[1]
Goethe, Dicht. u. Wahrh. II (1812), WA I, 27, 346
: Gedachtes Werk [O. Goldsmith, The Vicar of Wakefield. A Tale (1766)] hatte bei mir einen großen Eindruck zurückgelassen, von dem ich mir selbst nicht Rechenschaft geben konnte; eigentlich fühlte ich mich aber in Übereinstimmung mit jener ironischen[3] Gesinnung, die sich über die Gegenstände, über Glück und Unglück, Gutes und Böses, Tod und Leben erhebt, und so zum Besitz einer wahrhaft poetischen Welt gelangt.
[2]
Laube, Jg. Eur. II.2 (1837), 12
: Später hatte ihn die [...] Zuvorkommenheit des Grafen [...] nicht mehr an Geld und Gelderwerbung denken lassen, er hatte sich unterdeß an die Bedürfnisse der höhern Klassen[2] gewöhnt, und der Gedanke überraschte ihn bei der argen augenblicklichen Verlegenheit nicht eben angenehm, daß er auf diese Weise durchaus nicht fortleben dürfe. Der Staat ist einmal auf Erwerb gegründet, sagte er sich, und Du bist ein unnützes, unproduktives Mitglied. | Es hatte zwar eine Zeit[3] gegeben, wo er in poetischer Ansicht des Lebens solche triviale Staatsforderungen entrüstet abgewiesen hätte, aber ein Augenblick, wo man dem Hunger und Mangel vor der Thür sieht, ist der poetischen Ansicht des Staates 〈13〉 nicht günstig.
[3]
C. Michaelis, an L. Gotter (6. 2. 1783), C 1, 70
: Daß mir das übrige ihres Tagebuchs ganz gefiele, kan ich nicht sagen. Mich däucht es sind so viel Wiederholungen und Worte[1], mit denen sie [sc. Friederike Münter (später Friederike Brun)] kaum selbst immer einen Sinn[1] verbindet, weil sie nicht selbst gemacht und gedacht, sondern aus Dichtern[4] genommen sind, die ihr so im Gedächtniß zu schweben[5] scheinen, daß sie sich mit ihnen verwechselt. Sie hat sich in den sehr poetischen Schwung geworfen, und nichts ist wohl verzeihlicher, da sie so jung ist, aber dies müste gemildert, ihr Herz fester und ihr Verstand[1] schärfer gemacht werden. Das erste würde dann jene Weichheit, die so leicht in Empfindeley ausartet, und der zweyte seine Sonderbarkeit verlieren. Sie schien mir überhaupt mehr Talente als Verstand[1] zu haben, wenn ich das Verstand[1] nenne, Menschen[1] und Sachen nach ihrem wahren (unpoetischen) Gesichtspunkt zu beurtheilen [...].
[4]
Pückler-Muskau, Andeut. Landsch. (1834), 176 ff. (178)
: [I]ch beschloss [...] das ganze Flussgebiet mit seinen angränzenden Plateaus und Hügelreihen, Fasanerie, Feldflur, Vorwerk, Mühle, Alaunbergwerk u. s. w. [...] 〈177〉 [...] zum Park auszudehnen, und [...] die Stadt selbst durch den Park so zu umschliessen, dass sie künftig mit ihrer Flur nur einen Theil desselben ausmachen solle. Da sie eine mir bisher unterthänige, und noch immer abhängige Mediatstadt ist, so gewann ihre Hinzuziehung zu dem projektirten Ganzen eine historische Bedeutung; denn die Hauptidee, welche ich der Fassung des ganzen Planes zum Grunde legte, war eben keine andere als die, ein sinniges Bild des Lebens unserer Familie, oder vaterländischer Aristokratie, wie sie sich eben hier vorzugsweise ausgebildet, auf eine solche Weise darzustellen, dass sich diese Idee im Gemüth des Beschauers, so zu sagen, von selbst entwickeln müsse. [...] Manche Ultra-Liberale werden vielleicht über einen solchen Gedanken lächeln, aber jede Form menschlicher Ausbildung ist ehrenwerth, und eben weil die hier in Rede stehende sich 〈178〉 vielleicht ihrem Ende naht, fängt sie wieder an ein allgemeines, poetisches und romantisches[7] Interesse zu gewinnen, das man bis jetzt Fabriken, Maschinen und selbst Constitutionen noch schwer abgewinnen kann. [...] Euer ist jetzt das Geld und die Macht – lasst dem armen ausgedienten Adel[2] seine Poesie[20], das Einzige, was ihm übrig bleibt.
