Wortliste
Struktur
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Semantik 
8. ›klassizistisch, die griechisch-römische Antike und/oder das nach ihrem tatsächlichen oder vermeint­lichen Vorbild Gearbeitete in besonderer Weise wertschätzend‹ (von Personen, Gesinnungen usw.) bzw. ›nach griechisch-römisch-antikem Vorbild beschaffen oder geschaffen, griechisch-römisch-antiken Mustern nachgebildet oder -empfunden‹ (von Sachen, insbesondere von Kunstwerken); infolge dessen auch ›antikisierend, die Schreib-, Denk- und/oder Lebensart der griechisch-römischen Antike nachahmend bzw. adaptierend‹; aufgrund der Interpretation der griechisch-römischen Antike als klassisch5 dann auch (unabhängig von der Wertschätzung des Klassischen7) ›an tradierten strengen Regeln orientiert, akademisch, forma­listisch, steif, nüchtern, moderat (mit Tendenz zum Mittelmäßigen)‹. Mit semantischen Nuancen dieser Art rückt klassisch8 intensional in die Nähe von klassisch5, unterscheidet sich davon allerdings durch die explizit oder implizit häufig mitschwingenden negativen Wertungen. Damit gewinnt das Lexem klassisch den Charakter eines (zentralen) Fahnenwortes ⦿ in der literarischen Fehde zwischen Klassikern und Romantikern: Während die Befürworter des Regelhaft-Gemäßigten in Produktion wie Rezeption klassisch durchweg im Sinne von 5 verwenden, erscheint klassisch8 als ironisch-kritischer Ausdruck der Gegenseite, die – ebenfalls in Produktion wie Rezeption – für individuelle ästhetische Autonomie (das Romantische3) eintritt. Ein Opponent der Romantik kann daher beispielsweise ironisch als klassi­scher8 Schöndenker [40] apostrophiert werden, selbst wenn seine Vorliebe für die Antike nicht weiter thematisiert wird. – Auch in partizipatorischer ⦿ Verwendung: ›von einem Klassizisten getan oder hervorgebracht; einem Klassizisten widerfahrend; auf einen Klassizisten, etwas Klassizistisches bezüglich, ihm zugehörig oder eigentümlich‹ [2, 3, 7, 16, 18, 21, 24, 26, 25, 28, 32, 52, 51, 56, 63].
Belege 
[1] Börne, Schild. Paris IX (1823), SS 2, 44: Die Ultras nämlich suchen die romantische[12/14/8] Literatur aufzubringen und befördern hierdurch den Protestantismus der Wissenschaft und Kunst; die Liberalen hingegen suchen den alten[1] blinden Glauben an die klassische[7/8] Literatur in Achtung zu erhalten; denn beide politische Parteien kennen zwar ihr Ziel, aber nicht ihren Weg. Den Ultras gefällt die romantische[12/14/8] Literatur, weil sie glauben, die in romantischen[12/14/8] Dichtungen zuweilen vorkommenden Nebel, Gespenster, Kreuze und Jammer wären das Wesentliche dabei, und das alles sei dienlich, das Volk[5] furchtsam, abergläubisch, verliebt und dumm zu machen. Aus denselben Gründen sind die Liberalen der romantischen[12/14/8] Literatur abgeneigt.

[2] F. de la Motte Fouqué, Lebensgesch. (1840), 44: Ihn konnte übrigens nicht ahnen[1], daß er späterhin eine solche Mischung der Gattungen an andern Dichtern bewundern und sie auch sellbst üben würde, sich durch keine klassische Protestation irren lassend.

[3] Goethe, Tageb. (*1818), WA III, 6, 250: Nach 4 Uhr wieder zu Hause. Schema zu
Classisch
und Romantisch
[
14
]
in Italien. Ähnliches fortgesetzt.


