[1]
Börne, Brf. Paris I (1832), 15
: O, theures Vaterland, wie einfältig verkannte ich deinen Werth! Dort fand ich in jedem Nachtquartier eine kleine Residenz, oder den Sitz einer hohen Regierung, oder eine Garnison, oder eine Universität, und in jedem Gasthofe eine Weinstube mit scharf geprägten Gästen, die mir gefielen oder nicht gefielen, die meinem Herzen oder meinem Geiste Stoff gaben, der ausreichte bis zum Einschlafen. Aber hier in diesem vermaledeiten Rath-losen Lande! Seit acht Tagen saß ich jeden Abend allein auf meinem Zimmer und verschmachtete. Glauben Sie mir, man stirbt nicht vor Langerweile; das ist nur eine dichterische Redensart. Aber wie gern hätte ich für jeden Lieutenant einen Schoppen Wein bezahlt, für jeden Hofrath eine Flasche, für jeden Professor zwei Flaschen, für einen Studenten drei; und hätte ich gar einen schönen[2] Geist, einen Theaterkritiker an mein Herz drücken können, nicht der ganze Keller wäre mir zu kostspielig gewesen. Hofräthe, Hofräthe! wenn ich je wieder euerer spotte, dann schlagt mir auf den Mund und erinnert mich an Dormans.
[2]
Hoffmann, Joh. Wacht (1823), PW 6, 637
: Geistern von Wachts Art ist [...] trotz ihres Ernstes wohl eine gewisse ironische[1] Schalkheit eigen, die sich im Leben anmutig bewegt bei irgendeinem Anstoß, so wie der tiefe Bach den über ihn hinwegstreifenden Windhauch mit silbern spielenden Wellen begrüßt.
[3]
Moritz, Dt. in Engld. (1783), 164
: Nun war unter allen diesen Clergymen auch ein Weltlicher, Nahmens Clerck, der ein starker Geist seyn wollte, und ihnen allerlei Einwürfe gegen die Bibel machte.
[4]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 52 f. (53)
: Zuvörderst [...] übersieht man [...], daß [...] durch diesen Sinn[5] des Ohrs[3] großes empfangen wird und kleines, gewaltiges und schwaches, unermeßliches und geringfügiges [...]; daß also dasjenige Ohr[3], welches nur gewöhnt ist zu empfangen: guten Morgen oder wie geht es? oder was kostet das? – um deswillen [...] nicht grade geeignet ist, eine Rede von Johannes Müller an die Schweizer oder von 〈53〉 Gentz für das europäische Gleichgewicht [...] anzuhören. Nicht etwa weil die Kenntnisse, die wissenschaftlichen Vorbereitungen fehlen, die zum Verständniß dieser Redner gehören, sondern weil das Ohr[3] an großartige Wendungen der Rede nicht gewöhnt ist, weil von den breitgetretenen, zerbröckelten Tönen des gemeinen Lebens, worin kein Gesetz herrscht, als das der Noth, kein Takt, als der der Faulheit, eigentlich kein Übergang stattfindet zu dem harmonischen Ganzen, was ein überlegener Geist mit Freiheit[10] und rhythmisch angeordnet hat.
[5]
Schelling, Notizenbl. III (1802), 73
: Das Werk eines Geistes, der, anstatt aus freyer Production die Idee der Philosophie in sich selbst zu erzeugen, aus der nächsten Hand nimmt, was ihm als solche angeboten wird, und dieses nun, ohne je zum Urbild selbst durchzudringen, zum Gegenstand seines Zweifelns und eines – je durch das Privativste, was es eben gibt, wie den Humischen sogenannten Skepticismus, erregten und unterhaltenen – Kritisirens macht, und auf diesem Weg – theilweise und atomistisch, ohne daß die Idee des Ganzen den Theilen vorangegangen wäre – zu einer Kritik[1] des gesammten Erkenntnißvermögens gelangt – das Werk eines solchen Geistes nach allen seinen Elementen und Beziehungen auf eine allgemein ansprechende Weise darzulegen, halten wir für nahezu unmöglich und für eine, wenigstens einem Talent wie dem des Hrn. Villers, nicht lösbare Aufgabe. ➢ Volltext
[6]
Schiller, Allzuviel Güte (
!1779), NA 20, 3
: Ich sehe den Erhabensten Geist, den je das Alterthum gebahr [...] – Er hat den Giftbecher in der Hand – [...] Was wird Sokrates wählen? [...] Izt, o Weißheit, leite du seine entsezliche Freyheit[5] 〈4〉 – Tod – Vergehen – Unsterblichkeit – Krone des Himmels – Versieglung blutige – große – mächtige Versieglung seiner neuen[1] Lehre! – Leite seine lezte entscheidende Freyheit[5] scharfsehender Verstand[3] – Entschieden – getrunken das Gifft – Tod – Unsterblichkeit [...]!
[7]
Schiller, Brief. Don Karlos (1788), NA 22, 146
: Der Geist[12] der Völker[1] wird von ihm studiert, ihre Kräfte, ihre Hülfsmittel abgewogen, ihre Verfassungen geprüft; im Umgange mit verwandten Geistern[32] gewinnen seine Ideen Vielseitigkeit und Form; geprüfte Weltleute, wie ein Wilhelm von Oranien, Coligny u. a. nehmen ihnen das Romantische[7] und stimmen sie allmählich zu pragmatischer Brauchbarkeit herunter [...].
