte.

 

 

383 Funfzehnter Abschnitt.

 

Auf der Rückreise nach Mainz. Im Oktober.

Die Blätter färbten sich, die Sonne sinkt schon früh in Westen nieder, der weite Weg, der mich von Euch trennt, scheint mir abschreckend, wenn ich ihn zu betreten gedenke, und nicht der Aufmerksamkeit werth, wenn ich mich erinnere, daß er mich zu Euch führt, daß ich an den Ufern Eures stillen Flusses einen Theil meiner langentbehrten Lieben wieder um mich her versammelt soll sehen. So schmerzlich es mir denn auch war, * * und meine liebenswürdigen Gastfreunde zu verlassen, so trat ich den 19ten Oktober doch freudig meine Rückreise an. Ich verließ Holland mit einer lebhaften Empfindung von Theilnahme, Achtung und Sorge. Die Verhältnisse dieses Volkes können nicht bleiben, wie sie sind, und jetzt schon vergiften sie die Moralität desselben, sie werden 384 sich ändern, und nicht zum Besten der Moralität, denn diese beruht auf Wohlhabenheit. Aus ihr entstand sie, das Volk wird arm werden, und sie wird mit ihr sinken. Der Gedanke ergreift mich mit Wehmuth, ich möchte mir seinen Wahn erweisen, und kann es nicht. –

    Andere Nationen erlitten auch furchtbare Erschütterungen, ihre ganze Verfassung ward umgekehrt, alle ihre Ansichten verändert, aber es war etwas in ihnen, das die Grundlage ihres Wesens erhielt. Dem Franzosen blieb Enthusiasmus für Ehre und Ruhm; dem Deutschen blieb Wissenschaft; dem Britten bleibt einst Achtung für das Gesetz. – Warum doch, da ich in diesem Lande so vieles fand, das meine Bewunderung erregte, so viele kennen lernte, die meine Achtung erwarben, dringt sich mir die Sorge auf, daß dessen Bewohner mit ihrem Gelde alles verlieren werden? –

    Ich durchreiste dieselbe Gegend, die ich im Juli besuchte. An der Waal arbeitete man noch an der Wiederherstellung der Dämme; viele der Häuser, die ich vor drei Monaten anfangen sah, waren jetzt vollendet, und scheinen noch vor dem Winter bewohnt werden zu sollen. Wir setzten 385 diesesmal nicht bei Rhenen, sondern bei Cuilenburg über den Rhein, der hier sehr breit ist, und zwar auf dem größten Floß, oder fliegenden Brücke, die ich noch sah. Es befanden sich außer unsrer Chaise noch dreizehn andere Fuhrwerke darin, ohne daß der Platz sehr überladen schien. Wir eilten so schnell, daß ich die bekannten Gegenstände nur im Fluge begrüßte. Statt bei Nimwegen über die Waal zu gehen, setzten wir schon bei Tiel über, und ich sah noch den schönen Anbau des Landes an dem linken Ufer des Flusses bis an die Thore von Nimwegen. In Cleve machte mich ein zufälliges Zusammentreffen mit dem Präfekten des Departements mit einer Thatsache aus der Geschichte der letzten Ueberschwemmung bekannt, die ich euch mittheilen muß.

    Johanna Sebus, die Tochter eines armen Mannes in einem der Dörfer, die bei dem Durchbruch der Dämme zuerst litten, sah ihre Hütte plötzlich von den Wogen umflossen. Sie lud ihre von Gliederschmerzen gelähmte Mutter auf ihre Schultern, und trug sie mit Anstrengung all’ ihrer Kräfte durch die brausenden Wasser, die unter ihren Schritten heranwuchsen, bis auf eine Höhe, wo sie gegen das Verderben gesichert war. Die 386 sich vor ihr dahin gerettet hatten, riefen ihrem Heldenmuthe Beifall zu, indeß sie, unbekümmert über den Ruhm ihrer That, der Mutter einen erträglichen Sitz zu machen suchte, und dann schweigend den Hügel hinab in die Fluth zurück eilte. Alles rief ihr zu, daß der Tod ihrer harre – sie deutete auf einen Damm, wo eine benachbarte Dame, mit der das fromme Mädchen weiter in keiner Verbindung stand, sich mit ihren zwei Kindern hingerettet hatte, und nun von einem Augenblick zum andern von dem wachsenden Wasser verschlungen zu werden bedroht war. „Die will ich retten,“ rief Johanna, und strebte durch die Fluth. Sie gelangte zu der verzweifelnden Mutter, aber weiter vermochte ihr Muth nichts. – Die Wogen waren von Moment zu Moment gestiegen, die Rückkehr, die Rettung war unmöglich. Sie bespülten schon den Boden, der die Todesopfer trug. Die elende Mutter sah schaudernd in das nahende Verderben, sah verzweifelnd auf ihre Hülfe flehenden Kinder, schlang ihr Gewand um beide, und stürzte sich mit ihnen in die Fluth. Nun stand Johanna, die diese Scene schweigend mit angesehen hatte, allein; man sah sie von der nahen Höhe, wohin sie ihre Mutter gerettet hatte, still ihre ge387falteten Hände gen Himmel gehoben, ohne Angst, ohne einen Ruf nach Hülfe – die Wogen stiegen, sie stand, sie stiegen höher, sie wankte und verschwand in der Fluth.

