[1]
Aurbacher, Volksbüchl. I (1827), 196
: Hebel [...] trifft immer und sicher den rechten Ton, der in dieser und jener Erzählung vorherrschend sein sollte, und weiß hier liebliche Heiterkeit[4] zu verbreiten, dort zarte Empfindung fürs Schöne und Gute. Er scherzet überaus gern, und die neckischen Einfälle mengen sich überall in die Unterhaltung [...]. Nur wo es Noth thut, lehrt er, und dann allzeit kurz und gut. Sein Witz[1] ist natürlich[2], seine Laune fröhlich, seine Satyre gutmüthig, und seine Empfindung wahr. Bei aller Mannichfaltigkeit der Materien tritt ein stehender Charakter hervor – der zum gemeinen Manne sich freundlich herablassende, mit dessen ganzer Denkweise vertraute, bei Scherz und Ernst sich gleichbleibende, achtungswerthe Hausfreund. Und so denn auch die Sprache[4].
[2]
Goethe, Dicht. u. Wahrh. II (1812), WA I, 27, 343
: Die Darstellung dieses Charakters [sc. des Vicar of Wakefield] auf seinem Lebensgange durch Freuden und Leiden, das immer wachsende Interesse der Fabel, durch Verbindung des ganz Natürlichen mit dem Sonderbaren und Seltsamen, macht diesen Roman [Oliver Goldsmith: The Vicar of Wakefield. A Tale (1766)] zu einem der besten, die je geschrieben worden; der noch überdieß den großen Vorzug hat, daß er ganz sittlich, ja im reinen Sinne[1] christlich ist, die Belohnung des guten Willens, des Beharrens bei dem Rechten darstellt, das unbedingte Zutrauen auf Gott bestätigt und den endlichen Triumph des Guten über das Böse beglaubigt, und dieß alles ohne eine Spur von Frömmelei oder Pedantismus. Vor beiden hatte den Verfasser der hohe Sinn[9] bewahrt, der sich hier durchgängig als Ironie[3] zeigt, wodurch dieses Werkchen uns eben so weise als liebenswürdig entgegenkommen muß.
[3]
Hegel [Hotho], Aesth. III (1838), 119
: Bei der Fülle der durcheinandertreibenden Gestalten und der überwiegenden Rohheit der Charaktere fehlt es solchen Gemälden auch leicht an innerer Harmonie, sowohl der Komposition als auch der Färbung, so daß man besonders beim ersten Wiederaufleben des 〈120〉 Geschmacks an älterer[1] deutscher Malerei, bei der im Ganzen geringeren Vollendung der Technik viele Verstöße in Rücksicht auf die Entstehungszeit solcher Werke gemacht hat. ➢ Volltext
[4]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 819 (2)
: Immer aber bleibt in Charakteren, wie Woldemar und Henriette [...] eine gewisse Schwierigkeit zurück. Wie schön[2] und edel sie sind, wie tief sie ergreifen und erschüttern; so spannen sie doch das Interesse auf eine beunruhigende Weise. Es schmerzt, wenn man sieht, dass sie in der glücklichsten äußeren Lage, mit den besten Kräften, die das Geschick seinen Günstlingen zu schenken vermag, ihre Zufriedenheit und Thätigkeit durch Leiden unterbrechen, die man in die Versuchung kommen möchte, selbstgeschaffen zu nennen.
[5]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. I (1809), 278
: Der komische Dichter versetzt wie der tragische seine Personen in ein idealisches Element; aber nicht in eine Welt, wo die Nothwendigkeit, sondem wo die Willkühr des erfinderischen Witzes[1] unbedingt herrscht, und die Gesetze der Wirklichkeit aufgehoben sind. Er ist folglich befugt, die Handlung so keck und fantastisch[1] wie möglich zu ersinnen; sie darf sogar unzusammenhängend und widersinnig seyn, wenn sie nur geschickt ist, einen Kreis von komischen Lebensverhältnissen und Charaktern in das grellste Licht zu setzen. ➢ Volltext
[6]
D. Schlegel, Gespr. Rom. Frz. (1803), 90
: Wahrheit kann ich nicht finden in diesen Schilderungen, aber einige Charaktere haben mich interessirt [...].
