[1]
Novalis, Allg. Brouill. (*1798), NS 3, 411, Nr. 737
: Mit jedem Zuge der Vollendung springt das Werck vom Meister ab in mehr, als Raumfernen – und so sieht mit dem lezten Zuge der Meister, sein vorgebliches Werck durch eine Gedankenkluft von sich getrennt – deren Weite er selbst kaum faßt – und über die nur die Einbildungskraft[4], wie der Schatten des Riesen Intelligenz, zu setzen vermag. In dem Augenblicke, als es ganz Sein werden sollte, ward es mehr, als er, sein Schöpfer – er zum unwissenden Organ[1] und Eigenthum einer höhern Macht. Der Künstler gehört dem Wercke und nicht das Werck dem Künstler.
[2]
G. Forster, Kunst u. Zeitalt. (1791), 101
: Doch es ist mehr als Hypothese, [...] daß auf jenen edlen Zeitpunkt, da das Feuer der Begeisterung[1] die Menschheit[2] ergriff, ihr Sinn[5] sich aufschloß dem Schönen[1], sich nährte von den Rhapsodien des Dichters[1] und des plastischen Künstlers – die größte aller Veränderungen in ihr erfolgte. Die Kunst[2] ward die Pflegerin der Wissenschaft[1]. Das schöne[1] Ebenmaas ihrer Bilder erzeugte jene abgezogenen Begriffe[1], mit denen der Mensch[2] das Sinnenall umfaßte und bald auch die unabsehbaren Gefilde der intellektuellen Sittenwelt durchdrang. Wo der Künstler innig gefühlt, kühn geahndet[3] und glücklich dargestellt hatte, dort bestimmte nun der Denker die Regeln des Vollkommenen, der Symmetrie und Übereinstimmung, dort abstrahirte er die ganze Kritik[1] der Kunst[2]. Jetzt also demonstrirte und begriff man die Tugend, das liebenswürdige Sittlichschöne, welches man bis dahin in dem Rhythmus des Sängers, in des Bildhauers oder des Malers Zauberwerken empfand. Allein indem der menschliche Geist[19] sich seiner freyesten[10] Thätigkeit und insbesondere die Vernunft[1] sich ihrer höchsten Entwickelung nahte, gieng unvermerkt die ästheti〈102〉sche Empfänglichkeit verloren. Der geistreichste Schriftsteller unseres Jahrhunderts hat irgendwo so fein als richtig bemerkt, daß auf ein geniereiches Zeitalter nur ein scharfsinniges folgen kann, und modernes[1] Verdienst nur in der Zergliederung des Verdienstes der Alten[10] besteht..
[3]
C. de la Motte Fouqué, an A. W. Schlegel (16. 6. 1806), KJ, 342
: Ich habe immer einige Scheu das lang Ueberdachte langsam ans Licht treten zu lassen. Es muß sich mir im rechten Augenblicke wie mit Gewalt entreißen, und dann Welle auf Welle fortströmen, bis nichts mehr im Innern verschlossen bleibt, und ich wieder stiller[2], ja gleichgültiger werde. Daher kann ich auch weder zu jeder Zeit[7] reden noch schreiben, sondern ich muß es erwarten bis mich das überfließende Maaß drängt und treibt, ohne das Herz oder die Kraft zu haben, so reiche Momente frei[10] in mir erzeugen zu können. Es hat mich diese dürftige Schwehrfälligkeit schon oft bitter gekränkt, weil dies Unvermögen Künstler Naturen fremd[4] ist, und fremd[4] bleiben muß, und ich dennoch oft mit rechter Liebe[5] mein innerstes Leben entfalten und aus den verschlossnen Tiefen, Ahndungen[2] und Zweifel, Hoffnung und Erinnerung im bunten[2] Spiele hervorrufen möchte! ➢ Volltext.
[4]
Goethe, Klass. u. Rom. (1820), 101
: Romantico! den Italiänern ein seltsames Wort[1], in Neapel und dem glücklichen Campanien noch unbekannt, in Rom unter deutschen[1] Künstlern allenfalls üblich, macht in der Lombardie, besonders in Mayland, seit einiger Zeit[6] großes Aufsehen. Das Publicum[2] theilt sich in zwey Partheyen, sie stehen schlagfertig gegen einander und, wenn wir Deutschen[1] uns ganz geruhig des Adjectivum romantisch[14] bey Gelegenheit bedienen, so werden 〈102〉 dort durch die Ausdrücke Romanticismus und Kriticismus zwey unversöhnliche Secten bezeichnet. Da bey uns der Streit, wenn es irgend einer ist, mehr praktisch als theoretisch geführt wird, da unsere romantischen[14] Dichter[1] und Schriftsteller die Mitwelt für sich haben und es ihnen weder an Verlegern noch Lesern fehlt, da wir über die ersten Schwankungen des Gegensatzes längst hinaus sind und beyde Theile sich schon zu verständigen anfangen; so können wir mit Beruhigung zusehen, wenn das Feuer, das wir entzündet, nun über den Alpen zu lodern anfängt..