[5]
Schiller, Naiv. u. sent. Dicht. II (1795), 23
: Ich kann [...] die Klaggesänge des Ovid, die er aus seinem Verbannungsort am Euxin anstimmt, wie rührend sie auch sind, und wie viel Dichterisches auch einzelne Stellen haben, im Ganzen nicht wohl als ein poetisches Werk betrachten. Es ist viel zu wenig Energie, viel zu wenig Geist[27] und Adel[5] in seinem Schmerz. Das Bedürfniß, nicht die Begeisterung stieß jene Klagen aus; es athmet darinn, wenn gleich keine gemeine Seele, doch die gemeine Stimmung eines edleren Geistes[32], den sein Schicksal zu Boden drückte.
[6]
L. Tieck, W. Lovell III (1796), 19 f. (20)
: Ich saß wieder in demselben Zimmer des Wirthshauses, in dem ich damals einen so empfindsamen Brief[1] an Eduard Burton schrieb, 〈20〉 wohl gar wenn ich nicht irre, Verse machte. Es ist eine niedrige unangenehme Stube, und mir würde jetzt kein poetischer Gedanke dort einfallen. Die Gegend umher, die mir im Mondschein damals so romantisch[7] vorkam, ist nichts als ein weiter grüner Haideplatz, mit einigen Bäumen, in der Ferne sieht man Wald. Wie närrisch war damals die ganze Welt für mich ausgeputzt! ➢ Volltext
[7]
Brentano/Görres, BOGS (1807), 7
: Als Kind war ich schon so im Kreise herumgedreht, daß ich schon rund dumm war, da ich zu Verstande[5] kam, und das erste Wort[2], das ich redete, war an meine poetische und verliebte Kindermagd: Mensch[3], lasse Sie mich unter kein Rad kommen, damit ich selbst ein gut Rad oder eine gesunde Speiche werden kann. ➢ Volltext.
[8]
Hegel [Hotho], Aesth. I (1835), 207 f.
: Bei diesem Gegensatze des Ideals und der Natur[19] hat man nun also die eine Kunst[10] mehr als die andre im Sinne gehabt, hauptsächlich aber die Malerei, deren Sphäre gerade die anschauliche Besonderheit ist. Wir wollen deshalb die Frage in Betreff dieses Gegensatzes allgemeiner so stellen: soll die Kunst[10] Poesie[14] oder Prosa[4] seyn? Denn das ächt Poetische[1] in der Kunst[10] ist eben das, 〈208〉 was wir Ideal nannten. Kommt es auf den bloßen Namen Ideal an, so ließe sich derselbe leicht aufgeben. Dann entsteht aber die Frage, was ist denn Poesie[14] und was ist Prosa[4] in der Kunst[10]? Obschon auch das Festhalten des an sich selbst Poetischen[1/4] in Bezug auf bestimmte Künste[10] zu Abirrungen führen kann und bereits geführt hat, insofern was der Poesie[11] ausdrücklich und näher der lyrischen etwa angehört, auch durch die Malerei, weil solch ein Inhalt denn doch gewiß poetischer[1] Art sey, dargestellt worden ist. Die jetzige Kunstausstellung (1828) z. B. enthält mehrere Gemälde, alle aus ein und derselben (der sogenannten Düsseldorfer) Schule, welche sämmtlich Sujets aus der Poesie[11] und zwar aus der nur als Empfindung darstellbaren Seite der Poesie[11] entlehnt haben. Sieht man diese Gemälde öfter und genauer an, so erscheinen sie bald genug als süß und fade. ➢ Volltext.
