Wortliste
Semantik 
3. ›vorgeblich in Briefform verfasster Text‹: literarische, kritische oder philosophische Textsorte, zu deren Spezifika ein fiktionaler Verfasser (bei kritischen und philosophischen B.en in der Regel gleichgesetzt mit dem realen Verfasser) sowie eine ebenfalls fiktionale – teils anonym bleibende – Einzelperson oder auch Personengruppe als Adressat bzw. Adressatengruppe gehört. Als Adressaten können auch reale Personen fungieren (was an der prinzipiellen Fiktionalität des B.s, der in Wirklichkeit ohnehin auf ein größeres Lesepublikum zielt, nichts ändert). Im Einzelfall genügt für die Charakterisierung als B. allerdings auch die im Buchtitel zu findende Angabe, dass ein Text als Antwort auf vorangegangene Anfragen geschrieben sei [7]. Spezialisierung zu 1. Dem B. kann ein Brief1 (vgl. dort) zugrunde liegen; in der Regel ist nicht zu überprüfen, ob die Behauptung, dass dies so sei, einen realen Hintergrund hat [2 ⦿]. Als Textsorte wird der B. verschiedentlich reflektiert. Sulzer [5] schreibt seine Erfindung als literarische Gattung dem Ovid zu. Für F. Schlegel ist der B. eine der wichtigsten Buchformen und äußerst romantisch1 [19]; Schelling hält Romane in B.-Form für dem Charakter1 des Romans nicht angemessen [13]; die Vielzahl solcher Romane lässt spätestens in den 1830er Jahren diese Gattung als unbeliebt erscheinen [10]. Für Bernhardi ist der Dialog als Darstellungsform philosophischer Inhalte dem B. vorzuziehen [6].
Belege 
[1] Herder, Bef. d. Hum. V (1795), 28: [I]n England [...] ist die Art eines humanisirten Vortrages durch Briefe sehr ausgebildet worden, und hat die nützlichsten Grundsätze verbreitet [...], so daß seit Addison ihre Wochenschriften, seit Richardson ihre Romane vorzüglich die Gestalt der Briefe liebten.

[2] Reichardt, Com. Op. (1774), 98: Um auch den Dichtern unsrer comischen Opern wenigstens in Ansehung der Versification etwas zu sagen, hänge ich dieser kleinen Schrift einen freundschaftlichen Brief über die musikalische[1] Poesie[3] an, den ich kürzlich an meinen Freund geschrieben. Die Herren werden ihn sich so gefallen lassen, wie er ist; ich habe weder Zeit noch Lust, ihn in irgend einem Stück abzuändern.

[3] D. Schlegel, Gespr. Rom. Frz. (1803), 102: Was Du von der Briefform sagst [...], ist [...] in der Amalia von Mansfield weit besser getroffen; die meisten Briefe darin haben, wie die Richardsonischen, das Verdienst der Wahrheit [...].

[4] Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 327: Hierüber findet man verschiedene richtige Betrachtungen in den Briefen über die neueste Litteratur.

[5] Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 534: Es ist kein geringes Verdienst an dem Ovidius, (sagt ein sehr scharfsinniger englischer Kunstrichter [...]) daß er die schöne Methode erfunden hat, unter erdichteten Charaktern[7] Briefe zu schreiben. Es ist eine große Verbesserung der griechischen Elegie, über welche die dramatische Natur[1] jener Schreibart einen ungemeinen Vorzug erhielt.

[6] A. F. Bernhardi, Sprachlehre II (1803), 219 f. (220).

[7] C. Böhmer, an Ch. Michaelis (Dez. 1787), C 1, 166 f. (167).

[8] Brockhaus, Conv.-Lex. III (1809), 357.

[9] Herder, Gesch. d. Menschh. III (1787), 294 f. (295).

[10] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. II (1834), 188.

[11] Novalis, Stud. Bild. Kunst (*1798), NS 2, 649, Nr. 480.

[12] Scheibe, Musik. Compos. (1773), 15.

[13] Schelling, Philos. d. Kunst (!1803–04), SW I, 5, 675.

[14] Schiller, an Körner (22. 4. 1787), NA 24, 93.

[15] Schiller, Ästh. Erzieh. (1795), NA 20, 309.

[16] Schiller, an Sophie Mereau (4 (?). 7. 1797), NA 29, 96.

[17] A. W. Schlegel, Vorles. philos. Kunstlehr. (
!
1798–99), KAV 1, 132.

[18] F. Schlegel, Lucinde (1799), 13 f. (14).

[19] F. Schlegel, Philos. Lehrj. VII (*1803), KFSA 18, 494, Nr. 222.

[20] A. W. Schlegel/F. Schlegel, Vorerinn. (1798), III.

[21] Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 347.

[22] Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 492.

[23] Sulzer, Allg. Theor. II (1774), 691.














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