[1]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 26
: [A]uch das Karrikierte kann charakteristisch seyn; allein es ist dagegen sogleich zu sagen, daß in der Karrikatur der bestimmte Charakter[1] zur Uebertreibung gesteigert, und gleichsam ein Ueberfluß des Charakteristischen ist. Der Ueberfluß ist aber nicht mehr das eigentlich zum Charakteristischen Erforderliche, sondern eine lästige Wiederholung, wodurch das Charakteristische selbst kann denaturirt werden. Zudem zeigt sich das Karrikaturmäßige ferner als die Charakteristik des Häßlichen[1], das allerdings ein Verzerren ist. Das Häßliche[1] seiner Seits bezieht sich näher auf den Inhalt, so daß gesagt werden kann, daß mit dem Prinzip des Charakteristischen auch das Häßliche[1] und die Darstellung des Häßlichen[1] als Grundbestimmung angenommen sey. ➢ Volltext
[2]
Krünitz, Oecon. Encycl. VIII (1776;
21785), 32
: Characteristisch, genau bezeichnend, was eine Sache von allen andern unterscheidet. Das Gemälde, das Bild ist nicht characteristisch genug, wenn es die Sache, die es vorstellen soll, nicht genug von allen andern unterscheidet.
[3]
Goethe, Dicht. u. Wahrh. III (1814), 388 f. (389)
: In seinen [sc. Klingers] Productionen, in so fern sie mir gegenwärtig sind, zeigt sich ein strenger 〈389〉 Verstand[10], ein biederer Sinn[9], eine rege Einbildungskraft[3], eine glückliche Beobachtung der menschlichen Mannigfaltigkeit, und eine characteristische Nachbildung der generischen Unterschiede. Seine Mädchen und Knaben sind frey[13] und lieblich, seine Jünglinge glühend, seine Männer schlicht und verständig, die Figuren die er ungünstig darstellt, nicht zu sehr übertrieben; ihm fehlt es nicht an Heiterkeit[4] und guter Laune, Witz[1] und glücklichen Einfällen; Allegorieen und Symbole stehen ihm zu Gebot; er weiß uns zu unterhalten und zu vergnügen, und der Genuß würde noch reiner seyn, wenn er sich und uns den heitern[5] bedeutenden Scherz nicht durch ein bitteres Miswollen hier und da verkümmerte..
[4]
Herder, Urspr. d. Spr. (1772), 73
: Bei den Morgenländern ists der gewöhnlichste Idiotismus geworden, das Anerkennen einer Sache Namengebung zu nennen: denn im Grunde der Seele sind beide Handlungen[1] Eins. Sie nennen den Menschen[1] das redende Thier[2], und die unvernünftigen Thiere[2] die Stummen: der Ausdruck ist sinnlich Charakteristisch<: und das griechische[5] ἄλογος fasset beides. Es wird so nach die Sprache[1] ein natürliches[3] Organ[1] des Verstandes[2], [...] wie sich [...] der Instinkt der Biene seine Zelle bauet. | [...] Ich kann nicht den ersten menschlichen Gedanken denken, nicht das Erste besonnene Urtheil reihen, ohne daß 〈74〉 ich in meiner Seele dialogire oder zu dialogiren strebe; der erste menschliche Gedanke bereitet also seinem Wesen nach, mit andern dialogiren zu können! Das erste Merkmal, was ich erfasse, ist Merkwort für mich, und Mittheilungswort für andre! ➢ Volltext.
[5]
Herder, Engl. u. dt. Dichtk. (1777), 423
: Hurd hat den Ursprung und die Gestalt der mittlern Ritterpoesie aus dem damaligen Zustande Europens in einigen Stücken gut, obwohl nichts minder als vollständig erkläret. Es war Feudalverfassung, die nachher Ritterzeit gebar, und die die Vorrede unsers aufgeputzten Heldenbuchs im Mährchenton von Riesen, Zwergen, Unthieren und Würmern sehr wahr schildert. Mir ist noch keine Geschichte bekannt, wo diese Verfassung recht karakteristisch für Deutschlands Poesie, Sitten und Denkart behandelt und in alle Züge nach fremden Ländern verfolgt wäre? .
[6]
Koch, Compos. II (1787), 40 f.
