[1]
Brockhaus, Conv.-Lex. IV (1809), 326
: Romantisch[7/4]. Da die meisten Romane[1] die Menschen[1] und Begebenheiten nicht so schildern, wie sie in der Natur[2] und in der wirklichen Welt erscheinen, sondern so, wie sie nach einem ästhetischen oder moralischen Ideale sein sollten, oder wie sie die oft überspannte Phantasie[3] des Dichters sich erträumt; so nennt man romantisch[7/4], im guten und schlimmen Sinne[1], alles, was entweder durch idealische Vollkommenheit, oder durch abenteuerliche[3] Seltsamkeit und Verschrobenheit von dem Gewöhnlichen abweicht. So heißt ein Gesicht romantisch[7], wenn es bei dem sanften Ausdrucke von Unschuld, Zärtlichkeit, Offenheit ein reitzbares Gefühl für Freundschaft, Liebe[1], Menschlichkeit verräth – eine Gegend, eine Lage, wenn ihre erhabnen oder rührenden Schönheiten[1] nicht durch blinde Naturkraft zusammengestellt, sondern nach einem künstlichen Plane zu Erweckung sanfter oder erhabner Empfindungen absichtlich angelegt scheinen – ein Charakter[6], in dem Neigung zum Ungewöhnlichen, Freundschaft, Liebe[1], Patriotismus, hoher Glaube an die Tugend oder Erwartung eines seltsam glücklichen Ausgangs wohlgemeinter Unternehmungen u. s. w. oder auch schlichte Sitteneinfalt, Vernachlässigung des Herkommens, der Mode, der Formalitäten, der Hofsitte in den Handlungen des gemeinen Lebens, vornehmlich aber in der Wahl des Standes, des Gatten, der Freunde hervorstechend sind. Allerdings kann sowohl der Hang zu idealisiren, als die treue Anhänglichkeit an die Natur[2] auf Abwege verleiten, jener kann unter das gewöhnlich Gute herabsinken lassen, welches er zu überfliegen, diese von der Natur[2] entfernen, welcher er anzunähern strebt; allein die 〈327〉 Grundlage des Romantischen[7] ist edel und schön[1]. In der wirklichen Welt, d. h. in der Welt der gemeinen Menschen[1], die durch Eigennutz, Gewohnheit – Vorurtheil regiert wird, verstößt freilich ein romantischer[7] Sinn[5/9] mit jedem Schritte. Flache seelenlose Weltleute, Schlendriansmänner, die da in der Meinung stehen, alles müsse so sein, wie es bisher war und noch ist, glauben daher, einen uneigennützigen Charakter[6], ein edles Streben, sich und die Menschheit[2] zu vervollkommnen, nicht leichter herabwürdigen zu können, als durch den Vorwurf des Romantischen[7]..
[2]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.1 (1809), 32 f. (33)
: Der Pastor fido insbesondre ist eine unnachahmliche Hervorbringung: originell und doch classisch[3]; romantisch[7] durch den Geist[12] der dargestellten Liebe: in den Formen mit dem großen einfachen Gepräge des classischen[3/7] Alterthums[2] bezeichnet; neben den süßen Tändeleyen der Poesie[3] voll von hoher keuscher Schönheit[6] des Gefühls. Keinem Dichter 〈33〉 ist es wohl so gelungen, die moderne[1] und antike[2] Eigenthümlichkeit zu verschmelzen. Für das Wesen der alten[10] Tragödie zeigt er einen tiefen Sinn[5], denn die Idee des Schicksals beseelt die Grundanlage seines Stückes, und die Hauptcharakter kann man idealisch nennen; er hat zwar auch Caricaturen eingemischt, und die Composition deswegen Tragikomödie genannt: allein sie sind es nur durch ihre Gesinnungen, nicht durch den Unadel der äußern Sitten, gerade wie die alte[10] Tragödie selbst den untergeordneten Personen, Sklaven oder Boten, ihren Antheil an der allgemeinen Würde leiht. ➢ Volltext.
[3]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 118
: Verbannung und Flucht haben in den Ardennen eine seltsame Gesellschaft versammelt: einen durch seinen Bruder entthronten Herzog, der mit seinen treuen Unglücksgefährten in der wilden Gegend von der Jagd lebt: zwey verkleidete einander schwesterlich liebende Prinzessinnen; einen witzigen Hofnarren; endlich die einheimischen Bewohner des Waldes, idealische und natürliche[2] Schäfer und Schäferinnen. Diese leicht hingezeichneten Figuren ziehn in buntem Wechsel vorüber, und immer sieht man die schattige dunkelgrüne Landschaft im Hintergrunde, und glaubt frische Waldluft zu athmen. Keine Uhr, keine geregelte Tagesordnung mißt hier die Stunden: sie verfließen ungezählt in den Beschäftigungen oder dem fantastischen[3] Müßiggange, dem sich jeder nach seiner Laune oder Gemüthsart ergiebt, und diese unbegränzte Freyheit[5] entschädigt alle für die eingebüßten Bequemlichkeiten des Lebens. ➢ Volltext.
[4]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 137 f. (138)
: Romeo und Julia ist ein Gemählde der Liebe und ihrer beklagenswerthen Schicksale in einer Welt, deren Atmosphäre zu rauh für diese zarteste Blüthe des menschlichen Daseyns ist. Zwey für einander geschaffne Wesen werden sich beym ersten Erblicken alles; jede Rücksicht verschwindet vor dem unwiderstehlichen Triebe eins im andern zu leben; sie verbinden sich insgeheim unter widerstrebenden Verhältnissen, bloß auf den Schutz der unsichtbaren Mächte vertrauend; durch Schlag auf Schlag erfolgende feindselige Vorfälle wird ihre heldenmüthige Treue in wenigen Tagen auf die Probe gestellt, bis sie, gewaltsam getrennt, durch einen freywilligen Tod sich im Grabe und jenseit des Grabes wieder vereinigen. Alles dieß findet sich schon in der schönen[1] Geschichte[9], die Shakspeare nicht ersonnen hat, und die, auf das einfachste erzählt, immer eine zärtliche Theilnahme erregen wird. Aber Shakspeare'n war es vorbehalten, Reinheit des Herzens und Glut der Einbildungskraft, Anmuth und Adel[5] der Sitten und 〈138〉 leidenschaftlichen Ungestüm in einem idealischen Gemählde zu verbinden. ➢ Volltext.
[5]
F. Schlegel, Ath.-Fragm. (1798), 14, Nr. 51
: Naiv[2 ist, was bis zur Ironie[3], oder bis zum steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung natürlich[2], individuell oder klassisch[5] ist, oder scheint. [...] Das schöne[1], poetische[1], idealische Naive[2] muß zugleich Absicht, und Instinkt seyn. ➢ Volltext.
[6]
L. Tieck, Sternbald II (1798), 45
: Der Münster [sic; sc. Straßburger Münster], sagte Bolz, ist noch ein Werk, das den Deutschen Ehre macht! | Das aber doch gar nicht zu Euren Begriffen[2] vom Idealischen und Erhabenen paßt, antwortete Franz. | Was gehen mich meine Begriffe[2] an? sagte der Bildhauer; ich knie in Gedanken vor dem Geiste[32] nieder, der diesen allmächtigen Bau entwarf und ausführte..