Struktur
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3.
›kanonisch, als qualitativ hochrangig und beispielhaft bzw. verbindliches Richtmaß allgemein anerkannt; zur Nachahmung empfohlen‹; offen zu
2, im Gegensatz dazu möglicherweise ohne (nach Meinung der Autoren) wirklichen Wert. Als Kriterien dafür, einen Autor als
klassisch3 einzuschätzen, nennt A. W. Schlegel die
⌈
vollkommenste Reinigkeit, Klarheit, Zierlichkeit und Anmut der Sprache⌉
[
37].
—
Bdv.
:
♦
entsprechend:
für golden zu achtend [
9],
gepriesen [
35],
geschätzt [
21],
hochbelobt [
21],
kanonisch [
2],
vom ersten Rang [
45]. —
Ktx.
:
♦
Eigenschaftsträger:
Ausdruck ›Ausdrucksweise, Wortlaut‹
[
40],
Ausdruck ›Fachwort, Terminus‹
[
5,
29],
Auslegung [
31],
Autor [
6,
20,
42],
Buch [
19,
25],
Dialekt1 (perspektivisch) [
14],
Dichter [
15,
39,
45],
Eleganz [
28],
Form [
43],
Formel ›textuelles Versatzstück‹
[
29,
30],
Literatur [
8,
9,
21,
22,
23],
Lustspieldichter (perspektivisch)
[
11],
Poesie11 der Lateiner [
36],
Prosaist [
45],
Schrift ›Text‹
[
1,
18],
Schriftsteller [
17,
33,
45,
46],
Schriftsteller (perspektivisch)
[
10],
Sprache4 [
24],
Vorbild [
26],
Werk [
3,
7,
16,
27,
32,
35],
Wissenschaft [
38]. ♦
Kategorie, in die ein Eigenschaftsträger fällt:
vermeintlich unübertreffliches, ja unerreichbares Muster [
11],
Muster der besten Schreibart [
46],
poetische Schulübung [
36]. ♦
Handlung eines Eigenschaftsträgers:
Nachlässigkeit in Ansehung der Sprache [
17],
die Literatur regieren [
6]. ♦
was einem Eigenschaftsträger widerfährt:
Nachahmung [
43],
in die öffentliche Schatzkammer tragen [
39]. ♦
Eigenschaft eines Eigenschaftsträgers:
Ansehen [
13,
45], ¬
die Begeisterung einer ursprünglichen Anschauung weht [
36],
gangbar [
28],
rein [
28],
uniform (Adj.)
[
28]. ♦
räumliche und/oder zeitliche Verortung eines Eigenschaftsträgers:
goldenes Zeitalter [
39],
goldenes Zeitalter (perspektivisch, mit kritischer Distanzierung) [
6]. ♦
eine durch ein Eigenschaftsgefüge bezeichnete Größe hervorbringend:
geistloser Nachahmer einer missverstandenen Klassizität (i. S. v.
klassisch2 k. Literatur)
[
9]. ♦
Voraussetzung für eine durch ein Eigenschaftsgefüge bezeichnete Größe:
Rezeption (↪ k. Dialekt1) [
14],
empfohlen werden (↪
k. Werk)
[
3],
erklärt ›deklariert‹
werden (↪
k. Schriftsteller /
Lustspieldichter)
[
10,
11]. ♦
Eigenschaftsträger einer durch ein Eigenschaftsgefüge bezeichneten Größe:
Dialekt1
(↪
k. Eleganz)
[
28],
reden (↪
k. Eleganz)
[
28]. —
Synt.
:
♦
okkas.:
bei jm. (einer Kulturnation, im Beleg
den Italienern)
k. werden [
37],
etw. bei jm. (im Beleg: einer
Nation1
)
k. machen [
41],
für jn. (im Beleg: eine Nation[1) k. sein [
4],
für k. gelten können [
45],
jn. für k. erklären [
44]. —
Wbg.
:
♦
Substantiv:
Klassiker [
39].
[1]
Börne, Brf. Paris III (1833), SS 3, 399
: Bei Tische wurde auch angekündigt, daß eine aus polnischen und französischen Gelehrten gebildete Gesellschaft den Vorsatz gefaßt, alle klassischen
Schriften der Polen, etwa funfzig bis sechzig Bände, in das Französische zu übersetzen, um mit dem Ertrage des Werkes die dürftigen Polen zu unterstützen.
