[1]
A. W. Schlegel, Brf. Poes. I–II (1795), Hor. IV.11, 87
: Meine Absicht ist, dir darzuthun, daß das Sylbenmaaß keinesweges ein äusserlicher Zierrath, sondern innig in das Wesen der Poesie verwebt ist, und daß sein verborgner Zauber an ihren Eindrücken auf uns weit größern Antheil hat, als wir gewöhnlich glauben. [...] Eine förmliche Geschichte der Metrik würde bey mir weit mehr Kenntnisse, bey dir vielleicht mehr Geduld erfodern, als wir beyde haben. Indessen dürfen wir doch nicht bey den Werken unsrer heutigen Dichtkunst stehen bleiben, deren musikalischer Theil, ganz vernachläßigt, beynah verstummend in Büchern aufbewahrt wird. Hier erscheint sie uns durch Erfindungen des geschäftig müßigen Witzes[1] so vielfach bereichert oder entstellt und dem Eigensinn der Gewohnheit oft so unterthänig, daß wir in Gefahr kommen möchten, das Ursprüngliche und Unwandelbare in ihr vergebens zu suchen, oder, fänden wir es auch, es nicht für das, was es ist, anzuerkennen. ➢ Volltext
[2]
A. F. Bernhardi, Sprachlehre II (1803), 396
: Die Verknüpfung zweier Sprachsphären, welche gleichtönen, wobei aber eine bestimmte Betrachtung der Bedeutung beider vorkommt, heißt ein Wortspiel, und dieses ist die Fundamentalfigur aller übrigen musikalisch-poetischen[4] Sprachfiguren. Das Wortspiel ist der Witz[4] der Sprache[1], und an seiner Vortrefflichkeit kann nur der zweifeln, der überhaupt damit unbekannt ist, was der Witz[4] sei und bedeute, und vielleicht den ärmlichen Begriff[1] mit sich herumträgt: daß er nur ein Zeitvertreib, und die untergeordnete, unbedeutendere, heitere[5] Wahrheit sei. Allein weit entfernt diese geringe Gattung des Witzes[4] für sein Wesen zu halten; muß man vielmehr die Sache gradezu umkehren, und das Wesen der Wahrheit darin setzen, daß sie Witz[4] sey. ➢ Volltext.
[3]
A. F. Bernhardi, Sprachlehre II (1803), 424 f. (425)
: Wir machen mit den 〈425〉 italiänischen Strophen und den epischen Gattungen, billig den Anfang. | Unter diesen zeichnet sich zuerst die italiänische Stanze aus, welche, ob sie gleich auch lyrisch gebraucht wird, dennoch das Hauptsylbenmaaß für das romantische[12] Epos ist. [...] Da diese Stanze der romantische[12] Hexameter ist, so gilt von ihrer Construktion dasjenige, was wir oben von der des Hexameters behauptet haben, nur daß sie noch neben dem Ebenmaaß und dem gleichen Schritte, welcher den Hexameter für die epische Dichtungsart so zweckmäßig macht, eine große Grazie und ein herrliches Ebenmaaß in den Gegensätzen der Reime einschließt, und dadurch auf die bunte Harmonie, und den musikalischen Zauber des romantischen[12] Epos führt. ➢ Volltext.
[4]
Brockhaus, Conv.-Lex. III (1809), 406 f. (407)
: [Petrarcas] Gesänge [...] stellen die Liebe in ihrer höchsten Veredlung dar [...]. Selbst auf einen Theil des Genius seiner Muttersprache wirkte diese Liebe; denn alle seine Italiänischen 〈407〉 Gedichte sind, ungeachtet diese Sprache[3] noch sehr roh war, doch so edel, rein und vollendet, daß sie, auch wenn man auf Werth der Sprache[3] und die dem Italiänischen eigene musikalische Harmonie sieht, classisch[3] sind..