[8]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (
!1803–04), KAV 2.1, 63
: Bis hieher hätte ich also dargethan, wie alle unsre Dichter in so fern gelehrt oder literarisch zu Werke gingen, daß sie fremde[1] Muster vor Augen hatten; und zugleich wie diese entweder nicht die rechten waren, oder von ihnen verfehlt wurden. Es trat aber eine Classe[1] von Schriftstellern auf, welche behaupteten, die Poesie[1] solle gar keine Kunst[1], sondern ein bestimmungsloser fast unbewußter Erguß der Natur[15] seyn. Der Irrthum lag darin, daß sie die Entgegensetzung von Kunst[1] und Natur[15] als absolut fixirten, und sie nicht zu synthesiren wußten, da doch ächte vollendete Poesie[11] eben so sehr Kunst[9] als Natur[10] seyn muß, und eins immer in das andre übergeht. Mit dem Auftreten dieser Geister hätten wir also, wie in der urältesten, so wieder in der neuesten Zeit eine ganz auf eignem Grund und Boden erwachsene Original-Poesie bekommen. Man weiß aber schon, wie es ausfiel, wie bald das Wahre, das in der anfänglichen Richtung lag, unter lauter Verwirrungen zu Grunde ging, und nachdem sich die Nebel gesenkt hatten, nur Goethe allein, in der Gestalt des reifen Meisters und Künstlers stehen geblieben war.
[9]
Schlichtegroll, Mozart (1793), 7
: Der Mensch mit wunderähnlichen Gaben und Fertigkeiten von der Natur[2] beschenkt, ist selten ein allgemeines Muster zur Nachahmung für Andere. So wie seine Vollkommenheiten uns übrigen unerreichbar sind, so können auch seine Fehler nicht zu unserer Entschuldigung gereichen. Um sich brauchbare Regeln für das praktische Leben als Mensch im Allgemeinen abzuziehen, und durch Aufmerksamkeit auf Beyspiele sich dem erreichbaren Grade der Ausbildung unserer Natur[1] zu nähern, müssen wir nicht jene seltnen Menschen zum Muster auswählen, sondern vielmehr Geister von mittlern Gaben, die aber diese Anlagen gleichförmig und vorsichtig ausgebildet haben, und denen wir es gleich zu thun hoffen dürfen.
[10]
L. Tieck, an Wackenroder (29. 5. 1792), VL 2, 40
: Schmohln habe ich Dir schon geschildert, er bleibt sich immer gleich, kleinlich, pedantisch und kalt, dabei ist er doch nicht von Affectation frei, er will nach Umständen den schönen Geist, den Empfindsamen, den Politiker und hundert andre Rollen 〈41〉 spielen, die ihm alle gleich übel stehn, er geht so weit, daß er sich selbst lächerlich macht, dabei, u. dies ist mir das unausstehlichste, ist er eitler wie ein Frauenzimmer [...], ein Bläschen im Gesicht kann ihn über eine Stunde beschäftigen, er kann sich drei bis viermahl am Tage von vorn anziehn, er ist nie glücklicher, als wenn er sich putzen kann.
[11]
Adelung, Gramm.-krit. Wb. I (
21793), 1671
: Die Bewegung ist den Thieren[1] eigen. Verstand[2] ist den Geistern[32; 1?] eigen..
[12]
Adelung, Gramm.-krit. Wb. I (
21793), 1815
: Entadeln, [...] des Adels[1/5] berauben, so wohl in eigentlicher, als auch in figürlicher Bedeutung. Das Laster entadelt den Geist..
[13]
Arndt, Erinn. (1840), 184
: Scheffner gehörte zu den Geistern, welche durch Gespräch und Gesellschaft gereizt eitel Funken von sich geben, in der Einsamkeit aber weniger glücklich schaffen. [...] Jetzt bildete er nur noch einen engen Kreis; er war noch geistesfrisch aber hochbetagt. Aber nicht allein seinen Witz[1] bewunderte man; auch seine Redlichkeit und seinen Verstand hielten die Weisen in Ehren..
[14]
Börne, Brf. Paris IV (1833), 43 f. (44)
: Kaiser Maximilian hatte einen Hofnarren, der sagte ihm einmal: Wenn wir nun Alle einmal nicht 〈44〉 mehr wollen, was willst du dann thun? Ich weiß nicht, was der Kaiser darauf geantwortet; aber der Narr, der schon vor länger als drei Jahrhunderten einen solchen großen Gedanken haben konnte, mußte ein erhab'ner[4] Geist gewesen seyn..
[15]
Brockhaus, Bild.-Conv.-Lex. IV (1841), 178
: Seine [sc. P. B. Shelleys] genialen Dichtungen drücken einen mit sich selbst zerfallenen, an Gott[1] und sittlicher Wahrheit verzweifelnden Geist aus und charakterisiren so das Extrem einer in der modernen[9] Literatur bestehenden Richtung..
[16]
C. D. Friedrich, an J. K. H. Schulze (8. 2. 1809), Z, 53
: [Caspar David] F[riedrich] ist ein abgesagter Feind, des sogenannten Contrastes. Sich durch Widersprüche aussprechen zu wollen, findet er verrückt (so nehmen ja die groben platten Menschen den Contrast) Jedes wahrhafte Kunstwerk muß nach seiner Meynung einen bestimmten Sinn[2] aussprechen; das Gemüth des Beschauers entweder zur Freude oder zur Trauer, zur Schwermuth oder zum Frohsinn bewegen, aber nicht alle Empfindungen, wie mit einem Quirl, durch einandergerührt, in sich vereinigen wollen. Eins muß das Kunstwerk nur sein wollen, und dieser eine Wille muß sich durch's Ganze führen, und jeder einzle Theil desselben, muß das Gepräge des Ganzen haben; und nicht wie viele Menschen, sich hinter schmeichelnden Worten[2] mit heimtükischer Bosheit verstecken. | Contrast, sprecht ihr, das ist die Regel aller Regeln, das Grundgesetz der Kunst[2]. Doch nur für euch, die ihr Contrast vom Geist, nur Körper seid! da paßts!.
