[1]
Goethe, Dicht. u. Wahrh. I (1811), 204
: Es dauerte nicht lange, so nahm ich den Racine, den ich in meines Vaters Bibliothek antraf, zur Hand, und declamirte mir die Stücke nach theatralischer Art und Weise, wie sie das Organ meines Ohrs[3] und das ihm so genau verwandte Sprachorgan gefaßt hatte, mit großer Lebhaftigkeit, ohne daß ich noch eine ganze Rede im Zusammenhang hätte verstehen können. Ja ich lernte ganze Stellen auswendig und recitirte sie, wie ein eingelernter Sprachvogel; welches mir um so leichter ward, als ich früher die für ein Kind meist unverständlichen biblischen Stellen auswendig gelernt, und sie in dem Ton der protestantischen Prediger zu recitiren mich gewöhnt hatte.
[2]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 53 f. (54)
: Ferner übersieht man, indem man dem Ohr[3] an und für sich schon die gehörige Bildung[5] zutraut, die Eitelkeit der Menschen; sich unthätig verhalten, über sich ergehen lassen ist keine Kunst[6], aber zu leiden, mit Verstand und Würde zu empfangen, ist überall eine ebenso große Kunst[6], als zu handeln oder mit Geist[20], mit Geschmack und mit Kraft zu geben. Aber weil die Kunst[6] des Handelns und so auch des Sprechens sichtbar ist, weil die Wirkung von ihr auszugehen scheint, weil sie ganzen Massen von Menschen und Kräften angenehme Gewalt anzutun scheint; dagegen die Kunst[6] des Leidens und des Hörens weniger in die Augen springt – so ergiebt es sich, daß zuletzt in jeder gegebenen Gesellschaft viel mehr Personen reden als hören 〈54〉 wollen, während die Natur[2] das ganz Entgegengesetzte zu wollen scheint, indem sie angeordnet hat, daß zwar viele hören können, was einer spricht, unmöglich aber einer hören kann, was viele zu gleicher Zeit reden. Die Eitelkeit der Menschen macht, daß das Sprachorgan viel mehr geübt wird als das Ohr[3], daß man von der Seele, die, wenn irgendwo, so in der Mitte zwischen diesen beiden erhabenen Organen liegt, sich mehr und mehr entfernt und auf mechanischem Wege die höchste Wirkung hervorbringen will, die dem Geist[32] über den Geist[32] je gelingen kann.
[3]
R. Schumann, Symph. Berlioz (1835), 41
: Es fällt mir gar nicht ein, gegen jene [...] Recension zu polemisiren, da ich in ihr [...] geradezu Blindheit, völligen Mangel eines Organs für diese Art von Musik[2] erblicke.
[4]
A. F. Bernhardi, Wiss. u. Kunst (1802), 75
: Nun werft einmal einen Blick auf die Natur[2], wie sie sich vor euren Augen ausbreitet, wie sie sich euch darstellt [...]. Da werdet ihr es bemerken, daß alles ausgeht von einem Einfachen, Bleibenden, Festen; sich dann zu der Organisation[5] der Pflanzenwelt und der willkührlichen Bewegung, bis zu dem Thiere[1] aufschwingt, bis sich diese in der sinnlichen Erscheinung des menschlichen Körpers schließt, die sogenannten geistigen Organe beginnen, bis endlich die Vernunft[1] als höchste Spitze die Pyramide des Universums endet. ➢ Volltext.
[5]
Bucholtz, an A. W. Schlegel (22. 1. 1829), K 1, 468
: Der Verstorbene hatte [...] schon mehrere Mahle Anfälle von apoplektischer Natur gehabt [...]. Von jener Zeit her ließ er sich [...] schröpfen und Blutegel legen und hielt im ganzen gute Diät. Seitdem er durch die [...] Lehrkurse auch wieder nach außen hin thätig zu seyn angefangen hatte, wie er es nach innen zu seyn nie aufgehört hatte, dürfte er sich wohl zu erschöpfend angestrengt haben; namentlich dadurch daß er die Vorlesungen immer erst in dem Zwischenraum von einer zur andern verfaßte und niederschrieb, wohl auch, daß er den lezten Kurs zu Dresden zu bald nach den früheren unternommen hatte. Die Organe[3] des höheren Denkens und geistigen Erkennens hatten eine solche leichte Beweglichkeit gewonnen, daß er wohl selbst nicht inne wurde, wie die Organe[2] des körperlichen Lebens durch Mangel an Schlaf oder durch zu anstrengenden Gebrauch aufgerieben wurden. ➢ Volltext.
[6]
Goethe, Wilh. Meister VIII (1796), WA I, 23, 250
: [S]o bilden sich Liebhaber und Künstler wechselsweise; der Liebhaber sucht nur einen allgemeinen unbestimmten Genuß; das Kunstwerk soll ihm ungefähr wie ein Naturwerk behagen, und die Menschen glauben, die Organe, ein Kunstwerk zu genießen, bildeten sich eben so von selbst aus, wie die Zunge und der Gaum, man urtheile über ein Kunstwerk, wie über eine Speise. Sie begreifen nicht, was für einer andern Cultur[4] es bedarf, um sich zum wahren Kunstgenusse zu erheben. Das Schwerste finde ich die Art von Absonderung, die der Mensch in sich selbst bewirken muß, wenn er sich überhaupt bilden will; deßwegen finden wir so viel einseitige Culturen[8], wovon doch jede sich anmaßt über das Ganze abzusprechen..