[7]
G. Forster, Ansichten II (1791), W 2, 556
: In der zum großen Beguinenhofe gehörigen Kirche sahen wir an dem Altar zur Rechten ein schönes Gemälde von Crayer; es war eine Kreuzigung Christi. [...] Unmöglich konnte man einen Gegenstand, der an sich das Gefühl so fürchterlich verletzt, wie die Marter des menschlichen Körpers, auf eine interessantere[1] Weise darstellen, so daß man über den Geist[27] und den Adel[5] der Charaktere beinahe die Gräßlichkeit des körperlichen Leidens und der vom Henker verzerrten Gestalt vergißt..
[8]
Goethe, an Hzg. Carl August (16. 2. 1788), WA IV, 8, 348
: Die Caracktere die Sie mir schildern sind sehr interessant[1] und neu[1], wie alles, was recht gesehen und recht gesprochen ist..
[9]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 88 f.
: Das Ironische[3] [...] als die geniale Individualität liegt in dem Sich-Vernichten des Herrlichen, Großen, Vortrefflichen, und so werden auch die objektiven Kunstgestalten nur das Princip der sich absoluten Subjektivität darzustellen haben, indem sie, was dem Menschen Werth und Würde hat, als Nichtiges in seinem Sich-Vernichten zeigen. Darin liegt denn, daß es nicht nur nicht Ernst sey mit dem Rechten, Sittlichen, Wahrhaften, sondern daß an dem Hohen und Besten nichts ist, indem es sich in seiner Erscheinung in Individuen, Charakteren[7], Handlungen[1] selbst widerlegt und vernichtet, und so die Ironie[3] über sich selbst ist. Diese Form, abstrakt genommen, streift nahe an das Princip des Komischen heran, doch muß das Komische in dieser Verwandtschaft wesentlich von dem Ironischen[3] unterschieden werden. Denn das Komische muß darauf beschränkt seyn, daß alles, was sich vernichtet, ein an sich selbst Nichtiges, eine falsche und widersprechende Erscheinung, eine Grille z. B., ein Eigensinn, eine besondere Kaprice, gegen eine mächtige Leidenschaft, oder auch ein vermeintlich haltbarer Grundsatz und feste Maxime sey. Ganz etwas Anderes aber ist es, wenn nun in der That Sittliches und Wahrhaftes, ein in sich substantieller Inhalt überhaupt, in einem Individuum und durch dasselbe sich als Nichtiges darthut. Dann ist solch Individuum in seinem Charakter[6] nichtig und verächtlich, und auch die Schwäche und Charakterlosigkeit ist zur Darstellung gebracht. Es kommt deshalb bei diesem Unterschiede des Ironischen[3] und Komischen wesentlich auf den Gehalt dessen an, was zerstört wird. Das aber sind schlechte, untaugliche Subjekte, die nicht bei ihrem festen und gewichtigen Zwecke bleiben können, sondern ihn wieder aufgeben und in sich zerstören lassen. Solche Ironie[3] der Charakterlosigkeit liebt die Ironie[4]. Denn zum wahren Charakter[6] gehört einer Seits ein 〈89〉 wesentlicher Gehalt der Zwecke, anderer Seits das Festhalten solchen Zwecks, so daß der Individualität ihr ganzes Daseyn verloren wäre, wenn sie davon ablassen und ihn aufgeben müßte. Diese Festigkeit und Substantialität macht den Grundton des Charakters[6] aus. Kato kann nur als Römer und Republikaner leben. Wird nun aber die Ironie[3] zum Grundton der Darstellung genommen, so ist dadurch das Allerunkünstlerischste für das wahre Princip des Kunstwerks genommen, denn Theils kommen dadurch platte Figuren herein, Theils gehalt- und haltungslose, indem das Substantielle sich in ihnen als das Nichtige erweist Theils treten endlich noch jene Sehnsüchtigkeiten und unaufgelösten Widersprüche des Gemüths hinzu. Solche Darstellungen können kein wahrhaftes Interesse erwecken. Deshalb denn auch von Seiten der Ironie[4] die steten Klagen über Mangel an tiefem Sinn[5], Kunstansicht und Genie[2] im Publikum, das diese Höhe der Ironie[3] nicht verstehe; d. h. dem Publikum gefalle diese Gemeinheit, und das zum Theil Läppische, zum Theil Charakterlose nicht. Und es ist gut, daß diese gehaltlosen, sehnsüchtigen Naturen[17] nicht gefallen, es ist ein Trost, daß diese Unredlichkeit und Heuchelei nicht zusagt, und den Menschen dagegen ebenso sehr nach vollen und wahrhaften Interessen verlangt, als nach Charakteren[2/7], die ihrem gewichtigen Gehalte treu verbleiben. ➢ Volltext.