[17]
Goethe, Mied. Tod (1789), WA I, 16, 134, V. 41
: O Weimar! dir fiel ein besonder Loos! | Wie Bethlehem in Juda, klein und groß. | Bald wegen Geist und Witz[5] beruft dich weit | Europens Mund, bald wegen Albernheit..
[18]
Goethe, Ged. (1802), WA I, 4, 129
: So ist's mit aller Bildung[1] auch beschaffen: | Vergebens werden ungebundne Geister | Nach der Vollendung reiner Höhe streben. || Wer Großes will muß sich zusammenraffen; | In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, | Und das Gesetz nur kann uns Freiheit[11] geben..
[19]
Goethe, Farbenl. Didakt. Thl. (1808), WA II, 1, 303
: Metaphysische Formeln haben eine große Breite und Tiefe, jedoch sie würdig auszufüllen, wird ein reicher Gehalt erfordert, sonst bleiben sie hohl. Mathematische Formeln lassen sich in vielen Fällen sehr bequem und glücklich anwenden; aber es bleibt ihnen immer etwas Steifes und Ungelenkes, und wir fühlen bald ihre Unzulänglichkeit, weil wir, selbst in Elementarfällen, sehr früh ein Incommensurables gewahr werden; ferner sind sie auch nur innerhalb eines gewissen Kreises besonders hiezu gebildeter Geister verständlich. Mechanische Formeln sprechen mehr zu dem gemeinen Sinn[5], aber sie sind auch gemeiner, und behalten immer etwas Rohes. Sie verwandlen das Lebendige in ein Todtes; sie tödten das innre Leben, um von außen ein unzulängliches heranzubringen. Corpuscular-Formeln sind ihnen nahe verwandt; das Bewegliche wird starr durch sie, Vorstellung und Ausdruck ungeschlacht. Dagegen erscheinen die moralischen Formeln, welche freilich zartere Verhältnisse ausdrücken, als bloße Gleichnisse und verlieren sich denn auch wohl zuletzt in Spiele des Witzes[2]..
[20]
Goethe, an A. O. Blumenthal (28. 5. 1819), WA IV, 31, 158
: Denn wie sich die lateinische Sprache[3] durch zufälliges, dann vorsätzliches Pfaffenverderbniß in die romanische[1] verlor und die südwestlichen Völker[1] mit einer solchen Verkindischung sich begnügen mußten; so war nichts natürlicher[4], als daß begabte, freiere[5] Geister von der ausgearteten absurden Tochter wieder zur hohen Mutter zurückkehrten..
[21]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 103 f. (104)
: Dieß Erheben aber des Ansich in's selbstbewußte Wissen bringt einen ungeheuren Unterschied hervor. Es ist der unendliche Unterschied, der z. B. den Menschen[1] überhaupt vom Thiere[1] trennt. 〈104〉 Der Mensch[1] ist Thier[2], doch selbst in seinen thierischen Funktionen bleibt er nicht als in einem Ansich stehen, wie das Thier[1], sondern wird ihrer bewußt, erkennt sie und erhebt sie, wie z. B. den Prozeß der Verdauung, zu selbstbewußter Wissenschaft[5]. Dadurch löst der Mensch[1] die Schranke seiner ansichseyenden Unmittelbarkeit auf, so daß er deshalb gerade, weil er weiß, daß er Thier[2] ist, aufhört Thier[1] zu seyn, und sich das Wissen seiner als Geist giebt. ➢ Volltext.
[22]
Herwegh, Rettg. Plat. (1839), W 2, 29
: Die Freunde Platens waren alle so gewöhnlich, keiner derselben war imstande, den Dichter in seiner Tiefe zu erfassen; das Beste, was sie ihm darbringen zu können glaubten, waren schale Lobhudeleien. Und seine Feinde waren so geistreich! Sie besaßen so viel Witz[1], so viel grausamen, mordenden Witz[1]! Die Schmähungen Heines hatten die unseligsten Folgen. Jeder Pinsel, der nicht wußte, was nur Poesie[3] ist, meinte nun das Recht zu haben, herzufallen über diesen eigentümlichen, in seinem Kerne untadelhaften Geist..
[23]
Köstlin, Sonnt. (
H1807), 91
: Nur in dem Werden und Vergehen aller endlichen Formen ist das Leben des Ewigen. Das einmal Vergangne kehrt nie wieder. Aber die Menschen[1] werden wieder herausgehen aus den todten Mauern, und mit frohem Erstaunen, wie ein aus schweren Träumen erwachter, die ihnen wieder leuchtende Erde und die ihnen wieder redende Gestirne begrüssen. Die Naturgeister werden wieder spielen um die kindlichen Gemüther, und der verwandte Geist wird zur alten[6] Freyheit[1] erwachen..
[24]
Laube, Jg. Eur. I.2 (1833), 10
: Er hat von allen Religionsphilosophemen genippt, ist abwechselnd Atheist, Deist, Protestant, Quäker und Pantheist gewesen und wie alle extreme Geister, die in der eignen Positivität keinen Haltpunkt finden, am Ende romanischer[5] Katholik geworden, der aber noch immer mit Aufmerksamkeit Religionsgespräche anhört..
[25]
J. D. Michaelis, Lebensbeschr. (1793), 59
: [W]eil er [sc. D'Alembert] das Französische der Preißschrift sur l'influence du langage für mein eigenes ansahe, hielt er mich für einen sehr guten französischen Schriftsteller, und machte mir, als ich in einem französischen Briefe[1] wegen meiner Schreibart um Vergebung bat, dieß unverdiente Compliment: die schönen[2] Geister in Paris würden sehr vergnügt seyn, wenn sie so gut französisch schreiben könnten, wie die Schrift sur l'influence geschrieben wäre. Daß ich nicht stolz darauf wurde, wird man leicht denken, und ich schrieb ihm gleich, das ganze mir gegebene Lob eines classischen[3] französischen Schriftstellers gehöre Merian und Premontval zu, ich könnte ohne Mühe und Furcht zu fehlen, den Brief[1] nicht einmahl schreiben, welchen er hier von mir bekäme..