[9]
Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. I (1834), 237 f. (238)
: Antike[4], Antiken[3], (vom lateinischen Worte[1] antiquus, längst verflossen, alt[1]) die Kunst[11] der Alten[10], Alterthümer[5]; im scharfen 〈238〉 Gegensatze zur Kunst[11] der Neuen[5] zur modernen[1] oder romantischen[12] Kunst[11]. Die antike[2] Kunst[11] (eigentlich nur die griechische[2] zu nennen) ist leichter zu beurtheilen, als in ihrem Stile zu schaffen. Ideale Ruhe, göttlicher Adel[5] in der Form und kühne Einfachheit sind die Kennzeichen, das Wesen der Antike[4]. Woher aber jene himmlische Ruhe, jene unnachahmliche Grazie, jene Abgeschlossenheit (Plastik) in der Antike[4]? – Griechenland war von Poesie[14] durchdrungen, nämlich von einer Phantasie[3], die ihre Ideale im Leben selbst vorfand, und dieselben in Formen bringen konnte, die wirklich vorhanden waren; die Kunst[11] besteht aber nur in dieser Verschmelzung des Ideals mit der Wirklichkeit, diese Erhebung des Irdischen zum übersinnlichen Genusse. Und wenn ein poetischer Mensch derjenige ist, welcher bei Beschauung irdischer Gegenstände diesen sogleich ihre himmlische Beziehung in schöner[1] Form anweist, so waren die Griechen eine poetische Nation[1], und die Kunst[4] lag ihnen nahe. Das Schöne[1] setzten sie über Alles, weil sie selbst schön[1] waren; sie vergötterten schöne[1] Menschen nach dem Tode; ihre Lebensaufgabe war Genuß des Schönen[1]..
[10]
Jean Paul, Vorsch. Ästh. I (1804), 22
: Denn wie das organische[3] Reich das mechanische aufgreift, umgestaltet und beherrschet und knüpft, so übt die poetische[4/1/3] Welt dieselbe Kraft an der wirklichen und das Geisterreich am Körperreich. Daher wundert uns in der Poesie[11/15/14] nicht ein Wunder, sondern es giebt da keines, ausgenommen die Gemeinheit. Daher ist – bey gleichgesetzter Vortrefflichkeit – die poetische[4/1/3] Stimmung auf derselben Höhe, ob sie ein ächtes Lustspiel oder ein ächtes Trauerspiel, sogar dieses mit romantischen2/4] Wundern aufthut [...]..
[11]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 90
: Wir haben neulich beschrieben, welchen leisen, aber gewaltigen Einfluß der Zuhörer über den Redner durch Geberden, Rührungen, ja durch die bloßen Stufen seiner Aufmerksamkeit und seines Schweigens[1] ausübt: wahrlich, diese Gewalt kommt ihm, weil er wirklich auf jene ruhige, leidenschaftslose, selige Höhe des Dichters über die Partheien erhoben wird. Ebenso ist das Verhältniß der Frauen[1] zu den männlichen Geschäften, immer klar ihr Urtheil, natürlich[2] wie ihre Briefe[1] und Erzählung, oft, und grade in den verwickeltsten Lagen des männlichen Lebens, oft orakelhaft und unbegreiflich weise; warum? weil sie mit Rücksicht auf die männlichen prosaischen[3] Geschäfte in der höheren, leidenschaftslosen, poetischen Region stehn, weil sie überhaupt, wie jeder dritte bei einem Gespräch, wie jeder theilnehmende Zuhörer, nothwendig dahin treten müssen, wo die Gerechtigkeit ein Zustand ist..
[12]
Novalis, Allg. Brouill. (*1798), NS 3, 303, Nr. 347
: Psych[ologie]. Alles Neue[1] wirckt, als Äußres, Fremdes[4], poëtisch[3/1] –. Alles Alte[1] wirckt als Innres, Eigenes, ebenfalls romantisch[7] – Beydes im Kontrast gegen das Gewöhnliche – oder gegen einander. Neuheit des Alten[1] – Altheit des Neuen[1]. Das Gemeine Leben ist prosaïsch[3] – Rede – nicht Gesang. Die Menge des Gewöhnlichen verstärkt nur die Gewöhnlichkeit – daher der fatale Eindruck der Welt aus dem gemeinen (indifferenten) nüzlichen, prosaïschen[3] Gesichtspunct..
[13]
Novalis, Glaub. u. Lieb. (1798), 273
: Meinethalben mag jetzt der Buchstabe[8/9] an der Zeit[9] seyn. Es ist kein großes Lob für die Zeit[9], daß sie so weit von der Natur[19] entfernt, so sinnlos für Familienleben, so abgeneigt der schönsten[1] poetischen Gesellschaftsform ist. Wie würden unsre Kosmopoliten erstaunen, wenn ihnen die Zeit[3] des ewigen Friedens erschiene und sie die höchste gebildetste Menschheit[3] in monarchischer Form erblickten? Zerstäubt wird dann der papierne Kitt seyn, der jetzt die Menschen[1] zusammenkleistert, und der Geist[12/30] wird die Gespenster, die statt seiner in Buchstaben[8/9] erschienen und von Federn und Pressen zerstückelt ausgingen, verscheuchen, und alle Menschen[1] wie ein paar Liebende zusammen schmelzen..