[10]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 311 f. (312)
: Aus dem Bereiche der Kunst[2] [...] sind die dunklen Mächte grade zu verbannen, denn in ihr ist nichts dunkel, sondern Alles klar und durchsichtig, und mit jenen Uebersichtigkeiten [sc. Darstellungen von Personen mit ,zweitem Gesicht‘] ist nichts als der Krankheit des Geistes[19] das Wort[2] geredet, und die Poesie[11] in das Nebulose, Eitle und Leere hinübergespielt, wovon Hoffmann und Heinrich 〈312〉 von Kleist in seinem Prinzen von Homburg Beispiele liefern. [...] Die Gesundheit des Charakters[2] [...] mit der Krankheit des Geistes[19] vertauschen zu müssen, um Kollisionen hervorzubringen und Interesse zu erregen ist immer unglücklich; deshalb ist auch die Verrücktheit nur mit großer Vorsicht anzuwenden. | An solche Schiefheiten, welche der Einheit und Festigkeit des Charakters[2/7] entgegenstehn, können wir auch noch das Princip der neueren Ironie[1/3] sich anschließen lassen. Diese falsche Theorie hat die Dichter verführt in die Charaktere[7] eine Verschiedenheit hineinzusetzen, welche in keine Einheit zusammengeht, so daß sich jeder Charakter[7] als Charakter[2] zerstört. Tritt ein Individuum zunächst auch in einer Bestimmtheit auf, so soll dieselbe gerade in ihr Gegentheil überschlagen, und der Charakter[7] dadurch nichts als die Nichtigkeit des Bestimmten und seiner selbst darstellen. Dieß ist von der Ironie[4] als die eigentliche Höhe der Kunst[2] angenommen worden, indem der Zuschauer nicht müsse durch ein in sich affirmatives Interesse ergriffen werden, sondern darüber zu stehen habe, wie die Ironie[3/4] selbst über Alles hinaus ist. – In diesem Sinne hat man denn auch Shakspearesche Charaktere[7] erklären wollen. [...] 〈313〉 [...] Jetzt [...] machen sie [...] Shakspeare's Charaktere[7] gespenstig, und meinen, daß die Nichtigkeit und Halbheit im Schwanken und Uebergehn, daß diese Quatschlichkeit eben für sich interessiren müsse. Das Ideale aber besteht darin, daß die Idee wirklich ist, und zu dieser Wirklichkeit gehört der Mensch als Subjekt und dadurch als in sich festes Eins. ➢ Volltext.
[11]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 819 (1)
: Vertraut mit dem Wesen der poetischen[4] Kunst[2], weiß er [F. H. Jacobi], auch was völlig subjectiv scheint, noch an die nothwendigen Bedingungen der menschlichen Natur[1] anzuknüpfen; mit kluger Vorsicht läßt er jede neue[1] Wendung des Charakters so vollständig vorbereiten, und so lange verweilen, und mit meisterhaftem Talent versucht er durch eine schöne[1], an mehr als Einer Stelle hinreißende Sprache[4] den Leser so in sein Interesse zu verweben, daß sein Gefühl in die gleiche Stimmung übergeht..
[12]
W. v. Humboldt, Rez. Jacobi (1794), 820
: Die einzelnen Rollen sind mit großer Zweckmäßigkeit unter die auftretenden Personen vertheilt, und die Charaktere mit vieler Kunst gezeichnet und durchgeführt..