[26]
Moritz, Dt. in Engld. (1783), 152 f. (153)
: Einige von den Soldaten, die starke Geister seyn wollten, gesellten sich zu mir, da ich 〈153〉 die Kirche besahe, und schienen sich ordentlich ihrer Kirche zu schämen, indem sie sagten: es sey nur eine sehr erbärmliche Kirche; worüber ich mir denn die Freiheit[9] nahm, sie zu belehren, daß keine Kirche erbärmlich sey, die ordentliche und vernünftige Menschen in sich faßte..
[27]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 53 f. (54)
: Ferner übersieht man, indem man dem Ohr[3] an und für sich schon die gehörige Bildung[5] zutraut, die Eitelkeit der Menschen; sich unthätig verhalten, über sich ergehen lassen ist keine Kunst[6], aber zu leiden, mit Verstand und Würde zu empfangen, ist überall eine ebenso große Kunst[6], als zu handeln oder mit Geist[20], mit Geschmack und mit Kraft zu geben. Aber weil die Kunst[6] des Handelns und so auch des Sprechens sichtbar ist, weil die Wirkung von ihr auszugehen scheint, weil sie ganzen Massen von Menschen und Kräften angenehme Gewalt anzutun scheint; dagegen die Kunst[6] des Leidens und des Hörens weniger in die Augen springt – so ergiebt es sich, daß zuletzt in jeder gegebenen Gesellschaft viel mehr Personen reden als hören 〈54〉 wollen, während die Natur[2] das ganz Entgegengesetzte zu wollen scheint, indem sie angeordnet hat, daß zwar viele hören können, was einer spricht, unmöglich aber einer hören kann, was viele zu gleicher Zeit reden. Die Eitelkeit der Menschen macht, daß das Sprachorgan viel mehr geübt wird als das Ohr[3], daß man von der Seele, die, wenn irgendwo, so in der Mitte zwischen diesen beiden erhabenen Organen[3] liegt, sich mehr und mehr entfernt und auf mechanischem Wege die höchste Wirkung hervorbringen will, die dem Geist[32] über den Geist[32] je gelingen kann..
[28]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 55 f. (56)
: Endlich übersieht man, indem man unsrem, der 〈56〉 heutigen kultivirten Europäer Ohr[3] von selbst schon die gehörige Bildung[5] zutraut, die Verwirrung und Verkehrung im Reiche der Geister, welche die Buchdruckerkunst angerichtet. – In den Zeiten vor dieser segensreichen, aber auch verderblichen Erfindung, wurde die Kunst[15] der Schrift nur angewendet für die Abwesenden und Nachkommen: für die Gegenwärtigen hingegen, für die Zeitgenossen, für alles, was man mit seiner Brust und Stimme[3] erreichen konnte, galt die lebendige Rede. Es war wie mit den Geldverhältnissen: wo man sich erreichen konnte, da vergalt man einander mit der Kraft seiner Hände und mit Diensten, man zahlte dem Gegenwärtigen und Zeitgenossen mit der Person: nur für die Entfernten, für die Abwesenden, für die Zukunft bediente man sich des Goldes und Silbers. – Gold und Silber verhält sich zur lebendigen That grade wie die Schrift sich zu dem lebendigen Wort[2] verhält. Als sich alle praktischen Verhältnisse des Menschen in Geldverhältnisse und alles Reden der Menschen in den höheren Geschäften des Lebens, nämlich im Regiment der Staaten und des Reiches der Wissenschaften in schriftliche Verhandlung auflöste; als nunmehr keine unbezahlte, persönliche Hülfsleistung im ganzen Gebiete des bürgerlichen Lebens als etwa zwischen Ältern und Kindern zurückblieb, als die lebendige Rede nur in den ganz gemeinen und alltäglichen Ver〈57〉hältnissen des Lebens ihr Recht behielt – wem möchte es befremden, daß von da an die Thatkraft dieses Geschlechts gelähmt, die Gewalt des göttlichen Organs[1] der Rede gebrochen und gebeugt, und das Ohr[3] für alle höheren Eindrücke, die man höchst unnatürlicherweise dem dechifrirenden Auge zuwies, verschlossen wurde..
[29]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 62 f.
: Der große Schauspieler weiß, was er von den bestimmten und hergebrachten Manieren der Antwort von Seiten des Publikums[4], vom Händeklatschen und von dem eigentlich schreienden und brausenden Beifall zu denken hat: aber wenn eine große Versammlung von der Macht der Rede so überwältigt wird, daß sie die konventionelle Antwort vergißt, daß sie wie mit einem einzigen Ohre[3] horcht [...], wenn die ganze Versammlung sich unsichtbar, aber ganz deutlich aneinander lehnt, jeder empfindet, daß er nur Glied eines größeren Menschen ist, der angeredet wird, dann ergreift auch den Künstler auf der Bühne etwas ihm selbst unerwartetes, größer als menschliches, nicht etwa eine gemeine Verwandlung in das, was er darstellt, nicht etwa eine Trunkenheit der Begeisterung[1], aber eine gewisse göttliche Ruhe; das ganze Gerüst von Vorübung und Studium seiner Rolle verschwindet, die Bemühung wird unnütz, das Talent selbst tritt zurück; es ist, als wenn ein höherer Geist, der Dichter oder irgendwer sonst, den ganzen irdischen Apparat dieser Kunst[8] entrückt hätte, als wenn er durch den Mund des Künstlers redete, 〈63〉 und als wenn derselbige Geist in seligem Anschaun seines eignen Werks auch durch das Ohr[3] der Versammlung wieder horchte [...]..