[2]
Goethe, an J. Lawrence (5. 4. 1816), WA IV, 26, 328
: Wenn in einem alten
bekannten Stücke Stellen vorkommen, die auf gegenwärtige Zustände deuten, dann ist der Theaterschauer höchst entzückt, das sogleich zu deuten, beklatscht es als eine classische
, als eine canonische Stelle. Bringen wir aber der Menge Gegenstände, deren Wirklichkeit ihr ganz nahe lagen, so kann nach unserer neuern Empfindungsweise das Publicum nicht angenehm mitfühlen, und solche Arbeiten finden immer nur eine trübe Theilnahme.
[3]
Goethe, Tag- u. Jahres-Hefte II (*1817..26; 1830), WA I, 36, 150
(27)
f.
: General-Superintendent Krause
erschien als tiefkranker Mann, und man mußte vielleicht manche schwache Äußerung einem inwohnenden unheilbaren Übel zuschreiben. Er empfahl den oberen Classen des Gymnasiums Tiedgens
Urania als ein classisches
Werk, wohl nicht bedenkend, daß die von dem trefflichen Dichter so glücklich bekämpfte Zweifelsucht ganz aus der Mode gekommen, daß niemand mehr an sich selbst zweifle und sich die Zeit5 gar nicht nehme, an Gott zu zweifeln.
[4]
Jerusalem, Dt. Spr. u. Litt. (1781), 10
: [U]ngeachtet der Entfernung, worinn die Verfasser durch alle Provinzen von Deutschland zerstreuet wohnen, ist doch in keiner dieser Schriften die Provinz mehr zu kennen, sondern sie sind für ganz Deutschland klaßisch, als Schriften von einer einzigen Akademie; und würden nun selbst schon hinreichend seyn, den Geschmack der Nation[1] ferner auszubilden; wie denn auch mit jedem Jahre unsre Litteratur mit ähnlichen Schriften noch mehr bereichert wird. Bey die〈11〉sen Meisterstücken wird sie freylich mit jedem Jahre auch mit einer Menge von pedantischen, abentheuerlichen, wahnsinnigen Misgeburten überhäuft; aber dergleichen muß die ausgebildeteste Nation[1] unter sich leiden, und wie vielmehr unser armes Vaterland, wo jährlich wenigstens Fünftausend neue Bücher, (eine schreckliche Manufaktur!) herauskommen.
[5]
Kant, Prlgm. (1783), 41 (Anm.)
: Es ist unmöglich zu verhüten, daß, wenn die Erkentniß nach und nach weiter fortrückt, nicht gewisse schon classisch gewordne 〈42〉 Ausdrücke, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her sind, in der Folge sollten unzureichend und übel anpassend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem Alten in einige Gefahr der Verwechselung gerathen sollte.
[6]
A. Müller, Beredsamk. (
!1812; 1816), 155
: Was ich von unsern hochdeutschen korrekten Schriftstellern denke, die sich schon vor dreißig Jahren untereinander zu klassischen Autoren ernannten, die Literatur in allgemeinen deutschen Bibliotheken und gelehrten Zeitungen zu regieren unternahmen und ihr Zusammentreffen frischweg und ohne die eigentliche Nation[1] weiter zu fragen, für das goldne Zeitalter der Literatur erklärten, habe ich hinlänglich angezeigt.
[7]
Pückler-Muskau, Brf. Verstorb. III (1830), 115
: In der Mitte des Saals steht ein Büreau, an welchem ein Commis postirt ist, der klingelt, sobald man etwas von den Waiters verlangt, die Rechnung führt, auch bei streitigen Fällen die classischen
Werke über das Whist herbeibringt.
[8]
Schiller, an J. F. Cotta (6. 2. 1801), NA 31, 7
: [E]in gebildeter gelehrter Engländer, der erst seit wenigen Jahren in Deutschland ist, der alle neue und alte klaßische
Litteratur aus dem Grunde kennt, sollte seine Muttersprache nicht schreiben können, Er, der mir selbst die schändlichsten Uebersetzungsfehler in den Piccolominis die Coleridge übersezte nachgewiesen hat?
[9]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (
!