    Der Präfekt des Departements bewog mehrere Einwohner von Cleve, sich zu vereinen, und Johanna auf dem Hügel, wo sie sich, der leidenden Mutter zu helfen, in den Tod wagte, ein Denkmal zu stiften. Die Inschrift eines einfachen Steins ruft ihre Mitschwestern zur Nachfolge auf, und eine Allegorie bezeichnet die That. Diese ist aber nicht für den Meissel geeignet, wenn sie gleich von einem zarten dichterischen Gefühl zeugt. Das Basrelief soll einen blühenden Rosenstrauch darstellen, den die stürmenden Wogen verschlingen. Was aber durch seine Beweglichkeit zur Einbildungskraft spricht, kann die bleibende Schöpfung des Bildhauers oder Malers nicht darstellen.

    Ein Denkmal, das wohl dauernder seyn wird, wie der Stein auf Johanna’s Opferaltar, schenkte ihr Göthe. Er besang, wie mir in Cleve gesagt ward, ihren Tod. Welchen höhern Lohn kennt das Lied, als solche Thaten zu verewigen. –

    Wenn ich mich nicht vor der Beschuldigung, paradox zu seyn, scheute, so würde ich unbedingt 388 jedem Reisenden rathen, nicht zu Wasser, sondern zu Lande die Rheinufer zu bereisen. Macht er den Weg nach Cölln hinab und wieder zurück – nun so gehe er einmal zu Wasser, aber das zweite mal lasse er sich nichts abhalten, ihn zu Lande zu machen. Ich glaube, ich kann meinen Satz beweisen. Unten auf dem Rhein sehe ich nur die Ufer, welche, da sie hoch und steil sind, nie eine Aussicht, sondern ängstlich beschränkte Ansichten bieten. Für den, der wirkliche Berge und Felsen sah, haben sie dabei nie einen großen Karakter. Die alten Schlösser stellen sie, von unten hinauf gesehen, ohne allen Vorgrund, ohne alle Perspektive, guckastenmäßig dar; man übersieht immer nur den kleinen Theil, an den man hinauf sieht, weil die Gegenstände zu nahe sind. Ganz anders erblickt man sie von dem Landweg des linken Ufers – dort sehe ich in die Thäler hinein, in die Schluchten, ich übersehe neben mir die ehrwürdigen Trümmer in ihrer Absicht und Zusammenhange; die Felsen werden jetzt wirklich groß, denn sie trennen sich nun in einzelne Massen, ich sehe sie herab zu dem Flusse steigen, der tief unter mir hingleitet, und sehe sie über meinem Haupte hoch aufsteigen. Jenseits erblicke ich den ganzen Reichthum abentheuerlicher 389 Gestaltungen von Steinmassen, alle durch eine mächtige Zerstörung nach regelmäßigen Gesetzen gelagert. Die schwarzen Schluchten der Schieferberge, die dichten Schichten festen Gesteins, die Zacken des Kalkfelsens, stehen jetzt alle frei und von dem Hintergrunde getrennt vor mir. Die alten Gemäuer haben einen Hintergrund an den höhern Hügeln. Die Hütten und Häuser der Dörfer stehen in einer Entfernung, wo ihre Armseligkeit sich mir nicht aufdringt, ihre Details mich nicht in die Mühseligkeit des schweren Lebens ihrer Bewohner hinein ziehn.