[14]
Novalis, Aftdg I (*1799–1800; 1802), 101
: Der Krieg überhaupt, sagte Heinrich, scheint mir eine poetische Wirkung. Die Leute glauben sich für irgend einen armseligen Besitz schlagen zu müssen, und merken nicht, daß sie der romantische[7] Geist[12] aufregt, um die unnützen Schlechtigkeiten durch sich selbst zu vernichten. Sie führen die Waffen für die Sache der Poesie[20], und beyde Heere folgen Einer unsichtbaren Fahne..
[15]
Ramdohr, Landsch. Friedr. (1809), 119
: Jener Mysticismus, der Symbole, Phantasieen[19] für malerische[2] und poetische Bilder ausgibt, und das klassische[3] Alterthum[2] mit gothischem Schnitzwerk, steifer Kleinmeisterei, und mit Legenden vertauschen möchte! ➢ Volltext.
[16]
Schiller, an Chr. G. Körner (10. 3. 1789), NA 25, 225
: Auch über die Epoche aus seinem Leben die ich wählen würde habe ich nachgedacht. Ich hätte gerne eine unglückliche Situation, welche seinen Geist[14] unendlich poetischer entwickeln läßt, die Schlacht bey Kollin und der vorhergehende Sieg bei Prag z. B. oder die traurige Constellation vor dem Tode der Kaiserin Elisabeth, die sich dann so glücklich und so romantisch[4] durch ihren Tod lös't..
[17]
Schiller, Trag. Kunst (1792), NA 20, 169
: Das Produkt einer Dichtungsart ist vollkommen, in welchem die eigenthümliche Form dieser Dichtungsart zu Erreichung ihres Zweckes am besten benutzt worden ist. Eine Tragödie also ist vollkommen, in welcher die tragische Form, nehmlich die Nachahmung einer rührenden Handlung am besten benutzt worden ist, den mitleidigen Affekt zu erregen. Diejenige Tragödie würde also die vollkommenste seyn, in welcher das erregte Mitleid weniger Wirkung des Stoffs als der am besten benutzten tragischen Form ist. Diese mag für das Ideal der Tragödie gelten. | Viele Trauerspiele, sonst voll hoher poetischer Schönheit[1], sind dramatisch tadelhaft, weil sie den Zweck der Tragödie nicht durch die beste Benutzung der tragischen Form zu erreichen suchen; andre sind es, weil sie durch die tragische Form einen 〈170〉 andern Zweck als den der Tragödie erreichen. Nicht wenige unsrer beliebtesten Stücke rühren uns einzig des Stoffes wegen, und wir sind großmüthig oder unaufmerksam genug, diese Eigenschaft der Materie dem ungeschickten Künstler als Verdienst anzurechnen. Bey andern scheinen wir uns der Absicht gar nicht zu erinnern, in welcher uns der Dichter im Schauspielhause versammelt hat, und, zufrieden durch glänzende Spiele der Einbildungskraft und des Witzes[2] angenehm unterhalten zu seyn, bemerken wir nicht einmal, daß wir ihn mit kaltem Herzen verlassen. Soll die ehrwürdige Kunst[3], (denn das ist sie, die zu dem göttlichen Theil unsers Wesens spricht) ihre Sache durch solche Kämpfer vor solchen Kampfrichtern führen? – Die Genügsamkeit des Publikums ist nur ermunternd für die Mittelmäßigkeit, aber beschimpfend und abschreckend für das Genie[4]..