[13]
Jean Paul, Vorsch. Ästh. I (
21813), 39 f. (40)
: Zuweilen ist es romantische[8/1] Pflicht der Nachgeschichte wie der Vorgeschichte eines 〈40〉 wunderbaren Charakters, die Decke zu lassen [...]..
[14]
Novalis, Allg. Brouill. (*1798), NS 3, 398, Nr. 686
: Jede Künstliche Gestalt – jeder erfundene Karacter hat mehr oder weniger Leben – und Ansprüche und Hoffnungen des Lebens. Die Gallerieen sind Schlafkammern der zukünftigen Welt. – | [...] Wer unglücklich in der jetzigen Welt ist, wer nicht findet, was er sucht – der gehe in die Bücher und Künstlerwelt – in die Natur[2] – diese ewige Antike[4] und Moderne[2] zugl[eich] – und lebe in dieser Ecclesia pressa der bessern Welt..
[15]
Schelling, Philos. d. Kunst (
!1803–04), SW I, 5, 672
: Die [...] Charaktere des romantischen[12/2] Epos oder des Rittergedichts sind hinreichend, seine Verschiedenheit und Entgegensetzung mit dem antiken[2] Epos zu zeigen. Wir können das Wesen desselben so aussprechen: es ist durch den Stoff episch, d. h. der Stoff ist mehr oder weniger universell, durch die Form aber ist es subjektiv, indem die Individualität des Dichters dabei weit mehr in Anschlag kommt, nicht nur darin, daß er die Begebenheit, welche er erzählt, beständig mit der Reflexion begleitet, sondern auch in der Anordnung des Ganzen, die nicht aus dem Gegenstand selbst sich entwickelt, und [...] überhaupt keine andere Schönheit[1] als die Schönheit[1] der Willkür bewundern läßt. An und für sich schon gleicht der romantisch[12/1/2/4]-epische Stoff einem wild verwachsenen Wald voll eigenthümlicher Gestalten, einem Labyrinth, in dem es keinen andern Leitfaden gibt als den Muthwillen und die Laune des Dichters. ➢ Volltext.
[16]
(?)C. Schelling, Rez. Rob.-Rom. (1806), 334 f. (335)
: [E]r [sc. D. Defoe] steuert ihn [Robinson Crusoe] so reich aus, daß die peinliche Theilnahme an dem Schiffbrüchigen bald gemildert, und in 〈335〉 eine fröhliche verwandelt wird, worauf er alles, was sich ferner zuträgt, so wohl vertheilt und gestellt hat, daß der kleinste Umstand eine Art von romantischem[1/4] Interesse bekommt, das Gelingen eines Geräthes zur Begebenheit wird, und der Fußstapfen im Sande ein tragisches Geheimniß ist, das nicht den Robinson allein mit Schauder erfüllt. Den Charakter desselben hat er mit vielem Verstande[3] ersonnen und durchgeführt [...]..
[17]
Schiller, Rez. Räub. (1782), NA 22, 128 f. (129)
: Schlechter bin ich mit dem Vater zufrieden. Er soll zärtlich und schwach sein, und ist klagend und kindisch. Man sieht es 〈129〉 schon daraus, daß er die Erfindungen Franzens, die an sich plump und vermessen genug sind, gar zu einfältig glaubt. Ein solcher Charakter kam freilich dem Dichter zu statten, um Franzen zum Zweck kommen zu lassen, aber warum gab er nicht lieber dem Vater mehr Witz[3], um die Intrigen des Sohnes zu verfeinern? Franz muß allem Ansehen nach seinen Vater durchaus gekannt haben, daß er es für unnötig hielt, seine ganze Klugheit an ihm zu verschwenden?.
[18]
A. W. Schlegel, Beytr. (1798), 151
: Wer Romane[1] fertigen kann, ohne Gespenster zu citiren und die Riesengestalten einer chimärischen Vorzeit aufzurufen, wer sich ohne Geheimnisse mit simpeln Leidenschaften behilft, der hält schon etwas auf sich und sein Publikum[3]. Macht er sich denn auch mit Karakteren nicht viel zu schaffen, wenn ihm nur jene in einer gewissen Fülle zu Gebote stehn, so kann er gewiß seyn, den mittleren Durchschnitt der Lesewelt für sich zu gewinnen, der für das grobe Abentheuerliche[3] schon zu gesittet, für die heitern[4] ruhigen Ansichten ächter Kunst[12] noch nicht empfänglich, starke Bedürfnisse der Sentimentalität hat. ➢ Volltext.