    Das Schönste, was wir sehen, was wir empfinden, bleibt immer unbeschreiblich, und daher kann ich euch weniges von diesem Wege sagen, den ich in einer eigenen Stimmung machte. Es waren zwei Wesen in mir, das eine sah die Welt und sprach von ihr, das andere sah sie und schwieg. O, wie hätte das auch sprechen können! Wenn mich der Anblick der alten Schlösser vor einigen Monaten vom Rhein aus so lebhaft an die Ritterzeit erinnerte, so bereicherte die nähere Ansicht ihrer Trümmer auf der Landfahrt meine Fantasie mit Bildern der verschiedensten Zeiten. In einigen der kleinen Städtchen längs dem Ufer, in Ander390nach, in Bacherach, bezeichnet sich das Gepräge der römischen Herrschaft deutlich unter den Trümmern des Mittelalters aus. Die eckigen Thürme mit vorstehenden Friesen, von großen, rohen von der Zeit geschwärzten Feldsteinen gebaut, sprechen einen Sinn der Altherrschaft aus, nicht des nachbarlichen Haders, wie die engen Festen des rohen Rittervolks. In Bacharach ward der ernste Blick in die Vergangenheit noch durch die Trümmer einer gothischen Kirche beschäftigt, die von den Schweden im dreißigjährigen Kriege zerstört ward. Sie steht in dem obern Theile der Stadt, so, daß man unter der Stadt die hohen Bögen der gothischen Fenster mit den Resten einiges schönen alten Schnitzwerks über die schwarzen Mauern der römischen Befestigungstrümmer und neben den verfallenen Thürmen der alten Burg emporsteigen sieht. Mit welchem Fluch bezeichneten damals die Schweden ihren Retterzug in dem verworrenen, Haß erfüllten Deutschland! Von der Ostsee an die Donau, über Schwaben dem Rhein entlang, kann man ihren Schritten folgen. Wo Schutthaufen noch nach Jahrhunderten dem Anbaue entgangen sind, wo in hoher Waldung die Furchen des ehemaligen Ackers noch sichtbar werden, wo neben 391 den gebrechlichen Fähren noch große Steine den Ort in den Flüssen bezeichnen, der die Ufer nachbarlich durch Brücken verband, nennt das bange Andenken unter dem Volke den Namen der schwedischen Heere. Oft hat mir die Geschichte viel mehr Erstaunen erregt um dessentwillen, was die Menschen vergessen, als was sie leiden. Ist denn die Seltenheit von Nationalhaß, Nationalrache, ein Beweis für die Güte der menschlichen Natur, oder gegen das Daseyn des wirklichen Nationalgeistes, der mir mit dem Gefühl fürs Vaterland nahe verschwistert zu seyn scheint?