[7]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 85 f. (86)
: Auf dem Standpunkte, auf welchem das Alles aus sich setzende und auflösende Ich der 〈86〉 Künstler ist, dem kein Inhalt das Bewußtseyn als absolut und an und für sich, sondern als selbst gemachter zernichtbarer Schein erscheint, kann solcher Ernst keine Stätte finden, da nur dem Formalismus des Ich Gültigkeit zugeschrieben ist. – Für Andre zwar kann meine Erscheinung, in welcher ich mich ihnen gebe, ein Ernst seyn, indem sie mich so nehmen, als sey es mir in der That um die Sache zu thun, – aber sie sind damit nur getäuscht, pauvre bornirte Subjekte, ohne Organ und Fähigkeit, die Höhe meines Standpunktes zu erfassen und zu erreichen. Dadurch zeigt es sich mir, daß nicht jeder so frei (d. i. formell frei) ist, in allem, was dem Menschen sonst noch Werth, Würde und Heiligkeit hat, nur ein Produkt der eigenen Macht des Beliebens zu sehen, dergleichen gelten, mich bestimmen und erfüllen zu lassen oder auch nicht. Und nun erfaßt sich diese Virtuosität eines ironisch[3] künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann. Wer auf solchem Standpunkte göttlicher Genialität steht, blickt dann vornehm auf alle übrige Menschen nieder, die für beschränkt und platt erklärt sind, insofern ihnen Recht, Sittlichkeit u. s. f. noch als fest, verpflichtend und wesentlich gelten. So giebt sich denn das Individuum, das so als Künstler lebt, wohl Verhältnisse zu Anderen, es lebt mit Freunden, Geliebten u. s. f., aber als Genie[4] ist ihm dieß Verhältniß zu seiner bestimmten Wirklichkeit, seinen besonderen Handlungen wie zum an und für sich Allgemeinen zugleich ein Nichtiges, und es verhält sich ironisch[3] dagegen. | Dieß ist die allgemeine Bedeutung der genialen göttlichen Ironie[3], als dieser Koncentration des Ich in sich, für welches alle Bande gebrochen sind, und das nur in der Seligkeit des Selbstgenusses leben mag. Diese Ironie[3] hat Herr Fr. v. Schle〈87〉gel erfunden, und viele Andere haben sie nachgeschwatzt, oder schwatzen sie von Neuem wieder nach. ➢ Volltext.
[8]
Herder, Gesch. d. Menschh. II (1785), 356
: Gehör und Sprache[1] hangen zusammen: denn bei den Abartungen der Geschöpfe verändern sich ihre Organe offenbar mit einander. Auch sehen wir, daß zu ihrem Consensus der ganze Körper eingerichtet worden; die innere Art der Zusammenwirkung aber begreifen wir nicht. Daß alle Affekten, insonderheit Schmerz und Freude Töne[1] werden, daß was unser Ohr[3] hört, auch die Zunge reget, daß Bilder und Empfindungen geistige Merkmale, daß diese Merkmale bedeutende, ja bewegende Sprache[11] seyn können – das Alles ist ein Concent so vieler Anlagen, ein freiwilliger Bund gleichsam, den der Schöpfer zwischen den verschiedensten Sinnen[4] und Trieben, Kräften und Gliedern seines Geschöpfs ebenso wunderbar hat errichten wollen, als er Leib und Seele zusammenfügte..
[9]
Kant, Crit. rein. Vern. (
2
1787), XXXVI f.
: In der Ausführung [...] des Plans, den die Critik[1] vorschreibt, d. i. im künftigen System der Metaphysik, müssen wir dereinst der strengen Methode des berühmten Wolf, des größten unter allen dogmatischen Philosophen, folgen, der zuerst das Beyspiel gab (und durch dies Beyspiel der Urheber des bisher noch nicht erloschenen Geistes[14] der Gründlichkeit in Deutschland wurde,) wie durch gesetzmäßige Feststellung der Principien, deutliche Bestimmung der Begriffe[1], versuchte Strenge der
Beweise, Verhütung kühner Sprünge in Folgerungen der sichere Gang einer Wissenschaft zu nehmen sey, der auch eben darum eine solche, als Metaphysik ist, in diesen Stand zu versetzen vorzüglich geschickt war, wenn es ihm beygefallen wäre, durch Critik[1] des Organs, nämlich der reinen Vernunft 〈XXXVII〉 selbst, sich das Feld vorher zu bereiten: ein Mangel, der nicht sowol ihm, als vielmehr der dogmatischen Denkungsart seines Zeitalters beyzumessen ist, und darüber die Philosophen, seiner sowol als aller vorigen Zeiten[3], einander nichts vorzuwerfen haben..
