[1]
Herder, Bef. d. Hum. VII (1796), 3 f. (4)
: Ueber diese Fragen [...] sind mir einige Fragmente zu Händen gekommen, die mir der Aufmerksamkeit [...] nicht unwerth scheinen. Die Blüthe der alten[9] Cultur[4] unter Griechen und Römern setzen sie entweder als bekannt voraus, oder es 〈4〉 fehlt die Untersuchung darüber in den mir zugekommenen Blättern. Diese bemerken vorzüglich, wie sich die mittlere und neue Europäische Cultur[4] in und durch Dichtkunst und zwar bei den verschiedenen Nationen[1] Europa's, nach besondern Veranlassungen, Hülfsmitteln und Zwecken gebildet habe?
[2]
Herder, Bef. d. Hum. VII (1796), 15 f. (16)
: Zuerst giebt ihr Fragment es selbst zu, daß auch vor der sogenannten Erwekkung der Alten[10] in jedem Fach große Männer, Denker und Dichter gelebt haben; und eben so wenig wird bezweifelt werden können, daß seit dieser Entdeckung große Männer gelebt und geschrieben haben, die von den Alten[10] wenig oder nichts wußten. Ich darf von den ersten nur Dante, von 〈16〉 den letzten nur Shakespeare anführen; wie viel andre möchten zu nennen seyn! Die größten Erfindungen sind in den Zeiten[3] gemacht, die wir barbarische, rohe Zeiten[3] nennen; vielleicht haben in ihnen auch die größesten Männer gelebet. Damals standen die Köpfe noch nicht so dicht an einander; jeder hatte zum eignen Denken freien[1] Raum; um sie war Dämmerung; desto munterer aber wirkten sie, und dorften in der Mittagssonne der Alten[10] eben noch nicht erblinden. Wie Ein Roger Baco vor hundert Commentatoren des Aristoteles gilt: so giebt es romantische[1] Gedichte der mittleren, selbst der neueren Zeit[3], bei denen man den Geschmack der Alten[10] gern vergißt und in ihnen wie im Feenreich lustwandelt. Ich erinnere Sie an so manche Romane[1], die uns der Graf Treßan und seine Gehülfen gegeben, ja 〈17〉 seit Wiederauflebung der Wissenschaften an die größesten Lichter aller cultivirten Nationen[1]. Woher nahmen Ariost und die ihm vorgingen, woher Spenser, Shakespeare und zwar in seinen rührendsten Stücken Form und Inhalt? Nicht aus den Alten[10], sondern aus der Denkart des Volks[5] und seinem Geschmack in ihren und den mittleren Zeiten[3]..
[3]
Pückler-Muskau, Andeut. Landsch. (1834), 45
: Wo wirklich alte[11] (nicht bloss im alten[13] Styl neu aufgebaute) Schlösser, als langer Familienbesitz vorhanden sind, bin ich der Meinung, dass man sie nur wohnlicher, ansehnlicher mache, aber sonst in dem alten[11] Charakter[4] möglichst erhalte, wenn auch ein weit schönerer[1] an sich denkbar wäre..
[4]
Pückler-Muskau, Andeut. Landsch. (1834), 46
: Misslungen erschienen mir [...] die Bestrebungen der Neuern, für modernen[8] friedlichen Gebrauch wieder Schlösser im alten[13] Festungsstyle, zur Wohnung aufzuführen. Die kostspielichsten Anlagen dieser Art in England sind Eatonhall und Ashridge, für die Millionen verschwendet wurden, um eine Kinderei zu schaffen, ungeheuere Burgen in Blumengärten, wo oben Créneaux und unzähliche kriegerische Wachtthürme, unten Glaswände mit exotischen Zierpflanzen angefüllt, zum baaren Unsinn werden, und deren Besitzer, wie ein lustiger Reisebeschreiber ganz richtig sagt, um analog mit ihrem Bauwerke zu bleiben, auch wie Don Qui〈47〉xotte im Harnisch und mit eingelegter Lanze in ihrem pleasureground spazieren gehen sollten. | Gothische Spielereyen sind nie anzurathen, denn sie wirken ohngefähr wie: kindisches Alter..
[5]
Rottmanner, Krit. Jacobi (1808), 35
: Mit der Philosophie des Mittelalters endigt die ideelle Ansicht der Dinge, und unter der zahlreichen Menge der späteren Philosophen ist außer Spinoza und Leibnitz auch kaum Einer, der die Philosophie in ihrer höheren Bedeutung begriffen hätte. [...] Eine gleiche Todtengestalt tritt dir in der Kunst[12] der neueren Geschichte[3] entgegen. Sie hat entweder die Absicht zu nützen oder zu gefallen, und richtet sich wie alles andere nach den Aussprüchen des für sich allein gebietenden Verstandes[1]. Jenen heiligen Sinn[1/9], jene zauberische Gluth der Phantasie[20/21] und Liebe, die Kraft 〈36〉 und kindliche Einfalt der romantischen[13] Poësie[11] suchst du in diesem Zeitraume vergebens..