    Wenn mich der nahe Anblick der Denkmale alter Zeit lauf meinem Wege beschäftigte, genoß ich nicht weniger die Aussicht auf die mich umgebenden Gegenstände. Welche Mannigfaltigkeit, welcher Reichthum in der Ansicht der Ufer, von der ersten Erscheinung der sieben Brüder, die bald, nachdem man Cölln im Rücken hat, am rechten Rheinufer hervortreten, bis zu dem letzten hohen Uferfelsen, wo Rüdesheim sich an das Rheingau anschließt. Alle die alten Burgen mit ihren barbarischen Namen, die auf noch barbarischere Thaten hindeuten, sieht man im Fortschreiten auf dem Weg von den verschiedensten Seiten, sieht von den 392 verfallenen Festen herab halb verwachsene Fußpfade sich in die Schluchten verlieren, sieht die herabgerollten Felsenstücke schon mit Gesträuch bewachsen, die Wege versperren, auf denen sonst die Reisigen in die Burgthore einzogen, sieht den beglückenden Weinstock an den kleinen Abhängen gedeihen, von denen sonst die Belagerer ihre Angreifer mit herabrollenden Steinen zurücktrieben. Hie und da ragt aus dem Gemäuer, oft aus dem dunkeln Schlunde eines Wachtthurms ein starker Baum heraus, strebt mit seinem grünenden Haupthaar der Abendröthe entgegen, und ist ein hehrer Stundenzeiger der langen Vergangenheit, die seinen Wurzeln auf diesem Steinschutte fruchtbare Erde zusammentrug. – Der Abendröthe entgegen! – Nie sah ich einen solchen Zauber des Abendstrahls, des Sonnenlichtes, wie in diesem Herbst, auf diesem Wege! der Morgennebel war sehr stark, sehr dauernd. Wir fuhren in eine Welt grauer Erscheinungen hinein, die wandelnd und schwebend die trübe, arme Wirklichkeit in einzelnen Fragmenten darstellten. Hier trat ein grauer Fels aus der bläulichen Wolke, dort ein Kirchthurm mit seinem spitzen Dach, das mich immer an nordische Schneelasten erinnert; dann erblickte das Auge in der 393 Tiefe die gräulichen Gewässer des Rheins, still, wie vom Nebel gedrückt, dahinschleichen, bis sein schweres Gewand sie wieder umhüllte – leise rieselte dann zur Seite eine Quelle dem Felsen entlang, der Nebel theilte sich einen Augenblick, und man sah sie klagend über das satte Grün der kleinen Wiese unter niedern Zeitlosen und dunkeln Zentaureen in die Tiefe irren. Plötzlich entstand eine Bewegung in dem grauen Meere unter uns, und der grauen Decke über uns, ein leichtes Violett zeigte Wolkengestalten, trennte sie mit deutlichen Umrissen; bald verwandelte es sich zu einem durchsichtigen Roth, und der Nebel sank auf die Spitzen der Hügel wie ein röthlicher Schleier herab, durch den Felsen und Bäume und Gemäuer in schwankenden Umrissen hervortraten. Am Fuße der Hügel über den tief rauschenden Fluß kämpften nun die Wolken, sanken und stiegen, und so oft sie an das Reich des Lichts herauf traten, ward ihre Oberflache mit den Farben der Morgenröthe gemalt. Immer tiefer sank der Schleier, immer glühender ward das Licht, bald war die Dunkelheit bekämpft und die letzten Wolken zogen sich scheu in die tiefen Thäler zurück, indeß das ganze Flußthal dem Mittagsstrahl zujauchzte; mit welcher Pracht der Farben schmückte sich nun die Natur, die Herrliche! sie stirbt, wie die erhabenen Alten ihre Heroen 394 sterben lassen, wie der Gottbegeisterte Oedipus im Heiligthum der Eumeniden stirbt. Mit dem reichsten Feierkleide geschmückt, mit Jugendgluth umgeben, entschwindet ihr Leben. Nie sah ich eine solche Färbung der Blätter, der Stauden! Auf den Gipfel der Hügel waren ganze Strecken, wo die Bäume noch in dem jugendlichsten Grün prangten, daneben Birkenwäldchen, deren Blätter in ihrem sanften, einfachen Gelb das Bedürfniß nach Ruhe, nach Schlaf im Erdenschoosse aussprachen. Sie hatten den langen Sommer gelispelt in den sanften Lüften, gezittert bei ihrem Wehen, gerauscht im Sturme; nun wollten sie ruhen an der Mutter Brust. Dicht neben ihnen, zwischen ihnen, heben große, brennendrothe Gipfel ihr Haupt auf – Thaue zitterten an den Enden ihrer Zweige, und wie das Auge sich bewegte, malte sich der Iris Bild tausendfach in dem klaren Spiegel. Und dann am Fuße des Hügels kleine Wiesenstücke, deren smaragdenes Grün einen neuen Frühling hinzauberte, indeß das sanftgefärbte Colchicum mit seinem bedeutenden deutschen Namen sie mir zu einem Sinnbild machte, daß in diesem anscheinenden Todesgepräng der Natur nur ewig wiederkehrendes Leben gefeiert sey.

    Leset in irgend einer Reisebeschreibung die Namen der Orte und wie sie einander folgen, St. Quar [sic] und 395 Andernach, die Pfalz, wo die Pfalzgräfinnen ihr Kindbett halten mußten – ein unbequemer Einfall, dessen Grund und Wahrheit euch die emphatischen Nachforscher der deutschen Geschichte zeigen mögen – ferner das alte Churfürstenmonument, und die Geschichten alle des Brudermords, Weiberraubs, Todsiedens, welche jede einzelne Burg bezeichnen und ihre ehemaligen Bewohner so wenig an eine vaterländische Geschichte anknüpfen, daß sie eben sowohl auf dem Libanon oder Altai stehen könnten, ohne ein Blatt in Schröck’s Geschichte der Deutschen zu ändern – alle diese Dinge haben mich nicht sehr beschäftigt neben der Magie des scheidenden Sommers. Ich will sie einmal an meinem Schreibpult studiren; dieses Mal reiste ich so in Ahndungen vertieft, als habe ich das ganze Leben noch vor mir – hatte ichs denn aber nicht? beschränkte es denn der Schauplatz, der mich umgab? war er mir denn nicht Bild des Grenzenlosen in seiner todverkündenden Pracht?