[18]
Schiller, Chor. Trag. (1803), VI f. (VII)
: Wem die Natur[2] zwar einen treuen Sinn[9] und eine Innigkeit des Gefühls verliehen, aber die schaffende Einbildungskraft versagte, der wird ein treuer Mahler des Wirklichen seyn, er wird die zufällige Erscheinungen aber nie den Geist[12] der Natur[2] ergreifen. Nur den Stoff der Welt wird er uns wiederbringen, aber es wird eben darum nicht unser Werk, nicht das freie Produkt unsers bildenden Geistes[19] seyn, und kann also auch die wohlthätige Wirkung der Kunst[2], welche in der Freiheit[10] besteht, nicht haben. Ernst zwar, doch unerfreulich ist die Stimmung, mit der uns ein solcher Künstler und Dichter entläßt, und wir sehen uns durch die Kunst[2] selbst, die uns befreien sollte, in die gemeine enge Wirklichkeit peinlich zurück versezt. Wem hingegen zwar eine rege Phantasie[1] aber ohne Gemüth und Charakter[3] zu Theil geworden, der wird sich um keine Wahrheit bekümmern; sondern mit dem Weltstoff nur spielen, nur durch phantastische[2] und bizarre Combinationen zu überraschen suchen, und wie sein ganzes Thun nur Schaum und Schein ist, so wird er zwar für den Augenblick unterhalten, aber im Gemüth nichts 〈VII〉 erbauen und begründen. Sein Spiel ist, so wie der Ernst des andern, kein poetisches. Phantastische[2] Gebilde willkührlich aneinander reihen, heißt nicht ins Ideale gehen, und das Wirkliche nachahmend wieder bringen, heißt nicht die Natur[10] darstellen..
[19]
Schiller, Chor. Trag. (1803), VIII
: Durch Einführung einer metrischen Sprache[4] ist man [...] der poetischen[1] Tragödie schon um einen grossen Schritt näher gekommen. Es sind einige lyrische Versuche auf der Schaubühne glücklich durchgegangen, und die Poesie[1] hat sich durch ihre eigene lebendige Kraft, im Einzelnen, manchen Sieg über das herrschende Vorurtheil errungen. Aber mit den einzelnen ist wenig gewonnen, wenn nicht der Irrthum im Ganzen fällt, und es ist nicht genug, daß man das nur als eine poetische[4] Freiheit[17] duldet, was doch das Wesen aller Poesie[1] ist..
[20]
A. W. Schlegel, Beytr. (1798), 164 f. (165)
: Alsdann tritt Adelaide als das „seltne Geschöpf hervor, die sich von ihnen allen durch ihren Karakter[2] unterscheidet. Ihr Herz war ein lebender Hauch der Liebe, und zugleich stark wie ein Diamant, ihr offnes Auge war heiter[1], aber in diesen Augen spielte nicht der leichte Sinn der Jugend, es leuchtete darin ein Stral des ewigen Lebens, es schien über das Elend hinweg in eine Welt voll Ruhe zu sehn, und die Thräne, die in den langen Augen〈165〉wimpern hing, zeigte das Elend, das zwischen ihr und der Ewigkeit lag. Ihre Stimme[3] war sanft und ernst triumphirend wie der Halleluja Gesang der Engel, ihre Wange stralend von einem sanften Morgenroth u. s. w.“ ⦿ So geht es ganze Blätter hindurch. Welche lockende Worte[2]! Könnte man mit Worten[2] allein dichten, so wäre Lafontaine der Mann. Aber aus dem Ganzen ergiebt sich, wie wenig poetischen Sinn[1] sie im Hinterhalt haben, und daß sie höchstens als eine musikalische[3] Verzierung zu betrachten sind. Jean Paul musizirt zuweilen auch so; doch ist es wirklich seine Phantasie[3] die da spielt, nicht bloß eine mechanische Fertigkeit der Hände. ➢ Volltext.
[21]
A. W. Schlegel, Beytr. (1798), 170 f. (171)
: Der Dichter [sc. L. Tieck in den Volksmährchen (1797)] bestrebt sich [...] überall den Ton des Gegenstandes zu halten, und er trifft ihn gewöhnlich mit der Sicherheit einer unabsichtlichen Richtung. Deswegen konnte er aus der Geschichte von den Heymons Kindern, in zwanzig altfränkischen Bildern, nichts anders machen wollen als einen poetischen Holzschnitt. Die genaue Beobachtung der Perspektive muß man einem solchen schon erlassen: aber in den eckichten und groben Umrissen dieser kolossalen Figuren dürfte leicht mehr Natur[19] und Karakter[2] seyn, als in der Kritik[5] eines Kunstrichters, der sie unnatürlich und karakterlos nennt, ihre Erdichtung der Unwissenheit und dem Aberwitz zuschreibt, und das Ganze vornehm in die Jahrmarktsbuden zurückweist. Man sollte sich doch hüten, in einem prosaischen[3] Zeitalter ehrliche alte Volkssagen so schnöde anzulassen, denen es, wie unförmlich sie auch sonst seyn 〈171〉 mögen, schwerlich ganz an poetischer Energie fehlt. ➢ Volltext.
