Frage: Stimmt es, dass im Deutschen immer eine betonte und eine unbetonte Silbe einander abwechseln?

Antwort: Durchaus nicht; vor allem bei zusammengesetzten Wörtern folgen oft zwei betonte Silben aufeinander, so dass man beim Sprechen eine geringfügige Pause machen muss. Das betont dann zugleich die Wortfuge: Wort|fuge. Für die deutsche Lyrik ist es übrigens ein Glück, denn sonst würden die Verse entsetzlich klappern. Außerdem kann durch solche unmittelbar aufeinanderfolgenden betonten Silben, wenn sie sich gegen das Versmaß stemmen, ein Mehr an Sinn entstehen. Denken Sie an das bekannte Gedicht Septembermorgen von Eduard Mörike:

»Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.«

Das Versmaß ist der Jambus; jede Zeile beginnt mit einer unbetonten Silbe, der eine betonte folgt. Einzige Ausnahme: Herbstkräftig (Zeile 5). Welche Kraft gewinnt der Herbst des Gedichts durch diese Betonung! – zumal bereits im nächsten Silbenpaar der ruhig fließende Jambus (und damit das Stille, Gedämpfte der Stimmung) wieder zu seinem Recht kommt.