[5]
Novalis, Monolog (*1799), 2
: Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, daß es mit der Sprache[1] wie mit den mathematischen Formeln sey – Sie machen eine Welt für sich aus – Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur[1] aus und eben darum sind sie so ausdrucksvoll – eben darum spiegelt sich in ihnen das seltsame Verhältnißspiel der Dinge. Nur durch ihre Freyheit[12] sind sie Glieder der Natur[2] u[nd] nur in ihren freyen Bewegungen äußert sich die Weltseele und macht sie zu einem zarten Maaßstab u[nd] Grundriß der Dinge. So ist es auch mit der Sprache[1] – wer ein feines Gefühl ihrer Applicatur, ihres Takts, ihres musicalischen Geistes[12] hat, wer in sich das zarte Wirken ihrer innern Natur[1] vernimmt, und darnach seine Zunge oder seine Hand bewegt, der wird ein Profet sein, dagegen wer es wohl weis, aber nicht Ohr[3] u[nd] Sinn[5] genug für sie hat, Wahrheiten wie diese schreiben, aber von der Sprache[1] selbst zum besten gehalten u[nd] von den Menschen, wie Cassandra von den Trojanern, verspottet werden wird. ➢ Volltext.
[6]
A. W. Schlegel, Beytr. (1798), 164 f. (165)
: Alsdann tritt Adelaide als das „seltne Geschöpf hervor, die sich von ihnen allen durch ihren Karakter[2] unterscheidet. Ihr Herz war ein lebender Hauch der Liebe, und zugleich stark wie ein Diamant, ihr offnes Auge war heiter[1], aber in diesen Augen spielte nicht der leichte Sinn der Jugend, es leuchtete darin ein Stral des ewigen Lebens, es schien über das Elend hinweg in eine Welt voll Ruhe zu sehn, und die Thräne, die in den langen Augen〈165〉wimpern hing, zeigte das Elend, das zwischen ihr und der Ewigkeit lag. Ihre Stimme[3] war sanft und ernst triumphirend wie der Halleluja Gesang der Engel, ihre Wange stralend von einem sanften Morgenroth u. s. w.“ ⦿ So geht es ganze Blätter hindurch. Welche lockende Worte[2]! Könnte man mit Worten[2] allein dichten, so wäre Lafontaine der Mann. Aber aus dem Ganzen ergiebt sich, wie wenig poetischen[1] Sinn[1] sie im Hinterhalt haben, und daß sie höchstens als eine musikalische Verzierung zu betrachten sind. Jean Paul musizirt zuweilen auch so; doch ist es wirklich seine Phantasie[3] die da spielt, nicht bloß eine mechanische Fertigkeit der Hände. ➢ Volltext.
[7]
A. W. Schlegel, Vorles. philos. Kunstlehr. (
!1798–99), KAV 1, 82
: Das Wesen der Chansons ist die sentimentale[1] Reflexion über das unendliche Streben und die Widersprüche in der romantischen[12/7/4/11] Liebe. Die Canzone kann man kurz als die über sich selbst reflektierende Ode charakterisieren. Ihre eigenen Weisen sind ihre langen Strophen, weibliche Schlüsse der Verse und vielfach verschlungene Reime. (Das Romantische[12/4/11] überhaupt besteht im Kontraste.) Sie hat daher den Charakter[1] eines musikalischen Selbstgespräches und liebt wunderbare Visionen und Allegorien..
[8]
A. W. Schlegel, Vorles. üb. Enz. (
!1803–04), KAV 3, 307
: Es bleibt uns nun noch übrig die Sprache[1] in so fern sie hörbar ist, von ihrer musikalischen Seite, zu betrachten. | Das erste hiebey sind die einzelnen Elemente, und da läßt sich allerdings behaupten, daß es unter allen nationalen Abweichungen ein Grund-Alphabet giebt, worin sich aus der Natur[1] der Sprachorgane systematische Vollständigkeit nachweisen läßt, so daß es keinesweges zufällig ist, daß es diese und gerade so viele Buchstaben[7] giebt. Hieraus ist denn auch ihre Verwandtschaft und die Möglichkeit der Übergänge in einander einzusehen. Selbst Consonanten und Vocale sind nicht absolut getrennt, sondern an den beyden Enden der Reihe aus dem i und u gehen diese in die Consonanten j und w über, wie es auch durch die Sprechart mehrer Sprachen[3] angedeutet wird.
