[1]
Adelung, Gramm.-krit. Wb. IV (
21801), 1101
: Die Vernunft, [...] die freye, von dem Körper nicht abhängige Vorstellungskraft der Seele, zum Unterschiede von der sinnlichen Erkenntnißkraft; oder nach andern, das Vermögen, den Zusammenhang mehrerer Dinge einzusehen, zu urtheilen und zu schließen, welches doch nur ein höherer Grad, oder eine nähere Anwendung der Vernunft ist. Die Vernunft ist das innere Unterscheidungsmerkmahl des Menschen von den Thieren[1], so wie es die Sprache[1] von außen ist. Verstand[2] ist das Vermögen zu deutlichen Vorstellungen oder allgemeiner Erkenntniß, von welchem die Vernunft nur ein höherer Grad ist, ob gleich beyde im gemeinen Leben häufig mit einander verwechselt werden.
[2]
A. v. Arnim, Ged. I (*1806..08; 1856), SW 22, 204
: Verstand kommt vom Verstehen, | Wer lahm, der kann nicht gehen [...].
[3]
Fichte, Urth. d. Publ. (1793), 407
: Wer der Autorität glaubt, sey sein Glaubensbekenntniß so kurz es wolle, ist ein Gläubiger; wer nur seiner eignen Vernunft glaubt, ist ein Freigeist.
[4]
Fichte, Rez. Aenesid. (1794),
: Die theoretische Vernunft muß über das, worüber sie etwas begreifen soll, doch wenigstens mit sich selbst einig seyn. Nun wird sie allerdings dadurch erst in sich selbst Einheit, daß sie sich eine Welt, als unbedingtes Ganze, mithin eine Ursache dieser Welt, die die erste sey, denkt; aber eben durch den Gedanken einer solchen ersten Ursache geräth sie wieder in einen unauflöslichen Widerstreit mit sich selbst, weil jede Ursache, die sie sich denken mag, den eignen Gesetzen dieser Vernunft zufolge, wieder die ihrige haben muß: mithin, obgleich die Aufgabe, eine erste Ursache zu suchen, bleibt, dennoch keine gefundne diese erste seyn kann. Die Vernunft kann also die Idee einer ersten Ursache nie realisiren, als bestimmt und gefunden annehmen, ohne sich selbst zu widersprechen. Kein Beweis aber, der auf einen Widerspruch mit sich selbst hinaus läuft, kann gültig seyn.
[5]
Herder, Gesch. d. Menschh. I (1784), 219 f. (220)
: Indessen wären alle diese Kunstwerkzeuge, Gehirn, Sinne[4] und Hand auch in der aufrechten Gestalt unwirksam geblieben, wenn uns der Schöpfer nicht eine Triebfeder gegeben hätte, die sie alle in Bewegung setzte: es war das göttliche Geschenk der Rede. Nur durch die Rede wird die schlummernde Vernunft[1] erweckt oder vielmehr die nackte Fähigkeit, die durch sich selbst ewig todt geblieben wäre, wird durch die Sprache[1] lebendige Kraft und Wirkung. Nur 〈220〉 durch die Rede wird Auge und Ohr[3], ja das Gefühl aller Sinne[4] eins und vereinigt sich durch sie zum schaffenden Gedanken, dem das Kunstwerk der Hände und andrer Glieder nur gehorchet.
[6]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 806
: In Woldemar haben sich nicht die denkenden und empfindenden Kräfte, beide für sich gebildet und gepflegt, erst in ihrer Reife vereinigt; sie sind gleichsam von Kindheit an mit einander aufgewachsen, und eigentlich haben die ersteren die letzteren erzogen. Denn die Einheit erstrebende Vernunft – die sich immer leichter mit der Phantasie[1], von der sie ihren Ideen Symbole leiht, verbindet – ist stärker in ihm, als der zergliedernde Verstand[1]. Daher sein Ringen nach allem Unvermittelten, Reinen, nach dem absoluten Daseyn. Von 〈807〉 diesem allem aber existirt in der Wirklichkeit nichts. Alles ist da vermittelt, gezeugt, vermischt, nur bedingungsweis existirend. So entsteht in Charakteren[6] dieser Gattung Abneigung gegen die empirische Wirklichkeit, und in Rücksicht auf die Empfindungsweise Abneigung gegen die Sinnlichkeit.
[7]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 813
: [I]nsofern man in der höchsten Abstraction die vernünftige Eigenschaft rein absondert, geht der Instinct einer [...] bloßen Vernunft allein auf Personalität mit Ausschließung der Person und des Daseyns, weil beide [...] Individualität verlangen. [...] Dieser Instinct umfasst [...] die doppelte Natur[1] des Menschen[1]. Er geht auf Erhaltung des Daseyns, wie jeder Trieb überhaupt: allein als auch der vernünftigen Natur[1] angehörend, nur auf Erhaltung des dem Menschen[1] eigenthümlichen Daseyns. Die eigenthümliche Natur[1] des Menschen[1] aber ist Vernunft und Freyheit[10]. Vermöge dieses Instincts ist sich der Mensch[1] daher einer Kraft bewußt, mit welcher er, allen Antrieben der Sinne[3] entgegen, allein der Vernunft zu folgen vermag; ja er fühlt sich sogar, dieß zu thun, durch einen unaustilgbaren Trieb gedrungen. Wie dieser Trieb entsteht, wie er wirkt, begreift er nicht; versucht er auch, wenn er weise ist, nicht zu erklären. Denn erklären lässt sich nur das Abhängige, Vermittelte; dieser Trieb aber ist das Letzte, Unvermittelte.
[8]
Kant, Crit. rein. Vern. (
21787), 24 f.
: Aus diesem allem ergiebt sich nun die Idee einer besondern Wissenschaft, die Critik[1] der reinen Vernunft heißen kann. Denn ist Vernunft das Vermögen, welches die Principien der Erkenntniß[1] a priori an die Hand giebt. Daher ist reine Vernunft diejenige, welche die Principien, etwas schlechthin a priori zu erkennen enthält. Ein Organon der reinen Vernunft würde ein Inbegriff derjenigen Principien seyn, nach denen alle 〈25〉 reine Erkenntnisse[2] a priori können erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die ausführliche Anwendung eines solchen Organon würde ein System der reinen Vernunft verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dahin steht, ob auch hier überhaupt eine Erweiterung unserer Erkenntniß[2] und in welchen Fällen sie möglich sey: so können wir eine Wissenschaft der bloßen Beurtheilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propädevtik zum System der reinen Vernunft ansehen.
[9]
Seume, Ged. (
31810 [
11801]), 87
: Menschen[1], Widerspruch im großen Ringe, | Räthsel in der Kette dieser Welt, | Zwischen Thier[1] und Engel Mitteldinge, | Durch Vernunft geadelt und entstellt.
[10]
Adelung, Gramm.-krit. Wb. IV (
21801), 1146
: Der Verstand[4], [...] das Vermögen, die Fähigkeit, einen andern zu verstehen, welche erste und eigentliche Bedeutung noch im gemeinen Leben häufig ist, in welcher denn auch den Thieren[1] Verstand[4] zukommt. In weiterer Bedeutung ist der Verstand[6] das Vermögen zu erkennen, so daß es auch die Sinne[4] und Einbildungskraft mit unter sich begreift, und den Thieren[1] gleichfalls zukommt. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist es das Vermögen, deutliche Begriffe[1] zu haben; in welchem Falle der Verstand[2] nur vernünftigen Geschöpfen allein zukommt, sich aber von der Vernunft in engerm Verstande[7] hinlänglich unterscheidet..
[11]
A. F. Bernhardi, Sprachlehre I (1801), 42 f. (43)
: Als höchste, einzelne Gattung tritt zulezt der Mensch[1] auf. Seinem Grundstoffe nach gehört er, wie alles Irrdische, der Erde zu. [...] Er hat bestimmte Form und Farbe; und eine innere Organisation[5], wie eine Pflanze[1]; willkührliche Bewegung, Be〈43〉dürfnisse, Instinkte, Töne[1], wie das Thier[1]; aber neben diesen allen, besizt er noch Vernunft, durch welche er eine eigne Klasse[1] mit eigenthümlichen Erscheinungen konstituirt. ➢ Volltext.