[19]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. I (
!1801–02), KAV 1, 465 f. (466)
: Die epische Dichtart ist daher einem Zeitalter am angemessensten, wo das Gemüth sich noch nicht zum vollen Bewußtseyn der Freyheit[10] und Selbstbestimmung erhoben hat, sondern dem Menschen wie eine physische Kraft 〈466〉 erscheint, von deren Wirkungen sich nicht immer Rechenschaft geben läßt. So ist es auch beym Homer: die unmotivirte Veränderlichkeit der Gesinnungen, der Wechsel von Leidenschaft und ruhiger Fassung, von Muth und Verzagtheit, u. s. w. liegt oben auf; die dabey beobachtete tiefere Consistenz der Charaktere kann man entweder als etwas durch die Sage gegebnes betrachten, oder sie beweist nur daß die eigenthümliche Ansicht des epischen Zeitalters das allgemein in der Natur[1] der Sache liegende zwar wohl in den Hintergrund zurückdrängen aber nicht aufheben konnte. Bey einer solchen Stufe, worauf die ganze Charakteristik steht, kann allerdings Größe, Energie und Adel[5] der einzelnen Charaktere Statt finden, aber keine eigentliche Idealität, welche eine reinere Absonderung von der Natur[2/13] voraussetzt. Jenes finden wir denn auch beym Homer, diese war erst den Tragikern vorbehalten..
[20]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. I (1809), 343
: Wenn die Charakter nur leicht angedeutet sind, eben so viel als nöthig ist, um Handlungen der Personen in dem und jenem Fall zu begründen; wenn sich übrigens die Vorfälle so häufen, daß sie der charakteristischen[3] Entfaltung wenig Raum gönnen; wenn die Verwickelung so auf die Spitze gestellt ist, daß sich die bunte Verwirrung der Misverständnisse und Verlegenheiten in jedem Augenblicke lösen zu müssen scheint, und doch der Knoten immer von neuem geschürzt wird: eine solche Composition kann man wohl ein Intriguen-Stück nennen. Die französischen Kunstrichter haben es zur Mode gemacht, diese Art an Werth sehr tief unter das sogenannte Charakter-Stück herabzusetzen, vielleicht weil sie zu sehr darauf sehen, was man von einem Schauspiele behalten und mit sich nach Hause nehmen kann. Freylich löst sich am Ende das In〈344〉triguen-Stück gewissermaßen in Nichts auf: aber warum sollte es nicht erlaubt seyn, zuweilen ohne andern Zweck bloß sinnreich zu spielen? Viel erfinderischer Witz[1] gehört gewiß zu einem guten Lustspiel dieser Art; außer der Unterhaltung, welche der aufgewandte Scharfsinn gewährt, kann das wunderbare Gaukelspiel noch einen großen Reiz für die Fantasie[2] haben, wie uns viele spanische Stücke beweisen. .
[21]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.1 (1809), 27 f.
: Aus welcher Zeit die Tragödien des Seneca nun auch seyn mögen, sie sind über alle Beschreibung schwülstig und frostig, ohne Natur[19] in Charakter und Handlung, durch die widersinnigsten Unschicklichkeiten empörend, und so von aller theatralischen Einsicht entblößt, daß ich glaube, sie waren nie dazu bestimmt, aus den Schulen der Rhetoren auf die Bühne hervorzutreten. Mit den alten Tragödien, jenen höchsten Schöpfungen des poetischen Genius der Griechen, haben diese nichts weiter gemein als den Namen, die äußre Form und die mythologischen Stoffe; und doch stellen sie sich neben jene, sichtbar in der Absicht, sie zu überbieten, was sie ungefähr so leisten, wie eine hohle Hyperbel gegen die innigste Wahrheit. Jeder tragische Gemeinplatz wird bis auf den letzten Athemzug abgehetzt; alles ist Phrase, unter denen die einfachste schon geschraubt ist. Mit Witz[4] und Scharfsinn wird eine gänzliche Armuth an 〈28〉 Gemüth überkleidet. .