: Der zweyte Abweg, für welchem ich euch warnen will, besteht in einem der Absicht der Tonkunst schädlichen Witze[1]. [...] Sehet da einen Wink, den sich angehende Componisten besonders zu Nutze machen müssen, weil dieses Uebel sich auch in die Tonkunst einzuschleichen versucht hat. [...] Einmal hat man gesucht charakteristische Tonstücke einzuführen, deren Charakteristisches nicht Empfindung, sondern Spielwerk für den 〈41〉 Verstand[2] ist. Was thut der Componist der z. B. durch ein Instrumentalstück den Zerstreuten vorstellt? Das Charakteristische seines Tonstücks besteht in etwas äusserlichen; er verbindet Theile zusammen, die eigentlich nicht zusammen gehören; er macht einen ungeraden Rythmus wo wir einen geraden vermuthen, er verwechselt die weiche Tonart ohne Ursache mit der harten, u. s. w. Darinne besteht also das Charakteristische solcher Tonstücke. Wird nun vielleicht (weil der Componist auf keine Empfindung dabey auszugehen scheint) doch wenigstens durch ein solches Stück der Geist[22] des Zuhörers beschäftiget, wird er vielleicht das Vergnügen haben, zu errathen, was der Componist hat vorstellen wollen? Nein, dieses werden die Zuhörer niemals im Stande seyn; daher sucht man es ihnen dadurch im voraus bekannt zu machen, daß man das Charakteristische eines solchen Tonstücks auf den Umschlag und über die Stimmen[10] schreibt. Auf diese Art malt man in der Tonkunst Hypochondristen und Singuhren, Donnerwetter und verliebte Zänkereyen u. d. gl. Anstatt also mit der Kunst[10] auf das Herz zu würken, sucht man den Verstand[2] der Zuhörer mit Witz[1] zu beschäftigen..
[7]
Schiller, an Goethe (19. 7. 1799), NA 30, 72 f. (73)
: Ich habe mir vor einigen Stunden durch Schlegels Lucinde den Kopf so taumelig gemacht, daß es mir noch nachgeht. Sie müssen dieses Product wundershalber doch ansehen. Es characterisiert seinen Mann, so wie alles Darstellende, beßer als alles was er sonst von sich gegeben, nur daß es ihn mehr ins frazenhafte 〈73〉 mahlt. Auch hier ist das ewig formlose und fragmentarische, und eine höchst seltsame Paarung des Nebulistischen mit dem Characteristischen, die Sie nie für möglich gehalten hätten. Da er fühlt, wie schlecht er im poetischen[4] fortkommt, so hat er sich ein Ideal seiner selbst aus der Liebe und dem Witz[2] zusammengesetzt. Er bildet sich ein, eine heiße unendliche Liebesfähigkeit mit einem entsetzlichen Witz[2] zu vereinigen und nachdem er sich so constituiert hat, erlaubt er sich alles, und die Frechheit erklärt er selbst für seine Göttin. | Das Werk ist übrigens nicht ganz durchzulesen, weil einem das hohle Geschwätz gar zu übel macht. Nach den Rodomontaden von Griechheit, und nach der Zeit[6], die Schlegel auf das Studium derselben gewendet, hätte ich gehofft, doch ein klein wenig an die Simplicität und Naivetät der Alten[10] erinnert zu werden, aber diese Schrift ist der Gipfel moderner[1] Unform und Unnatur, man glaubt ein Gemengsel aus Woldemar, aus Sternbald, und aus einem frechen französischen Roman zu lesen..
[8]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (
!
1803–04), KAV 2.1, 43 f. (44)
: Ohne Unterricht in den Wissenschaften, ohne Kenntniß fremder[1] Sprachen[3], war Hans Sachs dennoch nach seiner Weise ein Gelehrter: aber sein Wissen ging durchaus aufs Praktische, auf Belehrung des Menschen in seinen reellen Verhältnissen. In diesem Sinne las er die heilige Schrift, die Geschichtbücher und Chroniken, die erdichteten Erzählungen (z. B. eines Boccaz, der eben als Thatsachen enthaltend ein 〈44〉 solches Hauptbuch für ihn war) ja auch die Fantasiereichen Dichtungen der alten Mythologie oder der ritterlichen Zeit[3]. Dazu hatte er seine jugendlichen Wanderungen benutzt, dazu mußte ihm seine klare und sinnige Beobachtung an einem Orte, der jetzt durchaus zur Antiquität geworden, damals aber für Deutsche Sitte und Denkart ein rechter Mittelpunkt war, dazu endlich der Umgang mit verständigen Männern, immerfort den Stoff liefern. Erfahrung war die Mutter seiner Poesie[11], und Verständigkeit seine Muse, selbst sein Scherz hat durchaus diese Richtung. Sein Witz[1] besteht nicht in dem Blitz rascher Einfälle, noch weniger in einer schalkhaften Feinheit und sich selbst überbietenden Ironie[3], sondern in wahrer Lustigkeit, und in der geistreichen Keckheit womit die Materialität und Gemeinheit der Motive charakteristisch hingestellt ist..
[9]
R. Schumann, Symph. Berlioz (1835), 46 f. (47)
: Aehnlich verhält es sich mit der Anfangsmelodie [...] der dritten 〈47〉 Abtheilung, die Herr Fétis, wie ich glaube, dunkel und geschmacklos nennt. Man schwärme nur in den Alpen und sonstigen Hirtengegenden herum und horche den Schalmeien oder Alpenhörnern nach; genau so klingt es. So eigenthümlich und natürlich[6] sind aber alle Melodieen der Symphonie; in einzelnen Episoden streifen sie hingegen das Charakteristische ganz ab und erheben sich zu einer allgemeinen, höheren Schönheit[1]..