[12]
A. F. Bernhardi, Wiss. u. Kunst (1802), 75
: Nun werft einmal einen Blick auf die Natur[2], wie sie sich vor euren Augen ausbreitet, wie sie sich euch darstellt [...]. Da werdet ihr es bemerken, daß alles ausgeht von einem Einfachen, Bleibenden, Festen; sich dann zu der Organisation[5] der Pflanzenwelt und der willkührlichen Bewegung, bis zu dem Thiere[1] aufschwingt, bis sich diese in der sinnlichen Erscheinung des menschlichen Körpers schließt, die sogenannten geistigen Organe[3] beginnen, bis endlich die Vernunft als höchste Spitze die Pyramide des Universums endet. ➢ Volltext.
[13]
Ehrmann, Amalie (1788), 117
: Der Mensch[1] ist ein Thier[2], dessen Willen der Vernunft untergeordnet ist, er hat durch diesen Willen seine thierischen Triebe einzuschränken, zu verfeinern gelernt, aber aus dem Körper ganz vertilgt sind sie darum nicht, diese Triebe der schwachen Menschheit[1]; – und eben darum verdienen die Menschen[1], die man zwingt den Keim der gährenden Menschheit[1] zu unterdrükken, mein wahrhaftes Mitleid..
[14]
Fichte, Urth. d. Publ. (1793), 73 f. (74)
: Cultur[3] heißt Uebung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit[10], der völligen Unab〈74〉hängigkeit von allem, was nicht Wir selbst, unser reines Selbst ist. [...] Wird uns durch und in der Form unsers reinen Selbst [...] durch das Sittengesez in uns, unser wahrer lezter Endzweck aufgestellt, so ist alles in uns, was nicht zu dieser reinen Form gehört, oder alles, was uns zu sinnlichen Wesen macht, nicht selbst Zweck, sondern bloß Mittel für unsern höhern geistigen Zweck. Es soll uns nemlich nie bestimmen, sondern soll durch das Höhere in uns, durch die Vernunft, immer bestimmt werden. Es soll nie thätig sein, als auf das Geheiß der Vernunft; und nie auf andere Art thätig seyn, als nach der Norm, die jene ihm vorschreibt..
[15]
Fichte, Grundl. WL (1794 [1795]), 297
: Eine Reflexion auf das reflektirende [...] geschieht mit absoluter Spontaneität. [...] Durch kein Naturgesez, und durch keine Folge aus dem Naturgesetze, sondern durch absolute Freiheit[1/10] erheben wir uns zur Vernunft, nicht durch Uebergang, sondern durch einen Sprung: – Darum muß man in der Philosophie nothwendig vom Ich ausgehen, weil dasselbe nicht zu deduciren ist; und darum bleibt das Unternehmen des Materialisten, die Aeusserungen der Vernunft aus Naturgesetzen, zu erklären, ewig unausführbar..
[16]
G. Forster, Menschenraßen (1786), W 2, 100
: Weisser! der du so stolz und selbstzufrieden wahrnimmst, daß wohin du immer drangst, Geist[12] der Ordnung und Gesetzgebung den bürgerlichen Vertrag begründeten, Wissenschaft und Kunst[2] den Bau der Kultur[4] vollführen halfen; der du fühlst, daß überall im weiten volkreichen Afrika die Vernunft des Schwarzen nur die erste Kindheitsstufe ersteigt, und unter deiner Weisheit erliegt – Weisser! du schämst dich nicht am Schwachen deine Kraft zu misbrauchen, ihn tief hinab zu deinen Thieren[1] zu verstossen, bis auf die Spur der Denkkraft in ihm vertilgen zu wollen? Unglücklicher! von allen Pfändern, welche die Natur[2] deiner Pflege anbefohlen hat, ist er das edelste..
[17]
G. Forster, Cook (*1787; 1789), W 2, 109 f. (110)
: Folglich dauerte der Kampf der Ungebundenheit so lange, bis allgemeine Rechte des Menschen anerkannt wurden, und mit diesen die Begriffe[1] der Sicherheit, der 〈110〉 Freyheit[1] des Eigenthums, der gegenseitigen Pflicht, und einer durch heilsame Einschränkung bewirkten Glückseligkeit entstanden. Der Wille schien nunmehr auf einmal wieder so viel Feld zu gewinnen, als er auf einer Seite verlor. Nicht handeln dürfen, wie man will, ja vollends nach der Vorschrift eines Andern handeln müssen, war allerdings gleichsam eine Vernichtung des eigenen Willens. Allein bey diesem unvermeidlichen, sowohl negativen als positiven Zwange, hatte die Vernunft einen Schritt vorwärts gethan, und der Mensch fühlte seine Würde nun nicht mehr in körperlicher Stärke, sondern im Erkennen und Auswählen dessen, was recht und gut ist. Hier entstanden Gesetzgebung und bürgerliche Verfassung; künstliche, zerbrechliche Maschinen, die aber der höheren Kultur[4] den Weg bahnten, und desto mehr Kräfte zur Entwicklung brachten, je gewaltsamer und schneller sich ihre Räder durch einander wälzten. .
[18]
G. Forster, Kunst u. Zeitalt. (1791), 101
: Doch es ist mehr als Hypothese, [...] daß auf jenen edlen Zeitpunkt, da das Feuer der Begeisterung[1] die Menschheit[2] ergriff, ihr Sinn[5] sich aufschloß dem Schönen[1], sich nährte von den Rhapsodien des Dichters[1] und des plastischen Künstlers[1] – die größte aller Veränderungen in ihr erfolgte. Die Kunst[2] ward die Pflegerin der Wissenschaft[1]. Das schöne[1] Ebenmaas ihrer Bilder erzeugte jene abgezogenen Begriffe[1], mit denen der Mensch[2] das Sinnenall umfaßte und bald auch die unabsehbaren Gefilde der intellektuellen Sittenwelt durchdrang. Wo der Künstler[1] innig gefühlt, kühn geahndet[3] und glücklich dargestellt hatte, dort bestimmte nun der Denker die Regeln des Vollkommenen, der Symmetrie und Übereinstimmung, dort abstrahirte er die ganze Kritik[1] der Kunst[2]. Jetzt also demonstrirte und begriff man die Tugend, das liebenswürdige Sittlichschöne, welches man bis dahin in dem Rhythmus des Sängers, in des Bildhauers oder des Malers Zauberwerken empfand. Allein indem der menschliche Geist[19] sich seiner freyesten[10] Thätigkeit und insbesondere die Vernunft sich ihrer höchsten Entwickelung nahte, gieng unvermerkt die ästheti〈102〉sche Empfänglichkeit verloren. Der geistreichste Schriftsteller unseres Jahrhunderts hat irgendwo so fein als richtig bemerkt, daß auf ein geniereiches Zeitalter nur ein scharfsinniges folgen kann, und modernes[1] Verdienst nur in der Zergliederung des Verdienstes der Alten[10] besteht..
[19]
Hegel, Jacobi (1817), 11
: Was diese Philosophie [...] auf dem theoretischen Wege, das ist, im Erkennen dessen, was ist, als das Höchste findet, sind im Allgemeinen bloße Erscheinungen. Als deren Wesenheiten aber ergeben sich drey Bestimmungen, in welche sie analysirt sind, nämlich erstens ein Ding-an-sich, dem gar keine weitere Bestimmung zukommt, als dies ganz begrifflose Ding-an-sich zu seyn; zweytens das Ich des Selbstbewußtseyns, in sofern es aus sich Verknüpfungen macht, aber hiebey durch ein gegebenes Mannigfaltiges bedingt ist, und nur endliche Verknüpfungen des Endlichen hervorbringt, endlich das andere Extrem zum reinen Ding-an-sich, das Ich als reine Einheit. Ich in jener endlichen Thätigkeit hat Kant Verstand[1], Ich als die reine Einheit Vernunft genannt..