[22]
A. W. Schlegel, Vorles. philos. Kunstlehr. (
!
1798–99), KAV 1, 93 f. (94)
: Witz[4] und Spott kann auf eine scherzhafte Art gebraucht werden. Beides verträgt sich aber auch mit dem strengsten Ernste. – Ernst ist eine Richtung der Gemütskräfte nach einem Ziele und eine Beschränkung der Tätigkeit; Überströmen der Geisteskräfte nach allen Richtungen. Der Scherz hat gar keinen Zweck, keine Konsequenz; es kann auch Witz[4] dabei vorkom〈94〉men; er ist eine heftige Explosion des Geistes[20]. Der Spott kann auch ernsthaft sein und witzig. Scherz ist eine Übergießung der Freude über die Lebensfülle, die sich hier poetisch zeigt. Witz[4] ist beißend, aber nicht fröhlich. Der Scherz ist der reinen Freude am nächsten verwandt; er muß geistvoll und witzig sein, wenn er etwas bedeuten soll..
[23]
A. W. Schlegel, Nachschr. (1799), 280
: Ich möchte es wenigstens fürs erste noch nicht wagen den Decamerone des Boccaccio ganz wie er ist, mit den blumigen Einfassungen seiner Bilder und ihrer allerliebst geschwätzigen Ausführlichkeit zu geben. Wenige Leser möchten sich zu dem Standpunkte erheben, das Ganze wie ein Konzert von Geschichten, wie eine poetische Komposizion aus prosaischen[3] Bestandtheilen zu betrachten. ➢ Volltext.
[24]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. II (
!1802–03), KAV 1, 709
: Die neueren[3] Theoristen haben sich vielfältig mit dem Lehrgedicht herumgeschlagen: einige haben es viel zu wichtig genommen, andre [...] haben es mit Unrecht ganz verworfen und aus dem Gebiet der Poesie[11] verwiesen. Das versteht sich von selbst, daß, wenn man das höchste in ihr sucht, von technischen Lehrgedichten gar nicht die Rede seyn kann; auch leuchtet es sogleich ein, daß das Ganze solcher Werke nicht poetisch[1] ist, sondern nur logisch zusammengehalten wird; dieß verhindert aber nicht die Ächtheit der einzelnen poetischen[4] Elemente, die daran sehr schätzbar seyn können. Die Poesie[11] hat, wie jede andre Kunst[2], ihren Geist[12] und ihren Buchstaben[8]: sollte es nicht erlaubt und vortheilhaft seyn zuweilen auch den Buchstaben[8] isolirt, ohne den Geist[12], zu bearbeiten und auszubilden. Freylich muß es alsdann mit tüchtiger Gründlichkeit und Meisterschaft geschehen [...]..
[25]
D. Schlegel, Gespr. Rom. Frz. (1803), 97 f. (98)
: [W]ie muß denn ein Roman[1] seyn? – Er muß romantisch[7] seyn. – Wie? fragte Adelheid, ist Delphine nicht voll der zartesten Schwärmerei, voll von romantischen[7] Situationen? – [...] Nicht dergleichen meine ich [...], sondern den Geist[12] der Poesie[14], der die Schilderungen der Natur[2], der Charaktere[7] und Begebenheiten, in einem gewissen Sinne[1] beleben und durchwehen muß, um sie zu einem romantischen[7/1] Gedicht, oder Roman[1] zu bilden; an Poesie[14] fehlt es der Delphine, deßhalb steht alles hart und einzeln da. – Aber [...] wenn nun einmal die Poesie[14] nicht die Absicht dieses Werks war, sondern vielmehr die Charakteristik gewisser Menschen, die Grundsätze ihrer Moralität und ihres Lebens, und ihre mannichfache Stimmungen auszumahlen? – Jede Absicht des Lebens [...] kann in einem Roman[1] entwik〈98〉kelt werden, nur muß ein poetisches Gemüth dieselben auffassen und darstellen, und nur dann kann diese Ansicht auch des gewöhnlichsten Lebens harmonisch werden [...]. [...] [E]in Roman[1] muß ein Kunstwerk[2], muß Poesie[14] seyn; und hier ist von keiner andern als von der höhern Moralität die Rede, die auch die einzig wahre ist. Das andre ist conventionelle nothwendig gewordene Lebensregel, und findet nicht Statt in einem Kunstwerke[2]; die Poesie[14] ist an sich Moral, denn alle Gesetze der ewigen Güte sind Inspiration, Poesie[14]..