[4] Heine, Florent. Nächte (1836), DHA 5, 230: Tanz und Tänzerinn nahmen fast gewaltsam meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Das war nicht das
klassische
Tanzen, das wir noch in unseren großen Balleten finden, wo, eben so wie in der
klassischen
Tragödie, nur gespreitzte Einheiten und Künstlichkeiten herrschen; das waren nicht jene getanzten Alexandriner, jene deklamatorischen Sprünge, jene antithetischen Entrechats, jene edle Leidenschaft, die so wirbelnd auf einem Fuße herumpirouettirt, daß man nichts sieht als Himmel und Trikot, nichts als Idealität und Lüge! Es ist mir wahrlich nichts so sehr zuwider, wie das Ballet in der großen Oper zu Paris, wo sich die Tradizion jenes
klassischen
Tanzens am reinsten erhalten hat, während die Franzosen in den übrigen Künsten, in der Poesie, in der Musik, und in der Malerey, das
klassische
System umgestürzt haben.


[5] Jean Paul, Unsichtb. Loge (
2
1822), SW I, 2, 120
(34)
f.: Der Geschmack am
Geist
e
[
14
]
der Alten muß sich so gut abstumpfen als der an ihrer
Sprach
e
[
3
]
. Ich behaupte nicht, daß man in den
klassischen
Papagaien-Jahrhunderten diesen Geist
[
14
]
besser
⟨121⟩
fühlte als jetzo [...]. Allein ich rede vom jetzigen Geschmack des Volks
[
5
]
, nicht des Genies.


[6] Schiller, an Chr. G. Körner (9. 3. 1789), NA 25, 222: Könntest Du mir innerhalb eines Jahrs eine Frau von 12000 Thl. verschaffen, mit der ich leben, an die ich mich attachieren könnte, so wollte ich Dir in 5 Jahren – eine Fridericiade, eine
klassische
Tragödie und weil Du doch so darauf versessen bist, ein halb Duzend schöner Oden liefern – und die Academie in Jena möchte mich dann im Asch lecken.


[7] A. W. Schlegel, Gemählde (1799), 118 f. (119): Daß die Sache [sc. die Aussetzung Mosis] in Egypten vorgeht, ist also hinlänglich außer Zweifel gesetzt: aber bey allem dem kann man der gerühmten Gelehrsamkeit Poussins im ⟨119⟩ Kostum hier nichts weiter zugestehen, als daß er es beynahe so gut wie Paul Veronese, beobachtet hat. Bey diesem ist alles modern, aber alles aus Einem Stücke; bey jenem ist alles antiquarisch, allein es paßt nicht zu einander. Mutter und Tochter sind der Kleidung nach ziemlich Griechisch[4], der Knecht ist ganz Griechisch[4], der Flußgott ist wahrlich weder Egyptisch noch Hebräisch, sondern Griechisch[4], und bey einer Geschichte[10], wo Jehovah's unmittelbare Vorsehung eintritt, noch obendrein erzheidnisch. Das Füllhorn ist auch Griechisch[4]. Eigentlich ist es doch ein Glück, daß der Mahler auf halbem Wege stehen blieb, und zufrieden war, wenn eine alte[1] Geschichte[10] antik[2] aussah. Ein andrer, der das Studium des Kostums (auf welches die Französischen Kunstrichter, die darin mit Poussin sympathisiren, eine so lächerliche Wichtigkeit legen) noch strenger verfolgte, könnte der Tochter Pharao's die Physiognomie einer Mumie geben. Soll aber einmal etwas fremdes[5] sich eindrängen dürfen, so ist es wohl eben so erlaubt, eine biblische Geschichte[10] im Venetianischen Dialekt[3] zu erzählen, als die ganze Welt durch eine griechische[4] Brille zu sehen. Das Einheimische und Neue ist uns näher, lebendiger, lustiger; Paul mahlte frisch, was er sah und erlebte, Poussin schöpfte mühsam aus alten[10] Denkmälern und Büchern. Jener hätte vielleicht seine fantastische[2] Jovialität eingebüßt, wenn er die Kunst so ernst hätte treiben wollen; dieser konnte sich schwerlich über seine klassische Kälte erheben, wenn er sich auch geselliger ins Leben hineinwagte [...]. ⦿ Volltext

[8] F. Schlegel, Philolog. II (*1797), KFSA 16, 72, Nr. 124: Ich bin nun gar nicht mehr
klassisch
gestimmt.