[20]
Herder, Gesch. d. Menschh. I (1784), 219 f. (220)
: Indessen wären alle diese Kunstwerkzeuge, Gehirn, Sinne[4] und Hand auch in der aufrechten Gestalt unwirksam geblieben, wenn uns der Schöpfer nicht eine Triebfeder gegeben hätte, die sie alle in Bewegung setzte: es war das göttliche Geschenk der Rede. Nur durch die Rede wird die schlummernde Vernunft erweckt oder vielmehr die nackte Fähigkeit, die durch sich selbst ewig todt geblieben wäre, wird durch die Sprache[1] lebendige Kraft und Wirkung. Nur 〈220〉 durch die Rede wird Auge und Ohr[3], ja das Gefühl aller Sinne[4] eins und vereinigt sich durch sie zum schaffenden Gedanken, dem das Kunstwerk[5] der Hände und andrer Glieder nur gehorchet..
[21]
Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. IV (1835), 341 f. (342)
: Gefühl (Aesthetik), ist die Fähigkeit der Seele (Gefühlsvermögen), die durch die äußeren Sinne[4] empfangenen Eindrücke sich als gut oder nicht gut, als schön[1] oder nicht schön[1] zu denken. 〈342〉 Ohne Denken findet kein Fühlen Statt; Gefühl lebt nur durch die Vernunft[6], d. i. durch das Erkenntnißvermögen. Das Thier[1] empfindet nur. So bewußtlos auch das Gefühl sich in uns anzukünden scheint, so unabhängig es vom Geiste[22] wirkt, so innig verbunden ist es doch mit dem höheren Denken (nicht mit dem Verstande[1], als dem niederen Erkenntnißvermögen), nämlich mit der Vernunft[1]. Das Gefühl ist die Sprache[2] der Seele, die Gesammtheit der inneren Sinne[4], die durch die äußeren in Thätigkeit versetzt werden, und durch welche der Wille angeregt wird..
[22]
Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. X (1838), 116
: Eigentliche Vernunft[1] mangelt den Thieren[1]; doch ihre Gelehrigkeit, ihr[e] sich dem menschlichen Verstande[2] so oft annähernde Entwickelungsfähigkeit sind durch viele der merkwürdigsten Beispiele hinlänglich documentirt. Die eigentliche thierische Vernunft[1] dagegen, d. i. das Vermögen, ohne eigne Ueberlegung gerade das Richtige zu ergreifen, wird Instinkt genannt. Mit diesem verwandt ist der Kunsttrieb, jene thierische Aeußerung, welche einen Stoff außer sich handhabt und, wie beim Nestbauen, einen bestimmten Gebrauch davon macht, um ihn zu ihren Zwecken zu benutzen. Und wie mannichfaltig ist nicht dieser Kunsttrieb und Instinkt, der Bau und die Gestalt der 〈117〉 Thiere[1]!.
[23]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 805
: [W]as Woldemar suchte, und wie er es suchte, konnte er nur in einer weiblichen Seele finden. Durch die Natur[1] seines Wesens nothwendig geleitet, und durch seine äußere Lage begünstigt, gehört das andre Geschlecht[2] größtentheils dem inneren Leben und Weben in eignen Ideen und Empfindungen an. Sich darauf in hoher Einfachheit beschränkend, ist das weibliche Gemüth zwar vielleicht ein minder reiches und starkes, aber gewiß ein reineres Bild desselben, als jedes andre, und daher am meisten fähig, das zu gewähren, was Woldemar schmerzlich entbehrte. Jener Trieb aber, nach dessen Gewissheit er so ängstlich strebte, und der doch kein andrer ist, als den die Philosophie sonst den uneigennützigen, die Aeußerung der praktischen Vernunft, zu nennen pflegt, ist als bloßer Trieb im Weibe[1] schon um eben so viel reicher und ununterbrochener lebhaft, als dieß alle Neigungen und Gefühle überhaupt in ihm sind. Allein auch in seiner höheren Natur[1] ist er deutlicher sichtbar. Unter allen Geschöpfen, die sich nach eignem Willen bestimmen, sind die Weiber[1] der steten immer wie〈806〉derkehrenden Ordnung der Natur[2] gleichsam am nächsten geblieben. Dadurch und durch die Mitwirkung ihres feineren Schönheitssinnes sind alle ihre, auch eigennützigen Triebe, reiner und harmonischer gestimmt, und schon ihre sanfte Schwäche verhütet ein zu häufiges Einmischen der heftigen, wechselnden Begierde. Endlich scheinen sie unmittelbar aus der Hand der Natur[13] zu kommen. Weniger, wie bey dem Manne, von eigenmächtigen Handlungen[1] des bey diesem stärkeren und thätigeren Willens durchkreuzt, ist der Inbegriff ihres Wesens ein mehr durch die Natur[13] und die Lage der Umstände gegebenes Ganze. Was man in demselben antrifft, ist sichrer aus ihrer inneren Beschaffenheit hervorgegangenes Werk der Natur[13], als eigne Schöpfung..
[24]
Kant, Crit. rein. Vern. (
21787), XXXIII f. (XXXIV)
: Gleichwol ist [...] für einen 〈XXXIV〉 [...] Anspruch des speculativen Philosophen gesorgt. Er bleibt immer ausschließlich Depositär, einer dem Publicum[1], ohne dessen Wissen, nützlichen Wissenschaft, nemlich der Critik[1] der Vernunft; denn die kann niemals populär werden, hat aber auch nicht nöthig, es zu seyn; weil, so wenig dem Volke[5] die feingesponnenen Argumente für nützliche Wahrheiten in den Kopf wollen, eben so wenig kommen ihm auch die eben so subtilen Einwürfe dagegen jemals in den Sinn[11]; dagegen, weil die Schule, so wie jeder sich zur Speculation erhebende Mensch, unvermeidlich in beide geräth, jene dazu verbunden ist, durch gründliche Untersuchung der Rechte der speculativen Vernunft einmal für allemal dem Scandal vorzubeugen, das über kurz oder lang selbst dem Volke[5] aus den Streitigkeiten aufstoßen muß, in welche sich Metaphysiker [...] ohne Critik[1] unausbleiblich verwickeln, und die selbst nachher ihre Lehren verfälschen..
[25]
Kant, Crit. rein. Vern. (
21787), XXXVII
: In den Sätzen selbst und ihren Beweisgründen, imgleichen der Form sowohl als der Vollständigkeit des Plans, habe ich nichts zu ändern gefunden; welches theils der langen Prüfung, der ich sie unterworfen hatte, ehe ich es dem Publicum[3] vorlegte, theils der Beschaffenheit der Sache selbst, nemlich der Natur[1] einer reinen speculativen Vernunft, beyzumessen ist, die einen wahren Gliederbau enthält, worin alles Organ[4] ist, nemlich Alles um Eines willen und ein 〈XXXVIII〉 jedes einzelne um aller willen, mithin jede noch so kleine Gebrechlichkeit, sie sey ein Fehler (Irrthum) oder Mangel, sich im Gebrauche unausbleiblich verrathen muß..
[26]
Kant, Crit. rein. Vern. (
21787), 674 f.
: Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiß und gegeben, und alsdenn erfodert es nur Urtheilskraft zur Subsumtion, und das Besondere wird dadurch nothwendig bestimmt. Dieses will ich den apodictischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematisch angenommen, und ist eine bloße Idee, das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Problem; so werden mehrere besondere Fälle, die insgesamt gewiß sind, an der Regel versucht, ob sie daraus fließen, und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle 〈675〉 anzugebende besondere Fälle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Fälle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen..
[27]
Kant, Crit. rein. Vern. (
21787), 692
: Der Verstand[1] macht für die Vernunft eben so einen Gegenstand aus, als die Sinnlichkeit für den Verstand[1]. Die Einheit aller möglichen empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen, ist ein Geschäfte der Vernunft, so wie der Verstand[1] das Mannigfaltige der Erscheinungen durch Begriffe[1] verknüpft und unter empirische Gesetze bringt..