1803–04), KAV 2.1, 5
: Die meisten Dichter und Werke von denen in diesen Stunden die Rede seyn wird, werden in den gewöhnlichen Literargeschichten nur der Vollständigkeit wegen ohne weitere Auszeichnung mit aufgeführt, von denen aber, welche eine kritische Auswahl der classischen
und für golden zu achtenden Literatur einer Sprache nach den Principien der Correctheit haben geben wollen, als fremdartiger Auswuchs zum Theil gänzlich übergangen und verworfen: Die leeren Stellen hat man nicht selten mit Autoren ausgefüllt, denen nach unsern Ansichten gar nicht einmal der Name von Dichtern geschweige von Meistern in ihrer Kunst zukommt: mit den geistlosen Nachahmern einer misverstandnen Classicität und dem ganzen Heer der ihnen nachtretenden Versificatoren.
[10]
A. W. Schlegel, Vorles. üb. Enz. (
!
1803–04), 56
: Die Römer erlangten ihre Bekanntschaft mit der Griechischen Litteratur hauptsächlich durch Vermittlung [...]; sie modelten ihre eigne darnach, und da diese Bestrebungen ziemlich bald ihr Ziel erreicht und sich fixirt hatten, so erklärten sie ebenfalls einige ihrer Schriftsteller, besonders aus dem Zeitalter des Augustus, und dem zunächst vorhergehenden, für classisch
und fingen schon sehr früh an, sie als Classiker [vgl.
klassisch2]
in den Schulen auszulegen, um die Schreibart der Jugend darnach zu bilden.
[11]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.1 (1809), 226
: Die französischen Kunstrichter und die durch sie herrschend gewordene Meynung erklären nur einen einzigen ihrer Lustspieldichter, den Moliere, für klassisch
, und alles seitdem Geleistete wird nur als mehr oder weniger unvollkommene Annäherung an dieses vermeyntlich unübertreffliche, ja unerreichbare Muster geschätzt.
[12]
J. Schopenhauer, Jugendlb. u. Wanderb. I (1839), 113
: Vor allen Andern aber ehrte und bewunderte ich den Dictator Cincinatus! Stundenlang malte ich in Gedanken es mir aus, wie er in Rom als Sieger triumphirend einzog, und dann still bescheiden zu seinem Pfluge und seinen Teltower Rübchen zurückkehrte, die auch ich sehr gern aß; denn daß der große Mann mit einer schlechteren Sorte als dieser, seit der Erscheinung des berühmten Briefwechsels [⦿] späterhin classisch gewordenen, vorlieb genommen haben sollte, war mir nicht denkbar.
[13]
Wieland, Was ist Hochteutsch? (1782), 206
: [D]ie Luthersche Bibelübersetzung [...], welche sonst immer ein Classisches Ansehen in dem protestantischen Teutschlande behauptete, wird von Hrn. A.[delung] in seinem Wörterbuche unzähliger theils Ober-Teutscher, theils in Chur-Sachsen veralteter Redensarten überwiesen. ➢ Volltext
[14]
A. F. Bernhardi, Sprachlehre I (1801), 110 f. (111)
: Aus mehreren Stämmen bildet sich, nach Anleitung von einzelnen, äußeren Umständen, ein Staat; die nachbarlichen Stämme mit ihren im Ganzen ähnlichen Sprachen[3] schmelzen zu einem Volke[2/1] zusammen; es entsteht Volkssprache, welche einen allgemeinen und noch festern Charakter bekommt. Allein diese Stämme vereinigen sich 〈111〉 anfangs nur durch ein sehr lockeres Band, und die einzelnen Stammsprachen bleiben daher noch lange Zeit von einander getrennt, und erhalten blos eine allgemeine Aehnlichkeit. Diese allgemeine Aehnlichkeit ist nun die eigentliche Landessprache, und die übrigen Stammsprachen erscheinen in Hinsicht auf diese als Dialekte[1]. Nun ist aber ein doppelter Fall denkbar; entweder dies Band zwischen den Stämmen bleibt so locker, als es anfangs war, und jeder kultivirt sich für sich, dann wird die jedesmalige Provinz, in welcher die Kultur[4] wohnt, ihren Dialekt[1] zur Hauptsprache erheben, und temporell die Sprachen[4] der andern Stämme als abweichend und weniger gebildet herabsetzen; oder die Stämme nähern sich einander bis zur Vermischung, dann entsteht eine Hauptsprache, welche die andern, durch zufällige Umstände, sich neben der Hauptsprache erhaltenden Dialekte[1], würklich als fehlerhaft und provinziell, wenigstens für die schriftliche Darstellung, verwirft. Griechenland liefert Beispiele zu beiden, in der anfänglichen Trennung in einzelne Stämme und Dialekte[1], und der spätern Reception des attischen Dialekts[1] als klassisch. ➢ Volltext.