[26]
F. Schlegel, Ath.-Fragm. (1798), 14, Nr. 51
: Naiv[2] ist, was bis zur Ironie[3], oder bis zum steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung natürlich[2], individuell oder klassisch[5] ist, oder scheint. [...] Das schöne[1], poetische, idealische[1] Naive[2] muß zugleich Absicht, und Instinkt seyn. ➢ Volltext.
[27]
F. Schlegel, Ath.-Fragm. (1798), 28, Nr. 116
: Die romantische[12/14/1/9/4/10/11] Poesie[11] ist eine progressive[3/6] Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie[11] wieder zu vereinigen, und die Poesie[11/18] mit der Philosophie, und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie[3] und Prosa[1], Genialität und Kritik[1], Kunstpoesie, und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie[11] lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch[1] machen, den Witz[1] poetisiren, und die Formen der Kunst[2] mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors[2] beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch[4] ist, vom größten wieder mehre Systeme 〈29〉 in sich enthaltenden Systeme der Kunst[12], bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. [...] Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frey[1] von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen[4] Reflexion in der Mitte schweben[5], diese Reflexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und allseitigsten Bildung[2] fähig; [...] indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten seyn soll, alle Theile ähnlich organisirt[6], wodurch ihr die Aussicht auf eine gränzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische[12/14/1/9/4/10/11] Poesie[11] ist unter den Künsten[2] was der Witz[1] der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische[12/14/1/9/4/10/11] Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet seyn kann. Sie kann durch keine Theo〈30〉rie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik[2] dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisiren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frey[5] ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische[12/14/1/9/4/10/11] Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn[1] ist oder soll alle Poesie[11] romantisch[1/11] seyn. ➢ Volltext.
[28]
F. Schlegel, Goethe's Meister (1798), 164 f. (165)
: Dieses Frische der Farben, dieses kindlich Bunte[2], diese Liebe zum Putz und Schmuck, dieser geistreiche Leichtsinn und flüchtige Muthwillen ha〈165〉ben etwas was man Aether der Fröhlichkeit nennen möchte, und was zu zart und zu fein ist, als daß der Buchstabe[9] seinen Eindruck nachbilden und wiedergeben könnte. Nur dem, der vorlesen kann, und sie vollkommen versteht, muß es überlassen bleiben, die Ironie[3/1], die über dem ganzen Werke [sc. Goethe: Wilh. Meister (1795–96)] schwebt[5], hier aber vorzüglich laut wird, denen die den Sinn[5] dafür haben, ganz fühlbar zu machen. Dieser sich selbst belächelnde Schein von Würde und Bedeutsamkeit in dem periodischen Styl, diese scheinbaren Nachläßigkeiten, und Tautologien, welche die Bedingungen so vollenden, daß sie mit dem Bedingten wieder eins werden [...], dieses höchst Prosaische[3] mitten in der poetischen Stimmung des dargestellten oder komödirten Subjekts, der absichtliche Anhauch von poetischer Pedanterie bey sehr prosaischen[3] Veranlassungen; sie beruhen oft auf einem einzigen Wort, ja auf einem Akzent. ➢ Volltext.
[29]
F. Schlegel, Gesch. d. Lit. (1812), Dt. Mus. 1, 478
: Die Sage von Troja und die homerischen Gesänge sind durchaus romantisch[7]; so auch alles, was in indischen, persischen und andern alten[9] orientalischen[1] oder europäischen Gedichten wahrhaft poetisch ist. Wo irgend das höchste Leben mit Gefühl und ahndungsvoller Begeisterung[1] in seiner tieferen Bedeutung ergriffen und dargestellt ist, da regen sich einzelne Anklänge wenigstens jener göttlichen Liebe, deren Mittelpunkt und volle Harmonie wir freylich erst im Christenthum finden. ➢ Volltext.