[9] Börne, Schild. Paris IX (1823), SS 2, 42.

[10] Börne, Schild. Paris IX (1823), SS 2, 43.

[11] Börne, Schild. Paris IX (1823), SS 2, 45.

[12] Börne, Schild. Paris XIX (1823), SS 2, 87.

[13] Börne, Schild. Paris XV (1823), SS 2, 76.

[14] Börne, Krit. Vorr. (1829), SS 1, 209.

[15] Börne, Brf. Paris I (1832), 77 f.(78).

[16] Börne, Brf. Paris I (1832), 147 f..

[17] Börne, Brf. Paris II (1832), 105.

[18] Börne, Brf. Paris V (1834), 134.

[19] Brentano/Görres, BOGS (1807), 10.

[20] Brockhaus, Conv.-Lex. IV (1809), 47.

[21] Brockhaus, Bild.-Conv.-Lex. II (1838), 97.

[22] Büchner, Dant. Tod (1835), WuB, 80.

[23] Eichendorff, Lärmen (1832), SW 5.3, 86.

[24] F. de la Motte Fouqué, Lebensgesch. (1840), 265.

[25] Goethe, Tageb. (*1818), WA III, 6, 254.

[26] Goethe, Tageb. (*1818), WA III, 6, 251.

[27] Goethe, Tageb. (*1819), WA III, 7, 40.

[28] Goethe, Klass. u. Rom. (1820), 107.

[29] Goethe, an H. K. A. Eichstädt (4. 12. 1822), WA IV, 36, 221.

[30] Goethe, an C. F. v. Reinhard (12. 5. 1826), WA IV, 41, 30.

[31] Goethe, an A. F. C. Streckfuß (14. 8. 1827), WA IV, 43, 19 f..

[32] Goethe, Not. u. Abhdlg. (1829), WA I, 7, 108
(20)
f..

[33] Goethe, Not. u. Abhdlg. (1829), WA I, 7, 219.

[34] Goethe, Tag- u. Jahres-Hefte II (*1817..26; 1830), WA I, 36, 136.

[35] Heine, Relig. u. Philos. in Dtld. (1835), DHA 8.1, 45.

[36] Heine, Florent. Nächte (1836), DHA 5, 231.

[37] Heine, Romant. Schule (1836), 58.

[38] Heine, Romant. Schule (1836), 72.

[39] Herder, Dt. Art u. Kunst I (1773), SW 5, 213 f. (214,
2
).

[40] Herder, Philos. Gesch. Bild. (1774), 80.

[41] Herder, Engl. u. dt. Dichtk. (1777), 426.

[42] Herder, Engl. u. dt. Dichtk. (1777), 429.

[43] Herder, Engl. u. dt. Dichtk. (1777), 430.

[44] Herder, Bef. d. Hum. VIII (1796), 102.

[45] Herder, Bef. d. Hum. VIII (1796), 73.

[46] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. III (1835), 236.

[47] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. IV (1835), 201 f. (202).

[48] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. IV (1835), 207.

[49] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. IV (1835), 451.

[50] Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. VIII (1837), 470.

[51] Herwegh, Lit. Industr. (1840), W 2, 139 (2).

[52] Herwegh, Lit. Industr. (1840), W 2, 139 (1).

[53] Jean Paul, Fixlein (1796), SW I, 5, 236.

[54] Musäus, Volksmärchen (1782–86), 363.

[55] Pückler-Muskau, Brf. Verstorb. II (1830), 361.

[56] Pückler-Muskau, Brf. Verstorb. II (1830), 378.

[57] Rottmanner, Krit. Jacobi (1808), 42.

[58] A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (!1803–04), KAV 2.1, 5.

[59] A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.2 (1811), 23.

[60] F. Schlegel, Goethe's Meister (1798), 172.

[61] Seume, Spaz. n. Syrakus (1803), 270.

[62] Wienbarg, Holland I (1833), 126.

[63] Wienbarg, Aesth. Feldzg. (1834), 184 f. (185).














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