    Nicht weit von Bonn begegnete mir ein frommer Umgang, der – ich weiß nicht, was für ein Gnadenbild besucht hatte, dessen Altar vor kurzem wieder aufgerichtet war. In diesem Wallfahrtszug ward mir die Abwesenheit der jungen Männer vom 18ten bis 25sten Jahre merklich. Zum Theil mögen sie sich nicht zu den Wallfahrern gesellen, zum Theil 396 dem Kriegsrufe gefolgt seyn. Bei dem Straßenund Brückenbau, bei dem Kanalbau, den wir zwischen Kölln und Koblenz in großer Thätigkeit fanden, bemerkte man den Mangel an rüstigen Armen gar nicht. Eine Menge Jünglinge und junger Männer waren dabei beschäftigt. An mehr als einem Orte werden große Arbeiten vorgenommen, um den Verwüstungen ein Ende zu machen, die von den Strömen bisher angerichtet wurden, welche von der Eifel dem Rheine zulaufen. Sie haben in den letzten Jahren gewaltsam verheert, da alle Vorkehrungen nur partial, nie mit vereinter Anstrengung gemacht wurden – die Regierung hat nunmehr ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die schönen Thäler, die sich auf den Fluß öffnen, vor der Willkühr der Bergfluthen zu schützen. –

    Meine frommen Wallfahrer, Männer und Weiber, sahen recht gemüthlich und wohlgenährt aus. Sie waren wohlgekleidet, und blickten den Reisenden, trotz ihrer Litaney, ganz neugierig und freundlich ins Gesicht. Ich kann mich über die Wallfahrten unmöglich recht gewaltig ärgern – würden sie gehörig eingerichtet, gehörig benutzt, so möchten sie vielleicht wohlthätiger wirken, wie manches Volksbuch. Nicht weit von Koblenz fand ich einen schönen neugefaßten Brunnen am Wege stehen. Große Bäume beschatteten ihn, Weinberge umgaben ihn, ein breiter Sitz lud den Wanderer zur Ruhe ein, und die einfache Inschrift: „Dem Wanderer,“ 397 erklärte die milde Absicht des Stifters. Sie war aber in lateinischer Sprache, diese Inschrift. War das recht? – in welcher Sprache sollte sie denn seyn? – Deutsch; aber Deutsch! höre ich allgesammt rufen. Und dabei fällt mir ein, daß die Sprache des alten Frankreichs in den neuen Departements schon sehr gemein wird. In den kleinen Städtchen, worin wir Pferde wechselten oder fütterten, belustigten mich die Knaben von zehn bis vierzehn Jahren, die an den Ecken der Gassen in der neuen Sprache vorkehrten. Die kleinen Taugenichtse nehmen dabei den Gang und die Haltung des französischen Militärs an, so, daß ich eine Menge Gedanken darüber hatte. Die alten Franzosen scheinen an dieser Amalgamation noch keinen großen Glauben zu haben, wie ich bei ein paar Gelegenheiten wahrnahm. Wie ich bei Kostheim über den Rhein setzte, hielten mich die Fährleute sehr lange auf, indeß ich mit der Schildwache sprach, die – ich weiß nicht, warum? da stand, denn das Wachthaus ist bei Cassel. Der Mensch beantwortete mir mehrere Fragen über die Belagerung von Mainz, bei der er gedient hatte, und mir that das Herz sonderbar weh, wenn er immer auf kahle Plätze wies, und sagte: da standen Bäume, dort war ein Bauerhof. – Die Herren sind etwas langsam, sagte ich endlich auf die Fährleute zeigend, die, ihre kurzen Pfeifen im Munde, unerschütterlich fortkrochen. „Das sind Deutsche, Madame, 398 sie werden noch ganz andere Sachen sehen, wenn sie weiter in das Land hinein kommen.“ Ich glaube, ich ward roth, und wäre es nicht meiner Natur zuwider gewesen, so wäre ich jetzt, da die Fähre endlich ans Ufer stieß, langsam in meinen Wagen eingestiegen, um meinen Nationalkarakter trotzig zu beweisen. –