[10]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 54 f. (55)
: Das Auge empfängt alle Bilder, alle Farben, alle Eigenthümlichkeiten der Welt: was gibt es der Welt zurück als seinen zwar ausdrucksvollen, aber stillen Glanz? Der Geschmack, der Geruch, für welche die Natur[2] die zartesten Verhältnisse der Körperwelt zu mischen scheint, was geben sie der Natur[2] zurück? Womit antwortet der Mensch auf alle die Wohlthaten und Schmeicheleien seines Gefühls und aller dieser Sinne[4/5]? – Alle seine Schuld bezahlt er, all dieses unendliche Empfangen vergilt er, auf alle Fragen der Natur[2] antwortet er mit dem Vermögen der Rede: aus allen diesen Bildern, diesem Glanz, diesem Duft, diesem Wohlgeschmack, diesen tausendfältigen Anregungen des Gefühls bereitet sich ein einziger, einfach-unendlicher Stoff: das Wort[2]. Der Sinn[4/5] also, dem die Natur[2] das 〈55〉 Vermögen der Antwort beigegeben, der nicht bloß zum Leiden bestimmt ist wie die übrigen, hat einen höheren Beruf als die übrigen. Auch zeigt sich die Wahrheit dieser Behauptung deutlicher darin, daß unser Ohr[3] das Gesetz der Welt ganz für sich und fast ohne Beihülfe der übrigen empfinden kann: an der Musik ist wahrzunehmen, und die meisten musikalischen[1] Virtuosen bestätigen es, daß dieser Sinn[5] der unabhängigste von allen ist, ja, ich möchte sagen, daß der ganze Mensch sich in das Ohr[3] zurückziehn, mit diesem einen Organe leben, denken und dichten und alle andere Organe im thierischen Zustande hinterlassen kann. Wie Großes haben die Alten[10] gemeint, als sie von einer Harmonie der Sphären redeten, als wenn die Gesetze der wunderbaren Anordnung des Weltbaues doch eigentlich nur das Ohr[3] empfinden könnte!.
[11]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 57 f. (58)
: Seitdem die Buchdruckerkunst gemein wurde, verschwindet nun nicht mehr das Schlechte, Falsche und Unbedeutende wie ehemals gleich, nachdem es gesagt wurde, zerfließt nicht mehr in die gemeine Luft, der es mehr angehörte als dem Geist[19]; es bleibt, es rückt in ganzen Geschwadern, nach beschleunigtem Verhältnisse wachsend, wie die Biblio〈58〉theken unsrer Zeit zeigen, auf die unglücklichen Nachkommen los [...]. | Die Organe der Sprache[1] und des Gehörs sind ihrer edelsten Funktionen beraubt, sie feiern, sie verrichten unnütze Dinge, oder doch nur den allergemeinsten Hausdienst; nur ganz auf der Höhe des europäischen Lebens, im Privatleben der Franzosen, und im öffentlichen Leben der Britten, den beiden besten Früchten, welche die letztvergangenen Jahrhunderte erzeugt, dauert [...] ihre alte Bedeutung fort. Wie kann man also voraussetzen, daß das Ohr[3] schon von selbst hinlänglich gebildet werde in einer Zeit, wo von allem Klange der Rede, von aller Lebensfülle, von allem Brausen der bürgerlichen Thaten, von allem Gesange der Poesie[1] früherer Jahrhunderte nichts zurückgeblieben als ein einförmiges. Rauschen der Bücherblätter in einsamen Gemächern, wie ein ähnliches totes Rauschen der Blätter im Herbst statt allen fröhlichen Tumultes der schöneren Jahreszeit zurückbleibt! – | 〈59〉 Nachdem die Rede aus dem Gebiet des Ohrs[3] in das Gebiet des lesenden Auges, nachdem sie aus dem Gebiete der Stimme[1] in den Wirkungskreis der schreibenden Hände einmal höchst unnatürlicher Weise versetzt worden, so erstirbt sie nun auch, schrumpft zusammen, vertrocknet mehr und mehr: das Wort[2] schwindet in einander und wird mehr und mehr zur Zahl..
[12]
F. Schlegel, Ideen (1800), 5, Nr. 8
: Der Verstand[1], sagt der Verfasser der Reden über die Religion[1], weiß nur vom Universum; die Fantasie[2] herrsche, so habt ihr einen Gott[1]. Ganz recht, die Fantasie[2] ist das Organ des Menschen für die Gottheit. ➢ Volltext.
[13]
Wackenroder, Phant. ü. d. Kunst (1799), 188
: Von denjenigen, welche die Musik[1] und alle Künste[2] nur als Anstalten betrachten, ihren nüchternen und groben Organen die nothdürftig sinnliche Nahrung zu verschaffen, – da doch die Sinnlichkeit nur als die kräftigste, eindringlichste und menschlichste Sprache[2] anzusehn ist, worin das Erhabene[3], Edle und Schöne[2] zu uns reden kann, – von diesen unfruchtbaren Seelen ist nicht zu reden. ➢ Volltext.