S. 337 ff.: Über die Neulateinischen Sprachen will ich erst einige allgemeine Bemerkungen voranschicken, und dann sie einzeln in der Kürze charakterisiren. Das Lateinische war keinesweges eine sanfte Sprache: sonor allerdings, jedoch nicht milde, und den Griechen fiel sehr vieles darin als unerträgliche Härte auf. Die Altgermanischen Dialekte der einwandernden Eroberer waren vollends in jener Zeit rauh und ungeschlacht. Und dennoch sind aus der Verschmelzung dieser beyden Bestandtheile die sanftesten und anmuthigsten Sprachen des neueren Europa hervorgegangen. Dieß Phänomen ist auffallend und befremdlich; der klimatische Einfluß, dessen Wichtigkeit nicht geläugnet werden darf, reicht nicht hin, es zu erklären. Denn man muß bedenken, daß die Römer desselben ebenfalls genossen; und also hätte man höchstens nur wieder solche Sprachen erwarten können, wie das Lateinische selbst war. Woher also die ausgezeichnete Zartheit und Lieblichkeit, besonders im Wohlklange, welches deswegen, wiewohl mit Unrecht, beschuldigt worden, in diesen Sprachen ins weichliche auszuarten. Ich glaube daher, daß Mischung und Verschmelzung mehrerer Idiome ein besonders günstiger Umstand für die Sprachbildung ist. Es erfolgt nämlich, ehe sie sich amalgamiren, ein Zeitraum der Anarchie und Verwirrung, wo der große Haufe, beyder Sprachen nicht recht mächtig, spricht, wie er will und kann. Ist nun Anlage und Sinn für das Schöne da, so kann eben diese Unsicherheit und Unbestimmtheit Anlaß werden, daß das Angenehmere gewählt, Härten weggeschliffen, die Aussprache überhaupt gemildert werde u.s.w: und so ist eben Barbarey und Idiotismus im Sprechen Quelle einer ganz
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neuen Vollkommenheit. Die schriftlichen Denkmäler lehren uns, daß alle diese Sprachen auf dem Übergange vom Latein ein sehr mißfälliger harter formloser Jargon waren, und das sind sie Jahrhunderte lang geblieben. Die ritterliche Galanterie und die damit verknüpfte Poesie des Mittelalters hat unstreitig den größten Antheil an der Verfeinerung der romanischen Dialekte. Sie ist deswegen im Mittelalter hauptsächlich von Frankreich ausgegangen, weil dieses Land in der Chevalerie den Ton angab. Jedoch kam damals weit mehr die südliche Hälfte Frankreichs mit der ihr eigenthümlichen Sprache ins Spiel, wie wir sogleich sehen werden. | Haben demnach diese Sprachen gleich vor dem Lateinischen, ihrer Stammsprache, bedeutende Vorzüge: so ist auf der andern Seite nicht zu läugnen, daß ein gewisser Makel der Corruption an ihnen haftet. Sehr spät haben sich daher auch die Gelehrten dieser Länder gewöhnt, sie anders als ein ausgeartetes Latein, als Mundarten des ungelehrten Haufens (lingua volgare) zu betrachten. Unläugbar ist es, daß vieles daher entstanden, daß die Germanischen Eroberer wohl die Lateinischen Wörter, aber nicht die gehörige Art sie zu biegen, erlernen konnten. Man kann daher diese Sprachen sämtlich aufs kürzeste so charakterisiren, daß man sagt: die Materie (die Hauptmasse der Wörter) ist lateinisch, die Form Deutsch. Versteht sich, daß dieser Satz Einschränkungen leidet. In allen ist eine beträchtliche Zahl Germanischer Wörter befindlich, seyn diese nun Ostgothisch, Lombardisch, Fränkisch, Burgundisch, Westgothisch, Vandalisch u.s.w. Im Französischen mögen sich alt-Gallische Wörter erhalten haben, im Spanischen alt-Celtiberische oder Baskische, ferner sind darin so wie in das Portugiesische, Arabische Wörter in ziemlich bedeutender Anzahl übergegangen. Auf Italiänisches mag der Handelsverkehr mit dem Orient allerdings bedeutenden Einfluß gehabt haben, wie sich ja in der Levante eine eigne Vermittlungssprache lingua Franca dadurch gebildet hat. Die neueren Einmischungen, welche durch politische Verknüpfungen und literarische Mittheilungen hervorgebracht worden, nicht zu erwähnen. | Ferner was die Deutsche Syntaxis betrifft, so sind zwar sehr bedeutende Punkte dadurch regulirt worden, zB. die Conjugation mit den Hülfswörtern, der Gebrauch der Fürwörter, besonders das sein, der in allen diesen Sprachen nicht logisch genau ist; und dergleichen mehr. In andern Stücken aber sind Lateinische Constructionen geblieben, ein bedeutender Überrest dieser Art ist das absolute Particip. In der Conjugation ist ein Amalgam der Deutschen und Lateinischen Weise zu Stande gekommen, weswegen sie auch sehr reich ausgefallen ist; in der Declination hingegen sind sie hinter der Deutschen Grammatik zurückgeblieben, da die Deutschen Eroberer die künstlichen Lateinischen Declinationen nicht erlernen konnten, und ihre einheimischen Formen hier nicht anwendbar fanden. Sie haben daher
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nichts behalten als verschiedne Endungen für die Geschlechter und Zahlen; das übrige müssen Präpositionen ersetzen.