[30]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 139
: [I]ch habe wenige Männer gefunden, [...] die nur im Privatleben [...] unabhängig gewesen wären und selbstständig und frei von Manier und Ziererei. Wie sollte ich von ihnen verlangen einen Stil, ein freies Eingreifen in das öffentliche Leben, ein sich selbst Behaupten, indem man sich einer ganzen Republik von Geistern anschließt, der Denk-, Sprech- und Handlungsweise einer ganzen Korporation großer Naturen[17], sich mit Freiheit[10], mit Stolz und Demuth unterwirft..
[31]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 207
: [J]eder einzelne hat sich die Kraft zugetraut, für die Presse zu schreiben und das Zeitalter auf seine Weise in Bewegung zu setzen, und in dem Maße, als sich die Anzahl der Schreibenden der Anzahl der Lesenden nähert, oder als jene diese übertrifft, legt sich das Schreiben von selbst, und der vermeintlich so mächtige Hebel der Geister, die Buchdruckerkunst, der so thöricht gepriesen als gefürchtet worden ist, tritt zuletzt in die Reihe der gewöhnlichen Kopiermaschinen zurück und dient nur noch für die Zeitungen, Gelegenheitsschriften und Affichen des Tages fort, wo er allerdings unter der übrigen Maschinerie unsres heutigen Lebens ehrenvolle Auszeichnung verdient; so daß der Despotismus etwas lächerlich erscheinen würde, der jetzt noch ein großes Gewicht auf die ganze Anstalt legen wollte, die nur durch ungebührliche Besorgnisse von Seiten der Regierenden einige Bedeutung erhalten könnte. – Diesen Ausgang der Sache übersehen wir jetzt, aber 〈208〉 merkwürdig ist allerdings, daß der gute Genius von Östreich auch hier, wie in so vielen andern Fällen, mit dem eigentlich wesentlichen Gange der Dinge Schritt gehalten hat: daß er, solange die Presse Bedeutung hatte, sie beschränkte und jetzt, wo man dieses unschuldig gewordene Instrument[2] ohne Gefahr sich selbst und seiner eignen Ohnmacht überlassen darf, ihr die Freiheit[1] läßt, die eigentlich niemanden mehr beeinträchtigen kann..
[32]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 214
: Die Art der Öffentlichkeit, welche die Poesie[1] durch die Buchdruckerkunst erhalten hat, macht auf mich einen widrigen Eindruck, etwa als wenn: eine Frau[1] auf dem Forum, auf dem Markte öffentliche Reden vor Tausenden halten wollte, wie ich denn auch die Reden geistreicher Frauen[1] viel lieber in zierlichen Abschriften lesen würde als in dem Druck, wozu sie leider jetzt verdammt sind, da es nur diesen Einen Weg giebt, mit den verwandten Geistern ferner Zeiten[3] und Örter zu sprechen..
[33]
Mundt, Dt. Prosa (1837), 323 f. (324)
: Auch Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts, der seinen ätzenden ironischen[1] Genius in einer vortrefflichen Prosa[1] leuchten ließ, kehrte 〈324〉 seine gefährlichen Waffen gegen den schlechten Geschmack. Niemals hat Gott für elende Schriftsteller eine größere Plage geschaffen, als diesen unerbittlichen Geist, der sich seine Opfer nur in der Literatur suchte und so grausam war, einen „gründlichen Erweis der Nothwendigkeit und Vortrefflichkeit der elenden Scribenten“ zu schreiben. Mit hohnlachendem Jubel schwingt er das Panier seines Spottes und saugt sich wie ein Vampyr an das bloße Fleisch seiner Gegner an. Dann ruht er nicht eher, als bis er die Leiche vor sich liegen sieht, und verläßt sie mit einem unangenehmen Lächeln..
[34]
Pückler-Muskau, Andeut. Landsch. (1834), 230 f. (231)
: Auch die Gestaltung dieses Burgplans verdanke ich meinem hochverehrten Freunde Schinkel, ohne dessen unerschöpflichem Talent und eben so unerschöpflicher Gefälligkeit ich vielleicht nie zu einer genügenden Vollendung meiner Ideen hätte gelangen können. | Es ist wahrlich kein geringes Glück für uns, einen solchen Mann zu besitzen, dessen wohlthätiges Wirken für unser Vaterland demohngeachtet kaum noch in seiner ganzen Ausdehnung gehörig gewürdigt werden möchte. Wie oft habe 〈231〉 ich den Engländern, bei den ungeheuern Summen, die sie täglich für die Kunst[4], fast ohne Erfolg, verschwenden, gewünscht, dass ein ihm gleicher Geist ihren so guten Willen und ihr so vieles Geld durch sein Genie[2] befruchten möchte!.