[15]
Blanckenburg, Roman (1774), 115
: [...] wenn sich nicht eine Stelle aus einem Classischen
Dichter anführen ließe, die die obige Bemerkung bestätigen wird..
[16]
Börne, Brf. Paris IV (1833), SS 3, 541
: Das alles weiß ich, und ich wüßte noch tausendmal mehr, wenn ich außer Funkes Real-Schullexikon [...] noch einige andere klassische
Werke von zu Hause mitgenommen hätte, wie: Eschenburgs „Handbuch der klassischen Literatur“, „Heliodore, die Lautenspielerin aus Griechenland“, Thibauts „Pandekten“ und Roberts “Waldfrevel„..
[17]
Brockhaus, Conv.-Lex. V (1809), 339
: So große Verdienste sich die Deutschen Gelehrten, besonders Adelung,
um die Deutsche
Sprachlehre erworben haben; so ist dieselbe doch noch immer in vielen Stücken unvollkommen und mangelhaft, wozu [...] die Nachlässigkeiten, deren sich klassische
Deutsche Schriftsteller in Ansehung der Sprache bisweilen schuldig machen, nicht wenig beitragen..
[18]
Claudius, Asmus VII (1803), 508
: Was die Sündflut
anlangt, da bestätigen die ältesten klassischen
Schriften der Asiaten sowohl die Flut
als die Sünde,
das heißt, sowohl das Faktum als die Veranlassung..
[19]
Claudius, Asmus VII (1803), 519
: Die sinesische Naturlehre z. Exempel ist in dem Buch In-kin, das unter ihren fünf klassischen
Büchern das dritte ist, enthalten [...]..
[20]
Fichte, Zweite Einleit. (1797), SW 1, 472
: Dieses Bewusstseyn ist ohne Zweifel [...] gerade das, was ich intellectuelle Anschauung nenne, und, wenn es in der Philosophie keinen klassischen
Autor giebt, mit demselben Rechte so nenne, mit welchem Kant etwas anderes, das Nichts ist, so nennt [...]..
[21]
Goethe, Not. u. Abhdlg. (1829), WA I, 7, 219
: Bei der Mittheilung seiner Einsichten [...] findet er [sc. William Jones]
manche Schwierigkeit, vorzüglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner Nation für alte classische
Literatur entgegen, und wenn man ihn genau beobachtet, so wird man leicht gewahr, daß er, als ein kluger Mann, das Unbekannte an's Bekannte, das Schätzenswerthe an das Geschätzte anzuschließen sucht; er verschleiert seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst und gibt mit gewandter Bescheidenheit meistens solche Beispiele, die er lateinischen und griechischen hochbelobten Gedichten gar wohl an die Seite stellen darf, um die anmuthigen Zartheiten des Orients auch Classicisten eingänglich zu machen..
[22]
Heine, Brf. aus Berlin (1822), DHA 6, 27 f. (28,
1
)
: Die Esel und die Schafe hatten es einst schon bis zum Sprechen gebracht, hatten ihre klassische
Literatur, hielten vortreffliche Reden über die reine Eselhaftigkeit im geschlossenen Hammelthume, über die Idee eines Schafskopfs und über die Herrlichkeit des Altböckischen. .
[23]
Heine, Romant. Schule (1836), 130
: Was den Ruhm des Herren Schlegel noch gesteigert, war das Aufsehen, welches er später hier in Frankreich erregte, als er auch die literarischen Autoritäten der Franzosen angriff. Wir sahen mit stolzer Freude, wie unser kampflustiger Landsmann den Franzosen zeigte, daß ihre ganze klassische Literatur nichts werth sey, daß Molière ein Possenreißer und kein Dichter sey, daß Racine ebenfalls nichts tauge, daß man uns Deutschen hingegen als die Könige des Parnassus betrachten müsse. ➢ Volltext.