[22]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.1 (1809), 164
: Nichts ist verschiedener als der französische und der spanische Nationalcharakter, folglich auch als der Geist[12] ihrer Sprache[3] und Poesie[11]. Der französischen ist die nüchternste Gebundenheit eigen; die spanische hat im entferntesten Abendlande[2] eine orientalische Ader, was sich leicht durch einen Rückblick auf ihre Geschichte begreift: sie berauscht sich in kühnen Bildern und Spielen des Witzes[2]. Wenn man nun ihre Schauspiele dieses üppigen Schmuckes beraubt, aus der Farbenglut ihrer Romanzen und den musikalischen[5] Variationen der Reimstrophen, worin sie abgefaßt sind, in die Eintönigkeit des Alexandriners zwängt, und etwa noch äußre Regelmäßigkeiten hinzufügt, sonst aber die Charakter und Situationen dem Wesentlichen nach stehen läßt, so ist keine Übereinstimmung mehr zwischen Inhalt und Behandlung; und es wird diejenige Wahrheit eingebüßt, die noch auf dem Gebiet des Fantastischen möglich ist. ➢ Volltext.
[23]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 15
: Was nun die dichterische Gattung betrifft, womit wir uns hier beschäftigen, so verglichen wir die antike[2] Tragödie mit einer Gruppe in der Sculptur: die Figuren entsprechen dem Charakter, ihre Gruppirung der Handlung[3], und hierauf ist, als auf das einzige Dargestellte, die Betrachtung bey beyden Arten von Kunstwerken[2] ausschließlich gerichtet. Das romantische[12/4] Drama denke man sich hingegen als ein großes Gemälde, wo außer der Gestalt und Bewegung in reicheren Gruppen auch noch die Umgebung der Personen mit abgebildet ist, nicht blos die nächste, sondern ein bedeutender Ausblick in die Ferne, und dieß alles unter einer magischen Beleuchtung, welche den Eindruck so oder anders bestimmen hilft. | Ein solches Gemählde wird weniger vollkommen begränzt seyn als die Gruppe, denn es ist wie ein ausgeschnittnes Bruchstück aus dem optischen Schauplatze der Welt. [...] 〈16〉 [...] | Gerade dergleichen Schönheiten[1] sind dem romantischen[12/4] Drama eigenthümlich. Es sondert nicht strenge wie die alte[10] Tragödie den Ernst und die Handlung[1] unter den Bestandtheilen des Lebens aus; es faßt das ganze bunte[2] Schauspiel desselben mit allen 〈17〉 Umgebungen zusammen, und indem es nur das zufällig neben einander befindliche abzubilden scheint, befriedigt es die unbewußten Foderungen der Fantasie[3], vertieft uns in Betrachtungen über die unaussprechliche Bedeutung des durch Anordnung, Nähe und Ferne, Colorit und Beleuchtung harmonisch gewordnen Scheines, und leiht gleichsam der Aussicht eine Seele. ➢ Volltext.
[24]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 71
: Die Ironie[3] bezieht sich [...] beym Shakspeare nicht bloß auf die einzelnen Charakter, sondern häufig auf das Ganze der Handlung[3]. Die meisten Dichter[1], welche menschliche Begebenheiten erzählend oder dramatisch schildern, nehmen Partey, und verlangen von den Lesern blinden Glauben für ihre Bemühungen zu erheben oder herabzusetzen. Je eifriger diese Rhetorik ist, desto leichter verfehlt sie ihren Zweck. Auf jeden Fall werden wir gewahr, daß wir die Sache nicht unmittelbar, sondern durch das Medium einer fremden[5] Denkart erblicken. Wenn hingegen der Dichter[1] zuweilen durch eine geschickte Wendung die weniger glänzende Kehrseite der Münze 〈72〉 nach vorne dreht, so setzt er sich mit dem auserlesenen Kreis der Einsichtsvollen unter seinen Lesern oder Zuschauern in ein verstohlnes Einverständniß; er zeigt ihnen, daß er ihre Einwendungen vorhergesehen und im voraus zugegeben habe; daß er nicht selbst in dem dargestellten Gegenstande befangen sey, sondern frey[5] über ihm schwebe[8], und daß er den schönen[2], unwiderstehlich anziehenden Schein, den er selbst hervorgezaubert, wenn er anders wollte, unerbittlich vernichten könnte. ➢ Volltext.