[35]
Schelling, Philos. d. Kunst (
!1803–04), SW I, 5, 673
: Das romantische[12] Epos hat in der Gattung, zu der es gehört, selbst wieder einen Gegensatz. Wenn es nämlich überhaupt zwar dem Stoff nach universell, der Form nach aber individuell ist, so läßt sich zum voraus eine andere entsprechende Gattung erwarten, in welcher an einem partiellen oder beschränkteren Stoff sich die allgemein gültigere und gleichsam indifferentere Darstellung versucht. Diese Gattung ist der Roman, und wir haben mit dieser Stelle, die wir ihm geben, zugleich auch seine Natur[1] bestimmt. | Man kann allerdings auch den Stoff des romantischen[12] Epos nur relativ universell nennen, weil er nämlich immer den Anspruch an das Subjekt macht, sich überhaupt auf einen phantastischen[1] Boden zu versetzen, welches das alte[10] Epos nicht thut. Aber eben deßwegen auch, weil der Stoff vom Subjekt etwas fordert – Glauben, Lust, phantastische[1] Stimmung – so muß er Dichter von der seinigen etwas hinzuthun und so dem Stoff, was er in der einen Rücksicht an Universalität voraus haben kann, von der andern Seite wieder durch die Darstellung nehmen. Um sich dieser Nothwendigkeit zu überheben, und der objektiven Darstellung sich mehr zu nähern, bleibt demnach nichts übrig als auf die Universalität des Stoffs Verzicht zu thun und sie in der Form zu suchen. | Die ganze Mythologie des Rittergedichts gründet sich auf das Wunderbare, d. h. auf eine getheilte Welt. Diese Getheiltheit geht nothwendig in die Darstellung über, da der Dichter, um das Wunderbare als solches erscheinen zu lassen, selbst für sich in der übrigen Welt seyn muß, wo das Wunderbare als Wunderbares erscheint. Will also der Dichter mit seinem Stoff wahrhaft identisch werden und sich ihm selbst ungetheilt hingeben, so ist kein Mittel dazu, als daß das Individuum, wie überhaupt in der modernen[1] Welt, so auch hier ins Mittel trete und den Ertrag Eines Lebens und Geistes in Erfindungen niederlege, die, je höher sie stehen, desto mehr die Gewalt einer Mythologie gewinnen. So entsteht der Roman, und ich trage kein Bedenken, ihn in dieser Rücksicht über das Rittergedicht zu setzen [...]. ➢ Volltext.
[36]
Schiller, Naiv. u. sent. Dicht. II (1795), 23
: Ich kann [...] die Klaggesänge des Ovid, die er aus seinem Verbannungsort am Euxin anstimmt, wie rührend sie auch sind, und wie viel Dichterisches auch einzelne Stellen haben, im Ganzen nicht wohl als ein poetisches[1] Werk betrachten. Es ist viel zu wenig Energie, viel zu wenig Geist[27] und Adel[5] in seinem Schmerz. Das Bedürfniß, nicht die Begeisterung stieß jene Klagen aus; es athmet darinn, wenn gleich keine gemeine Seele, doch die gemeine Stimmung eines edleren Geistes[32], den sein Schicksal zu Boden drückte..
[37]
A. W. Schlegel, Zeichn. (1799), 197
: Komödien sollten lustig seyn. In Hogarth's Bildern ist alles häßlich[1] und unpoetisch, oft die ekelhafteste Anatomie moralischer Verwesung. Keine leichte Jovialität, nichts von jener absoluten Willkühr, die den darstellenden Geist über die Unsittlichkeit und Niedrigkeit des Dargestellten in eine reinere Region erhebt, und die scherzende Frechheit der alten[10] Komödie so erhaben macht. Man erklärt uns mühsam alle Absichten und Anspielungen, man weist uns mit Fingern darauf hin, damit wir es auch ja merken, was hier zu bewundern ist. Ich für mein Theil, wenn ich Witz[1] besäße, und zwar solchen, der nicht erst durch einen Vorsatz herausgedrückt zu werden braucht, sondern eine überströmende Ader, die sich in gleichsam elektrischen Schlägen ihrer Fülle entledigt, so wollte ich ihn schon besser anwenden, als zu einem weitläuftigen Kommentar über die schwerfällige satirische Prosa[4] des Engländischen Mahlers. Doch das Kommentiren haben die Deutschen nun einmal in der Art, selbst die witzigen. ➢ Volltext.
[38]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (
!
1803–04), KAV 2.1, 58
: Das einzige Verdienst, welches ihn [sc. J. Chr. Gottsched] wirklich überlebt und mehr Realität gehabt hat, als bloß in der Meynung seiner Zeitgenossen, ist das grammatische um die Deutsche Sprache[3]. Damals hielt man ihn aber in jeder Hinsicht für einen vollendeten Geist als Gelehrten, Philosophen, Kritiker und Dichter, und er gelangte in Sachen des Geschmacks zu einem so unumschränkten Ansehen, zu einer wahren Dictatur in ganz Deutschland. Auch mit dem Theater befaßte er sich sehr, in Verbindung mit einer gewissen Madame Neuber, welche damals ein Theater in Leipzig dirigirte, schaffte er den Hanswurst ab, und sie beerdigten ihn feyerlich mit großem Triumph. Gern will ich glauben, daß das Improvisiren des Lustigmachers in den Comödien, durch schlechte Ausführung sehr heruntergekommen war, allein ohne Zweifel hatte Hanswurst auch so noch in seinem kleinen Finger mehr Verstand als Gottsched in seinem ganzen Leibe, und durch eine grausame Ironie[2] des Schicksals mußte nun Gottsched selbst der Hanswurst der Deutschen Literatur werden, der sprüchwörtlich für einen lächerlichen geistlosen Pedanten angeführt wurde..
[39]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 70 f. (71)
: Niemand hat so wie er [sc. Shakspeare] den leisen Selbstbetrug geschildert, die halb selbstbewußte Heucheley gegen sich, womit auch edle Gemüther die in der menschlichen Natur[1] fast unvermeidliche Eindrängung selbstischer Triebfedern verkleiden. Diese geheime Ironie[3] der Charakteristik ist bewundernswürdig als ein Abgrund von Scharfsinn, aber dem Enthusiasmus thut sie wehe. Dahin kommt man also, wenn 〈71〉 man das Unglück gehabt hat, die Menschheit[1] zu durchschauen, und außer der traurigen Wahrheit, daß keine Tugend und Größe ganz rein und ächt sey, und dem gefährlichen Irrthum als stände das Höchste zu erreichen, bleibt uns keine Wahl übrig. Hier spüre ich, während er die innigsten Rührungen erregt, in dem Dichter selbst eine gewisse Kälte, aber die eines überlegenen Geistes, der den Kreis des menschlichen Daseyns durchlaufen, und das Gefühl überlebt hat. ➢ Volltext.