[30]
F. Schlegel, Gesch. d. Lit. (1812), Dt. Mus. 1, 482
: In Einem Stücke wenigstens sollte man das spanische Drama und dessen Form sich zur Regel dienen lassen; ich meine darin, daß auch das Lust- oder überhaupt das bürgerliche Schauspiel dort durchgängig romantisch[7] und eben dadurch wahrhaft poetisch ist. Ganz vergeblich sind und bleiben selbst auf der Bühne alle Versuche, die Darstellung der prosaischen[3] Wirklichkeit durch psychologischen Scharfsinn oder bloßen Modewitz zur Poesie[14] zu erheben, und wer irgend Gelegenheit hat, was andere Nationen[1] Intriguen- oder Charakterstücke nennen, mit dem romantischen[7] Zauber der Calderonischen oder auch anderer spanischen Schauspiele zu vergleichen, der wird kaum Worte[2] finden, um den Abstand dieses poetischen Reichthums mit der Armuth unsrer Bühne und besonders mit jenem Wesen was uns auf derselben für Witz[1] gelten soll, auszudrücken. ➢ Volltext.
[31]
L. Tieck, Phant. ü. d. Kunst (1799), 251
: Ihr meynt, alles sey nur da, um Euer Urtheil daran zu schärfen, und seyd eitel genug, zu glauben, es gebe nichts Höheres oder nur Anderes, als die Kunst[1] oder handwerksmäßige Übung des Urtheilens. Ihr fühlt das Bedürfniß nicht, das Streben des reinen und poetischen Geistes[19], aus dem Streit der irrenden Gedanken in ein stilles, heiteres[4], ruhiges Land erlös't zu werden. .
[32]
L. Tieck, Vorr. Minnelied. (1803), XX
: Diese schöne Zeit[3] der Poesie[11] konnte nicht von langer Dauer sein, und sie wurde auch bald von politischen Begebenheiten gestört, wenn auch nicht die Zeit[1] selbst sie vernichtet hätte. Die Fürsten entzogen sich den Dichtern und der Adel gab die Beschäftigung mit der Poesie[11] auf; wir finden sie nach einiger Zeit[6] fast ganz aus dem Leben verschwunden, als ein zunftmäßiges Handwerk wieder. Das freie Spiel ist ihr untersagt, alle Zier und Künstlichkeit ist steife Regel und Vorurtheil [...], fast alle Gedichte sind moralischen Inhalts oder gereimte Erzählungen aus der Bibel und andern gelesenen Büchern, besonders seit der Reformation, und Hans Sachs steht als der vorzüglichste und geistreichste Poet in dieser Versammlung, dessen Witz[1] und komische Laune wirklich frölich, dessen Ansicht des Lebens auf eine große Art vernünftig ist, und dessen allegorische Gedichte oft sogar das Gepräge einer ältern und viel poetischern Zeit[3] tragen. .
[33]
L. Tieck, Phantasus I (1812), 64 f. (65)
: Es fehlt unsrer Zeit[5], sagte Friedrich, so sehr sie die Natur[19] sucht, eben der Sinn[5] für Natur[19], denn nicht allein diese regelmäßigen Gärten, die dem jetzigen Geschmacke zuwider sind, bekehrt man 〈65〉 zum Romantischen[3/4], sondern auch wahrhaft romantische[3/4] Wildnisse werden verfolgt, und zur Regel und Verfassung der neuen[7] Gartenkunst erzogen. So war ehemals nur die große wundervolle Heidelberger Ruine eine so grüne, frische, poetische[1/3?] und wilde Einsamkeit, die so schön[1] mit den verfallenen Thürmen, den großen Höfen, und der herrlichen Natur[2] umher in Harmonie stand, daß sie auf das Gemüth eben so wie ein vollendetes Gedicht aus dem Mittelalter wirkte, ich war so entzückt über diesen einzigen Fleck unsrer deutschen Erde, daß das grünende Bild seit Jahren meiner Phantasie[1] vorschwebte, aber vor einiger Zeit[6] fand ich auch hier eine Art von Park wieder, der zwar dem Wandelnden manchen schönen[1] Platz und manche schöne[1] Aussicht gönnt, der auf bequemen Pfaden zu Stellen führt, die man vormals nur mit Gefahr erklettern konnte, der selbst erlaubt, Erfrischungen an anmuthigen Räumen ruhig und sicher zu genießen, doch wiegen alle diese Vortheile nicht die großartige und einzige Schönheit[1] auf, die hier aus der besten Absicht ist zerstört worden..
[34]
K. A. Varnhagen von Ense, Denkw. I (1837–42), 124
: Gegen den Reiz dieser jüngeren Mädchen war ich genug befestigt [...]. Mein Sinn[10] war auf romantischen[7], poetischen[1/4] Austausch, auf geistig gesteigertes Verhältnis gewandt, und mein Herz wollte sich nicht entzünden lassen, außer mit Beihülfe literarischer Glut [...]..