[25]
D. Schlegel, Gespr. Rom. Frz. (1803), 97
: [W]ie muß denn ein Roman[1] seyn? – Er muß romantisch[7] seyn. – Wie? fragte Adelheid, ist Delphine nicht voll der zartesten Schwärmerei, voll von romantischen[7] Situationen? – [...] Nicht dergleichen meine ich [...], sondern den Geist[12] der Poesie[4], der die Schilderungen der Natur[2], der Charaktere und Begebenheiten, in einem gewissen Sinne[1] beleben und durchwehen muß, um sie zu einem romantischen[7/1] Gedicht, oder Roman[1] zu bilden [...]..
[26]
F. Schlegel, Gespr. Poes. (1800), 181 f. (182)
: Ludoviko. [...] Der Geist[12] der Poesie[11] ist nur einer und überall derselbe. | Lothario. Allerdings der Geist[12]! Ich möchte hier die Eintheilung in Geist[12] und Buchstaben[8] anwenden. Was Sie [...] dargestellt oder doch angedeutet haben, ist, wenn Sie 〈182〉 wollen, der Geist[12] der Poesie[11]. Und Sie werden gewiß nichts dagegen haben können, wenn ich Metrum und dergleichen ja sogar Charaktere, Handlung[3], und was dem anhängt, nur für den Buchstaben[8] halte. Im Geist[12] mag Ihre unbedingte Verbindung des Antiken[2] und Modernen[1] Statt finden [...]. Nicht so im Buchstaben[8] der Poesie[11]. Der alte[10] Rhythmus z. B. und die gereimten Sylbenmaaße bleiben ewig entgegengesetzt. ➢ Volltext.
[27]
Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 534
: Es ist kein geringes Verdienst an dem Ovidius, (sagt ein sehr scharfsinniger englischer Kunstrichter [...]) daß er die schöne Methode erfunden hat, unter erdichteten Charaktern Briefe[3] zu schreiben. Es ist eine große Verbesserung der griechischen Elegie, über welche die dramatische Natur[1] jener Schreibart einen ungemeinen Vorzug erhielt..
[28]
L. Tieck, Phantasus I (1812), 15 f. (16)
: Ist diese Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem schönen[1] romantischen[1/3/4] Gedichte zu vergleichen? Erst wand sich der Weg labyrinthisch auf und ab durch den dichten Buchenwald, der nur augenblickliche räthselhafte Aussicht in die Landschaft erlaubte: so ist die erste Einleitung des Gedichtes; dann geriethen wir an den blauen Fluß, der uns plötzlich überraschte und uns den Blick in das unvermuthete frisch grüne Thal gönnte: so ist die plötzliche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felsengruppen, die sich edel und majestätisch erhuben und höher bis zum Himmel wuchsen, je weiter wir gingen: so treten in die alten[1] Erzählungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unsern Sinn[11] von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit ausgebreitetes Thal, mit schwebenden[2] Dörfern und Thürmen auf schön[1] geformten Bergen in der Ferne, wir sahen Wälder, weidende Heerden, Hütten der Bergleute, aus denen wir das Ge〈16〉töse herüber vernahmen: so öffnet sich ein großes Dichterwerk in die Mannigfaltigkeit der Welt und entfaltet den Reichthum der Charaktere; nun traten wir in den Hain von verschiedenem duftenden Gehölz, in welchem die Nachtigall so lieblich klagte, die Sonne sich verbarg, ein Bach so leise schluchzend aus den Bergen quoll, und murmelnd jenen blauen Strom suchte, den wir plötzlich, um die Felsenecke biegend, in aller Herrlichkeit wieder fanden: so schmilzt Sehnsucht und Schmerz, und sucht die verwandte Brust des tröstenden Freundes, um sich ganz, ganz in dessen lieblich erquickende Fülle zu ergießen, und sich in triumphirende Woge zu verwandeln..