[40]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. I (
21817), 3 f. (4)
: Die allgemeine philosophische Theorie der Poesie[1] und der übrigen schönen[2] Künste[1] stellt die Grundgesetze des Schönen[1] auf, die allen mit einander gemein sind. Jede Kunst[2] hat ferner ihre besondere Theorie, welche darauf abzweckt, die Gränzen, die Schwierigkeiten und die Mittel dieser Kunst[2] kennen zu lehren. Hiezu werden wissenschaftliche Erörterungen erfo〈4〉dert, welche dem Künstler nützlich, aber wenig anziehend für solche Freunde der Kunst[2] sind, die nur die Hervorbringungen ausgezeichneter Geister genießen wollen. Die allgemeine Theorie hingegen zergliedert eine der menschlichen Natur[1] wesentliche Eigenschaft: die Fähigkeit das Schöne[1] zu empfinden, woraus das Bedürfniß der schönen[2] Künste[1] und das Wohlgefallen daran entsteht; sie zeigt das Verhältniß zwischen dieser Fähigkeit und allen übrigen sittlichen und erkennenden Fähigkeiten des Menschen. Sie ist also sehr wichtig für den Denker, aber an sich allein reicht sie nicht hin, um zur Führerin bey Ausübung der Kunst[2] zu dienen. | Die Geschichte[4] der schönen[2] Künste[1] lehrt uns, was geleistet worden, die Theorie was geleistet werden soll. Ohne ein verbindendes Mittelglied würden beyde abgesondert und unzulänglich bleiben. Die Kritik[2] ist es, welche die Geschichte[4] der Künste[2] aufklärt, und ihre Theorie fruchtbar macht. Die Vergleichung und Beurtheilung der vorhandenen Hervorbringungen des menschlichen Geistes[11] muß uns die Bedingungen an die Hand geben, die zur Bildung[1] eigenthümlicher und gehaltvoller Kunstwerke[2] erforderlich sind..
[41]
F. Schlegel, Goethe's Meister (1798), 172
: Der Onkel [...] ruht im Hintergrunde dieses Gemähldes, wie ein gewaltiges Gebäude der Lebenskunst im großen alten Styl, von edlen einfachen Verhältnissen, aus dem reinsten gediegensten Marmor. [...] Bekenntnisse zu schreiben wäre wohl nicht seine Liebhaberey gewesen; und da er sein eigner Lehrer war, kann er keine Lehrjahre gehabt haben, wie Wilhelm. Aber mit männlicher Kraft hat er sich die umgebende Natur[2] zu einer klassischen[3/8] Welt gebildet, die sich um seinen selbständigen Geist wie um den Mittelpunkt bewegt. .
[42]
F. Schlegel, Gespr. Poes. (1800), 58 f. (59)
: Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich. Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Ursprüngliches in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen, seine innerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemeinen Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu läutern und zu reinigen, wie die Thoren sich bemühen, die nicht wissen was sie wollen. Aber lehren soll ihn die hohe Wissenschaft ächter Kritik, wie er sich selbst bilden muß in sich selbst, und vor allem soll sie ihn lehren, auch jede andre selbständige Gestalt der Poesie in ihrer classischen Kraft und Fülle zu fassen, daß die Blüthe und der Kern fremder Geister
Nahrung und Saame werde für seine eigne Fantasie[1]. .
[43]
F. Schlegel, Less. Ged. u. Mein. I (1804), 48
: An einzelnen großen Geistern jeder Art hat es überhaupt in Deutschland in keinem Jahrhundert gefehlt; und man darf wohl sagen, daß oftmals hier in Einem vereinigt war, was bei andern Nationen[1] unter Hunderte vertheilt ist. Doch war das alles nur einzeln, und blieb ohne Folgen. Die alte[1] Dichtkunst war verlohren und vergessen, die Ausbildung der Prosa[1] gleichsam schon vor ihrer Entstehung gehindert, und immer mehr und mehr zerstörte die Nation[1] sich selber. Eine Zerrüttung und Ein Bürgerkrieg folgte dem andern, und da die Reformation endlich durch die unglückliche Wendung, welche sie nahm, die Trennung der Nation[1] gleichsam 〈49〉 auf ewig sanctionirte, da ganze Provinzen in eingebildeter Freiheit[7] sich losrissen, um endlich, wie es sich voraussehen ließ, unter fremdes[1] Joch zu sinken; da Ausländer jeder Art sich einnisteten; da die Fürsten selbst nach ausländischen Besitzungen und Verbindungen strebend, die vaterländischen Sitten vergaßen; was war natürlicher[4] und unvermeidlicher, als daß die Sprache[3] selbst entarten und verwildern mußte?.
[44]
F. Schlegel, Less. Ged. u. Mein. I (1804), 63 f. (64)
: Man versetze sich aber nur recht lebhaft in diese Epoche, diese sieben magre Jahre der Deutschen Litteratur, so wird man im Ganzen 〈64〉 über die Freiheit[1] und Kraft dieses Geistes [sc. Lessing] erstaunen müssen, wie er sein Haupt über sein Zeitalter emporhob, und es nicht mehr nöthig finden, im Einzelnen an ihm zu mäkeln..
[45]
Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 257
: Erst gegen die Mitte des itzigen Jahrhunderts drang das Genie[2] einiger wahrhaftig schönen und starken Geister durch die Dike der Finsternis hindurch, und zeigte Deutschland in vortrefflichen Proben, so wol das helle Licht der Critik[2], als den wahren Geist[12] der Dichtkunst. Bodmer, Haller, Hagedorn sind die ersten gewesen, die den Schimpf der Barbarey in Absicht auf die Dichtkunst, von Deutschland weggenommen..