[24]
Herder, Engl. u. dt. Dichtk. (1777), 427
: Wäre Bodmer ein Abt Millot, der den Säklenfleiß seines Cürne de St. Palaye in einer histoire literaire des Troubadours
nach gefälligstem Auszuge hat verwandeln wollen; vielleicht wäre er weiter umher gekommen, als izt, da er den Schaz selbst gab und uns zutraute, daß wir uns nach dem Bissen schwäbischer [›mittelhochdeutscher‹]
Sprache leicht hinauf bemühen würden. Er hat sich geirrt: wir sollen von unsrer klassischen
Sprache weg, sollen noch ein ander Deutsch lernen, um einige Liebesdichter zu lesen – das ist zu viel! Und so sind diese Gedichte nur etwa durch den Einigen Gleim in Nachbildung, wenig andre durch Uebersezung recht unter die Nazion gekommen: Der Schaz selbst liegt da, wenig gekannt, fast ungenuzt, fast ungelesen. .
[25]
Herder, Gesch. d. Menschh. IV (1791), 259
: Wenn die germanischen Ueberwinder Europa's ein classisches Buch ihrer Sprache[3], wie die Araber den Koran gehabt hätten; nie wäre die lateinische eine Oberherrin ihrer Sprache[3] geworden, auch hätten sich viele ihrer Stämme nicht so ganz in der Irre verlohren..
[26]
Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. IV (1835), 202
: Der eigentliche Anfang der französischen Bühne ist 1598 mit der Gründung des Théâtre français anzunehmen. Die Mysterien, welche bis dahin bestanden hatten, waren nur der äußern Form nach Schauspiele, und die Theilnahme an ihnen verlor sich schnell, als durch Richelieu’s Bemühungen die spanische Literatur in Frankreich heimisch ward und die dramatische Dichtkunst in der folgenden Zeit jene Höhe erreichte, die bis vor wenigen Jahren als strenges Vorbild galt. Die Gesetze der Einheit von Zeit, Ort und Handlung wurden nicht nur als die festeste Norm befolgt, sondern sie dienten auch bei der Beurtheilung jedes tragischen Dichtwerks als Maßstab. Eine Verschmelzung dieser Nachahmung der antiken[2] Muster mit dem Geiste der Nation finden wir bei den Heroen der französischen Tragödie Corneille (s. d) und Racine (s. d.). Diese beiden und Molière (s. d.), der Schöpfer des französischen Lustspiels, rissen die Bühne aus ihrer ersten Rohheit. Doch blieb immer eine Steifheit, ein geziertes, hochtrabendes Wesen zurück, das selbst Voltaire (s. d) 〈202〉 der dritte große Tragiker der Franzosen, nicht verdrängen konnte. [...] Gegen jene klassischen[3/7] Vorbilder erhob sich in neuester Zeit die Schule der Romantiker, an deren Spitze Victor Hugo (s. d.) steht. Sie hat zwar die altfranzösische Tragödie nicht verdrängen können, behauptet aber doch siegreich ihren Platz neben ihr, und wie aus allen Kämpfen der Art, so wird auch hier ein vermittelndes Princip aus den Eigenthümlichkeiten beider Schulen ein gutes, erfreuliches Resultat schaffen..
[27]
Herloßsohn, Dam. Conv. Lex. V (1835), 332
: Salieri’s Oper: „die Horatier und Curiatier“ hat sich im vorigen Jahrhunderte lange Zeit auf dem Repertoir erhalten und wurde als klassisches Werk anerkannt..
[28]
Immermann, Düsseld. Anf. (1840), 7
: Vergiß nicht [...], daß Du das Stück [sc. Schiller,
Wallensteins Lager]
von den Meisten in Dialekten sprechen ließest. | Dieses Mittel, die Illusion der buntesten Mannigfaltigkeit zu erzeugen, liegt so nahe, daß man nicht begreift, wie die Leute, die sich mit dem Theater beschäftigen, es haben außer Acht lassen können [...]. Eine rohe Soldateska, die durcheinander schwatzt und selbst von sich aussagt, daß sie aus allen Ecken und Enden zusammengeblasen worden sey, braucht doch nicht mit uniformer klassischer
Eleganz zu reden. Man zerstört also nicht den Sinn des Gedichts, man interpretirt vielmehr Schiller auf richtige Weise, wenn man statt des gangbaren reinen Deutsch ein Sprachmengfutter in diesem Stücke auftischt..
