[1]
A. Schopenhauer, Wille u. Vorst. (1819 [1818]), 452
: Dem bei weitem größten Theil der Menschen[1] aber sind die rein intellektuellen Genüsse nicht zugänglich; der Freude, die im reinen Erkennen liegt, sind sie fast ganz unfähig: sie sind gänzlich auf das Wollen verwiesen: wenn daher irgend etwas ihren Antheil abgewinnen, ihnen interessant[1] seyn soll, so muß es (dies liegt auch schon in der Wortbedeutung) irgendwie ihren Willen anregen, sei es auch nur durch eine ferne und nur in der Möglichkeit liegende Beziehung auf ihn: er darf aber nie ganz aus dem Spiele bleiben, weil ihr Daseyn bei Weitem mehr im Wollen als im Erkennen liegt: Aktion und Reaktion ist ihr einziges Element. Die naiven Aeußerungen dieser Beschaffenheit kann man aus Kleinigkeiten und all〈453〉täglichen Erscheinungen abnehmen: so z. B. schreiben sie an sehenswerthen Orten, die sie besuchen, ihre Namen hin, um so zu reagiren, um auf den Ort zu wirken, da er nicht auf sie wirkte: ferner können sie nicht leicht ein fremdes[4], seltenes Thier[1] bloß betrachten, sondern müssen es reizen, necken, mit ihm spielen, um nur Aktion und Reaktion zu empfinden; ganz besonders aber zeigt jenes Bedürfniß der Willensanregung sich an der Erfindung und Erhaltung des Kartenspieles, welches recht eigentlich der Ausdruck der kläglichen Seite der Menschheit[1] ist. ➢ Volltext
[2]
Schelling, Philos. d. Kunst (
!1803–04), SW I, 5, 470
: Im Kunstwerk[2] selbst als Objektivem verhalten sich Erhabenheit und Schönheit[1] wie im Subjektiven Poesie[1] und Kunst[4]. Aber auch in der Poesie[1] für sich, sowie der Kunst[4] für sich, ist wieder derselbe Gegensatz möglich, dort als naiv und sentimental[1], hier als Styl und Manier. ➢ Volltext.
[3]
Schiller, Naiv. u. sent. Dicht. III (1796), 102 f. (103)
: Da es also weder dem arbeitenden Theile der Menschen überlassen werden darf, den Begriff[1] der Erholung nach seinem Bedürfniß, noch dem contemplativen Theile, den Begriff[1] der Veredlung nach seinen Speculationen zu bestimmen, wenn jener Begriff[1] nicht zu physisch und der Poesie[1] zu unwürdig, dieser nicht zu hyperphysisch und der Poesie[1] zu überschwenglich ausfallen soll – diese beyden Begriffe[1] aber, wie die Erfahrung lehrt, das allgemeine Urtheil über Poesie[1] und poetische[4] Werke regieren, so müssen wir uns, um sie auslegen zu lassen, nach einer Klasse[2] von Menschen umsehen, welche ohne zu arbeiten thätig ist, und idealisiren kann, ohne zu schwärmen; welche alle Realitäten des Lebens mit den wenigstmöglichen Schranken desselben in sich vereiniget, und vom Strome der Begebenheiten getragen wird, ohne der Raub desselben zu werden. Nur eine solche Klasse[2] kann das schöne[1] Ganze menschlicher Natur[1], welches durch jede Arbeit augenblicklich, und durch ein arbeitendes Leben anhaltend zerstört wird, aufbewahren, und in allem, was rein menschlich ist, durch ihre Gefühle dem allgemeinen Urtheil Gesetze geben. Ob eine solche Klasse[2] wirklich existiere, oder vielmehr ob diejenige, welche unter ähnlichen äußern Verhältnissen wirklich existiert, diesem Begriffe[1] 〈103〉 auch im innern entspreche, ist eine andre Frage, mit der ich hier nichts zu schaffen habe. Entspricht sie demselben nicht, so hat sie bloß sich selbst anzuklagen, da die entgegengesetzte arbeitende Klasse[2] wenigstens die Genugthuung hat, sich als ein Opfer ihres Berufs zu betrachten. In einer solchen Volksklasse (die ich aber hier bloß als Idee aufstelle, und keineswegs als ein Faktum bezeichnet haben will) würde sich der naive Charakter[1] mit dem sentimentalischen[1] also vereinigen, daß jeder den andern vor seinem Extreme bewahrte, und indem der erste das Gemüth vor Ueberspannung schützte, der andere es vor Erschlaffung sicher stellte. Denn endlich müssen wir es doch gestehen, daß weder der naive noch der sentimentalische[1] Charakter[1], für sich allein betrachtet, das Ideal schöner[1] Menschlichkeit ganz erschöpfen, das nur aus der innigen Verbindung beyder hervorgehen kann..
[4]
F. Schlegel, an A. W. Schlegel (26. 8. 1797), KFSA 24, 8 f. (9)
: Hermann und Dorothea [...] ist das herzlichste, biederbste, edelste, naivste[2] und sittlichste unter G[oethe]'s Gedichten. [...] Das Gedicht ist offenbar mit der Absicht gedichtet, so sehr altes[10] Griechisches[2] επος zu seyn, als bey dem romantischen[12] Geist[12], der im Ganzen lebt, möglich wäre. Bey sehr großer Aehnlichkeit im Einzelnen ist also absolute Verschiedenheit im Ganzen. Durch diesen romantischen[12] Geist[12] ist es weit über Homer, dem es aber an ηθος und Fülle wieder weit nachsteht. Man könnte es ein romantisirtes[6] επος nennen. Aber freylich in ganz anderm Sinne, als das Romanzo der Italiäner. – Auch 〈9〉 wo es am antiksten[2] und naivsten[1], und am homerischsten scheint, läßt s.[ich] doch ein Bewußtseyn, eine Selbstbeschränkung wahrnehmen, die höchst unhomerisch oder vielmehr überhomerisch sind..
[5]
F. Schlegel, Philos. Lehrj. II (*1797), KFSA 18, 82, Nr. 631
: Der Katholizismus ist naives χρ [Christentum]. Der Protest[antismus] sentimentales[1]. Das progreßive[6] fängt erst an. ➢ vgl. [6].
[6]
F. Schlegel, Ath.-Fragm. (1798), 62, Nr. 231
: Der Katholizismus ist das naive Christenthum; der Protestantismus ist sentimentaler[1], und hat außer seinem polemischen revoluzionären Verdienst auch noch das positive, durch die Vergötterung der Schrift die einer universellen und progreßiven[6] Religion auch wesentliche Philologie veranlaßt zu haben. ➢ Volltext; vgl. [5].