[28]
Kant, Crit. d. Urtheilskr. (
21793), 258
: [D]as Schöne[2] ist das Symbol des Sittlichguten; und auch nur in dieser Rücksicht [...] gefällt es, mit einem Anspruche auf jedes andern Bestimmung [...]. Das ist das Intelligibele, worauf [...] der Geschmack hinaussieht, wozu nämlich selbst unsere oberen Erkenntnißvermögen zusammenstimmen, und ohne welches zwischen ihrer Natur[1], verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht, lauter Widersprüche erwachsen würden. In diesem Vermögen sieht sich die Urtheilskraft nicht, wie sonst in empirischer Beurtheilung, einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie giebt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens thut; und sieht sich [...] auf etwas im Subjecte selbst und außer 〈259〉 ihm, was nicht Natur[13], auch nicht Freyheit[10], doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Uebersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem practischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird..
[29]
Kant, Gemeinspruch (1793), 249 f. (250)
: Allein dieser Vertrag (contractus originarius oder pactum sociale genannt), als Koalizion jedes besondern und Privatwillens in einem Volk[1] zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen [...], ist keinesweges als ein Faktum vorauszusetzen nöthig (ja als ein solches gar nicht möglich); gleichsam als ob allererst aus der Geschichte[3] vorher bewiesen werden müßte, daß ein Volk[1], in dessen Rechte und Verbindlichkeiten wir als Nachkommen getreten sind, einmal wirklich einen solchen Aktus verrichtet, und eine sichere Nachricht oder ein Instrument[8] davon uns, mündlich oder schriftlich, hinterlassen haben müsse, um sich an eine schon bestehende Bürgerliche Verfassung 〈250〉 für gebunden zu achten. Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nehmlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volks[1] haben entspringen können, und jeden Unterthan, so fern er Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmet habe. Denn das ist der Probierstein der Rechtmäßigkeit eines jeden öffentlichen Gesetzes. Ist nehmlich dieses so beschaffen, daß ein ganzes Volk[1] unmöglich dazu seine Einstimmung geben könnte (wie z. B. daß eine gewisse Klasse[2] von Unterthanen erblich den Vorzug des Herrenstandes haben sollten), so ist es nicht gerecht; ist es aber nur möglich, daß ein Volk[1] dazu zusammen stimme, so ist es Pflicht, das Gesetz für gerecht zu halten: gesetzt auch, daß das Volk[1] itzt in einer solchen Lage, oder Stimmung seiner Denkungsart wäre, daß es, wenn es darum befragt würde, wahrscheinlicherweise seine Beistimmung verweigern würde [...]..
[30]
Kant, Metaph. d. Sitt. I (1797),
EV
: [D]ie Willkühr, die durch reine Vernunft bestimmt werden kann, heißt die freye[10] Willkühr..
[31]
Kant, Metaph. d. Sitt. II (1797), 111
: Geisteskräfte sind diejenigen, deren Ausübung nur durch die Vernunft möglich ist. Sie sind so fern schöpferisch, als ihr Gebrauch nicht aus Erfahrung geschöpft, sondern a priori aus Principien abgeleitet wird. Dergleichen sind Mathematik, Logik und Metaphysik der Natur[2], welche zwey letztere auch zur Philosophie, nämlich der theoretischen, gezählt werden, die zwar alsdann nicht, wie der Buchstabe[11] lautet, Weisheitslehre, sondern nur Wissenschaft[1] bedeutet, aber doch der ersteren zu ihrem Zwecke beförderlich seyn kann..
[32]
Kant, Metaph. d. Sitt. II (1797), 170
: Das nun in dir, was nur nach Glückseligkeit strebt, ist die Neigung; dasjenige aber, was deine Neigung auf die Bedingung einschränkt, dieser Glückseligkeit zuvor würdig zu seyn, ist deine Vernunft, und daß du durch deine Vernunft deine Neigung einschränken und überwältigen kannst, das ist die Freyheit[10] deines Willens..
[33]
Schelling, Syst. transsc. Id. (1800), 485 f. (486)
: Wenn [...] diese mit Bewußtseyn freye Thätigkeit, welche im Handeln der objectiven entgegengesetzt ist, ob sie gleich mit ihr Eins werden soll, in ihrer ursprünglichen Identität mit der objectiven angeschaut wird, welches durch Freyheit[10] schlechthin unmöglich ist, so entsteht dadurch endlich die höchste Potenz der Selbstanschauung, welche, da sie selbst schon über die Bedingungen des Bewußtseyns hinausliegt, und vielmehr das von vorn sich schaffende Bewußtseyn selbst ist, wo sie ist, als schlechthin zufällig erscheinen muß, welches schlechthin zufällige in der höchsten Potenz der Selbstanschauung das ist, was durch die Idee des Genie's[2] bezeichnet wird. | Dieß sind die unveränderlichen und für alles Wissen feststehenden Momente in der Geschichte[2] des Selbstbewußtseyns, welche in der Erfahrung durch eine continuirliche Stuffenfolge bezeichnet sind, die vom einfachen Stoff an bis zur Organisation[1] [...] 〈486〉 [...], und von da durch Vernunft und Willkühr bis zur höchsten Vereinigung von Freyheit[10] und Nothwendigkeit in der Kunst[2], [...] aufgezeigt und fortgeführt werden kann..
[34]
Schiller, Anm. u. Würd. (1793), 133
: Die Schönheit[3] ist daher als die Bürgerin zwoer Welten anzusehen, deren einer sie durch Geburt, der andern durch Adoption angehört; sie empfängt ihre Existenz in der sinnlichen Natur[11], und erlangt in der Vernunftwelt das Bürgerrecht. Hieraus erklärt sich auch, wie es zugeht, daß der Geschmack, als ein Beurtheilungsvermögen des Schönen[1], zwischen Geist[22] und Sinnlichkeit in die Mitte tritt, und diese beyden, einander verschmähenden Naturen[11], zu einer glücklichen Eintracht verbindet – wie er dem Materiellen die Achtung der Vernunft, wie er dem Rationalen die Zuneigung der Sinne[3] erwirbt – wie er Anschauungen zu Ideen adelt, und selbst die Sinnenwelt gewißermaaßen in ein Reich der Freyheit[10] verwandelt. ➢ Volltext.
[35]
Schiller, Anm. u. Würd. (1793), 139
: [S]o würde [...] der Mensch[1] in Gefahr schweben[5], gerade da, wo er sich durch den Gebrauch seiner Freyheit[10] zu den reinen Intelligenzen[2] erhebt, als Erscheinung zu sinken und in dem Urtheile des Geschmacks zu verlieren, was er vor dem Richterstuhl der Vernunft gewinnt. ➢ Volltext.
[36]
Schiller, Anm. u. Würd. (1793), 187
: In einer schönen[1] Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmo〈188〉nieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung. Nur im Dienst einer schönen[1] Seele kann die Natur[12] zugleich Freyheit[13] besitzen und ihre Form bewahren, da sie erstere unter der Herrschaft eines strengen Gemüths, letztere unter der Anarchie der Sinnlichkeit einbüßt. Eine schöne[1] Seele gießt auch über eine Bildung[10], der es an architektonischer Schönheit[1] mangelt, eine unwiderstehliche Grazie aus, und oft sieht man sie selbst über Gebrechen der Natur[12] triumphieren. Alle Bewegungen, die von ihr ausgehen, werden leicht, sanft und dennoch belebt seyn. Heiter[1] und frey wird das Auge strahlen, und Empfindung wird in demselben glänzen. ➢ Volltext.