[29]
Kant, Religion (1793), XVIII
: So kann man z.B. nicht sagen, daß der Lehrer des Naturrechts, der manche klassische
Ausdrücke und Formeln für seine philosophische Rechtslehre aus dem Codex der römischen entlehnt, in diese einen Eingriff
thue, wenn er sich derselben, wie oft geschieht, auch nicht genau in demselben Sinn[1] bedient, in welchem sie, nach den Auslegern des letztern, zu nehmen seyn möchten, wofern er nur nicht will, die eigentlichen Juristen oder gar Gerichtshöfe sollten sie auch so brauchen.
.
[30]
Kant, Religion (1793), 208
: Uebrigens gehört das theoretische Bekenntniß des Glaubens an die göttliche Natur[1] in dieser dreyfachen
Qualität zur bloßen klassischen
Formel eines Kirchenglaubens, um ihn von andern aus historischen Quellen abgeleiteten Glaubensarten zu unterscheiden, mit welchem wenige Menschen einen deutlichen und bestimmten (keiner Mißdeutung ausgesetzten) Begriff[1] zu verbinden im Stande sind [...]..
[31]
Kant, Religion (1793), 273 f. (274)
: So ist es nun mit allem Geschichts- und Erscheinungsglauben bewandt: daß nämlich die Möglichkeit
immer übrig bleibt, es sey darin ein Irrthum anzutreffen, folglich ist es gewissenlos, ihm bey der Möglichkeit, daß vielleicht dasjenige, was er fordert, erlaubt, oder unrecht sey, d. i. auf die Gefahr der Verletzung einer an sich gewissen Menschenpflicht, Folge zu leisten. | [...] Da die Ueberzeugung keine andere als historische Beweis〈274〉gründe für sich hat, in dem Urtheile dieses Volks[1] aber [...] immer
die absolute Möglichkeit eines vielleicht damit, oder
bey ihrer klassischen
Auslegung vorgegangenen Irrthums übrig bleibt, so würde der Geistliche das Volk[1]
nöthigen, etwas [...] zu bekennen, was es, als ein solches, doch nicht gewiß weiß [...]..
[32]
Schiller, Naiv. u. sent. Dicht. II (1795), 462
: Aber hat die poetische Litteratur nicht sogar klassische
Werke aufzuweisen, welche die hohe Reinheit des Ideals auf ähnliche Weise zu beleidigen, und sich durch die Materialität ihres Innhalts von jener Geistigkeit, die hier von jedem ästhetischen Kunstwerk verlangt wird, sehr weit zu entfernen scheinen?.
[33]
Schiller, an Goethe (17. 8. 1797), NA 29, 120
: Aus dem Gotterischen Nachlaß erhalte ich seine Oper: die Geisterinsel, die nach Shakespears Sturm bearbeitet ist; ich habe den ersten Akt gelesen, der eben sehr kraftlos ist und eine dünne Speise. Indeßen danke ich dem Himmel, daß ich einige Bogen in den Horen auszufüllen habe und zwar durch einen so klaßischen
Schriftsteller der das Genie und Xenien-Wesen vor seinem Tode so bitter beklagt hat – Und so zwingen wir denn Gottern, der lebend nichts mit den Horen zu thun haben wollte, noch todt darinn zu spucken..
[34]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. II (
!
1802–03), KAV 1, 485
: [S]o findet man schon nicht häufig Dilettanten, welche Wielands sämtliche Werke ganz durchgelesen haben, und jemand zu finden, der in Klopstocks Messias bis ans Ende gekommen wäre, ist eine wahre Seltenheit. Die meisten als classisch gesetzten Schriftsteller, die unser goldnes Zeitalter ausmachen sollen, verdienen auch dieses Schicksal, außer Umlauf gesetzt zu werden, vollkommen [...]..
[35]
A. W. Schlegel, Berl. Vorles. III (
!
1803–04), KAV 2.1, 126
: Die Chansons du pont neuf werden von den Franzosen immer als das letzte ersinnliche von unpoetischer Schlechtigkeit und Plattheit angeführt; es fragt sich ob nicht manches Gute darunter zu finden, vielleicht mehr Reste wahrer Poesie, als in ihren gepriesensten classischen
Werken..
[36]
A. W. Schlegel, Vorles. üb. Enz. (
!
1803–04), 330
: Als Kirchensprache erhielt es [Latein] eine eigne geistliche Poesie, von der ich darthun zu können glaube, daß sie etwas weit höheres leistete, als je die classische
der Lateiner konnte, welche doch im Ganzen nur poetische Schulübung war, statt daß hier die Begeisterung einer ursprünglichen Anschauung weht..