[6]
Schiller, an Goethe (26. 6. 1797), NA 29, 88 f. (89)
: Wenn ich Sie neulich recht verstanden habe, so haben Sie die Idee, Ihr neues[3] episches Gedicht, die Jagd, in Reimen und Strophen zu behandeln. Ich vergaß neulich, ein Wort[2] darüber zu sagen, aber diese Idee leuchtet mir ein, und ich glaube sogar, daß dieß die Bedingung 〈88〉 seyn wird, unter welcher allein dieses neue[3] Gedicht neben Ihrem Hermann bestehen kann. Ausserdem, daß selbst der Gedanke des Gedichts zur modernen[1] Dichtkunst geeignet ist und also auch die beliebte Strophenform begünstigt, so schließt die neue[5] metrische Form schon die Concurrenz und Vergleichung aus, sie giebt dem Leser eben sowohl als dem Dichte[r] eine ganz andere Stimmung, es ist ein Concert auf einem ganz andern Instrument[3]. Zugleich participiert es alsdann von gewißen Rechten des romantischen[12/2/4] Gedichts, ohne daß es eigentlich eines wäre, es darf sich wo nicht des wunderbaren doch des Seltsamen und überraschenden mehr bedienen, und die Löwen und Tieger-Geschichte[8], die mir immer außerordentlich vorkam, erweckt dann gar kein Befremden mehr. Auch ist von den Fürstlichen Personen und Jägern nur ein leichter Schritt zu den Ritterfiguren, und überhaupt knüpft sich der vornehme Stand, mit dem Sie es in diesem Gedicht zu thun haben, an etwas Nordisches und Feudalisches an; die griechische[2] Welt, an die der Hexameter unausbleiblich erinnert, nimmt diesen Stoff daher weniger an, und die mittlere und neue[9] Welt, also auch die moderne[1] Poesie[22], kann ihn mit Recht reclamieren..
[7]
Wackenroder, an L. Tieck (11.–14. 1. 1793), VL 2, 122
: Die Minnesinger sind, so viel ich sie kenne, freil[ich] einförmig. – Die Beobachtungen für die alte[11] Sprache[3], u[nd] ihre Verwandtschaft mit der neuern, sind auch oft interressanter[1] als das poetische[4] Verdienst. Aber dies sucht man doch sehr oft nicht vergebl[ich]. Sehn wir uns, so kann ich Dir manches Schöne[1] aus dem Heldenbuche mittheilen, das ich itzt gelesen habe..
[8]
Wackenroder, an seine Eltern (23. 6. 1793), VL 2, 187
: Die Stadt [Nürnberg] selbst kann ich nicht genug mit Verwunderung ansehen; weil man kein einziges neues Gebäude, sondern lauter alte[11], vom 10ten Säc[culo] an, findet, so wird man ganz ins Alterthum[9] versetzt, u[nd] erwartet immer einem Ritter, od[er] einem Mönch, oder einem Bürger in alter[11] Tracht zu begegnen, denn die neue Tracht paßt gar nicht zu dem Kostum in der Bauart..
[9]
Wienbarg, Aesth. Feldzg. (1834), 19 f. (20)
: Man hat die Kunst[4] und Poesie[11] des Mittelalters mit dem Namen der romantischen[13], die Kunst[4] und Poesie[11] der Alten[10] mit dem Namen der klassischen[7] getauft, welcher Name und Gegensatz von einer deutschen Dichterschule, Tieck und den beiden Schlegeln, die man selbst zur neuromantischen Klasse[1] zählte, ausging, in Deutschland viel Streit und Gerede machte und seit einem Dezennium auch in Frankreich und Italien die größten Spaltungen erregte, indem die jungen französischen und italienischen Dichter sich zu den deutschen Romantikern[3] schlugen, und im Gegensatze zu den Nachahmern des altklassischen Stils sich mehr der britischen und deutschen Phantasiefülle und Regellosigkeit hingaben, worin sie hauptsächlich das Wesen der Romantik[13] erblickten. Überhaupt hat man viel Mißbrauch mit beiderlei Namen getrieben, und man ist sich noch jetzt, weder in Deutschland, noch bei unsern Nachbarn selten klar, worin denn eigentlich das unterschiedliche Wesen der einen und der andern Art bestehe. Vielleicht drückt man sich darüber am richtigsten aus, wenn man sagt, die Kunst[2] der Alten[10], das ist die Klassik[5], habe darin bestanden, daß sie jede Idee, die sie darstellen wollten, sei's mit dem Meißel, am Stoff des Marmors, sei's mit dem Griffel, am Stoff der Sprache[1], daß sie jede darzustellende Idee, so vollkommen an diesem Stoffe ausdrückten, daß nichts 〈20〉 mehr und nichts weniger als eben die Idee selbst sinnlich vor Augen trat; dagegen die Kunst[2] der Romantiker[2] darin bestand und besteht, daß sie die Idee im sinnlichen Stoff keineswegs vollkommen erschöpften, sondern nur symbolisch an ihm darstellten, so daß man bei ihren Gebilden immer etwas mehr hinzuzudenken habe, als man vor Augen sähe. Die Ursache war denn die, daß die alten[10] griechischen[1] Künstler, nach ihren Begriffen[1] von sinnlicher Form und Schönheit[1], alle diejenigen Ideen zur Darstellung verschmähten und von sich wiesen, welche sie nicht in feste Form vollkommen einfassen konnten, die Künstler und Dichter des Mittelalters aber sich kein Bedenken daraus machten, das Höchste und Tiefste, was nur die Menschenbrust fassen, aber kaum ein sterblicher Mund aussprechen konnte, symbolisch in Formen und Gestalten wenigstens anzudeuten. Daß uns eine solche Kunst[2] der Bedeutsamkeit, eine solche Symbolik der Religion[1] und der Liebe aus den Denkmälern des Mittelalters überall anweht, uns bald heimlich, bald großartig, bald abenteuerlich[3] ergreift und etwas Unendliches, Ahnungsvolles, Sehnsüchtiges in uns anregt, wird jeder gestehen, dem das Mittelalter bekannter geworden ist wie aus Büchern der neuern Zeit[3] über dasselbe..