[37]
Schiller, Anm. u. Würd. (1793), 193
: Auf die Begierde und Verabscheuung erfolgt bey dem Thiere[1] eben so nothwendig Handlung[1], als Begierde auf Empfindung, und Empfindung auf den äußern Eindruck erfolgte. Es ist hier eine stetig fortlaufende Kette, wo jeder Ring nothwendig in den andern greift. Bey dem Menschen[1] ist noch eine Instanz mehr, nehmlich der Wille, der als ein übersinnliches Vermögen weder dem Gesetz der Natur[19], noch dem der Vernunft, so unterworfen ist, daß ihm nicht vollkommen freye Wahl bliebe, sich entweder nach diesem oder nach jenem zu richten. Das Thier[1] muß streben den Schmerz los zu seyn, der Mensch[1] kann sich entschließen, ihn zu behalten. ➢ Volltext.
[38]
Schiller, Naiv. u. sent. Dicht. I (1795), 414
: Wir waren Natur[10], [...] und unsere Kultur[3/4] soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freyheit[10], zur Natur[19] zurückführen..
[39]
Schiller, Ästh. Erzieh. (1795), NA 20, 321
: Die Griechen beschämen uns nicht bloß durch eine Simplicität, die unserm Zeitalter fremd[5] ist; sie sind zugleich unsre Nebenbuhler, ja oft unsre Muster in den nehmlichen Vorzügen, mit denen wir uns über die Naturwidrigkeit unsrer Sitten zu trösten pflegen. Zugleich voll Form und voll Fülle, zugleich philosophirend und bildend, zugleich zart und energisch sehen wir sie die Jugend der Phantasie[1] mit der Männlichkeit der Vernunft in einer herrlichen Menschheit[3] vereinigen. | Damals bey jenem schönen[1] Erwachen der Geisteskräfte hatten die Sinne[3] und der Geist[22] noch kein strenge geschiedenes Eigenthum; denn noch hatte kein Zwiespalt sie gereizt, mit einander feindselig abzutheilen, und ihre Markung zu bestimmen. Die Poesie[1] hatte noch nicht mit dem Witze[2] gebuhlt, und die Spekulation sich noch nicht durch Spitzfindigkeit geschändet. .
[40]
Schiller, Ästh. Erzieh. (1795), NA 20, 393
: Es sey nun, daß die Vernunft in dem Menschen[1] noch gar nicht gesprochen habe, und das Physische noch mit blinder Nothwendigkeit über ihn herrsche; oder daß sich die Vernunft noch nicht genug von den Sinnen[3] gereinigt habe, und das Moralische dem Physischen noch diene, so ist in beyden Fällen das einzige in ihm gewalthabende Princip ein materielles und der Mensch[1], wenigstens seiner letzten Tendenz nach, ein sinnliches Wesen; mit dem einzigen Unterschied, daß er in dem ersten Fall ein vernunftloses, in dem zweyten ein vernünftiges Thier[11] ist. Er soll aber keines von beyden, er soll Mensch[1] seyn; die Natur[13] soll ihn nicht ausschließend und die Vernunft soll ihn nicht bedingt beherrschen..
[41]
Schiller, Geisters. (
31798), NA 16, 103 f. (104)
: Alle seine Vorstellungen von Religion[1] hatten etwas Fürchterliches an sich, und eben das Grauenvolle und Derbe war es, was sich seiner lebhaften Einbildungskraft zuerst bemächtigte und sich auch am längsten darin erhielt. Sein Gott war ein Schreckbild, ein strafendes Wesen; seine Gottesverehrung knechtisches Zittern oder blinde, alle Kraft und Kühnheit erstickende Ergebung. [...] So entbrannte allmählich ein stiller Groll gegen sie in seinem Herzen, welcher mit einem respektvollen Glauben und blinder Furcht in seinem Kopf und Herzen die bizarreste Mischung machte – einen Widerwillen gegen einen Herrn, vor dem er in gleichem Grade Abscheu und Ehrfurcht fühlte. | 〈104〉 Kein Wunder, daß er die erste Gelegenheit ergriff, einem so strengen Joche zu entfliehen – aber er entlief ihm wie ein leibeigner Sklave seinem harten Herrn, der auch mitten in der Freiheit[5] das Gefühl seiner Knechtschaft herumträgt. Eben darum, weil er dem Glauben seiner Jugend nicht mit ruhiger Wahl entsagt; weil er nicht gewartet hatte, bis seine reifere Vernunft sich gemächlich davon abgelöst hatte; weil er ihm als ein Flüchtling entsprungen war, auf den die Eigentumsrechte seines Herrn immer noch fortdauern – so mußte er auch nach noch so großen Distraktionen immer wieder zu ihm zurückkehren. Er war mit der Kette entsprungen, und eben darum mußte er der Raub eines jeden Betrügers werden, der sie entdeckte und zu gebrauchen verstand..
[42]
Schiller, Nothw. Grenz. (1795 [hier:
21800]), NA 21, 22
: So lange der Mensch[1] noch ein Wilder ist, seine Triebe bloß auf materielle Gegenstände gehen, und ein Egoism von der gröbern Art seine Handlungen[1] leitet, kann die Sinnlichkeit nur durch ihre blinde Stärke der Moralität gefährlich seyn, und sich den Vorschriften der Vernunft bloß als eine Macht widersetzen. Die Stimme[14] der Gerechtigkeit, der Mässigung, der Menschlichkeit wird von der lauter sprechenden Begierde überschrien. Er ist fürchterlich in seiner Rache, weil er die Beleidigung fürchterlich empfindet. Er raubt und mordet, weil seine Gelüste dem schwachen Zügel der Vernunft noch zu mächtig sind. Er ist ein wüthendes Thier[4] gegen andre, weil ihn selbst der Naturtrieb noch thierisch beherrscht..
[43]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. I (
!1801–02), KAV 1, 243 f. (244)
: [S]o untrennbar wie in einem ächten Kunstwerke[2] das, was man das poetische[2], und was man das künstliche nennen kann, sind, so untrennbar ist auch der wahre Geschmack vom wahren Genie[2]. Dieses ist eben die innigste Vereinigung der bewußtlosen und der selbstbewußten Thätigkeit im menschlichen Geiste[19], des Instinktes und der Absicht, der Freyheit[10] und der Nothwendigkeit. Deswegen, weil in ihm die ursprüngliche Entzweyung sich aufhebt, worin der Mensch[1] als ein endliches Wesen sich endlos befangen sieht, erscheint es uns auch als etwas übermenschliches, als eine göttliche Kraft, und seine Mittheilungen als wahre Offenbarungen. Darum ist auch zum Genie[2] große Eminenz der auf Erkenntniß[1] gerichteten Geisteskräfte, Einbildungskraft[1] und Verstand[1], die Kant als seine Bestandtheile angiebt, nicht hinreichend, sondern es umfaßt den ganzen innern Menschen[6], und kann in nichts geringerem bestehen, als in der Energie und innigsten Eintracht dessen was sowohl in der Sinnlichkeit 〈244〉 als in der Geistigkeit des Menschen[1] das selbständige und unbeschränkte Vermögen ist, also der Fantasie[2] (die man in diesem Sinne[1] noch von der Einbildungskraft[1] unterscheiden kann) und der Vernunft..
[44]
A. W. Schlegel, Vorles. üb. Enz. (
!1803–04), KAV 3, 51
: Das Geschäft zB. die Kritik[4] der reinen Vernunft zu kritisiren würde [...] nicht darin bestehen, die Wahrheit und den Zusammenhang der darin vorgetragnen allgemeinen Sätze zu prüfen, sondern die darin eingefloßnen Subjectivitäten aus dem Charakter[2] des Urhebers, aus dem Gange seiner Forschung und der Stellung gegen das Zeitalter zu zeigen und auszuscheiden, wodurch es allein möglich wird jene von den Buchstaben[11] zu entfesseln, und ihren wahren Gehalt an〈52〉ders als durch Nachbetung der Worte[2] Kants zusammenzufassen [...]..