    Der neue Weg, der nach Koblenz zu am Ufer des Rheins in die Felsen gebrochen ist, wird ein schönes Denkmal der veränderten Landesverfassung. Sonst konnte man gar nicht dem Rheinufer folgen, sondern reiste auf halsbrechenden Straßen über den Hundsrück, über Kreuznach von Mainz nach Koblenz, oder zog den noch heillosern Weg am jenseitigen Rheinufer über Lienburg, Nachstetten und das Rheingau vor. Jetzt bleibt man dem schönen Fluß immer nahe, oft ist die Straße, dem Felsen abgewonnen, funfzig bis sechzig Fuß senkrecht über die Wasserfläche erhaben, und von der andern Seite von eben so hohen Felsen begrenzt. Es wird noch an ihr gearbeitet, auch die Geländer an der Flußseite fehlen noch. Wir begegneten an dem ganzen Rheinufer hinauf oft französischen Ingenieurs, die beim Feldmessen beschäftigt waren; auch bei dem noch thätigen Arbeiten an dem neuen Wege fanden wir mehrere Aufsicht habende Officiers, deren artiges Benehmen bei unsern Fragen meinen Dank forderte.

    Von Bingen führt jetzt der Postweg über Ingelheim, wo eine neue Station ist. Die Chaussee 399 ist allenthalben mit Bäumen bepflanzt, und auf allen Feldern wachsen sechs- bis zehnjährige Obstbäume hervor. Da die Einfuhr des Obstes vom Rheingau aus erschwert ist, wächst die Obstzucht des linken Ufers ansehnlich. Die Rheingauer, die ehedem ihr Obst einst frisch nach Mainz führten, trocknen nun den größten Theil, und verkaufen ihn in das obstarme Hessen. Die neuangestellten Beamten des linken Ufers beklagen sich sehr bitterlich über die neue Zeit. – Besonders schilderte der Postmeister in Ingelheim seinen Zustand recht traurig. Der Hof, den er jetzt als Eigenthum besaß, war sonst ein geistliches Gut gewesen, und er der Pächter. Er sprach von seiner Pachtzeit, wie vom goldenen Zeitalter. Nach kurzem Gespräch lud er mich auf das höflichste ein, von seinem neuen Gastzimmer aus den Rhein zu sehen. – Die Fenster gewährten über das weinbewachsene Ufer hinweg die Aussicht auf das Rheingau. Ellfeld lag still in Nebelflor umhüllt, der Odenwald glühte im Abendstrahl – alles feierte den Schluß des Tages. Ich befand mich in einem artigen Salon mit Fußteppich, Spiegeln, zierlichem Geräth. – Der Wirth setzte mir auf meine Bitte Trauben vor – ich erkundigte mich nach der Zahl seines Viehes, den Kosten, die ein so schönes neues Gebäu machte, das seinem braven großen Wohnhause gegenüber lag, und wünschte jedem Verarmten so wohlhabend zu seyn, wie dem armen Herrn Postmeister. Indeß der Vater den Druck der Zeiten beklagte, schritt sein vierzehnjäh400riger Sohn in einem solchen kurzen, weiten Rock – ich weiß nicht, wie das Ding jetzt heißt, was einst Roquelaur, dann Surtout, Schanzelupe, Chenille – ich weiß nicht, wie, hieß, und nun bei den französischen Soldaten wohl Wachtrock heißen könnte – in so einem Rock neben mir her, ganz mit dem karakteristischen Gang eines jungen Franzosen, und erzählte mir in der neuen Sprache von den Lustparthien, welche die Mainzer nach Ingelheim machen, um den Herbst zu genießen. O Zeiten! O Sitten!

    Der Abend sank, wie wir nach Mainz hineinfuhren. Die Festungswerke sind von dieser Seite her sehr ausgedehnt. Ich betrachtete die sonderbaren Krümmungen des Wegs zwischen Schanzen, geraden Linien, Gräben und Pallisaden – alles kommt mir wie Geheimnisse des Todes vor – mit sehr ernstem Blick. – Einst ging ich hier zwischen Gärten und Hecken umher; deine Kindergestalt, stille * *, schwebt noch vor meinem Blick.

    Schon brauste der Sturm in dem nahen Frankreich, schon standen seine Krieger auf deutschem Boden, und noch wandelte ich hier, nicht ahndend, nicht träumend, wie bald dieser ganze Schauplatz verwandelt seyn würde. Ich bleibe nur wenige Tage in Mainz, dann eile ich an’s jenseitige Ufer. Schutzgeister der Menschheit, ich vertraue euch die Lieben, die ich an diesem Ufer verlasse; geleitet mich freundlich zu denen, die mich jenseits erwarten! –

 

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