[46]
L. Tieck, Sternbald II (1798), 45
: Der Münster [sic; sc. Straßburger Münster], sagte Bolz, ist noch ein Werk, das den Deutschen Ehre macht! | Das aber doch gar nicht zu Euren Begriffen[2] vom Idealischen[1] und Erhabenen paßt, antwortete Franz. | Was gehen mich meine Begriffe[2] an? sagte der Bildhauer; ich knie in Gedanken vor dem Geiste< nieder, der diesen allmächtigen Bau entwarf und ausführte..
[47]
L. Tieck, Phant. ü. d. Kunst (1799), 120
: Die Musik[1] ist der letzte Geisterhauch, das feinste Element, aus dem die verborgensten Seelenträume, wie aus einem unsichtbaren Bache ihre Nahrung ziehn; sie spielt um den Menschen[1], will nichts und alles, sie ist ein Organ[1], feiner als die Sprache[1], vielleicht zarter als seine Gedanken, der Geist kann sie nicht mehr als Mittel, als Organ[1] brauchen, sondern sie ist Sache 〈121〉 selbst, darum lebt sie und schwingt sich in ihren eignen Zauberkreisen. ➢ Volltext.
[48]
L. Tieck, Vorr. Minnelied. (1803), XXII f.
: Don Quixote, der bewußt und unbewußt das ganze Zeitalter nach dem Cervantes gestimmt hat, spiegelt einen unergründlichen Geist ab, dem Parodie beständig ächte Poesie[14] ist, so wie man nicht bestimmen kann, ob die Poesie[14] dieses Werkes nicht ganz als Parodie zu nehmen sei, denn es scheint, möchte man sagen, ein so heller Witz[1] durch das ganze Werk, 〈XXIII〉 daß man fast nirgend mit Sicherheit angeben kann, ob man deutlich sieht, oder nur geblendet ist. .
[49]
L. Tieck, Vorr. Minnelied. (1803), XXIII
: Im Süden hatte sich alle Poesie[11] in Phantasie[18] verflüchtigen, im Norden hatte sie sich schon früh in Gemeinheit, Alltäglichkeit und Gleichgültigkeit verliehren wollen. Mit diesem, ihrem widerwärtigsten Gegentheil vermählte sie dieser unergründliche Geist [sc. Schakspeare] und gab ihr die moralische Kraft und die Kühnheit, das Schicksal darzustellen und auszusprechen, die wir an ihm nie genug bewundern können. Er zieht einen magischen Kreis der schmerzhaftesten Ironie[1] um seine Phantasieen[19], aus welchem sie nicht weichen dürfen, und die uns nun eben so heiter[5] als wehmüthig, eben so groß und gewaltig, als beengt und niedergedrückt erscheinen wollen. Eben so räthselhaft als Cervantes, ergreift uns in seiner Gegenwart eine Bangigkeit, weil wir ein Geheimniß spüren, welches uns die frische Heiterkeit[4] des südlichen Dichters in jedem Augenblick wieder vergessen läßt. .
[50]
L. Tieck, Vorr. Minnelied. (1803), 328
: Welche Geister waren es, die ein solches Unternehmen zu denken, zu beginnen, fortzuführen wagten?.
[51]
Uhland, Romant. [Entw.] (*
?1807), FS 2, 402
: Es gehört großer poetischer[2] Reichtum dazu, um im Romantischen[14/4] zu glänzen. Der romantische[14/4] Dichter darf nicht mit ewig wiederkehrenden Bildern, mit längst verdufteten Blumen die Welt langweilen und anwidern. Ein schöpferischer Geist muß mit gewaltigem Zauberstab immer neue[1] und wechselnde Erscheinungen hervorrufen. Auch ist es nicht damit getan, das buntfarbige Feuerwerk spielen zu lassen, das mit zuckenden, sich kreuzenden Lichtern das Auge blendet. Wir wollen nicht bunte[1] Seifenblasen der Phantasterei vor uns aufsprudeln sehen; im Spiele soll Bedeutung liegen, im Bilde das göttliche Leben..
[52]
Waiblinger, Brit. in Rom (1829–30), WuB 2, 485
: Wie viel hätt' ich in frühern Jahren dafür gegeben, wenn das Schicksal mich in ein so originelles Abenteuer verwickelt hätte! Nun, da es sich ereignet, da ich in der berühmtesten Stadt der Welt, da ich unter den Trümmern der römischen Weltherrschaft mit der reizendsten Dame verwickelt bin, welche Italien nur hervorbringen kann, da sich Alles vereint, meine Liebe mit dem Stempel des Ungewöhnlichen, des Interessanten[1] zu bezeichnen, da kein Augenblick mehr verstreicht, ohne daß mir etwas Romantisches[4] widerführe, da ich die Aussicht habe, eine Verbindung, die sonst so prosaisch[3] und langweilig ist, unter den seltsamsten Verhältnissen und äußersten Gefahren bei Nacht während dem Donner der Girandola an der Totenpyramide des Cestius, an den Gräbern von Shelley und anderer stravaganten englischen Geister zu schließen; jetzt, da sich gar ein Zitronenhändler auf geheimnisvolle Art in die Verwicklung einschleicht und meine Liebesgeschichte zu einem Roman[2/1] verzaubert, wie Walter Scott, Cooper und Washington Irving keinen geschrieben und Lord Byron keinen erlebt hat, jetzt sollte ich unzufrieden sein, und nicht vielmehr dem Verhängnis danken, daß es meine Person für wichtig genug hält, um sie mit seinen barocksten Launen zu quälen?.