[37]
A. W. Schlegel, Dramat. Lit. II.1 (1809), 39
: Metastasio verdunkelte den Zeno, weil er bei einem ähnlichen Streben doch biegsamer einlenkte, um sich den Bedürfnissen des Musikers zu fügen. Die Vorzüge, wodurch er bey den heutigen Italiänern classisch
und gewissermaßen das für sie geworden, was Racine den Franzosen ist, sind: die vollkommenste Reinigkeit, Klarheit, Zierlichkeit und Anmuth der Sprache[4] überhaupt, und insbesondre der sanfteste Wohllaut und die größte Lieblichkeit in den Liedern. .
[38]
F. Schlegel, Philolog. II (*1797), KFSA 16, 77, Nr. 174
: Rhetorik
des Mittelalters was war dieselbe? [...] Die Philosophie
scheint allmählig aus dem Cyklus der classischen
und φλ [philologischen] Wissenschaften verschwunden zu seyn, bis auf die eigentlichen Scholastiker und Araber..
[39]
F. Schlegel, Gespr. Poes. (1800), 66
: Sie traten [...] mit einem unmäßigen Gelächter in die Gesellschaft, und aus den letzten Worten[2], die man hören konnte, ließ sich schließen, daß ihre Unterhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Engländer bezog. Man sagte noch einiges über denselben Gegenstand, und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfällen dem Gespräch einmischte, das er selten selbst führte, behauptete, die Grundsätze ihrer Kritik[2] und ihres Enthusiasmus wären im Smith über den Nationalreichthum zu suchen. Sie wären nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die öffentliche Schatzkammer tragen könnten. Wie jedes Buch auf dieser Insel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine gehörige Zeit[5] gelegen habe, zum Classiker. Sie wären aus gleichem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Scheeren stolz wie auf die der besten Poesie[11]. So ein Engländer lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden, oder wer sonst noch Classiker sei; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bei dem andern. – Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne[7] Krankheit, durch die jede Nation[1] hindurch müsse, wie die Kinder durch die Pocken. ➢ Volltext.
[40]
Schleiermacher, Meth. d. Übers. (1813), SW 3.2, 228
: Zuerst, daß diese Methode des Uebersezens nicht in allen Sprachen gleich gut gedeihen kann, sondern nur in solchen die nicht in zu engen Banden eines klassischen
Ausdrukks gefangen liegen, außerhalb dessen alles verwerflich ist. ➢ Volltext.
[41]
Sulzer, Allg. Theor. I (1771), 3
: Es scheinet, daß Hr. Wieland
bey Bekanntmachung seines Idris
die Absicht gehabt, Deutschland ein Werk dieser Gattung [sc. des
Abentheuerlichen]
zu liefern, das in seiner Art claßisch
werden sollte, so wie es der Orlando furioso des Ariost
in Italien ist. Es fehlt in der That diesem Werk nicht an glänzenden poetischen Schönheiten; doch scheint etwas mehr, als dieses erfoderlich zu seyn, um ein Buch bey einer ganzen Nation claßisch
zu machen..
[42]
Thümmel, Mittägl. Prov. I (1791), W 1, 191
: „Sie kennen doch gewiß,“ fragte er mich [...], „den berühmten Pater Mabillon?“
[...] | „So, so,“ antwortete ich – „Man hält ihn, glaube ich, für den ersten klassischen
Autor in der Diplomatik[.]“.
[43]
L. Tieck, Vorr. Minnelied. (1803), XXIV f. (XXV)
: Seitdem ist die Nachahmung jener künstlichen Formen der Italiäner [...] häufig versucht worden [...]. Es wird [...] vielleicht nicht ohne Nutzen sein, an eine Zeit[3] zu erinnern, in welcher 〈XXV〉 Natürlichkeit und Künstlichkeit sich gleich unbefangen und reizend zeigten, um den Freunden der Poesie[11] Gelegenheit zu geben, neben jenen klassischen
Formen sich auch mit frühern bekannt zu machen, die jene erklären und auch für sich aller Aufmerksamkeit würdig sind. .