[5]
Goethe, Klass. u. Rom. (1820), 104
: Freylich wenn das Genie[4], der gute Kopf sich bestrebt das Alterthum[3] wieder zu beleben, seine Zeitgenossen in abgelegene Regionen zurückzuführen, ihnen das Entfernte, durch gefällige Abspiegelung, näher zu rücken, da finden sich große Schwierigkeiten; demjenigen Künstler dagegen wird es leicht der sich umthut was die Zeitgenossen ohnehin lieben, wornach sie streben, welche Wahrheit ihnen behagt, welcher Irrthum ihnen am Herzen 〈105〉 liegt? Und dann ist er ja selbst ein Moderner[1], in diese Zustände von Jugend auf eingeweiht und darin befangen, seine Ueberzeugung schließt sich an die Ueberzeugung des Jahrhunderts. Nun lasse er seinem Talente freyen[1] Lauf, und es ist kein Zweifel daß er den größten Theil des Publicums[2] mit sich hinreißen werde..
[6]
Immermann, Epigon. (1836), W 2, 459
: Ein Unterschied der modernen[1] Zeit[3] von der griechischen[2] besteht darin, daß unter uns Neueren[3] das wahrhaft geniale Schöne[2] fast immer im Gegensatze zu der herrschenden Stimmung erwächst, welche dagegen ihrerseits das als vorhanden zu präkonisieren [›auszurufen‹] pflegt, woran es ihr eben ganz gebricht. Dagegen ging in jener glücklichen griechischen[2] Periode das besondre Genie[2] der Künstler aus dem allgemeinen Talente der Nation[1] hervor. Um an einem Beispiele meine Meinung klarzumachen, so glaubten wir an Klopstocks Oden, Bardieten und an den Nachahmungen derselben eine große vaterländische Poesie[11] zu besitzen, und doch waren diese frostigen Exerzitien am allerfernsten von einer solchen..
[7]
Reichardt, Angeb. (1795), 20
: [W]ir wollen annehmen, [...] unser Künstler habe mit einem Ausländer zu wetteifern, dem der fremde[1] Nahme und eine größere Fertigkeit in Bücklingen und schmeichelhaften Redensarten schon einen artigen Vorsprung gebe, der in den Augen des Fürsten [...] noch einmal mehr wehrt ist, als der Unterthan, weil er die Klugheit gehabt hat, auf ein doppelt hohes Gehalt zu bestehen, wenn er gleich vorher in einem geringeren Amte nur die Hälfte von dem Gehalte seines langge〈21〉dienten Nebenmannes hatte[.].
[8]
Solger, Erwin II (1815), 277
: Geht [...] die Idee durch den künstlerischen Verstand[9] in die Besonderheit über, so drückt sie sich nicht allein darin ab, erscheint auch nicht bloß als zeitlich und vergänglich, sondern sie wird das gegenwärtige Wirkliche, und, da außer ihr nichts ist, die Nichtigkeit und das Vergehen selbst, und unermeßliche Trauer muß uns ergreifen, wenn wir das Herrlichste, durch sein nothwendiges irdisches Dasein in das Nichts zerstieben sehn. Und doch können wir die Schuld davon auf nichts anderes wälzen, als auf das Vollkommene selbst in seiner Offenbarung für das zeitliche Erkennen; denn das bloß Irdische, wenn wir es allein wahrnehmen, hält sich zusammen durch Eingreifen in einander, und nie abreißendes Werden und Vergehen. Dieser Augenblick des Uebergangs nun, in welchem die Idee selbst nothwendig zunichte wird, muß der wahre Sitz der Kunst[2], und darin Witz[1] und Betrachtung, wovon jedes zugleich mit entgegengesetztem Bestreben schafft und vernichtet, Eins und dasselbe sein. Hier also muß der Geist[20] des Künstlers alle Richtungen in Einen alles überschauenden Blick zusammenfassen, und diesen über allem schwebenden[5], alles vernichtenden Blick nennen wir Ironie[3]. | Ich erstaune, sprach Anselm hier, über deine Kühnheit, das ganze Wesen der Kunst[2] in die Ironie[3] aufzulösen, welches viele für Ruchlosigkeit halten möchten. | 〈278〉 Greif mich nur nicht mehr an, versetzt' ich, mit jener matten und falschen Religiosität, welche die Dichter[1] des Tages durch ihre selbstersonnenen Ideale unterstützen, und womit sie rüstig helfen, die schon so verbreitete empfindelnde und heuchelnde Selbsttäuschung über Religion[3], Vaterland, Kunst[2] bis zum leersten Unsinn zu bringen. Ich sage dir, wer nicht den Muth hat, die Ideen selbst in ihrer ganzen Vergänglichkeit und Nichtigkeit aufzufassen, der ist wenigstens für die Kunst[2] verloren. .
[9]
Sulzer, Allg. Theor. II (1774), 633 (3)
: Man muß es deswegen nicht der Critik[2] selbst, nicht den Kunstrichtern von Genie[2], sondern den Sophisten, die aus dieser Wissenschaft[1] ein Handwerk gemacht haben, zuschreiben, wenn die schönen[2] Künste[1] durch Theorien verdorben werden. Den ächten Kunstrichter wollen wir als den Lehrer des Künstlers ansehen, und diesem rathen auf seine Stimme[11] zu horchen. Zwar scheinet es, daß der Künstler auch der beste Richter über die Kunst[2] seyn sollte. Wenn man aber bedenkt, wie viel Zeit[6], Nachdenken und Fleiß die Ausübung erfodert; so läßt sich begreifen, daß ein zur Kunst[2] gebohrnes Genie[4], (und ein solches muß der Kunstrichter seyn) das sich selbst mit der Ausübung nicht beschäftiget, in gar vielen zur Kunst[2] gehörigen Dingen, noch weiter sehen muß, als der Künstler selbst..