[45]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. I (1809), 60
: Die nicht mit Vernunft begabten Geschöpfe sind eigentlich weder des Ernstes noch des Scherzes fähig. Die Thiere[1] scheinen zwar zuweilen zu arbeiten, als wären sie ernsthaft auf einen Zweck gerichtet, und als ordneten sie folglich den gegenwärtigen Augenblick einem künftigen unter; andremale spielen sie, d. h. sie überlassen sich zwecklos der Lust des Daseyns: aber sie haben nicht das Bewußtseyn davon, welches beyde Zustände erst zu wahrem Ernst und Scherz erheben würde. ➢ Volltext.
[46]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. I (1809), 276
: Das scherzhafte Ideal besteht [...] in der vollkommnen Harmonie und Eintracht der höhern Natur[1] mit der thierischen, als des herrschenden Prinzips. Vernunft und Verstand[1] werden als freywillige Sklavinnen der Sinne[3] vorgestellt. | Hieraus fließt nothwendig dasjenige, was im Aristophanes so viel Anstoß gegeben hat: die häufige Erinnerung an die niedrigen Bedürfnisse des Körpers, die muthwillige Schilderung des thierischen Naturtriebes, der sich trotz allen Fesseln, welche ihm Sittlichkeit und Anständigkeit anlegen wollen, immer, ehe man sichs versieht, in Freyheit[1] setzt. ➢ Volltext
.
[47]
F. Schlegel, Gespr. Poes. (1800), 101 ff. (103)
: Einen großen Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohre[4] spricht. | Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns überall an das Gebildete anschließen und auch das Höchste durch die Berührung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey 〈102〉 gleicher Würde Feindlichen entwickeln, entzünden, nähren, mit einem Worte[1] bilden. [...] | Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk[1] der Natur[2]. In ihrem Gewebe ist das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthümliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode, wenn ich so sagen darf. | Da finde ich nun eine große Aehnlichkeit mit jenem großen Witz[2] der romantischen[12/4] Poesie[22], der nicht in einzelnen Einfällen, sondern in der Construction des Ganzen sich zeigt, und den unser Freund uns schon so oft an den Werken des Cervantes und des Shakspeare entwickelt hat. Ja diese künstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widersprüchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Ironie[1], der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisazion[8] ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die älteste[1] und ursprüngliche Form der menschlichen Fantasie[2]. Weder dieser Witz[2] noch eine Mythologie können bestehn ohne ein erstes Ursprüngliches und Unnachahmliches, was schlechthin unauflöslich ist, was nach allen Umbildungen noch die alte[5] Natur[1/19] und Kraft durchschimmern läßt, wo der naive[2] Tiefsinn den Schein des Verkehrten 〈103〉 und Verrückten, oder des Einfältigen und Dummen durchschimmern läßt. Denn das ist der Anfang aller Poesie[11], den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne[1] Verwirrung der Fantasie[2], in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur[1/19] zu versetzen, für das ich kein schöneres[1] Symbol bis jetzt kenne, als das bunte[2] Gewimmel der alten[10] Götter[5]. ➢ Volltext.
[48]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 8
: Der Hauptunterschied zwischen allen unsern Vorstellungen ist der des Intuitiven und Abstrakten. Letzteres macht nur eine Klasse[1] von Vorstellungen aus, die Begriffe[1]: und diese sind auf der Erde allein das Eigenthum des Menschen[1], dessen ihn von allen Thieren[1] unterscheidende Fähigkeit zu denselben von jeher Vernunft genannt worden ist. ➢ Volltext.
[49]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 30
: Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß alle Thiere[1] Verstand[1] haben, selbst die unvollkommensten: denn sie alle erkennen Objekte, und diese Erkenntniß bestimmt als Motiv ihre Bewegungen. – Der Verstand[1] ist in allen Thieren[1] und allen Menschen[1] der nämliche, hat überall die selbe einfache Form: Erkenntniß der Kausalität, Uebergang von Wirkung auf Ursach und von Ursach auf Wirkung, und nichts außerdem. Aber die Grade seiner Schärfe und die Ausdehnung seiner Erkenntnißsphäre sind höchst verschieden, mannigfaltig und vielfach abgestuft, vom niedrigsten Grad, welcher nur das Kausalitätsverhältniß zwischen dem unmittelbaren Objekt und den mittelbaren erkennt, also eben hinreicht, durch den Uebergang von der Einwirkung, welche der Leib erlitten auf dessen Ursach, diese als Objekt im Raum anzuschauen, bis zu den höheren Graden der Erkenntniß des kausalen Zusammenhanges der bloß mittelbaren Objekte unter einander, welche bis zum Verstehn der zusammengesetztesten Verkettungen von Ursachen und Wirkungen in der Natur[2] geht. Denn auch dieses letztere gehört immer noch dem Verstande[1] an, nicht der Vernunft, deren abstrakte Begriffe[1] nur dienen können, jenes unmittelbar Verstandene aufzunehmen, und zu fixiren, nie das Verstehn selbst hervorzubringen. ➢ Volltext.
[50]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 32 f. (33)
: Das größte und in der zu betrachtenden Rücksicht lehrreiche Beispiel von Dummheit, das mir je vorgekommen, war ein völlig blödsinniger Knabe 〈33〉 von etwa elf Jahren, im Irrenhause, der zwar Vernunft hatte, da er sprach und vernahm, aber an Verstand[1] manchem Thiere[1] nachstand: denn er betrachtete, so oft ich kam, ein Brillenglas, das ich am Halse trug und in welchem, durch die Spiegelung, die Fenster des Zimmers und Baumgipfel hinter diesen erschienen: darüber hatte er jedesmal große Verwunderung und Freude, und wurde nicht müde, es mit Erstaunen zu betrachten: weil er diese ganz unmittelbare Kausalität der Spiegelung nicht einsah. ➢ Volltext.
[51]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 33 f.
: Wie bei den Menschen[1] die Grade der Schärfe des Verstandes[1] sehr verschieden sind, so sind sie zwischen den verschiedenen Thiergattungen es wohl noch mehr. Bei allen, selbst denen, welche der Pflanze[1] am nächsten stehn, ist doch so viel Verstand[1] da, als zum Uebergang von der Wirkung im unmittelbaren Objekt zum vermittelten als Ursach, also zur Anschauung, zur Apprehension eines Objekts, hinreicht: denn diese eben macht sie zu Thieren[1], indem sie ihnen die Möglichkeit giebt einer Bewegung nach Motiven und dadurch des Aufsuchens, wenigstens Ergreifens der Nahrung; statt daß die Pflanzen[1] nur Bewegung auf Reize haben, deren unmittelbare Einwirkung sie abwarten müssen, oder verschmachten, nicht ihnen nachgehn oder sie ergreifen können. In den vollkommensten Thieren[1] bewundern wir ihre große Sagacität: so beim Hunde, Elephanten, Affen, beim Fuchse, dessen Klugheit Büffon so meisterhaft geschildert hat. An diesen allerklügsten Thieren[1] können wir ziemlich genau abmessen, wie viel der Verstand[1] ohne Beihülfe der Vernunft, d. h. der abstrakten Erkenntniß in Begriffen[1], vermag: an uns selbst können wir dieses nicht so erkennen, weil Verstand[1] und Vernunft sich da immer wechselseitig unterstützen. Wir finden deshalb oft die Verstandesäußerungen der Thiere[1] bald 〈34〉 über, bald unter unserer Erwartung: einerseits überrascht uns die Sagacität jenes Elephanten, der, nachdem er auf seiner Reise in Europa schon über viele Brücken gegangen war, sich einst weigert, eine zu betreten, über welche er doch wie sonst den übrigen Zug von Menschen[1] und Pferden gehn sieht, weil sie ihm für sein Gewicht zu leicht gebaut scheint: andrerseits wieder wundern wir uns, daß die klugen Orang-Utangs das vorgefundene Feuer, an dem sie sich wärmen, nicht durch Nachlegen von Holz unterhalten: ein Beweis, daß dieses schon eine Ueberlegung erfordert, die ohne abstrakte Begriffe[1] nicht zu Stande kommt. Daß die Erkenntniß von Ursache und Wirkung, als die allgemeine Verstandesform, auch sogar a priori den Thieren[1] einwohne, ist zwar schon daraus völlig gewiß, daß sie ihnen, wie uns, die vorhergehende Bedingung aller anschaulichen Erkenntniß der Außenwelt ist: will man jedoch noch einen besonderen Beleg dazu, so betrachte man z. B. nur, wie selbst ein ganz junger Hund nicht wagt vom Tische zu springen, so sehr er es auch wünscht, weil er die Wirkung der Schwere seines Leibes vorhersieht, ohne übrigens diesen besonderen Fall schon aus Erfahrung zu kennen. Wir müssen indessen bei Beurtheilung des Verstandes[1] der Thiere[1] uns hüten, nicht ihm zuzuschreiben, was Aeußerung des Instinkts ist, einer von ihm, wie auch von der Vernunft, gänzlich verschiedenen Eigenschaft, die aber oft der vereinigten Thätigkeit jener Beiden sehr analog wirkt. ➢ Volltext.