[44]
Wieland, Gold. Spiegel (1772 [hier: 1795]), 297
: Außerdem hielt Tifan
für nötig und anständig, daß alle Bürger, zu welcher Klasse sie gehören möchten, in ihrer Muttersprache
unterrichtet, und gelehrt würden, einige der besten Nationalschriftsteller, die er zu diesem Ende für klassisch
erklärte, mit Verstand und Geschmack zu lesen..
[45]
Wieland, Was ist Hochteutsch? (1782), 158
: Ich unterschreibe von ganzem Herzen alles was Hr. A.[delung] von den Verdiensten des großen Luthers um die teutsche Sprache[3] sagt; – wie〈158〉wohl Hr. A. selbst in der Lutherischen Bibel-Uebersetzung soviel veraltetes und Ober-teutsches (d. i. nach seinen Grundsätzen Unteutsches) findet, daß er derselben kein Classisches Ansehen in unsrer Schriftsprache zugestehen kann. Aber wo sind dann die Ober-Sächsischen teutschen Schriftsteller vom ersten Rang im 17ten Jahrhundert? Waren unsre besten Dichter und Prosaisten derselben Zeiten, Opitz, Dach, Flemming, die Gryphiusse, Wernicke, Logau, Moscherosch (Philander von Sittewald) Lohenstein, u. a. vor allen aber der erhabne Verfasser der Octavia und Aramena, waren sie Ober-Sachsen? Ich sage nicht, daß irgend einer dieser Schriftsteller noch izt für classisch gelten könne; und es findet sich auch in Absicht des Geschmackes ein großer Unterschied unter ihnen. ➢ Volltext.
[46]
Wieland, Was ist Hochteutsch? (1782), 162
: Wem eine so schnelle und große Veränderung zuzuschreiben sey, ist unter den Franzosen selbst keine Frage. Die ganze Nation[1] ist nur Eine Stimme, sie nicht der Pracht des Hofes unter Ludwig XIV. nicht dem Weinbau, Seidenbau, den Manufacturen, und der Handlung, die damals in Frankreich blüheten, nicht dem Zusammenfluß glüklicher Umstände, welche sich zum glänzendsten Wohlstande des Französischen Reichs in der ersten Hälfte der Regierung jenes großen Königs vereinigten – sondern den Arnaud, Pascal, Bourdaloue, Fenelon, Bossuet, La Brüyere, 〈162〉 u. a. unter den Prosaisten, und den Corneille, Racine, Moliere, Boileau und La Fontaine unter den Dichtern, zuzuschreiben, welche sich, nach des Schiksals Schluß, zusammen fanden, und durch ihre Werke die goldne Epoke der französischen Litteratur hervorbrachten. Und wodurch wurden alle diese Männer die Classischen[2/3] Schriftsteller ihres Volkes[1], und die Muster der besten Schreibart? ➢ Volltext.
[47]
Wienbarg, Aesth. Feldzg. (1834), 184 f. (185)
: Goethe vergleicht [...] sehr richtig die französische Sprache[3] mit ausgeprägter Scheidemünze, die jeder in der Tasche bei sich trägt und der er sich auf das schnellste im Handel und Wandel bedienen kann, die deutsche aber mit einer Goldbarre, die sich ein jeder erst münzen und prägen muß; woher es auch ein gewöhnlicher Fall, daß der gemeinste Franzose rasch und fließend spricht, da er seine Wörter[1] ungezählt nur so ausgibt, der Deutsche aber, selbst der gebildete, sich nur selten so rund und voll auszudrücken vermag, als er wohl wünscht. Demselben Umstande hat die französische Prosa[1] ihre Vollkommenheit zu verdanken und sie, die Prosa[1], ist es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Wert der französischen Literatur gegründet hat, obwohl darüber noch 〈185〉 manche im unklaren sind und die französische Poesie[3], die Trauerspiele eines Corneille, Racine, die gereimten Lustspiele eines Moliere, die Henriade eines Voltaire usw. für die einflußreichsten und am meisten klassischen[2] Produkte der französischen Literatur erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzosen ein rein poetisches[4] Produkt zustande gebracht haben, ich wüßte keins, wo nicht der Redner den Poeten überwöge oder wenigstens ihm den Rang abzulaufen versuchte; selbst in der neuesten[3] romantischen[11] Schule, an deren Spitze Viktor Hugo steht, und die ohne Zweifel an poetischem[4] Gehalt die altfranzösisch klassische[3/7?] überflügelt, spielt die Rhetorik, die Floskelei, die Tiradensucht die Hauptrolle..