.
[9]
C. Schlegel, an S. Bernhardi (4. 1. 1802), C 2, 251
: [Über die Uraufführung von A. W. Schlegels Ion:] Es fehlte gar nichts, als daß sie [sc. die Hauptdarstellerin Karoline Jagemann;
❏] die Hymne nicht singen konnte, weil die Musik[10] erst am Tage zuvor kam. Sie hat dafür desto schöner[1] gesprochen, mehr musikalisch wie deklamatorisch, wie es, dünkt mich, recht war. Das Metrum trat ganz hervor und wurde durch einzelne Takte auf dem fortepiano ackompagnirt, die man aus der eben erhaltnen Musik[10] genommen hatte, indeß sie auf der Leyer zu spielen schien. Das Stück wird heut noch ohne die Composition wiederholt, die 〈252〉 aber der dritten Aufführung einen neuen[1] Reiz geben soll. Sie soll sehr gut gerathen seyn..
[10]
L. Tieck, Phantasus I (1812), 470
: Es war den neusten[3] Zeiten[5] vorbehalten, fuhr Lothar fort, den wundervollen Reichthum des menschlichen Sinnes[6] in dieser Kunst[2] [sc. Musik], vorzüglich in der Instrumental-Musik auszusprechen. In diesen vielstimmigen Compositionen und in den Symphonien vernehmen wir aus dem tiefsten Grunde heraus das unersättliche, aus sich verirrende und in sich zurück kehrende Sehnen, jenes unaussprechliche Verlangen, das nirgend Erfüllung findet und in verzehrender Leidenschaft sich in den Strom des Wahnsinns wirft, nun mit allen Tönen kämpft, bald überwältigt bald siegend aus den Wogen ruft, und Rettung suchend tiefer und tiefer versinkt. Und wie es dem Menschen allenthalben geschieht, wenn er alle Schranken überfliegen und das Letzte und Höchste erringen will, daß die Leidenschaft in sich selbst zerbricht und zersplittert, das Gegentheil ihrer ursprünglichen Größe, so geschieht es auch wohl in dieser Kunst[2] großen Talenten. Wenn wir Mozart wahnsinnig nennen dürfen, so ist der genialische Beethoven oft nicht vom Rasenden zu unterscheiden, der selten einen musikalischen[1] Gedanken verfolgt und sich in ihm beruhigt, sondern durch die gewaltthätigsten Uebergänge springt und der Phantasie[3] gleichsam selbst im rastlosen Kampfe zu entfliehen sucht. | Alle diese neuen[3] tiefsinnigen Bestrebungen, sagte Anton, sind meinem Gemüthe nicht fremd[4], sie tönen wie das Rauschen des Lebensstromes zwischen Felsenufern, der über Klippen und hemmendem Gestein in romantischer[3; 8?] Wildniß musikalisch[3; 7?] braust[.].
[11]
Wieland, Agath. (1766–67), W 1, 411
: Ein Jonisches Ohr[4] will nicht nur ergötzt, es will bezaubert sein. Die Annehmlichkeit der Stimme[3], die Reinigkeit und das Weiche der Aussprache, die Richtigkeit des Accents, das Muntre, das Ungezwungene, das Musicalische ist nicht hinlänglich; wir fodern eine vollkommne Nachahmung, einen Ausdruck, der jedem Teile des Stücks, jeder Periode, jedem Vers das Leben, den Affect, die Seele gibt, die sie haben sollen; kurz, die Art, wie gelesen wird, soll das Ohr[3] an die Stelle aller Übrigen Sinne[5] setzen..