[52]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 53 f.
: Dieses neue, höher potenzirte Bewußtseyn, dieser abstrakte Reflex alles Intuitiven im nichtanschaulichen Begriff[1] der Vernunft, ist es allein, der dem Menschen[1] jene Besonnenheit verleiht, welche sein Bewußtseyn von dem des Thieres[1] so durchaus unterscheidet, und wodurch sein ganzer Wandel auf Erden so verschieden ausfällt von dem seiner unvernünftigen Brüder. Gleich sehr übertrifft er sie an Macht und an Leiden. Sie leben in der Gegenwart allein: er dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Sie befriedigen das augenblickliche Bedürfniß: er sorgt durch die künstlichsten Anstalten für seine Zukunft [...] 〈54〉 [...]. Sie sind dem Eindruck des Augenblicks, der Wirkung des anschaulichen Motivs gänzlich anheimgefallen; ihn bestimmen abstrakte Begriffe[1] unabhängig von der Gegenwart: daher führt er überlegte Pläne aus, oder handelt nach Maximen, ohne Rücksicht auf die Umgebung und die zufälligen Eindrücke des Augenblicks, kann daher z. B. mit Gelassenheit die künstlichen Anstalten zu seinem eigenen Tode treffen, kann sich verstellen, bis zur Unerforschlichkeit, und sein Geheimniß mit ins Grab nehmen [...]. Das Thier[1] [...] bestimmt der gegenwärtige Eindruck: nur die Furcht vor dem gegenwärtigen Zwange kann seine Begierde zähmen, bis jene Furcht endlich zur Gewohnheit geworden ist und nunmehr als solche es bestimmt: das ist Dressur. Das Thier[1] empfindet und schaut an; der Mensch[1] denkt überdies und weiß. Das Thier[1] theilt seine Empfindung und Stimmung mit, durch Geberde und Laut: der Mensch[1] theilt dem andern Gedanken mit, durch Sprache[1], oder verbirgt Gedanken, durch Sprache[1]. Sprache[1] ist das erste Erzeugniß und das nothwendige Werkzeug seiner Vernunft, welche durch deren Hülfe allein ihre wichtigsten Leistungen zu Stande bringt, nämlich das übereinstimmende Handeln mehrerer Individuen, das planvolle Zusammenwirken vieler Tausende, die Civilisation, den Staat: ferner die Wissenschaft, das Aufbewahren früherer 〈55〉 Erfahrung, das Zusammenfassen des Gemeinsamen in einen Begriff[1], das Mittheilen der Wahrheit, das Verbreiten des Irrthums, das Denken und Dichten, die Dogmen und die Superstitionen. Das Thier[1] lernt den Tod erst im Tode kennen: der Mensch[1] geht mit Bewußtseyn in jeder Stunde seinem Tode näher [...]. ➢ Volltext.
[53]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 55
: Daß alle diese so mannigfaltigen und so weit reichenden Aeußerungen aus einem gemeinschaftlichen Princip entspringen, aus jener besonderen Geisteskraft, die der Mensch[1] vor dem Thiere[1] voraus hat, und welche man Vernunft, το λογιμον, ratio, genannt hat, ist die einstimmige Meinung aller Zeiten[5] und Völker[1]. Auch wissen alle Menschen[1] sehr wohl die Aeußerungen dieses Vermögens zu erkennen und zu sagen, was vernünftig, was unvernünftig sei, wo die Vernunft im Gegensatz mit andern Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen[1] auftritt, und endlich, was wegen des Mangels derselben auch vom klügsten Thiere nie zu erwarten steht. ➢ Volltext.
[54]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 57
: Wie der Verstand[1] nur eine Funktion hat: unmittelbare Erkenntniß des Verhältnisses von Ursache und Wirkung, und die Anschauung der wirklichen Welt, wie auch alle Klugheit, Sagacität und Erfindungsgabe, so mannigfaltig auch ihre Anwendung ist, doch ganz offenbar nichts Anderes sind, als Aeußerungen jener einfachen Funktion; so hat auch die Vernunft eine Funktion: Bildung[1] des Begriffs[1]: und aus dieser einzigen erklären sich sehr leicht und ganz und gar von selbst alle jene oben angeführten Erscheinungen, die das Leben des Menschen[1] von dem des Thieres[1] unterscheiden, und auf die Anwendung oder Nicht-Anwendung jener Funktion deutet schlechthin Alles, was man überall und jederzeit vernünftig oder unvernünftig genannt hat. ➢ Volltext.
[55]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 58 f.
: Der Sinn[1] der Rede wird unmittelbar vernommen, genau und bestimmt aufgefaßt, ohne daß in der Regel sich Phantasmen einmengten. Es ist die Vernunft, die zur Vernunft spricht, sich in ihrem Gebiete hält, und was sie mittheilt und empfängt, sind abstrakte Begriffe[1], nichtanschauliche Vorstellungen, welche ein für alle Mal gebildet und verhältnißmäßig in geringer Anzahl, doch alle unzähli〈59〉gen Objekte der wirklichen Welt befassen, enthalten und vertreten. Hieraus allein ist es erklärlich, daß nie ein Thier[1] sprechen und vernehmen kann, obgleich es die Werkzeuge der Sprache[11] und auch die anschaulichen Vorstellungen mit uns gemein hat; aber eben weil die Worte[1] jene ganz eigenthümliche Klasse[1] von Vorstellungen bezeichnen, deren subjektives Korrelat die Vernunft ist, sind sie für das Thier[1] ohne Sinn[1] und Bedeutung. So ist die Sprache[11], wie jede andere Erscheinung, die wir der Vernunft zuschreiben, und wie Alles, was den Menschen[1] vom Thiere[1] unterscheidet, durch dieses Eine und Einfache als seine Quelle zu erklären: die Begriffe[1], die abstrakten, nicht anschaulichen, allgemeinen, nicht in Zeit[1] und Raum individuellen Vorstellungen. Nur in einzelnen Fällen gehn wir von den Begriffen[1] zur Anschauung über, bilden uns Phantasmen als anschauliche Repräsentanten der Begriffe[1], denen sie jedoch nie adäquat sind. ➢ Volltext.
[56]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 75
: Wissen überhaupt heißt: solche Urtheile in der Gewalt seines Geistes[19] zu willkührlicher Reproduktion haben, welche in irgend etwas außer ihnen ihren zureichenden Erkenntnißgrund haben, d. h. wahr sind. Die abstrakte Erkenntniß allein ist also ein Wissen; dieses ist daher durch die Vernunft bedingt, und von den Thieren[1] können wir 〈76〉 nicht sagen, daß sie irgend etwas wissen, wiewohl sie die anschauliche Erkenntniß, für diese auch Erinnerung und eben deshalb Phantasie[1] haben, welche überdies ihr Träumen beweist. Bewußtsein legen wir ihnen bei, dessen Begriff[1] folglich, obgleich das Wort[1] von Wissen genommen ist, mit dem des Vorstellens überhaupt, von welcher Art es auch sei, zusammenfällt. Daher auch legen wir der Pflanze[1] zwar Leben, aber kein Bewußtseyn bei. ➢ Volltext.
[57]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 84
: Merkwürdig ist es [...], daß bei jener [...] Art von Thätigkeit, wo Einer allein, in einer ununterbrochenen Handlung[1] etwas ausführen soll, das Wissen, die Anwendung der Vernunft, die Reflexion ihm sogar oft hinderlich seyn kann, z. B. eben beim Billiardspielen, beim Fechten, beim Stimmen eines Instruments[3], beim Singen: hier muß die anschauliche Erkenntniß die Thätigkeit unmittelbar leiten: das Durchgehn durch die Reflexion macht sie unsicher, indem es die Aufmerksamkeit theilt und den Menschen verwirrt. Darum führen Wilde und rohe Menschen, die sehr wenig zu denken gewohnt sind, manche Leibesübungen, den Kampf mit Thieren[4], das Treffen mit dem Pfeil u. dgl. mit einer Sicherheit und Geschwindigkeit aus, die der reflektirende Europäer nie erreicht, eben weil seine Ueberlegung ihn schwanken und zaudern macht: denn er sucht z. B. die rechte Stelle, oder den rechten Zeitpunkt, aus dem gleichen Abstand von beiden falschen Extremen zu finden: der Naturmensch trifft sie unmittelbar, ohne auf die Abwege zu reflektiren. ➢ Volltext.
[58]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 125 f.
: Schon am Eingang unserer Betrachtung der Vernunft haben wir im Allgemeinen bemerkt, wie sehr das Thun und der Wandel des Menschen[1] von dem des Thieres[1] sich unterscheidet, und daß dieser Unterschied doch allein als Folge der Anwesenheit abstrakter Begriffe[1] im Bewußtseyn anzusehn ist. Der Einfluß dieser auf unser ganzes Daseyn ist so durchgreifend und bedeutend, daß er uns zu den Thieren[1] gewissermaaßen in das Verhältniß setzt, welches die sehenden Thiere[1] zu den augenlosen (gewisse Würmer und Zoophyten) haben: letztere erkennen durch das Getast allein das ihnen im Raum 〈126〉 unmittelbar Gegenwärtige, sie Berührende: die Sehenden dagegen einen weiten Kreis von Nahem und Fernem. Eben so nun beschränkt die Abwesenheit der Vernunft die Thiere[1] auf die ihnen in der Zeit[1] unmittelbar gegenwärtigen anschaulichen Vorstellungen, d. i. realen Objekte: wir hingegen, vermöge der Erkenntniß in abstracto, umfassen, neben der engen wirklichen Gegenwart, noch die ganze Vergangenheit und Zukunft, nebst dem weiten Reich der Möglichkeit: wir übersehn das Leben frei nach allen Seiten, weit hinaus über die Gegenwart und Wirklichkeit. Was also im Raum und für die sinnliche Erkenntniß das Auge ist, das ist gewissermaaßen in der Zeit[1] und für die innere Erkenntniß die Vernunft. Wie aber die Sichtbarkeit der Gegenstände ihren Werth und Bedeutung doch nur dadurch hat, daß sie die Fühlbarkeit derselben verkündigt, so liegt der ganze Werth der abstrakten Erkenntniß immer in ihrer Beziehung auf die anschauliche. Daher auch legt der natürliche[2] Mensch[1] immer viel mehr Werth auf das unmittelbar und anschaulich Erkannte, als auf die abstrakten Begriffe[1], das bloß Gedachte: er zieht die empirische und metaphysische Erkenntniß der logischen vor: umgekehrt aber sind diejenigen gesinnt, welche mehr in Worten[2], als Thaten leben, mehr in Papier und Bücher, als in die wirkliche Welt gesehn haben, und die in ihrer größten Ausartung zu Pedanten und Buchstabenmenschen werden. ➢ Volltext.
[59]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 190 f. (191)
: Je weiter abwärts, desto mehr verliert sich jede Spur von Individualkarakter in den allgemeinen der Spe〈191〉cies, deren Physiognomie auch allein übrig bleibt. Man kennt den psychologischen Karakter[1] der Gattung, und weiß daraus genau, was vom Individuo zu erwarten steht; da hingegen in der Menschenspecies jedes Individuum für sich studirt und ergründet seyn will, was, um mit einiger Sicherheit sein Verfahren zum voraus zu bestimmen, wegen der erst mit der Vernunft eingetretenen Möglichkeit der Verstellung, von der größten Schwierigkeit ist. ➢ Volltext.
[60]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 427
: Das Thier[1] [...] hat nur anschauliche, der Mensch, durch die Vernunft, auch abstrakte Vorstellungen, Begriffe[1]. ➢ Volltext.
[61]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 427 f. (428)
: [N]ur in abstracto können mehrere Vorstellungen, als Urtheile und Ketten von Schlüssen, im Bewußtsein neben einan〈428〉der liegen und dann frei[1] von aller Zeitbestimmung gegen einander wirken, bis das stärkere die übrigen überwältigt und den Willen bestimmt. Dies ist die Wahlbestimmung, welche der Mensch[1] vor dem Thiere[1] voraus hat, und welche auch eines von den Dingen ist, die sein Daseyn so sehr viel quaalvoller als das des Thieres[1] machen; wie denn überhaupt unsere größten Schmerzen nicht in der Gegenwart, als anschauliche Vorstellungen oder unmittelbares Gefühl liegen: sondern in der Vernunft, als abstrakte Begriffe[1], quälende Gedanken, von denen das allein in der Gegenwart lebende Thier[1] völlig frei[1] ist. ➢ Volltext.
[62]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 701
: Für das Vermögen der Begriffe[1] habe ich die Vernunft erklärt. Diese ganz eigene Klasse[1] allgemeiner, nicht anschaulicher, nur durch Worte[1] symbolisirter und fixirter Vorstellungen ist es, die den Menschen[1] vom Thiere[1] unterscheidet und ihm die Herrschaft auf Erden giebt. Wenn das Thier[1] der Sklave der Gegenwart ist, keine andere, als unmittelbar sinnliche Motive kennt und daher, wenn sie sich ihm darbieten, so nothwendig von ihnen gezogen oder abgestoßen wird, wie das Eisen vom Magnet; so ist dagegen im Menschen[1] durch die Gabe der Vernunft die Besonnenheit aufgegangen. Diese läßt ihn, rückwärts und vorwärts blickend, sein Leben und den Lauf der Welt leicht im Ganzen übersehn, macht ihn unabhängig von der Gegenwart, läßt ihn überlegt, planmäßig und mit Bedacht zu Werke gehn, zum Bösen wie zum Guten. Aber was er thut, thut er mit voll〈702〉kommnem Selbstbewußtseyn: er weiß genau, wie sein Wille sich entscheidet, was er jedesmal erwählt und welche andere Wahl, der Sache nach, möglich war, und aus diesem selbstbewußten Wollen lernt er sich selbst kennen und spiegelt sich an seinen Thaten. ➢ Volltext.
[63]
Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 3
: Seitdem Vernunft und Geschmack [...] wieder empor gekommen, wird das Abentheuerliche[3] von den Dichtern bloß zur Belustigung nachgeahmt. Erzählungen aus der abentheurlichen[3] Welt hergenommen, sind oft sehr ergetzend und ein Labsal des Geistes[19] in den Stunden, da man von Nachdenken ermüdet, dem Verstand[2] eine gänzliche Ruhe geben muß. Gute Werke von dieser Art haben ihren Werth. Es scheinet, daß Hr. Wieland bey Bekanntmachung seines Idris die Absicht gehabt, Deutschland ein Werk dieser Gattung zu liefern, das in seiner Art claßisch[3/4] werden sollte, so wie es der Orlando furioso des Ariost in Italien ist. Es fehlt in der That diesem Werk nicht an glänzenden poetischen[3] Schönheiten[1]; doch scheint etwas mehr, als dieses erfoderlich zu seyn, um ein Buch bey einer ganzen Nation[1] claßisch[4] zu machen..